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Azurtropfen

Oneshot-Sammlung
von

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Feigling

»Die beiden geben ja schon ein sehr hübsches Paar ab, meinst du nicht?«
 

Rin war für seine Verhältnisse eigentlich recht gut gelaunt gewesen. Er hatte beim Training seinen persönlichen Rekord gebrochen, war anschließend mit Nitori eine neue Schwimmbrille kaufen gegangen und hatte sich für den Abend mit ein paar Teamkollegen zum Billard verabredet. Gou war ihm in der Fußgängerzone entgegen gekommen und begleitete ihn nun seit einigen Straßenecken. Sie plapperte gut gelaunt vom Fortschritt ihres Schwimmclubs und Rin saugte stumm und widerwillig jedes Stück Information auf, das er über seine ehemaligen Freunde bekommen konnte. Dieser neue Kerl im Team, Rei, hatte offenbar Fortschritte gemacht und fing nun langsam an, Brustschwimmen zu beherrschen. Makoto hatte sich neue Goldfische zugelegt. Nagisa war erkältet. Und nun schien er ein ganz neues Stück Information zu bekommen. Vielleicht hatte Makoto letztendlich einer seiner vielen Verehrerinnen nachgegeben und war mit ihr ausgegangen.
 

»Wer?«, wollte er wissen und warf einen Seitenblick auf seine kleine Schwester. Sie war so groß geworden. Und sehr hübsch. Vielleicht würde Rin bald anfangen müssen, Jungs böse anzustarren und sich bedrohlich hinter ihr aufzubauen, wenn der Ansturm begann. Dafür würde er neben seinem Schwimm- und Krafttraining schon noch Zeit finden.

»Na, Makoto und Haruka-senpai«, antwortete sie mit einem Gesichtsausdruck, als hätte er sich das selbst denken können. Aber Rin erstarrte mitten auf dem Gehweg und wiederholte ihre Worte dreimal, bevor er sich hundertprozentig sicher war, dass er es richtig verstanden hatte.
 

»Was?«, gab er zurück und konnte spüren, wie seine Brauen sich über seiner Nasenwurzel trafen. Das war doch absurd. Makoto und Haru waren schon immer beste Freunde gewesen. Aber... sie waren doch sicher nicht... das war absolut lächerlich. Der allgemeine Gedanke an Haru mit irgendjemandem war...

Doch eine leise Stimme in seinem Kopf sagte: Wenn Haru nicht mit Makoto zusammen wäre, mit wem denn dann? Gäbe es irgendjemand anderen, der mit Haru zusammen sein würde? Oder besser: Irgendjemanden, mit dem Haru zusammen sein wollen würde?
 

Die Antwort war simpel und verdüsterte seine Stimmung drastisch. Nein. Niemand. An eine etwaige Ausnahme wollte er nicht denken, weil er sich selbst dann mit Gefühlen hätte konfrontieren müssen und dafür hatte er nun eindeutig keine Zeit. Und keine Lust. Und überhaupt war Haru ein fauler Nichtsnutz, der das Schwimmen nicht ernst genug nahm. Jawohl.

»Makoto und Haruka-senpai! Es hätte mir ja eigentlich schon früher auffallen können, ich meine... sie sind wie füreinander geschaffen, denkst du nicht auch?«
 

Rin hatte sich unterdessen wieder in Bewegung gesetzt und seine Hände in die Hosentaschen gestopft. In seinem Brustkorb wütete es ungewohnt und er versuchte sich vorzustellen, wie genau diese merkwürdige romantische Kombination zustande gekommen war. Er hatte Haru oft genug vom Wasser schwärmen hören, aber selbst wenn er versuchte, in seinem Kopf jeden Satz in diese Richtung, den Haru jemals gesagt hatte, umzustellen und Makoto einzusetzen... es klang lächerlich. Völlig undenkbar.
 

»Tse«, machte Rin und strich sich die Haare aus der Stirn. Hoffentlich waren sie bald lang genug, sodass sie allesamt in einen Pferdeschwanz passen würden. »Wann soll das denn passiert sein?«

Er war nicht neugierig. Es interessierte ihn nicht. Haru konnte machen, was und mit wem er wollte. Aber so sehr er sich das auch einzureden versuchte, seine Eingeweide zogen sich trotzdem mit einem heißglühenden Gefühl zusammen, das Rin lieber nicht benennen wollte. Gou zuckte mit den Schultern.
 

»Ich weiß nicht genau. Sie wissen auch gar nicht, dass ich es weiß. Nagisa hat es mir erzählt und er meinte, die beiden wollen es noch ein wenig unter der Decke halten... also hätte ich es dir wahrscheinlich auch gar nicht sagen sollen«, murmelte Gou schuldbewusst und blickte ihn von unten herauf an. Er schnaubte ungehalten.

»Keine Sorge. Interessiert mich nicht die Bohne, ich werds schon nicht weitersagen.«

Seine Schwester strahlte dankbar zu ihm auf und für einen kurzen Moment wirkte ihre Körpersprache ganz so, als wollte sie sich bei ihm unterhaken. Doch Rin las in Gous Gesicht, dass sie sich nicht traute und beinahe bekam er ein schlechtes Gewissen. Beinahe. Sein Gehirn war wohl zu sehr mit anderen Neuigkeiten beschäftigt, als dass es jetzt auch noch Schuldgefühle hätte produzieren können.
 

Makoto und Haru. Ein Paar.
 

Absurd, absurd, absurd. Egal. Absolut egal. Denk nicht weiter drüber nach.
 

»Ist alles in Ordnung?«, erkundigte sich Gou besorgt und Rin schüttelte kaum merklich den Kopf, um sich und sein verräterisches Gehirn in die Realität zurück zu zwingen.

»Was soll denn nicht in Ordnung sein?«, schnappte er und beschleunigte seine Schritte. Gou holte auf und beobachtete ihn mit großen Augen von der Seite, doch sie sagte nichts mehr. Vielleicht, weil sie seine abweisende Art mittlerweile gewöhnt war. Oder aus anderen Gründen, die er sich lieber nicht ausmalen wollte.
 

*
 

»Matsuoka-senpai, ist alles in Ordnung?«
 

Nitori stand am Beckenrand und hielt eine Stoppuhr in seinen schmalen Fingern. Rin musste ihn nicht nach der Zeit fragen, um zu wissen, dass er selten so schlechte Runden geschwommen war.
 

»Ja, alles bestens«, grollte er und stemmte sich am Beckenrand hoch. Es war wie verhext. Seit seiner unglückseligen Unterhaltung mit Gou konnte er sich nicht mehr richtig konzentrieren. Es war ja nicht so, dass er normalerweise beim Schwimmen nicht an Haru dachte. Da es sein Ziel war, Haru irgendwann zu schlagen, dachte er selbstverständlich oft über ihn nach. Vor allem beim Schwimmen, da es das Schwimmen war, was sie beide miteinander verband. Aber jetzt dachte er nicht mehr daran, wie er Haru eines Tages schlagen würde, nein. Jetzt huschten Bilder durch seinen Kopf, wie Makoto Harus Hand nahm, wie sie gemeinsam einen Film ansahen und Makoto mit seinem unausstehlich sanften Lächeln Haru zum Erröten brachte. Es war absolut lächerlich. Kein Wunder, dass er bei diesen bescheuerten Vorstellungen schlechte Zeiten schwamm.
 

»Ich meine nur... irgendwie bist du nicht ganz du selbst...«
 

»Nitori! Ich sagte, es ist alles bestens!«
 

Rin war sich nicht mehr sicher, an welchem Punkt seines Lebens er sich in ein unnahbares und undankbares Arschloch verwandelt hatte, aber als er Nitoris Gesicht sah, musste er automatisch an Gou denken, die auch immer genauso dreinblickte, wenn er sie abwies. Wie ein getretener Hund. Es war eindeutig alles Harus Schuld. Wenn dieser Bastard nicht ein unverdientes Schwimmgenie wäre, dann hätte Rin nicht...

»Ich bin sicher, dass es morgen wieder besser läuft, Matsuoka-senpai.«
 

Rin betrachtete Nitoris unsicheren Gesichtsausdruck und seufzte.

»Ja, wahrscheinlich«, murrte er und machte sich auf den Weg zu den Duschen. Er wünschte, Gou hätte ihm nicht erzählt, was sie von Makoto und Haru gehört hatte. Andererseits war er wütend auf sich, weil er sich überhaupt darüber Gedanken machte. Manchmal war es anstrengend, er selbst zu sein.
 

Auf dem Heimweg bekam er eine der üblich gut gelaunten SMS von seiner Schwester. Sie schien nicht aufgeben zu wollen, obwohl er noch nicht einmal auf eine ihrer Nachrichten geantwortet hatte.

»Wir gehen heute Abend bowlen, um Reis Fortschritt zu feiern. Wenn du nichts anderes vorhast, kannst du ja auch mal vorbeischauen!«

Während er die SMS las, bekam er eine zweite, in der der Name des Bowlingcenters geschrieben stand. Er würde nicht dort hingehen. Ganz eindeutig nicht.
 

*
 

»Wie kamst du denn jetzt eigentlich drauf, Bowlen zu gehen? Du wolltest doch unbedingt Billard spielen?«

Rin würdigte diese Frage nicht mit einer Antwort. Er nippte an einer Coladose und war sehr bemüht, möglichst unauffällig das Team zwei Bahnen weiter zu beobachten. Nagisa hatte sich gerade freudestrahlend um Reis Hals geworfen, weil die Brillenschlange alle zehn Kegel umgeschmissen hatte. Rin fand den Neuen komisch. Dauernd murmelte er unverständliches Zeug vor sich hin und lief Nagisa nach wie ein Schoßhündchen.
 

Sein Blick wanderte zu Makoto und Haru hinüber, die ebenfalls ein Team bildeten. Sie saßen auf einer Bank, sehr dicht beieinander und Makoto hatte für sie beide gerade gekühlte Getränke besorgt. Mit der neuen Information, die er von Gou erhalten hatte, fiel ihm zum ersten Mal auf, wie dicht beieinander die beiden immer waren. Und Makoto sah ziemlich hingerissen aus, wenn er Haru ansah... und jetzt hatte er ihm die Hand auf die Schulter gelegt.

»Rin! Du bist dran!«
 

Er riss den Blick von seinen ehemaligen Freunden los und wandte sich der Bowlingbahn zu. Er war nicht besonders gut im Bowlen und er mochte es nicht wirklich. Wieso zum Henker hatte er sich dazu hinreißen lassen, herzukommen? Er konnte nur von Glück reden, dass Gou noch nicht freudestrahlend zu ihm herüber gekommen war, um sich zu begeistern, dass er tatsächlich gekommen war.

»Ist das da drüben nicht dein altes Team, Rin?«

Die Kugel rutschte ihm aus den Fingern und landete neben der Bahn in der Rinne. Großartig. Er hasste die Welt.
 

»Ist mir nicht aufgefallen«, knirschte er ungehalten und wandte sich von der Bahn ab. Nitori beobachtete ihn schon wieder mit diesen großen, besorgten Augen. Am liebsten würde er zurück nach Australien gehen, wo er Haru nicht mehr sehen musste. Es war zum Verrücktwerden.

Er warf einen schelen Blick hinüber zu den anderen. Gou klatschte begeistert als Makoto aufstand. Vielleicht war Makoto der Erste, den er wütend ansehen sollte, wenn es um seine kleine Schwester ging. Die Art und Weise, wie ihre Augen leuchteten, wenn sie ihn anschaute, war Rin nicht geheuer. Dann fiel ihm ein, dass Makoto jetzt mit Haru zusammen war. Zeigte Makoto Haru da gerade etwa, wie man eine Bowlingkugel richtig warf? Es war, als würde er sich in einer beknackten Teenager-Romantikkomödie befinden. War es wirklich nötig, dass Makoto und Haru so lange sehr dicht beieinander standen? Und dass Haru Makoto mit großen, aufmerksamen Augen ansah? Und dass Makotos Hände auf Harus lagen?
 

»Rin-chan! Hey!«

Er zuckte kaum merklich zusammen, als Nagisas Stimme durch den Lärm zu ihm drang. Er sah, wie sein ehemaliger Teamkollege begeistert zu ihm herüberwinkte und nun hatten natürlich auch die anderen ihn bemerkt. Er wandte trotzig den Kopf ab und beobachtete stattdessen Nitori dabei, wie er sieben Kegel umwarf. Besser als sein erbärmlicher Wurf. Unweigerlich kam ihm die Idee, sich mit Nitori genauso zu verhalten, wie Makoto und Haru das taten, aber das war lächerlich, unnötig und vollkommen unbegründet. Sein Nacken kribbelte und als er einen weiteren Blick hinüber zur anderen Bahn warf, sah er, wie Haru ihn ansah. Sein Magen schlug einen Salto und er hielt für eine Sekunde die Luft an. Verfluchter Dreck. Er war lang genug weg von Haru. Wieso hatte er immer noch dieses ätzende Gefühl in der Magengegend, wenn er ihn ansah? Wie früher auch schon. Als würde er fallen. Rin hasste dieses Gefühl.
 

