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Die Welt im Wandel

Oneshot-Sammlung zu "Vergeltung"
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So, da mich die nette abgemeldet zu dieser Challenge herausgefordert hat, wollte ich jetzt gewiss nicht den Schwanz einziehen ;p
Es war zwar nicht ganz leicht, da die Geschichte gut dreitausend Jahre vor unserer Zeit spielt und darum verständlicherweise noch niemand etwas von der Ice Bucket Challenge gehört hat, aber ich habe versucht, es irgendwie hinzubiegen. Zumindest kriegt Neyo einen Eimer Wasser über den Kopf und das ist ja die Hauptsache :D

Details zu dem Ganzen könnt ihr übrigens in der Charakterbeschreibung nachlesen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
So, nach meinem "netten" Unfall letztes Jahr das erste Zeichen, dass ich doch nicht gestorben bin ;)

Okay, es ist nur ein kleiner Alec/Oscar-Oneshot, der zum größten Teil sowieso schon fertig geschrieben war, aber ich verbuche es jetzt trotzdem mal als persönlichen Erfolg xDD

Dann hoffe ich, ihr habt ein bisschen Spaß mit den beiden Sturköpfen! *lol* Komplett anzeigen

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Dieb

Rashitar, Frankreich (829 v. Chr.):

 

 

 

Neyo war Zeit seines Lebens ein Dieb gewesen.

Schon als kleiner Junge hatte er sich alles zusammenstehlen müssen, um irgendwie zu überleben. Nahrung, Kleidung und hier und da Kostbarkeiten, die sich zufällig in seiner Reichweite befunden hatten. Nichts war vor ihm sicher gewesen.

In seinen Anfängen hatte er sich noch recht bescheiden gegeben. Ein paar Kleinigkeiten vom Markt, einige abgetragene Kleidungsstücke von irgendwelchen Wäscheleinen. Dinge, welche sowieso kaum jemand vermissen würde, für ihn jedoch essentiell gewesen waren.

Erst mit den Jahren war er dreist und wagemutig geworden und hatte sich auch an Objekte gewagt, die durchaus einen gewissen Wert besaßen. Exotische Früchte, feinste Textilien, Schmuck. Irgendwann hatte er sich selbst immer wieder aufs Neue herausgefordert und hatte jedes Mal etwas besser und etwas unverschämter sein wollen.

Und es hatte funktioniert.

Bis zu jenem Tag, als man ihn geschnappt und nur die Gnade eines wohlhabenden Magiers ihn vor einem schrecklichen Schicksal bewahrt hatte.
 

Inzwischen war für Neyo Diebstahl nicht mehr nötig. Er besaß mehr Kleidung als jemals zuvor in seinem Leben, konnte so viel essen, bis ihm der Magen platzte, und vermochte sich auch sonst an allerlei Dingen zu erfreuen. Bücher, Musikinstrumente, Werkzeuge. Es stand ihm alles zur freien Verfügung.

Und eigentlich hätte sich Neyo glücklich schätzen müssen. Doch der Dieb in seinem Inneren rebellierte ununterbrochen.

Es war einfach nicht möglich, ihn völlig auszutreiben.

Zunächst wollte Neyo es ignorieren, doch immer wieder kribbelte es unter seinen Fingernägeln. Seine Gefühle widerstrebten ihm zwar selbst ungemein, besonders da er die Männer und Frauen in Jylieres Haushalt durchaus als Freunde betrachtete, aber er konnte einfach nichts dagegen tun.

Da er sein Augenmerk jedoch sicherlich nicht auf etwas richten wollte, was einen sentimentalen Wert für irgendjemanden besaß, konzentrierte er sich vordergründig auf seinen liebsten Platz in der gesamten Villa: die Küche.
 

Es war leichtsinnig genug, um eine Herausforderung darzustellen, da der Koch Gyr ein zwei Meter Berg war und bei seinen Lebensmitteln keinerlei Spaß verstand, aber auch harmlos genug, dass er niemandes Gefühle damit verletzen würde.

Und so fing es mit zunächst mit unbedeutenden Kleinigkeiten an. Ein Stück Brot, ein Apfel, ein seltener Käse. Nicht mal Gyr bemerkte, dass einige Lebensmitteln abhanden gingen, auch wenn es sich tatsächlich um Nahrungsmittel handelte, die vordergründig für Jyliere und seinen gehobenen Besuch bestimmt waren und nicht etwa für die Dienerschaft.

