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Gut ist nur ein Wort

wenn Welten sich kreuzen
von

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Buntfasan

Kamil wusste immer noch nicht, wo er war oder was passiert war, aber er war sich mittlerweile sicher, dass er weder träumte, noch tot war. Eine Erklärung suchte er, fand keine.

Das hieß nicht, dass er nicht alles versuchen würde, wieder zurückzukommen und das so schnell es ihm möglich war.

Sein Blick suchte die Umgebung ab. Nichts außer Bäume. Nichts, das wie in seiner Heimat war. Nichts, das ihn annähernd daran erinnerte. Er hatte also keine Chance, sich zu orientieren und Ruri war keine Hilfe. Mit vor dem Bauch verschränkten Armen stand sie am Fluss. In sich gekehrt. Dachte wohl nach.

Kamil fiel auf, dass ihre Haare im Licht einen roten Schimmer hatten. Nicht viel, eigentlich waren ihre Haare braun, aber doch wahrnehmbar. Unter anderen Umständen hätte die ungewohnte Farbe schön gefunden, nun erinnerte es ihn an Blut, fast noch mehr, als es ihr Kleid tat. Es wirkte unwirklich. Nicht real.

„Was machen wir jetzt?“ Ruri trat einige Schritte an ihn heran.

„Herausfinden, wie wir zurückkommen.“ Alles andere war unwichtig.

„Und wie stellst du dir das vor?“

„Das weiß ich nicht, aber ich muss zurück.“

„Ich nicht.“ Sie sah zur Seite und umfasste ihren Oberarm mit der Hand.

Kamil schnaufte. „Das ist mir egal. Dann bleib du hier, wen du das willst, aber ich werde es nicht tun.“

Daraufhin sagte sie nichts. Auch gut. Kamil wandte sich ab und betrachtete einen Baum genauer. Er wusste nicht, was er damit bezwecke wollte, aber nichts tun konnte er auch nicht und vielleicht konnte er so irgendetwas herausfinden. Zumindest aus dem Wald heraus kommen wäre schon ein Schritt in die richtige Richtung … hoffte er zumindest. Verdammt! Das hatte doch keinen Sinn! Er kam aus einem kenianischen Slum. Da gab es kaum Bäume, geschweige denn Wälder und erst recht nicht solche. Was sollte er also damit anfangen? Genervt trat er vom Baum zurück.
 

Noch bevor er sich weiter Gedanken machen konnte, ließ ihn ein Geräusch herumwirbeln. Stimmen, Schritte. Sofort, mit unbestrittener Eleganz – seit Jahren erprobt –, machte er sich kampfbereit. Wer wusste schon wer oder was ihnen hier begegnen konnte und Kamil war es gewohnt, mit dem Schlimmsten zu rechnen. Das machte es einfacherer, wenn Gefahr drohte. Nur ein kurzer Seitenblick galt Ruri, die ihre Arme wieder vor ihrem Bauch hatte und mit skeptischem Blick in den Wald sah.

Es dauerte nicht lange, bis sie erkannten, von wem die Stimmen kamen. Ein Mann und eine Frau, beide etwa in seinem und Ruris Alter, vielleicht ein wenig älter, stiefelten durch die Bäume hindurch. Kamil war sofort klar, dass auch sie nicht hier her gehörten und unter seltsamen Umständen in diesen Wald gekommen waren. Der junge Mann trug nur eine Hose, hielt aber in den Hände seine anderen Kleidungsstücke. Hose und Oberteil waren komplett durchnässt. Die Frau hingegen trug einen Kittel und schien am Kopf geblutet zu haben. Im ersten Augenblick hielt es Kamil für ihre Haarfarbe, doch als sie näher kam, erkannte er, dass es bereits am trocknen war.
 

Während Ciaran Probleme mit dem Waldboden hatte, da er barfuß lief und immer wieder auf kleine Äste oder Steine trat, lief sie langsam neben ihm her. Sie hatte gedacht, schneller am Fluss zu sein, aber sie hatte sich geirrt. Nicht nur wegen Ciaran, das wäre gelogen, sie selbst blieb dauernd an Ästen mit dem Kittel hängen und stolperte einmal. Sie schwiegen seit einiger Zeit, bis Ciaran zu ihr sah.

„Denkst du immer noch, du halluzinierst?“

„Ja, ich glaube schon.“

„Aber es ist alles real.“

Ava seufzte. „Ich weiß, aber was sollte es sonst sein?“

„Keine Ahnung. Ich denke, wir sind beide furchtbar durcheinander.“
 

Das waren nicht nur sie, sondern alle. Sie waren also wirklich nicht alleine, aber besser machte das die Situation nicht.

Kamil entspannte sich. Sie schienen keine Gefahr zu sein.

„Hallo“, sagte er, als sie nur noch wenige Meter von ihnen entfernt waren.

