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Die Wölfe 5 ~Das Blut des Paten~

Teil V
von

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~Kontrolle~

Die Monate ziehen unbarmherzig an mir vorbei, ein Tag erscheint mir, wie der Andere: Schlafen, Essen, Training, Papierkram, Telefonate, Geschäftsessen. Die Fäden im Hintergrund zu ziehen, ist viel langweiliger, als ich es mir vorgestellt habe und zu allem Überfluss, laufen mir Aarons Gorillas Tag und Nacht hinterher. Selbst hier auf dem Klo, habe ich vor ihnen keine Ruhe. Mittlerweile würde ich liebend gern dabei zusehen, wie sie sich eine Kugel für mich einfangen und daran krepieren.

Während ich mir die Hände wasche, stehen sie rechts und links der Tür, die Arme nach unten gefaltet, mit dem immer selben gleichmütigen Gesichtsausdruck.

"Wenn ich zu Hause bin, habt ihr Freizeit, ihr könntet euch ruhig mal dünne machen!", schlage ich ihnen vor. Sie reagieren nicht, ich weiß nicht mal, ob sie mich verstanden haben.

"Habt ihr kein Privatleben?" Wieder bleiben sie stumm. Obwohl wir nun schon vier Monate zusammen arbeiten, weiß ich so gut wie nichts über sie. Ja und nein scheinen die einzigen Worte zu seinen, die sie beherrschen. Ich seufze resigniert und trockne mir die Hände.

„Enrico, komm ins Büro!“, schalt es vom Flur. Was will der alte Sack schon wieder von mir? Den ganzen Tag ruft er nach mir, ständig ist etwas anderes. Hoffentlich knallt er mir nicht wieder einen Stapel Papiere vor die Nase, ich hab genug von dem ganzen Finanzscheiß. Was gäbe ich nicht alles für einen netten Pokerabend bei Erik, mit echten Menschen und nicht diesen ganzen Büro- und Politiktypen.

„Ja, ich komme gleich“, entgegne ich genervt und verlasse das Badezimmer. Die beiden Gorillas setzen sich in Bewegung und folgen mir, wie ein übergroßer Schatten. Wenn man sich wenigstens mit ihnen unterhalten könnte, aber sie reden ja nicht. Ich folge dem Flur bis zur Treppe und hinauf in den ersten Stock, auf halbem Wege kommt mir Judy mit den Kindern entgegen. Sie trägt ein weißes Sommerkleid, das weit über ihren runden Bauch fällt. Ihre Bewegungen werden von Tag zu Tag schwerfälliger. Auch jetzt müht sie sich ab und muss jede Stufe einzeln nehmen. Nicht mehr lange und die Villa wird von lautem Babygeschrei erfüllt sein. Mir Gruselt es schon jetzt bei der Vorstellung.

Unsere Tochter trägt ein ähnliches Kleid, wie ihre Mutter, nur enger geschnitten. Judy hat Beide bei dem selben Schneider in Auftrag gegeben. Amys Haare sind lockig frisiert, und mit Schleifen fein hergerichtet. Selbst Rene ist zurecht gemacht und sieht in seinem Hosenanzug feierlich aus. Es ist Sonntag, sie wollen sicher einen Ausflug machen und ich sitze hier mit Aaron fest, mal wieder.

„Wir wollen zum Strand, kommst du mit?“, will meine Frau wissen und lächelt vergnügt.

„Dein Vater hat nach mir gerufen. Ich komme nach, wenn ich kann!“ Sie nickt und müht sich die letzten Treppen hinunter. Amy und Rene folgen ihr leichtfüßig.
 

Zum Strand, würde ich jetzt auch gern, das Wetter ist toll und bei der Hitze, kann auch ich eine Abkühlung vertragen. Seufzend erklimme ich die letzten beiden Stufen und betrete Aarons Büro.

„Ihr beide wartet draußen!“, weist er die Leibwächter an. Sie nicken und verlassen das Zimmer. Wie schön, auf Aaron hören sie. Ich sollte sie auf meine Gehaltsliste setzen, dann tun sie vielleicht auch mal, was ich ihnen sage. Der Größere von Beiden schließt die Tür von außen, dann bin ich mit dem Paten allein. Der alte Mann sitzt hinter seinem Schreibtisch und mustert mich streng.

