Zum Inhalt der Seite

Urlaubsreif^3

Die Zwei machen mich fertig!
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Juli (erste Hälfte)

Obwohl es unter der Woche war, brauchte er an diesem Tag seinen Wecker nicht, um mit den ersten Sonnenstrahlen, die sich durch die Vorhänge in sein Zimmer trauten, aufzuwachen. Voller Vorfreude schlug er die Augen auf und hüpfte aus dem Bett, kümmerte sich sogar gleich um die Bettdecke. Dann flitzte er ins Bad.

Den Schlafanzug trug er immer noch, als er in Setos Zimmer nebenan stürmte und ihn wecken wollte. Doch das Bett war leer. Kurz lauschte er, ob er sich vielleicht gerade im Bad befand, bevor er weiter ins Arbeitszimmer stürmte. Doch auch dort war sein Bruder nicht. Ebenso nicht in seinem neu eingerichteten Entspannungsraum. Er würde es doch nicht gewagt haben an diesem Tag ohne ein weiteres Wort in die Firma zu fahren? Wenn dem der Fall war, brauchte er jetzt dringend erst eine heiße Schokolade, bevor er sich über die Schokoladeneisvorräte hermachte. Er hatte seinen Freunden extra gesagt, dass er mit ihnen erst am Wochenende feiern würde, und so hatten sie alle diesen Tag verplant und keine Zeit für ihn. Und dann war Seto nicht da!

Zu seiner Überraschung fand er die Küche leer vor, obwohl zu dieser Tageszeit ihre Haushälterin darin sein sollte und alles für die weiteren Mahlzeiten des Tages vorbereitete. Also nahm er sich einfach seine Lieblingstasse und ging hinüber zu dem kleinen Kaffeeautomaten, der auch heiße Schokolade machen konnte – ein Detail, in das er Seto damals gequatscht hatte.

„Mokuba! Was machst du schon hier?“

Vor Schreck rutschte ihm die Tasse aus der Hand, fiel aber nur wenige Zentimeter sicher auf die Arbeitsfläche ohne Schaden zu nehmen. Erschrocken drehte er sich um und blickte seinen großen Bruder überrascht an. „Seto! Ich dachte du wärst in der Firma.“

„Und was soll ich deiner Meinung dort am 23. Geburtstag meines kleinen Bruders?“ Seto hatte sich an den Türrahmen gelehnt und bedachte ihn mit einem Blick, den Mokuba nicht richtig deuten konnte.

„Arbeiten?“, versuchte es Mokuba.

„Nicht heute.“

„Sicher?“

„Ja, sicher.“

„Ganz sicher?“

„Ja, Mokuba, ganz sicher.“

„Okay“, resignierte Mokuba. „Seto, du kannst raus kommen! Ich weiß nicht welcher Teil der KC sich mit Klonen beschäftigt – aber selbst, wenn das nur ein Roboter ist, ist er wirklich gut geworden!“

„Moki“, meinte die Erscheinung in der Tür, die nie und nimmer Seto Kaiba sein konnte.

„Ja?“

„Das ist kein Scherz, sondern mein Ernst – und außerdem dein erstes Geburtstagsgeschenk.“

Verdutzt blinzelte Mokuba. Sollte das wirklich der Wahrheit entsprechen? Heimlich kniff er sich und spürte erleichtert den Schmerz. Er träumte zumindest nicht. „Großes Kaiba-Ehrenwort?“

„Großes Kaiba-Ehrenwort. Und darf ich dich jetzt endlich umarmen und dir zum Geburtstag gratulieren?“

„Natürlich!“ Der jüngere schmiss sich in die ausgebreiteten Arme seines großen Bruders und fragte dann ganz unschuldig: „Soll das heißen, ich hab noch andere Geschenke?“

Statt zu antworten wuschelte Seto ihm durch die noch vom Schlafen unordentlichen Haare und führte ihn durch die Tür ins Esszimmer. Heimlich hatte er alle Geschenke auf der einen Seite des Esstischs drapieren lassen, während auf der anderen Seite der Frühstückstisch gedeckt worden war mit allem, was das Herz zu so früher Stunde begehren konnte. Frühstücksflocken, Brötchen, verschiedene Säfte, eine Thermoskanne voll mit Kakao und eine abgedeckte Schüssel mit unbekanntem Inhalt. Hin und hergerissen blickte Mokuba von einem Ende zum anderen. Wo sollte er nur anfangen? Seto kam ihm zuvor, indem er ihm eine Tasse reichte.

