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Inaba

von

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Unbearable Fangirl

Um mich herum drehte sich alles. Es fühlte sich an wie ein extrem schwerer Fall von Schwindel – das hatte ich zwar auch schon mal, aber nie in dieser Intensität. War ich vielleicht vor dem Fernseher eingeschlafen?

Ein schmerzhafter Aufprall allerdings brachte mich von diesem Gedanken schnell wieder ab. Ich hatte das große Glück, nicht mit dem Gesicht zu landen, aber mit den Knien war auch nicht unbedingt besser.

Für einen Moment blieb ich komplett regungslos liegen, aber schnell beschlich mich das Gefühl, dass das nicht die beste Entscheidung war – der Boden war kalt und hart, so ein bisschen wie der sterile und abgenutzte Boden von Turnhallen. Ich richtete mich langsam auf, als mir so langsam wieder in den Sinn kam, was passiert sein könnte – war ich wirklich in der Fernsehwelt gelandet?

Langsam sah ich mich um, während ich die Arme dicht an meinem Körper hielt. Allerdings war im Moment nur Nebel zu sehen.

Nebel...

So langsam bekam ich ein bisschen Kopfschmerzen, ehe mir schlagartig wieder einfiel, was der Nebel zu bedeuten hatte. Wenn sich der Regen in der echten Welt lichtet, lichtet sich der Nebel hier und gibt allen Monstern den Blick auf jedes traurige Opfer frei, das sich hierhin verirrte. Oder besser, von einer gewissen Person hier reingeworfen wurde. Ich schüttelte den Kopf. Das alles war jetzt egal. Ich musste hier erstmal raus.
 

Um mich herum war weit und breit nur Nebel zu erkennen. Keine Wände halfen mir bei der Orientierung, keine Wege am Boden stellten sicher, dass ich gerade und in die gleiche Richtung weiterlief. Aber ich durfte mich jetzt nicht in meinen Gedanken verlieren. Ich musste einfach nur weiterlaufen. Vorankommen. Irgendeinen Orientierungspunkt würde ich bestimmt finden. Oder vielleicht war das ja alles nur ein Traum, dann würde ich eh irgendwann aufwachen. Allerdings fühlte es sich nicht so an...
 

Nur wenige Schritte später blieb mir das erste Mal mein Herz fast stehen – ich blickte direkt von dem Gipfel eines spitzen Hügels herab. Gerade noch so konnte ich mich beruhigen, ehe ich meine Balance verlieren und von diesem Gipfel stürzen konnte. Meine Knie fühlten sich so weich an, als hätten sich die Knochen darin gerade verflüssigt.

Ich hätte hier herunterfallen können. Das hätte sicher enorm weh getan. Vielleicht hätte ich mich auch am Fuß verletzt, und danach nicht mehr laufen können. Gerade so bin ich dem entgangen.
 

Langsam richtete ich mich wieder auf, um diese Gedanken abzuschütteln – ehe ich feststellte, dass ich ganz und gar nicht mehr auf einer Hügelspitze war. Der Nebel machte es immer noch nicht leichter, Dinge zu sehen, aber ich konnte immerhin meine Umgebung ein wenig erfassen.

Tatsächlich befand ich mich gerade in einer Art Gang, mit fast schon sterilen und ausgesprochen langweilig aussehenden cremefarbenen Wänden, an denen vereinzelt alte Kaugummis geklebt waren. Es gab sogar Fenster, auch wenn es unmöglich war, aus diesen rauszublicken, da sie von außen mit Vorhängen bedeckt waren. Aber wenigstens boten sie mir eine leichte Orientierung – bis ich schließlich an eine Treppe kam. Das machte doch Sinn, oder? Wenn ich irgendwo heruntergestürzt bin, dann würde mich eine Treppe doch wieder nach oben führen. Allerdings merkte ich gleich beim ersten Schritt darauf, dass die Treppe unfassbar rutschig war. Ein Schild an der Seite verriet das auch: "Gefährliche Treppe – vorsicht vor Fußverletzungen!"

Aber egal, wie gefährlich diese Treppe angeblich war – wenn ich sie nicht erklomm, dann würde sich der Nebel lichten. Es war ironisch. Je dichter der Nebel um mich herum schien, desto leichter schien es mir, meine Gedanken einigermaßen klar zu halten. Mit langsamen Schritten würde ich die Treppe schon meistern, auch wenn es kein Gelände zum Festhalten an der Seite gab.

