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Gut ist nur ein Wort

wenn Welten sich kreuzen
von

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Der Mann und die Katze

Der Dschungel Argentiniens schlief niemals. Nicht einmal Nachts. Trotz der vielen Tiere, die für den Menschen gefährlich werden konnten, war es friedlich. Die Natur bestimmte den Lauf der Dinge. Man hörte nicht viel. Ab und an das Rauschen der Blätter im Wind, der Ruf eines Tieres, weit entfernt den Motor eines Autos, vielleicht. Und eben jene Stille. Dieser Frieden. Diese Natürlichkeit sollte für eine Stunde unterbrochen werden. Ein Mann sollte sterben, nur um wieder aufzuerstehen. Der Name dieses Mannes war Amaro Frederico Campillo Sanchéz. Von jenen, die ihm am nächsten (wenn das Wort „Nähe“ überhaupt mit ihm in Verbindungen zu bringen wäre) Viper genannt.

Er war ein großer und kräftiger Mann, seine dunklen Haaren, borstig und zu einem Zopf zusammen gebunden, reichten ihm bis zu den Schultern und sein Körper von Narben übersät. Eine besonders auffällige zog sich über seine rechte Gesichtshälfte. Vom Ohr, bis zum Mundwinkel. Er sah gefährlich aus. Und, was jeder, der mit ihm je in Kontakt getreten, war bestätigten würde, war es auch.
 

Amaro war nervös. Etwas stimmte nicht. War man, so wie er, jahrelang im Geschäft, entwickelte man ein Gespür für die Gefahr. Er kontrollierte die Taschen seiner olivgrünen Bermudashorts. Waffen. Hoffentlich genügend für den Ernstfall.
 

Schritte. Hektisch und schnell. Leises Murmeln, gerade laut genug, dass er es hören konnte. Mit jahrelanger Routine umschlossen seine Hände die Griffe zweiter Pistolen. Die Finger auf den Abzügen. Er lief aus seiner Hütte. Mehr Platz.

Wenige Herzschläge danach, hörte er Schreie.

„Tötet ihn!“

Und dann Schüsse.

Amaro schoss zurück und traf einen der Männer. Er brauchte einige Zeit, bis er wusste, wer sie waren. Doch als er es erfuhr, erreichte seine Wut neue Ausmaße. Verrat. Das war es. Er hatte damit rechnen müssen, es es auch getan. Und dennoch war es blanker Hohn, dass er feige von seinem Thron gestoßen wurde. Oder es zumindest versucht wurde.

Mittlerweile hatten sich alle Angreifer um ihn versammelt. Es waren viele, doch nicht genug, um ihn einfach auszulöschen. Er traf mehr von ihnen, als er überhaupt von den Kugeln gestreift wurde. Mit grimmiger Freude sah er sie zu Boden fallen. Erschrockene Gesichter. Wut, Hass und Angst. Und Erstaunen, wenn eine Kugel das Gehirn zerfetzte.

Es dauerte nicht lange, bis die Dorfbewohner von dem Krach geweckt wurden. Doch taten sie nichts weiter, als möglichst weit weg von dem Geschehen zu kommen. Keiner würde es wagen, sich in die Geschäfte der Großen einzumischen. Es war dumm und lebensmüde. Und so warteten sie ab. Eine Stunde lang.

Bis die Sonne aufging. Amaro feuerte den letzten Schuss aus seiner Pistole ab. Jetzt war es vorbei. Es war keine Munition mehr übrig und dem Mann wurden zwei Dinge schmerzlich bewusst. Erstens: Er würde sterben.

Zweitens: Es gab nichts mehr, für das es sich lohnen würde zu kämpfen. Zu Leben.
 

Aber vielleicht war all das nicht Schlimm. Er hatte lange genug gelebt.
 