Erst als Neyo mit der Zeit immer dreister wurde und sich auch an Eiern und Fleisch vergriff, sah man deutlich, wie Gyr sich wiederholt fragte, ob er unter Umständen zu viel trank oder ob er seine Bestände vielleicht falsch gezählt hatte. Neyo saß währenddessen grinsend in einer Ecke und erfreute sich an der Verwirrung des Kochs.

Niemand ahnte etwas.

Bis auf einen zumindest.
 

Es war an einem kalten Abend, als Neyo ein Stück extrem leckeres Süßbrot hatte mitgehen lassen und es sich auf der Terrasse gemütlich machte, um es genüsslich zu verspeisen. Es war zwar kalt, fast schon eisig, doch er hatte sich noch nie daran gestört. Er hatte fünfzehn Jahre bei jedem Wetter im Freien geschlafen, da vermochte ihm kaum etwas anzuhaben.

Im ersten Moment bemerkte er gar nicht, wie sich eine Person von der Seite näherte, doch einen Augenblick später wurde ihm das Brot, das er gerade hatte zum Mund führen wollen, aus der Hand gerissen und seine Welt bestand von einem Moment zum anderen plötzlich nur noch aus Eis.

Zuerst begriff er gar nicht, was geschah, und er brauchte eine gefühlte Ewigkeit, bis er realisierte, dass man ihn einen Eimer mit dem kältesten Wasser aus dem Diesseits über den Kopf gegossen hatte. Sofort zogen sich seine Muskeln zusammen und sein Körper gefror regelrecht. Nichts konnte er mehr bewegen und alles wurde derart taub, dass er nicht einmal Schmerz zu spüren in der Lage war.
 

Was ...?“, presste er schließlich hervor, während er sich bemühte, sich irgendwie durchs Gesicht zu wischen, um das Wasser daran zu hindern, in seine Augen zu fließen.

Im nächsten Moment trat Calvio in sein Blickfeld, in seiner Hand das süße Brot. „Du kleiner Dieb!“, zischte er. „Wenn du es noch einmal wagen solltest, dich an meinen Sachen zu vergreifen, werfe ich dich schnurstracks ins Meer! Das bisschen Wasser hier war nur eine kleine Kostprobe.“

Neyo schnaubte. Er hatte nicht einmal gewusst, dass sich Calvio das Brot extra zur Seite gelegt hatte. „Oh bitte, du reagierst über ...“, erwiderte er, mit klappernden Zähnen. „Du willst mich ertränken wegen ... wegen ein bisschen Brot ...?“

„Ich habe Männer schon für weitaus weniger ertränkt“, entgegnete Calvio und seine Stimme klang derart ernst, dass man einen Moment tatsächlich hätte glauben können, er sprach die Wahrheit. „Also lass es gut sein, verstanden? Ich mag dich, aber solltest du noch einmal irgendetwas zu nahe kommen, das mir gehört, wird niemand je in der Lage sein, deine Leiche zu finden!“
 

Neyo sagte daraufhin nichts, sondern beobachtete nur, wie Calvio auf dem Absatz kehrtmachte und wieder in warmen Inneren verschwand.

Eine Weile saß er noch im Schneidersitz auf der Terrasse, von oben bis unten durchnässt, und dermaßen steifgefroren, dass er sich unweigerlich fragte, ob er sich jemals wieder richtig bewegen würde können.

Schließlich jedoch breitete sich ein Lächeln auf seinen Lippen aus.

Alles, was er gebraucht hatte, war eine Herausforderung gewesen. Gyr direkt unter seiner Nase Lebensmittel zu klauen, war zwar amüsant, aber letzten Endes wenig befriedigend gewesen. Calvio hingegen würde sich als eine weitaus größere Hürde herausstellen.

Vielleicht würde es Neyo wirklich eines Tages umbringen, aber es war ihm gleich.

Es war immer noch um Welten besser als dieses lästige Jucken unter seinen Fingernägeln.

Und es machte sehr viel mehr Spaß.

Brüder

Gebiet der Chauken, Deutschland (723 v. Chr.):

 

 

Alec merkte sofort, dass es ein hartes Stück Arbeit werden würde, Oscars Sympathien für sich zu gewinnen.

