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Blutschuld

Seine Bestimmung war es Vampire zu jagen, nicht sie zu lieben
von

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Verspielt

35. Verspielt
 

Klappernde Hufe näherten sich einer Reihe von Gebäuden, die sich auf der Erhöhung der imposanten Landschaft abzeichneten. Bei näherem Betrachten war es ein stattliches Herrenhaus, dessen Gut von mehreren schmucken kleinen Häusern bebaut war.

Je Höher die Kutsche gezogen wurde, desto atemberaubender wurde der Blick auf den weiten Ozean unter ihnen. Gerne hätte Vernon diesen Anblick bei Tageslicht genossen. Dennoch strahlte das Idyll im fahlen Mondschein der Mitternacht eine ergreifende Faszination aus. Oder lag es nur an der Gesellschaft? Eine, die bald an der Intimität der engen Kutsche verlieren würde.
 

Ein samtiges Schimmern in den tintenschwarzen Vampiraugen bekräftigte Vernon seine Vermutung. “Wir sind gleich dort“, stellte er mit leicht fragendem Unterton fest, ohne dabei den Blick von der Tiefe vor ihm lösen zu können. Ein unmerkliches Nicken bestätigte den Brünetten. „Und wo genau sind wir?“, hakte Vernon nach. „Ich meine, hier wirkt alles sehr nach einem bewirtschafteten Landbesitz, nicht nach einer Ortschaft.“

„Wir befahren das Gut der Marquise del Rosso. Sie ist Gebieterin über den hiesigen Landstrich und ihren wachen Augen entgeht nichts. Ihr Einfluss ist weitreichend und sie wird uns sagen können, wo Xei seine Unterkunft hat.“

Dann war diese Vampirin also mehr als eine Herrin über Grund und Boden. „Sie hat politischen Einfluss“, gab Vernon leise von sich. „Durchaus.“ Die dunkle Stimme ließ den Soldaten zusammenzucken. Vernon war sich nicht bewusst gewesen, seine Überlegung ausgesprochen zu haben. Wieder fühlte er sich recht unbeholfen. Ausweichend suchten seine Augen Ablenkung in dem schwer drückenden Bild der Nacht.
 

Ein warmer Schein erhellte die Düsternis und die Umgebung bekam Kontur. Der geschlungene, steinige Weg, wurde von Fackeln am Wegesrand gesäumt. Pferdeschnauben in der Nähe durchbrach die stille Nacht und schwarze aneinander gereihte Pfähle warfen Schatten auf den Boden. Es dauerte eine Weile, bis Vernon klar war, dass er nichts weiter als das verzerrte Spiel des Eingangstors wahrnahm. Neugierig spähte er hinter die Eisenstäben und ärgert sich sogleich über den dürftigen Blick aus dem Kutscheninneren. Hinter den Toren schien reges Treiben zu herrschen und auch Stimmengewirr konnte er nun deutlicher wahrnehmen. Als die Kutsche hinter den Eingangstoren zu stehen kam, mischten sich Neugier und Zweifel in dem Soldaten. Angespannt versuchte er ein genaueres Bild der Umgebung auszumachen. Die vielen umstehenden Kutschen ließen auf eine größere Veranstaltung schließen. Bunte Gestalten huschten im diffusen Licht über den üppigen Vorgarten, der in idyllischer Harmonie zeitlos von Vergangenheit in Moderne erzählte.
 

„Sieht so aus, als ob die Marquise einen Ball abhält“, stellte Iven emotionslos fest.

„Dann sollte ich besser aussteigen und von hier fort gehen. Ich habe nicht das Bedürfnis einer freudigen Festgesellschaft von Vampiren beizuwohnen und jede Annäherung war bereits zu viel.“

„Ich verstehe dich, doch dafür ist es zu spät. Bereits als wir die Auffahrt nahmen, wurden wir inspiziert und sicher als ungeladen gemeldet. Die Torheit jetzt kehrt zu machen, kannst du dir nicht mehr leisten. Du wirst mich zumindest bis vor den Einlass begleiten.“

„Wozu?“

„Fragst du mich das ernsthaft? Ist der Unterschied zwischen Elitejäger und Soldat wirklich so groß?“, fragte Iven belächelnd. „Hier draußen vor den Toren zu verweilen, während die Umgebung von Vampiren nur so wimmelt, wäre äußerst unklug und dein sicheres Todesurteil. Sobald die Wachposten gesehen haben, in wessen Begleitung du bist, wird dir das Schutz bieten.“

Seine Arglosigkeit beschämend wissend, nickte der Soldat.

