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Nebulous Island

von

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The Inhabitants.

Buc führte die Piraten und ihre Eskorte zielsicher durch das kleine Dorf. Dieses mündete in seinem Zentrum auf einem weiten Platz, der auch von dem Abhang, auf dem sie zuvor gestanden hatten, sichtbar gewesen war. Es war der Ort, an dem das eigentliche Leben auf der Insel zu herrschen schien.

Hölzerne Tische und Stühle waren unter Blütenbäumen aufgestellt worden, beladen mit Essen und schwatzenden Menschen.

„Unsere Insel gibt nicht viel her, aber wir teilen hier alles brüderlich. Also fühlt euch wie zu Hause“, erklärte Buc, obwohl Marco der einzige war, der seinen Worten Gehör schenkte.

Thatchs sowie Ace’ Aufmerksamkeit hatte sich bereits anderen Dingen gewidmet. Das vermochte er ganz deutlich an ihren langsam gewordenen Schritten zu erkennen, da er noch immer gelegentlich einen Blick zurückwarf. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich beide Männer zu entfernen begannen – in zwei vollkommen unterschiedliche Richtungen. Ace steuerte einige der Tische an, auf denen Teller und Schüsseln mit Salat und Fleisch standen, während Thatch sich einer Traube aus jungen Frauen annäherte.

Marco verdrehte unwillkürlich die Augen. „Dafür, dass du vor fünf Minuten noch so vorsichtig gewesen bist, bist du plötzlich sehr vertrauensselig.“ Dabei handelte es sich um eine ganz einfache Feststellung, die weder Misstrauen noch Drohung enthielt. Allerdings hatte es Marco noch nie gemocht, wenn andere wussten, was in seinem Kopf vorging. Insbesondere in Kämpfen erwies sich das von Nutzen, denn jede Regung in dem Gesicht eines Menschen würde früher oder später analysiert und ausgenutzt werden.

Doch Buc studierte ihn lediglich von der Seite, während er in seinem Schritt innehielt.

Marco tat es ihm gleich. Als er hinter sich linste, war von den Männern, die sie hierher eskortiert hatten, keine Spur mehr zu sehen. Nicht einmal zwischen den anderen Inselbewohnern oder an den Tischen waren sie auffindbar. Auch das gab Marco zu denken.

Er hatte schon einige Inseln in seinem Leben besucht, die unterschiedlichsten Kulturen kennen gelernt, weshalb er sich mit einer guten Menschenkenntnis rühmte. Mit einem sechsten Sinn, der ihm sagte, wenn etwas nicht ganz koscher war.

In diesem Moment hörte er die Alarmglocken klingeln, obgleich kein Muskel in seinem Gesicht zuckte und er auch weiterhin die Hände gemütlich in den Hosentaschen vergraben hatte. Etwas Seltsames ging hier vor. Das spürte er deutlich, auch wenn er nicht bestimmen konnte, was es war.

„Findest du?“, fragte Buc schließlich und abermals zeigte sich ein vages, aber eindeutig amüsiertes Lächeln unter seinem dichten Bart. „Lass mich dir unseren Bürgermeister vorstellen. Vielleicht findest du ihn vertrauensseliger.“

Damit winkte Buc ihn heran und setzte seinen Weg fort. Er steuerte einen Tisch am Rand des Platzes an, an dem ein alter Mann sowie einige Jungen platzgenommen hatten.

„...und so entstand Nebulous Island“, endete der Alte soeben. Seine Augen, die unter buschigen Brauen verschollen lagen, wanderten über die Kinder, die an seinen Lippen klebten. Auch er trug einen Bart, jedoch kürzer und so grau wie ein bewölkter Himmel.

Einer der Jungen hob die Hand. „Ist das wahr? Oder nur eine Legende?“

„Ja... hat die Insel wirklich eine Teufelsfrucht gegessen?“, fragte ein zweiter und zuckte verständnislos mit den Schultern. „Hat sie einen Mund?“

Doch gerade als der alte Mann zu einer Antwort ansetzen wollte, trat Buc vor und machte auf sich aufmerksam. Eine Hand legte sich auf die Schulter des Bürgermeisters, als er sich vorlehnte und mit der anderen Hand eine ausschweifende Geste in Marcos Richtung machte.

„Ah... willkommen! Willkommen auf Nebulous Island, mein Freund“, entwich es dem Alten. Zeitgleich deutete er mit dem Finger auf einen der freien Stühle auf der anderen Tischseite, auf der sich Marco daraufhin auch niederließ.

