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Geister

Wenn Wege sich kreuzen
von

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Das Ende

Es waren tatsächlich nur noch Ruinen von der Ginga-dan Niederlassung in Hakutai City übrig. Damit hatte sie eigentlich gerechnet.

Die Fenster waren eingeschlagen, die Wände hatten teilweise Risse und die oberste Etage fehlte beinahe vollkommen.

Tatsächlich wunderte es sie, dass es niemand abgerissen hatte. Immerhin war Ginga-dan enttarnt und zerschlagen worden. Es war niemand mehr da, der ihren Plan verfolgte. Niemand, der mehr an ihre ehemaligen Ideale glaubte.

Wäre das Gebäude zentraler in der Stadt gelegen, hätte man sich wahrscheinlich bereits drum gekümmert. Doch die ehemalige Niederlassung des Ginga-dan lag am Rand der Stadt und war sogar von einigen Bäumen umgeben, so dass man von der Straße aus wenig von der immer weiter verfallenden Ruine sah.

Auch im Gebäude war nicht mehr fiel übrig, dass auf die Gruppierung schließen ließ.

Einige Schreibtische und Regale standen noch immer da, doch alles, was einen Wert hatte, war entweder schon lange geplündert oder von der internationalen Polizei in Beschlag genommen worden. Die Computer, das Forschungsequipment, ihre Unterlagen... Alles.

Und auch, wenn dies nur eine der unwichtigeren Niederlassungen, kaum mehr als eine Verwaltungsstelle, war, so wusste Mars, dass es auch in ihrer Zentrale in Tobari City nicht anders wäre.

Sie seufzte. An die Wand gelehnt ließ sie sich zu Boden sinken und zog die Beine an ihren Körper heran.

„Und nun?“, fragte sie in den leeren Raum hinein. „Was machst du nun, Ran?“

Ran... Es erschien ihr so lange her, dass sie den Namen zuletzt benutzt hatte, bevor sie hierher gekommen war. Er gehörte zu einem Leben, dass sie hatte vergessen wollen. Doch was anderes blieb ihr nun?

Sie hatte nichts mehr. Gar nichts. Kein Geld, kein Ziel, nicht einmal eine wirkliche Identität. Selbst die Kleider, die sie nun trug, hatte ihr eigentlich diese verrückte Arenaleiterin gegeben.

Einer ihrer Pokébälle öffnete sich und Bunyatto schmiegte sich an ihre Seite.

Sie seufzte und ließ ihre Hand durch das Fell des Pokémon gleiten, das daraufhin zu schnurren begann.

Pokémon waren nur Werkzeuge für das Ginga-dan gewesen. Werkzeuge, um ihr Ziel zu erreichen. Und doch war Bunyatto ihr die Jahre über treu gewesen, ein wirklicher Freund, wenn man so wollte, und sicherlich ihr einziger Freund.

Sie wollten eine neue Welt erschaffen, eine bessere Welt. Doch wie hatten sie sich diese Welt überhaupt vorgestellt?

Besser, sicher, doch auf welche Art? Wie sollte dieses Utopia, das er ihnen Versprochen hatte, aussehen?

Er. Akagi. Der Mann, den sie alle bewundert hatten. Wenn er eine neue, bessere Welt versprach, so hatte man nicht anders gekonnt, als daran zu glauben, dass sie diese neue Welt finden konnten und dass sie besser wäre.

Denn, zumindest da war sie sich sicher, er hatte selbst daran geglaubt. Für diesen Glauben war er gestorben. Für eine Welt, die es nicht gab.

Was hatte er sich von dieser Welt gewünscht?

Das wusste wohl niemand. Sie konnte sich nicht vorstellen, was er sich von so einer Welt wünschen konnte, dass er nicht auch in dieser haben konnte.

Und sie? Was hatte sie sich gewünscht? Als sie damals fortgelaufen war, hatte sie nach einem Neuanfang gesucht, und ihn als Mars gefunden. Doch der Grund, warum sie beim Ginga-dan geblieben war, war er gewesen, Akagi, und die Hoffnung, er würde sie sehen, sie wahrnehmen. Deswegen hatte sie selbst dann nach ihm gesucht, als ihr Plan schon lange gescheitert war und selbst Saturn und Jupiter schon lange aufgegeben hatten.

Warum waren sie dabei gewesen? Sie hatte nie viel über die anderen Commander gewusst.

Einzig bei Pluto, mit dem sie oft hatte zusammenarbeiten müssen, war sie sich sicher, dass er nur nach Macht strebte. Er hätte sich auch mit dieser Welt zufrieden gegeben, hätte er hier Macht erlangen können.

Rötliches Licht fiel seitlich durch eines der Fenster in den Raum. Es war bereits Abend.

Sie seufzte. Am nächsten Tag konnte sie aufbrechen und dann... Sie würde irgendwohin gehen. Wohin war schon lange egal. Denn es gab keine bessere Welt.

Auf einmal richtete Bunyatto sich auf und maunzte.