„Vorschlag. Du probierst zuerst das Rührei und fängst dann mit dem Auspacken an.“

„Rührei?“ Eine schwarze Augenbraue wanderte nach oben. „Wir haben sonst nie Rührei!“

„Gerade deswegen sollst du es ja auch essen, solange es noch warm ist.“

Bildete er es sich ein, oder wirkte Seto ein wenig nervös? „Na dann.“ Brav setzte er sich auf seinen gewohnten Platz und ließ sich die Schüssel geben. Er tat sich reichlich auf und probierte dann. „Leckaw“, murmelte er mit vollem Mund und nahm sich gleich den nächsten Bissen. „Besonders der Lachs da drin.“

Sobald er aufgegessen hatte, war er wieder auf den Füßen und bei dem kleinen Geschenkhaufen, dessen blaues Papier geradezu von ihm aufgerissen werden wollte.

In den ersten Paketen fand er Bücher, die er sich schon seit einer Weile wünschte. Technische Spielereien bekam er immer sofort – darauf legte Seto großen Wert - aber Erstausgaben seiner Lieblingsbücher oder andere „Kleinigkeiten“ gab es nur zu speziellen Anlässen. Natürlich hätte er sie sich auch selbst kaufen können, schließlich verdiente er genug, aber so machte es einfach mehr Spaß. Dann folgte ein wenig Kleidung und … Kritisch sah er auf das Geschenk herab. Was sollte er mit einem Schal im Hochsommer? Zwar gefiel ihm die Farbe ausgesprochen gut und das tiefdunkle Violett würde gut zu seinen Augen aussehen und ihm sicherlich auch stehen, aber trotzdem. Vorsichtig nahm er ihn hoch und warf einen kurzen Blick zu seinem Bruder hinüber, der seltsam angespannt seine Kaffeetasse umklammert hielt. Er betrachtete das Textil genauer. Die Maschen waren unregelmäßig und sehr groß. Nichts, was Seto aussuchen würde. Er hielt eher wenig von Grobgestricktem, wenn es um ihre Winterkleidung ging. Es sah irgendwie selbstgemacht aus und dafür wäre die Materialstärke wohl passend – zumindest, wenn er sich richtig an das erinnerte, was er aus seinem Freundeskreis übers Stricken gelernt hatte.

„Ist der von dir?“, traute er sich endlich zu fragen.

„Gefällt er dir nicht? Ich kann ihn gerne --“

„Nein, du kannst ihn nicht umtauschen lassen. Den hast du selbst gemacht, oder?“

Kaum merklich nickte Seto.

„Dann werde ich ihn in Ehren halten und nur zu besonderen Anlässen tragen!“ Er ging zu ihm hin und fiel ihm dann um den Hals. „Daaaaaaanke, großer Bruder. Danke, dass du dir so viel Mühe gemacht hast! Und was machen wir jetzt?"

Etwas verlegen räusperte sich Seto und schlug vor, dass sie weiter aßen und er sich währenddessen überlegen sollte, was sie mit dem Tag anfangen sollten. Dagegen hatte Mokuba im Moment nichts einzuwenden, auch wenn er bereits genau wusste, wie er sich diesen Tag vorstellte. Doch ein wenig Pause davor konnte nicht schaden, ebenso eine gute Basis, da sie sich viel bewegen würden.
 

Nachdem sie beide aufgegessen hatten, unterbreitete er schließlich Seto seine Pläne. „Also. Heute Vormittag gehen wir in den Tierpark und danach in den Seilgarten im Gewerbegebiet und abends will ich Pizza und ganz viele Filme schauen und dann...“

Er konnte dabei zusehen, wie sich der Blick seines großen Bruders änderte. Es war fast zehn Jahre her, das er ihn das letzte Mal so angesehen hatte. „Einverstanden“, antwortete er schlicht. Zwar klang dieser Seilgarten nach nichts, was ihm gefallen könnte, doch solange Mokuba an seinem Geburtstag glücklich war, würde er alles mitmachen, was er sich einfallen ließ. „Dann sollten wir uns jetzt fertig machen, damit wir bald los können.“

„Äh, Seto“, fing Mokuba vorsichtig an, als er einen kurzen Blick zur Uhr warf.