„Es ist so selten, dass wir Besuch bekommen. Ich bin Bürgermeister Tirpitz“, fügte er hinzu, als die gesamte Aufmerksamkeit der Jungen auf Marco ruhte. „Hast du Hunger? Bediene dich ruhig.“ Mit diesen Worten schob der Bürgermeister ihm eine geschnitzte Schüssel mit Fleischspießen herüber. „Das Fleisch der Nuevas ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber es füllt den Magen.“ Er lachte heiser und Marco sah auf.

„Nuevas?“

„Schnecken“, antwortete Buc. „Sie sind heimisch hier. Das feuchttropische Klima macht es ihnen leicht, sich zu vermehren.“

Daraufhin verzog sich Marcos Gesicht. Er wusste genau, von welcher Sorte von Schnecken sie sprachen, da sie immerhin einer der Nuevas auf dem Weg hierher begegnet waren. Allein der Gedanke an die hinterlassene Schleimspur tötete jeglichen Appetit, den Marco hätte haben können. Gut, dass er an Bord der Moby Dick heute früh noch die Kombüse aufgesucht hatte.

Seine Augen wanderten gelangweilt über den Platz, suchten und fanden Thatch und Ace. Thatch stand mit einem Fleischspieß zwischen den Frauen und erzählte ihnen etwas mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht, während Ace zurückgelehnt an einem der Tische saß. Sein Hut hing an seinem Bändchen im Nacken und der schlafenden Haltung nach zu urteilen, war er mal wieder beim Essen eingenickt. Das würde zumindest das kleine Mädchen erklären, das ihm mit dem Finger immerzu in die Wange piekte.

Was sie wohl dazu sagen würden, wenn sie wüssten, dass sie Schneckenfleisch aßen? Bei Ace konnte sich Marco vorstellen, dass es ihn nicht stören würde, doch Thatch war schon etwas penibler in seiner Nahrungsauswahl.

„Nein, danke“, sagte Marco schließlich und schob die Schüssel wieder etwas von sich, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.

„Dann erzähl uns von dem Leben da draußen. Was sich dort zuträgt, ja?“, erwiderte Tirpitz und klatschte in die Hände. Mit dem Lächeln auf den Lippen wirkte er wie ein übergroßes Kind.

Hatte sich Marco geirrt in seiner Skepsis diesen Leuten gegenüber? Womöglich freuten sie sich tatsächlich lediglich über das Eintreffen von Besuchern der Insel, über Neuigkeiten der Welt betreffend, die diese Generation nicht kannte.

„Es herrscht das Piratenzeitalter“, erklärte Marco mit monotoner Stimme und sein Kinn landete auf seiner Handfläche. „Ein kleines Dorf wie dieses wäre auf der Grandline wahrscheinlich schon vor einem Jahrzehnt überfallen worden. Sieht so aus, als wäre der Nebel hier eine Art Schutz.“ Bei diesen Worten ließ er den Blick wandern, hoch zu den Baumwipfeln hinauf, obwohl die Nebelschwaden inzwischen gänzlich verzogen waren und der Himmel aus einem grünen Blätterdach bestand.

Tirpitz’ Augen ruhten auf Marco und die Begeisterung war schlagartig aus seinem Gesicht gewichen. „Heißt das, ihr seid auch Piraten?“

Abschätzend betrachtete Marco ihn. Er wog seine Worte ab. Wahrscheinlich hatten diese Leute auch keine große Ahnung von Piraterie.

„Ja, sind wir. Aber wenn wir euch hätten überfallen wollen, hätten wir das längst getan“, stellte er daher klar und zuckte mit einer Schulter.

Das schien den alten Mann zu beruhigen, während die Kinder Marco auch weiterhin mit einem Funkeln in den Augen ansahen. Marco war sich bewusst, was dieser Ausdruck bedeutete. Im Grunde gab es ohnehin nur zwei verschiedene Reaktionen auf die Begegnung mit einem Piraten: Enthusiasmus, der mit ihrem Lebensstil einherging, oder Abneigung, die aus Furcht geboren wurde. Marco hatte beides schon oft genug beobachten können.

