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Morgen

von

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Böse Geister

Ein Brief. Warum? Es gibt keinen Grund für einen Brief.

Aber er liegt dort. Unschuldig. Die Stadt, das Amt, wahrscheinlich. Wer soll schon einen Brief schicken?

Ein Windstoß, das Fenster – gerade noch rechtzeitig. Es darf nicht zufallen, nie, nie… Böse Geister darf man nicht einsperren. Sie werden verrückt, verrücken alles, dich, Morgen. Nein, niemals.

Lass die Klinke los, stehe ihnen nicht im Weg. Zurück zur Tür.

Ein Brief. Der Brief. Aufheben? Nicht? Ja, doch? Es könnte das Haus sein. Sie wollen neue Leitungen verlegen. Nein. Warum sollten sie. Wollen wissen, ob ich noch lebe. Ja. Ich lebe. Sie hätten jemanden geschickt. Kein Grund, einen Brief zu schicken.

Aufheben? Aufheben. Schrift, schwarz, ein Name, eine Adresse. Jeder Ort hat eine Adresse. Dieser Ort hat eine Adresse. Du kannst nicht entkommen. Sie finden dich immer. Lass das Fenster auf, aber nicht die Tür. Bösen Geistern darf man nicht die Tür öffnen. Nie. Bist du denn wahnsinnig? Sie kommen und holen dich. Bleib von der Tür weg. Gibt es gute Geister an diesem Ort?

Hunger. Iss. Es gibt Essen. Lass los. Treppe runter, links, zweiter Raum, drittes Regal. Dosen. Dosen sind gut. Sie bleiben. Du kannst dich auf sie verlassen. Sie bleiben. Alle verlassen dich. Habe ich alle verlassen?

Iss, solange sie bleiben. Auch Dosen halten nicht ewig. Du musst durchhalten, bis morgen. Morgen kommt, du musst nur daran glauben. Verzweifle nicht. Der Brief. Den Brief kannst du nachher öffnen. Wenn Morgen da ist.

Es ist dunkel, so dunkel. Ich bin dunkel. Die Geister sind dunkel. Morgen kommt. Da ist nichts übrig, in mir drin. Bleibt etwas, bis Morgen kommt? Warte, warte, warte, alles wird gut. Hell. Klar. Leuchtend. Strahlende Farben. Schön. Ein Wort, kein Bild. Hier ist kein Platz für ein Bild. So eng, zu eng, in meiner Brust. Atme. Morgen kommt.

Nach Luft schnappen, ein Geräusch. Stört es die bösen Geister? Frag die Geister. Sie werden nicht antworten, sie antworten nie. Nie, nie.

Aber sie kommen. Böse Geister, von überall her. Der Weg ist weit. Kein Weg ist zu weit für sie. Weit, weit weg, packen sie ihre Sachen. Und kommen. Wie ich. Aber der Weg war zu weit für mich. Ich bin nicht wie sie. Nichts wird dir bleiben, wenn du diesen Weg gehst. Ich bin schon da. Ich bin… gegangen.

Mitternacht. Hier ist Mitternacht. Dunkel, so dunkel. Eng, der Platz, für mich. Ich habe nicht mehr Platz. Mitternacht ist weit. Groß. Böse Geister sind gebunden. An Mitternacht. Sind frei. In Mitternacht. Lass das Fenster auf, das ist ihr Haus. Du bist nur zu Gast. Dosen, bis du gehst. Mit Morgen. Morgen kommt, morgen früh. Warte.

Sie kommen. Bitte, bitte. Alle anderen bösen Geister, alle, aber nicht sie. Nicht sie, bitte.

