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Noch eine Chance

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich habe kürzlich die mexx-Funktion mit den Fanfic-Statistiken ausprobiert und gemerkt, dass diese Fanfic, obwohl schon etwas länger abgeschlossen, immer noch gelesen wird. Irgendwie rührt mich das total. Ich kann mich leider bei niemandem persönlich bedanken, aber das wollte ich gesagt haben. Dankeschön. Komplett anzeigen

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Rückkehr


 

Du hast gedacht: "Ach, ich werde niemals das Licht sehen" – aber du hattest Unrecht.

Du bist einfach zu Licht geworden.

(ein bisschen frei übersetzt nach Gabriel Rios, "Ghostboy")
 

„Willst du nicht langsam zu Bett gehen, Vanya?“

Überrascht hob Ivan den Kopf und sah Yekaterina an. Ihr Gesicht wirkte sehr müde im Licht des Feuers. Die Falten, für die sie eigentlich viel zu jung war, warfen scharfe Schatten.

„Nein“, sagte Ivan und lächelte. „Ich bin nicht müde, Katyusha. Geht ihr ruhig schlafen. Morgen ist wieder ein langer Tag.“

„Bist du sicher?“

„Natürlich. Geht ihr nur.“

Yekaterina nickte und wandte sich ab. Hinter ihr stand Natalia, die die Stirn gerunzelt hatte.

„Geht es dir gut, Vanya?“

„Es geht mir ausgezeichnet“, erwiderte Ivan munter. „Gute Nacht.“

„Gute Nacht“, sagte Yekaterina. Natalia murmelte ebenfalls etwas und bedachte Ivan mit einem nachdenklichen Blick, bevor sie sich umdrehte und den Raum verließ.

Seufzend streckte Ivan die Beine aus und nahm einen Schluck von seinem Tee. Das Feuer im Kamin war schon fast herunter gebrannt. Er würde kein Holz nachlegen, dachte er. Er würde warten, bis das Feuer erlosch. Vielleicht würde er sich danach endlich überwinden können, ins Bett zu gehen.

„Geht es Ihnen gut?“

Diese Frage bekam er heute Abend entschieden zu oft gestellt, dachte Ivan. Es wurde Zeit, dass das ein Ende hatte.

„Ich sagte schon, dass es mir gut geht, Eduard. Geht jetzt ins Bett, Toris und du.“

Eduard schob seine Brille zurecht, nickte stumm und zog sich wieder von der Tür zurück. Sollten sie doch alle schlafen gehen, dachte Ivan. Er selbst würde hier sitzen bleiben. Er wollte nicht schlafen gehen. Wenn er einschlief, würde er am nächsten Morgen wieder aufwachen und ein neuer Tag würde beginnen. Ivan wollte nicht, dass ein neuer Tag begann. Natürlich wusste er, dass so oder so ein neuer Tag kommen würde, egal, ob er schlief oder nicht. Aber müde war er ohnehin nicht. Warum sollte er es also nicht ausprobieren, den neuen Tag noch ein wenig aufzuschieben? Ja, er würde lieber hier sitzen bleiben und den hässlichen Teppich vor dem Kamin betrachten.

Er leerte seine Tasse, stand auf und ging in die Küche, um nachzusehen, ob es dort noch mehr Tee gab. Zu seiner Enttäuschung war die Kanne auf dem Herd schon leer. Da er noch immer kein bisschen müde war, beschloss er, neuen Tee zu kochen. Der Abend würde noch lang werden.

Als das Wasser gerade kochte und er den Tee aufgoss, hörte er etwas hinter sich. Es klang beinahe, als würde eine Tür geöffnet. Im Glauben, sich das Geräusch eingebildet zu haben, legte er den Deckel auf die Kanne und drehte sich um, um eine kleine Gestalt zu sehen, die neben der Tür auf einem Hocker saß.