Links, rechts, links, rechts – Stufe für Stufe. Eigentlich würde ich so eine Treppe mit ihren vielleicht 30 Stufen sofort hochspringen, aber in diesem Fall brauchte ich fast 10 Minuten.

Aber die Sicherheit war wichtig.

Wenn ich mich jetzt verletzte, war vielleicht alles vorbei.
 

Am Ende der Treppen angekommen erstreckte sich vor mir ein genauso langer Gang – schlimmer allerdings, denn dieser bot diverse Verwinklungen und Abzweigungen, um sich darin zu verlaufen. Es gab so viele mögliche Wege. Die Poster an den Wänden halfen mir auch nicht weiter bei der Orientierung – "Abschlussball beginnt bald!" "Hast du dir schon überlegt, wie es weitergehen soll?" "Ein gutes Auftreten, ein guter Job, ein gutes Leben – für mehr Infos Raum K 108".

War das hier eine Oberstufe? Es sah jedenfalls nicht aus wie die Highschool von Inaba, aber auch nicht im Ansatz wie eine andere der Schulen, die ich je besucht hatte.

Langsam blieb ich stehen und sah mich um. Ein bisschen überwältigend waren die vielen Gänge ja schon – damn, warum konnte nicht eines dieser Poster wenigstens einen versteckten Hinweis enthalten? Oder einen Pfeil oder sowas? Woher sollte ich wissen, wie ich hier rauskommen könnte?

...

Okay... ganz ruhig. Wer sagt denn, dass es nur einen Weg zum nächsten Stockwerk gibt. Außerdem konnte ich mich gut an das Layout der Dungeons der anderen erinnern – da gab es zwar Verwinklungen, aber es war immer genug Zeit, den richtigen Weg zu finden, solange man nicht stehen blieb und sich von Shadows fangen l- AAAAH!

Shadows! Es war mir gar nicht aufgefallen, aber aus den dunklen Gängen funkelten mir unschätzbar viele glühende Augenpaare entgegen. War es schon so spät!?

...

Aber nein, noch war es hier neblig. Und... war ich... vielleicht...

es traf mich ganz plötzlich, wie ein Blitz.

Bin ich vielleicht in meinem eigenen Herzen? Zwar ruhten die Augen der Shadows auf mir, und so sehr das meine Nerven annagte – noch hatte mich keiner von ihnen anzugreifen versucht. Ich schluckte im Angesicht der Gefahr, aber ich musste es logisch angehen – sie könnten mich problemlos überwältigen, wenn sie es nur wollten. Dass sie das bisher nicht getan hatten, konnte nur bedeuten, dass sie es auch weiter nicht tun würden – zumindest fürs Erste. Ich konnte mir nicht unendlich viel Zeit lassen, aber ich konnte mich in ihre Nähe begeben.

Ich atmete noch einmal tief ein, ehe ich mich daran machte, den ersten Gang zu erkunden.
 

Die Gänge wirkten zwar auf den ersten Blick sehr unübersichtlich, und ich hatte an Erkunden ggedacht, allerdings war die Struktur relativ schnell nachzuvollziehen; Drei Abzweigungen, von denen nur zwei in eine Sackgasse mündeten. Und die waren an den verschiedenen Postern auch immer recht einfach zu identifizieren – die mit den Postern angedeuteten Gänge waren immer Sackgassen. Ich schaute zwar jedes Mal nach, um wirklich sicher zu gehen, aber ich hörte auf, mich nach Schaltern oder ähnlichen Hebeln umzusehen. Ich kam tatsächlich in so etwas wie einen Ryhthmus rein. Mein Knie hatte lange aufgehört zu schmerzen, und ich gewöhnte mich sogar langsam daran, dass ich beobachtet wurde. Gelegentlich zuckte ich zwar ein wenig zusammen, wenn ich wieder das Funkeln eines Shadow-Augenpaares nur aus dem Augenwinkel wahrnehmen konnte, aber ich hatte weitestgehend aufgehört, sie als Gefahr zu empfinden.
 