Wann endet die Nacht? Mitternacht ist mitten in der Nacht. Der Brief. Wie kommt ein Brief hierher? Woher? Wohin? Hier ist nichts. Nichts, hier bin nur ich. Ein Omen, ein böses Omen. Die Geister schicken Briefe. Öffne nicht. Lass ihn liegen. Halte das Fenster auf. Stehe ihnen nicht im Weg. Iss. Leg dich hin. Schlafe. Träume. Albträume. Schrei. Wach auf. Niemand hört dich. Stört es die Geister? Sie kommen. Du musst fliehen. Ich kann nicht. Müde, so müde. Dann bleib. Schlafe. Träume. Albträume. Tränen. Weine nicht. So eng, so eng. Du kannst ihnen nicht entkommen. Schlafe. Träume. Albträume. Starr. Kalt. Morgen wird alles Besser. Warte bis morgen. Und wenn Morgen nicht kommt? Wer soll schon kommen? Es gibt keinen Grund, zu kommen. Hier bin nur ich.
 

Starr. Kalt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von: abgemeldet
2016-04-22T16:50:58+00:00 22.04.2016 18:50
Beim Lesen dieses Kapitels habe ich mich an deine Sammlung von Drabbles erinnert, die auch in so kurzen Sätzen geschrieben sind. Und ich finde das richtig eindrucksvoll dargestellt, weil hier die Hektik sehr deutlich rüberkommt und mich auch irgendwie angesteckt hat XD

Auf der anderen Seite finde ich persönlich, dass es zum Schluss etwas anstrengend war, weiterzulesen, weil ich mich irgendwann nach einem langen Satz gesehnt habe. Diese Form der Veranschaulichung von Gedankengängen liegt dir sehr, glaube ich, aber mir persönlich war das Kapitel mit alleine dieser Darstellungsform etwas zu lang.

Alles in allem wieder sehr eindrucksvoll und einzigartig, finde ich. Ich habe jedenfalls diesen Schreibstil noch bei keinem anderen gesehen, als bei dir. Weiter so! :)
Von:  Veku
2016-01-20T13:34:41+00:00 20.01.2016 14:34
hi,

ich muss sagen, ich habe die Geschichte schon mehrmals gelesen und weiß nicht recht, wie ich kommentieren soll. Das ist nicht negativ gemeint, es liegt auch nicht an der Story selber, aber irgendwie... es ist schwierig, das in Worte zu fassen, was man während und nach dem Lesen empfindet.

Schön. Ein Wort, kein Bild. Hier ist kein Platz für ein Bild. So eng, zu eng, in meiner Brust. Atme. Morgen kommt.[/]

Eine Passage, die mir in der gesamten Geschichte am besten gefällt und bei mir den Eindruck hinterlässt, das sich der Charakter nicht nur mit negativen Dingen beschäftigt. Kurzzeitig gibt es eine Art Lichtblick. Bis auch der wieder von... ja, Angst verdrängt wird.

Sie kommen. Bitte, bitte. Alle anderen bösen Geister, alle, aber nicht sie. Nicht sie, bitte.

Obwohl man die ganze Zeit das Gefühl hat, als sei es die "bösen Geister" vor der sich dein Charakter fürchtet, scheint es ja doch noch jemanden speziellen zu geben, vor der die Angst am größten ist. Das bringt der ganzen Geschichte noch mal eine neue Dynamik.

Insgesamt finde ich es interessant, wie sich die Story lesen lässt. Die kurzen Sätze, teilweise nur einzelne Wörter zwischen den Punkten, geben ein beachtliches Tempo vor. Immer wieder wird man mit bösen Geister konfrontiert und kann geradezu mit leiden, bekommt ebenfalls Angst, was es bedeuten wird, wenn sie kommen. Einziger Lichtblick ist der nächste Tag. Ein wahrer Strohhalm. Obwohl man die ganze Zeit im Dunkeln gelassen wird, worum es eigentlich geht, kann man sofort die Gefühle verstehen.

Beeindruckend finde ich es auch, wie du es auf die 'kurze' Länge geschafft hast, eine nachvollziehbare Situation zu schaffen. Auch wenn ich es teilweise sehr sprunghaft fand hinsichtlich des Briefes und der Dosen. Es scheint zwar einerseits uninteressant und dann doch wieder so interessant, um sich damit kurzzeitig abzulenken. Dadurch misst man auch den Dingen am Rande eine große Bedeutung zu.

