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Auf den zweiten Blick

von

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Aussprache

Luca wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Einerseits war er erleichtert, dass sein Vater ihn nicht von Nicholas trennen würde. Andererseits gefiel ihm der Grund nicht, warum Peter der Beziehung zustimmte. Es bedeutete nämlich, dass er sie nur akzeptierte, weil er mit Nicholas zusammen war. Mit jedem anderen hätte er sie verboten.

Dem Schwarzhaarigen schien es ebenso wenig zu gefallen, denn er räusperte sich. „Ist das der einzige Grund, warum du zustimmst?“

„Was soll ich sonst tun?“, seufzte Peter.

Vorsichtig löste Luca sich von seinem Freund. Mit einer Geste zeigte er Nicholas, dass er sich nicht einmischen sollte, er wollte es auf seine Weise regeln, woraufhin der Schwarzhaarige widerwillig nickte. Dann stand der Blonde auf, die Decke fest um seine Schultern geschlungen, und lief zu seinem Vater. Vor dem Mann blieb er stehen. „Ist es so schlimm für dich?“, fragte er.

Peter antwortete ihm nicht, er sah ihn nicht einmal an.

Luca dachte nicht weiter darüber nach, was er tat. Sein Kopf schmerzte und er war erschöpft wie schon lange nicht mehr. Sogar Denken strengte an. Er ließ sich einfach fallen.

„Luca!“, rief Peter besorgt. Arme schlangen sich um ihn und er wurde vorsichtig auf die Couch gelegt. Die Decke, die eben verrutscht war, wurde wieder gerichtet und eine Hand fühlte seine Stirn.

Es war anstrengend, aber der Blonde schaffte es, seine Hand auf die seines Vaters zu legen und somit festzuhalten. Auch wenn nicht viel Kraft in seinem Griff steckte, würde Peter sie nicht einfach zurückziehen.

„Es tut mir leid“, flüsterte er, „Ich hätte es dir von Anfang an sagen sollen. Ich hätte ehrlich zu dir sein sollen. Aber ich hatte Angst. Du hast mich schon damals nicht gewollt und ich dachte, wenn du erfährst, dass ich schwul bin, dann willst du mich nicht mehr. Seit ich denken kann, habe ich mir eine Familie gewünscht, ich hatte schon aufgegeben, und plötzlich hatte ich eine. Ich wollte das nicht wieder verlieren.“ Sein Hals schmerzte, doch er sprach weiter, wenn auch sehr leise.

Im Raum war es völlig still. Nur das regelmäßige Ticken der Wanduhr und Lucas angestrengte Atmung unterbrachen die Stille. Peters Hand auf seiner Stirn hatte sich versteift und der Mann schaute ihn erschrocken an.

Luca schloss seine Augen und lehnte sich leicht gegen die Hand seines Vaters. „Außerdem war ich als ich dich kennengelernt habe in keiner Beziehung. Um ehrlich zu sein, habe ich auch nicht geglaubt, dass ich jemals mit Nicholas zusammenkommen würde. Es gab keine Anzeichen, dass er Gefühle für mich hatte, die über Freundschaft hinausgingen. Ich habe es nicht als wichtig genug erachtet, dir davon zu erzählen. Zumindest am Anfang. Dann habe ich begonnen, mich zu fragen, ob du es weißt und wie ich es am besten ansprechen sollte. Und als ich dann mit Nicholas zusammengekommen bin, wollte ich es dir wirklich sagen, aber du hast die ganze Zeit gearbeitet und bist jeden Abend so erschöpft nach Hause gekommen, dass ich mich nicht getraut habe, dich anzusprechen. Ich hätte es dir sagen sollen. Dann hättest du es nicht unter diesen Umständen erfahren müssen. Es tut mir leid.“

Er wagte nicht, die Augen wieder zu öffnen, aus Angst vor Peters Reaktion. Doch sein Vater zog ihn nur vorsichtig in eine Umarmung. Zuerst versteifte Luca sich, er mochte es nicht, wenn ihm Andere so nah waren. Dann rief er sich in Erinnerung, dass es sein Vater war, der ihn gerade umarmte, und nicht irgendwer. Langsam entspannte er sich wieder. Er ließ sich in die Umarmung fallen und erwiderte sie sogar zaghaft. Er wusste nicht, was er davon halten sollte, was sein Vater von ihm dachte, doch er fühlte sich seltsam wohl in den Armen seines Vaters. „Heißt das, du schickst mich nicht weg? Ich darf bleiben?“

„Natürlich!“ Peters Stimme klang seltsam gebrochen, so als würde er weinen. „Ich werde meinen Fahler von damals nicht wiederholen. Du bist mein Sohn! Und das wirst du auch immer bleiben.“

„Auch wenn ich Männer mag?“, fragte Luca vorsichtig. Er traute sich auch wieder, seine Augen zu öffnen und seinen Vater anzusehen. Er weinte wirklich, also hatte er sich eben nicht verhört.