„Verstehe.“
 

Als sie ausstiegen, wurde der Prinz sogleich ergeben von einem eifrigen Diener in Empfang genommen.

„Es ist uns eine Ehre, euch begrüßen zu dürfen, mein Prinz. Wir hatten keine Ahnung von eurer hohen Aufwartung heute Nacht. Die Marquise wird außerordentlich erfreut über euren Besuch sein.“

Der Diener war Vernon mit seiner schmierigen Art zu wider. In der schlichten grauschwarzen Aufmachung und dem streng nach hinten gebundenen schwarzen Haar, glich er einem Aal, der sich ehrfürchtig im Sandboden wand. Überhaupt schien sich jeder Vampir um sie herum in Demut klein zu halten. War Iven in seinen eigenen Reihen so sehr geachtet? Oder viel mehr gefürchtet?
 

Mit einem flauen Gefühl im Bauch ging Vernon neben Iven her. Die kalten, begierigen Blicke der Vampire um sie herum, spürte er für seinen Geschmack zu deutlich in seinem Rücken. Zweifelnd, ob er nicht doch besser der Festgesellschaft folgen und an der Seite des Prinzen verweilen sollte, suchte er die tiefschwarzen Augen. Der warme Glanz versprach Schutz. Blind darauf vertrauend blieb Vernon vor dem Einlass stehen, während Iven ein paar Worte mit dem Vampir am Empfang wechselte.
 

Vernon schluckte trocken, als sich Iven wieder ihm zudrehte.

„Ich werde nicht all zu lange zu verweilen.“

Mit einem knappen Nicken verabschiedete sich Iven. Das Gefühl von Schutz blieb.
 

Als der Prinz im Inneren verschwand, änderte sich die Haltung der umstehenden Vampiren schlagartig. Vernons Instinkte mahnten ihn zur Vorsicht. Er spürte die Bedrohung, obgleich keiner der Vampire versucht schien, ihm Beachtung zu schenken. Im Gegenteil. Das offene Übergehen sprach nur eine Sprache, Respekt.
 

Das Warten missfiel ihm schnell. Die Situation hatte viel zu sehr etwas von einem Diener, der auf seinen Herren wartete. Auch wenn er den Gedanken standhaft verscheuchte, so war doch genau dies die Wirklichkeit. Seine Unversehrtheit verdankte er der Achtung vor dem Eigentum des Prinzen. Nichts weiter.

Entschieden nicht länger in dieser beschämenden Situation zu verharren, ging er an antiken Statuen vorbei, welche die schwungvolle Treppe tangierten und dem Anwesen mit seiner schneeweißen Fassade einen Hauch von Zeitlosigkeit verliehen. Angespannt nahm er die Stufen nach oben. Das goldene Licht der Gesellschaft lockte an dem nickenden Portier vorbei. Kurz suchten seine Finger Kraft in einer umschließenden Faust. Er würde sich unter Raubtiere mischen, allein um dem Gefühl eines Haustieres zu entgehen. Im Grunde war es lächerlich. Er war Opfer seines Stolzes und das was er im Begriff war zu tun, wohl nur ein Ausflucht ohne Zuflucht.
 

Die Wärme, die sich kaum im Inneren angekommen, auf seine kalten Glieder legte, war wohltuend und vertrieb die unangenehmen Gedanken. Schweigend führte ihn ein Diener zu dem Festsaal, der im farbenreichen Glanz erstrahlte. Lautes Gemurmel, unterlegt mit lieblicher Streichmusik, bestimmte die Gesellschaft. Erkundend schweiften seine braunen Augen über den imposanten Saal und die in prächtiger Garderobe präsentierten Gäste.

Noch bevor er sich einen Überblick über die intensiven Farbeindrücke und dem blendenden Glanz verschafft hatte, galt seine Aufmerksamkeit zwei Damen, die offensichtlich einen stillen Kampf um Beachtung austrugen. Enttäuscht zogen sie von dannen, während der Verehrte alleine zurück blieb.
 