Auf jeden Fall ein gelungenes Werk.

Antwort von:  Flying-squirrel
20.01.2016 15:27
Danke für dein Kommentar!
Zumindest versucht die Person, sich etwas Schönes vorzustellen... aber 'schön' ist für sie eben nur noch ein Wort, ihr fällt nichts dazu ein.
Es ist interessant, worauf verschiedene Leser achten :) Ja, sprunghaft ist die Person auf jeden Fall, da sie sich nicht gut auf etwas konzentrieren kann, wobei ich den Brief als Auslöser ansehen und denke, dass sie sich davon ablenken möchte und dann kurzzeitig andere Gedanken aufgreift, um dann wieder auf ihre Angst zurückzukommen. Der Brief ist die Person ja nur etwas abstraktes, gefährliches, etwas, das alte Narben aufreisst.
Von:  Pfirsichbluete
2016-01-15T09:24:46+00:00 15.01.2016 10:24
Liege ich richtig in der Annahme, dass es hier um eine Person mit multibler Persönlichkeitsstörung und paranoider Schizophrenie handelt? Alles, was man sieht - ein Brief, ein offenes Fenster, Dunkelheit - ist ein Grund für einen inneren Konflikt, der Charakter ist innerlich zerrissen und gleichzeitig doch eins. Es ist schwer zu beschreiben, wie sich die Stimme, die dieses Kapitel erzählt, und der Charakter, von dem wir selbst nur wenig hören, miteinander verhalten: Auf der einen Seite scheint sie sich zu kümmern, auf der anderen Seite treibt sie den Charakter weiter in die Enge.
Antwort von:  Flying-squirrel
16.01.2016 21:44
Danke für dein Kommentar!
Ich habe mir beim Schreiben keine Gedanken darüber gemacht, welche Krankheit das jetzt genau ist, aber ich würde auch in die Richtung gehen. Allerdings kenne ich mich weder mit Persönlichkeitsstörungen noch mit Schizophrenie sehr gut aus und kann deshalb nicht sagen, ob das jetzt richtig ist oder nicht.
Ich denke, dass die Stimme der Person gehört. Sie versucht natürlich, sich am Leben zu halten, ist aber traumatisiert und einfach nicht in der Lage dazu, sich selbst zu helfen. Da sie sich eben isoliert und auch keine Briefe beantwortet, wird ihr wahrscheinlich auch niemand helfen können. Das ist aber auch nur eine Interpretation...
Von:  Ikeuchi_Aya
2016-01-06T20:38:56+00:00 06.01.2016 21:38
Während ich diese Geschichte las, musste ich schmunzeln.
Damals im Deutschunterricht bekamen wir "Fräulein Else" von Arthur Schnitzler vorgesetzt und ich habe es geliebt... auf gewisse Weise machte der Schreibstil beim Lesen verrückt. Man konnte die Zweifel spüren, die Skepsis, die Hoffnung, ... alles war gegeben und deswegen hatte ich auch ehrlich Freude, hier dabei zu sein. (Solltest du mal Langeweile haben: Kann dir die Else also nur empfehlen)
So viele Fragen, die auf einen einprasseln. Viele beschreibende Worte - entweder der Situation oder der eigenen Person.

