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Auf den zweiten Blick

von

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Wiedersehen mit Jochen

„Warum haben Sie keinem davon erzählt?“, bohrte die Rich-terin.

„An wen hätte ich mich denn wenden sollen?“, stellte Luca die Gegenfrage, „Es hat niemanden interessiert. Einmal habe ich es einer Lehrerin aus der Grundschule erzählt. Sie hat mir nicht geglaubt und versucht, mir ins Gewissen zu reden, schließlich sollte ich ja keine Lügen erzählen. Es hat Tage gedauert, bis ich mich wieder halbwegs schmerzfrei bewegen konnte. Danach habe ich nicht mehr versucht, mit anderen Menschen darüber zu sprechen.“ Jetzt, wo die Fragen konkreter wurden, fiel es ihm schwerer, darüber zu sprechen. Dennoch versuchte er sie, so gut er es eben konn-te, zu beantworten. Er sprach leise, aber dennoch gut ver-ständlich.

Die Richterin seufzte: „Sie haben also schlechte Erfahrungen gemacht und sich deswegen nicht mehr getraut, Hilfe zu suchen.“

Der Siebzehnjährige nickte.

„Mir liegt einige Gutachten zu Verletzungen vor, die in die-sem Jahr ärztlich behandelt worden sind. Können Sie mir dazu etwas erzählen?“

„Den Arm habe ich mir gebrochen, als Jochen mich die Kel-lertreppe hinuntergestoßen hat“, begann Luca, wurde aber unterbrochen.

„Kam das öfter vor?“, erkundigte sich die Richterin.

„Ein paar Mal“, antwortete Luca, „Jochen und Sonja sind für ein paar Tage weggefahren. Ich habe gewartet, bis sie weit genug weg waren und dann den Safe in ihrem Schlafzimmer geknackt, um an meine Krankenversicherungskarte heran-zukommen. Dem Arzt habe ich am nächsten Tag erzählt, ich sei die Treppe hinuntergefallen und die blauen Flecken habe ich auf eine Prügelei mit Mitschülern geschoben. Jochen hab ich gesagt, Sonja hätte mir die Karte gegeben, bevor sie losgefahren sind.“

Mit einer Geste forderte die Richterin ihn dazu auf, weiter-zusprechen.

„In den Herbstferien hat Jochen mich in meinem Zimmer eingesperrt. Das war nicht das erste Mal. Ich hatte mir ein paar Flaschen mit Wasser gefüllt, um nicht zu verdursten, falls ich ein paar Tage nicht mehr aus dem Zimmer konnte und die Nachbarin hat mir ein paar Kekse geschenkt, von denen ich mich ernährt hatte. Als die Ferien vorbei waren, bin ich aus dem Fenster geklettert, um in die Schule zu kön-nen. Dort bin ich dann zusammengebrochen. Im Kranken-haus habe ich behauptet, eine Diät zu machen.“

„Warum haben Sie gelogen?“, fragte die Richterin.

Luca hob die Schultern. „Ich bin davon ausgegangen, dass mir keiner hilft und wenn Jochen es erfahren hätte, hätte er mich nur wieder zusammengeschlagen.“

„Was hat sich geändert? Warum haben Sie plötzlich darüber gesprochen?“, stellte die Frau die nächste Frage.

„Nicholas“, erklärte Luca, „Er war der erste, der wirklich versucht hat, mir zu helfen. Er hat sich nicht mit meinen Lügen abspeisen lassen und solange nachgebohrt, bis ich es am Ende zugegeben habe.“

„Können Sie mir erzählen, was passiert ist, bevor Sie in das Auto rannten und ins Krankenhaus gebracht wurden?“, wollte die Richterin jetzt wissen.

„Jochen ist von einer mehrtägigen Weiterbildung, oder wo auch immer er war, wiedergekommen. Sonja muss ihm etwas gesagt haben. Er ist in mein Zimmer gestürmt und hat auf mich eingeschlagen. Jochen hat sich anders benommen als sonst und ich habe Angst bekommen. Ich dachte, diesmal bringt er mich um. Ich habe ihn zwischen die Beine getreten und bin durch das Fenster geflohen. Er hat versucht, mich zu verfolgen, aber ich konnte ihn abhängen. Bis zum nächsten Abend bin ich ziellos durch die Stadt geirrt.“

Die Richterin nickte. „Das sollte genügen. Nehmen Sie doch bitte hinten Platz. Sie bleiben unvereidigt.“

Luca setzte sich auf den freien Stuhl neben Nicholas und lehnte sich an seinen Freund, der ihn sofort an sich zog.

Die Tür zum Sitzungssaal wurde geöffnet und Jochen und Sonja wurden wieder hereingeführt.

Jochen warf dem Blonden einen zornigen Blick zu. Er hatte seine Aussage gehört, da war sich Luca sicher.

Luca kuschelte sich noch näher an seinen Freund und schloss die Augen. Er wollte nicht sehen, was um ich herum passierte.

Nicholas fuhr ihm sanft durch seine Locken und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Wir haben es gleich geschafft“, flüsterte er.

Plötzlich erklang ein panischer Aufschrei.

Erschrocken riss Luca die Augen wieder auf. Was er sah, ließ ihn zusammenfahren. Jochen hatte sich irgendwie von sei-nen Bewachern befreien können und stürmte jetzt auf den Siebzehnjährigen zu.

