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Nebulous Island

von

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The old Man.

Der Sand knirschte unter Marcos Sandalen, als er dem Pfad folgte. Er kam an einem Brunnen vorbei, aus dem zwei Frauen soeben Wasser schöpften, doch schenkte ihnen nicht mehr als einen kurzen Seitenblick. Seine Konzentration lag viel eher auf der Wegbeschreibung, die ihm ein Bewohner gegeben hatte, als er nach der Hütte des Bürgermeisters gefragt hatte. Die befand sich auf der anderen Seite des Tals – und als Marco den Fußweg zurücklegte, wurde ihm erst einmal bewusst, wie groß es eigentlich war.

Zudem suchte er bei jeder Bewegung in den Augenwinkeln nach Thatch, der bisher noch immer nicht zur Hütte zurückgekehrt war. Doch das Letzte, was Marco sein wollte, war voreilig. Vorschnell darin, die Bewohner unter Verdacht zu stellen, da Thatch genauso gut eine andere Frau als dieser Trinidad hinterhergelaufen sein konnte. Deswegen widmete er sich stattdessen der Beschaffung von Informationen die Insel betreffend. Zumindest hatte er das vor, sobald er das verfluchte andere Ende des Tals erreicht hatte. Zwar konnte er fliegen anstatt den verworrenen Wegen zu folgen, doch auf die Ranken, die ihn am Boden zu halten versuchten, hatte er keine Lust.

An der Tür zu Tirpitz Hütte hing ein Blumenkranz. Er stellte den einzigen Unterschied zu allen anderen da, wobei es unmöglich zu sagen war, ob es als Erkennungsmerkmal oder nicht doch als einfache Dekoration diente.

Einen zweiten Gedanken verschwendete Marco jedoch nicht daran, als er ihn ins Auge fasste und schließlich die Tür ansteuerte. Auf halben Weg dorthin kam Downes Buc aus der schmalen Gasse getreten, die zwei Hütten zwischen sich formten. Seine Schritte waren energisch, seine Hände vor sich erhoben, als wollte er zeigen, dass er unbewaffnet war. „Hey, hey, Marco!“, rief er aus, als er ihm den Weg versperrte. „Du kannst da nicht so einfach rein.“

Marco hob eine Augenbraue, hielt jedoch in seinem Gang kurzzeitig inne.

„Wenn der Kranz an der Tür hängt, möchte Tirpitz nicht gestört werden“, erklärte der hochgewachsene Mann mit den zotteligen Haaren. Auch heute trug er dieselbe Kleidung aus Tierhaut angefertigt.

„Ach, ist das so?“ Marcos Augen zuckten von dem bärtigen Gesicht vor ihm zur Tür hinüber und wieder zurück. Also handelte es sich bei dem Blumenkranz tatsächlich um eine Art Erkennungsmerkmal.

Buc nickte ein, zweimal, ehe er einen raschen Blick über seine Schulter warf. „Aber wenn es um deinen Freund geht, kann ich dir vielleicht behilflich sein. Nach ihm suchst du doch sicher, oder?“

„Thatch?“, entwich es Marco. Zwar hatte er dessen Verschwinden nicht vergessen, doch zu Tirpitz hatte er aus einem anderen Grund gewollt. Wenn immerhin jemand eine vage Ahnung haben könnte, wie man von dieser Insel herunterkommen konnte, dann war es Tirpitz. „Du weißt, wo er ist?“

Abermals folgte ein Nicken, während die Züge vor ihm etwas Bedauerndes annahmen, was einen Schauer über Marcos Rücken schickte. „Ja und nein. Es ist kompliziert... schwer zu akzeptieren – für einen Außenseiter noch mehr.“ Mit einer Hand fuhr sich Buc über das schweißnasse Gesicht, mied jedoch Marcos Blick. Allein das versicherte diesem, dass ihm nicht gefallen würde, was er gleich zu hören bekam.

„Es ist die Insel...“, fuhr Buc inzwischen fort, senkte jedoch die Stimme. „Manchmal... holt sie sich einen von uns. Über Nacht, wenn fast alle schlafen. Aber manchmal sieht es jemand. Die Erde tut sich unter der ausgesuchten Person auf und... verschluckt sie einfach. Oder sie werden in den Wald gezerrt, von Ranken gefesselt. Dasselbe ist deinem Freund – Thatch – passiert. Anne hat es mit eigenen Augen gesehen...“

Marco schwieg. Er starrte den Mann vor sich lediglich mit einem ausdruckslosen Blick an, als er die gesagten Worte in seinem Kopf noch einmal Revue passieren ließ. Hatte er das gerade richtig verstanden gehabt? Wollte dieser Kerl ihm tatsächlich weismachen, Thatch sei über Nacht von einer Insel entführt worden?