Natürlich musste es so kommen, dass sie ihre Bahnen zusammen legten und sich in fünf Teams aufteilten. Natürlich musste er neben Haru auf der Bank sitzen, Gous und Nagisas und Nitoris Blicke auf sich ertragen und Makotos dauerndes Lächeln anschauen, wenn er Haru ansah. Es war zum Wahnsinnigwerden.

»Vielleicht sollten wir die Teams neu mischen«, schlug Nagisa voller Enthusiasmus vor und klatschte begeistert in die Hände. Rin wollte protestieren, doch seine Stimme ging im Jubel seiner Teamkollegen unter und er beobachtete, wie sie alle sehr erpicht darauf zu sein schienen, mit seiner kleinen Schwester ein Team zu bilden. Abgesehen von Nitori. Der sah einfach nur ein wenig verloren aus, bis Nagisa sich auf ihn stürzte und verkündete, dass sie ein Team bilden könnten.
 

Fast erwartete er dramatische Musik und Regen, als Makoto und Haru voneinander getrennt wurden und dann...

»Bleiben noch Haru-chan und Rin-chan! Ich hab gesehen, wie du wirfst, Rin-chan, daran musst du wirklich arbeiten. Vielleicht kann Haru-chan dir zeigen, wies richtig geht, er hat’s ja grade erst von Mako-chan gelernt!«

Nagisa war immer schon so gewesen. Alle Welt dachte, er wäre klein und unschuldig und niedlich und harmlos. Aber Rin wusste es besser. Nagisa war nicht zu unterschätzen. Er wusste ganz genau, was er wollte und er wusste auch, wie er die Dinge, die er wollte, bekam. Er hatte diesen Rei dazu überredet, sich dem Schwimmclub anzuschließen, obwohl der Kerl nicht schwimmen konnte. Rin befand, dass das alles über Nagisas Charakter aussagte, was man wissen musste.
 

Er mochte harmlos aussehen, aber er war ein gewitztes, kleines...

»Muss das sein?«, fragte Haru und er wusste, dass Haru jegliche Art von Anstrengung hasste. Außer, es ging ums Schwimmen. Oder um Makoto. Rin wollte sich gern über den Tisch stürzen und Makoto erwürgen.

»Los, Rin, stell dich nicht so an!«

Mikoshiba war ein anstrengender Vollidiot und Rin hätte auch ihn gern erwürgt. Und wenn er seinen Captain noch einmal schmachtend zu Gou herüber schauen sah, dann hatten sie eindeutig ein ernstes Wörtchen miteinander zu reden.

Rin stand auf und verschränkte schnaubend die Arme.

»Als könntest du mir irgendwas beibringen«, sagte er hochmütig zu Haru, der die Schultern zuckte und neben ihn vor die schwarze Linie trat. Rin nahm sich beherzt eine grüne Kugel und sah Haru direkt ins Gesicht. Er verabscheute diese blauen, gleichgültigen Augen.
 

»Makoto sagt, man muss...«
 

Harus Stimme war immer so ruhig. Rin bekam eine verfluchte Gänsehaut auf den Unterarmen, als Haru nach seiner Hand griff und ihm zeigte, wie er es machen sollte. Hinter ihnen am Tisch herrschte plötzlich eine schrecklich laute Stille und Rin spürte, wie ihm Hitze ins Gesicht stieg. Sie sahen jetzt genauso aus wie Makoto und Haru vorher. Makoto und Haru.

Vielleicht, wenn er nicht weggegangen wäre...?

Wenn du nicht so ein übermäßig stolzer Hornochse wärst, Rin, flüsterte eine Stimme in seinem Hinterkopf.
 

Die Kugel schnellte über die Bahn und krachte in die Kegel. Rin trat zwei Schritte zur Seite und sah nicht einmal nach, ob er alle Kegel umgeworfen hatte. Stattdessen ballte er die Hände zu Fäusten und stapfte von dannen.
 

»Rin-chan?«
 

»Rin?«
 

»Matsuoka-senpai?«
 

Seine Finger kribbelten noch von Harus Berührung. Er war der größte Idiot unter der Sonne. Draußen angekommen atmete Rin mehrere Male tief durch. Die kühle Nachtluft tat gut auf seiner erhitzten Haut und er starrte hoch in den fast schwarzen Sternenhimmel. Es half nichts, ewig vor der Tatsache wegzulaufen, dass er Gefühle für Haru hatte. Er war bis nach Australien gegangen und hatte Haru mehrere Monate nicht gesehen und es hatte nichts geholfen.
 

Frustriert und wütend auf sich und die ganze Welt lehnte er sich draußen gegen die Wand. Weggelaufen vor seiner Niederlage gegen Haru. Weggelaufen vor seinen Gefühlen für Haru. Weggelaufen, schon wieder. Vor Makoto und Haru, die dort drinnen und einfach so ein Paar waren.

Wenn du nicht gerannt wärst, Rin, flüsterte eine kleine, gemeine Stimme in seinem Hinterkopf, dann wärst du vielleicht mit ihm zusammen. Und nicht Makoto.
 

»Rin?«
 

Er wirbelte herum und hielt einen Moment lang die Luft an. Da stand Haru mit seinem nichtsahnenden Blick und den Händen in den Hosentaschen. Rins erster Impuls war ihn anzufahren, sein zweiter war, zu rennen. Und dann war da noch der überwältigende Drang Haru zu packen und ihn zu schütteln und ihm zu sagen, dass es beinahe unerträglich war, ihn mit Makoto zu sehen...
 

»Alles ok?«
 

Rin blinzelte und starrte Haru an. Er war viel näher gekommen und hatte – sah er wenig besorgt aus? – den Kopf schief gelegt.

»Wartet Makoto nicht auf dich?«, schnappte Rin ungehalten und verschränkte die Arme vor der Brust. Sieh ihn nicht an, dachte er sich und biss sich auf die Unterlippe, schau ihn einfach nicht an. Aber sein Körper hatte ihn schon so oft betrogen, wenn es um Haru ging und so huschten seine Augen hinüber zu ihm.

»Makoto? Der bildet doch jetzt ein Team mit Rei«, sagte Haru verwirrt und Rin hätte ihn gern bei den Schultern gegriffen um ihn gegen die Wand zu drücken. Haru verstand nie irgendetwas. Er war ein ignoranter Vollidiot. Kein Wunder, dass sie so ein schlechtes Team abgaben. Ignoranz und Feigheit passten wohl einfach nicht besonders gut zusammen. Mal ganz angesehen von Harus Weltfremdheit...
 

»Was willst du, Haru?«
 

Rin erinnerte sich an die Zeit, als er Haru noch Nanase genannt hatte. Damals. Konnte man sich als so kleiner Knirps schon verknallen? Dass er dieses Wort überhaupt dachte, gruselte Rin unheimlich.
 

»Nach dir sehen... Du sahst aus, als würdest du gleich kotzen«, erklärte Haru. Rin schnaubte. Zugegeben, wenn er sich Makotos und Harus schmalziges Verhalten in Erinnerung rief, war er kurz davor. Er musste diese Situation mit so viel Würde wie möglich überstehen. Deswegen ignorierte er Harus Bemerkung und räusperte sich.

»Also... du und Makoto, huh?«, fragte er bemüht lässig. Haru runzelte die Stirn und sah ein bisschen so aus, als hätte man ihn gefragt, was genau er an Wasser denn so toll fand.

»Was ist mit uns?«
 

»Wann ging das mit euch beiden los?«
 

Haru blinzelte und seine Stirn lag nun so tief in Falten, als hätte Rin Schwimmen zum schwachsinnigsten Sport unter der Sonne erklärt.

»Du weißt doch, seit wann wir befreundet sind«, antwortete er offensichtlich verwirrt und Rin verdrehte die Augen. Wenn Haru noch langsamer denken würde, dann würde er bald rückwärts schwimmen. Immerhin, dann könnte er Haru vielleicht endlich besiegen.
 

»Ich meine, seit wann ihr ausgeht«, schnappte Rin ungeduldig. Er hatte nicht die ganze Nacht Zeit sich mit seinen Gefühlen und Harus schleichenden Denkprozessen auseinander zu setzen.

»Wir gehen nicht aus«, erwiderte Haru nun vollkommen perplex und starrte Rin an. Er hatte es an diesem Abend schon mindestens hundert Mal gedacht, aber verfluchte Scheiße, er hasste diese Augen. Sie hatten fast dieselbe Farbe wie ein Pool. Zum Kotzen.

»Dann hab ich mir euer Geturtel da drin wohl nur eingebildet«, meinte Rin sarkastisch. Er wollte gern so tun, als würde ihn all das nicht kratzen, aber er konnte den hoffnungsvollen Hüpfer, den sein Herz gerade getan hatte, nicht leugnen. Vielleicht hatte Gou sich ja geirrt. Aber wieso sollte sie...?
 

»Ja, hast du wohl«, meinte Haru schulterzuckend und wandte sich zum Gehen. Rin rang mit sich. Er wollte gleichzeitig, dass Haru ging und sich ein für allemal zum Teufel scherte und dass er blieb. Verdammter Drecksmist.

»Heißt ja nicht, dass das nicht noch werden kann.«

Die Worte waren ihm entschlüpft, bevor er weiter darüber nachdenken konnte, was er da eigentlich sagte. Es klang, als würde seine Zunge Haru nun dazu überreden wollen, sich doch noch an Makoto heran zu schmeißen. Womöglich waren die beiden ja auch doch zusammen und dies war nur Harus und Makotos Wunsch, weiterhin alles unter der Decke zu halten. Er hatte Gou versprochen, es nicht zu erzählen. Aber immerhin hatte er so getan, als wäre er selbst auf diese Idee gekommen.
 

Haru blieb stehen und musterte ihn. Rin würde diese Tatsache mit ins Grab nehmen, aber unter Harus Blick wurde ihm wahnsinnig heiß.

»Makoto ist mein bester Freund«, sagte Haru leise und Rin spürte einen leichten Stich. Wahrscheinlich hatte Haru es nicht so gemeint, aber Rin hörte hundert Vorwürfe in diesem einen Satz.

»Manchmal...«, sagte Rin und hörte zu seinem Entsetzen, dass seine Stimme zu einem Krächzen verkommen war, »verlieben sich auch Freunde ineinander.«

Wann hatte seine Zunge beschlossen, ihn zu verraten und noch tiefer in die Scheiße zu reiten, als er ohnehin schon drin steckte?
 

Er hatte gerade beschlossen, dass eine Flucht das einzig Richtige war, um dieser verkorksten Situation zu entkommen, aber da packten zwei sehr entschlossene Hände nach seinen Handgelenken und er landete mit dem Rücken an der harten Betonwand.

»Willst du mir irgendwas sagen?«, murmelte Haru und sein Gesicht war eindeutig viel zu nahe. Nicht nahe genug. Rins Herzschlag beschleunigte sich und er schluckte schwer.

»Was sollte ich dir denn sagen wollen?«, höhnte er, doch seine Stimme klang nicht einmal halb so herablassend, wie er es gern gehabt hätte. Vermutlich hörte auch Haru das leichte Zittern. Scheiße.
 

»Warum du sauer bist, dass ich angeblich mit Makoto ausgehe?«
 

Rins Magen machte mehrere Saltos und sein Herz vollführte einen wahren Trommelwirbel. Die Situation erinnerte ihn an die Szene am Zaun, als er Haru gesagt hatte, dass er für ihn schwimmen würde... Jetzt war es zwar andersrum, aber auch schon damals hatte Rin daran gedacht, wie es wohl wäre, Haru zu küssen.

»Ich bin nicht–«

Er kam nicht dazu, sich zu verteidigen. Nicht, dass er wirklich gewusst hätte, was er sagen wollte. Aber Rin hatte eindeutig nicht damit gerechnet, dass Haru einfach die wenigen Zentimeter zwischen ihnen überbrücken würde.
 

Seine Lippen waren ungewöhnlich weich. Rin hatte sie sich immer ein wenig trocken vorgestellt, wegen all des Wassers, in dem Haru sich dauernd aufhielt. Er befreite seine Handgelenke aus Harus griff und schmale Finger verhakten sich mit den seinen. Rin stand unter Schock. Harus Augen waren geschlossen und aus der Nähe erkannte Rin selbst in der schummrigen Dunkelheit ein paar Sommersprossen. Sein Herz hatte scheinbar den Dienst versagt. Und gerade, als er ebenfalls seine Augen schließen wollte, ertönte ein lautes Juchzen und anschließendes Jubeln. Haru schien es nicht eilig zu haben, sich von Rin zu lösen, doch Rin spürte wie seine Wangen feuerrot anliefen, als er seine Teamkameraden und seine alte Schwimmmannschaft inklusive seiner begeisterten Schwester vier Meter weit entfernt stehen sah.
 