„Werdet ihr die See dann vermissen?“, fragte Tirpitz und strich sich den grauen Bart glatt. „Ich meine... weil ihr sie doch nie wiedersehen werdet“, fügte Tirpitz hinzu, als Marco ihm nicht antwortete, sondern ihn verständnislos ansah. „Oder hat Buc euch das noch nicht gesagt? Na ja, wer kann es ihm verübeln? Wer möchte eine Nachricht wie diese schon überbringen...“ Der Alte runzelte die Stirn und wog wehleidig den Kopf von einer Seite zur anderen. „Sobald man Nebulous Island betreten hat, kann man sie nicht mehr verlassen, mein Junge.“

Marco ließ die Hand sinken, auf der zuvor sein Kinn gestützt war. „Was meinst du damit?“

„Wie das genau funktioniert, wissen wir auch nicht. Nebulous Island ist ein Mysterium, das auch die klügsten Leute hier noch nicht enträtseln konnten. Es gibt nur Legenden. Eine besagt, die Insel habe von einer Teufelsfrucht gegessen – davon habe ich gerade den Jungen hier erzählt. Natürlich nicht gegessen wie du und ich, aber sie soll bei einem Erdbeben tief ins Innere der Insel gefallen sein. Sie ist einsam und hält seine Bewohner deshalb hier gefangen. Als unsere Vorfahren Schiffbruch erlitten haben, sind sie durch den Wald gelaufen, um nach Essen zu suchen. Das Meer aber... das haben sie nie mehr wiedergefunden. Egal, in welche Richtung man geht, die Küste ist und bleibt unauffindbar.“

Die Nüchternheit mit der Tirpitz ihm diese Geschichte erzählte, sprach davon, dass es ihm ernst war – und trotzdem fragte sich Marco einen kurzen Augenblick lang, ob man ihn gerade auf den Arm zu nehmen versuchte. Eine Insel, die Teufelskräfte haben sollte? War so etwas überhaupt möglich?

Marco starrte den Bürgermeister an, doch da keine Spur von einem Witz, sondern lediglich eine unendliche Traurigkeit in dem faltigen Gesicht ablesbar.

 

 
 

 

 

Es war keine Besorgnis, sondern viel eher eine Unruhe, die sich in Marco manifestierte, als er noch einige Minuten länger am selben Tisch mit dem Bürgermeister und den Kindern saß. Insbesondere dann, als Tirpitz ihm von freistehenden Hütten erzählt, die sie beziehen konnten. Das war der Moment, an sich Marco erhob und davon schlenderte. Eine Erkundungstour war eine Sache, hier auf ewig festzusitzen eine gänzlich andere.

„Wir gehen“, war alles, was er sagte, als er Thatch erreichte und ihn am Arm von den Frauen wegzog, die förmlich an seinen Lippen zu hängen schienen – ungewöhnlich wie es war.

Thatch warf ihm einen irritierten Blick zu, der anschließend zu den Frauen zurückkehrte, die ihnen nachsahen. „Warum? Jetzt schon? Wieso hast du es so eilig?“

Doch Marco setzte seinen Weg schweigend zu dem Tisch fort, an dem Ace saß.

Thatch folgte ihm missmutig, einen weiten Fleischspieß in der Hand tragend und nicht mehr nachfragend. Letztendlich hatte Marco schließlich das Kommando unter ihnen und das schien der andere Kommandant zu verstehen.

Ace war bereits wieder erwacht und schaufelte sich den Salat in den Mund, der als einziger von dem Essen auf dem Tisch übrig war. Soße klebte ihm am Mundwinkel, doch Marco setzte ihm lediglich den im Nacken hängenden Hut auf den Kopf. „Es wird Zeit zu gehen, Ace.“

„Huh?“ Verwirrt sah er zu seinen Nakama auf, doch Thatch zuckte mit den Schultern, woraufhin sich sein Blick gänzlich auf Marco richtete.

Dieser rollte bei diesem Anblick mit den Augen. „Ich weiß nicht, ob es stimmt oder nicht, aber der Alte da drüben“, begann Marco und deutete mit dem Daumen in die Richtung von Bürgermeister Tirpitz, „sagt, dass wir auf der Insel gefangen sind. Alle, die einmal Fuß auf sie setzen, kehren nie wieder auf das Meer zurück, weil sie es nicht finden können.“

Daraufhin klappten sowohl Thatchs als auch Ace’ Mund auf.

„Übrigens ist dies das Fleisch einer der Schnecken, die wir begegnet sind, Thatch“, fügte Marco gelangweilt hinzu und nickte zu dem Spieß, den Thatch bei sich trug.

Dieser verzog das Gesicht, starrte den Spieß an und ließ ihn abrupt fallen. Er landete auf dem Boden zu seinen Füßen, während sich Thatch die Zunge an seinem weißen Hemd abwischte. Aber genauso wie Marco zuvor gesagt hatte, war von Ace keinerlei Regung zu erkennen.

