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Blutschuld

Seine Bestimmung war es Vampire zu jagen, nicht sie zu lieben
von

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Nebenwirkung

38. Nebenwirkung
 

Als er erwachte, brannte nur ein Verlangen in ihm.

Blut.

Es war mächtiger als jedes Bedürfnis, was je verspürt hatte. Fordernd pulsierte das ungestüme Begehren in seinen Adern. Dem Herzschlag gleich, trieb es zur Jagd.

Das war es also, was ihn fortan ausfüllen würde. Ein Drang dem er nicht folgen wollte, aber musste. Alleine das kurze Aufflackern seiner Gedanken, sich keine Nahrung zu gewähren, versetzte ihn in Panik. Jede Faser seines Körpers schrie hysterisch vor der Angst, die Befriedigung des Blutdurstes verwehrt zu bekommen. Er brauchte Nahrung.

Nahrung. So schnell hatte sich sein Denken gewandelt. Genau wie sein Körper.

Die Heftigkeit, mit der sein Leib auf Blut pochte, war unerwartet. Gier schien ihn zu verschlingen, dabei hatte er doch eben erst die neue Nacht begrüßt.
 

Matt und verwirrt erhob er sich aus den weichen Kissen. Von Blut beherrschte Gedankenströme ließen keinen klaren Geist zu. Er wusste nicht mehr, wie er den Weg zur Unterkunft allein zurückgegangen war.

Allein.

Der Schrecken ließ ihn zusammenfahren und klärte den Schleier der dominierenden Gier. Die Erinnerung kam und jagte seinen Verstand durch Grauen in Hilflosigkeit.
 

Von Furcht gepackt stürmte er mit donnernden Schritten über die Diele. Aufgebracht schlug er jede Tür des herrschaftlichen Anwesens auf. Er brauchte Führung, mehr als alles andere. Mit jedem leeren Raum gewann die Unsicherheit an Kraft. Jede neue Tür, ein Stich von Verzweiflung in seinem Innersten. Das Hoffen blieb vergebens, genau wie die Suche. Er fand Xei nicht. Ernüchternd blieb er mit zitternden Gliedern stehen. Der Blick von der geschwungenen Empore nach unten, glich dem in den Abgrund seines Lebens. Er war allein. Vollkommen.
 

Hilflosigkeit hielt ihn fest in ihren Klauen.

Angst raubte ihm den Verstand.

Er brauchte Blut.

Er wollte Blut.

Er wollte Leben.

Dasein im Schatten.
 

Getrieben von Instinkt lief er nach draußen. Ungestüm trugen ihn seine zitternden Beine in belebte Straßen, dem Ruf nach einer Lebensquelle folgend. Der triebhafte Drang wurde unwillkürlich von Überreizung geschluckt. Die Welt wirkte fremd auf ihn. Sinneseindrücke strömten schonungslos auf ihn ein. Er war gefangen zwischen Grauschattierungen und grellen Farben. Die Stille war noch nie so fassbar, Töne erst jetzt voller Klang. Die zugetragenen Gerüche ließen ihn Bilder erahnen, noch bevor er sie sah. Scharf, bis ins Detail gezeichnet. Realität die zu viel für ihn war.
 

Überfordert von den Eindrücken der Umwelt, flüchtete er in eine verwaiste Gasse.

Sein verworrener Geist beruhigte sich. Er war nicht länger wichtig, einzig störend.

Sein Herz schlug kräftiger gegen seine Brust. Es wollte Blut.

Seine Wahrnehmung klärte sich. Der Hunger begehrte. Diktierte Sucht.
 

Er war noch nicht bereit dazu.

Morden für seine Existenz? Ihm wurde schlecht.

Gewissen peinigte. Verstand verlachte.

Du wähltest. Nun füge dich!

Nicht dem Tod, sondern dem Leben.
 

Ein Umriss regte sich in der Ferne. Den Geruch hatte er längst wahrgenommen.

Sein Magen krampfte sich augenblicklich zusammen. Vor Übelkeit, vor Durst.

Wie von selbst trugen ihn seine Füße Richtung Schatten. Das Bild der Silhouette kläre sich.

Die grünen Augen des Vampirs sahen Verwahrlosung, Gebrechlichkeit des Alters. Es würde ein barmherziger Tod sein. Einer, der sich mit jedem Schritt weiter kalt um den alten Mann legte.
 

Das mit Runzeln übersäte Gesicht blickte ihn fragend an. Die offene Ahnungslosigkeit weckte sein Mitleid, bezwang kurz den von seinem Körper bereits gefassten Entschluss.

