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Auf den zweiten Blick

von

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Vor Gericht

Die Anwesenheitskontrolle war beendet und Luca wurde gerade, mit allen anderen Personen im Sitzungssaal, belehrt. Er war froh, dass Nicholas‘ Vater noch einmal mit ihm durchgegangen war, wie die Gerichtsverhandlung verlaufen und wie diese Belehrung aussehen würde, denn obwohl er es versuchte, schaffte er es nicht, zuzuhören.

Jochen saß einige Meter von ihm entfern und beachtete ihn kein Bisschen. Auch Sonja schien ihn nicht wahrzunehmen.

Die Angst, gleich gegen den Mann, der ihn so viele Jahre lang gequält hatte, und Sonja, die nichts dagegen unter-nommen hatte, aussagen zu müssen, war zu groß, als dass er sich noch auf irgendetwas konzentrieren konnte. Zwar hatte Peter es irgendwie geschafft, dass die beiden während seiner Aussage in einen anderen Raum gebracht wurden, aber das beruhigte ihn nur wenig. Dennoch war es besser so. Er wusste nicht, ob er in der Lage gewesen wäre, vor Jochen die Wahrheit sagen zu können.

Er war froh, als sie endlich in den Warteraum gehen konn-ten. Er setzte sich neben Nicholas auf einen der notdürftig gepolsterten Stühle und lehnte sich gegen die Schulter sei-nes Freundes, woraufhin der Schwarzhaarige einen Arm um ihn schlang und ihm beruhigend über die Schulter strich.

Peter ließ sich auf der anderen Seite seines Sohnes nieder. „Das wird schon“, versuchte der Mann, ihn aufzumuntern.

Der erste Zeuge, ein guter Freund von Jochen, wurde aufge-rufen. Er warf dem Blonden einen abschätzenden Blick zu, ehe er den Sitzungssaal betrat.

Luca schaute sich in dem Wartezimmer um. Es war recht spärlich eingerichtet, weiße Wände, weiße Decke und ein PVC-Fußboden, der schon bessere Zeiten gesehen hatte. Aber er hatte auch nicht vor, sich hier häuslich einzurichten.

Sein Blick wanderte zu den anderen Zeugen, die ebenfalls hier saßen und darauf warteten, dass sie aufgerufen wur-den. Er kannte sie alle, wenn auch manchmal nur flüchtig.

Neben Nicholas saß René, daneben Nicholas‘ Vater. Von ihnen hatte Luca gewusst, dass sie heute aussagen würden. Wie sich Karl wohl fühlte? Normalerweise war der Anwalt nämlich nicht als Zeuge geladen.

Zu den Zeugen gehörte auch seine Nachbarin. Die alte Frau war immer nett zu ihm gewesen. Sie hatte ihm zum Ge-burtstag sogar Kekse geschenkt.

Der Ärzte, die Luca im letzten halben Jahr behandelt hatten, waren ebenfalls da, was den Blonden etwas verwunderte. Aber es würde schon einen Grund haben, warum sie hier hatten erscheinen müssen.

Dann war da noch ein weiterer Mann, mit dem Jochen eine Zeit lang zusammen gearbeitet hatte und eine Frau, die früher gut mit Sonja befreundet war, bis sie sich vor ein Jahren auseinanderlebten. Luca konnte sich noch daran erinnern, dass sie Sonja ein paar Mal besucht hatte, auch wenn er ihren Namen nicht mehr wusste.

Nach und nach wurden auch die anderen Personen in den Sitzungssaal gerufen, bis nur noch Luca übrig blieb. Obwohl er der letzte war, der aufgerufen wurde, war ihm das noch viel zu früh.

Mit zitternden Händen und unsicheren Schritten lief er in den Sitzungssaal.

Am liebsten wäre er umgekehrt und hätte in einer Ecke versteckt abgewartet, bis alles vorbei war. Doch das konnte er nicht. Er musste aussagen. Tat er das nicht, bestand die Möglichkeit, dass Jochen aufgrund fehlender Beweise frei-gesprochen wurde.

Der Siebzehnjährige zitterte, als er den schmalen Gang ent-lang lief.

Die anderen Zeugen saßen, wie Karl es vorher gesagt hatte, in der ersten Reihe und beobachteten ihn. Kurz schaute Luca zu Nicholas, der ihn aufmunternd anlächelte, wie als wolle er sagen, dass das schon werden würde.

Der Siebzehnjährige ließ seinen Blick schweifen. Der Zu-schauerraum war leer und der Platz, an dem normalerweise die Angeklagten saßen, ebenfalls, nur zwei Anwälte saßen noch dort, also hatte man Jochen und Sonja schon aus dem Raum gebracht.

Als Luca vor der Richterin, einer Frau mittleren Alters mit schulterlangen, braunen Haaren, angekommen war, nahm er unsicher Platz.

Die Richterin belehrte ihn noch einmal, dass er die Wahrheit sagen musste und schweigen durfte, um sich nicht selbst zu belasten. Dann ermittelte sie seine persönlichen Angaben ab.

„Sind Sie mir den Angeklagten verwandt oder verschwä-gert?“, fragte die Richterin.

Luca nickte. „Sonja ist meine Mutter, Jochen mein Stiefva-ter.“

„Sie wissen, dass Ihnen ein Zeugnisverweigerungsrecht zu-steht?“, fuhr die Richterin fort, „Möchten Sie trotzdem aus-sagen?“

Wieder nickte Luca. Er hatte die Situation oft genug mit Karl durchgesprochen, um zu wissen, dass er nicht schweigen durfte.

Abwartend schaute die Richterin ihn an.

