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Blöd.

Eine ganz besondere Beziehung
von

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Blödes Rot.

Schon wieder. Egal wie oft ich den Kopf auch hebe, dieses verdammte turtelnde Pärchen will einfach nicht verschwinden. Seit 6 Stationen sitzen sie mir bereits gegenüber, halten Händchen und necken einander mit Worten oder Blicken. Abweisend starre ich ihnen einen Moment länger als nötig entgegen, bis das männliche Subjekt dieser Farce mich bemerkt. Unsere Blicke treffen sich nur kurz und schon schäme ich mich. Was soll das Ganze auch? Wahrscheinlich haben sie einander verdient und führen eine perfekte kleine Bilderbuchbeziehung. Und nur weil es bei mir einfach nicht läuft, sollte ich die Harmonie zwischen den Beiden nicht missbilligen. Tue ich aber. Es nervt. Frustriert ziehe ich den Kopf noch etwas mehr in den Schal zurück und drücke die Hände so tief in meine Manteltaschen, dass der Zug in meinem Nacken sich verstärkt. Blöde Fahrt. Blöde Turtelei. Blöder Tag. Wieder ein Blick zum Paar. Vielleicht habe ich einen Hang zur Selbstbestrafung. Diesmal allerdings sitzen sie nur neben einander. Er checkt gerade irgendwas an seinem Handy und sie starrt mit einem völlig selbstlosen Lächeln auf ihre Knie. Ein seltsames Schuldgefühl nagt an mir und missmutig erhebe ich mich. Das darf ja wohl auch nicht wahr sein. Haben die jetzt wegen mir aufgehört zu schmusen? Blöder Kerl. Ohne die Beiden auch nur noch eines Blickes zu würdigen stelle ich mich neben einen älteren Mann an die Tür. Es dauert noch quälende Minuten ehe die Bahn endlich hält. Und kaum da sich ein Spalt auftut, drängele ich mich vor und schlüpfe hinaus. Die kalte Luft des Winters schlägt mir ins Gesicht, wie eine verdiente Ohrfeige. Eine Station zu früh, aber ich brauche jetzt etwas Abstand. Andere oder viel mehr fremde Menschen bereiten mir Unbehagen. Ich bin nicht sonderlich sozial, habe einen gut überschaubaren Freundeskreis auf den ich mich verlassen kann und brauche eben auch keine blöde Beziehung. Ich hätte vielleicht ganz gern eine, aber ich brauche sie nicht. Nicht wirklich. Blöde Beziehung. Unglücklicherweise verraucht mein Frust nicht, obwohl ich mich Schritt für Schritt von der Bahn und damit auch von der Gesellschaft entferne. Hier am Rande der Siedlung wird es ruhiger und ruhiger. Ein hoher Zaun zu meiner Rechten grenzt mich noch etwas mehr aus. Ein gutes Gefühl. Ich genieße die Abgeschiedenheit, bis ich schließlich irgendwann die andere Station sehen kann. Der Zaun ist unlängst von einer Mauer abgelöst worden und mündet in ein weit geöffnetes Tor. Ohne Umschweife durchquere ich dieses und stiefele die Einfahrt hinauf bis zur Drehtür. Sie wird erst aktiv, als ich die Scheibe fast berühren kann und wie mit einem Karussell werde ich ins Innere des Gebäudes gelockt. Der Geruch nach Desinfektionsmitteln steigt mir in die Nase. Weiße Kittel, weiße Wände und ein humanes Chaos. Um die Weihnachtszeit scheint hier viel mehr los zu sein, als das ganze Jahr über. Ohne der gesichtslosen Masse an Menschen auch nur einen Funken an Aufmerksamkeit zu schenken flüchte ich in Richtung Fahrstuhl. Blöder Fahrstuhl. Begehrt wie immer. Der Anblick dort wartender Menschen veranlasst mich dazu, die Treppe zu nehmen. Blöde Treppe. Zu viele Stufen. Wieder bewege ich mich im Kreis und erklimme Absatz für Absatz, Ebene für Ebene. Endlich die richtige Station erreicht verlasse ich das Treppenhaus und ziehe mir bereits auf dem Gang die Jacke aus. Warm. Unachtsam stopfe ich den Schal irgendwie in den Ärmel und mache mich weiter auf den Weg. Eins, zwei, drei, vier … Bei Tür Fünf bleibe ich stehen. Die ersten Male habe ich immer gezögert, tief durchgeatmet und überlegt was ich sagen soll. Am Anfang war es wirklich noch schwer gewesen. Die gesamte erste Zeit über ... Mit angewöhnter Forschheit drücke ich die Türklinke herunter und lasse dir Tür haltlos nach drinnen schwingen. Und sofort bemerke ich, dass es etwas anders ist.