„Und jetzt lasst uns sehen, dass wir hier wegkommen“, sagte Marco und wandte sich ab.

Die Blicke der Dorfbewohner folgten ihnen, doch niemand hielt sie auf oder stellte sich ihnen in den Weg. Dabei vermochte Marco nicht zu bestimmen, ob ihre Abwesenheit ihnen letztendlich egal war oder sie davon ausgingen, dass sie ohnehin zurückkehren würden, sobald sie festgestellt hatten, dass sie Nebulous Island nicht verlassen konnten. Allerdings ließ Marco es unkommentiert, als er mit Thatch und Ace im Schlepptau dem Pfad folgte, der sie vom Tal zurück in den dichten Wald brachte.

„Wie soll man eine Insel nicht verlassen können?“, fragte Thatch, als sie den Waldrand erreicht hatten. Die Stimmen der Bewohner waren nur noch ein fernes Hintergrundgeräusch wie das Zwitschern von Vögeln. „Man muss doch bloß geradeaus laufen...“

Genau das taten sie auch. Marco konnte sich zwar nur an die grobe Richtung erinnern, aus der sie gekommen waren, doch letztendlich liefen sie genauso querfeldein, wie sie überhaupt erst dieses versteckte Tal erreicht hatten. Denn es spielte keine Rolle, wohin sie schauten, da alles zugewuchert war. Niemand sagte etwas, insbesondere nachdem Marco Thatch und Ace auch die sogenannte Legende dieser Insel erzählt hatte.

Bereits nach wenigen Minuten betätigte ein Blick zurück, dass das kleine Tal längst wieder vom Wald verschluckt worden war, als hätte es diese Absenkung mitsamt dem Dorf nie gegeben. Nur der getrocknete Klecks Soße an Ace’ Mundwinkel erinnerte an diese seltsame Begegnung.

„Hätten wir das Ufer nicht schon längst erreichen müssen?“, fragte Thatch mit gesenkter Stimme. Sein Ton machte deutlich, dass er die Worte des Bürgermeisters durchaus ernst nahm. Von seinem typischen Grinsen war im Moment nichts mehr zu sehen, doch Marco konnte es ihm nicht verübeln. Es gab wohl kaum etwas Schlimmeres, als auf ewig auf einer Insel festzusitzen und damit von ihrer restlichen Bande, von ihrer Familie, getrennt zu sein. Wobei es viel eher die Tatsache war, dass man sie nach längerer Abwesenheit suchen gehen würde, die Marco Bedenken machte.

„Wahrscheinlich ist der Wald nur so dicht, dass wir im Kreis laufen“, erwiderte Marco.

Ace’ Hand entflammte daraufhin, ganz so, als hätte er auf diese Gelegenheit gewartet. „Ich kann ihn weniger dicht machen, wenn du willst“, warf er ein, doch Marco begann den Kopf zu schütteln.

In dem Moment, in dem sich sein Mund jedoch öffnete, um zu einer Antwort ansetzen zu können, begann die Erde unter ihren Füßen zu beben.

Marco hatte Mühe seine Balance zu halten, während Thatch auf den Hintern fiel. „Was ist das? Ein Erdbeben?“, rief er aus. Zeitgleich sah Thatch zu den wackelnden Bäumen auf.

Marcos Blick hing jedoch an der Erde hinter Ace, die sich unter Geisterhand auf einem Haufen sammelte. Steine und Sand krochen über den Boden auf einander zu, türmte sich auf, als würden sie leben, höher und höher.

„Ace, pass auf!“

Doch Marcos Worte kamen zu spät, die Erde kollabierte über der Feuerfaust und begrub sie unter sich. Anschließend kehrte eine Totenstille ein, die nicht einmal von dem Zirpen einer Grille unterbrochen wurde. Auch das Beben war verebbt, so dass Thatch sich auf die Beine kämpfen konnte.

Marco hatte mit wenigen Schritten den Erdhaufen erreicht und begann zu graben. Zwar war Ace mit seiner Teufelskraft nahezu unverwundbar, doch diesen Angriff hatte er nicht kommen sehen, weshalb er sich wohl kaum darauf hatte vorbereiten können.

Thatch fiel neben ihm auf die Knie und tat es ihm gleich. Gemeinsam trugen sie den Sand ab, bis Ace hustend aus ihm herausbrach und sich aufsetzte. „Was zum Teufel... war das?“, brachte er mit kratzender Stimme hervor, als Marco ihm auf die Schulter klopfte und Thatch seinen Hut ausbuddelte.