Im Laufe der nächsten halben Stunde fand ich noch zwei weitere "gefährliche Treppen, aber jede war leichter zu passieren als die davor, und noch dazu kürzer. Zwar sah ich nach und nach mehr Shadows, allerdings auch enger werdende Gänge. Das gab mir ein Gefühl von Fortschritt – ich näherte mich sicherlich dem Ende des Dungeons. Das machte ja fast Spaß! Vielleicht war es ja wirklich nur ein Traum. Und vielleicht würde ich ja jemanden treffen? Vielleicht wartete ja am Ende Yosuke auf mich, oder vielleicht Naoto, haha.
 

"Hey, was glaubst du eigentlich, wer du bist, hier so rumzuschleichen? Das ist kein Palast!"
 

Für einen Moment dachte ich, die Stimme käme von einem Bildschirm. Sie hörte sich verzerrt an, und nicht wie ein Mensch – was Sinn ergab, wenn ich, wie vermutet, in der Fernsehwelt gelandet war. Ich sah mich um, aber von meinem eigenen Spiegelbild mal abgesehen war da nichts weiter. Dafür stellte ich fest, dass ich wohl bis in die Tiefen des Dungeons vorgedrungen war – und das überraschend widerstandslos.
 

"Glaubst du, wenn du mich weiter ignorierst verschwinde ich einfach?"
 

Ich schaute mich weiter um, auch wenn sich keine weitere Treppe finden ließ. Aber gleichzeitig war ich sicher, dass ich den richtigen Weg genommen hatte. Diese Gewissheit war auf der einen Seite beruhigend, aber auf der anderen Seite bedeutete das, dass ich hier einen anderen Ausweg finden musste. Es musste also ein Rätsel sein... und ich durfte mich nicht überwältigen lassen. Das hier war die Fernsehwelt. Ganz bestimmt. Jetzt war ich mir sicher. Die Frage war nur...
 

"Ich bin immer noch da! Und an deiner Stelle würde ich nicht so viel Zeit verschwenden... schließlich weißt du, was passiert, wenn es in Inaba zu regnen aufhört. Mir wäre das ja egal, aber... ich bin schließlich du."
 

Dieser Satz war es. Dieser Satz, der mit einem Schlag einen ganzen Turm an Ideen zum Einsturz brachte, mir den Boden unter den Füßen wegriss und jede Illusion (und Hoffnung), dass das hier nur ein harmloser, leicht aufregender Traum war und mir mit metaphorischem Scheppern klar machte, wo ich hier war, und was passiert sein musste:
 

Ich war in meinem eigenen Dungeon. Die Stimme, die ich seit Tagen immer wieder wahrnehmen, aber nicht hören konnte, so als würde sie aus meinem Inneren kommen... das war mein Shadow. Das heißt... jetzt kam der Teil, an dem ich nur meinen Shadow konfrontieren und meine Schwächen akzeptieren müsste-
 

"Das ist genauso wie im Spiel, das ist ja einfach und total sicher. Und wenn es nicht klappt, dann versuchen wir es halt nochmal, nicht wahr? Du hast das alles raus?"
 

Ich starrte nur schräg an meinem Shadow vorbei, während ich ihm zuhörte – und gab dabei alles, was ich hatte, ruhig zu bleiben. Ich konnte das schaffen. Ich hatte schon ganz anderen Provokationen widerstanden, und das hier war nichts anderes.
 

"Du hast doch schon gemerkt, dass das hier was ganz anderes ist, oder? Die Shadows haben dich vielleicht nicht angegriffen, aber du hast gemerkt, wie sie die ganze Zeit da waren. Dich nicht aus den Augen gelassen haben. Niemand sagt, dass sie sich nicht nach einem einfachen Husten auf dich gestürzt hätten."
 

Atmen. Auf gar keinen Fall nachgeben... auch wenn mir natürlich vollkommen bewusst war, dass mein Shadow vollkommen recht hatte.
 

"Ha! Ich spüre doch, dass du genau weißt, was Sache ist."
 

Du darfst nicht nachgeben. Du machst das gut, Shouko. Egal was du machst, gib nicht nach.
 

"Du gehörst nicht hier her. Du bist ein gewöhnlicher Mensch, du hast keine Persona. Du kannst dich ja nicht mal selber verteidigen."
 