„Hallo“, erwiderte der Mann und die Frau lächelte ein wenig. „Hi.“ Der Mann sprach weiter: „Ich nehme an, ihr seid auch hier aufgewacht, oder?“

Kamil nickte. „Ja. Wisst ihr, wo wir hier sind?“

„Genau das wollten wir fragen. Wir haben keine Ahnung.“

Das hatte er befürchtet. Kamil seufzte enttäuscht und trat ein paar Schritte zurück. Und nun? Die anderen Beiden sahen nicht weniger unglücklich aus. Wobei Kamil bei der Frau Verwunderung zu sehen glaubte.

„Vielleicht sollten wir uns erst mal vorstellen“, sagte der Mann, „Ich bin Ciaran Callahan.“

„Und ich Ava Haddington.“ Sie lächelte schwach.

„Kamil Ghana.“

Und schließlich erhob Ruri ihre Stimme. Zum ersten Mal, seit dem Ciaran und Ava bei ihnen aufgetaucht waren. „Ich heiße Ruri Hagino.“

Eine kurze Pause des Schweigens entstand. Ruri, wie zuvor, blieb hinter Kamil und betrachtete weiter den Wald, auch Ava, wenn auch viel neugieriger, sah sich um und Ciaran und Kamil wechselten ratlose Blicke.

„Ich dachte mir, dass wir zunächst mal aus dem Wald heraus kommen sollten.“

„Da kommen wir her. Da ist nichts anders, also zumindest aus der Richtung, aus der wir kommen.“

Großartig. Kamil fuhr sich durch die Zöpfe.

„Wir könnten den Bach folgen“, schlug Ciaran vor, „wo Wasser ist, sind auch Menschen.“

Kamil lächelte. Das war ein Plan.

„Aber vorher würde ich mir ganz gerne das Blut aus den Haaren waschen. Ist ein wenig unangenehm“, warf Ava vorsichtig ein.
 

„Sag mal, Ruri, was ist mit dir passiert?“, fragte Ciaran nach einer Weile, in der sie dem Flusslauf gefolgt waren. Ruri sah ihn nicht an, blickte zu Boden. Warum musste er fragen? Sie konnte doch nicht …

„Das geht dich nichts an“, sagte sie rauer, als sie eigentlich wollte.

„Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten.“

„Aha.“ Damit war das Thema für sie beendet. Es gab andere Dinge, über die sich Gedanken machte. Es war schön und gut, dass sie herausfinden wollten, wo sie waren, aber es gab nur einen Ort, an dem sie wirklich sein wollte. Es hatte keinen Sinn, bei den anderen zu bleiben, sie wollten zurück. Sie nicht. Anderseits war es möglich, dass das hier eine Prüfung war. Dann würde sie vielleicht doch zu Gott kommen.

Desinteressiert hörte sie den Gesprächen der drei zu. Wie sie hier her gekommen waren, war ihr egal. Es bestätigte zwar, was sie hoffte, doch das war es schon. Wie genau sie gestorben (oder was auch immer) waren, tat nichts zu Sache. Das brachte sie nicht weiter. Hatte keinen Sinn.

„Ich bin mir immer noch ziemlich sicher, dass das alles vom Ether kommt, oder von der Verletzung. Das ist doch alles komisch. Ich kann kein Japanisch“, sagte Ava, klang jedoch nicht vollkommen davon überzeugt.

„Ich auch nicht, aber für mich ist das alles real“, warf Ciaran ein.

„Naja, mein Unterbewusstsein könnte dich das sagen lassen. Ich weiß ja nicht, wie du dich fühlst. Oder ob du das überhaupt tust.“

„Gut, das ist ein Argument.“ Ciaran grinste.

„Es ist nur eine Theorie. Aber die erscheint mit zumindest einigermaßen logisch. Ich meine, wo sollen wir denn sonst sein?“

„Das finden wir hoffentlich bald heraus“, sagte Kamil. Damit sollte er Recht behalten, wie sie wenige Stunden später feststellen sollten. Doch bis dahin war es noch einige Zeit.

„Und was würde das euch nützen?“ Ruri kam die Frage einfach so über die Lippe, ohne, dass sie darüber nachdachte.

„Dann können wir wieder zurück.“ Natürlich kam das von Kamil. Wenn sie eines über ihn in der kurzen Zeit gelernt hatte, dann war es, dass er zurück wollte.

„Wieso bist du dir da so sicher?“

„Weil mir keine andere Wahl bleibt.“

„Aha.“

Ruri spürte die Blicke, die die anderen ihr zuwarfen. Sie war es gewohnt. Solche Blicke kannte sie zu genügend. Sie gehörte zu den Menschen, die anders – und damit Aussätzige – waren und ein Leben am Rande führten. Beobachtet von der Gruppe von denen, die das Leben genossen und die Zeit wie im Fluge vergingen ließen.

Ruri schwieg die restliche Zeit, in der sie weiterliefen. Den Gesprächen hörte sie nicht mehr zu. Sie kamen auf keine Lösung, redeten aber davon, dass sie unbedingt etwas finden mussten. Das war weder schön, noch gut und helfen tat es nicht.