Direkt nach seiner Verwandlung war Oscar zunächst etwas desorientiert und überwältigt gewesen, sodass er viel zu beschäftigt gewesen war, die Wunder der Welt aus einem völlig neuen Blickwinkel zu sehen, um sich großartig um seine neuen Brüder zu scheren. Die ersten Tage schaffte er es nicht mal, sich Alecs Namen zu merken, und musste immer wieder nachfragen. Hin und wieder starrte Oscar ihn sogar an, als wüsste er gar nicht, wer da überhaupt vor ihm stand.
 

Alec nahm es ihm nicht übel. Nachdem Asrim ihm selbst übernatürliches Leben geschenkt hatte, war auch über ihn alles hereingebrochen wie eine Steinmauer. Als hätte sich in seinem Kopf alles neu geformt. So viele neue und unglaubliche Eindrücke, dass es einen normalen menschlichen Verstand wahrscheinlich schnell vollends zerstört hätte. Es war einfach ein unbeschreibliches Gefühl gewesen und hatte Alec damals selbst auch völlig eingenommen. Bis zum heutigen Tage hätte er nicht einmal genau sagen können, was in den ersten Tagen danach geschehen war, es war einfach viel zu viel auf einmal gewesen. Er sah bloß Schatten und kurze Bilder, mehr nicht.

Und somit war Alec mehr als gewillt, Oscar etwas Zeit zu geben, sich an die neue Situation zu gewöhnen.
 

Doch dann vergingen Wochen und an Oscars Haltung ihm gegenüber schien sich nichts sonderlich zu ändern.

Abweisend, störrisch, kurz angebunden und unfreundlich.

Dagegen schien er sich mit Sharif ausgezeichnet zu verstehen. Die beiden redeten stundenlang, gingen zusammen auf die Jagd und Sharif brachte Oscar alles bei, was er zu wissen brauchte. Er zeigte ihm, nach welchen Kriterien man seine Opfer am besten aussuchte, wie man satt wurde, ohne das weinende und strampelnde Stück Fleisch in seinen Armen zu töten, und wie man sich allgemein in der übernatürlichen Welt zurechtfand. Wen man am besten nicht auf die Füße trat und wen man bedenkenlos provozieren konnte.

Oscar saugte alles auf, war wissbegieriger als der größte Gelehrte, und fand nach jeder Antwort mindestens hundert neue Fragen. Zum Teil interessierte er sich für Details, die derart tief in die Materie gingen, dass selbst Sharif irgendwann nicht mehr weiter wusste.
 

Für Alec hingegen hatte Oscar nie ein offenes Ohr. Alec musste zwar zugeben, dass nicht alles, was aus seinem Mund kam, pures Gold war, doch hin und wieder hatte auch er etwas Wichtiges zu sagen. Aber Oscar gab sich nicht die geringste Mühe, auch nur ansatzweise zuzuhören.

Stattdessen kam es zwischen ihnen immer öfter zu Konfrontationen. Anfangs waren es bloß kleine Meinungsverschiedenheit gewesen, aber schnell hatte es sich zu handfesten Auseinandersetzungen entwickelt. Es schien, als würden sie bei keinem Thema auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Als wären sie zwei Gegensätze, die nicht zusammenpassten. Die die Welt auf eine völlig verschiedene Art und Weise sahen.
 

Unter Umständen waren sie einfach nicht kompatibel. Oscar war ein Stammesführer gewesen. Ein Mann, der großen Wert auf Loyalität und Respekt gelegt hatte. Jemand, den man bis ans Ende der Welt und noch darüber hinaus gefolgt wäre.

Und Alec war im Grunde das genaue Gegenteil. Ein Dieb am Ende der Nahrungskette, der sich irgendwie durchgebissen und noch niemals so etwas wie Achtung und Ehrfurcht gefühlt hatte. Er war respektlos und derart stolz darauf, dass es Oscar vermutlich in den Wahnsinn trieb.

Sie hatten einfach nichts gemeinsam, abgesehen von Asrims Blut. Oscar hätte unter normalen Bedingungen Alec keines Blickes gewürdigt oder ihn sogar womöglich wegen seines dreisten Mundwerkes irgendwann exekutieren lassen. Alec war vermutlich all das, was Oscar verabscheute, und allein die Vorstellung, solch einen Mann nun zu seiner Familie zu zählen, war einfach zu viel für ihn.
 

