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Federspiel

von

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Im Nebel

Sie hatten das Meer hinter sich gelassen; die Zinnoberinsel war nicht ihr Ziel gewesen. Das Land unter ihnen war öde geworden, große Bäume kurzen, struppigen Büschen gewichen, diese dann vertrocknetem Gras, bis schließlich nur noch eine verlassene Schotterwüste unter ihnen lag.

„Was für eine einladende Gegend…“ Misty entgegnete nichts, und insgeheim war er ihr dankbar dafür, weil das ganze sonst nur wieder in einen Streit ausgeartet hätte. Aber es beunruhigte ihn nach wie vor, dass sie so ziellos unterwegs waren, und diese Unruhe versuchte er mit sarkastischen Bemerkungen zu überspielen. Ob die Vögel einander wirklich finden würden? Sicher, Pokémon besaßen Instinkte, viel stärker ausgebildet als die der Menschen, und eine Spur Magie schien ja auch noch im Spiel zu sein. Er würde wohl darauf vertrauen müssen, dass sie nicht in die Irre flogen.

Dass sich dunkle, schwarze Wolken über ihnen zusammengebraut hatten, bemerkte Ash erst, als die ersten Blitze neben ihnen vorüberzuckten. Kurz musste er an den vergangenen Morgen denken, der ihm inzwischen ewig lange her erschien.

„Mist.“ Er sah auf. Auch Misty hatte das aufkommende Gewitter bemerkt, natürlich, und blickte nun sorgenvoll in das düstere Wolkengemisch. Wie nett, dass zur Abwechslung mal nicht nur er verunsichert war. Überhaupt ertappte er sich dabei, wie er fast so etwas wie ein wenig Schadenfreude empfand. Die ganze Zeit war Misty die Wissende, die Ruhigere, die ihn zusammenstauchte, wenn er Antworten wollte. Die ganze Zeit war sie dabei, ihm vorzuschreiben, wie das hier funktionierte, was er tun sollte… Natürlich, sie hatte den Text der Legende gesehen, und Arktos hatte sie als erstes gefunden. Trotzdem missfiel es ihm, sich wieder wie der naive Junge von damals zu fühlen. 'Damals' war nicht mehr und auch nicht sein damaliges Leben. Lange Zeit hatte er geglaubt, Pokémonmeister zu werden wäre das größte Glück im Leben. Aber dann hatte er gelernt, dass es Schmerzvolleres gab, als einen Kampf zu verlieren. „Hey Ash, ich rede mit dir!“ Er blickte auf, fühlte sich ertappt und ärgerte sich darüber, dass er sich in seinen Gedanken verloren hatte.

„Was?!“ Und diesen Ärger richtete er zum wiederholten Male gegen seine Mitstreiterin.

Diese schüttelte genervt mit dem Kopf.

„Du solltest mit deinen Gedanken wirklich etwas mehr bei der Sache sein.“

„Entschuldige, dass ich dir nicht meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit schenke!“

Sie ignorierte seine zynischen Worte.

„Ich hatte dich gefragt… Ich hab überlegt, ob du nicht mit Zapdos vielleicht die Blitze abfangen könntest. Das würde es mir und Arktos einfacher machen.“ Mit einer Mischung aus Unverständnis und Unglaube sah er sie an.

„Ich hab ehrlich gesagt keine große Lust, mich grillen zu lassen.“

„Ach Ash!“ Sie suchte nach Worten. „Ich denke nicht, dass Elektrizität dir etwas anhaben kann.“

„Und wie kommst du auf diese Idee?!“

„Na ja, es heißt doch, dass die Auserwählten die Kraft haben, die Elementarmächte zu bändigen und sich ihrer zu bedienen. Wir konnten sie benutzen, um unsere Pokémon zu fangen, und sicherlich werden wir sie auch noch zum Kämpfen benutzen müssen. Ich glaube also nicht, dass du durch Elektrizität verletzt werden kannst. Und Zapdos sowieso nicht.“

„Du glaubst das also nur, ja? Irgendwie wäre mir wohler, wenn du einen Beweis dafür hättest.“ Er wartete, dass sie noch etwas entgegnete, aber sie tat es nicht, und irgendwie war er nicht verwundert darüber.

Auf eine gewisse Art stimmte es schon. Elektropokémon konnten durch Elektrizität tatsächlich nicht verletzt werden. Und selbst ohne diesen ganzen Legendenkram hatte er dank Pikachu wahrscheinlich ohnehin eine gewisse Toleranz für Stromstöße entwickelt. Nur, dass ein ausgewachsenes Gewitter da noch mal eine Spur größer war.

„Also, machst du's?“

„Mann, ist ja gut!“ Warum ließ er sich trotz seiner Zweifel von ihr bequatschen? Ihre  Theorie klang zwar stimmig, war aber eben nur eine Theorie, und er musste zugeben, dass ihm nicht ganz wohl bei dem Gedanken war, geradewegs in die Blitze zu fliegen. Aber sie sah ihn an, auffordernd, beinahe schon beleidigt, weil er sich so lange Zeit ließ. Und das konnte er nicht auf sich sitzen lassen.

Er ließ den Donnervogel ansteigen und beschützend über Arktos und dem Mädchen fliegen.

„Weißt du, Misty, früher mochte ich dich wirklich. Da warst du aber auch noch freundlicher.“ Er konnte seinen Groll nicht für sich behalten.

„'Früher' ist ja auch schon eine ganze Weile her.“ Das war alles. Kein weiteres Wort mehr, nicht einmal ein Wort des Dankes dafür, dass er sich zu ihrer wahnwitzigen Idee hatte überreden lassen.