»Endlich«, rief Nagisa und führte einen kleinen triumphierenden Tanz auf. Gou zwinkerte ihm zu. Und plötzlich begriff Rin, dass Nagisa, dieser kleine Teufelsbraten, und seine schamlose kleine Schwester ihm absichtlich diese Lüge mit Haru und Makoto aufgetischt hatten. Makoto lächelte freundlich wie immer, Nitori hatte einen hochroten Kopf und die Hände vors Gesicht geschlagen, Mikoshiba grinste so breit, dass Rin sicher war, dass er bald Muskelstarre kriegen würde und Nagisa sah so selbstzufrieden aus, dass Rin ihn nur allzu gern erwürgt hatte. Rei wirkte vollkommen verwirrt und Rin konnte es ihm nicht verübeln. Haru seufzte.

»Was für ein Elend«, murmelte er und zu Rins großer Überraschung zog Haru ihn mit sich, weg von der großen Gruppe, die nun enttäuschte Rufe verlauten ließ. Als wäre das hier eine Bühnenshow. Rin beschloss, sie allesamt später umzubringen.
 

Haru zog ihn mit sich um ein paar Ecken des Bowlingcenters, bis sie schließlich vollkommen im Dunkeln standen, weil hier keine Leuchtreklame oder Straßenlaternen Licht spendete. Eine Weile lang standen sie schweigend in der Finsternis und Rin spürte ihre ineinander verhakten Finger überdeutlich. Was genau war eigentlich passiert? Wieso zum Henker hatte sein Leben plötzlich eine 180-Grad-Drehung hingelegt?

»Wirst du wieder wegrennen?«, fragte Haru schließlich leise und nicht zum ersten Mal war Rin von seinem ehemaligen Freund überrascht. Haru wirkte immer völlig weltfremd, aber er nahm doch viel mehr von seiner Umwelt wahr, als man manchmal dachte.
 

»Pf... vor dir? Sicher nicht«, schnaubte Rin. Womöglich würde sein Herz gleich explodieren.

»Sind wir...«, Haru schwieg einen Moment und Rin ertappte sich dabei, wie er den Atem anhielt, damit er auch ja kein Wort verpassen würde. »Sind wir wieder Freunde?«

Rin knurrte verlegen.

»Heißt das ja?«
 

»Man Haru, halt einfach die Schnauze! Du bist doch sonst auch nicht so gesprächig!«
 

Rin griff nach Harus Gesicht und presste seine Lippen erneut auf Harus. Hoffentlich würde Haru so den Mund halten. Doch Rins Gebete wurden nicht erhört.

»Das heißt hoffentlich, dass wir auch wieder gemeinsam schwimmen?«
 

»Haru...«
 

»Und Australien ist hoffentlich auch vom Tisch?«
 

»Haru!«
 

»Ich hab dich vermisst...«
 

Rin blieb sein nächster Fluch im Hals stecken und er schluckte hörbar. Was sollte er dazu sagen? Ganz offensichtlich war Haru im Gegensatz zu ihm kein Feigling. Er rang mit sich und spürte die Worte auf seiner Zunge, doch sie krallten sich widerspenstig dort fest. Komm schon, Rin, schimpfte eine innere Stimme mit ihm, hör endlich auf ein Feigling zu sein!
 

»Ich dich auch.«

Siebtens

Rei war sehr darauf bedacht, bei allem, was er tat, gut auszusehen. Die meisten Leute in seiner Umgebung scherten sich allerdings nicht darum und beachteten ihn kaum. Sie fanden ihn merkwürdig und langweilig, weil er Mathematik etwas zu sehr vergötterte und viele Dinge in seinem Alltag danach ausrichtete. Mathematik, so befand Rei, war der Schlüssel zur Schönheit. Alles hatte eine klare Antwort, Struktur, Lösungen gab es für alles und für jede Situation. Er war sich nicht sicher, ob jemals irgendjemand außer seiner Mutter ihn als schön bezeichnet hatte. Rei würde es natürlich nicht zugeben, aber manchmal war er darüber ein wenig enttäuscht. Schließlich profitierte die Umwelt davon, dass er sie mit Schönheit bereicherte.
 

»Das ist der Grund, wieso du keine Freunde hast, Ryugazaki«, tönte einer seiner besonders lauten Mitschüler an einem sonnigen Mittwochmorgen, als Rei dabei war, in seinem Mathebuch zu blättern und ein paar Lektionen vorzuarbeiten. »Du steckst deine Nase lieber in diese Bücher, als mit Leuten zu reden.«

Die Wahrheit war, dass Rei nicht besonders gut darin war, mit Menschen zu reden. Er mochte schöne Sachen, Mathematik und Leichtathletik. Er interessierte sich nicht für die neusten Filme, für Klatsch und Tratsch, für Magazine oder Mangas. In seiner Klasse saß er meistens allein und las, oder beobachtete einfach den Himmel draußen. Niemand war beeindruckt davon, dass er gute Noten schrieb. Niemand interessierte sich dafür, dass er im Hochsprung perfekte Technik vorzuweisen hatte. Sein Trainer hatte ihm sogar gesagt, dass er mit seiner Taktik kein Stück voran kommen würde. Es war egal, dass er schön aussah, wenn er sprang.
 

Es kam sehr selten vor, dass Rei einmal jemanden aus seiner Klasse beobachtete, was dazu führte, dass er nicht wirklich wusste, wer eigentlich in seine Klasse ging. Hazuki Nagisa jedenfalls war ihm noch nie aufgefallen, bevor er angefangen hatte, Rei zu verfolgen und ihn zu überreden, dem neu gegründeten Schwimmclub beizutreten. Rei hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als dem kleinen hyperaktiven Enthusiasten zu erklären, dass er nicht schwimmen konnte. Aber es stimmte, er fand Schwimmen nicht besonders schön. Zumindest, bis er Nanase Haruka hatte schwimmen sehen. Der war tatsächlich so elegant wie ein Delphin, wenn er durchs Wasser glitt. Rei hatte die traurige Wahrheit akzeptieren müssen, dass er sehr wahrscheinlich niemals davon wegkommen würde, jede seiner Bewegungen zu berechnen. Es beruhigte ihn und begleitete ihn schon so lange. Er meisterte seinen Alltag auf diese Art.
 

»Wieso willst du, dass ich eurem Club beitrete?«
 

»Naja, du hast einen sehr femininen Namen, so wie wir alle...«
 

»Das ist der Grund!?«
 

»...und ich hab dich beim Hochsprung gesehen. Du warst so schön dabei!«
 

Rei hatte deutlich gespürt, wie das Blut in seine Wangen geschossen war. In diesem Moment war ihm klar gewesen, dass er dem Schwimmclub beitreten würde, einfach nur, weil Hazuki Nagisa ihm gesagt hatte, dass er ihn schön fand. Es war ein dummer Grund, das war ihm klar. Aber sein Herz hatte einen aufgeregten Sprung gemacht und zum ersten Mal in seinem Leben war er erpicht darauf, mit anderen Leuten – oder besser mit Nagisa – zu reden. Nagisa, der den ganzen Weg mit ihm gerannt war, der einfach so gesagt hatte, was er dachte, der beeindruckt davon war, wie Rei immer alles mathematisch analysierte... Als Rei zu ihm gesagt hatte, dass Nagisa bittesehr volle Verantwortung für ihn übernehmen sollte, war das seine Art gewesen darum zu bitten, dass Nagisa ihm weiterhin seine Aufmerksamkeit zukommen ließ.
 

Rei erkannte sich nicht wieder. Er konnte offensichtlich mit Menschen sprechen, wenn er nur wollte und wenn die Menschen allesamt genauso merkwürdig waren, wie er selbst. Zugegebenermaßen, Makoto war eigentlich recht normal, aber er war so unheimlich nett und mit Haruka befreundet, da war es kein Wunder, dass er auch mit Rei gut auskam.

Als Nagisa seine Hand genommen hatte, um ihm beim Brustschwimmen zu helfen, wäre Rei beinahe sofort untergegangen, noch bevor Nagisa ihn losgelassen hatte. Sein Magen kribbelte gewaltig. Vielleicht war er deswegen untergegangen wie ein Stein. Aber da es ihm anschließend bei Makoto und bei Haruka nicht besser ging, hatte er den Gedanken beiseite geschoben. Es war nicht logisch, also wurde es verdrängt.
 

»Ich will mit Haru-chan in einem Zelt schlafen!«
 

»Was? Wieso willst du nicht mit mir in einem Zelt schlafen?«
 

»Du knirschst bestimmt mit den Zähnen!«
 

Rei war traurig gewesen, dass sie wirklich nicht in einem Zelt geschlafen hatten und er hatte noch einige Zeit darüber nachgedacht, bevor er den fatalen Entschluss gefasst hatte, nachts allein schwimmen zu gehen, um zu trainieren. Alles war ein wenig verschwommen, aber er erinnerte sich noch daran, wie Makoto seinen Namen gerufen hatte und wie Haruka Makotos Namen gerufen hatte und dann war er ohnmächtig geworden.
 

»TU DAS NIE WIEDER!«
 

»Aber ich wollte doch nur–«
 

»ICH WAR KRANK VOR SORGE!«
 

»Nagisa-kun...«
 

»DU ELENDER HOLZKOPF!«
 

»...«
 

Nagisa hatte exakt fünf Tränen vergossen, ihn vier Mal geschlagen und sieben Mal umarmt. Rei hatte versucht nicht allzu sehr auf Nagisas nackte Haut an seiner zu denken, die besonders heftig brannte, weil ihm eiskalt und Nagisa sehr warm war. Sein Herz hatte ein paar Saltos geschlagen, die nichts mit der gefährlichen Situation zu tun hatten, aus der er gerettet worden war.

»Gott sei Dank hast du auf die Mund-zu-Mund-Beatmung reagiert!«, sagte Nagisa und wischte sich die roten Augen. Rei starrte ihn an.
 

»Mund zu... was?«, fragte er entgeistert und wollte einen Moment panisch seine Brille zurecht rücken, bis ihm klar wurde, dass er sie scheinbar verloren hatte.

»Es sah ein bisschen so aus, als würdet ihr euch küssen«, verkündete Kou mit einem schmachtenden Unterton in ihrer Stimme und sie faltete ihre Hände begeistert. Rei hätte sich am liebsten im Sand vergraben.
 

Nach ihrem Trainingscamp hatte er sich in seinem Zimmer versteckt und war in aller Ruhe siebenundzwanzig Mal die einzelnen Fakten durchgegangen.
 

Erstens: Nagisa hatte ihn – und zwar nur ihn, ganz speziell – in ihrem Schwimmclub haben wollen, weil Rei einen femininen Namen hatte und weil Nagisa ihn schön fand.
 

Zweitens: Nagisa hatte versprochen, volle Verantwortung für Rei zu übernehmen.
 

Drittens: Nagisa fand es bewundernswert, dass Rei in jeder Lebenslage alles berechnete und analysierte – etwas, das noch nie jemand an ihm geschätzt hatte.
 

Viertens: Nagisa bestand darauf, dass er Speedos trug.
 

Fünftens: Nagisa hatte nicht mit ihm in einem Zelt schlafen wollen, allerdings nur, weil er dachte, dass Rei mit den Zähnen knirschte. Rei war trotzdem enttäuscht.
 

Sechstens: Rei war beinahe ertrunken, woraufhin Nagisa ihn mit Mund-zu-Mund-Beatmung gerettet hatte. Kou hatte gesagt, dass sie ausgesehen hätten, als wäre es ein Kuss gewesen. Außerdem hatte Nagisa ihn umarmt und ihn angeschrieen, dass er krank vor Sorge gewesen war.
 

Aber egal, wie oft er diese Fakten in seinem Kopf wälzte, er kam zu keinem befriedigenden Ergebnis. Nagisa war mit all seinen Freunden sehr körperlich, er sagte immer, was er dachte und er hatte schon zu mehreren Gelegenheiten gesagt, dass er Haruka beim Schwimmen schön fand. Es konnte also genauso gut sein, dass Nagisa Gefühle für Haruka hatte. Das kleine Energiebündel war einfach zu unberechenbar für Rei, was ihn unheimlich frustrierte. Er konnte nie vorher sagen, was Nagisa als nächstes tun würde. Vielleicht würde er sich einfach damit abfinden müssen, dass Nagisa eine unbekannte Komponente war, die er nie anständig berechnen können würde.
 

An schlechten Tagen machte Rei sich sorgfältig Mühe, all seine Fakten mit Gegenpositionen zu belegen.
 

Erstens: Nagisa hatte, bevor er sich Rei an die Fersen geheftet hatte, jeden Menschen, den er kannte oder nicht kannte, gefragt, ob er nicht dem Schwimmclub beitreten wollte.
 

Zweitens: Nagisa hatte ihm noch keinerlei Privattraining angeboten.
 

Drittens: Nagisa bewunderte Haruka viel mehr für seinen schönen Schwimmstil, als er Rei für seinen analytischen Verstand bewunderte.
 

Viertens: Nagisa fand es einfach lustig, wenn er Speedos mit Pinguinen darauf trug.
 

Fünftens: Nagisa hatte lieber mit Haru in einem Zelt schlafen wollen.
 