„Wo warst du solange?“, werde ich noch beim Betreten des Krankenzimmers angeherrscht.

Verdutzt weiß ich allerdings nicht, wo ich zu erst hinsehen soll. Der Boden ist übersät mit Geschenkpapieren aller Art. Bunte Schleifenbänder, Aufkleber und Anhänger verbergen vollständig den kleinen Tisch unterhalb des Fensters. Den dazugehörigen Stuhl kann ich auf den ersten Blick nicht einmal entdecken. Auch das Krankenbett ist unter Papieren jeder Farbe verschwunden und ich frage mich, wo wohl die dazugehörige Patientin abgeblieben ist. Diese Frage klärt sich recht schnell, als hinter mir die Tür geschlossen wird und ein eisiger Schauer von meinem Rücken Besitz ergreift. Kaum wende ich mich um, da greift sie auch schon in meine Richtung. Zumindest versucht sie es. Ihr Griff gleitet ein paar Zentimeter an mir vorbei, doch gelingt es mir ihre Hände zu greifen, um sie vor einem Stolpern oder Sturz zu bewahren. Ihr Gesicht ist gerötet, ihre Haare zerwühlt als habe sie sich mehr als einmal gerauft. Aufregung spiegelt sich in ihren Zügen wieder. Allerdings auch Wut, Frust, Trotz?

„Jetzt bin ich ja da.“, versichere ich ihr gelassen, um Ruhe auszustrahlen.

Es funktioniert nicht. Gehetzt sieht sie mir entgegen, oder auch an mir vorbei.

„Du wolltest schon vor Stunden da sein!“, schiebt sie mir den Schwarzen Peter zu und ich behalte ihn.

Obwohl ein Seitenblick auf die Uhr beweisen würde, das ich nur ein paar Minuten später hier bin als sonst.

„Tut mir leid, okay?“, ich bette eine Hand auf ihrem Kopf, wie bei einem Haustier und streichle einige Male über das schmale Haupt.

Unschlüssig wie sie sich jetzt verhalten soll, zögert sie noch, vielleicht genießt sie diese kleine Berührung oder aber überlegt bereits, wie sie es mir heimzahlen kann. Letztlich entzieht sie sich meiner Berührung und stolpert zur Seite. Ungeachtet der vielen Geschenkpapiere am Boden läuft sie barfüßig über die Hälfte drüber. Ich strecke die Arme zu beiden Seiten aus und folge ihr aus Angst, sie könne ausrutschen und stolpern.

„Was wird das hier?“, versuche ich die Hintergründe des Papierchaos zu erörtern.

„Das sieht man doch!“, frustriert schüttelt sie den Kopf, als wäre ich nicht nur nicht auf dem Laufenden, sondern auch noch schwer von Begriff.

„Hmm ...“, murmele ich unschlüssig wie ich darauf reagieren soll.

