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Opus Magnum

von

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Fatalitè Déplorable - Opus V

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Von einer allumfassenden Ruhe erfüllt schlug Raria die Augen nieder, atmete tief durch, konzentrierte sich nur auf diesen einen Atemzug, darauf wie er ihren Körper ausfüllte, und es war ihr, als hätte sie spüren können wie, dieser eine Atemzug sogar bis in ihre Fingerspitzen reichte.

 

Dann öffnete sie die Tür, nahm eine Kerze, entzündete diese und schloss die Tür hinter sich, erreichte mit drei Schritten die Treppe und ging diese herunter. Nicht eilig, denn nein, dafür gab es keinen Grund. Raria begrüßte den König der Dämonen, wie sie jeden anderen begrüßt hätte.

„Ein Anklopfen wäre angebracht gewesen, Majestät.“

 

Kasra wirkte überaus deplatziert in diesem von Menschen erbauten Haus, nicht nur wegen seines dämonischen Äußeren, sondern besonders wegen seiner beträchtlichen Höhe. Scheinbar fand er den Ort, den er nun endlich von innen sah, sehr interessant, denn als Raria herunter kam, unterbrach sie ihn darin, sich umzusehen – wie ein wissbegieriges Kind, das zum ersten Mal ein spannendes Museum besuchte, das ihm Einblick gewährte in eine fremde Welt. Besonders interessant schien er die eingerahmten Fotos zu finden, die auf der Kommode standen – Raria überraschte es kein bisschen, immerhin kannte sie ihn gut und wusste, dass diese eingefangenen Erinnerungen ein gefundenes Fressen für ihn waren. Sie war froh, dem Gedankenlesen nicht mächtig zu sein, denn sie wollte gar nicht wissen, was für Ideen diese lachenden Kinderfotos von Nocturn ihm gaben.

 

„Immer noch das gleiche lose Mundwerk wie damals…“, erwiderte Kasra, eines der eingerahmten Fotos achtlos auf die Kommode zurückstellend und sie daraufhin mit seinen roten Augen durchbohrend:

„… Raria. Und so wie ich dich kenne, weißt du, warum ich hier bin?“ Raria nickte, denn natürlich wusste sie es. Aber anstatt dass Kasra das umsetzte, weswegen er gekommen war, verschränkte er die Arme hinter dem Rücken und schlenderte auf die eben unten angekommene Raria zu.

„Ich komme direkt von einem sehr aufregenden Kampf. Meine Hochachtung an dich, Raria! Du hast deinen Neffen gut trainiert und die Fortschritte, die Youma gemacht hat, sind auch beachtlich.“

„Vielen Dank für das Kompliment.“

„Wusstest du eigentlich, dass die beiden Sex hatten?“

„Wenn wir über solch triviale Dinge sprechen wollen, Hoheit, dann sollten wir dazu vielleicht einen Kaffee trinken“, erwiderte Raria mit einem absolut ernsten Blick, der ganz gewiss nicht zu einem gemütlichen Kaffeetrinken passen wollte. Kasra nahm das als erheiternden Witz auf und sein bellendes Lachen schien die Wände zum Beben zu bringen.

„Ach, Raria, es ist eine Schande, dass du meine Welt verlassen hast, du bist ein wahres Vergnügen!“ Raria antwortete darauf nicht, sondern blieb unbeeindruckt an der Treppe stehen. Nur die kleine Flamme ihrer Kerze flackerte ein wenig.

  

„Aber einen Kaffee muss ich ablehnen. Ich bin kein Kaffeetrinker, weißt du? Aber danke für die Einladung.“ Er setzte wieder dazu an, auf sie zuzugehen:

„Und was sagst du dazu, dass dein Neffe mir ins Gesicht geschlagen hat?“

„Ich sage dazu, dass ich hoffe, dass es wehgetan hat.“  Wieder erschallte sein Lachen; es schüttelte ihn sogar so sehr, dass er seinen Kopf mit der rechten Hand festhalten musste:

„Ohja, das hat es tatsächlich! Das liegt wohl daran, dass er trotz seiner Hässlichkeit und Unbrauchbarkeit mein Sohn ist, whahaha!“ Da Kasra sich immer noch in seinem eigenen Lachen verlor, bemerkte er nicht, wie sich Rarias Augen kurz verengten: das wusste er also nicht.

