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Opus Magnum

von

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Fatalitè Déplorable - Opus VI

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Youma und Raria waren beide in der Küche; beide tranken sie einen Kaffee, besprachen dabei die Ergebnisse des heutigen Trainingstages, des ersten Tages, an dem Youma und Nocturn hatten Magie einsetzen dürfen. Nocturn war direkt nach dem Training förmlich ins Musikzimmer gestürzt und noch ehe der Kaffee fertig war, drangen einige Melodien-Bruchstücke zu ihnen, da die Wände des Musikzimmers sie nicht ersticken konnten. Raria hatte sich im Sprechen kurz unterbrochen, lauschte kurz der Melodie und seufzte dann aufgebend, wie Youma es vorkam, aber mit einem kleinen Lächeln; dann ließ sie sich nicht mehr von Nocturns Musizieren ablenken.

 

Zwei Tassen und viele Worte später bemerkte Raria, dass sie den zeitlichen Bogen überspannt hatten; es war bereits kurz vor neun und Youma stimmte zu, dass er sich auf den Rückweg machen sollte. Er bedankte sich für den Kaffee und die beiden gingen hinaus auf den Gang. Nocturns Spielen war nicht länger zu hören und während Youma sich seinen Umhang überwarf, bemerkte Raria mit einem Blick in die Stube auch wieso, in welche sie sich nun auch begab, gerade als Youma sich verabschieden wollte.

 

Nocturn war auf dem wolligen Teppich vor dem entzündeten Kamin eingeschlafen. Youma, der Raria in die Stube gefolgt war, wunderte sich darüber, wie man so einfach plötzlich auf dem Boden einschlafen konnte; war das Training etwa so erschöpfend gewesen?

„Nein“, begann Raria, sich zu Nocturn herunter kniend:

„Nocturn hat in der letzten Nacht nicht gut geschlafen. Er hatte wieder Albträume.“ Mit anderen Worten er hatte wieder bei ihr geschlafen, dachte Youma – was waren das für Albträume, die ihn aus seinem eigenen Zimmer flüchten ließen, um bei Raria Trost zu finden? Youma würde zu gerne fragen, aber das war wahrscheinlich ein viel zu großer Eingriff in die Privatsphäre der beiden.

 

Youma hatte sogar das Gefühl, dass das, was er jetzt sah, ihre Privatsphäre verletzte und er überlegte kurz, ob er sich einfach herumdrehen sollte um zu gehen, aber das Bild der beiden auf dem Teppich liegenden Dämonen, im Licht des langsam schwächer werdenden Feuers… ein so warmes, vertrautes Bild, das ihn an sein Zuhause denken ließ… dieses Bild fesselte ihn und zwang ihn regelrecht dazu, dort stehen zu bleiben. Als könne er nur durchs bloße „Sehen“ daran teilhaben; als wäre es ihm dadurch möglich, ebenfalls wieder so etwas wie Geborgenheit zu verspüren.

 

Raria hatte sich ruhig und darauf achtend, Nocturn nicht zu wecken, zu ihm auf den Teppich gelegt, den Kopf zu ihm gedreht; nur neben ihm liegend, ihn nicht berührend. Ihren Blick konnte Youma nicht sehen, da er hinter den beiden Familienmitgliedern stand, aber auch ohne ihr Gesicht sehen zu können, hatte Youma das Gefühl, als würde Traurigkeit in der Luft hängen.

 

Er sollte gehen. Er hatte hier nichts mehr zu suchen. Er hatte kein Recht, an dieser familiären Szene teilzunehmen.

 

Aber gerade als Youma sich zum Gehen herumwandte, hielt Rarias Stimme ihn von seinem Vorhaben ab:

„Wie würdest du Nocturns Albträumen handhaben?“ Zuerst verstand Youma die leise, fast geflüsterte Frage Rarias nicht, dann antwortete er:

„Ich würde versuchen, ihnen auf den Grund zu gehen.“

„Und wenn der Grund unergründlich ist und du es nicht herausfinden würdest?“

„Dann würde ich versuchen, ihm Trost zu spenden.“

 

Da Raria sich nicht bewegt hatte, konnte Youma ihr Gesicht natürlich immer noch nicht sehen. Trotzdem wusste er mit absoluter Sicherheit, dass sie lächelte.

 

„Eine gute Antwort.“

 

Und das letzte Stück Holz war mit einem leichten Knacken herunter gebrannt.