Aber er musste zugeben, dass sie recht behielt. Zwar zuckte er die ersten Male erschrocken zusammen, wenn ein Blitz in den Körper des legendären Vogels fuhr, wenn er sich aufbäumte und die Energie in sich aufnahm, doch er selbst spürte von den Entladungen fast gar nichts, nur den Hauch eines leichten Kribbelns, das jedoch alles andere als unangenehm war.

Und trotzdem…

Ein netter Versuch, seine Feinde loszuwerden.

Er hatte das nicht denken wollen. Es war ihm in den Sinn gekommen, bevor er etwas dagegen tun konnte. Und überhaupt machte es keinen Sinn, schließlich waren Misty und er ja keine Feinde.

Aber fünf Jahre sind eine lange Zeit. Wer weiß, was sich noch alles geändert hat.

Unfug. Sie waren vielleicht keine Freunde mehr, aber das machte sie ja nun nicht gleich zu Feinden. Und schon gar nicht zu Feinden, die einander wirklich etwas antun wollten.

Er schüttelte den Kopf, schüttelte die Gedanken beiseite und sah sich um. Irgendwie war es dunkler um ihn herum geworden, die Wolken dichter, und fast schien es so, als seien sie von einem dichten, undurchsichtigen Nebel umgeben. Er blickte nach unten, wo er die beiden Gestalten nur noch schwach ausmachen konnte. Also wirklich Nebel. Ihn schauderte.

Noch ist es nicht zu spät, umzukehren.

Aber warum sollte er?

Um ihr zu entkommen. Sie hat dich geradewegs in dieses Gewitter geführt. Und wer weiß, wohin sie dich noch führt. Und überhaupt, diese ganze Sache mit der Legende… Vielleicht hat sie sich das alles nur ausgedacht. Du hast den angeblichen Text an den Felsen nie gesehen. Sie könnte alles Mögliche in dieses Buch geschrieben haben.

Aber er hatte Zapdos gefangen, das war real gewesen. Und er hatte auch diese komische Kraft, dieses Ellenki benutzt, da musste doch etwas Wahres dran sein.

Vielleicht alles nur ein Trick? Keine Ahnung, wie sie das angestellt haben soll… Aber vielleicht gehört das alles zu einem Plan.

Was für ein Plan? Was sollte Misty schon planen? Andererseits…

Das würde erklären, warum sie dir keine Antworten geben kann, auf gar nichts. Sie führt dich, kann dir aber nicht sagen, wohin? Ist das nicht irgendwie seltsam?

Gut, aber mal angenommen, sie würde ihm tatsächlich verheimlichen, wohin sie ihn brachte – irgendwann würde er es ja doch sehen, also wozu die Heimlichtuerei?

'Irgendwann' könnte aber zu spät sein. Du weißt doch wirklich nicht, was sie vorhat. Was sie…

Unsinn, was sollte sie schon für Absichten haben?

Sie wird dich töten.

Warum sollte sie?! Woher kamen diese Gedanken?!

Sie wird dich töten. Sie führt dich in die Irre. Sie hat dich reingelegt. Sie wird dich töten.

Sie hatte überhaupt keinen Grund dafür!

Sie wird dich töten.

Und er lief ihr geradewegs in die Falle?

Sie wird dich töten.

Und was konnte er dagegen tun?

Töte sie zuerst.

Der Nebel um ihn herum schien sich zu lichten, aber der Nebel in seinem Kopf blieb, ebenso wie der dumpfe Schmerz darin.

Das Gewitter um sie herum war verflogen; er hatte es nicht bemerkt.

„Das war aber ein merkwürdiger Nebel… Ich konnte dich fast gar nicht mehr sehen, obwohl ihr so nah wart. Ich glaube, wir sollten schnellstens von hier weg.“ Er schwieg und starrte vor sich hin. „Hey Ash, ist alles in Ordnung mit dir?“ Sie erhielt nur ein schwaches Nicken als Antwort, sah den Jungen weiter irritiert an, entschied aber, diese Antwort zu akzeptieren und nicht weiter nachzufragen. „Ok… dann lass uns verschwinden.“ Mit ein paar kräftigen Flügelstößen zog Arktos an ihm und Zapdos vorbei, und er folgte dem Eisvogel und dem Mädchen darauf. Folgte wie zuvor, bevor sie in das Gewitter und den Nebel geraten waren.

Eine Feder wird sterben.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: MiyaToriaka
2013-04-13T13:20:23+00:00 13.04.2013 15:20
Langsam wird das hier richtig unheimlich. Da ich beide Charaktere sehr gerne habe und es am wenigsten brauchen kann, sie streiten zu sehen - jetzt aber Ash diese Gedanken kommen... Das zeigt, wie sehr er sich verändert haben muss. Andererseits streiten sie nach wie vor noch "wie in alten Zeiten" - nur weniger freundlich und auch nicht mit gutem Ausgang.
Geschrieben ist es wieder super - aber das mit dem Töten muss ich erst mal verarbeiten. Ich liebe ja Drama - aber wenn es aus Hass und Angst passiert, dann ist es mir... echt zu unheimlich.
Ich werde die Geschichte trotzdem so weit ich es eben aushalte weiterlesen. ^^; Ich bin gespannt, was passiert, wenn die dritte Feder auftaucht und vor allem, ob ich richtig liege, wer es sein wird.
Mach weiter so (und ich wundere mich, dass ich zu Kap. 3 kein Komment geschrieben habe?! Ich habe es immerhin gelesen. Weird. O__ô).

LG
Miya


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