„Die Insel kidnappt Leute?“, sprach Marco letztendlich seinen Gedanken aus. Auch weiterhin zuckte kein Muskel in seinem Gesicht, stattdessen wahrte er die verschlafene Miene, obwohl die Unruhe des gestrigen Tages zu ihm zurückkehrte. Wenn es jemand schaffen würde, sich von einer Insel entführen zu lassen, dann war es Thatch. Anders als Ace hatte er das Glück nicht gepachtet. Sobald er eine hübsche Frau oder etwas Gutes zu Essen anvisiert hatte, würde er auch in die auffälligste Falle tappen. Immerhin hatte es Thatch auch fertig gebracht, sich auf einer Wüsteninsel von einer riesigen Echse verschlucken zu lassen. Vista hatte das arme Tier aufschlitzen müssen, um ihn aus seinem Magen zu befreien, da der Trottel sein Schwert auf dem Schiff gelassen hatte.

„Warum würde eine Insel das tun?“, stellte Marco daher die entscheidende Frage. Wieso sollte eine Insel Menschen auf sich festhalten? Sie entführen, vielleicht sogar umbringen? Das alles machte wenig Sinn in Marcos Augen.

Doch Buc verzog das Gesicht. „Das weiß keiner, Marco. Jeder hier hat sich damit abgefunden, der nächste sein zu können.“ Er zuckte hilflos mit den Schultern, bevor er sich mehr Schweiß von der Stirn wischte, obwohl die Temperaturen in der Frühe noch nicht allzu sehr angestiegen waren.

Das war der Moment, in dem Marco sein Gegenüber nonchalant am Kragen packte und heranzog. Seine Augen verengten sich kaum merklich, als er in Bucs Gesicht starrte. „Wenn Thatch etwas passiert ist, mach' ich dich persönlich dafür verantwortlich.“ Es war selten, dass Marco die Fassung verlor und tat es auch jetzt nicht, doch niemand legte sich ungestraft mit einem seiner Nakama an. Selbst mit Thatch nicht, der wie Ace oftmals seine Nerven zu strapazieren versuchte.

Ohne weitere Worte ließ Marco von dem drahtigen Möchtegernkämpfer ab und ging davon. Seine Schritte waren noch immer gemütlich und verrieten nicht die Eile, die er in seinem Inneren verspürte. Trotzdem kehrte er zu dem Platz zurück, an dem das Frühstück abgehalten wurde und an dem er Ace zu finden wusste.

 

 
 

 

 

„Es ist offensichtlich, dass sie mehr darüber wissen, was hier vor sich geht, als sie zugeben“, sagte Marco, als er sich mit Ace durch den Wald schlug. Abermals waren sie auf der Suche – diesmal nicht nach dem Ufer, sondern nach ihrem verschwundenen Nakama.

Sein Gegenüber schob auf seinen Worten hin seinen Hut etwas weiter in den Nacken. „Was haben die netten Bewohner damit zu tun, dass die Insel Thatch entführt hat?“ Ace’ Gesicht zeigte die Ernsthaftigkeit der Situation, auch wenn es seine Worte nicht taten.

Marco warf ihm einen Seitenblick zu, woraufhin Ace verwirrt mit den Schultern zuckte. „Checkst du es wirklich nicht? Hast du schon mal von einer Insel gehört, die etwas tut?“ Allein die Idee war absurd, obwohl Marco nicht wiederlegen konnte, dass dennoch etwas Seltsames hier vor sich ging. Doch was Thatch angingt... wahrscheinlich hatte er sich nur bei einem morgendlichen Spaziergang verlaufen oder die Bewohner steckten tatsächlich dahinter. Buc war einfach kein besonders guter Lügner. Nein, sein Schwitzen sowie das über die Schulter sehen hatten ihn verraten.