Ich hatte zunächst aber auch den Eindruck, dass es ein Gespräch des Erzählers mit der Person sei - dann entwickelte es sich für mich zu der Art Selbstgespräch und ich fragte mich, ob die Person vielleicht nicht sogar sich selbst aus einer fremden Perspektive, von außen, sieht, und dann immer wieder zurück in ihren Körper schlüpft, um die Entscheidungen zu treffen bzw. auszuführen.
Antwort von:  Flying-squirrel
06.01.2016 22:13
Ich würde sagen, die Person ist psychisch schwer krank und redet mit sich selbst, um sich am Leben zu halten. Sie ist völlig verängstigt und nimmt ihre zweite, rationalere Stimme wahrscheinlich als zweite Person war. Aber das ist auch nur eine Interpretation...
Die Geschichte werd' ich mir mal angucken :)
Von: abgemeldet
2016-01-04T16:52:28+00:00 04.01.2016 17:52
Puh. Ich muss sagen: ich bin etwas verwirrt. Aber auf eine positive Art und Weise. Du schaffst es, dass der Leser am Ende zwar denkt: HÄH??? - aber dann schaltet man um und fängt an, darüber nachzudenken. Ich hab blöderweise das Genre "Post-Apokalypse" im Kopf, daher war ich sehr verwirrt, denn das ist in diesem One-Shot ja nicht vertreten. Vielleicht war ich deshalb sehr verwirrt. ;) Aber fangen wir mal von vorne an: Ein sehr angenehmer Schreibstil, ich bin mir eigentlich nur nicht sicher, ob man "morgen" nun groß oder klein schreibt, manchmal schreibst du es groß, wenn ich es klein schreiben würde. Aber ansonsten hab ich nichts gefunden, was man bemängeln könnte. (Oder anzweifeln, trifft es eher.) Was natürlich sehr auffällt, ist dass du sehr kurze Sätze hast, die so schnell wieder vorbei sind wie sie angefangen haben. Das baut richtig gut die Atmosphäre auf, die du haben willst: es wirkt, als würde jemand stoßweise atmen, eben wie bei einem Alptraum. Fand ich richtig gut! An Handlung ist natürlich nicht viel dran, aber es interessiert einen. Ich frage mich immer noch, was das wohl für ein Brief ist und wieso er so eine zentrale Rolle spielt. Ich hab dazu mehrere Sachen im Kopf, aber immer, wenn ich auf ne neue Idee komme, les ich wieder einen Satz, der dann doch nicht passt. Fakt ist: die Person hat alle Freunde verloren, hat Angst dass jemand vorbei kommt und den Brief will sie doch eigentlich nicht öffnen, weil... sie da was heimsuchen könnte, das ihr Angst macht? Da ist echt viel zu interpretieren.

Eigentlich gibt es auch nichts, was man groß verbessern könnte, die Atmosphäre ist ja schon packend genug, dass man da nicht mehr viel verbessern kann. Vielleicht eine Sache: manchmal hat man das Gefühl, dass man als Leser angesprochen wird (durch das ständige "du" und "ich"), manchmal hat man aber das Gefühl, dass es um jemand ganz anderen geht. Vielleicht könnte man da ansetzen und gucken, wie die Wirkung, dass man selbst als Leser involviert ist, noch größer ist. Aber das ist jetzt nur rausgepickt, weil ich mir schlecht vorkomme, nichts zu kritisieren, wenn du doch explizit Kritik willst... ;)

Ich persönlich mag die Atmosphäre und den Stil - du hast meinen Geschmack damit einfach ZU perfekt getroffen ;)
Antwort von:  Flying-squirrel
04.01.2016 18:18
Danke für das Kommentar (oder Kommentare, ich sehe, dass da gerade mehr kommt) !
Das mit der Groß- und Kleinschreibung bei Morgen/morgen ist gewollt, manchmal ist es die Zukunft Morgen, manchmal aber morgen nach der Nacht.
Ich saß das gestern auch und habe versucht herauszufinden, was in der Person vorgeht, um die Trigger-Warnungen richtig zu setzen. Ich glaube z.B. nicht, dass sie sich später umbringt, aber eine Option wäre es. Und was im Brief steht kann ich dir auch nicht sagen. Ich nehme an, dass die Person eine schlimme Kindheit oder Jugend hatte, vielleicht wurde sie missbraucht oder gemobbt, und dass sie vor den Tätern Angst hat. Die Geister sind Aberglaube oder Haluzination.
Ich glaube, die Person führt Selbstgespräche. Sie meint also sich selbst, wenn sie du sagt, gibt sich selbst Befehle, tröstet sich selbst etc. Aber ein Gespräch mit dem Leser werde ich sicher auch noch in einer anderen Geschichte ausprobieren.


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