„Seht ihr den Tod nicht, wenn er vor euch steht?“

Die himmelblauen Augen weiteten sich vor Entsetzen.

Sarah.

„Lauft!“
 

Stolpernd suchte der Mann das Weite.
 

Unfähig sich zu kontrollieren, brach der Vampir auf dem kalten Stein zusammen.

Er kämpfte. Ein Krieg von Leben und Tod. Sein Schluchzen der Verzweiflung mischte sich mit dem Stöhnen von Triebsucht. Zitternd griffen seine Hände schützend an die Stirn. Sein Kopf dröhnte. Eine laute unnachgiebige Stimme. Das Donnern schlug nur einen Takt – Blut. Instinkt der befriedigt werden wollte. Ethik hatte kein Gesetz mehr. Einzig der Hunger war Wirklichkeit. Wahrhaftigkeit, die ihn befehlende durch seine Existenz trieb. Grausam und unbarmherzig. Brennend sog er die eisige Winterluft ein. Sein lautloser Schrei starb an Unfähigkeit. Das folgende Wimmern machte es nicht besser. Er war erbärmlich. Zu schwach, um fremdes Leben über seines zu stellen. Er würde sich dem Tier ergeben. Einzig, um sich nicht aufzugeben, seine Selbst zu erhalten.

Der verzerrende Schleier seines Gewissens klärte sich. Der Zwang der Natur ließ ihn aufstehen, dem Leben im Tod entgegen treten.

Das verzehrende Verlangen den Hunger zu stillen, trieb ihn rücksichtslos vorwärts.

Er würde jagen. Unschuld blind reißen.

Sein Körper gierte. Seine Sinne lechzten.

Besessenheit bahnte sich den Weg und wurde jäh durchbrochen.

Mit verschwommenem Blick sah er in die kaltschwarze Nacht. Ein Licht durchdrang unwirklich die Finsternis, in der er sich befand. Sanfte Wärme umfing ihn und der Hunger zügelte sich in der Gegenwart des hellen Scheins. Klarheit legte sich bei dem vertrauten Anblick auf seinen Geist.
 

„Xei? Du bist zurück. Ich dachte du hättest mich für immer verlassen.“
 

Überwältigt sankt der junge Vampir erneut zu Boden. Tränen die eben noch in Schrecken gefangen waren, suchten sich ihren Weg in die Freiheit. Der erhoffte Trost blieb aus. Keine Stärke die ihn stützte. Keine Hand die ihn führen würde. Teilnahmslos schlug ihm lediglich die Kälte seines Gegenübers entgegen.
 

Er hatte Xei zu sehr verletzt.

Sich bei ihm genauso verrechnet wie bei Iven.
 

Gut, dann würde er sich alleine zurechtfinden müssen. Seine Seele war verkommen, wozu brauchte sie einen Lichtfleck? Ein Hoffnungsschimmer in der Hoffnungslosigkeit war ohnehin nur absurd und gänzlich überflüssig. Gänzlich sinnlos, wie alles.
 

Er stand auf. Entschieden ging er nach vorne. Er gestattete sich keinen Blick zurück.

Wozu auch nach etwas sehnen, das unerreichbar war?

Er war stark. Immer kämpfte er. Er würde nach Leben trachten.

Nichts Neues.

Nur eine andere Form. Die Kehrseite von bisherigem.
 

„Warte, Luc.“
 

Sein Herz krampfte, hoffte inbrünstig gegen alle Vernunft.
 

„Ich will mich nicht aus Eitelkeit aus der Verpflichtung stehlen.“
 

Nun hatte er sie doch, die Stütze die er brauchte, um dieses Leben zu führen. Dennoch konnte Xei ihn nicht unbeschadet durch das Leid tragen.

Lucs Stimme klang traurig, als er bedrückte Gedanken in die Freiheit entließ.

„Letztendlich muss ich es selbst tun. Aber es wäre ein Trost für mich, dich an meiner Seite zu wissen. Ich werde nicht wählen. Es ist feige, aber ich überlasse die Wahl dem Schicksal. Meine Beute wird der erste Mensch sein, der meinen Weg kreuzt.“

Unerwartet wurde er in Xeis Arme gezogen und fest an dessen Körper gedrückt.

„Hast du etwa geglaubt, ich lasse dich diesen Schritt alleine gehen?“, fragte Xei bestürzt. „Ich meinte mit Verpflichtung nicht die Bürde des Hungers. Ich sprach von Iven.“

Ungläubig suchten grüne Augen in silbernen nach Erkenntnis.

„Ich verstehe nicht.“

Die Liebe mit der Xei seine Lippen einforderte, riss sämtliches Gefühl aus Luc.