 

 

Als Youma und Nocturn in La Roche ankamen, vergaß Nocturn alle Gedanken um irgendeine Rolle, die er zu spielen oder zu spielen gehabt hatte. Einen kurzen Augenblick hatte er sich auf Youma konzentriert, hatte ihn besorgt angesehen und ihn wieder ermahnt, dass er auf seine Lunge Acht geben musste und dass er vielleicht alleine gehen solle…

Nocturn hatte mit dem Rücken zum Haus gestanden; aber als er Youmas erschrockenen Gesichtsausdruck sah, drehte er sich herum, seine Hände entglitten ihm – und schon rannte Nocturn los, dem brennenden Haus entgegen.

 

„Nocturn!“

 

Aber Nocturn hörte den verzweifelten Ruf nicht; er stürzte aus dem Wald, hinaus auf die Lichtung, wo das Haus stand, in dem er sein Glück gefunden hatte, wo sie ihn geheilt hatte – das Haus, was nun in Flammen stand.

 

Einen Augenblick lang lähmte Nocturn dieser Anblick gänzlich; er starrte die in den Himmel empor züngelnden Flammen an, das Gesicht zu einer fassungslosen Maske verzerrt. Nur die Flammen sah er; nur das Schreien des Hauses hörte er. Die Menschen um ihn herum, die Nachbarn des nun sterbenden Hauses, riefen ihm etwas zu, eine Hand wurde auf seine Schulter gelegt – aber er hörte keines ihrer Worte.

 

Auch Youmas Rufen seines Namens vernahm er nicht; aber als wäre es das Kommando für ihn, um sich wieder zu bewegen, entriss er sich der Fürsorglichkeit des Menschen und stürzte auf das Haus zu:

„RARIA!“

 

Völlig am Ende seiner Kräfte, zwang Youmas Körper ihn in die Knie; die Menschen um ihn herum schrien etwas, sie versuchten sogar, Nocturn aufzuhalten, weil sie wussten, dass es keinen Sinn hatte. Das Feuer war zu mächtig. Das Feuer war zu zerstörend.

 

Hatte Youma das Richtige getan, als er Nocturn davon überzeugt hatte, hierher zu kommen?

War es nicht genau das, was Raria hatte verhindern wollen?

Dass ihr geliebtes Kind so einen Schmerz erdulden sollte?

 

Youma rappelte sich auf; er durfte sich jetzt nicht von seinem Körper behindern lassen – er musste zu Nocturn.

 

 

Die sengende Hitze schlug auf Nocturn hernieder; schlug ihm förmlich ins Gesicht und die grellen Flammen, die umherpeitschende Glut blockierte ihm kurzzeitig die Sicht, brachte ihn dazu, sich den Arm vor die Augen zu halten, die anfingen zu tränen.

„Raria! Raria!“, rief er weiterhin, sich von den alles zerstörenden Flammen nicht aufhalten lassend, weiter rennend, vorbei an der Stube, vorbei an der bereits vollkommen verbrannten Küche, die auf dem Boden liegenden, zerbrochenen Erinnerungen nicht sehend, genauso wenig wie er das Blut sah, welches auf dem Teppich… auf der Treppe… und an der Wand klebte und bereits von dem Feuer gefressen wurde.

 

Geradewegs als wisse er es genau, durchquerte Nocturn mit weinenden Augen, mit angstvoll bebendem Herzen, mit Adrenalin durchflutetem Körper und immer noch nach Raria rufendem Mund den Gang, rannte durch die Flammen, auf die geöffnete Tür des Musikzimmers zu.

Die Hand ausgestreckt, die Finger gespreizt.

 

 

Rarias Finger kamen nicht zum Stillstand, als sie das kleine Kind an der Tür bemerkte. Sie verlangsamte ihr Spiel nur ein wenig, warf einen Blick über die Schulter und staunte, als das Kind sich erschrocken hinter der Tür verbarg. Es hatte nicht erwischt werden wollen beim Lauschen. Wahrscheinlich wollte der kleine Junge, den sie mit nur einem einzigen Blick verschreckt hatte, wegrennen, aber er blieb hinter der Tür stehen. Seine Aura konnte sie zwar nicht spüren, aber zwei kleinen Finger waren an der Tür sichtbar geblieben.

„Willst du auch mal spielen?“ Die großen, roten Augen des Kindes wurden wieder sichtbar, er blieb aber hinter der Tür stehen; Raria, die ihm noch völlig fremd war, mit diesen zum ersten Mal geweiteten Augen ansehend. Er sagte nichts; er war ein schweigsames Kind.