 

Gut.

 

„Obwohl…“ Kasra wandte sich wieder den Fotos zu, ohne auf Raria zu achten, die ihn ganz genau dabei beobachtete.

„Mit den richtigen Mitteln…“ Er hob das Foto hoch, das er eben noch hingestellt hatte und seine roten Augen schienen das Bild förmlich in sich aufzusaugen:

„… ist er vielleicht doch noch zu etwas zu gebrauchen. Er mag dich, du magst ihn… und dann ist da ja auch noch Youma. Er hat sich hier sicherlich wohl gefühlt, oder? Gibt es auch von ihm Fotos? Von ihm und meinem Sohn? Nein? Schade. Wo ihr drei doch für eine kurze Zeit so viel Spaß gehabt habt... du kennst ihn jetzt sicherlich auch gut und kannst mir ja noch ein wenig erzählen? Ich möchte mehr über deren Band erfahren…“ Das Glas des Bilderrahmes brach, als Kasras Finger sich in Nocturns lachendes Gesicht gruben; Kasra schien den Atem anzuhalten, als wolle er das Klirren des Glases auskosten und deswegen nicht durch sein Sprechen untergraben. Er wartete sogar, bis die Scherben auf den Boden gefallen waren, ehe er fortfuhr: 

„… ihr habt so viele Bindungen… so viele Möglichkeiten, um Spaß zu haben. Da weiß man ja gar nicht, mit was man anfangen soll!“ Er drehte sich wieder zu Raria herum und genau wie Youma spürte auch sie, wie die Abscheu empor kroch, als sie dieses Grinsen sah – und diese wurde noch stärker:

„Also lass uns gehen, Raria! Ich bin ein König und kann nicht nur an meine eigene Erheiterung denken; ich habe Verpflichtungen, wie du verstehen musst. Ich habe Aufräumarbeiten in meinen eigenen Reihen auf dem Tagesplan. Youma und mein Sohn kommen sicherlich bald nach, sobald sie mitbekommen, dass du nicht mehr hier bist… oh, ich freue mich schon auf das Gesicht meines Sohnes, wenn er dich sehen wird. Es war sehr unartig von ihm, mir ins Gesicht zu schlagen, aber ein Vater weiß, wie er seine Kinder zu erziehen hat!“

Raria unterbrach ihn. Sie ging auf ihn zu, richtete ihre unergründlichen Augen auf ihn und sagte dann klar und deutlich, während sie die Kerze in einem ruhigen Gestus an die Wand hielt:

„Nocturn ist nicht dein Sohn.“

 

Und mit diesem simplen Satz besiegelte sie unwiderruflich ihr Schicksal.

 

 

Lycram musste ein zufriedenes Grinsen unterdrücken, als Ri-Il kurz seine Augen öffnete und damit deutlich zeigte, dass Lycram ihn mit diesen Neuigkeiten überrascht hatte – ja, dass Lycram etwas gefunden hatte, worüber Ri-Il noch nicht nachgedacht hatte. Solche Momente waren überaus selten; umso mehr genoss Lycram sie, genau wie er es jetzt genoss, dass Ri-Il sich das Buch noch ein zweites Mal ansah.