„Eine gute Frage...“ Wirklich beantworten konnte Marco sie nicht.

Thatch stülpte Ace inzwischen seinen Hut über, hockte aber auch weiterhin neben seinen zwei Nakama auf dem Boden. „Es muss die Insel gewesen sein...“

Daraufhin warf Marco ihm einen Blick zu. „Red keinen Unsinn, Thatch.“

Aber die seltene Ernsthaftigkeit lag noch immer auf dem Gesicht des braunhaarigen Kommandanten. Es hatte durchaus etwas Beunruhigendes, jemanden, der das Leben als einen einzigen Spielplatz ansah, plötzlich besorgt zu sehen. Oft kam es nicht vor – Marco vermochte sich nicht einmal zu erinnern, wann er diesen Ausdruck das letzte Mal auf Thatchs Gesicht gesehen hatte.

Schweigend erhob sich Marco und schaute sich um. War an der Legende etwas dran? Waren hier tatsächlich Teufelskräfte am Werk? Jemand hatte offensichtlich nicht gewollt, dass Ace sein Feuer benutzte. Ob das nun an der unvermeintlichen Zerstörung des Waldes lag oder sie einfach nur daran hindern wollte, einen Ausweg aus dem Dickicht zu finden, blieb fraglich.

„Wenn wir die Küste so nicht erreichen, dann schau ich mir das Ganze einfach von oben an“, war alles, was Marco an seine zwei Begleiter gerichtet sagte.

Einen Augenblick stand er noch neben ihnen, im nächsten stieß er sich vom Boden ab und begab sich in die Lüfte, seine Arme sich in blaue Schwingen verwandelnd. Er stieg bei den vielen Ästen und Blättern nur langsam auf. Umso höher er kam, umso dichter wurde zudem das Geäst, als wollte es ihm den Weg versperren. Doch das war bloß Einbildung. Eingeredet von Thatch, der noch immer auf dem Boden hockte und wahrscheinlich den Atem anhielt, als er Marco bei seinem Vorhaben beobachtete. Kurz riskierte er einen Blick in die Tiefe, bevor er sich mit ein paar Flügelschlägen höher beförderte.

Grauer, bewölkter Himmel wurde stellenhaft sichtbar und ein siegreiches Lächeln zog an Marcos Mundwinkeln. Er wollte gerade die Baumwipfel hinter sich zurücklassen, als sich etwas um sein Fußgelenk wickelte. Gleich darauf spürte er auch etwas an seinen Flügeln und seinem Oberkörper. Marco sah an sich herunter, als sich die Fesseln um ihn festigten.

„Ranken...!“, brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Egal, wie er sich gegen ihren Halt sträubte, er konnte sich nicht befreien. Stattdessen zogen sie ihn mit einem Ruck herunter, mit mehr und mehr Schwung dem Erdboden entgegen.

Schmerz explodierte in seinem Rücken und Hinterkopf, als Marco auf der Erde aufkam. Mit allen vieren von sich gestreckt blieb er liegen, während die Ranken sich von ihm lösten und in den umliegenden Bäumen verschwanden. Nach einer Weile, in der sein Körper sich dank seiner Teufelskräfte wieder regeneriert hatte, setzte sich Marco auf.

„Was will die blöde Insel von uns?“, entwich es Ace, der mit finsterem Blick in den Wald starrte. Er hatte sich inzwischen erhoben, den Dreck von der Kleidung geklopft und die Hände zu Fäusten geballt.

„Die Frage ist wohl eher, was wollen wir jetzt unternehmen?“, gab Thatch zu bedenken und kratzte sich an seinem bärtigen Kinn.

Doch Ace hob bereits die Faust. „Dann müssen wir halt wirklich Gewalt einsetzen. Die Ranken, die Marco am Aufsteigen hindern, kann ich abfackeln!“

„Nein“, sagte Marco und zum ersten Mal an diesem Tag war seine sonst so teilnahmslose Stimme von Nachdruck erfüllt, die seine Nakama abrupt innehalten ließ.