„Das ist nun schon das zweite Mal!“, brummt er. Ich bin mir nicht sicher, was er meint und schaue fragend. „Das zweite Mal?“

„Das zweite Treffen, bei dem sich Antonio nicht blicken lässt!“

„Ja!“, entgegne ich emotionslos. Was soll ich auch groß dazu sagen? Seit unserem Streit, habe ich ihn nicht mehr gesprochen. Er geht mir aus dem Weg. Selbst wenn ich im Club vorbei schaue, verschwindet er, sobald er mich sieht. Ich habe mich selbst darüber geärgert, dass er auch am heutigen Clan-Treffen nicht teilgenommen hat. Bei ihm bin ich mit meinem Latein am Ende.

Aaron zieh die buschigen Brauen noch tiefer ins Gesicht, als er fordert: „Bring den Kerl unter Kontrolle! Du bist jetzt sein Vorgesetzter, wenn du ihn rufst, hat er zu erscheinen und was du ihm aufträgst hat er umzusetzen. Wenn ihr das nicht hinbekommt, such ich mir nen anderen Chef für die Wölfe und Antonio kann sich sein Geld wieder an den Docks verdienen. Ich habe die Schnauze allmählich voll von eurem Kindergarten!“ Als wenn er auf mich hören wird, oder sich mal zu einem Gespräch mit mir herablässt.

„Ja, ich werd's ihm ausrichten, wenn ich ihn mal sehe." Aaron schaut noch immer finster.

„Du wirst es ihm sofort sagen und sollte er nicht spuren, lege ich Hand an!" Ich muss schwer schlucken. Die Kerle, an denen Aaron Hand anlegt, schwimmen am nächsten Tag auf dem Grund des Hudson Rivers.

„Schon gut, ich klär das!", sage ich schnell.

„Das will ich für dich hoffen!“ Aaron wendet sich ab, er macht eine ausfallende Handbewegung und widmet sich dem Papierkram. Ich bin entlassen, aber freuen kann ich mich darüber nicht. Aus dem Tag am Strand wird wohl nichts werden. Ich gehe, doch bevor ich die Tür schließen kann, ruft er mir nach: „Wenn reden nichts bringt, hau ihm einfach mal ein Paar aufs Maul!“ Ich lächle bitter und schließe die Tür. Als wenn das etwas bringen würde. Eine Prügelei endet bei uns in Sex. Andererseits, vielleicht ist das genau der richtige Weg, in wieder unter Kontrolle zu bringen. Ein breites Grinsen huscht mir ins Gesicht, bis die beiden Gorillas vor mir auftauchen. Die kann ich als Zuschauer nun wirklich nicht gebrauchen, ich muss sie loswerden, irgendwie.

„Ihr bleibt hier!“, weiße ich sie streng an. Wieder regt sich nichts in ihren Gesichtern, doch als ich mich in Bewegung setze, folgen sie mir, wie immer.

„Ihr geht mir tierisch auf die Nerven“, murmle ich und laufe schneller. Sie halten auch weiterhin mit mir Schritt. Ich wüsste zu gern, wie viel Aaron ihnen bezahlt, dass sie sich das hier freiwillig antun.
 

Wir erreichen zusammen den Garten, erst jetzt lösen sie sich aus meinem Schatten und laufen zu Aarons Limousine, die gleich neben dem Anwesen parkt. Seit Tagen besteht der Pate darauf, dass ich stilvoll vorfahre. Jester sitzt bereits hinter dem Steuer und lächelt mir zu. Ich darf nicht mal mehr selbst fahren, das hält der Alte nicht für angemessen. Diese ganze Vornehmtuerei nervt gewaltig. Die Strafe reich zu sein ist wohl die, sich wie ein reicher Schnösel benehmen zu müssen.

Jesters stumme Aufforderung einzusteigen, erwidere ich mit einem Kopfschütteln und lauf zwei Meter weiter, zu meinem Motorrad. Noch auf dem Weg dort hin, krame ich meine Schutzbrille aus der Jackentasche und setze sie auf. Viktor und Jakow halten inne, sie zögern und reagieren zu langsam. Während sie mich irritiert mustern, sitze ich schon auf meiner Maschine und starte den Motor. Endlich frei, nichts wie weg von hier, bevor sie begreifen, dass sie mich mit der Limousine niemals einholen können. Ich lasse den Motor laut aufheulen und rausche über den Kiesweg davon.