Ivan zuckte zusammen. Also hatte er doch die Tür gehört? Die Hintertür in der Küche war nie abgeschlossen, denn das Haus wurde ohnehin gut genug bewacht. Niemand, der hier nichts zu suchen hatte, kam auch nur auf das Grundstück. Aber jetzt saß jemand in seiner Küche. Jemand, der nicht hierher gehörte.

„Wer da?“, fragte er und tastete vorsorglich nach dem Nudelholz. Die kleine Gestalt erhob sich hastig von dem Hocker, der mit einem Quietschen über den Boden rutschte. Sie zitterte leicht.

„Ich bin es nur. Raivis.“

Ivan riss die Augen auf. Seine Hand wich langsam wieder von dem Nudelholz zurück. „Raivis? Aber... wie kommst du denn hierher?“

„Sie haben mich gehen lassen“, erklärte Raivis hastig. „Ich bin nicht weggelaufen, Sie brauchen mich also nicht zu melden oder so! Ich... sie haben gesagt, ich könnte jetzt gehen.“

Noch immer nicht sicher, ob das hier ein Traum war, schaltete Ivan die Lampe über dem Küchentisch an und trat auf Raivis zu. Raivis blinzelte in das plötzliche Licht und hob einen Arm als Schutz vor seine Augen. Er trug einen viel zu großen Mantel, den Ivan nicht an ihm kannte. Sein Gesicht war dreieckig und eingefallen, wodurch seine Augen unnatürlich groß wirkten.

„Was ist passiert?“, flüsterte Ivan und streckte eine Hand nach ihm aus, um seinen Kopf zu tätscheln. „Was... hast du mit deinen Haaren gemacht?“

Das war nur eine der unzähligen Fragen, die wirr seinen Kopf füllten, aber es war die erste, die sich aus dem Durcheinander löste und die er formulieren konnte. Ungläubig betastete er die kurzen, sandbraunen Stoppeln auf Raivis' Kopf. Raivis beäugte seine Hand.

„Ab“, antwortete er schlicht.

Ivan starrte ihn an.

„Wegen der Läuse“, erklärte Raivis. „Denke ich mal. Haben sie jedenfalls gesagt.“

Langsam ließ Ivan die Hand wieder sinken. In seinem Kopf war Raivis der kleine Junge von vor zwei Jahren geblieben, lockig, ein wenig pausbäckig, ein verträumtes Leuchten in den Augen, wenn er nicht gerade zitterte wie Espenlaub. Der Raivis, der jetzt vor ihm stand, wirkte so fremd.

„Möchtest du etwas essen?“, fragte er.

„Ja“, sagte Raivis, ohne nachzudenken. „Bitte“, fügte er hastig hinzu. Ivan lächelte, kramte ein Stück Brot und eine halbe Wurst aus dem Vorratsschrank, legte beides auf einem Brettchen auf den Tisch und zog einen Stuhl heran.

„Setz dich und iss.“

Raivis kam zögernd näher, anscheinend nicht sicher, ob er Ivan trauen konnte. Er bewegte sich angespannt, als sei er ständig bereit, im nächsten Moment die Flucht zu ergreifen. Nachdem er sich allerdings auf dem Stuhl niedergelassen hatte, beanspruchte das Essen seine gesamte Aufmerksamkeit und er vergaß seine Vorsicht. Das Brot riss er mit den Fingern in Stücke. Es war so schnell in seinem Mund verschwunden, dass Ivan kaum blinzeln konnte.

„Nicht so hastig“, sagte er und überlegte, ob er amüsiert sein sollte.

Raivis hob ertappt den Kopf, die Backen noch voll. Seine Hand tastete schon nach der Wurst. Seine Finger sahen aus, als würden sie nur noch aus Haut und Knochen bestehen, dünn und steif wie die Beine eines großen Insektes. Ivan riss sich mühsam von dem Anblick los und winkte ab.