„Ja, Mokuba?“

„Der Tierpark öffnet frühestens in zwei Stunden und“

„mir gegenüber sitzt ein Geburtstagskind in seinem Pyjama, das allein eine halbe Stunde für seine Haare jeden Morgen braucht.“ Es war zwar nur eine Viertelstunde, aber es war einfach zu niedlich, wie besagtes Geburtstagskind empört nach Luft schnappte und dann aus dem Raum stürmte.

„Ich beeil mich!“
 

Seto parkte auf dem noch leeren Parkplatz außerhalb Dominos und stieg dann aus. Die gesamte Fahrt über hatte Mokubas Smartphone gebrummt und gepfiffen, während er selbst ihm vor der Abfahrt seine fünf Handys in die Hand gedrückt hatte, mit der klaren Order, dass er sie spätestens am nächsten Morgen zurückerhielt. Breit grinsend und sich wie ein kleines Kind freuend lief Mokuba vorweg zum Eingang und hatte schon seinen Studentenausweis gezückt, als sein Bruder endlich auch ankam und den Kopf darüber schüttelte, dass er tatsächlich von dieser Vergünstigung Gebrauch machte. Freundlich lächelnd wünschte ihnen die Dame einen schönen Tag und legte zu den beiden Eintrittskarten einen Wegplan, damit sie sich nicht verirrten. Mokuba bedankte sich höflich und zog dann Seto zu den ersten Gehegen.

Sie starteten bei den Lemuren, besuchten das Affenhaus, dessen Bewohner noch schlafend in den Hängematten hingen, kamen am Streichelgehege vorbei, wobei sich Seto fragte, ob es wirklich eine gute Idee war, dass kleine Kinder Ziegen streicheln sollten, und liefen an großen Vollieren mit bunten kleinen Vögeln vorbei. Sobald ihnen der Geruch von Fisch und anderem leicht gammligen Meeresbewohnern entgegenschlug, beschleunigten sich Mokubas Schritte. „Komm, Seto, gleich ist laut Plan die erste Fütterung!“

Fütterung? Wer oder was sollte gefüttert werden? Und konnte man den Tierpark eigentlich wegen dieser Belästigung seiner Nase verklagen? An dem großen Becken angekommen, klärte sich zumindest eine seiner Fragen. Das Erscheinen ihres Pflegers hatte die Gruppe von fast zehn Seehunden in helle Aufregung versetzt, sodass sie wild durcheinander schwammen und hin und wieder aus dem Wasser schossen um den großen Eimern näher zu kommen. Gelangweilt blickte er sich um und musste feststellen, dass ansonsten nur Eltern oder Großeltern mit ganz jungen Kindern, die bei jedem kleinen Kunststück die Münder aufrissen, unterwegs waren.

Anschließend folgten sie weiter dem Pfad zu den Pinguinen und Seto verabschiedete sich im Raubtierhaus vollends von seinem Geruchssinn. Da half selbst die etwas frischer werdende Luft auf dem Weg zu den Koalas nichts. Allerdings dämmerte ihm, dass Mokuba keineswegs geordnet durch den Tierpark lief, als sie zum dritten Mal an den Flamingos vorbeikamen. Er schaute sich an Weggabelungen einfach kurz die Schilder an und entschied sich dann für das, was ihm interessant erschien. Und natürlich mussten sie auch die zweite Fütterung der Seehunde mitansehen. Dieses Mal war die Traube von Menschen bereits deutlich angewachsen und nur noch dank ihrer Körpergröße konnten sie etwas sehen. Von einigen Müttern wurden sie mit neugierigen Blicken bedacht, die Erstaunen wichen, als Mokuba forderte: „Ich will jetzt ins Reptilienhaus, großer Bruder!“

Seto hatte bis dahin noch nicht einmal mitbekommen, dass es ein solches gab und vertraute einfach darauf, dass sein kleiner Bruder, der den Wegplan längst in seinen kleinen Rucksack zu ihren Lunchboxen gepackt hatte, schon wissen würde, wo sie lang mussten. Seltsamerweise kamen sie nicht an den Flamingos vorbei und standen relativ schnell vor dem Eingang. Drinnen empfing sie eine stickige, fast vollständig mit Wasser gesättigte Luft, die wohl den tropischen Pflanzen zwischen und teilweise auch in den Terrarien Tribut zollte. Zu Setos Missfallen sahen sie zuerst eine Reihe von Baumfröschen und leeren Behältern, in denen kleine Schilder die Besucher darauf hinwiesen, dass diese zur Zeit umgestalten wurden. Die Schlangen interessierten beide Brüder nicht besonders, auch wenn Mokuba fasziniert vor einem Bronzeabguss stehen blieb, der zwei in einander verbissene Schlangen zeigte. Doch als er die nachfolgenden Echsenarten sah, war es um ihn geschehen.