Im Rückspiegel wird meine goldener Käfig immer kleiner und ich kann seit Tagen endlich mal wieder durchatmen. Auf dem kürzesten Weg steuere ich den Highway an, um endlich richtig Gas geben zu können. Der Fahrtwind rauscht mir in den Ohren, der Luftzug ist kalt und angenehm, der Rausch der Geschwindigkeit vibriert in meinen Adern. Ich verpasse absichtlich die ersten beiden Ausfahrten nach Brooklyn, nur um dieses Gefühl der Grenzenlosigkeit etwas länger genießen zu können. Mein Umweg führt mich von Highway runter und wieder hinauf. Das könnte ich den ganzen Tag machen, aber die Pflicht ruft und ein klärendes Gespräch mit Toni ist längst überfällig. Schweren Herzens nehme ich die nächste Abfahrt und folge dem schnellsten Weg zum Midnightsclub.
 

Mein Motorrad parke ich im Hinterhof, suchend schaue ich mich nach Tonis Wagen um. Er steht nicht weit von mir, neben einen der LKWs. Sehr gut, er ist also daheim.

Zwei Autos weiter, fällt mir eine schwarze Limousine auf. Erschrocken sehe ich auf die Türen, die sich in eben jenem Moment öffnen. Die beiden Russen steigen aus, in ihrem Gesicht spiegelt sich ein triumphierendes Lächeln. Verdammt! Sie wussten wohin ich fahren werde, sicher haben sie mein Ziel von Jester erfahren, den der Butler ist nicht bei ihnen. Ich seufze und setze die Brille ab. Während ich sie in meiner Jackentasche verstaue, halte ich auf die Beiden zu.

„Eins zu Null für euch!“, lasse ich sie anerkennend wissen. Beide senken den Blick und lächeln verstohlen. Die erste Reaktion, die ich bei ihnen auslöse. Vielleicht sind sie ja doch Menschen und keine Maschinen, wie ich bisher vermutet habe.
 

„Was willst du schon wieder hier? Und noch dazu mit dieser Protzkarre und diesen beiden Schoßhunden!“ Toni? Ich drehe mich nach ihm um. Es scheint mir eine Ewigkeit her zu sein, dass ich seine Stimme gehört habe, dass sie mir durch Mark und Bein geht. Wie ich das vermisst habe, nur dieser vorwurfsvolle Unterton nervt gewaltig. Seine Laune ist schlecht, das weiß ich, noch bevor ich ihn mit den Augen gefunden habe. Sein Blick ist drohend, seine Haltung abwehrend. Mit den Armen vor der Brust verschränkt, bleibt er vor dem Eingang des Clubs stehen. Sein Gesicht wird von einem Dreitagebart eingerahmt, das schwarze Hemd spannt um seinen Bauch. Er trägt keine Krawatte und seine Haare sind zerzaust, als wenn er eben erst aufgestanden wäre. Wo ist der gepflegte, gutaussehende Kerl, dem ich so verfallen bin?

„Der Club läuft gut! Wir brauchen dich hier nicht!“, sagt er. Glaubt er wirklich, dass ich deswegen hier bin? Und warum spielt er sich so auf? Das der Club gut geht ist Romeos Verdienst, nicht seiner. Ich lasse mich gar nicht erst auf eine Diskussion ein und entgegne ernst: „Du weißt wohl nicht welcher Tag heute ist?“ Er schaut überrascht, dann fragend. Weiß er es wirklich nicht? Er braucht eine gefühlte Ewigkeit, bis er endlich eine Antwort gibt: „Freitag!“

„Es ist Sonntag, du Idiot!“, erwidere ich und gehe auf ihn zu. Seine Alkoholfahne weht mir entgegen. Hat er sich etwa zulaufen lassen und den ganzen Tag verpennt? Ungläubig mustern mich seine trüben Augen.

„Du hattest heute einen Termin bei mir!“ Als ich auf ihn zuhalte, weicht er einen Schritt zurück. Seine Augen mustern mich wild und anklagend.

„Ich hatte wichtigeres zu tun“, presst er heraus. Ich dränge ihn an die Tür in seinem Rücken und packe ihn am Kragen seines Hemdes.

„Was denn? Dich zulaufen zu lassen und den Tag zu verpennen? Sieh dich doch mal an! Du bist fett geworden und stinkst zum Himmel!“ Ich schlage ihm auf den Bauansatz und rümpfe die Nase.