Inzwischen erhob sich Marco mit knackenden Knien und richtete das violette Hemd, das ihm offen um die Schultern hing. „Hast du vergessen, was gerade eben passiert ist, als du dein Feuer anwenden wolltest, Ace? Sobald du versuchst, die Ranken zu verbrennen, wird... die Insel oder was auch immer dein Feuer mit Erde löschen. Wahrscheinlich kann das Spiel ewig so gehen, bis sich eine Seite verausgabt hat – und ich habe den Eindruck, dass das unsere sein wird.“

„Was sollen wir sonst machen, Marco?“, verlangte Ace zu wissen. Natürlich ärgerte es einen Hitzkopf wie Ace, wenn man ihn seinen Freiraum auf diese Art und Weise beraubte und aus ihm einen Gefangenen machte. Doch Gewalt würde sie nicht weiterbringen, dessen war sich Marco sicher.

„Wir gehen zurück zum Tal – insofern wir es wiederfinden“, sagte er deshalb. „Diese Leute kennen sich besser mit dieser Insel aus als wir. Wenn es eine Möglichkeit gibt, sie zu verlassen, dann werden wir mit ihrer Hilfe eher darauf kommen.“

Thatch hob eine Augenbraue. „Meinst du nicht, dass sie die Insel längst verlassen hätten, wenn sie wüssten wie? Trinidad - eine der Frauen - hat gesagt, dass niemand ihr je entkommen sei. Niemand, Marco!“

Doch davon ließ sich Marco nicht entmutigen, weshalb er mit den Schultern zuckte, ehe er sich in Bewegung setzte. „Vielleicht sind sie sich auch nur nicht bewusst, dass sie es wissen. Kommt ihr?“

 

 
 

 

 

Es war seltsam, wie schnell sie das Tal wiederfanden. Beinahe so, als gaben die Bäume und Sträucher der Insel den Weg dorthin frei – wollte man denn daran glauben.

Marco stand dem jedoch auch weiterhin mit gemischten Gefühlen gegenüber. Es konnte sich hierbei schließlich auch genauso gut um einen Trick handeln, den sie bisher einfach nicht durchschaut hatten.

Während ihrer Abwesenheit hatte sich der Buffetplatz des Dorfes ein wenig geleert und auch von Bürgermeister Tirpitz war längst keine Spur mehr. Allerdings nahm Marco aufgrund der zunehmenden Dunkelheit an, dass sich langsam aber sicher der Abend über die Insel legte. Noch schneller hier unten, unter dem dichten Blätterwerk, das sie von der restlichen Welt abzuschirmen schien.

„Da seid ihr ja wieder!“, schallte eine tiefe Stimme zu ihnen herüber, als sie den weiten Platz mit seinen Tischen und Stühlen erreichten. Es war Downes Buc, der auf sie zugeschritten kam. Der Säbel hing locker an seiner Hüfte und seine Arme bereitete sich freundlich aus. „Einige von uns haben sich schon gefragt, wann ihr wieder auftaucht.“

„Wir wurden von der bescheuerten Insel attackiert“, sprudelte es aus Ace heraus. Er hatte das Gesicht verzogen, doch Marco vermochte die Wut, die unter seiner Oberfläche brodelte, selbst durch die abgehackte Handbewegung zu erkennen. Immerhin war Ace bereits seit neun Monaten ein Mitglied ihrer Bande und nicht schwer durchschaubar, wenn man ihn erst einmal kannte.

Doch Buc schien nicht sonderlich überrascht, sondern strich sich lediglich einige der wuseligen Haarsträhnen aus der Stirn. „Hat euch Bürgermeister Tirpitz nicht gesagt, dass das passiert, sobald man versucht die Insel zu verlassen oder sie beschädigen?“ Eine Antwort wartete er jedoch nicht ab, sondern fuhr sogleich fort. „Aber kommt erst mal mit. Ich zeige euch, wo ihr euch ausruhen könnt.“

Obwohl sich Marco bewusst war, dass er in dieser Nacht kein Auge zu tun würde, setzte er sich mitsamt Thatch und Ace schweigend in Bewegung. Ewig hier herumzustehen, brachte sie immerhin ebenso wenig weiter.

Der drahtige Mann mit dem Vollbart führte sie zwischen den Blockhütten hindurch, die das Tal säumten, bis sie bei einer abgelegeneren ankamen. Im Gegensatz zu den restlichen brannte kein Licht im Inneren und sie wurden beim Eintreten von nichts anderem als Schatten begrüßt, bis Buc mit zwei Steinen Feuer in dem kleinen Kamin entfachte.

Knisternd leckten die Flammen an dem Holz entlang und schickten ihnen Wärme entgegen. Das Haus war mit einem Tisch und einigen Stühlen, sowie vier Strohmatten ausgestattet, die als Betten dienen sollten.