„Was hast du?“, fragte Ran leise als sie Schritte von der Treppe aus hörte, die vom Erdgeschoss hierher führte.

Schritte, die eindeutig zu einem Menschen gehörten.

Wie konnte das sein? Wer sollte hierher kommen?

Sie spannte sich an, auch wenn sie nicht wirklich etwas machen konnte. Denn laufen konnte sie von hier nicht.

Doch als eine Gestalt an der Treppe zu erkennen war, lief Bunyatto zu dieser hinüber und rieb seinen Kopf am nackten Bein, der Frau, als diese nun den ersten Fuß auf den Boden des Stockwerks setzte.

„Habe ich mir doch gedacht, dass du hier bist“, meinte Natane und sah zu ihr hinüber.

Fassungslos sah Ran sie an. Wie konnte die Arenaleiterin sie hier gefunden haben? Wieso war sie ihr überhaupt gefolgt?

Natane bückte sich nun, um Bunyatto über den Kopf zu streicheln, was dem Pokémon durchaus zu gefallen schien. Dann jedoch wandte es sich wieder ab und lief zu seiner Besitzerin hinüber, die jedoch noch immer nicht genau wusste, was sie tun sollte.

„Was machst du hier?“, fragte sie schließlich vorsichtig.

„Ich habe nach dir gesucht“, erwiderte Natane. „Du bist noch immer nicht ganz gesund, Mars.“ Dabei sah sie zu Ran hinüber, schien ihre Reaktion abzuwarten.

Doch die andere Frau bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen. „Woher weißt du es?“, fragte sie tonlos.

Daraufhin zuckte Natane nur mit den Schultern. „Du bist vorhin an einem Mädchen vorbei gelaufen, das dich erkannt hat.“

Damit hatte Ran – Mars – tatsächlich nicht gerechnet. Nicht daran, dass sie jemand erkannte, nach all der Zeit, die bereits vergangen war und ihre Spuren auf ihr hinterlassen hatte.

Ja, sie war irgendwie sogar tatsächlich überrascht, dass sich überhaupt noch jemand an das Ginga-dan erinnerte, selbst wenn nur drei Jahre vergangen waren.

„Also hast du doch verloren“, fuhr die Arenaleiterin nun fort. „Sogar mehrfach.“

Ran spürte, wie sie wütend wurde, wenngleich sie wusste, dass diese Wut sich viel eher gegen sie selbst richtete, als gegen die Leiterin. „Bist du gekommen, um mir das unter die Nase zu reiben?“

„Nein, ich will dich zur Arena zurückholen.“

„Wieso solltest du?“ Misstrauisch sah Ran sie an.

„Du hast keinen anderen Ort, wo du hingehen kannst, oder?“, erwiderte die Arenaleiterin.

„Und?“

Natane seufzte und ging zu ihr hinüber, ehe sie sich neben sie auf den Boden setzte und in den leeren Raum hinein sah. „Weißt du, ich fühle mich irgendwie für dich verantwortlich.“

Ran sah sie von der Seite an, unsicher, was die andere damit meinte. Sie sagte nichts – denn sie bevorzugte es ihre Gedanken für sich zu behalten.

Derweil kam Bunyatto und schmiegte sich nun an ihre linke Seite, da Natane bereits zu ihrer rechten saß.

„Ich weiß, es klingt verrückt“, fuhr diese nun fort. „Aber andererseits...“ Sie zögerte. „Na ja, ich wüsste nicht, was ich machen würde, wenn ich keinen Ort zum bleiben hätte.“ Für einen Moment schwieg sie, dann lachte sie kurz und trocken auf. „Außerdem wäre es ja meine Schuld, wenn ich dich jetzt gehen lasse, und du dann irgendetwas böses machen würdest, oder?“

Dies fand Ran nicht unbedingt lustig und schwieg daher weiter. Sie wollte nicht hier bleiben, doch genau so wenig gab es einen anderen Ort, an den sie gehen wollte. Dennoch konnte sie die Gedanken der Arenaleiterin nicht wirklich verstehen. „Und was wäre, würde ich deine Arena besetzen?“

Erneut lachte Natane, dieses mal herzlicher. Als sie aufhörte sah sie Ran mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Das würdest du nicht machen, oder?“

Ran zuckte nur mit den Schultern. „Wozu auch?“

Sie schwiegen wieder, so dass das einzige Geräusch, was in dem langsam dunkler werdenden Raum, das leise Schnurren Bunyattos war, das Ran abwesend kraulte.

Erneut war es Natane, die nach zwei oder vielleicht auch drei Minuten die Stille brach. „Darf ich dich etwas fragen?“

„Du hast mich schon eine Menge Sachen gefragt“, stellte Ran trocken fest. „Das war nur eine weitere.“

Offenbar für einen Moment sprachlos sah die Arenaleiterin sie an und wurde etwas rot. „Na ja, das mag sein“, gab sie schließlich zu. „Aber du hast nicht geantwortet.“

„Ja.“ Rans Hand strich weiterhin durch das Fell des Pokémon, ohne dass sie dem wirkliche Beachtung schenkte.