„Das ist meine Sache!“, keucht er atemlos, „Das hat dich nicht zu interessieren!“

„Reiß dich gefälligst zusammen man! Du bist der Chef eines Clans.“

„Ja genau, und deswegen hast du mir auch gar nichts zu sagen!“

„Ich bin noch immer dein Chef du Arsch. Du hast zu tun, was ich dir sage! Wenn ich dich rufe hast du aufzutauchen und was ich dir auftrage hast du zu erledigen, sonst fliegst du raus und kannst wieder an den Docks arbeiten“, sprudeln Aarons Worte aus mir heraus. Toni schlägt meine Hände von sich. Abschätzig betrachtet er mich von oben.

„Pah! Von wegen, du bist nur der Laufbursche des Paten! Mehr nicht! Wenn mich jemand feuert, dann er!“ Jetzt reicht es! Ich hole aus und schlage in dieses überhebliche Gesicht. Toni dreht den Kopf zur Seite, seine Wange schwillt an. Erschrocken mustert er mich, dann verfinstert sich sein Blick.

„Du mieses Arschloch!“, schreit er und holt aus. Er schlägt zu. Ich weiche aus und packe seine Hand am Gelenk. Seinen Arm verdrehe ich ihm auf den Rücken und drücke ihn nach unten. Er kreischt aufgebracht, doch seine Gegenwehr ist lächerlich. Wo ist die Kraft und Schnelligkeit geblieben, mit der er mich sonst überwältigt hat? Ist er inzwischen so schwach oder zeigt das brutale Training mit Kenshin endlich Wirkung? Ganz gleich, aus diesem Griff kommt er nicht frei.

„Du scheinst da einiges durcheinander zu bringen, also werde ich dich mal auf den neusten Stand bringen: Ich bin das offizielle Oberhaupt der Locos, Aaron hat sich vor einem Monat in den Ruhestand verabschiedet. Wenn du deinen faulen Arsch mal auf eines unser Clantreffen bequemt hättest, dann wüsstest du das!“ Ich stoße ihm hart in den Rücken und gebe ihn frei. Er stolpert und fällt vor mir zu Boden, sein Autoschlüssel rutsch ihm dabei aus der Hosentasche und landet vor meinen Füßen. Ich bücke mich danach.

„Ich hasse dich!“, keucht er, auf dem Rücken liegend und schaut wütend auf. Ich blicke gleichgültig zurück und zucke mit den Schultern.

„Ach ja, wie sehr?“, will ich wissen und schwenke den Schlüssel in meiner Hand. Toni schluckt schwer und bemüht sich vergeblich die finstere Mine aufrecht zu halten. Schluss mit Lustig! Er wird mich begleiten, ob er will oder nicht.

„Gib den her!“

„Der gehört mir, wie alles hier! Ich habe ihn bezahlt und das hier alles aufgebaut und wenn ich ihn gegen die nächste Hauswand setze, dann habe ich jedes Recht dazu.“ Das dürfte reichen, damit er mir überall hin folgt. Hastig kämpft er sich auf die Beine, doch bevor er wieder steht, bin ich schon auf dem Weg zu seiner Karre. Seine Schritte eilen mir nach. Als ich in den Wagen steige und die Tür schließe, reißt er die Beifahrertür auf. Ich ziehe meine Waffe und richte sie auf die Armaturen des Wagens.

„Steig ein, oder ich schwöre dir, ich schieße so viele Löcher rein, dass du ihn als Schweißer Käse verkaufen kannst!“ Toni betrachtet mich wild und ungläubig. Ernst und eindringlich schaue ich zurück. Als er nicht sofort einsteigt, entsichere ich die Pistole und krümme den Zeigefinger um den Abzug. Er bläst die angestaute Wut in einem Seufzen heraus und steigt zu mir.

„Geht doch!“ Noch bevor er die Tür geschlossen hat, starte ich den Wagen. Die Waffe stecke ich weg, dann drehe ich das Lenkrad voll ein. Mit quietschenden Reifen, wirble ich den Schotter unter uns auf und fahre davon. Toni kann gerade noch so die Beine einziehen, um den Splitt nicht abzubekommen, dann lassen wir den Innenhof bereits hinter uns.