„Azza-Aniki dachte, es wäre ein Märchenbuch für Kinder und hat es bei seinem letzten Raubzug mitgenommen. Natürlich kann er die Sprache der Wächter genauso wenig verstehen wie wir beide…“ Obwohl es gerade tatsächlich so wirkte, als würde Ri-Il die komischen Zeichen, die die Seiten prägten, lesen – würde er Lycram jetzt verkünden, dass er in der Lage war, die Sprache der Wächter zu verstehen?! Bei ihm wunderte ihn nichts, absolut gar nichts. Aber noch schwieg Ri-Il; seine gelben Augen studierten die leicht braun angelaufenen Seiten des alten Buches und er nickte Lycram zu, als Aufforderung, dass er fortfahren solle, was er dann auch tat:

„… Azza-Aniki nimmt die Bücher der Wächter immer mit wegen den Bildern. Er erfindet irgendwelche Geschichten zu denen – ach, ist ja auch egal, du weißt schon, worauf ich hinauswill?!“ Ri-Il deutete ein nachdenkliches Nicken an, das dicke Buch nun durchblätternd; besonders die erste Hälfte des Buches schien ihn zu interessieren:

„Dein Bruder hat sich aber geirrt. Dieses Buch ist kein Buch für Wächterkinder, sondern ein Geschichtsbuch und ja, ich sehe, worauf du hinauswillst…“ Ri-Il schlug wieder die Seite auf, die Lycram ihm als erstes gezeigt hatte; die rechte Seite wurde von Text gefüllt, die andere Seite jedoch zeigte eines der wenigen Bilder des Buches: ein recht dunkles Bild, auf dem ein junger Mann mit langen, schwarzen Haaren abgebildet war. Seine gänzlich in lila gehaltene Kleidung war von Blut getränkt, genau wie seine überaus große Sense – um ihn herum lagen konturlose Leichen, denen der Künstler des Bildes keine Beachtung geschenkt hatte. Umso mehr Mühe steckte in den Augen des Sensenmannes: rot leuchteten sie dem Leser entgegen, als wäre er das nächste Opfer.

 

„Die Ähnlichkeit mit Youma ist verblüffend.“

„Ach komm!“ Lycrams Hand schoss quer über den Tisch und schmetterte förmlich hernieder, auf die Sense zeigend:

„Das ist genau dieselbe Sense wie die, die der benutzt! Das ist nie und nimmer ein Zufall!“

„Ich gebe dir da absolut recht, Lycilein…“

„Lycram!“

„… aber wir müssten den Text erst einmal übersetzen, um herauszufinden, ob das tatsächlich brauchbare Informationen sind. Erst dann können wir beurteilen, ob du recht hast und Kasras Interesse mehr Youma gilt als Nocturn.“

 

Ri-Il hatte eigentlich geglaubt, dass Lycram eingeschnappt oder beleidigt sein würde, weil Ri-Il seine Theorie nicht so ohne Weiteres hinnehmen wollte, aber stattdessen breitete sich ein überaus triumphierendes Lächeln auf Lycrams Gesicht aus, das Ri-Il sofort stutzig machte.

„Ich wusste, dass du das sagen würdest, Ri-Il! Und ich habe vorgesorgt, also pass gut auf und staune!“

 

Mit einem breiten Grinsen holte Lycram ein Dokument aus der Tasche, aus der er eben das Buch herausgezogen hatte, das nun in Ri-Ils Händen lag und hielt es triumphierend in die Höhe, als wäre es eine Trophäe.

„Du weißt ja genauso gut wie ich, dass Karou die Sprache der Wächter übersetzen kann. Mit dem wollte ich natürlich nicht kooperieren, aber ich dachte mir, ich könne ja mal seinen Rivalen und Kumpel fragen, ob er ebenfalls die Wächtersprache übersetzen kann – und siehe da, er konnte es!“

„Wie hast du es geschafft, Merrlius dazu zu bringen, etwas für dich zu übersetzen?“ Die beiden verstanden sich nämlich nicht gerade gut; tatsächlich waren sie schon mehrere Male knapp an einem Krieg vorbeigeschlittert.

