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Am Tag ist es leicht

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Warnung: Blut, Gewalt, böse Dinge, allgemeine Verwirrung. (Keine Angst, nach diesem Kapitel kann es nur noch aufwärts gehen.) Komplett anzeigen

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Durst

Aus der Dunkelheit kommen die Ratten, eine formlose Masse sich windender Fellbündel und nackter Schwänze. Panisch will er sie vertreiben, aber er kann sich nicht rühren. Sie nagen Löcher in seine Kleider, stürzen sich auf seine ungeschützte Haut und vergraben die kleinen Zähne in seinem Fleisch. Seine Schreie hallen von den Wänden wider.

In seinen seltenen klaren Momenten kann er keine Bissspuren feststellen, auch wenn er die Zähne immer noch spürt. Er weiß, dass alles ein Genjutsu ist, dass er nicht wirklich bei lebendigem Leibe aufgefressen wird. Aber er weiß auch, dass die Ratten wiederkommen werden. Die Biester, die ihn in kleine Stücke nagen, mögen eine Illusion sein. Der Schmerz ist echt.

Am alten Felsen nördlich von hier stehen zwanzig Shinobi Konohas, darunter siebzehn Jounin. Sie werden nach Norden vorrücken und den dortigen Stützpunkt Iwas von der Versorgung abschneiden.

Er hat die Informationen, die die Iwa-Nins haben wollen. Wissen sie das, oder ahnen sie es nur? Wissen ist alles, worum es hier geht. Er liegt auf dem Rücken in der Dunkelheit und horcht atemlos auf die Ratten. Ihm ist kalt, er hat Hunger und Durst. Vor allem Durst. Die Informationen, die sein Leben gefährden, die das Leben vieler anderer gefährden werden, wenn er sie preisgibt, schwirren unaufhörlich durch seinen Kopf.

Am alten Stein südlich von hier stehen siebenundzwanzig Shinobi Konohas, darunter sieben Jounin. Sie werden nach Osten vorrücken und den dortigen Stützpunkt Iwas von der Versorgung abschneiden.

Falls sie ihn überhaupt mit Nahrung und Trinkwasser versorgen, bekommt er es nicht mit. Sie können nicht riskieren, dass er ihnen wegstirbt, aber er weiß nicht, wie lange er schon hier ist. Vielleicht ist noch kein Tag vergangen, vielleicht auch schon Wochen. Manchmal schafft er es, zur Wand zu kriechen und ein bisschen Feuchtigkeit abzulecken. Es stillt den Durst nie, aber es hält ihn für ein paar Stunden davon ab, ihn wahnsinnig zu machen.

An irgendeinem Berg nördlich von hier stehen siebenhundert Shinobi Konohas, darunter sieben Jounin. Sie werden nach Süden vorrücken und eine Stadt dort von der Versorgung abschneiden.

„Warum machst du es dir so schwer?“

Mutter kniet neben ihm und beugt sich über ihn. Ihre Haare sind offen, ellbogenlang und dunkelbraun, sie kitzeln seine Hand. Mutter lächelt, aber in ihren Augen steht tiefe Sorge.

„Erspar dir das, mein Junge. Sag diesen bösen, bösen Leuten einfach, was sie wissen wollen, und sie werden aufhören, dir wehzutun. Du quälst dich doch nur selbst.“

Sie streichelt seine unverletzte Wange, und ihm schießen die Tränen in die Augen. Er erträgt es nicht, es ist zu schön. Er will tun, was sie sagt, aber etwas irritiert ihn. Mutter ist tot. Vielleicht ist sie nur ein Genjutsu. Aber wie kann das sein? Die Iwa-Nins haben keine Ahnung, wie Mutter aussieht. Genügt es schon, dass er es weiß?

„Mein armer, lieber Junge.“

Sie beugt sich über ihn, ihre Haare duften, genau wie früher. Er spürt, wie ihre warmen Lippen seine Stirn berühren, und er beißt sich auf die Zunge, so fest er kann. Wenn nichts anderes funktioniert, hat Natsuki-sensei gesagt, kann ein Schmerzimpuls ein Genjutsu zerstören. Es tut weh, seine Sicht flackert, und dann ist die Wärme des Kusses von seiner Stirn verschwunden. Mutter wird nie wiederkommen. Sie ist tot.