Und somit gab sich Alec damit zufrieden, dass sie sich niemals verstehen würden. Er hatte sich bereits in der Vergangenheit mit Menschen auseinandersetzen müssen, die ihn nicht einmal ansatzweise hatten leiden können, und irgendwie hatte er sich stets arrangieren können. Es war zwar keine besonders angenehme Situation, aber machbar.

Auf die ein oder andere Weise würde er schon die Ewigkeit überstehen.

Und so stritt er weiterhin mit Oscar über jede noch so unwichtige Kleinigkeit und hörte einfach auf, verzweifelt nach einem gemeinsamen Nenner zu suchen. Stattdessen hielt er sich nicht zurück, war in Oscars Gegenwart frech und ungeniert und erfreute sich daran, zu sehen, wie der andere nach und nach seine Fassung verlor.
 

Denn schnell begriff Alec, das Oscar eigentlich immer die Ruhe selbst war. Die Konfrontation mit der magischen Welt hatte ihn erstaunt, aber nicht überwältigt. Die Auseinandersetzung mit einer Hexe hatte ihn leicht aufgebracht, aber nicht einmal ansatzweise dazu gebracht, seine Stimme zu erheben. Der Umgang mit einem unzivilisierten Vampirclan hatte ihn genervt, doch auch in diesem Fall waren keine Emotionen hochgekocht.

Einzig und allein auf Alecs Provokationen reagierte er mit sehr viel Elan und Leidenschaft, sodass dieser es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Oscar irgendwann zum explodieren zu bringen. Er war überzeugt, dass es ihm eher früher als später gelingen würde. Es war ein Experiment, ein Projekt, dem sich Alec mit all seiner Aufmerksamkeit widmete, sosehr Sharif im Hintergrund auch die Augen verdrehen und „Narr“ murmeln mochte.
 

Alec war es gleichgültig. Wenn sich Oscar weigerte, ihn als gleichwertiges Mitglied der Familie zu betrachten oder es wenigstens zu versuchen, war es sicher nicht seine Aufgabe, dies einfach hinzunehmen und den anderen mit Samthandschuhen anzufassen. Er hatte auch eine gewisse Art von Stolz und dabei zuzusehen, wie Oscar seinen nach und nach verlor, war eine sehr nette Beschäftigung.

Doch dann kamen ihn die Wölfe in die Quere.
 

Mehr durch Zufall als Berechnung gerieten sie unbeabsichtigt inmitten eines Revierkampfes zwischen zwei verfeindeten Werwolfrudeln und Alec musste sein Vorhaben zunächst auf Eis legen. Werwölfe hatten normalerweise einen gesunden Respekt vor Sa’onti, doch wenn ihr Temperament am brodeln war und nur noch die Instinkte regierten, war alles andere vergessen. Und so geschah es, dass Alec im Eifer des Gefechtes von einem riesigen Alpha in die Hand gebissen wurde und nur von Glück reden konnte, dass diese ihm nicht vollkommen abhanden gekommen war.

Kurz darauf brach die Hölle los und die Wölfe realisierten plötzlich wie aus heiterem Himmel, mit wem sie sich da eigentlich angelegt hatten ... und sie rannten davon. Beide Rudel, Seite an Seite. Als wären sie nicht erst vor ein paar Minuten kurz davor gewesen, sich gegenseitig zu zerfleischen.

Todesangst schweißte zusammen.
 

Alec war mehr als bestrebt, ihnen zu folgen und jeden einzelnen langsam die Haut von den Knochen zu ziehen, doch Sharif rief ihn zur Raison, flüsterte schließlich Oscar etwas ins Ohr, woraufhin dieser verstehend nickte, und verschwand anschließend in die Richtung, in die die Wölfe eilig geflüchtet waren. Alec hatte keine Ahnung, ob er sich rächen oder ihnen einfach nur einen kleinen Schrecken einjagen wollte, aber es gefiel ihm ganz und gar nicht, dass Sharif sich völlig alleine auf den Weg machte.

„Keine Sorge, ihm passiert nichts“, vernahm er plötzlich hinter sich Oscars Stimme.