„Vergiss, was ich gesagt habe. Iss nur.“

Nur wenig langsamer nahm Raivis sein Mahl wieder auf. Hoffentlich überfraß er sich nicht, dachte Ivan besorgt. Aber er konnte das Essen sicher gebrauchen, so mager, wie er zu sein schien. Ivan hatte gedacht (oder versucht, zu denken), Raivis' Mantel sei so groß, dass er ihn einfach nicht ausfüllen konnte. Wenn er allerdings genauer hinsah, war der Mantel gar nicht so groß. Trotzdem hing er an Raivis wie ein Sack und warf überall Falten.

„Bist du satt?“, fragte er, als Raivis die Wurst ebenfalls verputzt hatte. Raivis leckte seine Finger ab und biss auf seiner Unterlippe herum. Er überlegte offenbar, wie er sein nein am besten diplomatisch verpackte, dachte Ivan.

„Du solltest nicht so viel auf einmal essen“, sagte er sanft und trat auf Raivis zu. „Sonst kommt es doch nur wieder raus. Würdest du diesen Mantel ausziehen?“

Raivis nickte wortlos, rutschte von seinem Stuhl und schlüpfte aus dem Mantel. Er war alt und an einigen Stellen geflickt, wie Ivan bemerkte, als er ihn entgegen nahm. Ein hässliches Ding. Darunter trug Raivis eine Hose, die ihm an den Knöcheln etwas zu kurz war, und ein Hemd, das im Gegensatz dazu wieder zu groß war und das er deswegen in den Hosenbund gestopft hatte. An der Seite hatte das Hemd einen etwa handlangen Riss. Ivan glaubte, etwas Rotes auf der Haut darunter zu erkennen.

Du willst es nicht wissen. Du willst es wirklich nicht wissen.

„Ist dir nicht kalt, kleiner Raivis?“, fragte Ivan, warf den Mantel über die Stuhllehne und ging hinüber zum Herd, auf dem noch immer der Tee stand. „Wir gehen besser ins Wohnzimmer. Das Feuer dürfte noch brennen, da kannst du dich ein wenig aufwärmen.“

„In Ordnung“, sagte Raivis, aber Ivan war sich nicht sicher, ob er wirklich dafür war oder ob er glaubte, das eben sei ein Befehl gewesen. Herausfinden konnte er es nicht, dachte er, füllte zwei Tassen mit Tee und drückte eine davon Raivis in die Hand. Danach machte er sich auf den Weg zurück ins Wohnzimmer. Raivis folgte ihm, ohne etwas zu sagen. Folgsam war er, dachte Ivan. Vielleicht sogar mehr als vorher.
 

„Bist du müde?“

„Nein“, antwortete Raivis und baumelte mit den Beinen. Er saß so nah am Feuer, dass Ivan beinahe Angst hatte, er könne sich verbrennen. Aber wer wusste schon, wann Raivis das letzte Mal warm gewesen war. Ivan wollte nicht fragen. Stattdessen nahm er noch einen Schluck von seinem Tee.

„Ich habe nicht mehr daran geglaubt, dass du zurückkommst“, sagte er leise und betrachtete das Familienfoto über dem Kamin. Ein Foto, auf dem auch Raivis zu sehen war. Er hatte es in den letzten zwei Jahren viel zu oft angesehen.

„Sie haben mich gehen lassen“, sagte Raivis hastig und klang plötzlich, als habe er Angst. „Sie müssen mich nicht wieder zurückschicken, wirklich nicht! Ich darf hier sein!“

„Natürlich darfst du das“, sagte Ivan beruhigend. „Du gehörst doch hierher.“

Raivis nickte heftig. „Ich durfte gehen“, murmelte er. „Durfte ich.“

Ivan lächelte ihm zu, aber er wusste nicht, ob er froh war. Er sollte es sein, jetzt, da Raivis wieder da war. Er hatte es nicht mehr zu hoffen gewagt, aber jetzt war er wieder da, atmend und absolut lebendig. Es war fast schon ein Wunder.