„Ja“, sagte er schnell, in der Hoffnung, dass sie dann fortfuhr und er das Ganze hinter sich bringen konnte.

„Dann vernehme ich Sie jetzt zur Sache. Die beiden Ange-klagten sind beschuldigt, Sie über Jahre körperlich misshan-delt und vernachlässigt zu haben. Bitte äußern Sie sich da-zu.“

„Jochen hat mich verprügelt“, stellte Luca richtig, „Sonja hat nur dabei zugesehen.“

Die Richterin hob die Braue. „Erklären Sie das Verhalten Ihrer Mutter bitte näher.“

Damit hatte Luca gerechnet. „Für Sonja habe ich fast die ganze Zeit nicht existiert. Ihre Familie bestand aus Jochen und ihr. Sie hat für zwei Mann eingekauft, für zwei Mann gekocht, für zwei Mann den Tisch gedeckt. ab und an, wenn Jochen mich wieder mal verprügelt hatte, hat sie mich da-rauf hingewiesen, ich sollte mich doch ordentlich benehmen und es ihm nicht so schwer machen.“

„Hat Ihre Mutter gewusst, was Ihr Stiefvater getan hat?“, stellte die Richterin die nächste Frage.

„Sie hat daneben gestanden“, antwortete Luca, „Nicht im-mer, aber oft genug, um es nicht übersehen zu können. Manchmal war sie auch im Nebenzimmer. Die Wände sind nicht besonders dick. Sie muss es gehört haben.“

„Und Sie hat nicht versucht, Ihnen zu helfen?“

Luca schüttelte den Kopf. „Am Anfang, als ich noch zur Grundschule ging, hat sie ihn manchmal ermahnt. Aber das ist Jahre her.“

„Wann hat Ihre Mutter Ihren Stiefvater kennengelernt?“, fragte die Richterin weiter.

„Vor elf Jahren oder so, kurz bevor ich in die erste Klasse gekommen bin“, antwortete ihr Luca. Bis jetzt war noch nichts gefragt worden, worüber es ihm sehr schwer fiel zu sprechen, aber das würde gewiss noch kommen.

„Wie war ihr Verhältnis zu Ihrer Mutter zuvor?“

Der Siebzehnjährige verknetete seine Hände ineinander. „An alles kann ich mich nicht erinnern. Ich weiß, dass ich öfter hungrig ins Bett gehen musste, weil sie mir nichts zu essen gegeben hat. Sie hat sich nie wirklich mit mir beschäftigt und oft vergessen, mich aus dem Kindergarten abzuholen.

„Verstehe ich Sie richtig“, forschte die Richterin nach, „dass Ihre Mutter Sie nicht versorgt hat?“

„Sporadisch“, korrigierte Luca, „Mit der Zeit ist es dann immer weniger geworden, bis ich gar nichts mehr bekom-men habe.“

„Wie haben Sie sich versorgt?“, kam die nächste Frage.

„Ich habe gelernt, wo Sonja welche Lebensmittel aufbe-wahrte, wann sie und Jochen zu Hause waren, was sie taten und wann sie es bemerkten, wenn ich mich am Kühlschrank oder Vorratsschrank bediente. Und ich habe gelernt, wo sie ihr Portemonnaie aufbewahrte und wie viel ich nehmen konnte, ohne dass es auffiel.“ Der Blonde wusste, er be-schuldigte sich selbst mit dieser Aussage. Allerdings hatte Karl ihm geraten, alles zu sagen, auch das. Das Gericht wür-de sich nicht mit Kleinkram wie ein paar geklauten Euros und Lebensmitteln befassen. Er hatte es schließlich getan, um überleben zu können.

„Kommen wir jetzt zu Ihrem Stiefvater“, meinte die Richte-rin, „Er hat Ihre Mutter vor zehneinhalb Jahren geheiratet und wohnte seither bei Ihnen, ist das richtig?“

Luca nickte. Er versuchte, den Klos, der sich in seinem Hals bildete und ihn am Sprechen hinderte, hinunterzuschlucken.

„Hat er Sie von Anfang an misshandelt oder erst nach einem bestimmten Ereignis?“, fragte die Frau.

„Am Anfang war es nicht so schlimm, nur hier und da mal eine Ohrfeige oder ein Hieb mit der Faust“, erzählte Luca, „Mit der Zeit ist es immer mehr geworden. Er hat angefan-gen, nach mir zu treten und erst wieder aufgehört, wenn ich mich bewusstlos gestellt habe. Manchmal hat er mich auf für eine Nacht aus dem Haus gesperrt.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
noch 2 Kapis, dann geht es mit "Spiel mit mir" weiter. :-) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Kagome19
2015-02-18T21:56:19+00:00 18.02.2015 22:56
Deine Story rührt mich zu tränen ich hoffe das für Luca alles gut Aus geht damit er endlich ein vernünftiges Leben führen kann das er nicholas kennenlernte war für ihn das beste und bei seinem Vater leben zu können hilft ihm auch um endlich nach vorne zu sehen bitte schreibe schnell weiter
Antwort von:  Seira-sempai
09.04.2015 21:04
Freut mich, dass dir meine Story gefällt.
Schau doch auch bei Spiel vorbei :-)
Von:  tenshi_90
2015-02-18T06:12:44+00:00 18.02.2015 07:12
Man kann die Anspannung iwie richtig spüren...

Ich hoffe, es wendet sich zum Positiven und dass es keine böse Überraschung geben wird...
Antwort von:  Seira-sempai
09.04.2015 21:03
So kurz vor dem Ende gibt es (fast) keine bösen Überraschunge mehr.


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