„Auch wenn du Männer magst“, bestätigte Peter und ein Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht.

Luca erwiderte das Lächeln, ehe er zurück zu Nicholas sah.

Der Schwarzhaarige nickte ihnen zu. „Das wurde auch langsam Zeit. Ich habe schon befürchtet, ihr würdet euch nie aussprechen.“

Der Blonde senkte seinen Blick. Da gab es noch etwas, was er seinem Vater mitteilen musste. Er hatte beschlossen, jetzt reinen Tisch zu machen, damit er später nicht noch einmal damit anfangen musste. „Das ist noch nicht alles“, begann er, „Ich habe eine Bitte an dich.“

Er war froh, dass Peter ihn nicht unterbrach, sondern in Ruhe aussprechen ließ. Hätte er ihn unter Druck gesetzt, hätte er es vermutlich nicht geschafft, es zu sagen.

„Ich weiß nicht, wie eine Familie funktioniert.“ Das klang komisch. Schnell verbesserte er sich. „Also ein Bisschen schon, zumindest das was ich aus Erzählungen oder von Freunden mitbekommen habe. Ich weiß, dass man zusammen isst, es Regeln und Verbote gibt, man Geburtstage feiert und man miteinander spricht, wenn man Probleme hat. Aber ich kenne das alles nur aus der Beobachtung anderer Familien. Für Sonja habe ich nie existiert. Die Familie bestand nur aus Jochen und ihr, mich hat es nicht gegeben. Sie hat für zwei Mann eingekauft, für zwei Mann den Tisch gedeckt, für zwei Mann essen gekocht…“

Peter strich ihm beruhigend über den Rücken, wie es Nicholas immer tat. Das hatte er sich wohl von dem Schwarzhaarigen abgeschaut. „Und bevor sie ihn kennengelernt hat?“, fragte er leise.

Luca hob die Schultern. „An alles kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich weiß noch, dass ich öfter hungrig ins Bett gehen musste, weil sie vergessen hatte, mich zu versorgen. Aber da ich nicht verhungert bin und es auch keinem aufgefallen ist, kann es nicht zu oft gewesen sein. Als ich älter wurde, habe ich gelernt, für mich allein zu sorgen. Ich wusste, wo sie welche Lebensmittel hinräumte und wann sie mich erwischen würde, wenn ich mich in die Küche schlich. Außerdem wusste ich, wo sie ihr Portemonnaie aufbewahrte.“

Er musste nicht weitersprechen, sein Vater hatte ihn auch so verstanden. „Du hast geklaut“, schlussfolgerte er richtig.

Luca nickte. „Ich war verzweifelt. Ich hatte Hunger und sie wollte mir nichts zu Essen geben.“

„Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen“, flüsterte Peter.

Der Siebzehnjährige war erleichtert. Für einen Augenblick hatte er befürchtet, sein Vater würde wütend werden, wenn er davon erfuhr. Aber er schien ihn zu verstehen. „Als sie Jochen kennenlernte, wurde es noch schlimmer. Sie hatte nur noch Augen für ihn. Außerdem kontrollierte er regelmäßig ihre Ausgaben. Ich habe schnell gelernt, nur so viel zu nehmen, wie ich unbedingt brauchte. Manchmal hat er mir Geld gegeben, damit ich mir neue Klamotten kaufen oder die Haare schneiden lassen konnte, aber er hat immer die Quittungen mit dem Wechselgeld kontrolliert und wehe, es fehlte ein Cent.“

Peter zog ihn näher an sich heran. „Wie alt warst du?“

„Sie hat ihn im Sommer vor meinem ersten Schuljahr kennengelernt, also müsste ich Sechs gewesen sein.“