Meine zur Faust geballten Hand begann, zu zittern. Und auch wenn ich alles gab, konnte ich am herablassenden und zugleich genießerischen Gesichtsausdruck meines Shadows ganz genau erkennen, dass ich vor ihm nichts verbergen konnte. Er wusste, dass er mich dranbekam. Aber ich hatte es bis hier her auch geschafft. Ich konnte das.
 

Gib nicht auf! Du machst das sehr gut! Hier kannst du alles das zeigen, was du über die Jahre gelernt hast!
 

"Ah und wo wir schon beim Thema sind... du denkst wohl, wenn du eine Persona hättest, dann könntest du was ausrichten. Oder sogar die Geschichte verändern, was? Ha! Als ob du das überhaupt wolltest. Dir wäre doch eine Fahrt mit der Draisine am liebsten. Oder mit der Bummelbahn? Auf einer Schiene, gerade, minimale Gefahr und unterwegs springen auch noch deine Freunde aus dem Spiel mit rein. Ha, niedlich. Und widerlich. Ich weiß was du denkst, ich bin du. Vor mir kannst du nichts verbergen. Egal, wie sehr du es versuchen willst."
 

Ich holte tief Luft, aber langsam konnte ich mein Herz nicht mehr ruhig halten. Wut. Verzweiflung. Angst. Noch war alles okay, aber es war wie ein Donnergrollen, das von der Ankunft eines Gewitters berichtete.
 

Ich konnte die Emotionen, die wüten wollten am Horizont sehen. Und ich tat mein Bestes, mein kleines Häuschen zu schützen.
 

"Wenn ich nur eine Persona hätte, dann könnte ich den anderen helfen, sie im Kampf unterstützen. Und mit ihnen zusammen den Mörder finden.", imitierte er meine Stimme auf eine wirklich nervige und spöttische Art.

"Ha. Du findest ja nicht mal dein Herz, weil du zu beschäftigt bist, es zu verstecken. Träum weiter. Wie willst du die Wahrheit über diesen Fall finden, wenn du nicht mal deine eigene Wahrheit findest? Geschweige denn es überhaupt versuchst?"
 

Ich weiß, es war nicht das Richtige. Ich weiß, ich würde mich damit nur tiefer in die Probleme reiten. Aber ich hielt es langsam nicht mehr aus.
 

"Was weißt du schon", versuchte ich, mit meinem Shadow zu argumentieren, "Du bist nur meine Angst und alle meine negativen Emotionen in eins gerollt. Ich weiß, dass du immer da bist. Aber du hast lange nicht immer Recht. Schließlich hab ich schon einiges geschafft-"
 

"Süß, wie du versuchst, mit dem Teil von dir zu argumentieren, den du immer in den dunklen Schrank einsperrst. Aber es wird dir nichts bringen. Unsere Gefühle sind dir gleich – genauso wie die Gefühle von allen anderen, mal so am Rande."
 

Ich konnte das Donnergrollen hören.
 

Gib nicht auf! Du hast es fast geschafft! Du weißt, dass du Recht hast!
 

"Du bist doch nichts weiter als ein Fangirl. Du bist aufgeregt, dass du deine allerbesten Lieblingsfreunde auf einmal in Echt treffen kannst. Du willst dich doch nur an sie dranhängen. Und das weißt du."
 

Ich schluckter. Aber ich hatte dem nicht wirklich was entgegenzusetzen. Aber... das war doch nicht alles, was an dieser Situation dran war!
 

"Du willst, dass sie dich mögen, dir bestätigen, dass ihr die besten Freunde wärt. Du willst dir einbilden, dass Yosuke dich mögen würde. Heh. Dir ist egal, wer von ihnen leiden muss. Ich meine, nehmen wir doch mal Ootori. Wir wissen beide, dass das auch nur ein kleiner Fanboy ist, der sich freut, mal mit einem Ausländer reden zu können. Der passt viel besser zu dir."
 

"Ootori... ist nett zu mir. Er zeigt mir Sympathie. Er... ist nicht immer der beste im Kommunizieren, aber hey, das bin ich auch nicht. Es ist okay, ihm zu sagen, wann er zu weit geht, aber-"
 

"Bullshit!", donnert mir mein Shadow entgegen, was meine Gedanken komplett durcheinander wirft.
 