„Oh, das ist ganz einfach!“ Lycram versuchte tatsächlich, cool zu wirken, indem er sein Kinn auf seinem Handrücken abstützte und sein Gegenüber schelmisch anlächelte; aber eigentlich war er für solche Gebärden viel zu aufgeregt. Wäre die Situation nicht so ernst, dann hätte Ri-Il Lycrams Freude, zur Abwechslung mal etwas zu wissen, was er nicht wusste, richtig niedlich gefunden.

 

„Du weißt doch, dass Kasra Merrlius erst vor wenigen Tagen mit aufs Schlachtfeld geschleift hat, um dessen Horde als Kanonenfutter zu gebrauchen.“

„Ja, das ist mir nicht entgangen.“

„Tja, und ich habe ihm klargemacht, dass sein nördlicher Nachbar – alias ich – ja auf die Idee kommen könnte, ihn anzugreifen, sein Gebiet zu erobern… aber dass es da einen kleinen Gefallen gäbe, den er mir tun könnte, um das Ende seines Gebietes noch ein wenig hinauszuzögern! Haha – was sagst du nun, Ri-Il!? Du bist nicht der einzige Dämon, der verhandeln und Informationen sammeln kann, haha!“ Trotz der Situation konnte Ri-Il ein Lachen nicht unterdrücken:

„Und ich bin stolz auf dich, Lycilein! Das hast du wirklich gut gemacht!“ Der nicht gerade beeindruckte, sondern eher heitere Tonfall Ri-Ils brachte Lycrams Grinsen zum Schmelzen und kurz schien er es sich noch einmal überlegen zu wollen, ob er Ri-Il das Dokument mit der Übersetzung reichen sollte oder nicht. Er fühlte sich mal wieder beleidigt, in seinem Stolz verletzt und dachte, Ri-Il würde ihn belächeln. Aber eigentlich freute dieser sich darüber, dass Lycram gar nicht auf den Gedanken kam, etwas von ihm dafür zu verlangen, dass er das Dokument lesen durfte. Was für eine Mühe Lycram sich gemacht hatte, nur um Ri-Il zu beeindrucken!

 

„Wenn du verdammter Hurensohn nicht sofort aufhörst, so zu grinsen, überlege ich es mir noch mal mit dem Dokument!“ Eine sinnlose Drohung, denn Lycram hatte Ri-Il das besagte Dokument bereits überreicht und Ri-Il zweifelte stark an, dass Lycram es ihm aus der Hand reißen würde, wo er sich doch so viel Mühe gemacht hatte, es zu beschaffen und so erpicht auf Ri-Ils Reaktion gewesen war.

„Ou, keine Sorge, Lyci, ich bin ganz stolz auf dich und wirklich und aufrichtig überrascht und beeindruckt!“

„Fick dich und lies endlich das verdammte Dokument!“

„Sofort, Lyci, sofort, nur noch ein Schluck – oh, ich sehe schon, das ist eine ganz miserable Übersetzung…“

„Willst du dich etwa auch noch beschweren?!“

 

Ri-Il war kurz davor, erschrocken die Schale mit dem Sake fallen zu lassen.

Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf, gerade als er ansetzen wollte, den ersten Satz zu lesen; nicht sein Gedanke, sondern der Gedanke Mekares. Nein, kein Gedanke.

Ein Hilfeschrei.

 

„RI-IL!“        

 

Sie wusste nichts von seinen Gedankenlesefähigkeiten; dieser Gedanke, dieser Hilfeschrei, war ihrer Panik entsprungen, einer Panik, die Ri-Il förmlich spüren konnte, eine Panik, die ihn um Hilfe rief, nicht weil sie damit rechnete, dass er es hören konnte, sondern weil sie gar nicht anders konnte, als seinen Namen zu schreien.

 

„Ri-Il? Was zur Hölle ist los? So schockierend ist das doch auch wieder nicht…“ Ri-Il hörte Lycrams erstaunte Worte nicht; zu sehr nahmen ihn seine Gedankenlesefertigkeiten ein, die sich plötzlich auf viele Personen gleichzeitig richten mussten – zu viele Dinge. Viel zu viele Dinge.