Zwei der Zeugen sprangen zur Seite, um dem Mann nicht in den Weg zu geraten.

Luca wusste nicht, wie ihm geschah, da wurde er schon von Nicholas am Oberarm gepackt und der Schwarzhaarige zog ihn mit Nachdruck hinter sich.

„Du elende Missgeburt“, tobte Jochen und hob drohend die Faust.

Alte Reflexe erwachten in Luca. Er kniff die Augen zusammen und wartete auf den Schlag, der ja unweigerlich kommen würde. Doch dieser blieb aus.

Nicholas hielt Jochen problemlos auf. Er fing sein Handgelenk in der Luft ab und drehte es ihm mit einer geschickten Bewegung auf den Rücken, das schmerzhafte Aufstöhnen des Mannes ignorierend. „Habe ich mich letztes Mal nicht deutlich genug ausgedrückt? Du sollst deine Finger von Luca lassen!“

„Von einer Schwuchtel wie dir lasse ich mir gar nichts sa-gen“, brauste Jochen auf.

Nicholas hob die Brauen. Er verstärkte den Griff um das Handgelenk des Mannes und verdrehte ihm den Arm noch ein kleines Stück weiter.

Jochen stöhnte vor Schmerz auf.

„Wären Sie so nett und würden wieder ihrem Job nach-kommen“, fragte der Schwarzhaarige, an Jochens Bewacher gerichtet.

Sofort eilten zwei der Bewacher auf ihn zu. sie nahmen ihm Jochen ab und legten dem Mann Handschellen an, ehe sie ihn wieder zu seinem Platz zerrten.

Beinehe schon instinktiv klammerte Luca sich an seinem Freund fest und war erleichtert, als dieser die Arme um ich legte. Auch wenn Nicholas ihn nicht vollständig von den Leuten abschirmen konnte, so fühlte sich der Blonde jetzt ein ganzes Stück sicherer.

„Bist du in Ordnung?“, fragte Nicholas besorgt.

Luca nickte, nur um gleich darauf den Kopf zu schütteln. Er war unverletzt, ja, aber gut ging es ihm trotzdem nicht.

„Kann ich mit Luca zurück in den Warteraum?“, erkundigte der Schwarzhaarige sich bei der Richterin, „Das war etwas zu viel für ihn.“

Die Frau schien es gestattet zu haben, denn Nicholas ver-stärkte seine Umarmung und trug den Blonden vorsichtig aus dem Sitzungssaal.

Hinter ihnen schloss er etwas umständlich die Tür und setzte Luca auf einem der Stühle ab, ehe er neben seinem Freund Platz nahm.

Hier fühlte Luca sich gleich ein ganzes Stück wohler. Er war mit Nicholas allein, weg von den begierigen Blicken der anderen Zeugen und vor allem weg von Jochen und Sonja.

„Weinst du?“, riss Nicholas‘ ruhige Stimme ihn aus den Ge-danken.

Luca löste sich kurz von ihm und fuhr sich mit der Hand über die Wange. Tatsächlich, stellte er fest, ihm liefen Tränen übers Gesicht.

Nicholas zog ihn wieder an sich heran und wiegte ihn lang-sam hin und her. „Es ist alles gut“, flüsterte er, „Du musst diese Monster nie wieder sehen, dafür sorgen unsere Väter schon. Außerdem hat Jochen sich durch seinen Ausraster eben schon selbst verraten. Sie können ihn gar nicht mehr freisprechen.“

„Danke“, antwortete der Blonde leise. Er konnte gar nicht ausdrücken, wie dankbar er war. Nicht nur für den Beistand jetzt. Der Schwarzhaarige hatte eine Menge für ihn getan, mehr als alle anderen zusammen. Er hatte die Hand nach ihm ausgestreckt, als Luca bereits aufgegeben hatte, und ihm wieder auf die Beine geholfen. Ohne ihn hätte Luca es nie so weit geschafft. Wahrscheinlich wäre er nicht einmal mehr am Leben.

Eine gefühlte Ewigkeit später war die Verhandlung beendet und die Leute verließen den Sitzungssaal.

Luca und Nicholas saßen immer noch eng umschlungen im Warteraum. Als sie die Schritte und Stimmen hörten, lösten sich wieder voneinander.

„Und?“, fragte Nicholas seinen Vater, obwohl dessen Mimik schon verriet, dass er mit dem Urteil zufrieden war, „Wie ist es verlaufen?“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  tenshi_90
2015-03-13T16:28:32+00:00 13.03.2015 17:28
Nicholas ist der fels in der brandung. ich finde es gut, dass er dem blonden die kraft gibt, diese sache durchzustehen
Antwort von:  Seira-sempai
09.04.2015 21:05
Ja, ohne Nicholas wäre Luca nie so weit gekommen :-)
Von:  wasser1991
2015-03-13T10:42:35+00:00 13.03.2015 11:42
wiekan man nur so sein. man bin am heulen. tolle geschichte
Antwort von:  Seira-sempai
09.04.2015 21:05
Vielleicht sollte ich vor meinem nächsten Kapitel Taschentücher verteilen?
Die werden wohl nötig sein :-)
Antwort von:  wasser1991
09.04.2015 22:57
Jaaaa!!!!


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