„Sehen die nicht aus wie kleine Drachen?“, fragte er, während seine Nasenspitze fast die Scheibe berührte. „Und die Zeichnungen auf den Schildern sehen fast wie Duel Monsters aus!“

Eine ältere Dame schüttelte im Vorbeigehen missbilligend den Kopf, schwieg aber, als sie in den Wirkungskreis von Setos eiskaltem Blick geriet. Sobald sie sich etwas entfernt hatte, wandte er sich gelangweilt dem nächsten Kasten zu. Irgendeine Chamäleonart, die sich aber bei Weitem nicht so gut an die Umgebung anpassen konnte, wie es ihr Ruf vermuten ließ. Zumindest saß da in den Zweigen auf seiner Augenhöhe ein kleines Tier, dass mit seiner weißen Färbung erstaunlich schlecht getarnt war.

„Oh, sie mal. Das häutet sich gerade“, sagte Mokuba neben ihm begeistert. Es tat bitte was? Bisher hatte Seto geglaubt, nur Schlangen müssten sich häuten. Jetzt sah er noch genauer hin. Und tatsächlich war das hintere, von ihm abgewandte Bein gesprenkelt mit Grün und Brauntönen, weshalb er es zuerst nicht bemerkt hatte. Die restliche Haut durchzogen feine Risse, die manchmal aufklaften und wieder etwas von den grünen Schattierungen preisgaben. Es war schon irgendwie faszinierend.

„Ich geh schon etwas vor.“

Er nickte bloß und konnte seinen Blick nicht abwenden. Eigentlich hielt dieses kleine Tier seine gesamte Umwelt zum Narren. Im normalen Zustand konnte es sich hervorragend verstecken und selbst so, verbarg es sein wahres Wesen unter diesen Hautfetzen. Unwillkürlich musste er bei der Farbe an einen ganz bestimmten Drachen denken. Welche Farbe wohl zum Vorschein käme, wenn er sich häuten würde? Die alte Haut einfach abstreifte. Eine Weile stand er so in Gedanken versunken da, bis Mokuba zurückkehrte und ihn außerhalb des Gebäudes zu einer kleinen Bude zog, die Eis verkaufte.

Glücklich schleckte er an seinem Schokoladeneis und führte Seto zurück zu einer Stelle, an der unter großen alten Bäumen Bänke mit Tischen standen. „Ich würde jetzt gern essen und mir danach noch die Schmetterlinge ansehen“, sprach er seine Idee aus und wartete auf den Kommentar, er habe doch gerade eben erst ein Eis gehabt. Dieser blieb aus und wurde zu einem „du hast die Kois vergessen“ ersetzt. Hatte er zu seinem Entsetzen wirklich.

„Gut, dann jetzt Essen, dann die Schmetterlinge und Kois und anschließend fahren wir zu unserem nächsten Programmpunkt“, bestimmte er die weitere Planung, während er bereits den Deckel seiner Lunchbox öffnete die ihre Haushälterin mit allerlei Leckereien bestückt hatte.
 

Es war bereits früher Nachmittag, als sie bei ihrem zweiten Ziel für diesen besonderen Tag ankamen und Seto hegte Gewisse Zweifel, dass sie richtig waren. Mokuba beteuerte zwar das Gegenteil beim Aussteigen und schritt auf das grün gestrichene Tor der Lagerhalle zu, doch sah das alles für Seto keineswegs nach einem Seilgarten aus.

„Wo bleibst du denn?“, rief Mokuba über den halben Parkplatz und winkte ihm, sich zu beeilen, bevor er durch das Tor verschwand. Seto verdrehte leicht die Augen. In wie vielen seiner Albträume war diese Szene schon vorgekommen? Mokuba lief einfach voraus in ein unbekanntes Gebäude, in dem schon die Kidnapper lauerten und er fand nur noch den Brief der Erpresser. An Mokubas Geburtstag würde er nie so etwas zulassen und so blieb im wohl oder übel keine Wahl und er musste ihm schnellstmöglich folgen.

Drinnen empfing ihn mehr Lärm als er erwartet hatte und ein Farbenrausch, der im ersten Moment in seinen Augen wehtat.