Natürlich fragte sie sich, warum sie nicht tot war. Sie war von einem Hochhaus gesprungen, ihr Kleid war voller Blut! Da führte kein Weg am Tod vorbei. Sie fühlte, wie zuvor. Es hatte sich nichts an ihr geändert. Überhaupt nichts. Dann konnte sie nicht tot sein. Wenn sie das nicht war, dann war das hier keine Nachwelt, nicht der Himmel, aber auch nicht ihre Welt. In ihrer Welt wachte man nicht einfach so auf und sprach ganz selbstverständlich eine andere Sprache. Warum überhaupt Japanisch? Warum nicht Englisch, die meist gesprochene Sprache?

Je mehr sie über all das nachdachte, desto weniger machte es Sinn. Sie wusste nicht einmal, was all das war.
 

Ruri hörte ein leises Knacken, drehte sich zu dem Geräusch um und blieb stehen. Ein Fuchs lief geschmeidigen Schrittes durch das Unterholz, beachtete die vier Menschen nicht, oder hatte dies getan, bevor Ruri ihn entdeckt hatte und sie als gefährlich eingestuft, und verschwand so schnell, wie er gekommen war. Sie sah ihm nach.

Es war nicht der Fuchs, der sie neugierig machte, sondern das, was er in seinem Maul getragen hatte. Sie war sich nicht sicher, dazu war das Tier zu weit entfernt gewesen, aber sie glaubte gesehen zu haben, dass es sein Buntfasan* war und diese gab es nur in Nordamerika und in ihrer Heimat. In Japan. Und die Bäume kamen ihr bekannt vor …

„Ruri? Kommst du?“ Die anderen drei waren weiter vor gelaufen, als sie gedacht hatte.

„Ja.“

„Hast du was gesehen?“, fragte sie Kamil.

„Ja. Aber ich glaube nicht, dass es wichtig ist.“ Selbst wenn sie in Japan waren, oder, was wahrscheinlicher war, eine japanähnliche Welt, änderte das nichts an der Situation. Solange sie nicht sicher war, würde es nur noch mehr Fragen aufwerfen.

„Wie du meinst. Aber wenn du was weißt, sag Bescheid.“

„Das werde ich tun.“

Doch daran glaubte sie nicht.
 

Es dauerte nicht lange, bis die Stille des Waldes unterbrochen wurde.

„Verstehen Sie doch endlich! Das ist kein Scherz, verdammte Scheiße!“

„Ruhe! Ich lass mich nicht verarschen!“

Für einen Moment blieben sie stumm stehen. Ruris Herz schlug schneller. Was war da los? Die erste Stimme klang nach einer Frau, war aber ein wenig seltsam, die andere war die eines Mannes. Sicher war mit ihnen auch das gleiche passiert.

„Wir sollten dahin gehen“, sagte Ciaran, „das klingt, als ob sie Hilfe brauchen könnten.“

„Ja“, sagte Kamil und Ava nickte. Ruri zögerte für einen Moment, auf einen Streit hatte sie wenig Lust, aber hier bleiben war eine Alternative, die ihr missfiel. Also nickte sie.

Sie rannten los. Nicht so schnell, wie sie eigentlich konnten, da Ciaran die Schuhe fehlten und das Unterholz den Weg versperrte. Ruri spürte, wie ihr das atmen immer schwerer fiel, Ava schien es nicht anders zu gehen und Ciaran war schon zurückgefallen, wenn auch aus einem anderen Grund. Nur Kamil schien kaum Probleme zu haben. Natürlich blieb er ab und an mal hängen und zerkratze sich die bloßen Unterschenkel, aber er wurde nicht langsamer.

Es war also er, der die Streitenden als erster erreichte. Es war ein seltsames Bild, das sich ihnen offenbarte. Ruri wusste, dass sie selbst ziemlich schockierend aussehen musste, aber das war nichts gegen den Mann, der ihnen am nächsten stand. Die Kleidung die er trug, war komplett zerrissen und blutig und er selbst groß, breitschultrig und wütend. Dann fiel ihr Blick auf die Frau, die ihm gegenüber stand und wusste nun, dass sie auf keinen Fall mehr in ihrem Japan sein konnte. Sie war ein Mensch, das war nicht zu übersehen, aber auch ein Tier, das seine Fangzähne entblößte, bereit, zuzuschlagen.

„Jetzt hört auf!“ Ein Mädchen, wahrscheinlich jünger als sie, mit blondem Haar trat auf die Streitenden zu, doch wurde sie von einem weiteren Mann zurück gehalten. Er schüttelte den Kopf, ging stattdessen selbst zwischen die Beiden, machte eine rasche Bewegung mit der Hand und deutete in die Richtung, in der Ruri und die anderen standen.

Kamil fand als erstes seine Sprache wieder. „Wir sind also nicht alleine.“
 

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* Das sind übrigens sehr schöne Vögel. Hier der Link zum Wikipediaartikel: http://de.wikipedia.org/wiki/Buntfasan =)



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