Sechstens: Nagisa war genauso besorgt um Makoto gewesen und hätte ihn vermutlich auch mit Mund-zuMund-Beatmung wiederbelebt, wenn nicht Haru das für ihn übernommen hätte. Außerdem machte man sich nun einmal Sorgen, wenn seine Freunde beinahe ertranken.
 

Es war zum Haare raufen. Rei hatte sogar angefangen, Artikel im Internet zu lesen, als Recherche.

»Ist er wirklich in Sie verliebt, oder jagen Sie einem Hirngespinst nach?«
 

»Fünf sichere Wege, wie Sie herausfinden können, ob Ihr Schwarm in Sie verliebt ist!«
 

»Sind Ihre Blutgruppen-Typen kompatibel? Mit diesem Test finden Sie es heraus!«
 

Es hatte sich heraus gestellt, dass all diese Dinge nicht hilfreich waren. Anfangs waren ihm vier der fünf sicheren Wege völlig wahnwitzig vorgekommen, aber mittlerweile war er so verzweifelt, dass er es fast schon in Betracht zog, sich eine Freundin auszudenken, nur um zu sehen, ob Nagisa womöglich eifersüchtig reagierte.
 

»Rei-chan, kann es losgehen?«
 

Er schüttelte leicht den Kopf und blinzelte. Nagisa stand vor ihm, in seiner üblichen bunten Badehose und mit großen, fragenden Augen. Sie waren am Pool und wollten mit ihrem Training fortfahren, denn immerhin hatte Rei immer noch nicht gelernt, irgendetwas außer Schmetterlingsstil zu schwimmen.

»Ich helf dir beim Brustschwimmen«, erklärte Nagisa strahlend und sprang ihm voran ins Wasser. Rei seufzte und beobachtete, wie Makoto und Haru ebenfalls auf die Startblöcke stiegen. Alle waren trotz des Strandvorfalls immer noch so motiviert und Rei wollte es nicht vermasseln.
 

Also stieg er auf den Startblock und starrte hinunter in das kühle, unschuldig schimmernde Blau.

»Du warst so schön beim Hochsprung.«

Er war definitiv nicht schön beim Schwimmen, weil er es überhaupt nicht konnte. Seufzend streckte er die Arme vor sich aus, schloss kurz die Augen und sprang.

Immerhin, einen Kopfsprung beherrschte er mittlerweile. Allerdings ging er immer noch unter wie ein Stein, als er es mit dem Bruststil versuchte. Vielleicht, dachte er, während er unterging, vielleicht hat Haruka-senpai Recht. Das Wasser mag mich nicht.
 

Die Finger, die sich um seine Handgelenke schlossen und ihn an die Oberfläche zogen, waren sehr energisch. Als er nach Luft schnappte, blickte er direkt in die besorgten Augen von Nagisa.

»Muss ich dich wieder beatmen?«, fragte er prüfend und kam mit seinem Gesicht ganz nah an Rei heran. Rei spürte, wie ihm die Hitze in die Wangen stieg. Er müsste sich nur ein paar Zentimeter vorbeugen, dann könnte er Nagisa küssen.

»Nein«, krächzte er und nahm die Taucherbrille ab.
 

»Vielleicht ist es noch zu früh für dich«, sagte Makoto besorgt, der näher gekommen war, und betrachtete ihn voller Anteilnahme. Aber Rei wollte nicht bemitleidet werden, er wollte verdammt noch mal endlich lernen anständig zu schwimmen.

»Es ist nicht zu früh für mich«, grummelte Rei ungehalten und entwandt sein Handgelenk aus Nagisas Griff.

»Macht euch keine Gedanken.«

Er watete zum Beckenrand und stemmte sich hoch. Es war wie verhext. Vielleicht sollte er versuchen, weniger über Nagisa nachzudenken. Und daran, dass er nicht schön aussah, wenn er sank wie ein Stein. Das lenkte ihn nur vom Schwimmen ab.
 

»Muss ich dich wieder beatmen?«
 

Nicht, dass Rei etwas dagegen gehabt hätte, aber noch lieber wäre es ihm, wenn Nagisa ihn richtig küssen würde. Er schaffte es auch bis zum Ende des Trainings nicht, irgendeinen der anderen Schwimmstile auch nur ansatzweise zu meistern und zum ersten Mal bot Nagisa an, mit ihm gemeinsam länger zu bleiben und zu üben.
 

»Wir kriegen das schon hin, Rei-chan«, sagte er zuversichtlich, als Rei aus dem Becken stieg, um sich zwischendurch etwas zu trinken zu organisieren. Makoto, Haruka und Kou waren bereits gegangen und ziemlich bald würde es dunkel werden. Also sollte er sich besser beeilen. Seufzend an seinem Saft-Tetrapack nippend schlenderte er zurück zum Pool.

Sein Apfelsaft fiel zu Boden, als er Nagisa in der Mitte des Pools treiben sah und er dachte nicht einen Moment lang darüber nach, dass er nicht wirklich schwimmen konnte. Voll Panik warf er sich ins kühle Wasser und schoss auf Nagisa zu, um ihn herum zu drehen und...
 

Nagisa blickte ihm erstaunt und mit offenen Augen entgegen, während Rei ihn in seinen Armen hielt, bereit sich für die Lebensrettung zu revanchieren. Es dauerte ein paar Herzschläge, bis ihm klar wurde, dass Nagisa einfach nur zum Spaß an der Oberfläche geschwebt war. Empört und peinlich berührt ließ er ihn los.

»Ich dachte dir wäre was passiert!«, rief er wütend und verschränkte die Arme vor der Brust. Am Rand des Pools lag sein verschütteter Apfelsaft.
 

»Aber Rei-chan, ich ertrinke doch nicht im Pool«, sagte Nagisa beschwichtigend und Rei spürte einen Stich, denn es konnte durchaus sein, dass er in einem Pool ertrank.

»Schön für dich«, giftete er ungehalten und machte sich auf den Weg zum Beckenrand. Vielleicht war das Training allein mit Nagisa doch keine gute Idee gewesen.

»Rei-chan, warte! Wie bist du denn bis in die Mitte des Pools gekommen?«

Rei hielt inne und blinzelte verwirrt. Er war... gesprungen. Und dann... war er... geschwommen.
 

»Ich bin... geschwommen. Glaub ich«, sagte er perplex und starrte seine Hände an, als stünde dort die Antwort geschrieben. Nagisa holte ihn schnell ein und strahlte zu ihm empor.

»Das probieren wir noch mal! Los, ich stell mich tot und du springst vom Startblock, um mich zu retten!«, jubilierte er voller Begeisterung und stürzte los, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Rei hielt ihn am Arm fest und Nagisa drehte sich mit großen Augen zu ihm um.

»Erschreck mich nie wieder so«, sagte Rei leise. Einen Moment lang herrschte Stille. Dann taumelte Rei rückwärts, weil Nagisa sich auf ihn geworfen und seine Arme um Reis Nacken geschlungen hatte. Eine Sekunde lang hingen sie in der Schwebe, dann presste Nagisa seinen Mund auf Reis Lippen und drückte seinen nackten Oberkörper eng an ihn.
 

Er konnte für mehrere Wimpernschläge nicht verarbeiten, was gerade geschehen war und dann schlangen sich auch noch schlanke, kräftige Beine um seinen Unterkörper und sein Gehirn setzte völlig aus. Flatternd schlossen sich seine Lider und er zog Nagisa noch enger an sich, die Hände unsicher auf der schmalen Hüfte liegend, die sich allzu obszön gegen seinen Unterkörper drängte. Er konnte kaum atmen, aber das hier war tausendmal besser als das beinahe Ersticken unter Wasser. Im Gegensatz zu seinem ersten Schwimmversuch kam er sich bei diesem ersten Mal nicht so unbeholfen vor und den hingerissenen Geräuschen nach zu urteilen, die Nagisa von sich gab, schien er sich tatsächlich nicht allzu dumm anzustellen.
 

Als Nagisa seinen Mund von Reis löste, wollte er eigentlich gern protestieren. Aber Nagisas Gesichtsausdruck mit den glasigen Augen und den geröteten Wangen verschlug ihm die Sprache. Bevor er seine Zunge im Zaum halten konnte, sprudelte es aus ihm heraus.

»Du bist schön.«

Nagisa strahlte und kicherte leise und löste sich von ihm.

»Ich warte hier in der Mitte«, sagte er und leckte sich über die Lippen. Rei wäre beinahe gestorben vor Verlangen. »Und du schwimmst zu mir. Und wenn du‘s schaffst, dann küss ich dich noch mal.«

Rei blickte ihn an wie ein Auto. Das konnte doch nicht... das konnte er nicht ernst meinen. Das war Tortur! Was, wenn er es nicht schaffte?

»Aber... aber...«, stammelte er und Nagisa legte ihm einen Finger auf die Lippen, ehe er ihn mit einer Handbewegung in Richtung Startblock scheuchte.
 

»Vielleicht fehlte dir bislang einfach der richtige Ansporn! Kein Aber!«
 

Rei blieb noch einen Augenblick regungslos stehen, dann bewegte er sich wie in Trance zu den Startblöcken hinüber. Nagisa war völlig wahnsinnig. Rei war sich nicht einmal sicher, ob er momentan überhaupt aus dem Wasser konnte. Seine Badehose fühlte sich besonders eng an.
 

Als er auf dem Startblock stand und Nagisa zu ihm herüber blickte, konnte er endlich seine Liste ergänzen.
 

Siebtens: Nagisa hatte ihn geküsst.
 

Für diesen Punkt auf der Liste gab es kein Gegenargument, soviel stand fest. Rei atmete einige Mal tief ein und aus, ging in die Hocke, dachte an Nagisas Lippen auf seinen und sprang.

Angstbewältigung

Nagisa mochte gruselige Dinge. Er brach nachts in verlassene Gebäude ein, erzählte mit Begeisterung Geistergeschichten, stellte sich verlassene Inseln vor, auf denen man Abenteuer erleben konnte, und er schaute mit großer Vorliebe Horrorfilme. Rei hätte niemals im Leben zugegeben, dass ihm diese Dinge Angst einjagten. Er mochte keine Geistergeschichten, er wollte sich keine verlassenen Inseln vorstellen und vor allem wollte er keine Horrorfilme schauen. Aber ebenso wie die Tatsache, dass er nicht schwimmen konnte, wollte er dies lieber für sich behalten. Seine Geheimniskrämerei hatte dazu geführt, dass Nagisa sie alle in sein Haus eingeladen hatte, um einen Filmabend zu machen. Mit Horrorfilmen.
 

»Und Haru, versuch bitte nicht wieder, ins Aquarium meines Vaters zu steigen, ja?«, sagte Nagisa gut gelaunt, nachdem er ihnen die Haustür geöffnet hatte und sie ihre Schuhe im Flur gelassen hatten.

»Hm«, machte Haru nur und spähte ins Wohnzimmer, wo ein großes Aquarium mit vielen bunten Fischen stand. Rei versuchte sich vorzustellen, wie Harukas letzter Besuch hier bei Nagisa verlaufen sein musste und schüttelte ungläubig den Kopf. Makoto zog Haruka weiter, um ihm keine Gelegenheit zu geben, es sich mit dem Aquarium anders zu überlegen.
 

Nagisas Zimmer sah so aus, als wäre es eine perfekte Spiegelung von Nagisas Persönlichkeit. Ein großer Haufen Wäsche war unter den Schreibtisch geschoben worden – vermutlich in einem Versuch, es ein wenig ordentlicher aussehen zu lassen – und der Schreibtisch war wiederum unter einem Berg aus Büchern, Heften und Papieren kaum zu erkennen. Beinahe jedes Stück Wand war beklebt mit Postern von Bands, die Rei nicht kannte, und von berühmten Schwimmern. Über dem voll beladenen Schreibtisch hing eine Pinnwand, die komplett mit Fotos von Nagisa und seinen Freunden und Familienmitgliedern bepflastert war. Rei widerstand der Versuchung, sich die Bilder näher anzusehen und beobachtete stattdessen Nagisa dabei, wie er geschäftig Bücher, Magazine, CDs und noch mehr Wäsche von seinem Bett schaufelte, damit sie darauf sitzen konnten. Ein riesiger Stoff-Delphin landete neben dem Bett und Rei stellte sich vor, wie dieser Delphin nachts von Nagisa umarmt wurde. Unweigerlich spürte er einen eifersüchtigen Stich.
 

»Ich hol uns was zu trinken, macht es euch gemütlich!«, rief Nagisa gut gelaunt und Rei unterdrückte das Bedürfnis, das Bettzeug ordentlich zu falten, bevor er sich darauf niederließ. Wenn Nagisa ihn irgendwann mal allein hierher einladen sollte, – und sein Magen kribbelte aufgeregt bei dem Gedanken daran – dann würde er vermutlich jede Sekunde den Drang unterdrücken müssen, alles aufzuräumen. Er sollte nicht allzu viel darüber nachgrübeln, wie es wäre, mit Nagisa allein zu sein. Seit mehreren Wochen war er stark bemüht, nicht seinen merkwürdigen Gefühlen für seinen Schwimmkameraden nachzuhängen und sie stattdessen zu verdrängen, aber es gelang ihm nicht wirklich gut.
 

