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Auf den zweiten Blick

von

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Überraschungen

Irgendwie war es Luca gelungen, Nicholas das Versprechen abzunehmen, mit keinem über seinem Vater zu reden. Wie er es geschafft hatte, wusste er jetzt, am nächsten Morgen, nicht mehr. Aber das war auch egal, Hauptsache Nicholas unternahm nichts.

Da heute sein Geburtstag war, hatte er sich ausnahmsweise zusätzlich zu dem Brötchen noch ein Stück Kuchen gekauft. Außerdem hatte er von der Nachbarin, einer netten alten Frau, die manchmal nicht mehr ganz in der Realität lebte, eine Tüte Kekse geschenkt bekommen. Sie waren sich vor dem Haus der Frau über den Weg gelaufen, als diese gerade die Zeitung aus dem Briefkasten holte. Er hatte keine Ahnung, wo die alte Dame diese aufgetrieben hatte, hatte sich trotzdem artig bedankt, sie sollte schließlich nicht schlecht über ihn reden. Aber da das Verfallsdatum erst seit wenigen Tagen abgelaufen war, konnte er sie sicher noch Essen. Die Verpackung war auch fast nicht verstaubt.

Im Klassenzimmer wurde er von den lauten Gratulationen der Zwillinge begrüßt. „Alles Gute zum Geburtstag“, riefen sie, ehe sie begannen, ein Lied zu trällern.

„Danke.“ Luca war verwirrt. Er wusste, dass er ihnen nichts von seinem Geburtstag erzählt hatte. Woher wussten sie das also?

„Ich wünsch dir auch alles Gute“, sagte Rebecka und zog ihn in eine Umarmung.

„Deine Freundin geht schon wieder fremd“, neckte Florian René sofort wieder, nur um sich im nächsten Moment unter Rebeckas Hand hinweg zu ducken.

Mit einem leichten Lächeln im Gesicht beobachtete Luca, wie Rebecka den Zwilling durch das Zimmer hinterher jagte und setzte sich auf seinen Platz.

„Na, wie fühlt man sich mit Siebzehn?“, wollte sogleich René wissen.

„Nicht anders als mit sechzehn“, antwortete der Blondhaarige ihm, noch immer etwas irritiert. Was war heute hier los?

„Ich habe im Klassenbuch gespickt. Als stellvertretender Klassensprecher darf ich das ja. Ich hoffe, du bist nicht böse“, ergänzte René auf Lucas verwirrten Gesichtsausdruck hin.

Dann geschah etwas, womit der jetzt Siebzehnjährige nicht gerechnet hatte. Nicholas, der bis jetzt schweigend auf seinem Stuhl gesessen hatte, zog ihn in eine Umarmung.

Luca zuckte zusammen, erschrocken über die unerwartete Berührung, und verspannte sich. Doch Nicholas ließ ihn nicht los, sondern drückte ihn weiterhin an sich. Es dauerte einen Augenblick, dann begann Luca, sich wieder zu entspannen. Er erwiderte die Umarmung nicht, wehrte sich aber auch nicht dagegen. Trotzdem fühlte er sich in den Armen seines Klassenkameraden wohl. Er schloss die Augen und schmiegte sich näher an den Schwarzhaarigen an.

„Alles Gute“, flüsterte Nicholas, leise über das Verhalten des Blondhaarigen lachend. Luca spürte es am Rütteln, dass durch Nicholas’ Oberkörper ging.

„Danke“, erwiderte Luca in genauso leise.

„Och, wie süß“, neckte Fabian die beiden.

Doch Nicholas ließ sich gar nicht weiter stören. „Wärst du so nett, Becky?“

„Aber gerne doch“, antwortete das Mädchen. Kurz darauf ertönte ein dumpfer Schlag. Sie hatte Fabian wohl eines ihrer Bücher über den Kopf gezogen, wie sie es immer tat, wenn die Zwillinge sie ärgerten.

Luca ließ sich davon nicht weiter stören. Der Schlag war weit genug entfernt gewesen, damit er ihn als nicht gefährlich einstufte. Außerdem war Nicholas bei ihm. Der Schwarzhaarige würde nicht zulassen, dass ihm jemand etwas tat.

Die Tür zum Klassenzimmer wurde aufgerissen und er vernahm Schritte. Ein paar flache Schuhe, wohl Turnschuhe oder so, und einmal Stöckelschuhe, die bei jedem Schritt klackten.

