Zum Inhalt der Seite

Federspiel

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Auf welcher Seite

Sie waren nicht blind. Sie bekamen es mit, wenn Gary sich nun immer öfter von ihrem Training für eine Weile entfernte, wenn er sich abends aus ihren Gesprächen ausklinkte und sich immer wieder für einen Moment davon machte.

Er hatte ihnen glaubhaft versichert, dass es ihm während des Gesprächs mit Mary, das plötzlich auf Nachtara gefallen war, einfach zu viel geworden war, dass das ein Thema war, über das er nicht sprechen wollte, und schon gar nicht mit jemandem, der ihm im Prinzip fremd war. Aber was war mit all den anderen Malen, die er sich davonschlich? Sie hatten gezögert, ihn darauf anzusprechen, und als sie es letztendlich getan hatten, hatte er nur gesagt, dass er eben diese Momente für sich brauchte, und nachdem sich Ash ja ebenfalls das eine Mal für eine Weile losgesagt hatte, konnte es ihm niemand verübeln.

Eigentlich. Denn die Zweifel blieben. Es wirkte wie eine Ausrede, wenn Gary es sagte, und dachten die beiden daran, dass er ihnen bisher schon so einiges verschwiegen hatte, dann wurde ihnen mulmig zumute, und sie fürchteten sich davor, an ihm zu zweifeln und befürchteten, dass es vielleicht nicht ganz ungerechtfertigt war. Ishi musste es auf ihn abgesehen haben. Und wenn er sich vor ihnen verkroch, anstatt mit ihnen zu reden, war die Gefahr groß, dass ihr irgendein perfider Plan gelingen würde.

 

Es war jetzt schon eine ganze Weile her, dass sie das Licht gelöscht und einander eine gute Nacht gewünscht hatten. Und obwohl ihn das Training des Tages angestrengt hatte, obwohl ihm die Müdigkeit in den Knochen steckte, konnte Ash nicht einschlafen. Ein paar Mal hatte er sich von einer Seite auf die andere geworfen, hatte versucht, alle Gedanken beiseite zu schieben und endlich Ruhe zu finden, doch es war ihm nicht gelungen. Schließlich war er reglos auf dem Rücken liegen geblieben, den Blick an die dunkle Zimmerdecke gerichtet, wo es doch nichts zu sehen gab, und wartete nun darauf, dass die Müdigkeit ihn übermannte.

Als Gary sich im Bett neben ihm regte, huschte für einen Sekundenbruchteil der Anflug eines Lächelns über seine Lippen. War doch nett zu wissen, dass er anscheinend nicht der einzige war, der nicht zur Ruhe kam. Doch er folgte seinem ersten Impuls nicht, Gary darauf anzusprechen, sondern verharrte stattdessen plötzlich noch stiller als zuvor und wartete ab.

Der andere Junge setzte sich auf, seine Bewegungen, die in der Dunkelheit mehr zu hören als zu sehen waren, wirkten hastig, nervös. Er schien in seine Schuhe zu schlüpfen, warf sich eine Jacke über, hustete hinter vorgehaltener Hand. Dann schlich er beinahe lautlos aus dem Zimmer und verschloss die Tür leise hinter sich.

Ashs Herz raste. Schon wieder. Er machte es schon wieder. Und dass er sich extra angezogen hatte, sprach dagegen, dass er einfach nur zur Toilette gehen wollte. Aber jetzt, mitten in der Nacht, konnte er niemandem mehr erzählen, dass er nur mal eben eine Auszeit brauchte. Also was steckte wirklich dahinter? Was verschwieg Gary ihnen?

Entschlossen sprang Ash aus dem Bett und warf sich ein paar Sachen über. Es gab wohl nur eine Möglichkeit, das herauszufinden, und auch, wenn es alles andere als nett war, einem Freund heimlich hinterher zu schleichen, es blieb ihm wohl keine andere Wahl.

Wie Gary zuvor öffnete er die Zimmertür fast geräuschlos und spähte den Gang hinunter. Es war niemand zu sehen. Leise ging er die paar Schritte zum Nebenzimmer, in dem Misty schlief, und klopfte an die Tür. Das Geräusch klang in der Stille gleichzeitig unendlich laut, sodass er befürchtete, Gary, wenn er denn noch nah genug war, könnte ihn hören, aber auch so leise, dass er nicht wusste, ob Misty davon wach werden würde.