Ein Stich durchzog seine Brust und was Vernon sah, verschlug ihm den Atem. Luc war immer eine stattliche Erscheinung gewesen. Doch nun haftete ein goldener Schimmer, einem Heiligenschein gleich, an seinem Freund. Das dunkelblonde Haar leuchtete bezaubernd wie der junge Morgen. Die grünen Augen fesselten als glühende Smaragde, die zum Leben erweckt wurden, während die von Goldfäden umsäumt Wimpern in verwunschene Wälder führten. Die Haut betörte in schillernder Seide und verführte zum Berühren. Jede kleinste Regung strahlte Lebenskraft aus. Energie, die beinahe greifbar war. Lucs ganze Präsenz sprach von Zauber der unweigerlich anzog.

Fokussiert näherte sich Vernon seinem Freund.
 

„Luc?“

Neugierig drehte sich der Angesprochene um. Die malerischen Gesichtszüge entgleisten.

„Vernon?“

Immer noch fassungslos umkreist der Brünette seinen Freund. Es war ihm, als ob der die Wahrheit wie ein Schwamm in sich aufsaugen musste, um sie zu begreifen. Der Anblick war schlicht zu träumerisch. Ein lebendig gewordener Alptraum.

„Du hast wirklich,“ seine Stimme brach ab.

Er kam zu spät. Alptraum der bitter in der Realität verwurzelt war.

Schmerz durchzog ihn.

Lucs unbefangenes Lächeln zeugt in keinster Weise von dem nun lebenden Ungeheuer in diesem. Wie konnte Luc ihm nur so freimütig entgegenblicken, wo doch sein ganzes Herz vor Gram über das Schicksal seines Freundes verging? Trug er denn keine Schuld in sich? Wo war sein Anstand? Sein einstiger Kampfgeist?

Vernon ballte wütend die Fäuste. Der Drang in ihm, die falsche Lieblichkeit aus dem schönen Gesicht zu schlagen, schien übermächtig zu werden.
 

„Wie kommst du hier her?“
 

Entgeistert starrte Vernon die goldene Erscheinung an.

Soll das etwa alles sein? Keine Entschuldigung? Keine Rechtfertigung?

Wo war das geschätzte Wesen seines Freundes?

Sein Körper bebte. Der Atem stockte. Die Fäuste zitterten. Er würde Luc wieder zur Besinnung bringen. Jetzt, auf der Stelle.
 

Besänftigend legten sich von hinten sanfte Hände auf Schultern des Soldaten. Der Zorn verebbte augenblicklich.

„Er kam mit mir. Und ich folgte dir, um deine fehlende Gegenwart an meiner Seite zu unterbinden.“
 

Luc erschauderte.

Nicht nur Ivens Antlitz ließ ihn stocken, sonder auch die Geste die ihm schmerzhaft präsentiert wurde. Vertrautheit zwischen seinem besten Freund und dem Mann den er hasste und liebte. Mehr als das Entsetzen seine Wandlung vorschnell preisgegeben zu haben, erschütterte ihn die Empfindungen, von denen er nun gefangen genommen wurde.

Der Umstand, Vernon in den Händen des Todes zu sehen, sollte ihn alarmieren. Stattdessen schien das Tier in ihm nach etwas ganz anderem zu trachten.

„Du scheinst schnell anderweitig Trost und Zerstreuung gefunden zu haben, Prinz.“

Bittere und anklagende Worte.

„Das sollte dein Herz, nun da es sich entschieden hat, ja nicht mehr kümmern, Luciel.“

Süße und richtende Erwiderung.

Ja, Iven zeigte ihm seinen eben nur allzu großen Fauxpas auf. Es sollte keine Gefühle mehr für ihn haben. Nichts außer Hass. So weit von Rache getrieben, dass er nun als Vampir vor dem Prinzen stand. Wie konnte da Eifersucht überhaupt Platz finden?

Die Art wie sich Ivens Lippen dem Ohr seines Freundes näherten, versetzte ihm einen Stich. Er wollte diese vertraute Geste nicht sehen, keinem weiteren Gefühl von Bedeutungslosigkeit ausgesetzt sein. Den Schmerz nicht länger tatenlos ertragen.
 