Mittlerweile hat sie das Bett erreicht und tastet sich über die Oberfläche. Eines der Papiere fest ergriffen hält sie es sich dicht vor die Nase. Es dauert einige Herzschläge, dann wirft sie es über die Schulter zu den anderen am Boden. Kurz nur beobachte ich die langsame Flugbahn, hebe die Augenbrauen und seufze schließlich nur noch tief. Mimi war schon immer so. Gefühlsbetont, emotional. Ein Mädchen das ihr Herz auf der Zunge trägt, immer. Gleich bricht es wahrscheinlich ohnehin aus ihr heraus und ich erfahre den Grund für diesen Wahnsinn. Denn das einzige was sich in den vergangenen sechs Monaten geändert hat, ist die Sehstärke meiner kleinen Schwester. Im Sommer war noch alles gut. Wir waren mit der gesamten Familie am Meer, hatten sogar einen Bungalow für vier Wochen gemietet. Fast jeden Tag waren wir schwimmen, ein toller Urlaub. In der dritten Woche besuchten wie ein Aquarium, das auf irgendeinem Flyer angepriesen war. Delfine sollte es da geben und andere besondere Meeresbewohner. Mimi war kaum zu halten gewesen und mein Vater besorgte schließlich Tickets für uns. In der Nacht vor unserem geplanten Besuch hatte Mimi geweint. Da wir uns ein Zimmer teilten war es für mich unmöglich, das zu überhören. Aber egal wie oft ich auch nachfragte, sie wollte mir keinen Grund dafür sagen. Am Tag unseres Ausfluges war sie schweigsamer als sonst. Ich machte mir Sorgen, vor allem nach der Nacht. Doch die Kleine war wie ein Buch mit sieben Siegeln. Hinterher erfuhr ich, dass sie Kopfschmerzen gehabt hatte. Und ein unangenehmes Druckgefühl auf den Augen. Sie hatte sich aber nicht getraut etwas zu sagen, aus Angst wir würden es uns mit dem Besuch anders überlegen. Und wahrscheinlich hatte sie damit Recht gehabt. Im Nachhinein wäre uns das allen lieber gewesen. Es folgten weitere Tage und Nächte in denen sie stillschweigen derlei Schmerzen ertrug, ohne etwas zu sagen. Ich weiß bis heute nicht, warum sie so fürchterliche Angst hatte mit mir darüber zu sprechen. Wenn ich sie danach frage beteuert sie nur immer, das es gar nicht so oft weh getan hatte. Zum Ende des Sommers hin kam dann schließlich das böse Erwachen. Mimi klagte über einen Schleier, den sie einfach nicht mehr weg blinzeln konnte. Ein Besuch beim Arzt war also längst überfällig gewesen und die Diagnose dementsprechend zerstörend. Uveitis. Entzündungen im Innern des Auges. Trotz sofortiger Behandlung nahm die Sehkraft meiner kleinen Schwester unweigerlich und erschreckend schnell ab. Nicht aber ihr Temperament. Oder eine ihrer anderen Eigenschaften.

„Hilfst du mir jetzt gefälligst mal?“, fordert sie meinen Tatendrang und wendet mir zumindest den Kopf zu.

„Was … soll ich denn machen?“, zeige ich mich unwissend, wenn auch nicht unwillig.

„Ich kann es nicht mehr finden!“

„Was genau?“

„Das richtige Papier!!“, sie stöhnt gequält und lässt sich einfach nach vorn auf ihr Bett plumpsen.

Ungeachtet der Geschenkpapierrollen. Ich erlaube mir ein Augenrollen, weil ich mir nach wie vor nicht ganz sicher bin, worauf es nun hinaus läuft. Meinetwegen kann sie irgendeines dieser blöden Papiere benutzen um … Ja, was eigentlich? Hatte sie etwas Weihnachtsgeschenke besorgt? Fragend linse ich in ihre Richtung, als schlummere irgendein bösartiges Genie in diesem schmalen Körper. Natürlich war sie nicht ständig an dieses Bett gefesselt gewesen und hatte genügend Gelegenheiten gehabt.

„Ein paar mehr Informationen wären echt toll ...“, bitte ich sie, werde allerdings erstmal mit eisigem Schweigen bestraft.

Dann beginnt sie doch zu reden. In ihre Decke. Mehr als ein Nuscheln dringt nicht bis zu mir durch und langsam nähere ich mich ihr. An der Schulter greifend, drehe ich sie zur Seite.

„ … und deswegen brauche ich das Rote.“, beendet sie ihre Ausführungen.

Mit glasklaren Augen sieht sie mir entgegen und ich frage mich, wie viel sie wirklich sieht. Es fühlt sich zumindest so an, als würde sie tief in meiner Gefühlswelt graben. Blöd.

„Rotes Papier also, ja?“, hake ich nach.

Das Rote!“, beharrt sie auf Details.

„Das rote Papier.“, wiederhole ich brav, einfach damit sie sich bestätigt fühlt.