Er verlor sich kurze Zeit in Ruhe und Geborgenheit. Ein Flüstern holte ihn zurück.

„Ich schenkte dir meine Liebe, Luc. Und mit ihr alles was ich habe.

Ich werde Iven gegenüber treten. Deinen Hass an ihm üben.“

Reue kam zu spät. Die fordernde Gier nach Blut kehrte wieder.

„Ich bin nicht weniger grausam als er, habe ich recht?“

Xei schwieg darauf.

„Du brauchst Stärkung. Der Hunger ist in den ersten Nächten alles beherrschend.“

„Ich habe Angst.“

„Dafür ist es zu spät.“
 

Xei hatte recht. Es war zu spät für Angst. Und zu spät für Reue.

Er konnte das Blut an seinen Händen bereits sehen.

Das Bild schreckte ihn nicht. Es beruhigte.

Gedanken zu fassen, war der erste Schritt.

Schweren Herzens folgte er dem inneren Ruf in sich.
 


 

Er wagte es nicht, um die Frau zu weinen. Seine Tränen wären verlogen gewesen.

In Lethargie festgehalten, drückte er immer noch ihren leblosen Körper an den seinen. Stumm wog er den reglosen Leib im Einklang mit seinem Herzschlag. Jeder Schlag des Lebens einzig fühlend durch ihren Tod.
 

Warum hatte er das getan?

Für was!

Sein Schicksal war Iven gleichgültig. Schon immer.

Er hatte einen Schatten gejagt, nur um sich selbst zu einem zu machen.

Zu einem Ungeheuer.
 

„Luc, wir müssen gehen, bevor uns jemand entdeckt.“

Die helle Stimme fand sich als Hauch in seinem Nacken wieder. Sie führte aus der Starre.

Traurig, mit Ekel vor sich selbst, bettete er die erkaltet Frau ihn das Stroh der Scheune.

Sie hatte keine Angst vor ihm gehabt. Fasziniert von ihm, ließ sie sich spielend in seine Arme ziehen. Keine Fragen, kein Argwohn. Er allein war es gewesen der zauderte.

Der Weg zurück abgeschnitten von liebenden Armen, die ihn bei seinem Tun bestärkend festhielten. In diesem Moment fühlte er sich als Schatten in Xeis Licht. Xei war die Stärke in seinem Rücken, die ihm die Kraft gab zu tun, was er musste.

Der tödliche Biss der folgte, zeigte ihm eine neue Welt. Er labte sich an ihrem lieblichen Blut, saugte Leben begierig in sich auf. Ekstase, wie er sie noch nie zuvor erlebt hatte, hüllte ihn vollends ein. Sein innerer Schmerz verflog und machte Befriedigung platz.
 

Beschämt sah er in die glasigen Augen seines Schöpfers.

Sie spiegelten nichts außer Liebe und Luc war dankbar dafür.
 

„Du hast für mich geweint.“

Ein sanftes Lächeln legte sich engelsgleich auf Xeis Lippen.

„Ja.“
 

Stumm folgte er seinem Schöpfer. Er unterdrückte den Impuls auf die Tat zurück zu blicken. Wenn er nicht dem Wahnsinn verfallen wollte, musste er ihren Anblick vergessen.
 

Kaum war der Hunger besänftigt, erkannte er die Schönheit der Welt. Reizvoll und entzückend. Details die bislang in Blindheit untergegangen waren.

Er bestaunte alles, als ob er es zum ersten Mal sah. Der Schein der Fackeln am Wegesrand war genauso faszinierend, wie die funkelnden Sterne im betörenden Mondschein. Gerüche ließen ihn Entfernungen genauso bewusst werden, wie sie Richtungen zu jedem Ziel wiesen. Mimik und Gestik der Menschen schienen ihm ganze Geschichten zu erzählen. Ihre Ängste und Träume waren für ihn fast greifbar, so als ob er in ihren offenen Geistern lesen konnte. Die bunten Farben der Kleider erquickten sein Herz, während sich Stoffe alleine durch Beäugen wie Berührungen auf seine Haut legten. Er sah Dinge nicht mehr nur; er fühlte sie.
 

„Und ich glaubte, ihr könntet nichts fühlen. Dabei ist es soviel mehr, als ein Mensch dazu im Stande ist.“

„Hättest du es denn geglaubt?“
 

Als die beiden Vampire zu ihrer Unterkunft zurückkehrten, spürte Luc, dass Xei litt.

Bevor er seine Frage formulieren konnte, ergriff Xei das Wort.
 