Schließlich riss Natane sich zusammen. „Warum hast du... Na ja, warum hast du... Warum hast du die Sachen gemacht?“

Erneut war Rans Antwort ein Schulterzucken. „Einfach so?“

„Das glaube ich nicht.“

Ran sah sie von der Seite an. „Warum nicht?“

Dieses Mal war es tatsächlich die Arenaleiterin, die nicht sofort antwortete. „Ich glaube nicht, dass du ein schlechter Mensch bist... Ich mein... Dein Bunyatto hängt sehr an dir. Ich hätte dich ohne ihm auch nicht gefunden.“

„Vielleicht ist Bunyatto auch einfach ein dummes Pokémon“, antwortete Ran, was dem Pokémon jedoch sofort ein beleidigtes Maunzen entlockte.

Es richtete sich auf und sah sie vorwurfsvoll an.

Wieder lachte Natane. „Ich glaub, da ist es anderer Meinung.“

Ran antwortete wieder nicht, sondern sah nur weiter auf die gegenüberliegende Wand, wo das Skelett eines Regals, dem die einzelnen Bretter fehlten, stand.

„Ich meine, es ist nicht so, als hätte ich damals viel von dieser Sache mitbekommen...“, plapperte die Arenaleiterin nun weiter. „Ich meine... Irgendwie schon ein Armutszeugnis, wenn man bedenkt, dass dieser Stützpunkt direkt in meiner Stadt war und ich auf so etwas hätte achten sollen. Aber eigentlich wusste ich ja von Ginga-dan, nur nicht, dass es irgendwelche Weltherrschaftspläne oder was auch immer gab.“

„Keine Weltherrschaft“, widersprach Ran.

„Was?“ Überrascht sah Natane nun wieder zu ihr.

„Es hatte nichts mit der Weltherrschaft zu tun“, wiederholte die andere ihre Aussage. „Wir...“ Sie zögerte für einen Moment. „Er hat uns eine neue Welt versprochen, eine bessere Welt... Ein Utopia. Dieses Utopia wollten wir erschaffen...“

Er?“, echote Natane.

„Akagi“, erklärte Ran leise. „Er war... Unserer Anführer. Er war... Eine beeindruckende Persönlichkeit, könnte man sagen. Ich glaube, die meisten waren dabei, weil sie ihm geglaubt oder ihn bewundert haben... Dabei hätte er ihnen auch irgendetwas erzählen können... Sie hätten ihm geglaubt.“ Damit endete sie und seufzte leise.

„Und du?“, fragte Natane.

Darauf antwortete die andere Frau nicht. Sie wollte nicht mit jemanden, den sie gerade einmal ein paar Tage kannte, über diese Dinge sprechen, die sie so lange für sich behalten hatte. Stattdessen legte sie ihre Arme um die Beine und zog diese weiter an sich heran, um ihr Kind auf ihre Knie ablegen zu können.

Zu ihrer Überraschung fragte die Arenaleiterin nicht weiter. Sie schwieg sogar vollkommen, blickte nur ab und an zu ihr hinüber.

Draußen schien die Sonne nun untergegangen zu sein, denn das Licht, das nun in das Zimmer fiel, wurde immer schwächer und verlor seine rötliche Farbe.

Schließlich erhob Natane wieder die Stimme. „Ist Ran eigentlich dein richtiger Name?“

Die Angesprochene seufzte noch einmal leise. „Ja.“

„Was ist mit Mars?“

„Das war nur ein Codename“, erwiderte Ran.

„Macht Sinn“, murmelte Natane.

„Es hat mich nur sehr lange niemand mehr Ran genannt“, murmelte die andere Frau, viel eher an sich selbst gewandt, als an die Trainerin neben sich.

Diese schwieg nun selbst. Sie schien zu zögern, dann legte sie jedoch ihre Hand auf Rans Schulter, was offenbar als aufmunternde Geste gemeint war.

Ran wandte den Blick nun ganz von ihr ab. Sie merkte das Tränen in ihre Augen stiegen und sie wollte nicht, dass jemand sie weinen sah. Sie wollte nicht schwach sein.

Eine Sache war ihr klar: Hier zu bleiben, bedeutete endgültig aufzugeben. Und wenn sie aufgab, dann gehörte Ginga-dan wirklich der Vergangenheit an. Wenn sie aufgab, dann war es vorbei – wirklich vorbei. Auch für sie. Dann würde sie sich mit der Endgültigkeit der Dinge abfinden müssen.

Sie konnte nichts mehr ändern.

Sie hatte versagt.

Sie war schwach.

Tränen liefen über ihre Wangen. Sie konnte sie nicht mehr zurückhalten. Angestrengt versuchte sie den Blick von der Arenaleiterin abgewendet zu halten, doch dann stieg ein Schluchzen in ihrer Kehle hoch und auf einmal weinte sie richtig, ohne es verstecken zu können.

Natane sagte dazu nichts, sondern legte nun ihren ganzen Arm auf Rans Schulter.

Und Ran wehrte sich nicht.



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