Unser Streit hat den ganzen Clan auf den Plan gerufen. Im Rückspiegel sehe ich sie ins Freie laufen und uns nach sehen. Das dürfte auch ihnen für die Zukunft eine Lehre sein, dass mit mir nicht zu Scherzen ist. Hinter uns blieben sie und auch Viktor und Jakow zurück. Obwohl mein Leibwächter unverzüglich in die Limousine steigen, werden sie uns nicht mehr einholen, dafür werde ich sorgen. Toni liebt schnelle und wendige Autos, ihre Limousine wird niemals mit uns mithalten können und dieses Mal kennen sie mein Ziel nicht. Das erste Mal, seit langem, habe ich wieder die Fäden in der Hand und es fühlt sich großartig an.
 

„Mach die Tür zu!“, befehle ich Toni. Er gehorcht, dieses Mal ohne zu murren. Als ich einen Blick zur Seite werfe, betrachtet er ängstlich die Fahrbahn. Ich bin viel zu schnell, gut das doppelte von dem, was erlaubt ist und schalte gerade noch einen Gang höher.

„Wirst du mich jetzt umbringen?“, will er mit zitternder Stimme wissen. Glaubt er das wirklich?

„Idiot!“ Ich und biege auf den Highway ab. Im Rückspiegel kann ich keine Limousine sehen, die Russen sind wir schon mal los. Toni verkrampft sich zusehends, seine Hände krallen sich in den Sitz, während er starr nach vorn sieh.

„Enrico!“, presst er zwischen den zusammengebissenen Zähen hervor. Ich schaue wieder auf die Fahrbahn. Direkt vor uns fährt ein gemütlicher Druck, sein Heck kommt uns rasant näher. Ich ziehe nach links und nutze die winzige Lücke, die zwischen uns und einem andren Wagen frei ist, um an dem Druck vorbei zu ziehen. Laues Hupen schallt uns nach.Verdammt! Das war knapp, viel zu knapp. Ich atme durch und nehme den Fuß vom Gas. Wenn ich weiter so rase, haben wir bald die Bullen im Nacken. Während ich mein Tempo den Verkehrsregeln anpasse, wird es totenstill. Zehn Kilometer lang spricht weder er, noch ich. Nur sein unruhiger Atem erfüllt den Innenraum, mit dem Geruch von Alkohol und Erbrochenem. Warum nur lässt er sich so gehen und glaubt er wirklich, ich könnte ihm etwas antun?

„Keine Sorge, ich leg dich nicht um, aber Aaron, wenn du dich weiter so daneben benimmst“, lasse ich ihn wissen.

„Und wenn schon!“ Mehr hat er nicht dazu zu sagen? Was ist nur los mit ihm?

„Ist das alles?“

„Was kümmert es dich?“, presst er aggressiv heraus, doch seine Stimme zittert vor Bitterkeit, „Du hast doch jetzt deinen Jan und diese beiden Russen. Also kümmere dich um deinen Mist!“ Darum geht es also noch immer? Mir sitzt unser Streit auch in den Knochen, aber ich besaufe mich deswegen doch auch nicht ständig und lass mich hängen. Warum ist er denn nicht einfach zu mir gekommen? Warum geht er mir aus dem Weg, wenn ihn das so mitnimmt? Ich fahre an den Straßenrand und parke den Wagen. Toni wendet den Blick ab, er sieht aus dem Fenster. Sein Atem geht schwer, zusammengesunken hängt er in seinem Sitz.

„Das mit Jan war, ...“

„Sparr' dir deine Entschuldigung. Ich will sie nicht hören. Wenn unser beider Leben nicht vom Schutz der Locos abhängen würde, wäre ich schon längst über alle Berge. Wenn dir auch nur irgend etwas an mir liegen sollte, dann sorge dafür, dass wir nur noch das nötigste miteinander zu tun haben. Ich ertrage deinen Anblick einfach nicht mehr.“ Ein fetter Kloß rutscht mir in den Hals und lässt mich schwer schlucken. Ist das sein ernst? Er schaut mich nicht an, sein Atem geht ruckartig und setzt immer wieder aus.

„Na schön!“, höre ich mich sagen. Wenn das sein Wunsch ist, dann lasse ich ihn eben sein eigenes Ding machen. Das ist immer noch besser, als ihn in dem Zustand zu sehen. Vielleicht geht es ihm ohne mich und mit Anette ja tatsächlich besser. Als er sich mir zuwendet, sehe ich aus dem Fenster und den vorbeiziehenden Autos zu.