Und zum ersten Mal seit mehr als hundert Jahren spürte Ri-Il etwas, von dem er geglaubt hatte, dass er es nie wieder spüren würde – Angstschweiß.

 

„Ri-Il, was zur Hölle ist mit dir los?!“

 

Diese klaren, lauten Worte Lycrams weckten Ri-Il.

 

Er sah ihn kurz an, konzentrierte sich auf Lycrams Gedanken, hörte die Sorge um Ri-Il in ihnen, die Lycram aber sofort selbst beiseiteschob und als würden diese Gedanken beruhigend auf ihn wirken, schloss Ri-Il plötzlich wieder seine Augen, was Lycrams Stirn in Falten legte.

 

Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit wusste er nicht, was geschehen würde – umso deutlicher, umso klarer, wusste er, was er jetzt zu tun hatte.

 

„Lycram, dieses Dokument ist tatsächlich von unglaublicher Wichtigkeit.“ Er hatte dessen Inhalt natürlich schon längst in Lycrams Gedanken gelesen:

„Hast du dafür gesorgt, dass Merrlius auf keinen Fall weitererzählt, was darin steht?“ Lycram wurde ein wenig rot, denn das hatte er tatsächlich nicht bedacht und das wusste Ri-Il natürlich:

„Weißt du, was ich jetzt tun würde? Ich möchte dich natürlich nicht belehren und wenn du möchtest, tue ich es auch selber…“ Das Knurren seines Gegenübers war genug Antwort:

„… aber die beste Idee wäre jetzt, die Erinnerungen von Merrlius zu löschen. Ich denke, du beherrscht die fünfte Technik der verbotenen Künste?“

„Verkaufst du mich gerade für blöd?! Natürlich kann ich die, wer kann die denn bitte nicht?!“

„Oh, das klingt sehr gut – brauchst du meine Hilfe? Er ist zwar nicht so stark, aber doch immer noch ein Fürst…“

„Nein, ich brauche verdammt nochmal keine Hilfe von so jemandem wie dir, besten Dank! Pah! Wo kommen wir denn da hin, was ich angefangen habe, bringe ich auch selbst zu Ende!“

 

Und dann verschwand er.

Ri-Il sah kurz noch lächelnd auf den Punkt, wo Lycram gerade noch gesessen hatte.

Ein wenig traurig.

Dann legte er die Bezahlung auf den Tisch und verschwand ebenfalls.

 

Um von einem überaus erfreut lachenden Kasra auf den Boden seines Büros geschmettert zu werden.

 

 

Das Wort Abschied hallte förmlich nach in Youmas Kopf. Abschied? Abschied?! Warum sah Nocturn ihn so bedauernd an? Warum war sein Lächeln so traurig? Was ging hier eigentlich vor sich und warum hatten sich Youmas Finger automatisch ausgestreckt, um Nocturns Arm zu packen, ihn festzuhalten, ihn daran zu hindern, das zu tun, was Youma fürchtete – was auch immer es war?!  

„Nocturn, was redest du da?! Wir müssen zu Raria, schnell! Wir müssen nach La Roche, bevor es zu spät ist!“ Warum lächelte er denn noch? Dieses Lächeln passte doch gar nicht zur Situation – oder… oder verkannte Youma die Situation und das Lächeln passte sehr wohl?!

 

„Ich werde nie wieder nach La Roche zurückkehren.“ Was… was…?!

„Aber ich verspreche dir, dass wir uns wiedersehen werden…“ Nocturn legte sanft seine Hände auf Youmas verkrampfte Hand; es würde ein Leichtes für ihn sein, Youmas Hände von sich zu lösen, so schwach, wie er gerade war; geschwächt durch den gerade erst überlebten Glöckchenentzug, gelähmt von dem empor kriechenden Schockzustand.