„Wie schade. Deine sanfte Tour hat anscheinend nicht funktioniert.“

In den Bergen südlich von hier stehen sieben Shinobi Konohas, darunter zwanzig Jounin. Sie werden nach Westen vorrücken und die dortigen Trinkwasservorräte vergiften.

Er hat Durst, er kann nicht mehr denken. Er kann schon kaum noch schreien, weil er so heiser ist. Sein Körper ist vor Schmerzen entkräftet, aber nicht verletzt bis auf den tiefen Schnitt, der seine rechte Wange durchtrennt hat und bis in den Mundraum reicht. Wenn er zu schwach ist, um zur Wand zu kommen, saugt er Blut aus dem Schnitt. Es tut weh, aber er kann nicht damit aufhören.

Irgendwo nördlich von hier stehen zweitausend Shinobi Konohas, darunter elf Jounin. Sie werden nach Osten gehen und dort irgendetwas sabotieren. Glaube ich.

Er weiß nichts mehr, er kann nicht mehr denken, er hat seinen eigenen Namen vergessen. Irgendwo raschelt es, sicher die Ratten. Panisch versucht er, sich aufzusetzen, aber wie immer kann er sich nicht rühren. Am liebsten würde er heulen.

Irgendwo südlich von hier, oder nördlich, ich weiß es nicht mehr, stehen Shinobi Konohas. Ich weiß nicht, wie viele, viele wahrscheinlich. Und Jounin sind dabei. Sie werden nach Westen gehen, oder nach Osten, irgendwo hin jedenfalls, und da werden sie irgendetwas tun. Etwas Böses. Ich weiß nicht, was. Ich weiß nicht, was sie tun werden. ICH WEISS ES DOCH NICHT!
 

Es ist hell, er versteht nicht, wo das Licht herkommt. Aber bei Licht ist es einfacher, nicht zu weinen.

„Ihr wollt mir nicht erzählen, dass ihr immer noch nichts aus dem Jungen herausbekommen habt!“

„Doch, aber ... nicht die Wahrheit, glauben wir.“

„Er erzählt alles Mögliche, aber immer etwas anderes. Wir wissen mittlerweile nicht mehr, was wir glauben sollen.“

„Vielleicht macht der kleine Bastard das sogar mit Absicht.“

„Unsinn! Er kommt aus Konoha, das sind alles Waschlappen. He, Junge. Junge!“

Jemand zieht ihn am Kragen hoch, sein Hinterkopf schlägt auf den Boden.

„Sieh mich an. Sieh mich an, verdammt nochmal. Du wirst mir nichts als die Wahrheit sagen, oder ich werde ungemütlich.“

Das Gesicht des Mannes verschwimmt vor seinen Augen.

„Fangen wir mit einer einfachen Frage an. Wie heißt du?“

Er antwortet nicht. Etwas Warmes läuft aus seinem Mundwinkel.

„Hast du die Frage nicht verstanden?“

Ich weiß nicht.

„Wie heißt du, verdammt nochmal?“

Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr, mein Kopf gehört mir nicht mehr, ich kann nicht mehr denken. Um Gnade winseln könnte ich vielleicht noch, aber Vater sagt, so etwas tut ein Shinobi nicht.

„Das bringt doch überhaupt nichts. Frag ihn lieber sofort nach dem, was wichtig ist.“

Irgendwo in der Nähe gibt es Shinobi Konohas, und die planen irgendetwas, was euch nicht gefallen wird. Mehr weiß ich nicht.
 

„Das erklärt alles.“

„Was meinen Sie, Sensei?“

„An dem Verlauf des Angriffs war von Anfang an etwas seltsam. Die Iwa-Nins scheinen sich auf einen Überfall vorbereitet zu haben, sind aber offenbar von völlig falschen Angaben ausgegangen. Die falsche Richtung des Angriffs, die falsche Truppenstärke ... Weißt du nicht mehr, wie ich gesagt habe, jemand müsste sie mit Fehlinformationen gefüttert haben?“

„Und Sie meinen, das war dieser Junge?“

„Wahrscheinlich.“

„Hoffen wir, dass er diese Kühnheit nicht mit dem Leben bezahlt.“

„Wenn er draufgeht, beantrage ich, dass der Hokage ihm posthum einen Orden verleiht.“

Flatternd öffnet er die Augen und sieht zwei Männer, die sich über ihn beugen. Sein erster Impuls ist es, die Augen wieder zu schließen. Dann erkennt er das Konoha-Abzeichen auf ihren Stirnbändern.