„Wir werden uns hier draußen nach Thatch umsehen. Wenn wir ihn nicht finden, gehen wir zurück und reden ein ernstes Wort mit Buc und seinem Bürgermeister.“

Ace knirschte mit den Zähnen. „Wir sollten einfach wirklich die Insel niederbrennen...“ Doch die gesenkte Tonlage versicherte Marco, dass er sich daran erinnerte, was am Vortag geschehen war, als Ace versucht hatte, sein Feuer gegen diese Insel zu richten.

Marco ließ es unkommentiert und übernahm lediglich die Führung, in dem er seine Schritte beschleunigte. Das Tal hatten sie erneut hinter sich zurückgelassen und ein Teil von ihm fragte sich, ob sie es mit derselben Leichtigkeit wiederfinden würden. Abermals bestand ihre Welt nur aus Grüntönen, aus hohen Bäumen und dichtem Gestrüpp, welches sie keine fünf Meter weit sehen ließ. Wie sollten sie Thatch hier finden? Oder wenigstens eine Spur, um überhaupt herauszufinden, was mit dem Schwertkämpfer passiert sein sollte.

Als wäre Ace soeben derselben Gedanken gekommen, legte er die Hände an seinen Mund. „Thatch? Thatch!“

Ein Rascheln ertönte, welches die beiden Kommandanten der Whitebeard-Piraten innehalten ließ. Marco lauschte in die Stille des Urwaldes hinein, nur von den Lauten irgendwelcher Insekten begleitet. Wurden sie etwa verfolgt? Schlichen Buc und seine Männer schon wieder hinter ihnen her und dachten, nicht gehört zu werden?

Bevor Marco diesen Verdacht äußern konnte, ergriff Ace die Initiative. „Thatch!“ Bei diesem Ausruf rannte er los, sprang über Wurzeln herüber und hielt sich Äste aus dem Gesicht.

„Was zum Teufel...?“, entwich es Marco zwischen aufeinandergebissenen Zähnen hindurch. Im nächsten Moment nahm jedoch auch er die Beine in die Hand und rannte Ace hinterher. Immerhin würden sie nie von dieser verfluchten Insel herunterkommen, wenn sie alle voneinander getrennt werden würden.

Er folgte dem Rascheln und dem Knacken von Zweigen unter Schuhsohlen. Hier und da erhaschte er die Sicht auf Ace, bevor der Wald sie ihm erneut verwehrte. Der Junge konnte aber auch ein Tempo hinlegen...

Mit raschem Atem brach Marco schließlich aus dem Wald heraus und blieb auf der kleinen Lichtung stehen, die er erreicht hatte. Sie war weitläufig genug, damit sich das Blätterdach über seinem Kopf auftat und etwas Sonnenlicht auf den Waldboden fiel.

Kurz starrte Marco in den blauen Himmel hinauf. Beinahe so, als sei es eine Ewigkeit her, als er ihn zuletzt gesehen hatte, als wäre er ein alter Bekannter. Marco war nicht sentimental, aber immerhin hatte das ganze Schlamassel mit dem Misty Grey-Gewässer und seinem beständigen Nebel erst begonnen.

Seinen Blick vom Himmel losreißend sah sich Marco um und musste dabei feststellen, dass von Ace keine Spur war. Dabei war es unmöglich, dass der Abstand zwischen ihnen groß genug gewesen war, damit Ace ungesehen die andere Seite der Lichtung erreicht haben könnte. Undenkbar. Aber wo war Ace dann? Hatte er ihn irgendwie überholt? Oder war er eine Kurve gelaufen, ohne dass es Marco mitbekommen hatte?

Mit den Händen in die Hüften gestemmt, wandte sich Marco um und betrachtete das Dickicht, aus dem er gerade herausgetreten war.

Ein Knacken ertönte.

Marco zog die Augenbrauen zusammen, als er den Baum hinaufsah, neben dem er stand. In dem Moment, in dem Marco die Gestalt auf dem Ast ins Auge fasste, ließ dieser das gehaltene Netz fallen. Das Eisennetz war gegen Leute mit Teufelsfrüchten gedacht, das wurde Marco sofort klar. Er konnte die Schwäche fühlen, die seinen Gliedern hinaufkroch, als das Material seine Haut berührte. Zudem hatte er bereits früher schon Bekanntschaft damit machen dürfen, wenn die Marine in der Vergangenheit übermütig geworden war.

Weiter kam er mit seinen Gedanken jedoch nicht, als Schmerz in seinem Hinterkopf explodierte. Er sackte auf die Knie, ehe ein zweiter Schlag folgte und Schwärze ihn umfing.