„Ich überschreibe dir den Club und lass dich machen. Wenn du dafür zu den Treffen kommst und mir Bericht erstattest. Das kann ich dir als Chef der Wölfe nicht ersparen.“

„Und wenn du jemand anderen zum Chef machst?“ Ich lächle bitter. Ist ihm selbst das lächerliche Treffen schon zu viel? Ich halte es kaum einen Tag aus, ohne ihn zu sehen. Wenn Aaron mir etwas Zeit lässt, bin ich stets nur seinetwegen zum Club gefahren, selbst wenn er nicht da war, nur aus der Hoffnung heraus, wir würden uns trotzdem über den Weg laufen. Schlimm genug, dass ich das nun sein lassen soll, aber wenigstens zu den Clantreffen, will ich ihn sehen.

„Es gibt niemanden dem ich diesen Posten anvertrauen kann!“, sage ich etwas hilflos und in der Hoffnung, es reicht aus, damit er auf den Deal eingeht.

„Und wenn ich nicht mehr der Chef sein will?“

„Willst du wieder an den Docks arbeiten und in Armut leben?“

„Das ist mir mittlerweile egal, Hauptsache ich bin so weit wie möglich von dir weg. Wären wir uns nur nie über den Weg gelaufen!“ Mir bliebt das Herz stehen. Hat er das wirklich gesagt? Das Atmen fällt mir immer schwerer, meine Kehle schnürt sich zu. Ich schwebe wie in einem Traum, wie in einem nicht enden wollenden Alptraum. Wie kann er nur so denken? Ich bereue nicht einen Moment mit ihm, nicht mal die schlechten. Aber wahrscheinlich kann ich das Selbe nicht von ihm erwarten. Es gibt so viele Gründe, die gegen uns sprechen und einer der Wichtigsten, bin wohl ich selbst. Was musste mir auch das mit Jan passieren? Ich hab es einfach versaut und jetzt kann ich ihm nicht mal den Freiraum lassen, denn er braucht. „Ich würde dich gehen lassen, wenn das dein Wunsch ist, aber Aaron nicht. Er hat mich geschickt, um dir die Wahl zu lassen. Entweder die Verantwortung für die Wölfe oder ...“

„Ich dachte du führst jetzt die Locos!“ Wieder huscht mir ein bitteres Lächeln über die Lippen. Aaron schwebt noch immer über allen Entscheidungen.

„So lange Aaron und Michael leben, werden wir beide niemals frei sein. Und ich wette selbst dann, sind wir noch auf den Schutz eines Syndikats angewiesen.“

Wir schweigen, lange, ewig. Die Stille ist so erdrückend, dass ich daran zu ersticken glaube. Ich bin froh, als Toni endlich wieder zu sprechen beginnt: „Überschreibe mir den Club! Ich komme einmal im Monat, sag dir wies läuft und verschwinde wieder. Ich will den Platz ganz außen am Tisch und mich auch nur übers Geschäft unterhalten. Ansonsten lässt du mich in Frieden!“ Seine Worte klingen nicht so, als wenn ich eine Wahl hätte. Entweder ich stimme zu, oder er lässt alles so laufen wie bisher und wird früher oder später vom alten Paten beseitigt. Damit, das er lebt und ich ihn einmal im Monat sehen kann, werde ich wohl oder übel zufrieden sein müssen.

„Na schön, wie du willst“, gebe ich kleinlaut nach und kann spüren, wie die Kälte erneut von meinem Herz Besitz ergreift und alle Gefühle verschlingt.

Ich starte den Wagen und lenke ihn zurück auf die Straße. Am besten wir wickeln die ganzen Formalitäten sofort ab, damit ich nicht noch einmal darüber nachdenken kann.
 

Der Weg zu Aarons Villa fliegt ungesehen an mir vorbei. Als das Anwesen in Sichtweite kommt, weiß ich nicht mal, wie ich bis dort hin gefunden habe. Ich fühle mich wie automatisiert, wie eine Maschine, die einfach nur funktioniert.
 

Das Tor steht offen. Wie seltsam! Wir erwarten heute gar keinen Besuch. Ein unbestimmtes Gefühl frisst sich in meinen Magen und beißt sich dort fest. Ich parke auf der Straße und steige aus. Alles bleib still. Kein freudiges Hundegebell, keine Pfoten, die über den Kiesweg traben und mich umrennen wollen. Hier stimmt etwas nicht! Instinktiv greife ich zur Waffe. Toni steigt ebenfalls aus und eilt zu mir.