Kugeln durchlöcherten seinen Körper. Zerrissen sein Herz, ließen Blut spritzen und das Gehirn zerspringen. Er sah die Sonne über den Dschungel Argentiniens aufgehen. Sie färbte die Welt rot. Wie sein Blut.
 

Er schlug seine Augen auf. Spürte nasses Gras unter seinem Körper und warme Sonnenstrahlen auf seiner Haut. Über ihm der strahlend blauer Himmel. Irgendwo hörte er sogar Vögel zwitschern. Aber warum? War er nicht von Kugeln durchlöchert worden? Er müsste tot sein! Mehr als das.

Doch er war es nicht. Oder?

Er richtete sich auf und besah seinen Körper. Von seiner Kleidung waren beinahe nur noch Fetzen übrig. Das einst weiße Muskelshirt war blutrot. Es war eindeutig Blut. Er kannte das Gefühl auf der Haut, die Farbe, wenn es trocknete, sogar den Geruch. Die Haut jedoch war unversehrt. Es konnte nicht sein Blut sein. Aber warum trat es um die Löcher am stärksten hervor? Das ergab keinen Sinn!

Vorsichtig stand er auf. Taumelte und hielt sich an einem naheliegenden Baum fest. Er war auf eine Waldlichtung, die es nicht in Argentinien gab. Er wusste nicht, wo es solche Pflanzen gab, aber garantiert nicht in seiner Heimat. Noch dazu war es hier viel kühler und weniger schwül.

Es gab also nur zwei Möglichkeiten. Entweder, er war tot, oder jemand trieb einen gewaltigen Scherz mit ihm.

Amaro wusste zwar nicht, was nach dem Tod kam, doch war er sich ziemlich sicher, dass man nicht mit blutgetränkten Kleidern auf einer Wiesen aufwachen würde. Also blieb nur die andere Möglichkeit. Wer und wie, das würde er noch herausfinden und die Person würde dafür büßen.

Er hörte Schritte. Wütend griff er in seine Taschen, nur um festzustellen, dass sie leer waren. Gleichzeitig erinnerte er sich, dass es sowieso keinen Sinn hätte. Ohne Munition würde er keinen erschießen können. Er wirbelte herum.
 

Vor ihm stand die seltsamste Frau, die er je gesehen hatte. Wenn sie überhaupt ein Mensch war. Sie schien noch recht jung, vielleicht Anfang zwanzig und war einen Kopf kleiner als er. Doch ließ sie das nicht weniger gefährlich aussehen. Ihre Haare standen wild von ihrem Kopf, besonders über ihren Ohren, ab und hatten drei Farben. Ein schmutziges Rot, schwarz und weiß. Ihre Haut war sehr hell, ein wenig gräulich. Ihre Augen waren die Augen einer Katze. Gelbgrün mit schlitzförmigen Pupillen blitzen sie unter ihrem weißen Pony hervor. Sie war barfuß und das wohl aus gutem Grund. Dort wo normale Menschen Fußnägel hatten, hatte sie Krallen. Als sie ihren Mund öffnete sah Amaro Fangzähne.

„Entschuldigen Sie“, sagte die Frau, die einer Katze mehr ähnelte, als einen Menschen, „i-ist alles in Ordnung mit Ihnen?“ Sogar ihre Stimme klang ungewöhnlich. Könnten Katzen sprechen, würden sie klingen wie diese Frau. Da war sich Amaro sicher.

„Sehe ich so aus, als ob irgendetwas in Ordnung wäre?“, herrschte er sie schließlich an. So abnormal sie aussah, solch eine Frage zu stellen, war einfach nur dämlich.

„Nun – nein.“ Sie sah ein wenig zur Seite. Dennoch hatte er das Gefühl, ein Jaguar, bereit ihm an die Kehle zu springen, sobald er ihm die Möglichkeit dazu gab, stände vor ihm. Er ließ den Baum los und lief einige Schritte auf sie zu. Ruhig, aber bedrohlich. So wie er es gewohnt war.