„… es war eigentlich vorgesehen, dass ich niemals wieder einen Dämon zu Gesicht bekommen sollte, aber ich habe Raria davon überzeugen können, dass ich ohne dich nicht glücklich sein kann.“ Sein Griff wurde nun fester, er begann, seine Finger von sich zu lösen – wenn er Youmas Finger komplett von sich entfernt hatte, dann würde er sich weg teleportieren und dann würde Youma ihn nicht mehr finden, das wusste er plötzlich.

 

„Was… was redest du für einen Schwachsinn…?!“ Nur noch zwei Finger…

„Es dauert nur eine Weile. Wir müssen geduldig sein… und du musst auf dich aufpassen, versprich es mir, Youma, ja?“ … einer…

 

Dann verstand Youma es plötzlich.

Die ganze Wahrheit und warum er die ganze Zeit das Gefühl gehabt hatte, dass er nur die Hälfte wusste. Die Bedrückung, die immer im Haus geschwebt hatte… Nocturn, den er oft so traurig vorgefunden hatte… der Grund, weshalb sie sich gestritten hatten… weshalb Raria ihn umarmt hatte… ihn mit ihrer Musik zum Weinen gebracht hatte… ihr Abschied voneinander.

 

Raria hatte Nocturn wie ihr eigenes Kind behandelt und sie liebte ihn wie ihr eigenes; das hatte Youma sofort gespürt, ihre schroffe Härte hatte das nicht verschleiern können. Er war eifersüchtig gewesen, weil Nocturn das hatte, was er sich zurückwünschte… daher war es ihm die ganze Zeit unverständlich gewesen, dass Raria, die Nocturn doch so sehr liebte, ihn in einen Kampf schickte, wo die Aussicht auf einen Sieg minimal war.

Light hätte das nicht getan.

 

Und Raria tat es auch nicht.

Sie hatte es von Anfang an nicht vorgehabt.

 

„Raria opfert sich für dich… damit du fliehen kannst.“

 

Der letzte Finger löste sich von Nocturns Uniform, aber er verschwand nicht. Diese Worte hatten ihn versteinern lassen; das Lächeln war verschwunden, die Maske gefallen. Nocturns Gesichtszüge waren völlig versteinert und seine Stimme klang bleiern, als er den Mund öffnete:

„So kurz… vorm Ende… durchschaust du meine Rolle… so kurz vorm Ende scheitere ich also daran, ihren Wunsch zu erfüllen…“

„Ihren… Wunsch?“ Aber Nocturn reagierte nicht; er schien in einen Trance-ähnlichen Zustand zu fallen, weshalb Youma seine Arme packte, um ihn daran zu hindern, diesem zu verfallen; aber er reagierte nicht.

„Nocturn, hör mir zu! Wir können es noch schaffen, sie zu retten!“ Nocturn schüttelte den Kopf, aber Youma ignorierte es:

„Reiß dich zusammen! Zusammen könnte es uns gelingen, wenn wir uns beeilen und uns in euer Dorf teleportieren!“

„Nein… ich habe ihr versprochen, dass ich nie wieder nach La Roche zurückkehre… ganz egal, was passiert… ganz egal… Ich habe ihr geschworen immer alle ihre Wünsche zu erfüllen, ich habe es geschworen!“

„Nocturn, Kasra wird sie als Geisel nehmen, verstehst du das nicht?!“

„… das habe ich Raria auch gesagt, aber sie versprach mir, dass er es nicht tun würde, dass sie wisse, wie sie das verhindern würde… dass sie kein Druckmittel werden würde…“ Jetzt spürte Youma, wie Nocturn zu zittern begann, auch seine Stimme bebte:

„… ich soll mich… weg teleportieren… in Sicherheit bringen… nie wieder einem magischen Wesen in die Nähe kommen…“ Wie gut Nocturn gespielt hatte die ganze Zeit – Youma übermannte plötzlich der Schmerz; wahrscheinlich hätte er auch wütend sein können, dass er auch ihm etwas vorgespielt hatte, aber als er realisierte… dass Nocturn die ganze Zeit gewusst hatte, dass Raria sich für ihn opfern würde, da vergaß er förmlich sich selbst.