„Das glaub ich jetzt nicht’“, erklang Leonies gespielt schockierte Stimme, „Jetzt tun die Schwuchteln das schon in der Öffentlichkeit!“

Das hätte sie wohl besser nicht sagen sollen. Sie hatte das Schimpfwort noch nicht zu Ende gesprochen, da versteifte sich Nicholas. „Würdest du das wiederholen?“, zischte er bedrohlich. Seine Stimme stand im Widerspruch zu seinen Gesten, denn noch immer drückte er Luca sanft an sich.

Der Blondhaarige konnte die Umarmung allerdings nicht mehr genießen, weswegen er sich von ihm löste.

Leonie schnaubte. „Jetzt tu nicht so. Du hast mich sehr wohl verstanden.“

Langsam erhob sich Nicholas und ging noch langsamer auf sie zu. Sein Gang hatte etwas bedrohliches, fast wie eine Raubkatze, die ihre Beute umkreiste.

Leonie wich vor ihm zurück und versteckte sich hinter Thomas, in der Hoffnung, er würde sie schützen. Und so, wie Thomas ihr in der Realschule immer hinterher gesehen hatte, zweifelte Luca auch keine Sekunde daran. Doch er wurde überrascht.

Thomas trat zur Seite. „Ich sage es dir nur noch einmal: Halte mich aus deinem Scheiß raus. Ich will damit nichts mehr zu tun haben. Ich bin es leid, ständig die Drecksarbeit für dich zu erledigen.“

„Oh?“ Erstaunt hob Nicholas die Brauen. Allerdings zeigte er durch diese Geste auch, dass er es ihm nicht wirklich abnahm.

Auch Luca war verwundert. So etwas war noch nie vorgefallen. Hatten sich Leonie und Thomas gestritten?

„Ich bin schließlich nicht lebensmüde“, begann Thomas zu erklären, „Ich habe recherchiert und weiß jetzt, zu was du fähig bist.“

„Du hast doch nur Schiss bekommen!“, brauste Leonie auf.

„Na und?“, rief Thomas. Er stritt es nicht ab. „Im Gegensatz zu dir habe ich wenigstens kapiert, wie die Sache endet, wenn wir so weitermachen, wie du es gern hättest: Im Krankenhaus! Deshalb fällt es mir auch nicht weiter schwer, dir zu sagen, dass es das nicht wert ist. Nicht für mich! Ich weiß zwar nicht, was du an Luca findest, aber wenn dir so viel an ihm liegt.“ Sein Blick wanderte zum Blondhaarigen. „Das heißt aber nicht, dass ich dich plötzlich leiden kann. Also erwarte keine Hilfe von mir, wenn Leonie ihren Plan in die Tat umsetzt. Ich werde ihr zwar nicht mehr helfen, aber auch nichts dagegen unternehmen. Kannst du damit leben?“

Jetzt war Luca noch verwirrter. War das gerade ein Friedensangebot? Zögernd nickte er.

„Wie kannst du es wagen?“, schrie plötzlich Leonie.

Nicholas, Luca, aber auch Thomas scheuten zurück zu ihr, bevor Nicholas an ihr vorbeischritt, den Mülleiner für den Restmüll packte und ihr den Inhalt über den Kopf. Die Reinigungskraft hatte ihn gestern wohl nicht geleert, denn es kam eine Menge geflogen.

Leonie kreischte auf, als ein angebissener Apfel in ihrem Ausschnitt landete. Es war auch eine Bananenschale geflogen gekommen, die jetzt auf ihrem Kopf lag.

„Hoch lebe die Mülltrennung“, feierte Florian, woraufhin die gesamte Gruppe lachte, auch Luca. Der Blondhaarige empfand eine Genugtuung, die er nicht für möglich gehalten hätte. Und auch, wenn ihn das ein kleinwenig erschrak, war er froh, dass die Blondine endlich ihre eigene Medizin zu schmecken bekam.

Leonies Gesicht hatte unterdessen einen rötlichen Farbton angenommen. Sie warf Thomas einen letzten enttäuschten Blick zu, ehe sie aus dem Zimmer stürmte. „Das wirst du bereuen“, rief sie Nicholas zu, „Du und dein kleiner Schwuchtelfreund.“

„Willst du ihr nicht hinterherlaufen?“, fragte René, der ihr, wie alle anderen auch, hinterhersah.