„Misty?“ Aber er hatte jetzt nichts zu verlieren. „Misty, mach um Himmels Willen auf! Es ist wichtig!“ Erleichterung machte sich in ihm breit, als sich die Tür nun tatsächlich öffnete und Misty ihn überrascht ansah.

„Ash? Was …“

„Keine Zeit.“ Er schob sich an ihr vorbei und schloss die Tür hinter sich. „Gary ist gerade schon wieder abgehauen, mit Schuhen und Jacke und allem. Mir reicht's jetzt, ich will jetzt endlich wissen, was hier los ist. Also zieh dir was an und komm mit, wir haben nicht viel Zeit, sonst verlieren wir ihn vielleicht.“

Misty war mit einem Mal hellwach. Sie wusste noch nicht, wie sie es fand, dass sie Gary nachspionieren würden, aber ja, vielleicht war es die einzige Möglichkeit, endlich herauszufinden, was er vor ihnen verbarg. In Windeseile schlüpfte sie in ihre Jacke und stieg in die Schuhe, dann folgte sie Ash auf den Flur.

„… Ist das fair, Ash?“

Er sah das Mädchen, das dicht hinter ihm lief, nicht an.

„Ist es fair, dass er nicht ehrlich zu uns ist? Entweder ist es wirklich kein Drama, was er da vor uns verheimlicht, aber dann könnte er uns wirklich genug vertrauen, um uns davon zu erzählen. Oder es ist ein Drama, und dann müssen wir erst recht wissen, was Sache ist. Ich kauf ihm nicht mehr ab, dass er nur hin und wieder mal einen Moment für sich braucht. Nicht jetzt, nicht mitten in der Nacht.“

Sie traten hinaus ins Freie, wo Mond- und Laternenlicht die Dunkelheit erhellten.

„Und was, meinst du, könnte er uns verheimlichen?“

Ash biss sich auf die Unterlippe. Er hätte gerne behauptet, sich darüber bisher noch keine Gedanken gemacht zu haben. Aber er hatte es getan, und alles, was ihm dabei in den Sinn gekommen war, gefiel ihm überhaupt nicht.

„Na ja, es liegt wohl nahe, dass Ishi irgendwie involviert ist, wenn es wirklich eine große Sache ist … Wer weiß, womit sie ihn vielleicht schon bequatscht hat. Ich weiß nicht, vielleicht … arbeitet er schon längst gegen uns. Ohne es zu wollen, natürlich!“, fügte er seinen Worten hastig hinzu.

„Ich weiß nicht … Meinst du nicht, das hätten wir dann doch bemerkt? Du warst schließlich auch vollkommen verändert, als du unter Ishis Einfluss gestanden hast, von mir mal ganz zu schweigen. Hätte ich zu dem Zeitpunkt schon gewusst, zu was Ishi fähig ist, wäre ich gleich auf die Idee gekommen, dass sie etwas mit dir gemacht haben muss.“

„Eben.“ Ash sah sich suchend um. „Und Ishi weiß auch, dass wir das inzwischen wissen. Also muss sie vielleicht subtiler vorgehen, langsamer. Wenn sie Schritt für Schritt irgendwas mit Gary angestellt hat, so langsam, dass es uns nicht auffällt … Verdammt, ich weiß es doch auch nicht! Ich weiß nur, dass hier irgendwas absolut nicht in Ordnung ist und dass es Zeit wird, dass wir ihn zur Rede stellen, und zwar so, dass er sich nicht mit irgendwelchen Lügen rausreden kann.“

Das Blut rauschte in seinen Ohren, und trotzdem kam ihm jeder seiner Schritte unendlich laut vor, jeder Grashalm, der unter seinen Schuhen brach, schien ein unsägliches Getöse zu verursachen.

Er hatte Angst.

Angst davor, sich gleich mit einer Wahrheit konfrontiert zu sehen, die er vielleicht, wahrscheinlich gar nicht kennen wollte.

Aber er würde nicht davonlaufen. Nicht mehr.

Er würde sich dieser Angst stellen.

Wenn er, wenn sie auserwählt waren, wenn es nun mal ihre Pflicht war, ihren Teil der Legende zu erfüllen, dann mussten sie da jetzt durch, dann mussten sie Gary jetzt zur Rede stellen. Egal, wie ihm die Wahrheit gefiel.