„Da ist er ja endlich! Also jetzt richtig“, meinte Mokuba zu einer Dame hinter einer großen Theke. „Ein Student, ein Erwachsener und – Seto, hast du Socken an, die was aushalten?“

„Wie bitte?“

„Zweimal Rutschsocken.“

Die Dame nannte einen Preis und Seto bekam gerade noch so mit, dass Mokuba seinen eigenen Geldbeutel zücken wollte. Rasch ging er dazwischen und bezahlte, wie er es auch schon im Tierpark gemacht hatte. Jetzt zierten die Rückbank zwei Koala-Plüschtiere, wobei er keine Antwort bekommen hatte, weswegen es unbedingt zwei identische sein mussten. Jetzt nahm er ähnlich verwundert ein Papierarmband mit schmalem Klebestreifen und ein Paar dunkelblaue Socken entgegen. Wenigstens hatte die Frau Verstand genug, ihm nicht das zartrosane Paar zu reichen, das sich im selben Fach befunden hatte. Mokubas waren grün.

„Die Schließfächer für die Schuhe sind um die Ecke rechts. Ich wünsche Ihnen viel Spaß.“

Seto nickte nur und wurde dann von Mokuba in besagte Richtung gezogen, wobei er versuchte, endlich zu verstehen was Sache war. „Das sieht nicht nach einem Seilgarten aus, Mokuba.“

„Ist es auch nicht.“

„Wieso hast du dann heute Morgen von 'Seilgarten' gesprochen?“

„Weil 'Spielplatz für Erwachsene' dich wohl kaum überzeugt hätte, oder?“

„Bitte was?!“, rutschte Setos Stimme in der Lautstärke nach oben, aber bei all dem Lärm um sie herum fiel das nicht weiter auf. Vorsichtig sah er sich genauer um. Das erste, was ihm ins Auge fiel, war das Schild, das er so bestimmt schon auf einigen Spielplätzen gesehen hatte, nur dass dort bei der Altersangabe ein klares „über 16“ stand. Dann waren hinter dem großen Netz, das den Eingangsbereich von der Haupthalle abtrennte einige Konstruktionen zu sehen, die entfernt an Schaukeln, Rutschen und Klettergerüste erinnerten. Und tatsächlich sah er nirgendwo auch nur ein Kind – bis auf seinen Bruder, der sich beeilte seine Schuhe aus- und dafür die Socken anzuziehen und sie dann in ein noch leeres Schließfach packte. Der Anleitung auf der Tür folgend gab er einen kurzen Zahlencode ein und hüpfte dann aufgeregt vor Seto herum.

„Beeil dich, großer Bruder. Ich will da endlich rein!“

Wieso bekam Seto das dumpfe Gefühl, dass Mokuba schon seit einer ganzen Weile diese Spaßhalle besuchen wollte? „Geh schon mal vor und ich komm“

„Nö, ich warte auf dich – sonst drückst du dich nämlich davor. Also. Zieh endlich deine Schuhe aus und dann können wir gemeinsam rein.“

Ein weiterer Blick, verriet Seto, dass er chancenlos war. Außerdem war es immer noch Mokubas Geburtstag und er hatte versprochen, ihn den Tag planen zu lassen. Grummelnd kam er schließlich der Bitte nach und entschied sich schmunzelnd für das Geburtsdatum seines kleinen Bruders als Code. Dann drehte er sich zu ihm um und fragte unschuldig: „Und wo willst du jetzt als erstes hin?“

„Auf die Rutschen! Sie haben hier sieben verschiedene, mit verschiedenen Längen und Gefällen. Auf manchen brauchst du eine Rutschmatte, die meisten können aber so benutzt werden.“

Seto gratulierte sich still selbst dazu, eine etwas robustere Hose angezogen zu haben. Eine seiner Anzughosen machte diesen Wahnsinn bestimmt nicht so leicht mit.

„Du musst am Ende der Rutschen aufpassen, dass du auf den Füßen landest! Aber sie haben irgendwo auch eine Rutsche, die in einem Bällebad endet. Mit der will ich beginnen.“ Kurz sah Mokuba sich suchend um und steuerte dann auf sein Ziel zu, Seto ihm dicht auf den Fersen, um ihn in all dem Durcheinander nicht zu verlieren.