Die Frau wich tatsächlich zurück. Nicht aber ohne die Mundwinkel leicht zu verziehen um die Zähne zu zeigen.

„Und jetzt sag mir, was für ein Spiel hier gespielt wird.“ Seine raue Stimme durchdrang die Idylle des Ortes. Die Gesichtszüge der Frau entglitten. Völlig verdattert starrte sie zu ihm hinüber. Das Raubtierhafte beinahe verloren.

„Spiel?“

„Was denn sonst? Was soll das hier?“ Seine Stimme wurde lauter.

„Ich weiß es doch auch nicht“, sagte sie und ging einige Schritte zurück, „ich bin hier vor einer halben Stunde einfach aufgewacht. Ich weiß nicht mal, wo wir sind.“

„Verarsch' mich nicht!“

„Das tu ich nicht.“ Sie zeigte erneut ihre Zähne. „Denken Sie, dass ich so normalerweise so aussehe?“ Sie zog an ihren Haaren. „Das ist keine Perücke! Und die“, sie deutete auf ihre Zähne, „sind ebenfalls echt und verdammt scharf. Und Fingernägel sind das auch nicht, sondern Krallen. Schauen Sie.“ Sie krempelte den Arm ihres schwarzen Rollkragenpullovers hoch und fuhr mit einer der Klauen über ihre Haut. Zu erst war nur ein weißer Streifen zu sehen. Dann fing es an zu bluten. Sie seufzte und wurde wieder ruhiger.

„Wenn das ein Scherz ist, bin ich auch ein Opfer. Aber fragen Sie mich nicht, wie und wer auch immer das geschafft hat.“

Amaro war zugegeben überrascht von dem Ausbruch der jungen Frau. Was aber nicht hieß, dass er ich für dumm verkaufen ließ. Eine Hand, die rechte, ballte er zur Faust.

„Wagen sie es nicht“, fauchte die Frau. Es war beinahe ein Knurren. Wie von einem in die Ecke gedrängten Jaguar. Verängstigt, ja – aber auch gefährlich. Anderseits gingen Angriffe dieser Raubtiere selten mit einem Todesfall aus.

„Befehle mir nicht, was ich zu tun habe!“ Er war kein guter Mensch und hielt nichts von Moral. Somit auch nichts von dem Dogma, dass man keine Frauen schlug. Abgesehen davon, dass er sich immer noch nicht sicher war, ob sie mehr Mensch, oder mehr Raubtier war.

Er holte aus. Schnell. Stark.

Seine Faust traf ins Leere. Die Katzenfrau war mit einer unglaublichen Geschwindigkeit zurückgesprungen und kauerte nun wenige Meter auf dem Boden. Scheinbar bereit an zugreifen und die Zähne fletschend.

„Das bringt nichts. Ich weiß nicht warum, aber ich bin schneller, als es ein untrainiert Mensch je sein könnte. Und dass ich nicht trainiert bin, das können Sie doch sehen, oder?“

„Und das soll was heißen?“

„Dass ich, wie schon oft gesagt habe, genauso wenig Ahnung habe, wie Sie. So leid es mir tut.“
 

Einige Zeit später saßen sie am Laufe des Baches, der mitten durch die Lichtung floss. Bereit, den Streit erstmals zu Seite zu legen. Zumindest, bis die Antworten gefunden hatten.

„Wie heißen sie eigentlich?“, fragte die Frau.