Alec warf ihm daraufhin einen verwirrten Blick zu. „Darum geht es mir doch gar nicht. Ich finde es bloß unfair, dass er den ganzen Spaß für sich alleine hat.“

In Oscars Augen funkelte etwas auf, das Alec bei ihm schon des Öfteren beobachtet hatte. „Du brauchst mir nichts vorzumachen“, erwiderte er kopfschüttelnd. „Du bist besorgt.“
 

Bevor Alec überhaupt die Gelegenheit hatte, darauf angemessen zu protestieren, hatte Oscar ihn unsanft in die nächstgelegene Hütte bugsiert, die absolut furchtbar nach Wolf stank, ihn auf einem Schemel zu einer sitzenden Position gezwungen und von irgendwoher ein Tuch hervorgeholt, mit dem er ungewöhnlich vorsichtig begann, das Blut von Alecs Wunde zu wischen.

„Hör zu, das brauchst du nicht zu tun“, meinte Alec seufzend. „Ich kann das schon allein.“

Oscar schnaubte. „Was verstehst du denn bitteschön davon, eine Wunde zu behandeln?“

Er hatte nicht ganz Unrecht, aber dennoch missfiel es Alec. Er wollte einfach gehen und den Wölfen hinterherjagen oder sich auch schlichtweg irgendwo verkriechen und nicht mehr weiter darüber nachdenken. Obwohl Sharif ihn vor unzähligen Jahrzehnten einst gewarnt hatte, dass der Biss eines Werwolfes nicht nur gefährlich, sondern auch unglaublich schmerzvoll war, hatte ihn Alec nie wirklich ernstgenommen. Nun aber merkte er, wie falsch er damit gelegen hatte. Es war wirklich schmerzhaft.
 

„Du siehst aus, als würdest du gleich umkippen“, erklärte Oscar und in seiner Stimme schwang eindeutig ein kleines bisschen Vergnügen mit. „Vielleicht sollten wir dich etwas hinlegen.“

Alec knirschte mit den Zähnen. „Ich bin kein Kind.“

„Und dennoch benimmst du dich oft genug wie eins.“ Oscar musterte ihn mit einem Blick, den Alec nicht ganz einzuordnen wusste. Er sah darin Frust und das typisch genervte Funkeln, das Oscar in seiner Gegenwart eigentlich so gut wie immer erkennen ließ, aber gleichzeitig war da auch noch etwas anderes. Etwas, das Alec aus irgendeinem Grund unsicher werden ließ.

Und somit hielt er zunächst den Mund, da er keine Ahnung hatte, was er hätte sagen sollen. Stumm beobachtete er, wie Oscar vorsichtig mit dem feuchten Lappen das Blut abwischte und intensiv die Wunde betrachtete, die wahrlich sehr unschön aussah und Alec vermutlich noch mehrere Tage begleiten würde. Vielleicht sogar Wochen, wenn er Sharifs Worten, dass Werwölfe für Vampire äußerst gefährlich werden konnten, Glauben schenken wollte.
 

„Du kannst von Glück reden, dass du noch alle Gliedmaßen hast“, meinte Oscar schließlich kopfschüttelnd.

Alec schnaubte bloß abfällig. „Hör zu, lass es einfach, ja? Nur weil Sharif dir gesagt hat, dass du dich um mich kümmern sollst, heißt das noch lange nicht, dass du es auch wirklich tun musst. Wir haben keine solche Hierarchie wie die Wölfe, sondern im Gegenteil einen ganz freien Willen ohne diesen ganzen Alpha-Mist.“

Oscar musterte ihn eingehend, unterbrach aber nicht die Behandlung der Verletzung. „Du denkst, ich tue das hier, weil Sharif es mir befohlen hat?“

Alec zuckte mit den Schultern. „Du kannst mich nicht ausstehen, demnach …“

Oscar holte bei diesen Worten plötzlich mit seiner freien Hand aus und verpasste Alec einen beherzten, jedoch nicht sonderlich starken Klaps auf den Hinterkopf. „Du bist so ein Idiot!“
 

Alec kam nicht umhin, trotz alledem zu schmunzeln. „Ich weiß. Du erinnerst mich täglich daran. Sogar stündlich, wenn es sich einrichten lässt.“