Ace warf sich sogleich auf eine von ihnen, um sie auszutesten, während Thatch interessiert zum einzigen Fenster herantrat und ins Freie spähte. Wahrscheinlich, damit er Ausschau nach den Frauen halten konnte, mit denen er zuvor angebändelt hatte.

„Habt ihr immer ein Gästehaus parat, obwohl ihr keine Besucher erwartet?“, fragte Marco und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper.

Buc schüttelte den Kopf, selbst als seine Schultern sackten. „Die Familie, die hier gelebt hat, ist vor einigen Wochen an einem ansteckenden Virus umgekommen.“ Anschließend sah er auf und zwang sich zu einem Lächeln. „Aber keine Sorge, der Virus stirbt schon innerhalb von ein, zwei Tagen ab, wenn er keinen menschlichen Körper findet. Wir haben zwar nicht viel hier, aber unsere Vorfahren waren Forscher und haben uns großes Wissen hinterlassen. Aber ruht euch jetzt aus. Ihr seht aus, als könntet ihr ein bisschen Schlaf vertragen.“ Mit diesen Worten machte Buc auf dem Absatz seiner Sandalen kehrt und verließ die kleine Hütte.

Er hinterließ eine Stille, nur begleitet von einem leisen Schnarchen, das Marco einen Blick in Ace’ Richtung werfen ließ. Hatte seine Narkolepsie abermals zugeschlagen? Oder war es eine ganz normale Müdigkeit, die jeder einmal verspürte? Marco schätzte auf ersteres, als er sich an dem kahlen Tisch niederließ. Nur eine Laterne war dort abgestellt, die man entzünden konnte, sollte man noch mehr Licht brauchen.

„Ich werde mich morgen noch mal mit Tirpitz unterhalten.“

„Und ich werde mich mit Trinidad...“, erwiderte Thatch vom Fenster aus. „Ihr Haar ist so blond, dass es aussieht wie pures Gold, Marco. Und ihre Stimme... Ich muss sie dir unbedingt vorstellen!“

Gelangweilt stützte Marco die Arme auf der Tischplatte ab und musterte seinen Nakama von der anderen Seite der Hütte aus. „Dazu solltest du dich wahrscheinlich erst mal hinlegen und schlafen.“ Prinzipiell konnte es Marco zwar kaum weniger kümmern, ob Thatch die ganze Nacht am Fenster hing, anstatt sich etwas Erholung zu gönnen, doch er wollte sich nicht die gesamte Zeit über romantische Vergleiche über diese Trinidad anhören. Über eine weitere Frau auf einer weiteren Insel...

Wie lange Thatch letztendlich noch am Fenster stand und in die Nacht hinausstarrte, vermochte Marco jedoch nicht zu sagen, da er längst wieder den Blick abgewandt hatte. Irgendwann vernahm er jedoch Schritte und das Rascheln des Strohs, als er sich niederließ. Wenige Minuten später war Thatch eingeschlafen und auch Marco döste gelegentlich weg.

Seine Träume waren wirr, nichts weiter als Bruchstücke, die vor seinem inneren Auge vorbeizuckten. Er befand sich auf Nebulous Island, mehr und mehr von den Jungs kamen dabei an Land. Aus zehn Männern wurden zwanzig, aus zwanzig zweihundert. Sie kamen und kamen, bis die Nahrungsvorräte knapp wurden und man keinen verlassenen Ort auf der Insel mehr finden konnten.

Als Marco das nächste Mal aus seinem Schlaf schreckte, fiel bereits das wenige Tageslicht durch das Fenster, welches es überhaupt erst durch die dichten Bäume schaffte, den Erdboden zu berühren.

Verschlafen rieb sich Marco die Augen, ehe er zu den Strohmatten herüberschielte. Ace hatte sich auf die Seite gedreht, der Hut in seinem Nacken verborgen und die Beine angezogen. Sein leises Schnarchen erfüllte noch immer die Hütte, doch von Thatch war keine Spur. Nicht, dass das Marco in irgendeiner Weise überraschen konnte. Nein, Marco war sich sicher, dass er dieser Trinidad schon in aller Frühe nachstieg.

Ohne Ace zu wecken verließ Marco die Hütte. Er streckte sich genüsslich, während sein Blick über die Umgebung wanderte. Entgegen seiner Erwartungen waren die Bewohner von Nebulous Island längst auf den Beinen. Kindern rannten umher, während Erwachsene Körbe mit Obst und Gemüse auf den Platz mit den Tischen und Stühlen brachten. Untere jenen war eine Blondine, die unwillkürlich Marcos Aufmerksamkeit auf sich zog. Ihr welliges Haar, das ihr bis zur Hüfte herunterreichte, hatte nicht die Farbe von Gold, doch es kam nah heran. War das Trinidad? Wenn dem so war, wo befand sich Thatch?