»Ich habe ein paar Kekse ergattert!«, ertönte Nagisas Stimme an der Tür und Rei setzte sich hastig neben Makoto aufs Bett. Nagisa war ihm früher nie aufgefallen, obwohl sie in dieselbe Klasse gingen. Jetzt fragte er sich, wie er den blonden Wirbelwind jemals hatte übersehen können. Peinlich berührt schob er seine Brille zurecht.

Er nahm das Glas mit Fanta, das Nagisa ihm reichte und stellte halb panisch, halb erleichtert fest, dass Nagisa sich zwischen ihn und Makoto quetschte und nun so dicht neben ihm saß, dass ihre Arme und Beine eng gegeneinander gepresst waren. Sein Herz stolperte aufgeregt.
 

»Es ist sehr eng«, grummelte Haruka ungehalten und rutschte unruhig auf dem Bett herum. Dann schien er einen Entschluss zu fassen, stand auf, schnappte sich Nagisas Plüschdelphin und setzte sich unten vors Bett auf den Boden, das Stofftier in seinem Rücken.

»Gute Idee, Haru«, sagte Makoto und folgte seinem besten Freund auf den Boden. Plötzlich fand sich Rei allein mit Nagisa auf dem Bett wieder und er war sich sicher, dass Nagisa jetzt von ihm weg rutschen würde, weil mehr Platz war. Aber Nagisa machte keine Anstalten in diese Richtung, angelte lediglich nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein.

»Makoto, kannst du das Licht ausmachen?«, fragte Nagisa mit einem Mund voller Kekse und Makoto stand auf, um den Schalter neben der Tür zu bedienen. Nur noch der Fernseher spendete Licht und Rei konnte angesichts der plötzlich so schummrigen Stimmung und der Körperwärme von Nagisa kaum darüber nachdenken, dass er gleich einen Horrorfilm anschauen musste.
 

»Was hast du denn eigentlich ausgesucht?«, wollte Makoto wissen und knabberte an einem Keks.

»Ich dachte, weil ihr Banausen ja keine Ahnung habt, fangen wir mit einem Klassiker an. The Ring!«, erklärte Nagisa gut gelaunt und wackelte ein wenig herum. Sein nackter Arm rieb sich dabei leicht an Reis, was ihn noch nervöser machte. Das alles war schrecklich unlogisch. Nagisa war überhaupt nicht sein Typ. Er mochte es ordentlich, berechenbar und ruhig. Nagisa war das genaue Gegenteil von alledem!
 

Bereits der Anfang des Films ließ eine Gänsehaut über Reis Unterarme kriechen. Er sank ein Stück tiefer an der Wand und trank mit raschen Schlucken seine Fanta aus, während von einem mysteriösen Videoband erzählt wurde, das angeblich Leute tötete, die es sich ansahen.

»Alles ok, Rei?«, wisperte Nagisa ihm zu. Rei nickte etwas zu hastig und stellte sein Glas auf den Nachtschrank. Nagisa reichte ihm wortlos ein Kissen und er dachte kaum darüber nach, als er es an sich drückte. Nagisa an sich zu drücken wäre selbstredend noch besser gewesen, doch man konnte nicht alles haben.
 

Sobald die Tante des verstorbenen Mädchens ins Bild kam, wollte Rei ihr zurufen, dass sie bittesehr nicht das Videoband ansehen sollte, aber natürlich hätte sie ohnehin nicht auf ihn gehört und so blieb ihm nur das Kissen, das er sich bis zum Kinn zog. Er war versucht seine Brille abzunehmen, damit er nicht mehr gut sehen konnte, aber das würde garantiert auffallen.

»Rei?«, flüsterte Nagisa neben ihm.

Er schluckte und versuchte möglichst ruhig und gefasst zu wirken, aber Nagisa kicherte leise und plötzlich schob sich eine Hand auf seine Brust und blieb dort liegen, wo sein Herz aufgeregt pochte. Das war unfair! Nagisas Hände trugen nur dazu bei, dass es noch schneller hämmerte, es war eindeutig ein verfälschtes Ergebnis!
 

»Ich hab keine Angst!«, zischte Rei aufgebracht und er sah aus dem Augenwinkel, wie Nagisa sich schmunzelnd auf die Unterlippe biss.

»Ok«, kam die verschmitzte Antwort und Nagisas Hand wanderte von seinem Brustkorb zu seiner Seite und kroch unter das Kissen. Sein Herz würde jeden Augenblick explodieren, soviel war klar. Wenigstens musste er dann diesen schrecklichen Film nicht weiter anschauen. Er hätte es so machen sollen wie Kou.

»Oh nein, Jungs, ohne mich! Horrorfilme sind nichts für mich!«

Aber dann hätte er zugeben müssen, dass er sich fürchtete, und das kam nicht in die Tüte.
 

Schmale Finger schlossen sich fest um seine Hand und Rei brauchte einen peinlich langen Moment, um zu begreifen, dass Nagisa seine Hand hielt. Nagisa wusste ganz genau, dass Rei Angst hatte. Es war zum Verzweifeln. Andererseits fühlte sich Nagisas Hand angenehm warm an und Rei ertappte sich dabei, wie er die schlanken Finger etwas fester drückte. Sicher würde Nagisa das auch tun, wenn Makoto Angst hätte. Nagisa fasste dauernd alle Leute an. Es war nichts Besonderes...
 

Bildete er sich das nur ein, oder war Nagisa noch näher gerutscht? Er hatte seit mehreren Minuten nicht mehr auf den Film geachtet und erschreckte sich beim Anblick des aus dem Fernseher kriechenden Ekelmädchens beinahe zu Tode. Gerade so schaffte er es ein erniedrigendes Geräusch zu unterdrücken, ließ alle Farce fallen und drückte sich das Kissen ins Gesicht.

»Rei?«, flüsterte Nagisas Stimme viel zu nah an seinem Ohr.

»Hmpf«, gab er undeutlich zurück. Es war unlogisch, dass er Angst vor einem Film hatte. Es war unlogisch, dass er Nagisas Hand nicht mehr loslassen wollte. Sein Leben hatte eindeutig an Struktur verloren, seit er diesem verdammten Schwimmclub beigetreten war.
 

Nagisas andere Hand kroch in seinen Nacken und strich über die feinen Härchen dort, streichelte über seinen Kopf, seine Schulter und kitzelte ihn am Hals. Reis Kopf schaltete sich ab und er schloss hinter dem Kissen die Augen. Es roch nach Nagisa.

»Du hättest sagen können, dass du keine Horrorfilme magst«, flüsterte Nagisa und sein Atem streifte Reis Ohr. Dieser kleine Teufelsbraten machte das doch garantiert mit Absicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass Nagisa ganz genau wusste, was für einen Effekt er auf Rei hatte, lag bei über 97 Prozent, soviel stand fest.
 

»Ich wollte aber gern dabei sein«, grummelte Rei ins Kissen und er wusste nicht, ob Nagisa ihn überhaupt verstand.

»Du wolltest nicht zugeben, dass du Angst hast«, meinte Nagisa und Rei hörte deutlich an seiner Stimme, dass er grinste. Er hätte Nagisa gern erwürgt.

»Hmpf.«

Finger legten sich um sein Kinn, drehten seinen Kopf zur Seite und er wollte einen Augenblick lang fragen, was nun los war, aber er kam nicht dazu. Nagisas Kopf verschwand ebenfalls hinter dem Kissen und weiche Lippen drückten sich plötzlich auf seine. Es kam nicht oft vor, dass Rei nicht mehr denken konnte, aber in diesem Moment war sein Kopf so leer wie ein abgelassener Swimming Pool.
 

Es war so schnell vorbei, wie es begonnen hatte und alles, was Rei von dem Kuss blieb, war ein heißes Kribbeln auf seinen Lippen und ein heftiges Pochen in seinem Brustkorb.

»Keine Sorge, Rei. Ich beschütz dich vor Sadako«, versicherte Nagisa ihm flüsternd. Rei hatte noch nie jemanden geküsst. Er hatte noch nie mit jemandem Händchen gehalten. Mit hochroten Wangen warf er einen Blick hinüber zu Nagisa, der zufrieden vor sich hinlächelte. Langsam ließ er das Kissen sinken und zwang sich dazu, weiter den Film anzustarren. Vielleicht waren sie ja doch nicht ganz so übel, diese Horrorfilme.

Verschwörungstheorien

Rin war misstrauisch. Ai verhielt sich seit anderthalb Wochen ausgesprochen merkwürdig und geheimniskrämerisch. Er verließ häufiger ihr gemeinsames Zimmer, als er das für gewöhnlich tat, er schrieb auch eindeutig seltener in sein komisches Tagebuch. Rin konnte es selbstredend völlig egal sein, was Nitori so außerhalb des Schwimmens trieb, solange er sich bemühte, seinen Schreibtisch so ordentlich wie möglich zu halten und morgens nicht viermal nach dem Klingeln seines Weckers geweckt werden musste, damit er endlich aufstand.
 

Rin hatte Nitori einmal gefragt, wo er sich denn herumtrieb, wenn er das Zimmer so häufig verließ, aber Nitori war nur knallrot angelaufen und hatte etwas von »wichtigen Erledigungen« genuschelt, bevor er Hals über Kopf geflohen war. Vielleicht hatte Ai eine Freundin und er traute sich nicht, Rin davon zu erzählen. Konnte ja sein, dass der Kleine versteckten Charme und Talente hatte, von denen Rin nichts wusste. Es ging ihn nichts an, mit wem Ai sich heimlich traf. Auch wenn Rin befand, dass er ihm ruhig hätte sagen können, wenn er eine Freundin hätte.
 

Eines Mittwochnachmittags nach dem Schwimmtraining war Ai eifrig damit beschäftigt, seine Schultasche für den nächsten Tag zu packen und als er damit fertig war, warf er einen nervösen Blick auf Rin, der auf seinem Bett lag, um dort in einem seiner Sportmagazine zu lesen.

»Senpai, ich bin dann mal weg«, erklärte Ai und Rin beobachtete ihn dabei, wie er rote Ohren bekam und unruhig mit den Füßen auf dem Boden herum scharrte. Rin fragte sich, wieso zum Teufel Ai ihm nicht einfach von seiner neuen Liebschaft erzählte. Tatsächlich fühlte er sich etwas beleidigt, wenn er länger darüber nachdachte. Immerhin waren sie Teamkollegen und teilten sich ein Zimmer.
 

»Wohin geht’s denn?«, fragte Rin und versuchte dabei so lässig wie möglich zu klingen. Ai wurde augenblicklich noch röter im Gesicht und Rin hob die Augenbrauen. Wenn Nitori jetzt nicht damit heraus rückte, dann musste Rin vielleicht einfach selbst herausfinden, wo genau sein Zimmergenosse sich herumtrieb, wenn er so geheimniskrämerisch tat.
 

»Äh… ich muss nur…«
 

»Dinge besorgen?«
 

»G…genau! Bis später, Matsuoka-senpai!«
 

Und mit diesen hastig gemurmelten Worten war Ai zur Tür gehastet und dahinter verschwunden. Rin sah noch, wie die Tür zuging, da war er schon auf den Beinen und stapfte los, um dieser Geheimniskrämerei endlich ein Ende zu bereiten. Er drückte die Klinke hinunter und vergaß für einen Moment, dass draußen Winter war und er lediglich Socken trug. Doch wie es sich herausstellte, musste er Ai gar nicht durch das ganze Wohnheim und hinaus auf die Straße folgen, um herauszufinden, mit wem er sich traf.
 

Rin spähte durch den geöffneten Türspalt und sah gerade noch, wie Ais Haarschopf hinter Mikoshiba-buchous Tür verschwand. Rin starrte quer über den Flur hinüber zu der Stelle, an der er Ai gerade noch gesichtet hatte. Was zur Hölle sollte das? Wieso traf Nitori sich heimlich mit Mikoshiba-buchou? Was genau taten die beiden da allein im Zimmer des Captains? Rin stellte fest, dass sein Herz ziemlich heftig gegen seinen Brustkorb schlug. Vermutlich, weil er so empört war. Ai hätte ihm jawohl sagen können, wenn er sich von Mikoshiba Nachhilfe in Mathe geben ließ! Aber tat er das?
 

Rins Gehirn spuckte mehrere nicht jugendfreie Bilder aus, was eindeutig nicht hilfreich war und auch garantiert keinesfalls der Realität entsprach. Rin schloss die Tür wieder und stand einige Augenblicke wie der letzte Vollidiot mitten im Zimmer, ehe er sich entschloss, dass ihn all das wirklich nichts anging und Ai turteln konnte, mit wem er wollte.
 