Oscar knirschte mit den Zähnen. „Und du glaubst, ich würde einfach hier herumstehen und dabei zusehen, wie du halb verblutest, nur weil wir abends nicht zusammen am Lagefeuer sitzen und Lieder singen? Oder dass Sharif es mir extra befehlen muss, ein Auge auf dich zu haben?“

Alec zögerte daraufhin kurz. „Ich …“

„Sharif hat mir bloß gesagt, dass er den Wölfen folgt, um sicherzugehen, dass sie nicht irgendwo anders Schaden anrichten“, erklärte Oscar ihm nachdrücklich. „Dich hat er mit keinem Wort erwähnt. Das musste er auch gar nicht! Ihm war absolut klar, dass ich dich nicht einfach deinem Schicksal überlasse.“

Alec runzelte seine Stirn. „Aber …“ Er seufzte frustriert auf. „Du verwirrst mich!“
 

Unter normalen Umständen hätte Oscar sich zweifellos ein kleines triumphierendes Lächeln gegönnt, nun jedoch blieb seine Miene völlig ernst, als er sagte: „Ich hatte einst einen Bruder …“

„Ich weiß“, fiel Alec ihm ins Wort. „Er war älter als du und starb an einer Seuche.“ Als er darauf Oscars skeptischen Gesichtsausdruck bemerkte, hob er bloß seine Schultern. „Ich habe dich und Sharif mal darüber reden hören.“

Oscar schien einen Moment zu erwägen, ihn im Bezug auf Privatsphäre zu belehren, doch stattdessen schob er es zur Seite und erwiderte: „Eigentlich habe ich von meinem anderen Bruder gesprochen.“

Alec hob eine Augenbraue und entschied sich, erst einmal zu verstummen.
 

„Er war jünger als ich, wenn auch nicht wesentlich“, fuhr Oscar mit seiner Erzählung fort. „Und er war derart leichtsinnig, dass es mich zur Weißglut gebracht hat. Er verstand nichts von Disziplin oder Respekt und hat es förmlich darauf angelegt, Ärger magisch anzuziehen. Keiner Konfrontation ging er aus dem Weg, keine Herausforderung war für ihn zu groß. Er war bereit, jedes Risiko einzugehen, und glaubte, unsterblich zu sein.“ Oscar schnaubte angesichts der Erinnerung. „Zugegeben, er war jung und die Jungen denken gerne, dass sie unbesiegbar sind. Dennoch war er eigentlich schlau genug, um es besser zu wissen.“ Oscar senkte seinen Blick. „Er starb während eines Streits mit einem Nachbarn wegen ein paar gestohlener Äpfel. Ihm wurde die Kehle aufgeschlitzt, wie einem Tier.“

Oscar richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Alecs Wunde. „Er war einfach so verdammt leichtsinnig und hat nie über irgendwelche Konsequenzen nachgedacht! Für ihn war alles nur ein großes Spiel. Und am Ende wurde er wegen ein paar Äpfeln getötet!“ Er schüttelte den Kopf. „Und du erinnerst mich manchmal sosehr an ihn, dass es mich wahnsinnig macht!“
 

Alec blinzelte verdutzt. Ihm lag bereits ein spöttischer Kommentar auf den Lippen, irgendetwas lockeres, das die Stimmung wieder ein wenig aufgehellt hätte, doch er brachte es einfach nicht über die Lippen. Er musste bloß in Oscars Augen schauen und wäre sich wie der größte Mistkerl auf Erden vorgekommen, hätte er diesen seltenen Augenblick durch irgendeine dreiste Bemerkung ruiniert.

„Auch du bist nicht unsterblich, Alec“, rief Oscar ihm ins Gedächtnis. „Es kann sein, dass man das nach ein paar Jahrhunderten gerne mal vergisst, aber ich werde mich immer daran erinnern. Und wenn du weiter so durchs Leben gehst wie im Moment, so unbedacht und töricht wie ein Kind, könnte dir das früher oder später das Genick brechen.“
 

Alec musterte sein Gegenüber durch zusammengekniffene Augen. „Du … sorgst dich um mich?“ Sein überraschter Tonfall schien Oscar ehrlich zu verletzen, sodass er rasch hinzufügte: „Du hast eine sehr seltsame Art, das zu zeigen.“

Um Oscars Mundwinkel zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab. „Ich bin kein einfacher Mann“, gab er zu.