Als Marco das nächste Mal erwachte, waren es Stimmen, die ihn langsam durch den Nebel in seinem Bewusstsein führten und in die Realität zurückholten. Es waren vertraute Stimmen, Stimmen, die er schon Hunderte von Male gehört hatte.

„Ace? Thatch?“, fragte er in einem krächzenden Ton und setzte sich auf. Schwindel übermannte ihn sogleich und er presste eine Hand über seine Augen, bis er sich gelegt hatte. Dabei klirrte die Kette der Handschellen, die er trug und ihn zwang, auch die zweite zu heben. Diese stellten auch den Grund dar, dass er überhaupt die Kopfschmerzen ertragen musste, denn ohne die Seesteinhandschellen hätten seine regenerierenden Fähigkeiten längst eingesetzt.

„Na endlich bist du wach, Marco“, antwortete ihm Thatch. „Wir dachten schon, sie hätten dir das Gehirn zu Matsch gehauen.“ Während er das sagte, rieb er sich seinen eigenen Hinterkopf, was Marco beobachtete, als er ein Auge öffnete. Scheinbar hatten sie Thatch und Ace auf ähnliche Weise überwältig.

Den vierten Kommandanten hatten sie zusammen mit einem alten Mann in die Nebenzelle gesteckt, während Ace direkt neben Marco auf der Bank saß. Marcos Blick blieb jedoch an Thatchs Handschellen hängen, die identisch mit den seinen sowie denen von Ace waren.

„Seestein...“, murmelte Marco zu sich selbst. Sie wussten also nicht, wer oder wer nicht Teufelskräfte von ihnen besaß, sie wandten dieselben Maßnahmen bei all ihren Gefangenen an. Lediglich der alte Mann mit dem schneeweißen Bart, der ihm bis zur Hüfte herunterreichte, trug keine Handschellen. Doch er schmal und die Haut zu fest über seine Knochen gespannt, als dass er wie eine ernstzunehmende Bedrohung aussah.

„Das ist übrigens Goliath. Er sitzt hier schon seit einigen Wochen fest – denkt er zumindest“, sagte Thatch und deutete anschließend auf den alten Mann, der mit ihm die Zelle bewohnte.

Dieser nickte kaum merklich und zwirbelte seinen Bart zwischen den knochigen Fingern. „Nach einer Weile verliert man die Übersicht über die Tage, wisst ihr?“

Marco beantwortete seine Worte jedoch lediglich mit einem skeptischen Blick, bis die Hand auf seiner Schulter seine Aufmerksamkeit auf sich zog.

„Alles in Ordnung?“, fragte Ace neben ihm, ebenfalls mit Seesteinhandschellen an den Gelenken.

„Was sollte nicht in Ordnung sein?“, stellte Marco die Gegenfrage, als er sich gänzlich aufrichtete und die Beine von der Holzbank schwang, auf der er gelegen hatte. „Hat irgendjemand eine Ahnung, wo wir sind?“ Zeitgleich wanderten Marcos Augen durch den Raum.

Es hatte keine Fenster und war nur beleuchtet von einer kleinen Öllampe an der Wand. Jene waren eindeutig aus Erde gefertigt, da Wurzeln hier und da herausgebrochen waren und herunterhingen. Ihr Gefängnis lag unter der Erde, soviel stand fest. Die Treppe, die zu einer verschlossenen Tür hinaufführte, war der einzige Ausweg, würden die metallenen Gitterstäbe ihnen nicht im Weg stehen.

„Keine Ahnung“, erwiderte Thatch von der anderen Zelle und zuckte mit den Schultern. „Das fragen wir uns auch schon die ganze Zeit.“

„Wir sind im Tal“, antwortete der Alte in einer ebenso gelassenen Stimme wie Thatch zuvor. „Ihr seid den Dorfbewohnern ins Netz gegangen. Aber keine Sorge, ihr seid bei Gott nicht die Ersten, die auf sie reingefallen sind.“

„Was soll das heißen?“, forderte Ace zu wissen. Mit einem Ruck hatte er sich von der Bank erhoben, doch die langsamen Schritte, die er zum Gitter unternahm, erinnerten an die aus Seestein gefertigten Handschellen.