Einen Augenblick folgte Marco der jungen Frau mit den Augen, bevor er ihr gänzlich hinterher schlenderte.

Es dauerte nicht lange, bis er sie eingeholt hatte, woraufhin sie ihm ein schmales Lächeln schenkte. Eines, das davon sprach, dass sie ihn kannte, dass sie wusste, dass er einer der Neuankömmlinge sein musste.

„Bist du Trinidad?“, fragte Marco. Smalltalk war das Letzte, auf was er im Moment Lust hatte, weshalb er gleich auf den Punkt zu kommen gedachte.

Das Lächeln schwoll an. „Ja. Wo hast du deinen Freund gelassen? Den mit den braunen Haaren.“ Ihre Stimme war hoch, ohne dabei quietschend zu wirken. Ebenso wie sie kleine Augen besaß, die sich trotz allem nicht in ihrem Gesicht verloren.

Marco hob eine Augenbraue. „Ich dachte, er ist bei dir.“ Immerhin konnte die Wahrscheinlichkeit bei einer Population von weniger als hundert Menschen nicht besonders hoch sein, dass es mehrere Trinidads gab. Oder etwa doch?

Doch Trinidad zuckte mit den Schultern und ließ ihren Blick über Marcos Schulter hinwegwandern. „Ich hab' ihn seit gestern Nachmittag nicht mehr gesehen.“ Das Lächeln auf ihren Lippen nahm etwas Verschmitztes an, während sie den Korb mit den Früchten enger an ihre Brust presste. „Aber sag’ ihm, dass ich ihm einen Platz an meinem Tisch reserviere.“

Sie zog von dannen und ließ Marco alleine zurück.

Dieser stemmte die Arme in die Hüften, als er ihr nachsah. Nein, das war eindeutig die Trinidad, von der Thatch gesprochen hatte. Darin bestand keine Frage. Hatte sich Thatch eventuell einfach nur kurz abgeseilt gehabt und war längst zurück?

Langsam schlenderte Marco zur Hütte um nachzusehen. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass er etwas übersehen hatte, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Doch was sollte das sein? Abgesehen von einer Insel, die ihre Bewohner nicht freigeben wollte, verstand sich.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Hisoka_Hebi
2021-08-12T15:50:29+00:00 12.08.2021 17:50
Die Insel gefällt mir :D besonders da sie Marco zum Grübeln bringt. Hihi. Dein Mix aus Humor und situationsbedingten Kopfkino hat Spaß gemacht zu lesen. Bin schon gespannt wie sie es wieder runter schaffen wollen von der Insel oder wann die nächsten Piraten vom Schiff ihnen auf die Insel folgen
:3
Von:  Peacer
2013-02-24T15:05:55+00:00 24.02.2013 16:05
Oh, ich liebe dieses Kapitel. Angefangen bei dem Schneckenfleisch (iiih), und wie Marco es Thatch gelanweilt erzählt, woraufhin dieser seine Zunge an seinem Hemd abwischt, einfach genial. xD
Und das kleine Mädchen, das den narkoleptischen Ace in die Wange piekst. Tolles Kopfkino. *g*
Den alten Bürgermeister mit seinen buschigen Brauen, Bart und faltigen Gesich finde ich auch gut gelungen, wie er dann so nebenbei erwähnt, dass sie die Insel nie mehr verlassen können. Und der Kampf gegen die Insel! Hauptsache, diese versucht Ace mit Erde zu löschen. xD
Aber mein armer Marco, was sind das für fiese Ranken? *mit Faust fuchtelt*
Uh, Thatch und seine Schwärmerei für Trinidad finde ich auch ganz lustig, und wie Marco versucht, diesen abzuwimmeln, damit er ihn nicht mit seinen Frauengeschichten nervt. xD
Und zum Schluss noch einmal Marco Holmes mit seinem sechsten Sinn für Gefahren. Go Marco, rette deine Familie! :3
Von:  Guardian
2013-02-08T21:36:30+00:00 08.02.2013 22:36
Mein Ace <333 xXDDD ich finde es wieder klasse gschrieben,
wirklich aufregend :D
sag mir bescheid wenn es weiter gehen sollte :D


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