„Ich hätte dich nie bei ihr lassen dürfen“, schluchzte sein Vater leise, „Egal wie unvorbereitet ich gewesen bin und wie wenig Ahnung ich von Kinder hatte… Egal wie sehr ich Sonja gehasst habe, ich hätte mich nicht von dir abwenden dürfen. Aber ich habe geglaubt, sie kümmert sich um dich. Mit dem Geld, das ich ihr gezahlt habe, hätte sie euch ein schönes Leben machen können…“

So miserabel hatte Luca seinen Vater noch nie gesehen. Klar, er hatte gewusst, dass es dem Mann nahe ging, was ihm passiert war. Aber dass er weinte… „Ich habe das nicht erzählt, damit du dir Vorwürfe machst. Du hast mich da rausgeholt. Du bist jetzt für mich da. Das ist mehr als genug“, sagte er deshalb, „Ich will, dass du mich besser verstehst. Es wird Situationen geben, in denen ich überfordert bin oder seltsam reagiere. Dinge, die für dich selbstverständlich sind, können neu für mich sein. Es kann passieren, dass ich dich oder Nina verletze, ohne es zu wollen. Wenn das passiert oder du bemerkst, dass ich mich seltsam verhalte, dann sprich bitte mit mir und schweig es nicht tot. Hör auf, mich mit Samthandschuhen anzufassen. Ich bin nicht aus Glas. Ich halte mehr aus, als du mir zutraust. Du brauchst nicht auf die Gesprächsthemen zu achten, wenn wir uns unterhalten. Es wird Dinge geben, über die ich noch nicht sprechen kann, aber das sage ich dir schon. Ich will, dass wir als Familie funktionieren und das funktioniert nur, wenn du mich am Familienleben teilhaben lässt, so wie es ist und nicht alles herausfilterst, wo du denkst, dass du mich davor schützen musst.“

„Ich werde es versuchen“, versprach Peter, „Und mit Nina rede ich auch.“

„Danke, Dad“, murmelte Luca, „Hab dich lieb.“ Erst später fiel ihm auf, dass er seinen Vater gerade zum ersten Mal so genannt hatte.

Peter schien es ebenfalls bemerkt zu haben, denn er strich ihm kurz durch das Haar. „Ich hab dich auch lieb, mein Sohn.“

Zufrieden seufzend schloss Luca die Augen und war wenig später eingeschlafen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  tenshi_90
2014-04-23T17:57:41+00:00 23.04.2014 19:57
Wunderbar, dass sich die beiden jetzt endlich mal aussprechen konnten :) Ich denke beiden hat das eine große Last abgenommen...
Antwort von:  Seira-sempai
23.04.2014 23:21
Es war auf jeden Fall nötig. Nur wenn Peter und Luca miteinander reden, wissen sie, was der andere denkt.
Von:  chrono87
2014-04-23T11:10:28+00:00 23.04.2014 13:10
Die Kapitelüberschrift passt hervorragend zum Kapitel. Als ich sie gelesen habe, dachte ich: Was gibt es denn noch zu auszusprechen? Nicholas hat doch alles gesagt. Aber als ich das Kapitel gelesen habe, wusste ich warum.
Ich finde es gut, dass Luca alles erklärt und man mehr über dessen Leben erfährt. Es zeigt vor allem, dass Sonja schon immer krank im Kopf war und Luca nicht für voll genommen hat. Nun ja, es soll ja auch eine Krankheit geben, bei denen die frischgebackenen Mütter ihre Kinder nicht anfassen können. Sie bekommen Depressionen und lehnen ihre Kinder ab. Vielleicht ist das ja auch bei Sonja der Fall gewesen. Dann frag ich mich aber, wieso sie Luca nicht in ein Heim oder zur Adoption freigegeben hat. Es wäre doch viel unkomplizierter gewesen. Aber wahrscheinlich wäre ihr dann auch das schöne Geld flöten gegangen und wer weiß, ob sie nach der Schwangerschaft noch einmal arbeiten war.
Antwort von:  Seira-sempai
23.04.2014 23:21
Ich hab auch erst das Kapitel geschrieben, danach die Überschrift herausgesucht :-)
So wirklich neu sind die Dinge, zumindest für die Leser, nicht. Sie konnten sich schon sehr viel zusammenreimen. Auch auf Sonja gab es schon den einen oder anderen Hinweis. Es war nur nicht bekannt, dass es schon so früh so schlimm war.
Natürlich hätte sie Luca abgeben können, aber dann hätte sie, wie du schon richtig vermutet hast, das Geld nicht bekommen.


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