„Habt ihr nicht all die Kritzeleien an den Wänden bemerkt?“ Goliath grinste und entblößte verfaulte Zähne mit einigen Lücken zwischen ihnen.

Erst jetzt fielen Marco die eingeritzten, aber verwitterten Schriftzeichen auf, die beinahe jede freie Stelle der Wände zierten.

 

 
 

 

 

Marco erhob sich von der schmalen Bank in ihrer Zelle, um sich umdrehen zu können. Somit bekam er sogleich einen besseren Blick auf die Wand, an der sich viele der Gefangenen verewigt hatten.

Aneinander gereihte Striche waren an den verschiedensten Stellen erkennbar, welche die hier verbrachten Tage gezählt hatten. Doch in einem Raum ohne Fenster musste es schwer gewesen sein, das Zeitgefühl zu behalten. Keiner von ihnen hatte jemals die zehn Striche zusammenbekommen, wie Marco nach einigen Momenten bemerkte. Zudem waren Namen und Zeichen und selbst kleine Abschiedsbotschaften in die unnachgiebige Erde geritzt worden. Letztendlich waren es jedoch die Symbole, die Marco nicht entziffern konnte, die seine Aufmerksamkeit auf sich zog.

Er trat näher und ließ die Fingerkuppen behutsam über die Kerben fahren. Es war eine alte Sprache, die Marco jedoch an ihren Schnörkeln wiedererkannte. Lesen konnte er sie nicht, doch das war nichts Überraschendes. Nur sehr wenige Menschen vermochten die Porneglyphe zu entziffern.

„Diese Insel ist nur ein weiterer Zwischenstopp auf unserer Reise. Gol D. Roger“, ertönte die heisere Stimme des alten Mannes, der sich mit Thatch die gegenüberliegende Zelle teilte.

Seine Worte waren von Schweigen gefolgt, in dem Marco sich langsam zu ihm umwandte und ins Auge fasste.

Auch Thatch und Ace starrten ihn an, doch Goliaths spröden Lippen verzogen sich lediglich zu einem schiefen Lächeln. „Das ist, was dieser Schriftzug bedeutet.“

„Du kannst diese Sprache lesen?“, fragte Marco unbeeindruckt.

Doch aus den Augenwinkeln heraus konnte er erkennen, wie sich Ace’ Schultern anspannten, wie er mit den Händen die Gitterstäbe umfasste. Seine Knöchel standen scharf hervor, während er das Gesicht gegen sie presste. „Willst du damit sagen, dass Gol D. Roger hier in diese Zelle gesessen hat?“ Der Zorn in Ace’ Stimme elektrisierte die Luft, doch Marco entging nicht der belegte Unterton, der ihn begleitete.

Der Alte störte sich nicht daran. Er gab ihnen abermals Sicht auf die verfaulten Zähne in seinem Mund, als er grinste. „Oh ja. Um genauer zu sein, waren er und ein paar seiner Mannschaft die letzten Besucher vor euch auf dieser Insel. Wie lang ist es nun her? Dreiundzwanzig... vierundzwanzig Jahre?“

„Ach, und woher willst du das wissen?“, erwiderte Ace und der Griff um die Gitterstäbe verstärkte sich noch, insofern das mit den Handschellen an seinen Gelenken überhaupt möglich war. Auch Ace musste dieselbe bleierne Müdigkeit spüren, die auch in Marcos Knochen saß. „Wenn du einer von denen bist, warum sitzt du dann auch in dieser Zelle? Und warum—“

Aber Ace verstummte, als Marco auf ihn zu trat und er eine Hand auf der Schulter der Feuerfaust ablegte. Doch als Ace ihm einen Blick zuwarf, war von dem zweiten Kommandanten nicht mehr viel zu sehen. Mit den vor Wut entstellten Zügen wirkte eher wie die jüngere Version des Portgas D. Ace, den Marco nicht nur seinen Nakama, sondern auch einen seiner besten Freunde nannte. Es erinnerte ihn an die ersten Wochen, in denen Ace sich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt hatte, Whitebeard als seinen Vater zu akzeptieren und ein Mitglied ihrer Mannschaft zu werden.

Damals war er bitter gewesen und obwohl er in ihrer Mitte aufgeblüht war, schien ein Teil von Ace wohl immer auf die Erwähnung seines leiblichen Vaters zu reagieren.