Nachdem sie alle Rutschen mehrmals ausprobiert hatten – Seto immer als Vorhut, erst bei der zweiten Runde gönnte sich Mokuba den Anblick wie sein Bruder eher ungelenk am Ende des Metalls oder Kunststoffs zum Stehen kommen wollte und sich dabei mehr als einmal auf den Hosenboden setzte. Dann veranstalteten sie ein Wettklettern auf einer Seilkonstruktion, das Seto die Defizite in seiner Kondition aufzeigte. Zum Trost schleppte ihn Mokuba weiter zu den Schaukeln und hatte bereits gut Schwung, während Seto sich noch gut zuredete es wäre nur Physik und er habe es als Kind doch gekonnt. Mit immer wieder kurzen Blicken hinüber zu dem sich stark bewegenden schwarzen Haarsträhnen ahmte er schließlich dessen Bewegungen nach und erzielte einen kleinen ersten Erfolg. Beinahe hatte er die Höhe seines Bruders erreicht, als dieser plötzlich mit den Füßen abbremste und nicht einmal wartete, bis die Schaukel wieder ruhig hing, um von ihr herunter zu springen und hinüber zu einem der Klettergerüste zu laufen. Dort wurde er von einem lächelnden Mädchen empfangen, das ihn nach einer Umarmung sanft zu küssen schien. Aber auch sie konnte sich nicht Mokubas Klammergriff und ziehenden Überzeugung erwehren und stand so bei den Schaukeln, während Seto sich ausschwingen ließ.

„Seto, darf ich dir vorstellen. Das ist Midori“, erklärte Mokuba, dabei leicht rot um die Nasenspitze werdend. „Ich hab dir doch von ihr erzählt. Du erinnerst dich?“

Tat er das tatsächlich? Sie sprachen so selten über ihr Liebesleben, dass er sich sicher gewesen war, er würde sich daran erinnern, hätte Mokuba etwas derartiges erwähnt. Wann hatte er überhaupt einmal von Frauen gesprochen? Konnte das die fast ständige Samstagabendsverabredung sein, die er bis jetzt immer nur grob umschrieben hatte? Ein Versuch war es wert.

„Guten Tag, Midori“, er hielt ihr die Hand hin und war verblüfft über den zarten und gleichzeitig bestimmten Händedruck. „Du bist also die junge Dame, die meinen kleinen Bruder dazu bringt, sich Tanzfilme anzusehen.“

„Das hat er erzählt?“ Durch ihre helle Haut sah man sofort, wie sie errötete. Schüchtern sah sie zu Boden, wodurch ein paar ihrer langen Haarsträhnen nach vorn fielen.

„Ja und noch ein bisschen mehr“, flunkerte Seto. Er wollte nicht zu nett zu ihr sein, bevor er sicher wusste, welche Absichten sie hegte. Dann war es wenigstens leichter sie wieder los zu werden. Oder auch für den Fall, dass das mit ihr und seinem Bruder nicht lange hielt. Denn so wie sie vor ihm stand war sie einfach nur liebenswert. Zwar schien es schwer vorstellbar, dass sie Mokuba notfalls in seine Schranken verweisen konnte, aber die Situation konnte auch durch ihr Kennenlernen verfälscht sein.

„Dann will ich gar nicht mehr lange stören“, fand sie schnell sprechend den Faden wieder. „Schließlich gehört dieser Tag euch beiden und da will ich nicht … Wie dem auch sei. Mokuba, das hier ist für dich.“ Sie hielt ihm eine kleine Schachtel hin. „Den großen Geburtstagskuchen kriegst du ja erst am Wochenende zur Feier und da dachte ich mir, du würdest dich trotzdem über was Kleineres freuen.“

Mokuba hob den Deckel ab und grinste. Ein tadelloser Cupcake mit einer 23 und einer kleinen Kerze.

„Happy Birthday.“

Seto und Midori blieb keine Zeit zu protestieren. Mokuba drückte Seto einfach die Schachtel in die Hand und überfiel dann seine Freundin mit Küssen, der die Situation zum Teil peinlich zu sein schien – zumindest wenn Seto ihren Gesichtsausdruck richtig deutete, als er endlich die Schachtel wieder los wurde. Sicher war er sich dabei nicht ganz. Frauen waren einfach seltsame Wesen.

„Mokuba, was machst du da?“, fragte sie da plötzlich streng.

„Meinen Cupcake essen.“

„Hier drin herrscht Essverbot“, wies sie ihn wenig diskret auf das Regelwerk des Spielplatzes hin.