Alec gönnte sich noch eine Minute, von der ganzen Situation völlig überwältigt zu sein, ehe er schließlich belustigt auflachte und sagte: „Ich liebe dich auch!“

Daraufhin zuckte Oscar jedoch zusammen und zog sich sofort zurück. „Nicht so voreilig!“, warnte er. „Du wirfst mit großen Worten um dich!“

Nichtsdestotrotz entging Alec nicht, dass Oscar seinem Blick auswich und ganz offensichtlich eine offene Konfrontation scheute.
 

„Dieses Risiko bin ich bereit, einzugehen“, erwiderte Alec derweil grinsend.

Und auch wenn er und Oscar sich vielleicht niemals wirklich verstehen und immer wieder aneinandergeraten würden, so war es doch sehr viel wichtiger, dass sie dennoch zusammenhalten würden und zumindest genug füreinander empfanden, dass sie nicht untätig danebenstehen würden, sollte der andere von einem Werwolf zerfleischt werden. Und das war für Alec momentan mehr als ausreichend.

Immerhin war das Leben mit der Familie nicht immer leicht.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, es wusste einigermaßen zu gefallen ^^
Wie gesagt, mit der Ice Bucket Challenge steht es jetzt in dem Sinne nicht wirklich direkt im Zusammenhang, aber das war in dem Setting auch was schwieriger.

Ich nominiere hingegen niemanden, da im Grunde mehr oder weniger alle, die ich kenne, schon einmal da durch mussten und ich sie sicherlich nicht nochmal „belästigen“ will xDD Aber falls jemand Lust verspürt, kann er gerne dem Beispiel folgen oder auch einfach nur was spenden!

Meine Spende geht übrigens nicht an den ALS, sondern an unseren hiesigen Behindertensportverein.
Ich denke einfach, die ALS hat in den letzten Monaten echt eine Menge Geld bekommen (was natürliche eine super Sache ist), während es so viele andere tolle Organisationen gibt, die große finanzielle Sorgen haben und jede Spende gut gebrauchen können. Von daher geht mein Geld jetzt im Moment lieber an so eine Stelle ...

Ok, und nochmal vielen Dank hierfür, abgemeldet ;p
Sowas kommt bei mir unter Zeitdruck und dem allgemeinen Mangel an Kreativität heraus xDD Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Von:  SamAzo
2015-02-23T21:45:01+00:00 23.02.2015 22:45
Und wieder eine Geschichte, in der Alec verletzt wird.
Passiert ihm ganz schön oft...
Entsprechend kann man Oscar schon nachvollziehen, wenn der sich Sorgen macht. Besonders nach der Vorgeschichte. Wobei er das wirklich ein weeeeenig merkwürdig zeigt. Aber vermutlich hatte sich das bei ihm und seinen Bruder bereits so eingebürgert und mit Alec hat er es einfach so weiter geführt, ohne das der wusste, woran er war.

Von: abgemeldet
2015-02-14T20:18:53+00:00 14.02.2015 21:18
Diese Andeutungen...
Da hilft auch die Erklärung nix mehr, dass Oscar in Alec seinen kleinen, verkorksten, aber leider verstorbenen Bruder sieht.
Naaaa... die Bromance eben. Du wirst uns noch Jahre damit quälen - ich weiß es. Und wir werden es genießen... XD

Ich mag das Kapitel wirklich gern, denn dieser Start ihres gemeinsamen Lebens passt wirklich so wunderbar zu der Beziehung, die sie noch Jahrhunderte später zueinander haben. Holprig, nicht ganz einfach und trotzdem einfach Liebe. ;D
Ich mochte auch sehr den Part, den ich eben schon erwähnte. Dass man von Oscars Familie erfährt. Dass man überhaupt so viel über ihn erfährt.
Auch der Umstand, dass Oscar und Sharif sich so nahe standen, war mir irgendwie neu. Oder hatte ich ihn verdrängt? Möglich ist es, wo ich doch das A und O liebe. XD
Wenn ich mir so vorstelle, wie es sein muss, plötzlich alles anders und viel intensiver wahrzunehmen, kann ich den Umstand, dass ein normaler Mensch das alles gar nicht erfassen kann, sehr gut nachvollziehen und finde es auch sehr passend, dass du das so beschrieben hast. Das kann da sicher schon so ein, zwei Jahre dauern, bis man mit allem klar kommt und dann gibt es ja auch noch individuelle Unterschiede zwischen den einzelnen Leuten. Dass es Alec etwas leichter gefallen ist, schiebe ich einfach darauf, dass er als Dieb ja auch sehr achtsam sein musste.
Oscar hingegen hatte ja im Grunde alles vor der Nase, sodass man alles Umliegende vielleicht etwas außer Acht lässt.
Hach...
Ich rede zu viel.
Ich liebe die beiden. Da kannst du gern noch sehr viel mehr OS schreiben. XD (aber damit erzähle ich dir ja nichts Neues)
Antwort von:  Nochnoi
15.02.2015 23:34
Nein, damit erzählst du mir nichts Neues ;)