 

Seine Augen lösten sich von Rarias Gesicht, wanderten ihren Arm herunter und beobachteten ihre Finger mit leuchtender Faszination in den Augen. Er schien zu verstehen, dass es ihre Finger waren, die diese Töne schafften – und dieses Verständnis zog ihn in den Bann, brachte ihn dazu, seine Abwehr und seinen sicheren Platz hinter der Tür aufzugeben und sich behutsam dem Flügel zu nähern.

 

Raria hatte aufgehört zu spielen; sie sah ihm dabei zu, wie er die Hand ausstreckte…    

 

… genau wie er es jetzt tat…

 

…. Nocturn erschrak über den hellen, klaren Ton, den das Drücken der weißen Taste ausgelöst hatte; er war rückwärts gestolpert; aber Raria hatte ihn hochgehoben… ihn zu sich gesetzt… den gänzlich versteiften Nocturn angelächelt und wieder zu spielen angefangen…

 

Es durfte nicht für immer verstummt sein… es durfte nicht… das würde er nicht aushalten… Rarias Spiel… ihre Melodie… nie wieder sollte es erklingen, der Flügel… ihr Lied… ihr seltenes Lächeln… es durfte nicht verschwunden sein, es durfte nicht… Raria… Raria!

 

Die Flammen hatten den Musikraum bis jetzt verschont gelassen. Es war fast so, als wäre der mit Ruß und Tränen befleckte Nocturn geradewegs in eine andere Welt gerannt und der Raum, der eigentlich immer durch die hier entstandene Musik zu atmen pflegte, begrüßte ihn mit einer Totenstille.

Genau vor Nocturn stand der Flügel. Der Flügel, auf dem sie so viel gespielt hatten, auf dem sie so viele Gespräche geführt hatten.

Genau wie damals, als er gerade erst zu ihr gekommen war, ging er auch nun zögerlich auf den Flügel zu, als würde ihn eine Hand dazu einladen. Nocturn war blind für das Blut, das, so frisch wie es war, noch stetig von den Tasten herunter tropfte.

 

Nocturn sah das Piano schweigend an, hörte nicht das Schreien der Flammen, das auch bald diesen Raum erreichen würde. Die Tränen rannen ihm vom Gesicht herunter, als er sich abwandte, an dem großen Instrument vorbei ging, die Hand dabei über es gleiten lassend, auf die noch intakten Fenster zu…

 

„… der König hat sie auseinandergerissen.“

 

Diese Stimme drang zu ihm. Diese Stimme konnte durch alles dringen. Nocturn versteinerte; er vergaß zu atmen, sein Körper vergaß zu arbeiten. Diese Stimme – er hatte sie so viele Jahre nicht mehr gehört und doch erkannte er sie, er würde sie immer, immer und überall, unter tausenden Stimmen wiedererkennen---

 

„… Rari-nee hat sich nicht aufgelöst… warum hat sie sich nicht aufgelöst… sie müsste sich doch auflösen… sie ist doch kein Mensch geworden, oder, mein Junge…?“

 

Nocturn rührte sich nicht, drehte sich nicht zum Ursprung der Stimme herum.

 

„… es hat ihn sehr… verwirrt… dass sie sich nicht aufgelöst hat… deswegen sieht sie so aus, mein Junge… ich konnte ihren Körper nicht mehr… zusammensetzen. Ich habe es versucht.“

 

Mit einem Stoß begann Nocturn, wieder zu atmen; zu schnell, zu schnell, Panik wallte in ihm empor, Panik, die ihn dazu brachte, sich herumzu----

 

Youmas Hände packten seine Schulter, ehe Nocturn es tun konnte – mit aller Macht, die letzte Kraft zusammensammelnd, die seinem verletzten Körper noch innewohnte, verhinderte er, dass Nocturn Nathiel erblickte, die die zerstückelte Leiche ihres Zwillings in ihrem Schoss gebettet hatte.

 

Das Fenster zerbrach, als die beiden Dämonen es durchbrachen. Sie stürzten dem schwarzen Wasser entgegen und durchbrachen dessen Oberfläche.  

 

Dann wurde alles schwarz.          

 

 

 

      

 

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Aaaaah, es tut mir Leid, dass es solange gedauert hat ;w;! Ich hab euch einen Monat warten lassen, entschuldigt OTL!!!! Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fahnm
2016-02-11T08:20:37+00:00 11.02.2016 09:20
Tolles Kapitel


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