Andererseits war Mikoshiba ihr Trainer und ein älterer Schüler und er sollte seine Position nicht ausnutzen, um den naiven und unwissenden Ai für… für Dinge auszunutzen! Rin ging insgesamt dreimal im Zimmer auf und ab, blieb vor der Tür stehen, schüttelte über sich selbst den Kopf und ging zurück zum Bett, um sich dort wieder seinem Sportmagazin zu widmen. Aber es half alles nichts. Nach vier Minuten hatte er einen hochroten Kopf, weil er sich alle möglichen und unmöglichen Dinge vorgestellt hatte, die Mikoshiba-buchou und Nitori im Zimmer schräg gegenüber wohl trieben und schließlich riss er doch die Tür auf und stapfte hinüber zum Zimmer seines Captains.
 

Wie konnte Mikoshiba-buchou das nur tun? Ai war unschuldig und treudoof und er wusste vermutlich gar nicht, in was er sich hinein geritten hatte! Rin klopfte energisch gegen die Tür und legte sich im Kopf all die Dinge zurecht, die er sagen würde. Doch als Mikoshiba die Tür öffnete und nur in einer Trainingshose vor ihm stand und verwirrt dreinblickte, entgleisten Rin lediglich die Gesichtszüge und er sah all seine schlimmsten Vermutungen bestätigt.
 

»Ah, Rin. Was gibt’s?«, fragte Mikoshiba mit einem schiefen Grinsen. Rin hätte gern einen Blick an seinem Captain vorbei ins Zimmer zu werfen, aber Mikoshiba war ziemlich groß und breit und Rin fragte sich, wie er nicht hatte wissen können, dass Ai auf diese Dinge abfuhr. Für einen Kerl sah Mikoshiba vermutlich nicht allzu schlecht aus, zugegeben. Aber wieso würde Nitori ihm all das verschweigen?
 

»Was machst du grad?«, fragte Rin und verschränkte die Arme vor der Brust. Er war empört. Was genau sollte an Mikoshiba-buchou besser aussehen, als an ihm? Rin hatte immer den Eindruck gehabt, dass Ai ihn am liebsten mochte aus ihrem Schwimmteam. Und jetzt das!
 

»Ach, ein paar Liegestützen und so. Ich muss ein bisschen überschüssige Energie abbauen«, erklärte Mikoshiba grinsend und Rin war über seine Unverfrorenheit fast ein bisschen überrascht. Er verengte die Augen zu Schlitzen.
 

»Wolltest du nicht immer mit meiner Schwester ausgehen?«, fragte er scharf. Mikoshiba blinzelte und hob seine Brauen.
 

»Wie kommst du denn jetzt darauf?«
 

»Weil du jetzt offensichtlich von anderen Ufern fischst!«
 

»Was? Ich hab keine Ahnung, wovon du redest. Hast du getrunken? Ich hoffe, dir ist klar, dass ich das als Captain nicht verantworten ka–«
 

Rin hatte die Schnauze voll. Er schob Mikoshiba beiseite und machte sich aufs Schlimmste gefasst. Ai saß auf Mikoshibas Schreibtischstuhl und starrte ihn aus großen, blauen Augen an. Rin starrte zurück. Ai war vollständig bekleidet und hielt Strickzeug in den Händen. Ein langer, dunkelblauer und sehr wollig-weicher Schal lag in seinem Schoß.
 

»Senpai! Was machst du denn hier?«
 

Ai war sehr bemüht den Schal hinter seinem Rücken verschwinden zu lassen.
 

»Nach dir sehen!«, entgegnete Rin aufgebracht. Nitori sah sehr kläglich aus und ließ den Kopf hängen.
 

»Aber senpai, jetzt hast du dein Geburtstagsgeschenk schon gesehen«, meinte er niedergeschlagen und Rins Augen flackerten zu dem unfertigen Schal hin, der nun hinter Ai vom Stuhl hinunter und auf den Boden hing. Geburtstagsgeschenk. Oh, Mist.
 

»Ich dachte… du hättest eine Freundin, von der du mir nicht erzählt hast«, sagte Rin matt, während sich Mikoshiba sich an ihm vorbei schob und ihm einen halb missbilligenden und halb amüsierten Blick zuwarf.

»Dachtest du wirklich, dass ich mit Nitori hier drin Bettgymnastik veranstalte?«, wollte er wissen und Rin spürte, wie seine Wangen aufflammten.
 

»Vergiss es. Sorry für die Störung«, murmelte er und drehte sich um.
 

»Senpai!«
 

»Hm?«
 

»Darf ich dir den Schal übermorgen trotzdem schenken?«
 

»Was für ‘ne blöde Frage!«, raunzte er über seine Schulter und verließ dann eilig das Zimmer. Er atmete tief durch und schluckte, bevor er sich auf den Weg zurück in sein eigenes Zimmer machte. Aus unerfindlichen Gründen fühlte er sich leicht wie eine Feder, als er die Tür hinter sich schloss und daran dachte, dass Ai für ihn ein Geschenk selbst machte. Er würde sich übermorgen anständig dafür bedanken und Nitori zu einem Milchshake einladen und Mikoshiba-buchou eventuell doch noch gestatten, Kou um ein Date zu bitten.

Nervositäten

Rei wollte nicht nervös sein. Er hatte versucht sich zu beruhigen und das seit etwa drei Tagen, aber das Gefühl schien zu tief zu sitzen. Vielleicht hatte es sich eingebrannt und würde nicht mehr weggehen. Rei seufzte und schob seine Brille nach oben. Er hatte sich wirklich für seine Freunde und Rin gefreut. Darüber, dass sie endlich wieder zueinander gefunden hatten und dass Rin endlich seine merkwürdigen Komplexe überwunden zu haben schien. Er war eindeutig wieder besser gelaunt als vorher und blickte nicht dauernd so grimmig drein.
 

Das Problem daran war, dass Rin ein sehr viel besserer Schwimmer war als Rei. Und was, wenn Rin nun beschloss, doch noch die Schule zu wechseln und sich ihrem Club anzuschließen? Dann würde er Rei sicherlich ersetzen. Was natürlich das Beste für das Team war, wenn sie weiterhin Wettbewerbe gewinnen wollten. Aber Rei wollte nicht ersetzt werden, er wollte weiter mit den anderen Dreien schwimmen.
 

Er fühlte sich sehr heuchlerisch. Erst hatte er alles unternommen, um die Vier wieder zueinander zu führen und jetzt kaute er nervös an seinem Daumennagel und wanderte in seinem Zimmer auf und ab, weil er den Gedanken nicht loswurde, dass er austauschbar war. Rei fühlte sich lächerlich. Er warf einen Blick aus dem Fenster und seufzte. Vielleicht würde ein wenig Bewegung ihn aufheitern und beruhigen und das nervöse Herzklopfen durch ein angestrengtes ersetzen.
 

Sich selbst innerlich tadelnd zog er sich um, als auf dem Bett sein Handy vibrierte.
 

»Rei-chan! Wo treibst du dich rum? Wir haben dich seit Tagen nicht gesehen!«
 

Rei seufzte und starrte die SMS an. Nagisa würde ihn auslachen, wenn er wüsste, wie Rei sich anstellte. Nagisa, der sich so unglaublich über ihren Sieg gefreut hatte, der Rin mehrmals umarmt hatte, der auf ein Foto bestanden hatte… Rei seufzte.
 

»Ich gehe joggen. Hatte viel zu tun in den letzten Tagen.«
 

Er schickte die SMS ab, warf das Handy aufs Bett und verließ das Haus, um sich die Nervosität von der Seele zu rennen. Nach einer Stunde war er unheimlich erschöpft und stellte fest, dass er vorm Gebäude seiner Schule gelandet war. Sein Herz hämmerte immer noch, aber jetzt lag es an der vielen Bewegung, was Rei ein wenig beruhigte. Allerdings konnte er kaum den ganzen Tag durch die Gegend rennen, um sich einzureden, dass er diese elende Nervosität nicht mehr spürte.
 

Frustriert suchte er seinen Weg zum Pool, zog seine Turnschuhe aus und hängte seine nackten Füße in das kühle Wasser. Wenn er auch so gut schwimmen könnte wie Rin, dann würde er sich nicht so miserabel fühlen. Rin hatte gesagt, sein Schwimmstil wäre eine Beleidigung für seine Augen. Rei bestand für gewöhnlich darauf, bei allem so schön wie möglich auszusehen, aber beim Schwimmen schien es ihm einfach nicht zu gelingen. Es war beeindruckend genug, dass er noch nicht den Drang verspürt hatte, alles hinzuschmeißen. Wenn er bei etwas nicht gut aussah, was für einen Sinn hatte es dann noch, dass er es weiterhin versuchte? Er dachte daran, was sein alter Hochsprung-Trainer zu ihm gesagt hatte. Dass Rei es nicht weit bringen würde, wenn er immer nur auf perfekte Technik bedacht war. Aber das war nun einmal seine Art. Das war es, was ihn ausmachte.
 

Rei würde gern in den Pool steigen, aber im Gegensatz zu Haruka hatte er nicht immer eine Badehose unter seiner Kleidung und vermutlich würde er kläglich ertrinken, wenn er es ohne Aufsicht versuchte. Wie erbärmlich.

»Hey, Rei-chan!«
 

Rei blinzelte und schaute auf. Nagisa ließ sich neben ihn auf den Beckenrand sinken und steckte seine ebenfalls nackten Füße ins Wasser. Er sah bestens gelaunt aus und Rei war sich übermäßig bewusst, dass er schwitzte und sein weißes Shirt an seinem Oberkörper klebte und er alles in allem ganz bestimmt nicht sehr schön aussah.
 

»Woher wusstest du, dass ich hier sitze?«, fragte Rei verwirrt. Mittlerweile hatte sich das hektische Herzklopfen, das ihm das Joggen beschert hatte, gelegt und die beklemmende Nervosität war zurück, gepaart mit der üblichen Aufregung, die er verspürte, wenn er mit Nagisa allein war. Sein Leben hatte sich offiziell in einen Witz verwandelt. Einen chaotischen Witz. Rei konnte Chaos nicht ausstehen.

»War nur so ’ne Vermutung«, sagte Nagisa leichthin, als wäre es völlig natürlich jemanden, den man nicht allzu lange kannte, überall ausfindig machen zu können. Rei seufzte und wünschte sich dumpf, Nagisa genauso gut zu kennen, wie Rin. Es war ein Teufelskreis.
 

»Rei-chan, du siehst sehr unglücklich aus«, informierte Nagisa ihn und rutschte ein Stück näher. Rei klammerte sich am Beckenrand fest und versuchte, keinen nervösen Schock zu erleiden, weil Nagisa ihm plötzlich so nahe war.

»Es ist nichts«, sagte er und er hörte selber, wie niedergeschlagen seine Stimme klang. Nagisa beobachtete ihn von der Seite und Rei spürte, wie ihm noch heißer wurde, als ihm vom Laufen ohnehin schon war.
 

»Ist es wegen Rin-chan?«, wollte Nagisa wissen. Rei schluckte und wollte den Kopf schütteln, aber stattdessen ließ er ihn nur hängen und seufzte schwer. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Nagisa scheinbar verstehend nickte.

»Du musst dir keine Sorgen machen, Rei-chan. Wir Vier bleiben ein Team«, erklärte Nagisa. Rei spürte zu seinem grenzenlosen Entsetzen, dass seine Augenwinkel brannten und er nahm seine Brille ab, wobei er vorgab, sie zu putzen. Heftig blinzelnd wischte er mit seinem Tshirt-Saum auf seinen Brillengläsern herum.
 

»Als würde ich dich wieder hergeben«, meinte Nagisa neben ihm und Rei ließ beinahe seine Brille in den Pool fallen. Sein Magen machte einen Salto.

»Es hat ewig gedauert, dich zu überzeugen, endlich beizutreten! Ohne dich hätten wir den Club gar nicht gründen können, weißt du?«

Rei wusste nicht, was er sagen sollte. Seine Gedanken fühlten sich an wie ein riesiger Strudel, der ihn mitzureißen drohte. Er konnte kaum verarbeiten, dass Nagisa so nah bei ihm saß, geschweige denn die Dinge, die er ihm gerade gesagt hatte. Rei spürte, wie das tonnenschwere Gewicht, das er in den letzten Tagen mit sich herumgetragen hatte, etwas leichter wurde. Die Nervosität war immer noch da, aber wer wusste schon, ob das mittlerweile nicht an Nagisas Nähe lag. Rei räusperte sich, setzte seine Brille zurück auf die Nase und wagte es, den Kopf zu drehen, um Nagisa anzuschauen.
 

»Ah, ich hab noch was für dich!«, sagte Nagisa begeistert und fing an, in seiner Hosentasche herumzuwühlen. Rei musterte ihn. Nagisas Gesicht leuchtete immer so vor lauter Begeisterung und Enthusiasmus, vielleicht war es das, was Rei an ihm am schönsten fand. Sich verlegen räuspernd schob er seine Brille nach oben und wandte den Blick ab, damit er sich nicht noch vollkommen blamierte. Im nächsten Moment wurde etwas Kleines in sein Sichtfeld geschoben und er musste den Kopf ein wenig nach hinten lehnen, um es klar zu erkennen. Es war der ziemlich hässliche Pinguin, den Haruka und Nagisa als Maskottchen für den Iwatobi-Schwimmclub entworfen hatten. Er sah genauso scheußlich aus, wie beim ersten Mal, als Rei ihn gesehen hatte, aber er streckte die Hand danach aus und kramte seinen Schlüssel hervor, um ihn daran zu befestigen.
 