Zwar galt es als Geheimnis, dass Ace der Sohn von Gol D. Roger war, doch Whitebeard hatte ihn früh darin eingeweiht. Immerhin war Marco als erster Kommandant somit gleichzeitig der Vize und hatte ohnehin immer ein Auge auf die Neulinge und Unruhestifter unter ihnen. In gewissen Momenten kam er sich aber eher wie das Kindermädchen der Männer vor.

„Das ist eine interessante Frage“, warf Marco ein. Sein Blick galt Goliath, während er Ace seinen Hut neckisch in das Gesicht stülpte. „Wieso bist du hier unten?“

Doch Goliath zuckte mit den schmalen Schultern, als hätte die Antwort auf der Hand liegen sollen. „Aus demselben Grund wie ihr natürlich.“

„Und was soll das für einer sein?“, fragte Thatch. Er saß noch immer neben dem alten Mann auf der Bank und hatte ein Bein angezogen, auf dessen Knie er seine gefesselten Hände abstützte.

Ace schob inzwischen seinen Hut in den Nacken und obwohl er noch immer recht finster dreinschaute, sagte er nichts mehr. Doch das war Marco ganz recht. Auch wenn er sich Ace’ Gefühlsleben recht gut zusammenreimen konnte, denn das Kind des Piratenkönigs konnte es nicht leicht gehabt haben, hatten sie keine Zeit für diese Art von Ausbrüchen.

„Na, um der Insel geopfert zu werden“, sagte Goliath und bestätigte sogleich Marcos Verdacht, dass hier tatsächlich etwas Seltsames von statten ging. „Ihr werdet doch sicherlich bemerkt haben, dass niemand die Insel verlassen kann, wenn er sie erst mal betreten hat, oder?“

Thatch nickte langsam – und wahrscheinlich gingen allen drei Kommandanten dieselben Bilder durch den Kopf. Erinnerungen an sich verselbstständigender Erde und Bäume, die sie am Boden fesseln wollten.

„Und ihr wisst sicherlich auch um die Legende, die unter den Inselbewohnern erzählt wird?, fuhr Goliath fort und Marco lehnte sich seitlich gegen die Gitterstäbe.

„Dass die Insel von einer Teufelsfrucht gegessen habe“, beantwortete er dabei die Frage des Alten.

„Genau. Aber nicht irgendeine, sondern die der Erd-Erd-Frucht. Wobei gesagt wird, dass sich der Boden bei einem Erdbeben aufgetan hat und die Teufelsfrucht aus Versehen in den Abgrund gefallen sein soll. In das Zentrum der Insel. In das Herz“, erzählte Goliath und nickte, um seine Worte zu unterstreichen.

Obwohl Marco dasselbe schon von dem Bürgermeister dieses Dörfchen gehört hatte, unterbrach er den alten Mann nicht. Er lauschte nur schweigend seinen Worten, ebenso wie Ace und Thatch es taten.

„Dieser Schlund existiert auch heute noch. Es ist der Ort, an dem die Bewohner ihre Opfer bringen. Alle, die reinzufällig auf Nebulous Island landen.“

Thatchs Augen wanderten von Goliath zu Ace und Marco herüber. „So wie wir...“

„Das Blut direkt aus der Hauptschlagader ist die eigentlich Opfergabe“, fuhr Goliath unbekümmert fort. Zeitgleich deutete er auf seinen Hals und verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

Marco blickte bei diesen Worten auf seine Handschellen herab. Mit dem Seestein, der ihre Kräfte unterdrückte, würde es eine Leichtigkeit sein, Ace und ihm die Kehle aufzuschneiden. Seine regenerierenden Fähigkeiten waren vollkommen unterdrückt. Das könnte sich durchaus als problematisch herausstellen.

„Offensichtlich hat Roger es aus diesem Gefängnis geschafft“, entrann es Marco dennoch mit unbewegtem Gesichtsausdruck und ohne auf Ace zu achten. „Also muss es einen Weg geben.“

Zudem hatten sie immer noch die Moby Dick, die vor der Küste mitsamt Whitebeard und den Jungs an Bord ankerte. Ihnen war vermutlich längst aufgefallen, dass ihre Erkundungstruppe noch nicht zurückgekehrt war. Zwar behagte Marco der Gedanke nicht, dass sie ebenfalls an Land gehen und hier feststecken könnten, aber etwas Unterstützung könnte unter diesen Umständen ganz nützlich sein. Darauf verlassen wollte sich Marco jedoch nicht. Immerhin würde die Besorgnis nicht allzu groß sein, da sie für gewöhnlich auf sich selbst aufpassen konnten und sich selten jemand mit den Whitebeard-Piraten anzulegen versuchte. Allerdings hatten sie dabei wohl nicht an eine Bevölkerung gedacht, die keine Ahnung hatte, was draußen in der Welt vor sich ging.