„Wir sollten gehen, noch bevor ich Xei sichte.“ Das Flüstern an seinem Ohr und der sachte Hauch an seinem Hals, ließ Vernon erschaudern. „Ich verliere allmählich die Beherrschung und dies hier, ist weder der passende Ort, noch der rechte Zeitpunkt.“ Vernon verstand. Ein weiterer Blick auf seinen Freund verursachte ein Zittern, das verzweifelt nach Halt suchte. Wie konnte Schönheit nur so grausam sein? Wahrheit die Zeit so gefällig in Lüge strafen? Hilflosigkeit überkam ihn und fand sogleich Zuflucht in Geborgenheit. Dankbar nahm er Ivens Stütze an, die sich um seine Hüfte legte. Widerstandslos ließ er sich, von der warmen Geste umschlossen, aus dem Festsaal führen. Ein Weg aus dem gegenwärtigen Alptraum. Er hatte seinen Freund an die Dunkelheit verloren. Seine Augen brannten.
 

In Luc tobte es.

„Hast du mir nichts weiter zu sagen?!“

Der Ruf verlor sich in Missachtung. Es gab keinen Blick zurück. Seine fordernde Frage blieb ebenso unbeachtete, wie die verzweifelte Bitte darin.

Mit aller Macht versuchte Luc sich zu beherrschen. Er würde Iven nicht nachgehen, keinem Gefühl erliegen. Sein Herz bebte dennoch.

Mit welchen Versprechungen führte er Vernon weg?

Welche Zuneigung, die ihm entzogen und seinem Freund geschenkt wurde, fesselte?

Angestrengt kniff er seine Augen zusammen.

Sinnlos, das Bild blieb, genau wie der Schmerz.

Iven konnte nicht einfach gehen. Seine Arme liebevoll um Vernon gelegt.

Kein Blick zurück.

Kein Wort der Enttäuschung von den Lippen, die einst Liebe versprachen.

Er stand als Vampir vor dem Prinzen und sein Schöpfer sollte Iven kein Geheimnis sein. Dennoch wandte sich dieser ungerührt ab. Ohne eine einzige Bemerkung. Weder in Mimik noch in Gestik. Keine Regung, so als ob es ihm gleichgültig wäre. Vielleicht immer schon war.

Es brannte.

Feuer, das ihn mit züngelnden Flammen versengte.

Er brach zusammen.

Soviel geopfert.

Umsonst.

Er wollte verletzen, schaden.

Iven vernichten.

Dabei hatte er nur sich selbst gegeißelt, zerstört.

Sich aufgegeben.
 

Bevor er sich gänzlich der Jämmerlichkeit übergeben konnte, richteten ihn liebevolle Arme behutsam auf. Die besorgten Augen der weiße Silhouette blickten in seine tote Seele.
 

„Was ist passiert?“
 

Er hatte keine Tränen mehr, die lindern konnten.

Starr sah er durch fragendes Silber hindurch.

Er hatte sich verloren.
 

Traurig musterte Xei den Dunkelblonden.

„Ich wusste, dass du es bereuen würdest. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass dich die Erkenntnis bereits nach wenigen Stunden einfangen würde. Die Veränderung, die nach der Wandlung von statten geht, ist meist zu groß, um klare Gedanken zu erlauben.

Luc, sieh mich an.“

Die klare Stimme drang in sein Bewusstsein. Licht in der Dunkelheit, das nach Aufmerksamkeit verlangte.

„Es war umsonst“, flüsterte Luc.

Verletzt wich Xei ein Stück zurück. Das Strahlen verfinsterte sich.

„Sag mir nicht, dass du von Iven sprichst.“

„Obgleich ich es tue. Das Kind beim Namen nenne, den Todesboten verschweige.

Es war immer er. Von Anbeginn. Nur das Ende sehe ich nicht.

Vertan an der Hoffnung. Gescheitert an Hass. Gestorben an Liebe.“

Schatten verhüllten endgültig das helle Antlitz vor ihm.

„Ich glaubte an deine Liebe, Luc. Mit jeder Faser.“
 

Das Licht verschwand.

Der Schein der Kerzen, der Prunk des Saals, die Pracht der bunten Gestalten, das Lachen der Fremden, die erquickende Musik. Nichts durchdrang mehr die Leere, die sich auf ihn legte.

Die letzte Glut der Wärme verstarb.

Er war verbrannt.

Er war allein.

Vergangen in Asche.

Verloren in Leere.

Eingesperrt in Hoffnungslosigkeit.



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