»Da du jetzt in deinem ersten Turnier mit uns geschwommen bist und alles. Ich dachte, Iwatobi-chan würde sich gut bei dir machen«, sagte er strahlend und Rei wollte Nagisa wirklich sehr dringend küssen. Er hatte sich noch nie so sehr über so etwas Hässliches gefreut.

»Danke«, brachte er etwas heiser hervor und Nagisa kicherte leise, eher er sich hastig vorbeugte und seine Lippen kurz auf Reis Mund drückte.
 

Rei saß da wie gelähmt und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Sein Herz hatte wieder begonnen zu hämmern.

»Gern geschehen, Rei-chan. Wollen wir ein Eis essen gehen?«
 

»Ich sehe schrecklich aus«, krächzte Rei und deutete an sich herunter. Nagisa winkte ab.
 

»Du siehst wunderschön aus, wie immer, Rei-chan. Red keinen Unsinn.«
 

Rei rappelte sich mit Müh und Not auf und folgte Nagisa barfuß. Er war immer noch schrecklich nervös, aber diesmal war es eindeutig ein viel besserer Grund als vorher.

Definitionsprobleme

»Sag mal, Rin. Was läuft eigentlich zwischen dir und diesem Ryugazaki Typen?«
 

Rin wusste, dass Sousuke diese Frage schon länger auf der Zunge brannte, aber Rin konnte sie seinem besten Freund genauso wenig beantworten, wie sich selbst. Es war eine komische Sache, die sich da zwischen ihm und Rei abspielte. Am Anfang war alles recht einfach gewesen. Rin hatte Rei als seine Rivalen angesehen, Rei hatte Rin als seinen Rivalen angesehen. Sie hatten sich übereinander empört, Rin hätte Rei beinahe einen ordentlichen Kinnhaken verpasst und dann… dann hatte Rei alles kompliziert gemacht, als er Rin beim Relay seinen Platz überlassen hatte.
 

Rin würde gerne sagen, dass er Rei einmal gedankt hätte und sich die ganze Geschichte dann erledigt hatte. Aber so war es nicht. Stattdessen war Ryugazaki Rei in Rins Schwimmhalle aufgetaucht und hatte sich so tief vor ihm verneigt, dass Rins Ohren ganz warm geworden waren, weil all seine Teamkameraden zuschauten und sich fragten, was genau da zwischen ihrem Kapitän und diesem merkwürdigen Kerl mit Brille und der steifen Haltung vor sich ging.
 

»Bitte unterrichte mich im Schwimmen!«
 

Rins erster Impuls war es gewesen, diese Bitte abzulehnen. Er war ein vielleicht ein halbwegs brauchbarer Kapitän, aber er war kein Lehrer und abgesehen davon hatte er zwischen der Schule und dem regulären Training kaum Zeit seine Hausaufgaben zu machen und sich ein mehr oder minder aktives Sozialleben zu erhalten. Und bislang hatte Rei eindeutig nicht zu seinem Sozialleben gehört.
 

Aber dann hatte Rin sich an Reis Gesicht erinnert, an seine Entschlossenheit das alte Team noch einmal zusammen schwimmen zu lassen, an seine Aufopferungsbereitschaft. Ohne Rei wäre Rin immer noch der wütende und verbitterte junge Mann, der aus Australien zurückgekehrt war, um Haru zu besiegen. Jetzt war alles anders.
 

»Na schön«, hatte er gesagt und sich peinlich berührt am Hinterkopf gekratzt.
 

Rei war mit leuchtenden Augen und einem strahlenden, hoffnungsvollen Lächeln aus seiner Verbeugung aufgetaucht und hatte in Rins Magengegend ein merkwürdiges Holpern ausgelöst, über das er sich besser keine Gedanken hatte machen wollen.

»Um sieben bin ich hier fertig, wenn du willst, kannst du solange warten.«
 

Und Rei hatte gewartet.
 

Rin war sich heute nicht mehr sicher, ob dieses Ding zwischen ihnen in diesem Moment begonnen hatte, oder damals, als Rin Rei zum ersten Mal dabei beobachtet hatte, wie er seinen Platz im Iwatobi Schwimmclub eingenommen hatte.
 

Die Stunden, die Rin abends mit Rei verbrachte, waren anders, als er es sich ursprünglich vorgestellt hatte. Am Anfang hatte Rin ziemlich krampfhaft versucht, ein wenig Smalltalk zu führen, aber es war recht schnell klar gewesen, dass Rei daran genauso wenig Interesse hatte wie Rin. Meistens arbeiteten sie schweigend, wenn es nicht darum ging, dass Rin Rei irgendwelche Techniken erklärte. Nach vier Treffen entspannte Rin sich. Das hier war eigentlich nicht großartig anders als das Training mit seiner Mannschaft, bis auf die Tatsache, dass er seine Aufmerksamkeit lediglich einer Person widmete.
 

Reis Körper war gut trainiert und Rin erfuhr bei ihrem fünften Treffen, dass Rei früher Leichtathletik betrieben hatte, bevor Nagisa in seinem Leben aufgetaucht und ihn dazu überredet hatte, dem Schwimmclub beizutreten. Rin störte sich für sich gewöhnlich nicht daran, andere Männer anzufassen. Da man beim Schwimmen dauernd beinahe nackt war und viele Dehn- und Aufwärmübungen Körperkontakt erforderten, war nackte Haut unter seinen Fingern etwas, das er gewöhnt war.
 

Wie es sich herausstellte, war an Reis Haut irgendetwas anders.
 

Wenn Rins Hände auf Reis Rücken lagen, um ihm eine Hilfestellung beim Rückenschwimmen zu geben, dann schien es, als wären Rins Sinne übermäßig geschärft und als hätte sich das Gefühl in seinen Fingerspitzen um ein Vielfaches verstärkt. Reis Haut unter seinen Fingern löste ein seltsames Kribbeln in seinen Händen aus und flutete von diesem Punkt an durch seinen ganzen Körper. Egal, wie lange sie im kalten Wasser standen und trainierten, Rin fror niemals. Der ständige Körperkontakt mit Rei hielt ihn wärmer als ein Thermo-Taucheranzug. Rin ignorierte die bohrende Frage in seinem Hinterkopf, was genau das zu bedeuten hatte.
 

Als Rei zum ersten Mal erfolgreich ein paar Züge im Bruststil absolvierte und aus seiner Versenkung auftauchte, schaute er Rin mit riesigen, leuchtenden Augen an, die sich in Rins Kopf zu bohren schienen und aus unerfindlichen Gründen ein heftiges Stolpern in seinem Brustkorb verursachten.
 

»Du hast es geschafft!«, sagte er und grinste breit. Sein Gesicht fühlte sich an, als würde es in eine Starre verfallen, so weit reichte sein Grinsen. Es fühlte sich an, als wäre es in seinem Gesicht festgeklebt, so sehr freute er sich über Reis Erfolg. Zu seinem Entsetzen sah er ein paar Tränen in Reis Augen glitzern.
 

»Vielen Dank, Rin-san!«
 

Und Rei verbeugte sich schon wieder, nur dass diese Haltung inmitten eines Schwimmbeckens zur Folge hatte, dass Reis Gesicht unter Wasser geriet und er vor lauter Schreck Wasser einatmete und anfing zu husten. Sie wateten zum Beckenrand und Rin klopfte Rei kräftig auf den Rücken, bis dieser schwer atmend aufhörte zu husten.
 

Sie hockten eine Weile schweigend am Beckenrand, bis Reis Kopf zu ihm herum schoss und ihn mit hochroten Wangen ansah. Dieser Anblick verursachte erneut ein Stolpern in Rins Brust. Er ignorierte es geflissentlich.

»Kann ich irgendetwas für dich tun, Rin-san? Als Dank für deine Mühe?«
 

Rin schluckte und verfluchte sein Gehirn, das sofort einige Ideen ausspuckte, die die Temperatur in Rins Wangen und Ohren zum Explodieren brachten. Er schnaubte, schüttelte den Kopf und wandte den Blick peinlich berührt zur Decke.

»Blödsinn. Du hast schon genug getan«, brummte er verlegen.
 

Nein, Rin hatte keine Ahnung, was genau sich zwischen ihnen abspielte und er war sich nicht einmal sicher, ob er es überhaupt wissen wollte.
 

*
 

An einem Donnerstagabend nach einer ausführlichen Trainingseinheit fürs Rückenschwimmen fand Rin heraus, dass Rei immer kalte Füße hatte. Er reihte diese Information in den zunehmend länger werdenden Katalog ein, den er mittlerweile über Ryugazaki Rei in seinem Kopf führte. Die Tatsache, dass Rin sich all diese Dinge merkte, sagte ihm, dass etwas mit seinen Gefühlen im Busch war, aber er weigerte sich auch weiterhin, weiter darüber nachzugrübeln. Er ignorierte Sousukes Blicke und Ais interessierte Gesichtsausdrücke und Momos bohrende Fragen und Kous amüsiertes Grinsen.
 

Doch an diesem Donnerstagabend hatte die Welt offenbar beschlossen, ihm weitere Ignoranz zu verwehren. Denn nachdem sie geduscht und sich angezogen hatten, richtete Rei sich zu seiner vollen Größe auf und holte tief Luft.

»Rin-san, ich habe eine Frage.«
 

Rin blinzelte verwirrt und nickte auffordernd, während er seine Hände in seinen Hosentaschen vergrub. Rei kaute einen Moment lang auf seiner Unterlippe herum und Rin ertappte sich dabei, wie seine Augen einen Wimpernschlag zu lange auf Reis Mund verweilten. Dann…

»Was genau ist die Natur unserer Beziehung?«
 

Rins Augen weiteten sich. Rei sah ausgesprochen entschlossen, aber auch unsicher aus. Rin hatte eine Sekunde lang den Impuls zu lachen, weil die Formulierung der Frage so sehr nach Rei klang, dass es einer gewissen Komik nicht entbehrte. Allerdings löste der Inhalt des Gefragten einen waren Trommelwirbel in seiner Brust aus und er spürte, wie seine Ohren aufflammten. Er pustete sich eine Haarsträhne aus der Stirn und sah hoch zur Decke, während er mit gelähmtem Gehirn darüber nachdachte, was genau er darauf antworten sollte.
 

»Keine Ahnung«, brummte er schließlich und zuckte mit den Schultern. »Wieso ist das wichtig?«
 

Als er es schaffte, seinen Blick erneut auf Rei zu richten, war dieser gerade dabei seine Brille hochzuschieben und den Kopf zu senken.

»Wahrscheinlich ist es nicht wichtig. Verzeihung!«
 

Mit diesen Worten verbeugte er sich – etwas, das Rei dauernd tat und was Rin zugegebenermaßen ziemlich verwirrte – und hastete aus der Umkleidekabine. Rin hatte das eindeutige Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben.
 

*
 

Rin stand vor einem Ladentisch mit verschiedenfarbigen Thermosocken, während Sousuke sich neben ihm einige lange Badehosen anschaute.

»Wozu brauchst du Thermosocken?«, erkundigte sich sein bester Freund interessiert. Rin war in Gedanken versunken und nahm ein rotes und zugegebenermaßen ziemlich flauschiges Paar Socken in die Hand.
 

»Brauch ich nicht. Rei hat dauernd kalte Füße«, murmelte er abwesend und sah erst auf, als es in seinem Nacken kribbelte und Sousuke mehrere lange Momente nicht geantwortet hatte. Als Rin den Kopf hob und sein Blick die Augen seines besten Freundes fanden, wurde ihm ein wenig heiß vor Verlegenheit. Sousuke musterte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen und leicht schief gelegtem Kopf.
 

»Socken für Ryugazaki, huh?«
 

Rin schnaubte und wandte sich ab.
 

»Na und? Ist jawohl nichts dabei. Ich will ihm schließlich kein Bento machen«, gab er ungnädig zurück und ließ Sousuke stehen, um die roten Socken zu bezahlen. Rei hatte er es schließlich zu verdanken, dass er seinen alten Groll hatte begraben können und es ließ sich nicht verleugnen, dass er seitdem ein sehr viel glücklicherer Mensch war. Also wieso sollte er nicht mit einer bedeutungslosen Kleinigkeit dazu beitragen, dass es Rei auch ein wenig besser ging?
 

Rin entging es nicht, dass Sousuke ihn den Rest des Tages schmunzelnd und mit amüsiert funkelnden Augen beobachtete, was Rin beinahe an den Rand des Wahnsinns trieb. Er war in Gedanken ein paar Stunden weiter voraus bei seinem erneuten Training mit Rei, daher konnte er Sousukes Ablenkungen wirklich nicht auch noch gebrauchen, während er das reguläre Training leitete.
 