„Und wieso hast du mir dann so was Leckeres mitgebracht?“, schmollte Mokuba.

Unwillkürlich rutschten Setos Gedanken ab. Er stellte sich diese Szene mit Chef vor, wie er über ein Weinglas hinweg erwiderte: „Damit du erkennst, dass ich deutlich besser schmecke.“ Er sollte definitiv lernen, seine Fantasie besser zu zügeln. Schnell wechselte er das Thema: „Wir können ja kurz raus gehen zu den Schließfächern – da war das Essen doch erlaubt, oder?“

Midori nickte. Auf dem Weg dorthin versuchte er sich weiterhin im Smalltalk: „Warst du schon einmal bei uns?“

„Nein, noch nicht. Samstag wird eine Premiere für mich und ich freu mich schon drauf. Mokuba hat mir schon so viel davon vorgeschwärmt wie wundervoll Euer Garten im Sommer ist.“

„Du magst Gärten?“

Sie nickte.

„Dann könnt ihr euch ja abends raus setzen und den Tag ausklingen lassen, solange es noch warm ist.“ Lud er sie gerade wirklich zu häufigeren Aufenthalten in der Villa ein? Was war nur aus ihm geworden? „Allerdings muss ich eine Einschränkung aussprechen. Wir sind ab dem 23. in Urlaub für zwei Wochen.“

„Wir sind...? Das ist das erste, was ich höre!“ Vor Schreck wäre Mokuba beinahe seine kostbare Fracht heruntergefallen.
 

Seufzend ließ sich Seto mit seinem Teller in der Hand in die Kissen des Sofas zurückfallen, nachdem er den Film gestartet hatte. Auf der anderen Seite des Sofas saß Midori, Mokuba hatte zwischen ihnen Platz genommen und war unschlüssig zu wem er näher hin rutschten sollte, nicht dass sich einer der beiden noch vernachlässigt fühlte. Eigentlich hatte Midori gar nicht mitkommen wollen, doch nach einer vergeblichen halben Stunde, in der Mokuba versucht hatte mehr über den Urlaub herauszufinden und Seto hart geblieben war, hatte sie es für keine gute Idee gehalten, ihm diese Bitte abzuschlagen. Allerdings würde sie nur für den ersten Film bleiben und anschließend nach Hause gehen. Für ihren Ferienjob musste sie früh aufstehen und die fehlenden Stunden von diesem Tag musste sie auch noch aufarbeiten. Doch daran wollte sie im Moment nicht denken. Verstohlen beobachtete sie die Brüder, die so ungleich gleich auf dem Sofa saßen und ihre Pizza aßen. Seto beherrscht und kühl, ihr Mokuba etwas bequemer und deutlich größere Bissen nehmend. Trotzdem hatten beide denselben Gesichtsausdruck, während im Film die Leiche gefunden wurde und man nach dem berühmten Detektiv rief, der natürlich rein zufällig zur Stelle war. Beide verdrehten sie auf ihre Art die Augen. Sie musste schmunzeln. Sobald Mokuba sich sicher war, dass er ihr vertrauen konnte, drehte sich ungefähr die Hälfte seiner Sätze um seinen großen Bruder, darum wie er ihn aufgezogen hatte, immer für ihn da war und wie sehr er ihn bewunderte und sich zum Vorbild nahm, selbst wenn er natürlich zwischenmenschlich die Nase vorn hatte. Und sie hatte einfach nur gelauscht und mit ihm gelacht, wenn er Anekdoten erzählte. Manchmal erzählte sie ihm dann, was ihre kleine Schwester angestellt hatte.

Der Film endete, ohne dass sie ihn groß wahrgenommen hätte, dann stand sie auf und bedankte sich förmlich bei Seto, den sie weiterhin lieber mit „Herr Kaiba“ ansprach, für das Essen. Mokuba bestand darauf, sie selbst zur Tür zu bringen, brachte sie dann aber sogar bis zum Tor und zeigte ihr auf dem Weg dorthin noch ein paar interessante Pflanzen in der Begrünung der Auffahrt. Schließlich beugte er sich zu ihr runter und flüsterte ihr ins Ohr: „Weißt du, dass du die beste Freundin bist, die man sich wünschen kann?“

Statt zu antworten küsste sie ihn und schickte ihn dann lächelnd zurück ins Haus.