"Du bist nett zu ihm, weil du als nett wahrgenommen werden willst. Dabei ist er so nervig!"
 

Stop.
 

"Er ist total langweilig. Er hat ne langweilige Frisur, langweilige Hobbies."
 

Hör auf, hör auf!
 

"Ich meine, er kommt ja nicht mal im Spiel vor. Er ist einfach nur ein anderer NPC ohne Gesicht."
 

"..hör auf damit", hörte ich mich sagen.
 

"Unwichtige Leute werden alles sein, was dir hier bleibt."
 

Mein gottverdammter Shadow liebte es wirklich, mich zu quälen. Es war sinnlos. Ich konnte meine Zweifel nicht verstecken, aber... ich weiß... er muss doch auch wissen, dass die ganze Situation kein Schwarz-und-Weiß-Ding ist. Nein. Das wusste er auf jeden Fall. Das ließ nur einen Schluss zu.
 

"Unwichtig!", schrie mein Shadow.
 

Gib nicht auf! Du hast so lange durchgehalten! Du hast es fast geschafft! Gib deinem Shadow nicht nach!
 

"Aber das passt doch, seine Präsenz in dieser Welt wird genauso bedeutungslos sein wie deine."
 

"H-Hör endlich auf!", schrie ich meinem Shadow jetzt entgegen. Das stimmte doch gar nicht! Vielleicht... hatte ich mich ja getäuscht. Vielleicht war das nicht mein Shadow. Denn sowas... habe ich doch nie gedacht.
 

"Hmm? Willst du damit etwa behaupten, wir würden das nicht fühlen?"
 

"Hör auf... mit dem wir. Ich kann das Gelaber nicht mehr hören."
 

Tu es nicht!
 

Aber ich konnte es nicht mehr aufhalten.
 

"Ich bin ich, du bist du! Du bist nur ein bösartiges, dunkles Etwas, das mich zur Weißglut bringen will!"
 

Ich holte tief Luft.
 

"Du bist nicht ICH!"
 

In diesem Moment war es, als verpuffte meine ganze angestaute Wut augenblicklich, und ich realisierte, was ich getan hatte. In dem Moment, wie ich es am liebsten wieder zurücknehmen wollte, war es zu spät.
 

Augenblicklich, als hätte er nur darauf gewartet, strömten dunkle Wolken, wie Gewitter aus den Armen meines Shadows, und schlossen ihn tief in sich ein. Erst streckte ich intuitiv meinen Arm aus, so als wollte ich ihn aus den Wolken ziehen, konnte dann aber gerade noch rechtzeitig zurückspringen, unmittelbar bevor ein Blitz vor mir am Boden einschlug. Ich sah mich kurzerhand um, und hoffte irgendetwas finden zu könne, was ich vielleicht als Waffe würde verwenden können, aber leider gab es nicht mal einen Stuhl.
 

Ich versuchte, unter dem Donnergrollen nach der Stimme zu hören, die vorhin noch da war, aber die hatte mich wohl auch verlassen.
 

Aber wie das so war, wenn die Angst zu schlimm wurde – mein Kopf wurde von Sekunde zu Sekunde klarer. Es war, als ob mein Shadow die Gewitterwolken direkt von mir genommen hätte.

Ich bewegte mich langsam rückwärts, und ließ den Wolkenturm nicht einen Moment aus dem Blick. Es ging ums Überleben. Und wenn es wirklich, wirklich darauf ankam – dann konnte ich handeln.
 

"ES IST ZU NICHTS NUTZE GEWESEN."
 

Langsam wichen die Wolken von dem Körper der sich neu formenden Gestalt, und begannen stattdessen, sich dort zu sammeln, wo sich ansonsten die Decke befinden würde.
 

Das Erste, was ich sehen konnte, war das grimmige Gesicht eines Tigers, auf dessen Kopf eine Krone thronte. Lange, säbelartige Fangzähne die mindestens so lang wie mein kompletter Arm waren ließen mir zwar einen Schauer den Rücken runterlaufen, aber an dem Punkt wäre ein echter Tiger bestimmt gefährlicher. Denn der würde sich nicht von einer Persona beeindrucken lassen.
 