Vielleicht möchte irgendjemand dir hiermit noch eine Chance geben, Ivan.

Ivan richtete sich auf seinem Stuhl auf. Erschrocken sah Raivis ihn an.

„Du bist wirklich nicht müde, Raivis?“

„Nein.“

„Gut“, sagte Ivan und stand auf. „Ich bin gleich wieder zurück. Warte hier und lauf nicht weg.“

„In Ordnung“, erwiderte Raivis unsicher und nahm noch einen Schluck von seinem Tee.
 

Er öffnete die Tür, ohne sich zu bemühen, leise zu sein. Ein Lichtstrahl fiel vom Flur aus auf eines der drei Betten. Ivan ging hinüber und zog die Decke beiseite.

„Eduard. Wach auf.“

Eduard schreckte hoch und setzte sich kerzengerade auf. „Was ist los?“, fragte er und schaffte es kaum, seine Angst zu verbergen. Immerhin kam es nicht oft vor, dass Ivan einen von ihnen mitten in der Nacht aus dem Bett warf. Der letzte, mit dem er das getan hatte, war wohl Raivis gewesen.

„Steht auf, alle beide“, sagte Ivan, trat an den Schrank an einer Wand des Zimmers und öffnete ihn. „Du auch, Toris. Macht euch fertig zum Ausgehen.“

„Ausgehen?“, wiederholte Eduard tonlos. Toris in seinem Bett stütze sich ebenfalls auf die Ellbogen hoch. Ivan ignorierte sie beide, zog ein paar Kleider aus dem Schrank und hielt sie kritisch hoch. „Kann ich diese hier für Raivis mitnehmen? Ist das seine Größe?“

„Für Raivis mitnehmen? Aber er... er ist in Sibirien.“

„Nein, ist er nicht. Er ist gerade eben zurückgekommen. Wir gehen sofort hier weg.“

„Hier weg?“, keuchte Eduard.

„Raivis ist zurück?“, flüsterte Toris.

„Weckt Natalia und Yekaterina. Wir treffen uns so bald wie möglich unten bei der Eingangstür. Sagt den beiden, sie sollen sich warm anziehen. Es ist kalt draußen.“

„In Ordnung“, sagte Eduard, während Toris nur mit großen Augen ins Leere starrte. Die Situation war durchaus ungewöhnlich, stellte Ivan fest. Aber damit mussten die beiden zurecht kommen.

„Ich sehe euch dann. Beeilt euch.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  blooodymoon
2012-01-12T11:03:24+00:00 12.01.2012 12:03
1. Ich sollte erst den Kommenatr zu Notlandung schreiben, aber das muss warten!

2. *.*
Ich fands einfach toll, einfach super, einfach genial!
Ich will wissen, was mit Ravis passiert ist!
Ich tippe auf eine Anstallt, wo man Experimente an ihm durchgeführt hat, weil er ja ein Land ist!

3. Die Chrakter und besonders Ivan und Ravis waren super!
Nur das Ivan keinen Wodka in den Tee getan hat. Merkwürdig.

4. Wieder mal mochte ich so Kleinigkeiten, die einfach eingeflossen sind, wie dsa dass Haus/anwesen, sehr streng bewacht wird oder dsa Ivan denkt, er habe sich das Geräusch nur eingebildet.
ich frag mich, wie sie die Wachen umgehen werden.

5. Der Schreibstill war wie immer top!
Und Spannung, Spannung, Spannung!
Ich liebe es!
Und das es wieder düster wird, also perfekt für mich!

Und das wars auch schon. Zu diesem kapitel gibs nicht so viel zu sagen, außerdem sitze ich in na Freistunde, in der Schula am Computer.
Also LG
Freu mich shcon tierisch auf das nächste Kapitel!

P.S. Das du das mit den Rückblenden sagen musstes -.-



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