„Der geweihte Dolch, das letzte Fragment deiner Vergangenheit, gibst du ihn mir?“

„Dann willst du meinen Wunsch erfüllen, obwohl er auf einer Lüge basiert? Ist deine Liebe zu mir so unerschütterlich, dass du dennoch diesen Weg gehen möchtest?“

„Hast du je daran gezweifelt? Mein Weg war immer die Liebe. Ich folge ihr, gleich wohin sie mich führt. Bis zum Ende. Ganz deinem Willen. Ich werde die Hand sein, die dein Urteil vollstreckt.“
 

Wenigstens dies.

Er würde weder Ivens Seele, noch sein Herz bekommen. Aber das Leben des Prinzen würde seiner Rache zum Opfer fallen. Er würde es zerstören, bis auf den letzten Stein. Und diesmal würde ihn zumindest sein eigenes Zögern nicht aufhalten.
 

„Was ist mit deiner Liebe zu ihm?“

„Lass es, Luc. Mein Schmerz darüber kümmert dich nicht wirklich. Wenn ich mein Herz nicht entzweireißen will, kann ich nur einer Liebe folgen. Ich habe gewählt und folge bedingungslos.“
 

Dann war es gewiss und bald endgültig.
 

„Du brauchst Stärkung, habe ich recht?“

Verständnisvoll zeichneten Xeis blutrote Lippen ein Lächeln in dem traurigen Gesicht.

„Ich warte bis du bereit dazu bist.“

„Das bin ich und diesmal hat es nichts mit Iven zu tun. Ich erkläre mich alleine für dich dazu bereit.“
 

Der Einladung folgende, zeichneten feine Finger Linie auf seinem Hals. Als sich Xeis warmer Atem auf seine Haut legte, durchzog ihn eisiges Frösteln. Er spürte, dass der andere Vampir zögerte. Beschwichtigend glitt seine Hand über das seidig weiße Haar und führte sanft zum Begehrten.

„Diesmal ist es an dir, keine Rücksicht zu nehmen.“

Der Biss raubte ihm den Atem. Es war so ganz anders, wie die Nacht zuvor. Ein einziger ungetrübter Rausch in Erregung. Seine Kraft verlor sich und er spürte Xeis kraftvolles Herz gegen seines schlagen. Die von Xei geraubte Energie belebte ihn in dessen Aura gleichsam wieder, während er die fremden zugetragenen Emotionen spürte und sich die seinen mit diesen Gefühlen vermischten. Sie waren eins, umhüllt von einer sanften Woge des Friedens.
 

Gänzlich in Ruhe gehüllt verweilte er in Xeis Armen, bis sich sein Körper von der Erschöpfung erholte.
 

„Ist es das, was Iven jede Nacht fühlte, in der er dir sein Blut gab?“, fragte er interessiert.

„Nein nicht ganz. Iven ist nicht mein Schöpfer und ich bin nicht der seinige, obgleich dasselbe Ahnenblut in unseren Adern fließt. Es ist eine andere Verbindung zwischen uns, die nicht weniger stark, doch zwiespältig ist. Sein Blut zu trinken, ist stets ein wechselseitiger Kampf von Anziehung und Abstoßung. Zwei Magnete die zusammen gehören wollen, aber nicht lange aneinander verweilen können, ohne sich gegenseitig zurückzuwerfen.“

Das vertraute Bild von einst kam Luc in den Sinn. Die innige Verschmelzung von Licht und Schatten, die an Schönheit und Kraft in jenem Augenblick überwältigend wirkte.

„Und in den kurzen Momenten in denen ihr aneinander festhaltet?“

„Vollkommenheit.“
 

Luc wagte nicht weiter auf das Thema einzugehen. In all der Zeit hatte er in Xeis Augen noch nie solchen Schmerz gesehen wie bei diesem einen ausgesprochenen Wort. Pein die er zu verantworten hatte. Seine Lippen zuckten unmerklich und wollten Reue kundtun. Bevor sein Gewissen Worte formen konnten, erlangt jedoch die Rücksichtslosigkeit die Oberhand zurück. Er hatte sich bereits entschieden. Jetzt diesen Beschluss zu betrauern, wäre verlogen und lächerlich. Sein entschuldigender Blick suchte dennoch nach grauen Augen, die ihm gütig entgegensahen. Es ist dir gleich und ich habe mich damit abgefunden, schienen sie zu sprechen. Und recht hatten sie. Schuld war nur noch ein unbedeutendes Überbleibsel seiner Menschlichkeit. Reue ein abstraktes Konstrukt, das von Erinnerungen lebte.
 

Er war befreit, von seiner reinen Seele.



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