„Was ist los?“, will er wissen. Ich antworte nicht, sondern folge dem Kiesweg. Etwas liegt dort, dort oben, auf halber Höhe zum Anwesen. Zwei dunkle Schatten, heben sich vom grünen Grass und den weißen Kieselsteinen ab. Etwas schimmert rot, zwischen den Vorderläufen, die steif von den Körpern abstehen. Das glatte Fell ist blutverschmiert.

„Scotch! Brandy!“, rufe ich die Wachhunde. Sie rühren sich nicht, ihre Körper liegen vor Schmerzen verrenkt im Gras. Ich lasse die Waffe fallen und werfe mich auf die Knie zu ihnen. Scotchs massigen Kopf nehme ich in beide Hände. Kein Atemzug kommt aus seiner Kehle, dafür schwappt mir ein ganzer Schwall Blut auf die Hose. In seinem Leib klaffen Schusswunden, überall. Ich greife in das blutige Fell, versuche sie zuzudrücken.

„Nein! Nein! Nein! Scoch, komm schon! Mach die Augen auf, alter Junge!“, rufe ich ihn an, doch der Hund in meinen Armen, rührt sich nicht. Mein Blick fällt auf seine Gefährtin. Brandy liegt nur einen Meter weiter. In ihrem Maul hängt ein schwarzer Stofffetzen. Ihr Brustkorb bewegt sich nicht, die Zunge hängt ihr leblos aus dem Maul. Dort, wo einst ihr rechtes Auge war, ist nur noch ein dunkles Loch. Sie ist tot, sie … sie sind beide tot!

„Enrico, die Haustür!“ Toni bleibt neben mir stehen, sein ausgestreckter Arm deutet auf das Anwesen. Ich folge seinem Fingerzeig. Die Tür seht weit offen. Angst erfüllt meinen Brustkorb und lässt mich erschaudern.

„Aaron ...“, kommt mir über die Lippen. Das darf einfach nicht passiert sein! Es ist doch mitten am Tag. Die Wachhunde waren draußen, Das darf einfach nicht sein! Meine blutige Hand greift die Waffe zu meinen Füßen, wie benommen erhebe ich mich und laufe los. Mein Griff um den Lauf wird immer feste, je weiter mich meine Beine tragen. Den Kiesweg entlang, die Steintreppe hinauf und durch die weit offen stehende Haustür. Wer immer das getan hat, wird hier und jetzt den Tot finden!



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Satomi
2016-01-11T18:59:31+00:00 11.01.2016 19:59
Der schlimmste Teil für mich ist der mit den Hunden. Argh~ -_-
Hab das Kapitel (zumindest den Rest kenn ich ja. :P) ja im Forum gelesen.
was wäre eigentlich gewesen wenn seine Familie dort gewesen wäre?
Würde mich wirklich mal interessieren.

Oh und Toni hat ja auch mal Abreibung bekommen, gut. xD
Konstruktive Kritik kannst du bei mir doch vergessen, weißte doch. old men ;P
außer das du Fehler drin hast ^^"
Antwort von:  Enrico
11.01.2016 20:13
Ja ging mir ähnlich. Wollte heute eigentlich weiter schreiben, aber ich hab mich zu sehr vor den folgenden Bildern gescheut. Und wäre der Rest der Familie anwesend gewesen, wären sie sicher auch getötet wurden.Hab e Szene auf der Treppe mit Judy und denn Kindern auch nir deswegen eingebaut, damit man schlussfolgern kann, dass suesie nicht da sind.

Und ja das hat Toni da auch mal gebraucht^-^. Hab jetzt auch keine konstruktive Kritik erwartet, wobei ich deine Eindrücke grotzdem zu schätzen weiß.
Antwort von:  Satomi
11.01.2016 20:18
ich kenn es selbst den treusten Freund/Hund zu verlieren, bei solchen Szenen (mein Hund war ja Polizeihund/Wachhund) muss ich bissel an meinen eigenen Hund denken.
Hab mich schon gewundert, wieso die da auf einmal waren. xD
Hab das irgendwie anders in Erinnerung. ^^""

Toni ist dennoch nen Arsch... genau wie Enrico. <_<
Manchmal kann ich aber keine anderen Eindrücke geben.
Antwort von:  Enrico
11.01.2016 21:32
Wie ist denn deine Erinnerung daran wenn du meinst sie waren nicht dort?


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