„Es ist weg!“

„Glaub ich nicht.“

„Doch!! Ich hab schon überall gesucht und die doofe Schwester hat auch gesagt, hier ist keins! Aber ich habe es doch selber gekauft! Ich weiß das es da sein muss!“

Sie ist lauter geworden als nötig und hat mittlerweile nach meinem Pullover gegriffen.

„Warum liegt hier überhaupt so viel rum?“, ich überblicke die großzügige Auswahl.

„Ich konnte mich nicht entscheiden! Mama kriegt eins mit Sternen und Papa das mit den Tannenbäumen. Oder mit dem Rentier! Und du ...“, sie stockt.

„Du bekommst gar nichts!“, streckt sie mir schmollend die Zunge heraus.

„Für wen ist denn dann das rote Papier?“, zufällig meine Lieblingsfarbe.

„Kai.“

Autsch.

Das hatte ich ganz vergessen. Mimi hat einen Freund. Wobei ich es nicht wirklich vergessen habe. Eher verdrängt. Braucht man mit 14 Jahren eigentlich schon einen Freund? Ich bin 3 Jahre älter und muss mich mit keinem Typen rumplagen. Blöder Beziehungskram.

„Dann such ich jetzt mal.“, weiche ich aus und versuche ihre Hand von meinem Oberteil zu lösen.

„Wir müssen es finden, ja?“, jetzt ist sie auf einmal so leise, dass ich sie kaum verstehe.

Mit gesenktem Kopf hält sie mich noch fest, dann gibt sie mich von ganz allein frei. Normalerweise fühle ich mich mit Fremden unbehaglich, nicht in Gegenwart meiner Schwester. Das hier allerdings scheint ihr mehr zu bedeuten, als ich es vermutet hätte.

„Na klar.“, versichere ich ihr.

Als sie mir gequält lächelnd entgegen blickt, wende ich mich rasch ab. Rotes Papier. Das kann ja wohl nicht so schwer sein. Die Odyssee beginnt und akribisch beginne ich damit die verstreuten Rollen und Papierbögen vom Boden aufzulesen. Sorgsam räume ich sie zur Seite, überprüfe jede Farbe zweimal und wundere mich über so manches Muster, das heutzutage gedruckt wird. Doch so intensiv ich auch suche, es findet sich kein rotes Papier. Mit voranschreitender Zeit werde ich unruhiger und sehe nochmal zurück auf den überprüften Stapel. Mimi hat sich indes ihrem Bett verschrieben, hält jedes dort gebunkerte Papier dicht vor ihre Nase und scheint es dann doch wieder auszusortieren.

„Wo ist es nur ...“, jammert sie schließlich leise und überprüft noch einmal die Papiere, die sie bereits zur Seite gelegt hatte.

Als würde eines davon plötzlich seine Farbe wechseln. Farbe wechseln? Auch ich widme mich noch einmal dem durchsuchten Stapel und überprüfe jede Rolle noch einmal. Diesmal aber vor allem, ob sie auf der Innenseite vielleicht eine andere Farbe haben. Nichts. Frustriert verziehe ich das Gesicht und sehe noch einmal gen Bett. Mimi gibt nicht auf, was mir irgendwie einen Stich versetzt. Ich will nicht das sie enttäuscht ist. Nicht, wenn es ihr so viel bedeutet. Angestrengt überblicke ich ihr angesammeltes Sortiment, greife schließlich nach einer Rolle und gehen neben ihrem Bett in die Hocke.

„Man, so konntest du es ja gar nicht finden ...“, ich versuche so erleichtert wie möglich zu klingen.

Tatsächlich schaut Mimi vom Bett her auf und in meine Richtung.

„Hast du es?“, sie ist überrascht, hoffnungsvoll.

Mir liegt indes ein seltsamer Kloß im Hals und wahrscheinlich ein Zentner Wackersteine im Magen. Für einen Brunnen wäre ich gar nicht so undankbar, dann müsste ich mich jetzt nicht meiner kleinen Schwester stellen.

„Na klar.“, ich grinse blöd, so locker wie möglich.

„Wo ist es? Zeig her!“, fordert sie aufgeregt und reckt ihre schmale Hand in meine Richtung.

Ich zögere. Blöder Anstand.