Thomas schüttelte seinen Kopf. „Damit würde ich alles nur noch schlimmer machen.“ Dann wandte er sich an Luca. „Wenn ich du wäre, würde ich in den nächsten Tagen auf dem Heimweg aufpassen. Sie hat vor, ihren Schlägerfreund auf dich zu hetzen. Auf Nicholas auch, aber da muss ich mir eher Sorgen um ihren Freund machen.“

„Keine Sorge“, antwortete Nicholas, „Ich passe schon auf Luca auf.“

Thomas nickte ihm noch einmal zu, ehe er sich auf den Platz hinter Jan und Martin fallen ließ. Jetzt saß Leonie allein auf ihrer Bank und die hinter ihr war auch schon seit einer Weile frei.

„Sieht aus, als stünde Leonie jetzt allein da“, bemerkte Rebecka.

Luca nickte. Er wusste noch immer nicht, was er von der ganzen Situation halten sollte. Konnte er dem Frieden trauen oder würde Thomas den Moment, in dem er unachtsam wurde, ausnutzen und erneut zuschlagen? Andererseits war es immer Leonie gewesen, von der die schlimmeren Dinge ausgingen. Von sich aus hatte Thomas nichts getan, als ein paar dumme Sprüche zu klopfen und ihn hin und her zu schubsen. Trotzdem wollte er sich nicht unbedingt in Thomas‘ Nähe aufhalten, wenn es sich vermeiden ließe.

Florian und Fabian grinsten sich vielsagen an.

„Da hat er dir aber ein…“, begann Fabian.

„… ziemlich gutes Geburtstagegeschenkt gemacht.“, fuhr Florian fort.

„Findest du nicht auch?“ Den letzten Satz sagten sie gemeinsam.

Rebecka griff sich seufzend an die Stirn. „Nicht so viel Harry Potter schauen, Jungs!“

Luca lächelte. So hatte er die Sache noch gar nicht betrachtet.

„Du hast Geburtstag?“, rief jetzt Thomas durch das Zimmer. Er hatte den Zwillingen also zugehört.

Zögernd nickte Luca, unsicher, ob er die Frage nicht vielleicht doch besser ignoriert hätte.

Doch Thomas gab ihm keinen Grund, seine Entscheidung zu bereuen. „Dann alles Gute“, gratulierte auch er.

„Danke.“ Mehr brachte Luca nicht heraus.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  tenshi_90
2014-02-05T17:27:41+00:00 05.02.2014 18:27
Hm.. ich habe da so meine Zweifel, dass Thomas das ernst meint... Ich frag mich, warum Leonie so fies ist.. da muss ja iwas dahinter stecken..



Antwort von:  Seira-sempai
05.02.2014 19:52
Ja, Luca und Leonie haben eine Vergangenheit, aber was genau passiert ist, kommt erst viel viel später. Er verdrängt es nämlich so gut er kann.
Von:  chrono87
2014-02-05T17:25:18+00:00 05.02.2014 18:25
Na mit dieser Entwicklung hab ich nicht gerechnet. Ich frage mich aber wirklich, ob Thomas das ernst meint. An Lucas Stelle wäre ich auch vorsichtig. Zumindest hat Thomas ihnen einen Tipp gegeben und Luca somit gewarnt. Ich frage mich nur, ob es wirklich etwas bringt. Leonie weiß doch sicher, dass Thomas sie verrät... Wenn sie also nicht ganz so blöd ist, wie sie tut, dann ändert sie den Plan. Oder aber es gehört zum Plan Luca in eine Falle zu locken. Den Beiden traue ich alles zu.
Antwort von:  Seira-sempai
05.02.2014 19:51
Hältst du es für so unwahrscheinlich, dass Thomas das tut? Er hat ja selbst gesagt, er ist nicht Lebensmüde. Er hört also auf, weil er Angst vor Nicholas hat, nicht, weil er eingesehen hat, dass er Fehler gemacht hat. Aber kein Angst. So schnell wird Luca ihm nicht vertrauen und auch die anderen sind misstrauisch. Außerdem hat er keine Versprechen gemacht, außer Luca in Ruhe zu lassen.
Wer weiß, vielleicht hat Thomas es ja auch ernst gemeint. Oder er tut Luca wieder etwas und lernt Nicholas richtig kennen...


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