Aber von welchen Andeutungen sprichst du? *ganz unschuldig guck*
Ich bin doch ein ganz lieber Mensch, der in seinen Geschichten keinerlei fiese Anspielungen einfließen lässt und sich nicht daran erfreut, andere zu quälen - das wäre doch echt gemein!!!

:D

Dass Oscar und Sharif sich so nahe stehen, kommt in "Vergeltung" (bisher) wirklich noch nicht so rüber, da hast du also in deiner A-und-O-Liebe nichts verpasst ;) Wenn ich so drüber nachdenke, haben die beiden bisher auch nur zwei Szenen zusammen gehabt. Sollte ich wohl wirklich mal ändern *grübel*

Auf jeden Fall vielen Dank für deinen Kommentar!
Ich mache mich dann gleich auf, den nächsten, vor Andeutungen triefenden OS zu schreiben ;p
Antwort von: abgemeldet
15.02.2015 23:36
Ja, foltere mich! Foltere mich!!!
Irgendwann werde ich mich rächen. Ich weiß noch nicht wie oder wann, aber... irgendwann... |D
Von: abgemeldet
2015-02-14T20:05:45+00:00 14.02.2015 21:05
Oh, ich bin ein Luder das ich hier noch nichts da gelassen habe, obwohl die Challenge ja von mir kam...
Schande über mein Haupt. >o<
Ich geh mich gleich schämen. Ich will ja dann noch das Bro-Kapitel kommentieren. Solange musst du noch warten, ehe du mich an den Pranger stellen kannst. ;)

Also ich bin begeistert, denn ich war mir durchaus im Klaren darüber, dass es verdammt schwer sein wird, sowas in dieser Zeit einzubauen, aber das hast du verdammt gut gelöst.
Dass die Erkrankung an sich keine Benennung erhält, ist nachvollziehbar. Gab es damals einfach nicht - das Wissen darüber. Von daher habe ich nichts zu beanstanden, sondern freu mich einfach darüber, wieder einmal von Neyo gelesen zu haben. <3
Und Calvio natürlich - mein Bester! XD
Antwort von:  Nochnoi
15.02.2015 23:26
Schande über dich, Schande über deine Kuh ...!!

Ach Quatsch, jeder soll in seinem Tempo lesen und kommentieren, wie er das gerne möchte und Zeit dafür findet ;)
Ich bin auf jeden Fall froh, dass meine kleine, spontan zusammengebastelte Geschichte deinen Ansprüchen genügt! War wie gesagt nicht ganz so simpel (ich konnte sie ja jetzt wirklich nicht von ALS reden lassen), aber hey, was wäre das Leben, wenn's einfach wäre, nicht wahr? xD
Von:  SamAzo
2014-10-16T23:40:56+00:00 17.10.2014 01:40
Ja, ja, ja...
So schnell kann man eine kalte Dusche bekommen.
Wenn man sich halt mit dem Falschen anlegt, ne?
(Hatte ich mal erwähnt, das mich ein Arbeitskollege wegen einem Apfel, den ich ihm [aus Spaß!] weggenommen hatte, mit dem Kopf gegen einen Schraubstock gehauen hat... da wäre nen Eimer kaltes Wasser sicher angenehmer gewesen.)

Und ich sehe Neyo vor mir, ganz in Barney Stinson manier; "Herausforderung angenommen!"
xD

Ah und auch schön zu wissen, das Calvio von Wasser dann zu Feuer übergegangen ist. Hat er schon die Hälfte der Elemente durch. Demnächst beschwört er einen Tornado und lässt den über London ziehen, während er sich als Erdbändiger versucht...


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