„Hallo, Junge. Kannst du uns hören? Du bist jetzt in Sicherheit. Wir haben dieses Versteck ausgehoben und alle Iwa-Nins getötet. Du brauchst keine Angst zu haben. Wie heißt du?“

Er holt tief Luft, aber er kann nichts sagen. Er kennt die Antwort nicht

„Vielleicht versteht er Sie nicht, Sensei.“

„Vielleicht ist er auch nur zu schwach zum Sprechen.“

Einen Moment lang herrscht Stille, und er versucht, sich zu erinnern. Er weiß nicht, wie er heißt.

„Er erinnert mich an jemanden.“

„Ach ja?“

„Er sieht aus wie Morino-san in jünger. Hat er einen Sohn?“

Bei diesem Namen rührt sich irgendetwas in seiner Erinnerung. Morino.

„Morino Ibiki“, sagt er heiser.

„Ibiki, natürlich!“ Der Mann über ihm lächelt, er hat die blicklos weißen Augen der Hyuugas. „Na, dann wollen wir dich mal hier raus schaffen, was, Ibiki? Wir bringen dich nach Konoha, und dann wird alles gut. Du wirst sehen.“

Er legt einen Arm um Ibikis Schultern und richtet ihn auf. Anscheinend hat er vor, ihn auf den Rücken zu nehmen, aber Ibiki schüttelt den Kopf.

„Nein. Ich kann allein laufen.“

„Das ist nicht dein Ernst!“, sagt ein Junge mit Brandnarben im Gesicht, der einen Schritt hinter dem Mann steht. „Schön, vielleicht bist du nicht verletzt, aber in deinem Zustand ...“

Er ignoriert ihn, klammert sich am Arm des Mannes fest und kommt mühsam auf die Beine. Sie schmerzen, weil er sie so lange nicht mehr benutzt hat, aber er steht und findet sein Gleichgewicht. Nur ein wenig schwindelig ist ihm noch.

„Ich kann allein laufen“, wiederholt er, noch immer lächerlich heiser, aber umso überzeugter. Der Junge lacht ungläubig.

„Lass ihn, Raidou“, sagt der Hyuuga gelassen. „Er ist eben ganz der Vater.“
 

Ibiki hatte vergessen, wie hell und warm die Sonne ist, aber anders als den Verlust seines Namens bemerkt er es erst, als er wieder draußen ist. Er lässt den Arm des Hyuugas los, reckt das Gesicht ins Licht und atmet tief ein.

„Ibiki!“

Jemand stürzt auf ihn zu und wirft die Arme um ihn. Ibiki verliert das Gleichgewicht, und der Hyuuga schafft es nicht mehr, ihn vor einem Sturz zu bewahren.

„Vorsichtig, Tokara! Der arme Junge ist doch völlig geschwächt.“

„Wie geht es dir?“, sprudelt es aus Tokara hervor, der auf Ibiki gelandet ist und sich auf die Arme aufstützt. „Ich bin so froh, dich zu sehen! Ich habe unseren Leuten gesagt, dass sie euch vielleicht gefangen genommen haben. Beinahe hätten sie mich auch gekriegt, aber ...“

Ibiki hört ihn kaum. Er liegt auf dem Rücken und sieht hinauf in den Himmel. Blätter und Bäume und Wolken.

„Natsuki-sensei ist tot. Diese Schweine haben sie an einem Baum aufgehängt, und ... und ... ekelhaft. Fast hätten sie mich auch gekriegt. Aber du bist am Leben! Es geht dir gut, oder? Wo ist Aya?“

Unglaublich, dass die Sonne so hell ist.

„Ibiki?“, fragt Tokara verunsichert. „Wo ist Aya?“

Er kann nicht antworten, sieht Tokara nur an und schüttelt den Kopf. Tokara beißt sich auf die Lippe, und ihm schießen die Tränen in die Augen.

„Aber ... du bist am Leben. Das ist toll! Ich ... bin wirklich froh darüber!“

Die Tränen laufen über sein Gesicht, während er es sagt, und Ibiki sieht an ihm vorbei in den Himmel. Er weint nicht.



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