„Frederico.“

„Ich bin Feline.“

„Danach habe ich nicht gefragt.“

Sie seufzte. Da landete sie nach einem Autounfall auf einer Waldlichtung, irgendwo, wo sie noch nie zuvor war, doch sah es garantiert nicht aus, wie aus ihrer Heimat. Eigentlich konnte sie sich keinen Ort in Deutschland vorstellen, der so aussah. Doch war das eigentlich nicht mal das schlimmste. Nicht mal, dass sie auf auf Frederico getroffen war. Er war seltsam. Bedrohlich. Aber im Gegensatz zu ihrem Äußeren war all das eigentlich alles zu vernachlässigen. Sie hatte einen kleinen Spiegel in ihrer Tasche und war sehr erschrocken, als sie sich gesehen hatte. Eigentlich wollte sie nur gucken, ob sie irgendwelche Verletzungen davon getragen hatte. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie fand sich nicht hässlich (in gewisser Weise fand sie sich fast schon schöner, als zuvor), aber, dass sie geschockt war, konnte man sicher verstehen. Nur einen Grund dafür fand sie nicht. Bis auf …

„Darf ich fragen, was mit Ihnen passiert ist?“ Sie sah den Mann vorsichtig an. Sie hasste sich dafür, dass sie die Angst vor ihm deutlich zeigte. Eigentlich hatte sie gelernt, es nicht zu tun und noch dazu war sie nicht das erste Mal bedroht worden. Das brachte ihr Studium mit sich. Aber wie sie zu verhalten hatte, wenn sie plötzlich an einem fremden Ort aufwachte und dort auf einen Kerl wie Frederico traf – das hatte sie nicht gelernt. Natürlich nicht. Das kam nicht sehr häufig vor. War vielleicht, oder ganz sicher, auch der erste Fall.

„Nein“, sagte Frederico ruppig.

„Wissen Sie, ich hatte einen Autounfall bevor ich hier aufgewacht bin. Also … naja … denken Sie, wir sind tot?“

„Nein.“

Feline seufzte, stand auf und fragte sich, warum sie überhaupt bei ihm blieb. Es war ja nicht so, dass sie selbst genug Probleme hatte. Mit der Änderung ihres Äußeren hatten sich auch ihre Sinne geändert. Verbessert. Um ein vielfaches.

Während sie bis vor einer knappen Stunde keinen Meter weit ohne Brille schauen konnte, sah sie nun alles klar. Jede einzelne Bewegung der Blätter und Gräser. Kleine Tiere, die sie nur aus dem Augenwinkel sah.

Sie roch Gerüche, die sie noch nie zuvor gerochen hatte. Intensiver. Kräftiger. Lebendiger. Würde sie Augen schließen könnte sie sich beinahe nur an ihnen orientieren.

Und ihr Gehör! Sie hörte alles. Sogar die Mäuse auf der anderen Seite der Lichtung. Sie wusste, woher jedes Geräusch kam. Wie weit entfernt es war. Ohne es geübt haben zu müssen.

Es war wunderschön und schrecklich zu gleich. Sie war überfordert. Es war zu viel auf einmal. Reizüberflutung – das Wort hatte sie schon oft gehört, aber nicht nachvollziehen können. Jetzt konnte sie es. Die Tatasche, dass sie wusste, dass es Menschen an den Rande des Wahnsinns treiben konnte machte es nicht einfacher. Sie hatte Angst.

Vor dem Mann. Aber noch mehr vor sich selbst. Ihre Wut, als er sie angreifen wollte, das war nicht sie gewesen. Das Ausweichen, das hatte sie nicht kontrolliert. Es war ein Reflex gewesen. Erst nachdem sie es getan hatte, wurde es ihr bewusst. Doch noch schlimmer war die Tatsache, dass ihr die Wut Spaß gemacht hatte. Ihr Unterbewusst sein hatte ihr zugeflüstert. Gehofft, dass er Angreifer weiter angriff.

Eine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Mit erhobenen Kopf wartete ab. Weit entfernt, irgendwo im Wald. Ganz klar. Die Stimme einer Frau. Oder eines Mädchens.

„Weißt du, wie wir hier her gekommen sind?“

Stille.

„Oh.“

Feline sah zu Frederico. Scheinbar hatte er nichts gehört. Zumindest gab es keine Anzeichen dafür.

„Wir sind nicht alleine“, sagte sie. „Im Wald ist noch jemand.“



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