Er stand mit Jogginganzug, Pfeife und Stoppuhr am Rand des Beckens und feuerte seine Teamkameraden zu Höchstleistungen an, als sein Handy in seiner Tasche vibrierte. Möglichst unauffällig genehmigte er sich einen Blick auf das blinkende Display.
 

»Rin-san, ich muss das Training heute Abend ausfallen lassen. Entschuldige die Umstände, Rei.«
 

Rin spürte, wie sein Magen ihm zwischen die Kniekehlen rutschte. Er hatte das sehr dumpfe Gefühl, dass Reis Absage etwas mit ihrem letzten Gespräch zu tun hatte. In seiner Trainingstasche, sorgfältig in Packpapier gewickelt, lagen die roten Socken.
 

*
 

»Rin-chan, hast du Rei-chan gesagt, dass er dir egal ist?«
 

Rin blinzelte erstaunt und verwirrt angesichts der ihm wohl bekannten Stimme, die hinter ihm ertönte. Er hatte Nagisa nicht kommen hören, was ungewöhnlich genug war. Noch ungewöhnlicher war das ernste Gesicht, mit dem Nagisa ihn musterte, als Rin sich zu seinem ehemaligen Teamkameraden umdrehte und zu ihm hinunter schaute.
 

»Was bitte?«
 

Nagisa runzelte die Stirn und sah auf eine komische Art und Weise streng aus. Rins Herz hüpfte bei der Erwähnung von Reis Namen. Es wurde vielleicht wirklich langsam Zeit, dass er sich näher mit seinen… Gefühlen…

»Rei glaubt, dass er dir nicht wichtig ist! Hast du ihm sowas gesagt, Rin-chan? Ich finde das nicht in Ordnung, nach allem, was Rei-chan für dich getan hat!«
 

»Wa–? Sowas hab ich nie gesagt! Ich habe nur gesagt, dass es doch eigentlich nicht wichtig ist, wie genau unsere Beziehung zueinander ist!«
 

Nagisa sah Rin mitleidig und mit einem Hauch von Empörung an.

»Rin-chan, du bist sehr unsensibel«, tadelte Nagisa ihn und schüttelte theatralisch den Kopf. »Alle anderen sind sauer auf dich. Mako-chan hat missbilligend den Kopf geschüttelt, soweit ist es gekommen! Du solltest dich wirklich bei Rei-chan entschuldigen.«
 

Rin rauschten die Ohren und sein Gehirn fühlte sich an wie ein Klumpen Blei. Er hatte überhaupt nicht ausdrücken wollen, dass Rei ihm nicht wichtig war. Alles, was er hatte tun wollen, war, sich darum zu drücken, ihrer merkwürdigen Beziehung einen Namen zu geben! Rin fühlte sich missverstanden und ein wenig elend angesichts der Tatsache, dass Makoto missbilligend den Kopf über ihn geschüttelt hatte. Wenn so etwas passierte, dann war es wirklich ernst.
 

»Rei hat da was falsch verstanden, ich hab nicht–«
 

»Dann solltest du ihm das dringend mitteilen, Rin-chan. Mittlerweile musst du doch gelernt haben, dass es am besten ist, wenn man über seine Gefühle redet.«
 

Nagisa sah ihn streng an und gab ihm einen Klaps auf die Schulter, dann wirbelte er herum und rauschte von dannen, als wäre er tatsächlich nur für diese kurze Unterhaltung hier herein geschneit. In seine Schwimmhalle. Es entging Rin nicht, dass die Hälfte seines Teams ihn beobachtete und er wusste auch, dass seine Ohren wieder einmal die Farbe von reifen Tomaten angenommen hatten, also blies er heftig in seine Trillerpfeife und alle zuckten zusammen.
 

»Zehn Runden Bruststil für alle!«, donnerte er ungehalten. Sousuke stand neben ihm und lachte leise.
 

»Halt die Klappe, Sousuke.«
 

»Du musst es ja richtig versaut haben, wenn Makoto den Kopf über dich schüttelt.«
 

»Ich weiß«, knirschte Rin und verschränkte die Arme vor der Brust. Sousuke haute ihm kumpelhaft auf den Rücken und feixte ihn bestens gelaunt von der Seite an.
 

»Du kriegst das schon hin. Vielleicht solltest du dir das mit den Rosen doch noch mal überlegen, du Herzensbrecher.«
 

*
 

Rin hatte sich sehr genau überlegt, wie er Rei erklären würde, dass er ihm ganz und gar nicht egal war. Mindestens sechs Mal war er seine kleine Rede im Geiste durchgegangen.
 

»Hallo, Rin-san.«
 

»Es tut mir Leid, dass ich ein Arsch war! Ich hab dir Socken gekauft, weil deine Füße immer kalt sind!«
 

Ein Moment dröhnender Stille kehrte ein, während Rei mit hochroten Wangen vor Rin stand und Rin sich die Hand auf den Mund klatschte, weil die Worte, die er ausgespuckt hatte, eindeutig nichts mit seiner sorgfältig einstudierten Entschuldigung zu tun hatten. Er wusste, dass er Rei an Röte im Gesicht in nichts nachstand und fühlte sich wie der dümmste Mensch im Umkreis von zwanzig Kilometern. Dumpf dachte er sich, dass Sousuke – wenn er hier wäre – ihm sagen würde, dass es vermutlich eher dreißig Kilometer waren.
 

Rin befand, dass alles, was er noch zur Schadensbegrenzung tun konnte, ein Frontalangriff war. Also bückte er sich hinunter zu seiner Sporttasche und kramte das Päckchen hervor, drückte es Rei in die Hand und stapfte dann mit bollerndem Herzen hinüber zu einer der Bänke, um sich für ihr Training umzuziehen.
 

Er hörte wie das Papier hinter ihm raschelte und seine Nerven konnten die Stille beinahe nicht ertragen. Dann spürte er vorsichtige Hände auf seinem Rücken und eine Stirn, die sich dagegen lehnte. Rin stand ganz still, aus Angst, er würde vielleicht etwas sehr Dummes tun und Rei seinen Ellbogen gegen den Kopf stoßen, wenn er nicht aufpasste.
 

Dann war der Moment vorbei und Reis Körperwärme verschwand aus Rins Nähe.
 

»Ich habe darüber nachgedacht«, sagte Rei. Er klang immer ein wenig so, als würde er einen naturwissenschaftlichen Vortrag halten. Nicht, dass Rin es öffentlich zugeben würde, aber aus irgendeinem Grund fand er das entzückend. Wenn Kou wüsste, dass er dieses Wort auch nur gedacht hatte, würde sie zwei Stunden lang über ihn lachen.
 

»Ich habe überlegt, ob wir vielleicht Rivalen sind. Aber ich denke, dass diese Zeit vorbei ist. Dann habe ich überlegt, ob wir vielleicht Freunde sein können…«
 

Rin schluckte und zwang seinen Körper dazu, sich zu Rei umzudrehen. Er starrte den gefliesten Boden der Umkleide an, als würden sich dort besonders spannende mathematische Gleichungen finden, die es zu lösen galt. Rins Zunge beschloss in diesem Moment, ein verräterisches Arschloch zu sein und sich selbstständig zu machen.

»Ich will nicht mit dir befreundet sein«, platzte es aus ihm heraus und Reis Gesichtsausdruck veranlasste Rin dazu, einfach weiter zu sprudeln.
 

»Ich meine, ich will auch mit dir befreundet sein. Aber ich will auch… ich will auch noch andere Sachen. Glaube ich. So wie dir rote Socken kaufen. Aber ich kann keine Bentos machen.«
 

Nichts von dem, was er sagte, ergab irgendeinen Sinn, aber auf Reis Gesicht breitete sich ein Strahlen aus, das Rins Eingeweide dazu brachte, sich wohlig schnurrend einzurollen und sich in eine Art übergroßes Ameisennest zu verwandeln.
 

»Ich kann Bentos machen. Wunderschön hergerichtet und mit einer perfekt ausbalancierten Nährstoffkombination aus Eiweißen–«
 

Reis Aufzählung der verschiedenen Nährstoffe in einem potentiellen Bento, das er für Rin zubereiten wollte, ging in einem erstickten Geräusch unter, als Rin alle Vorsicht fahren ließ und seine Lippen auf Reis presste. Einen peinlichen Moment lang schwankten sie und ihre Zähne trafen sich, doch dann legte Rei den Kopf schief und ihre Münder fanden richtig zueinander.
 

Als Rin nach Reis Hand griff, spürte er, dass Rei immer noch die Socken sehr fest umklammert hielt. Und so landeten die Socken zwischen ihnen, während Rin Rei gegen die nächstbeste Spindtür drückte, um ihn beduselig zu küssen. Es war eindeutig nicht die romantischste Gefühlsbekundung der Welt gewesen, aber Rin befand, dass es irgendwie zu ihnen beiden passte.



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Kommentare zu dieser Fanfic (33)
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Von:  Votani
2017-02-11T02:29:40+00:00 11.02.2017 03:29
Ich find den OS super niedlich! :D Er passt auch perfekt ins Canon. Interessant find ich, wie Rin Haru sieht. Einerseits ist Haru weltfremd, aber andererseits kriegt er eben doch unheimlich viel mit, was andere Menschen in seiner Naehe angeht. Das beschreibt ihn ziemlich gut. :) Gou und Nagisa haben ganze Arbeit geleistet, hihi. Alle Charaktere sind einfach wunderbar getroffen und sehr knuffig. Hat mir gefallen.
Antwort von:  Ur
11.02.2017 08:42
Vielen Dank, es freut mich, dass es dir gefallen hat ^-^
Von:  amena
2015-04-21T12:26:22+00:00 21.04.2015 14:26
Oh Gott, ich bin so geflasht <3
Ich liebe Free wahnsinnig und deine Geschichte hat mich voll begeistert :*
Wobei ich ja mehr der MakoHaru Fan bin :D Aber das hier war toll XD
Von:  fragile
2015-02-01T21:13:11+00:00 01.02.2015 22:13
wirklich, ich liebe deinen schreibstil. und vor allem liebe ich es, dass du über rin und haru schreibst und ich ärgere mich, dass ich noch gar nicht wirklich darauf aufmerksam geworden bin. gleichzeitig freue ich mich, das ich doch hin und wieder werke von dir lese (meistens bleibt es aber immer dasselbe, kryptonit, papierherz und jemand... :3 umso fröhlicher bin ich jetzt natürlich, dass ich heute nicht so blind gewesen bin u etwas anderes gelesen hab.
vielen dank. ich habe es genossen. :3
Von:  MissImpression
2014-12-17T22:31:53+00:00 17.12.2014 23:31
Schon süß die beiden :D weil ich die Serie nicht kenne, bin ich ab und zu mit den Namen Rin und Rei durcheinander gekommen xD aber ich finde diesen OS trotzdem toll :)
Ich mag deinen Erzählstil sehr gerne!
Von:  DarkVampireLadyLuna
2014-08-07T17:06:34+00:00 07.08.2014 19:06
Das ist sooooooooooooooo süß! Ich liebe deinen Schreibstil und wie du Rin's Art zu denken dargestellt hast. Einfach toll*.*
Von:  Yamis-Lady
2014-04-29T20:31:58+00:00 29.04.2014 22:31
hach, wieder zucker pur *__________*
ich liebe die beiden einfach sooo sehr ♥
und nagisa ist einfach so knuffig und rei erinnert mich oft an mich slebst x'DDD *lach*
(außer, dass ich nicht wirklich gut in mathe war und auch nicht sonderlich gern schwimme x'DD)

wird es denn noch weitere OS geben? *///*
ich würde gerne noch mehr von dir lesen =)
Von:  Yamis-Lady
2014-04-29T20:23:23+00:00 29.04.2014 22:23
ahaha, riiin >XDDD
*patta*
jaja, böse eifersucht >XDD wie heißt es so schön: eifersucht ist eine leidenschaft, die mit eifer sucht was leiden schafft XDDD
*lach*

ich bin zwar befürworterin für rin x haru, aaaber irgendwie sind rin udn nitori ja auch ganz süß >///< der kleine hat schon was für sich ^~^
hihi ♥

wieder ein superschöner OS =)
Von:  Yamis-Lady
2014-04-29T20:10:46+00:00 29.04.2014 22:10
ohaaaaaa, respekt, rei XDDD
ich hätte auch nicht mitgeguckt x'DD *lach*

der one-shot is wieder supersüß geschrieben und die charas sind sowieso toll *_______*
hrrhrr~
meeeehr XDD
Von:  Yamis-Lady
2014-04-29T15:05:58+00:00 29.04.2014 17:05
awww, süüüüüüüüß *_______________*
die beiden sind zucker ♥
und du hast ihre charaktere so hervorragend getroffen~

sehr, sehr schön =)
Von:  Yamis-Lady
2014-04-29T14:40:48+00:00 29.04.2014 16:40
awwww, soo toll X///D
thihihi~
*nagisa pat*
jaja, immer die kleinen, was? >XDD

ich mag dieses kapitel sehr *______* dein stil ist toll


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