„Hier.“, ich reiche ihr die Rolle, deren tiefe orange Farbe die einzige ist, die mich entfernt an Rot erinnert hat.

Ungeduldig drückt Mimi das Papier gegen ihre Nase und es wird unangenehm still. Ich wage es nicht den Blick von ihr zu lösen, warte.

Die Lüge schwebt zwischen uns und wartet nur darauf von ihr entlarvt zu werden. Ich kann sie nicht mehr zurücknehmen. Will ich auch gar nicht. Es ist rot. Es muss rot sein. Nur langsam beginnt Mimi die Rolle Papier wieder zu senken, scheint sie in den Händen zu wiegen. Ihr Blick ist dabei auf mich gerichtet und ich bin mir sicher, das sie mein Lügengesicht kennt, auch ohne es zu sehen. Oder vielleicht sieht sie es auch? Es ist rot!

„Danke.“, sie lächelt.

Nicht mehr gequält oder verzweifelt. Sie lächelt einfach. Ehrlich. Verdammt! Noch ein Stich. Unauffällig balle ich die Fäuste und wende den Kopf zur Seite.

„Dafür bin ich doch da!“, meine Stimme ist belegt.

Sie weiß es. Und ich weiß es. Blöde Lüge. Blödes rotes Papier!

„Ich hab Durst.“, jetzt ist ihre Stimme belegt.

Und ich weiß das sie lügt.

„Ich hole dir was.“, ich gönne ihr den Moment, den sie scheinbar braucht, um meine Lüge zu verarbeiten. Blöder Kai! Weiß der überhaupt zu schätzen, was meine kleine Schwester hier für einen Aufstand nur wegen dem 'einzig richtigen' Papier macht? Frustriert verlasse ich das Zimmer und ziehe die Tür so leise wie möglich hinter mir zu. Der Weg zum Getränkeautomaten ist mir noch nie so unangenehm gewesen. Wenigstens habe ich immer Kleingeld in der Tasche. Zerstreut krame ich nach den Münzen und füttere den Apparat. Orangensaft. Es poltert und das kleine Trinkpäckchen landet in der Ausgabe. Dann wiederhole ich den Vorgang. Manchmal sind wir uns doch erschreckend ähnlich. Ich widerstehe der Versuchung mein Päckchen bereits anzustechen und halte schließlich vor Tür Fünf. Und da ist es wieder. Dieses unbehagliche Gefühl vom Anfang. Ich zögere, atme bewusst tief durch und überlege was ich ihr sagen soll. Doch ehe ich mir wirklich etwas überlegt habe, öffne ich bereits die Tür und schlüpfe hinein.

Mimi sitzt im Bett, aufrecht, den Blick gen Fenster gewendet. Sie ist wütend und ich weiß, das ich es verdient habe. Vielleicht sollte ich zurück in die Stadt fahren und so viele rote Geschenkpapierrollen kaufen, wie ich nur finden kann. Als Wiedergutmachung.

„Hier.“, ich bleibe neben dem Bett stehen und reiche das Päckchen in ihre Richtung.

Keine Reaktion. Blöde Lüge.

„Mimi, ich ...“, setze ich an, bereit es richtig zu stellen.

Es muss sein.

„Fröhliche Weihnachten.“, wechselt sie so unerwartet das Thema, dass mir der Mund offen stehen bleibt.

Mir zu gewandt hält sie ein großes schmales Päckchen in der Hand. Das tiefe Orange des Geschenkpapiers erinnert mich entfernt an Rot. Ich merke wie mir die Sicht verschwimmt. Blöde Tränen.

„Meine Lieblingsfarbe ...“, presse ich leise hervor.