„Und wie stellst du dir das vor?“, fragte Thatch und holte Marco damit aus seinen sinnlosen Gedanken. Dass er auch weiterhin in seiner bequemen Haltung verharrte, sagte Marco jedoch, dass er nicht allzu beunruhigt war. Aber wann hatte etwas Thatch schon mal ernsthaft aus der Ruhe gebracht? Dazu brauchte es wahrscheinlich mehr als ein paar Menschen, die ihr Blut in den Abgrund auf einer Insel gießen wollten.

„Erst einmal müssen wir irgendwie diese Handschellen loswerden“, beantwortete Marco seine Frage und hob seine gefesselten Hände ein Stück. „Und dann—“

In diesem Moment öffnete sich die Tür am oberen Ende der Treppe. Tageslicht erhellte sogleich den Kerker, der in einer konstanten Halbdunkelheit gelegen hatte. Zwei Gestalten schoben sich durch den Türrahmen und kamen die Treppe herunter. Marco musste die Augen zu Schlitzen formen, um sie bei der plötzlichen Helligkeit erkennen zu können. Der hochgewachsene, aber eher drahtige Mann mit dem schwarzen Haarschopf stellte sich als Downes Buc heraus, während Bürgermeister Tirpitz ihm auf dem Fuße folgte.

Dieser zwirbelte seinen grauen Bart um seine Fingerkuppe, als er seine Gefangenen beäugte. Inzwischen tauchten noch eine Handvoll weiterer Krieger auf, die sich ebenfalls vor den Zellen aufbauten und sie musterten, als handelte es sich bei ihnen um eine rare Spezies.

„Gentlemen, ihr seid alle erwacht, wie erfreulich“, begrüßte Tirpitz sie und ließ den Blick von einem zum anderen wandern.

Marcos Augen blieben jedoch an Buc hängen, der beständig auf seine Sandalen herunterschaute. Von all den Bewohnern dieser merkwürdigen Insel hatte der drahtige Möchtegernkämpfer noch am Vernünftigsten auf Marco gewirkt. Auf gewisser Weise hatte Marco ihm sogar ein Fünkchen Vertrauen entgegengebracht, obwohl er zeitgleich gewusst hatte, dass auch er mehr wusste, als er preisgeben wollte. Trotzdem hatte er eine Ehrlichkeit in dem anderen Mann gesehen – mit der sich jedoch geirrt zu haben schien. Er war doch bloß ein weiterer Mitwisser, eine weitere Marionette, die nach den Fäden seiner Vorgänger tanzte, nach denen seines Bürgermeisters.

„Wenn du denkst, dass du damit durchkommst, hast du dich geschnitten“, entrann es Marco, als er zu Tirpitz herüberschaute. Dabei machte er sich nicht die Mühe, eine Drohung in seine Stimmlage einzubauen, denn diese Worte waren viel mehr ein Versprechen. Whitebeard reagierte nicht gut darauf, wenn man auch nur einen seiner Söhne ein Haar krümmte, auch wenn diese Inselbewohner sich dessen noch nicht bewusst waren.

Tirpitz ließ ein Lachen ertönen, das viel zu laut für seinen kleinen und verbrauchten Körper wirkte.

Sofort hing Ace wieder an den Gitterstäben, der Gesichtsausdruck genauso finster wie bei der Erwähnung seines Vaters. „Lach Marco nicht aus! Hörst du? Du sollst aufhören zu lachen!“

„Ace... Ist schon gut, Ace“, murmelte Marco und abermals fand seine Hand den Platz auf der Schulter der Feuerfaust.