 

Die ganze Zeit war Nocturn stark geblieben, hatte weiter gespielt, sogar als Youma ihm direkt gesagt hatte, dass er sich verstecken könne, weil er keine Aura hatte – mit anderen Worten genau das, was von Anfang an geplant gewesen war. Aber dass… dass Raria sterben würde… dass sie Nocturn dieses schwere Wissen auferlegte… das schwere Wissen, dass sie für ihn in den Tod ging… und dass er die ganze Zeit hatte weiter spielen müssen, obwohl er wusste, dass sie sterben würde!

 

„… ich solle glücklich werden, sagte Raria… das sei ihr Wunsch, ihr einziger Wunsch, den ich ihr versprechen müsse… aber… aber…!“ Mit schmerzendem Herzen sah Youma, wie Nocturn die Tränen herunter rannen:

„…Wie soll ich glücklich werden, wenn ich Raria sterben lasse?!“

 

Youma ignorierte seinen eigenen Körper; ignorierte wie sehr er schmerzte, als er sich aufrichtete und Nocturns Hände nahm. Überrascht, mit Tränen in den Augen, sah Nocturn Youma an, sah in seine felsenfesten Augen und spürte, wie Youma den Griff um seine zitternden Finger verstärkte.

 

Raria hatte recht gehabt; sie hatte die ganze Zeit recht gehabt – Youma ließ Nocturn seine Grenzen erkennen. Er konnte ihn nicht belügen – und noch weniger konnte er sich selbst belügen.

 

Und gemeinsam teleportierten sie sich nach La Roche.

 

 

 

                                                               

 

       

  

 

 

 

       

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Dam Dam Daaaaaamm /o/ Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  fahnm
2016-01-15T22:46:09+00:00 15.01.2016 23:46
Spitzen Kapitel
Von: MiyaToriaka
2016-01-05T20:04:49+00:00 05.01.2016 21:04
OMFG. Es war so touching. ;___;
Die Begegnung mit Raria und Kasra kam sehr unerwartet. Fast schon erschreckend. Immerhin hatten wir die ganze Zeit Angst um Nocturn und jetzt ist es Raria, die geopfert wird. Wieso braucht Himi immer Tote (die sich nicht wieder auferstehen lassen)? Das grenzt schon an Massenmord-Kult! ABER ICH MAG ES!!! Raria ist die Heldin der Story ;___;. Offiziell nur Tante, aber handelnd wie eine wahre Mutter. Sie ist streng und toll!
UND SIE IST TOT?!?!?!?! DAMMIT. AIMAI!!!
Immer dasselbe! Aber es ist 4 da feelz!!!
Und natürlich wieder die Glasshipping-Szene, die einem das Herz zerreißt. Was mich mega positiv überrascht hat, war die Tatsache, dass Youma, obwohl er mit Raria zuvor noch Unstimmigkeiten hatten, sich sofort um sie sorgt und Nocturn überreden will, es wenigstens zu versuchen, sie zu retten. Das ist so, so cute und ergreifend! Dass er sich trotzdem um sie sorgt, obwohl sie so schroff sein kann. Er erkennt wohl doch den wahren Kern in ihr. So toll!
UND NOCTURN DU DUMMES KIND. DU KANNST NICHT ABHAUEN. RARIA IST DEINE FAMILIE!!! YOUMA HAT RECHT!!! WIDERSETZE DICH UND KÄMPFE! TU WAS DU FÜR RICHTIG HÄLTST!!!

UND JETZT AB MIT EUCH NACH LE ROUCHE!!! DALLI DALLI!!!


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