Nachwort zu diesem Kapitel:
So, das war jetzt also der erste Geburtstag dieses Teils. Bei der Erstellung dieses Konzepts hatte ich nicht wirklich einen Plan, was darin geschehen sollte. Es ging von Mokuba, wie er mit Seto Vokabeln paukt über Seto, wie er zur Beruhigung seiner Nerven strickt über eine ganze Menge anderer Möglichkeiten. Dass es schließlich doch Mokis Geburtstag wurde, liegt vor allem an ein paar Figurenrecherchen, die ich gemacht habe.

Sonstiges:
- der Tierpark ist inspiriert von Nürnberg und Duisburg, lässt allerdings die Delfine raus, da ich gedanklich dann wieder zum Heidelberger Zoo abgeschweift bin
- die Chamäleon-Szene: googelt einfach mal nach Bildern; ansonsten "True Colors"
- leider weiß ich nicht, ob es so einen Erwachsenenspielplatz tatsächlich gibt - aber cool fände ich es. Falls ihr einen kennt, meldet euch bitte bei mir! Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Onlyknow3
2016-04-18T08:45:50+00:00 18.04.2016 10:45
Hab es endlich geschafft nach dem ganzen Stress der letzten Wochen das Kapitel hier zu lesen.
Es hat mich ehrlich überrascht wie wandelbar Seto doch eigendlich ist, und sein kann.
Warum benimmt er sich dann aber Joey gegenüber wie so ein Ar.... , das hat der doch wirklich icht verdient.
Auch Midori behandelt er neutral. Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Antwort von:  flower_in_sunlight
20.04.2016 22:00
Naja, Seto hat eben erst in den letzten Monaten einiges dazu gelernt. - Keine Angst, Joey kommt noch in den Genuss davon.
Von:  Kemet
2016-03-21T02:06:28+00:00 21.03.2016 03:06
Da muss ich doch tatsächlich schmunzeln. ein wirklich schönes Kapitel, mit welchen Du revidiert hast, was ich einstmals in einem Kommentar geschrieben hatte. Sie so zu sehen erfreut mich zutiefst und hat mir so einige Male ein Grinsen abverlangt. Die chaotische, aber wunderbare Realität, der Alltag und ein Geburtstag mittendrin.

Sehr gut gefallen hat mir auch Midori, eine Person, die erst am Klischee (sanft, schüchtern und freundlich) nagt, und dann ihren eigenen Weg, mit welchem sie Mökuba im Zaum hält, beschreitet. Wirklich süss, doch auf ihre eigene Art.

Kaiba hat gestrickt. Gut, ist nichts gegen einzuwenden, vor allem nicht bei Charakteren wie der Firmenchef einer ist. Stricken kann auch da die Kreativität ausloten und zu einem erholsamen Punkt avancieren.
Kaiba hat das Rührei mit Lachs gemacht und, wenn ich schätzen müsste, auch für den gesamten Rest des Frühstückes gesorgt. Schön... Deswegen bekomme ich jetzt, mitten in der Nacht, Hunger. ;)

Nichts zu meckern. Diesesmal nicht. Ob Du enttäuscht bist? Ich hoffe nicht, aber auch der grösste Kritiker braucht einmal einen freundlichen Tag, zumal mein Kater heute Geburtstag hat...

LG
Antwort von:  flower_in_sunlight
22.03.2016 21:27
Geht es dir gut? Soll ich den Arzt rufen? - Nein, Spaß beiseite, ich freue mich, dass das Kapitel dir so gut gefällt (gibt deinem Kater ein Extra-Leckerli in meinem Namen).

Nun zuerst zu Midori: Ich habe lange überlegt, ob sie überhaupt auftauchen soll, vor allem, weil sie eher dem klassischen (veralteten) Frauenbild auf den ersten Blick entspricht - ich konnte mir Mokuba einfach nicht an der Seite von jemandem wie Tea, Mai oder Martine vorstellen (mal abgesehen vom Altersunterschied). Aber gerade weil sie ist, wie sie ist, musste sie dann doch rein.

Kaibas Geschenke: Ich liebe stricken und es ist momentan das, was mich am meisten vom Schreiben abhält, weil es nach der Arbeit einfach entspannender ist, als wieder wie verrückt auf die Tasten hauend vor dem Rechner zu sitzen. Kaiba wiederum lernt es ... ne, dass kommt später. Dafür entschuldige ich mich in aller Form für deine Hungerattacke. (Wieso liest du auch immer so spät?)

Ich mach mich dann mal ans nächste Kapitel
LG
Flower


Zurück