Ash sah sich in der Dunkelheit nach dem anderen Jungen um. Ein heftiger Wind war plötzlich aufgekommen, zerrte an seiner Kleidung, zerzauste seine Haare.

„Ash, was machen wir, wenn …“

„Wir kriegen das hin.“ Er wollte nicht wissen, was sie sagen wollte. Mit einer fahrigen Bewegung versuchte er, sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht zu streichen. „Wir kriegen das hin. Egal, was es ist, wir drei sind Freunde, und es kann keine so große Katastrophe sein, dass wir das nicht hinkriegen würden.“ Es klang wie ein Mantra, mit dem er sich selbst zu beruhigen versuchte, aber es schien zu funktionieren. Er atmete tief durch. Der Wind verschwand so plötzlich, wie er gekommen war.

Und dann sah er ihn.

Zugegeben, er konnte die Gestalt bei den Lichtverhältnissen nicht wirklich identifizieren. Aber abgesehen davon, wer es denn bitte sonst sein sollte, der sich mitten in der Nacht hier draußen an den Böschungen rumtrieb, wusste er einfach, dass der Mensch, der dort vorn an der Brüstung vor dem Abhang stand, Gary war.

Seine Schritte wurden schneller.

Er würde seiner Angst nicht nachgeben.

Es war viel beängstigender, sich vor etwas Unbekanntem zu fürchten, als endlich die Wahrheit zu kennen.

Nur noch wenige Meter.

Gleich würde er seinen Namen sagen, ihn damit wahrscheinlich aufschrecken, vielleicht würde er sogar fliehen, aber sie würden ihn nicht lassen, sie würden ihn zur Rede stellen und diese Sache ein für allemal klären, damit niemand mehr Angst haben musste.

Aber dann blieb er abrupt stehen. So plötzlich, dass Misty, die direkt hinter ihm gewesen war, beinahe in ihn hineinlief.

„W-“ Doch die Frage blieb ihr im Hals stecken.

Gary stand an der hüfthohen Brüstung, eine Hand umklammerte das raue Metall, die andere war kraftlos zur Faust geballt.

Der Mond schob sich hinter den Wolken hervor und warf sein fahles Licht auf das Gesicht des Jungen. Und auf das Pokémon, das neben ihm in der Luft schwebte. Der zierliche kleine Körper, die spitzen Ohren, der lange dünne Schwanz mit der buschigen Quaste, die wachen blauen Augen waren unverkennbar.

„Was zur … Gary?!“

Aufgeschreckt sahen das Pokémon und der junge Mann hoch.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: MiyaToriaka
2018-03-08T07:41:27+00:00 08.03.2018 08:41
Ich hatte jetzt ehrlich gesagt einfach nur Angst, Gary würde sich an dem Abhang was antun. ;___; Gut, dass er "nur" mit "jenem" Pokémon redete.
Mir fällt ehrlich gesagt nicht viel ein, was ich hier schreiben könnte. Man spürt natürlich extrem, wie wichtig Gary Ash ist und dass er alles für ihn tun würde. Von Misty dagegen bekommt man kaum was mit. Ash gibt ihr kaum Gelegenheit dazu. Ich hatte mich ehrlich gesagt ohnehin gefragt, warum er sie dabei haben wollte. Es ist natürlich schön zu hören, aber so wie er sich aufführt, merkt man doch, dass er ihn retten will. Dass er es alleine vielleicht noch eher gemacht hätte - oder er braucht Misty, damit er nicht irgendeinen Rückzieher macht.
Ich bin jetzt total gespannt auf die Fortsetzung, denn jetzt werden wir vielleicht endlich erfahren, warum Ishi bei Gary ist. So verstehe ich das zumindest gerade...
Von:  Kaninchensklave
2018-03-07T19:42:47+00:00 07.03.2018 20:42
ein Tolles Kap

oh man ich bin echt gespannt was mit Gary los ist
denn es stimmt eindeutig was nicht nur
was werden die beiden hoffendlich bald heraus finden
und wohl nicht nur das sondern auch das sie beide mehr als nur freundschaft empfinden
ash für Misty und diese für Ihn

GVLG


Zurück