Doch Ace schüttelte sie sogleich wieder ab, wobei sein Blick auch weiterhin auf Tirpitz gerichtet blieb, der noch immer ein Grinsen auf den Lippen trug. „Nein, ist es nicht“, presste Ace zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Du gefällst mir... Ace“, entwich es dem Bürgermeister, während er seinen Männern gleichzeitig zunickte. „Und jung bist du auch noch. Das macht dich zum exzellenten Kandidaten.“

Als diese dies das Stichwort gewesen, öffnete einer der Männer die Zellentür. Es waren dieselben Krieger, die sie anfangs überhaupt erst in das Tal gebracht hatten. Marco vermochte sich nicht nur an die einfache Kleidung aus Tierfellen und Leder erinnern, sondern auch an das ein oder andere bärtige Gesicht.

Wäre es nicht um die alten, aber durchaus noch Schaden anrichteten Schwerter und Speere in ihren Händen gewesen, wäre Ace losgestürmt, das konnte Marco ihm ansehen. Unter den gegebenen Umständen blieb er jedoch an Ort und Stelle stehen, als sich die Männer in die Zelle schoben und Marco und ihn zu umzingeln begannen. Die Spitzen einiger Speere waren Zentimeter von Marcos Kehle entfernt, als man Ace mit Gegenwehr aus der Zelle zerrte.

„Hey, hey!“, brüllte Thatch und sprang von der Bank auf. „Lasst ihn in Ruhe!“

Zeitgleich biss Marco die Zähne aufeinander, um nicht wenigstens einen Versuch zu unternehmen, die Bewohner von ihrem Plan abzuhalten. Doch er war sich bestens bewusst, dass er in der jetzigen Verfassung dazu nicht in der Lage sein würde. Nein, im Moment war er genauso sterblich wie jeder andere Mensch auf der Welt und eine Klinge, die sich in seine Schulter bohren wollte, machte ihn darauf aufmerksam. Und wie sollte er jemanden helfen, wenn er tot war? Aus diesem Grund sah er schweigend zu, wie man Ace fluchend die Treppe hinaufbugsierte.

„Tut mir leid...“, murmelte Buc, der die Zelle abschloss, bevor er sich umdrehte und seinen Leuten folgte.

Marco antwortete nicht, sondern starrte dem schwarzhaarigen Mann lediglich hinterher. Auch, als dieser bereits hinter der Tür oben auf dem Treppenabsatz verschwunden war und die Helligkeit längst wieder aus ihrem Kerker ausgesperrt wurde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Hisoka_Hebi
2021-08-17T19:29:12+00:00 17.08.2021 21:29
Huhu,

Mir gefiel das Kapitel und ich bin schon sehr gespannt wie es weiter geht :)
Von:  Peacer
2013-02-24T16:01:06+00:00 24.02.2013 17:01
Ich finde es süß, dass sich Marco um Thatch sorgt, weil ihn das Pech verfolgt. xD Ich mag auch die Erinnerung an die Echse, die ihn gefressen hat, das habe ich mir schön bildlich vorgestellt. Der Arme. xD
Ich mag auch das Gespräch mit Buc, wie du ihn so schön schwitzen und über seine Schulter kucken lässt, so dass Marco ihn gleich als Lügner enttarnt. Und wie unser Phönix ihm dann so schön droht und ihn nonchalant am Kragen packt. <3 Ach, ich liebe ihn, vor allem, wenn er so schön protective gegenüber seiner Familie wird. :3
Dass die Einwohner schlussendlich die Bösen sind, finde ich auch schön eingefädelt, auch wenn ich es beim zweiten Mal lesen natürlich schon wusste. Trotzdem mag ich das Mysterium um die Insel, wo man anfangs gar nicht weiß, was hier überhaupt läuft. (Und zum Schluss auch noch nicht so ganz xD).
Und dass Gol D. roger auch auf der Insel war, finde ich klasse, mit den Porneglyphen und allem, und vor allem natürlich Aces Reaktion darauf. Und es war richtig niedlich, wie Marco diesem eine Hand auf die Schulter legt und ihm seinen Hut ins Gesicht stülpt. Hach. <3

Von:  Guardian
2013-02-10T18:51:52+00:00 10.02.2013 19:51
wirklich hoch interessant :D
was sie mit ace wohl vorhaben? wie kommen sie da nur wieder raus. ich bin weiterhin gespannt xDD
wird mit jedem kapit,el besser und aufregender <3
Von:  Ysaye
2013-02-09T09:33:26+00:00 09.02.2013 10:33
Mysteriös, mysteriös... Was haben sie mit Ace vor? Wie ist Roger wieder entkommen? Und was machen ihre Schiffskameraden derweil, während die drei spurlos verschwunden sind...?


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