Sie lächelt, lacht, so herzhaft das ich versehentlich schluchze und lache und schluchze. Es stiftet sie nur dazu an, noch herzlicher zu lachen. Der Kloß in meinem Hals ist wieder da, nicht aber die Wackersteine. Es dauert eine halbe Ewigkeit, ehe ich mich wieder einkriege und zu ihr aufs Bett krabble. Eine ganze Weile liege ich ihr in den Armen und sie mir. Erst dann schaffe ich es, mich dem Geschenk zu widmen, dass 2 Tage vor Weihnachten also den Weg zu mir gefunden hat. Sorgfältig trenne ich die mit Pflastern fixierten Zipfel auf. Typisch Mimi. Unendlich viel Geschenkpapier aber keinen Klebestreifen. Sei es drum, es ist perfekt. Passend zum roten Papier. Behutsam wickle ich das Geschenk schließlich aus. Ein Fotoalbum. Wehmütig ziehe ich die Nase hoch und schlage die erste Seite auf. Zwei Grundschüler lachen mir entgegen, wobei die Jüngere ihre Schultüte auf dem Kopf trägt, statt in den Händen. Ich kann es nicht vermeiden, dass ich erneut mit den Tränen zu kämpfen habe.

„Das ist mein Lieblingsbild.“, erklärt Mimi, die Augenlider geschlossen, meine Hand umklammert haltend.

Sie muss die Bilder nicht sehen. Egal was noch kommen mag, diese Bilder nimmt ihr keiner mehr weg. Ein perfektes Geschenk. In perfektem Papier. Von einer perfekten kleinen Schwester.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2016-02-01T17:26:34+00:00 01.02.2016 18:26
Ach, blöde Hormone. Die bringen mich doch sicher dazu, dass ich jetzt ein bisschen traurig werde. Aber nur ein bisschen! Ich bin Erwachsen, ich weine doch nicht! xP

Die Geschichte ist wirklich rührend. Herrje, da will ich gar nicht anfangen mit irgendwas, was nicht "*schluchz*" oder "*heul*" ist. xD Aber es muss sein: es haben sich nämlich ein paar kleine Fehlerchen eingeschlichen. Aber die haben den Lesefluss gar nicht gestört. Was den Lesefluss in meinen Augen ein bisschen gestört hat, war, dass zu wenig Absätze drin waren. Also keine Leerzeilen, sondern wirklich Absätze. Die erste Seite allein ist ein ganzer Absatz. Da hab ich schon kämpfen müssen, nicht den Blick auf die richtige Zeile zu verlieren. Vielleicht wäre es da möglich, noch 1-2 Mal Enter zu drücken? :> Das war an einer anderen Stelle dann auch noch so, allerdings kann ich dir nicht mehr genau sagen wo ^^"
Klingt erbsenzählerisch? Ist es auch :P Viel zum kritisieren findet man halt einfach nicht.
Die Handlung hat mich überrascht - während es am Anfang so klang, als würde es auf eine romantische Beziehung herauslaufen (ich hab die Kurzbeschreibung nicht gelesen, falls da was stünde ^^"), ist es am Ende genau das, was ich mag: Geschwister! Der Schicksalsschlag von Mimi hat mich schon ein bisschen betreten gemacht, sowas stell ich mir grausam vor. Gerade bei einem so jungen Mädel. Da konnte ich den Protagonisten gut verstehen - ich hätte wohl auch jedes Mal Bedenken gehabt, vor dem Zimmer zu stehen. Das mit der Lüge fand ich dann recht interessant, da fragte ich mich schon, wie es wohl ausgehen würde. Dass das Geschenk dann aber für den Protagonisten war, war doch ein bisschen vorhersehbar. ;) Übrigens ab "Meine Lieblingsfarbe". Da dachte ich mir schon, dass es gar nicht um Kai geht. Trotzdem: es ist fluffig! Es ist süß! Ich will weinen!

Schön find ich auch, dass du dich beim Adventskalender auch an etwas eher traurig stimmendes gewagt hast, statt was fluffig-süß-romantisches zu schreiben. Das ist einfach mal ein bisschen Abwechslung. :> (Wobei ich im Advent ja tatsächlich fluffig-süß-romantisch mag, aber naja XD)

Uuuund ich fand den Titel gut, der hat richtig gepasst. :D
Antwort von: abgemeldet
01.02.2016 18:27
Okay, jetzt hab ich auf die Beschreibungsseite geschaut: da wäre nichtmal ne Kurzbeschreibung. xD
Abgesehen davon: Wieso hetero als Genre? Ist das nicht Gen?
Antwort von:  KageyamaTobio
01.02.2016 21:57
Danke für deinen Kommentar!
Uhm ja ... Hetero ... Es ist mir beim Schreiben entglitten und auf was völlig anderes hinausgelaufen, als ursprünglich geplant. Und ich hatte die FF schon angelegt. Und dann vergessen zu ändern und jetzt sehe ich nicht, wie man das ändern kann @_@ und mit Gen wusste ich noch nichts wirklich anzufangen und und und ... Klingt das zu sehr nach Ausrede? Weia ...
Auf jeden Fall danke für dein Feedback. Ich lerne in letzter Zeit sehr viel über optimales Fanfic-Schreiben-und-Visualisieren ... Woran das nur liegen mag ;]
Von:  Kerstin-san
2016-01-30T15:27:34+00:00 30.01.2016 16:27
Hallo,
 
also der One-Shot hat mir echt gut gefallen. Allein schon dafür, dass du das aus der Ich-Perspektive geschrieben hast, gibts Pluspunkte ;)
 
Der Einstieg war super. Wie dein Hauptcharakter (deren Namen du die ganze Geschichte durch irgendwie gar nicht erwähnst xD) in so einer grummeligen Stimmung ist und sich von allen möglichen Sachen genervt fühlt, ohne das es einen erkennbaren Grund gibt. Aber so ist das nun mal ab und an. Ich denke, jeder war schon mal in so einer Stimmung, von daher fand ich es ihr Verhalten sehr nachvollziehbar.
 
Im ersten Moment war ich überrascht, dass sie ihre Schwester besuchen geht. Bei der harschen Begrüßung hab ich irgendwie automatisch an ihre schlecht gelaunte Oma gedacht. Ich hab keine Ahnung warum.
 
Die Hintergrundgeschichte, warum Mimi sich gerade im Krankenhaus aufhält, hat mich kurz schlucken lassen. Ich hab in meinen Bekanntenkreis jemanden, der durch eine Erbkrankheit fast vollständig erblindet ist und daran musste ich natürlich automatisch denken.
Mir hat die Geschwisterbeziehung der beiden sehr gefallen. Mimi hat auf mich so einen leicht theatralischen Eindruck gemacht, aber ihre Schwester ist ja bewundernswert ruhig geblieben. Ich hab eigentlich jeden Moment mit einem größeren Gezicke gerechnet, gerade weil sie auf dem Weg zum Krankenahus schon so schlechte Laune hatte, aber gegenüber Mimi scheint sie viel Geduld zu haben.
 
Wie die beiden dann mit Feuereifer das komplette Zimmer nach dem roten Papier durchwühlt haben und Mimis Schwester dann zu dieser Notlüge greift, weil sie es einfach nicht ertragen kann, dass Mimi so unglücklich ist und ihr aber im gleichen Moment klar wird, wie offensichtlich diese Lüge doch ist. Ich musste ernsthaft kurz schlucken, weil ich ihre Geste vom Grundgedanken her zwar einfach unglaublich rührend fand, aber mit einem gewaltigen Wutausbruch von Mimi gerechnet habe. Das beide dann einfach so drüber weggehen, obwohl beide genau wissen, dass das Papier eben nicht rot ist, fand ich echt stark.
 
Oh und dann das Ende. Einfach wunderschön!
 
Liebe Grüße
Kerstin
Antwort von:  KageyamaTobio
01.02.2016 22:00
Mir ist dein wundervoller Kommentar irgendwie untergegangen @_@ Entschuldige!!
Vielen Dank dafür. Ich finde es toll, wie stark du dich auf diese kleine Geschichte eingelassen hast. Danke dafür~! Ich freue mich das es dir gefallen hat und das du dir die Zeit für so ein liebes Feedback genommen hast. Danke schön.
Hach, jetzt werde ich ganz verlegen ^///^''
Von:  Salix
2015-12-13T23:28:04+00:00 14.12.2015 00:28
Uh, ich muss jetzt so merkwürdig zwinkern, hab da wohl was in den Augen, zu blöd aber auch. :)
Deine Geschichte ist so rührend, dass sie mir die Tränen in die Augen treibt.
Antwort von:  KageyamaTobio
14.12.2015 01:08
Awwh, wie lieb. Danke dir!
Vor allem, wie schnell du den gelesen haben musst, nach dem Upload :O
Beeindruckend! Ich freu mich, dass es dir gefallen hat!


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