Die Wolken wichen weiter, während ich mich langsam rückwärts bewegte, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Langsam trat der Tiger aus den Wolken hervor. Mit ihm schlich ein schweres Gewand, wie das eines Gelehrten mit sich, aber darin gehüllt befand sich entgegen meiner ersten Annahme kein Körper, sondern blanke Dunkelheit. Von seinen Armen baumelten Ketten mit Knochen, menschlichen und tierischen. Seine Pranken waren durch die langen Ärmel des Gewandes nicht gut zu erkennen, dafür aber die langen Krallen, die sich nicht darin verstecken konnten. Und da die Krone auf seinem Haupt im Licht golden schimmerte, fiel mir auch diese auf – beziehungsweise das Blut an deren vielen, vielen Zacken.
 

"WIR HABEN ES IM GUTEN VERSUCHT!", dröhnte die mächtige Stimme des Shadows, "ABER ES GIBT KEINE HOFFNUNG. KEIN LICHT. UND WENN ES KEIN LICHT MEHR GIBT, GIBT ES AUCH KEIN NEUES LEBEN UND KEINE NEUEN CHANCEN. DANN BRINGEN WIR ES HIER UND JETZT ZUENDE!"
 

Gut. Gut. Auch im Angesicht der größten Herausforderung gibst du nicht auf.
 

Da war sie wieder, die warme Stimme von vorhin. Der Shadow richtete erneut seine Pranke auf mich, woraufhin Blitze aus den Gewitterwolken schossen, aber ich war weit genug weg.
 

"AKZEPTIERE DIE VERZWEIFLUNG", kündigte mein Shadow an, aber diesmal war ich bereit.
 

Ergreif sie... die Kraft, zurückzuschlagen, sie befindet sich direkt vor dir!
 

In diesem Moment war es, als würde die Zeit um mich herum stillstehen. Der gesamte Raum erschien so weit weg, als wäre er nur Teil eines Alptraums, aus dem ich gerade aufwachte, und vor mir schwebte eine Karte, wie ich sie schon so oft gesehen hatte. Gerade so erkannte ich auch das Zeichen darauf – den Narren.

Augenblicklich griff ich nach ihr, und zu meiner Überraschung schnappte ich die Karte nicht, sondern sie zersprang mit einem kühlen, erfrischenden Gefühl, und aus ihr strömte weiß-blaues Licht, das an die Wärme des Mondlichts in einer klaren Nacht erinnerte.
 

Sofort merkte ich eine Präsenz direkt hinter mir, aber spürte gleichzeitig, dass es eine verlässliche, schützende war. Das musste es sein. Das war meine... meine eigene Persona! Und so, als ob sie immer da gewiesen wäre – was sie gewissermaßen ja vielleicht auch war! - wusste ich sofort, wie ich sie rufen musste.
 

"Tsukuyomi!"
 

Es war, als würde der ganze Raum auf einmal nicht nur in Mond- sondern auch in Sternenlicht gehüllt. War das der Narr? Oder doch die Mond-Arcana?

In jedem Fall erlaubte es mir, endlich zu kämpfen.
 

"TSK, DU DENKST DOCH NICHT, DU WÄRST ALS EINZIGES MIT UNTERSTÜTZUNG!"
 

Und als ob sie die ganze Zeit in seinem Gewand gewartet hätten, strömten vier Shadows hervor, allerdings keine zu bedrohlichen angesichts meiner riesigen Persona – lediglich zwei kleine Pixies sowie zwei Jack Frosts, die mit einem "hee-hoo!" sehr überzeugt von sich schienen.

Noch kam mir nicht von alleine, welche Magie Tsukuyomi vielleicht beherrschen würde, aber bei diesen Kerlchen war das ja vielleicht gar nicht notwendig. Und als ob er meine Gedanken lesen konnte, bewegte sich Tsukuyomi wie von alleine und beorderte eine Art Strahl aus purem Licht, der bereits einen Jack Frost sowie eine Pixie regelrecht pulverisierte.
 

"B-Bilde dir bloß nichts ein!", krisch die andere Pixie und schoss durch die Luft wie eine kleine Mücke, aber mit der Persona an meiner Seite fühlte ich keine Bedrohung. Zwar konnte ich nicht so schnell reagieren, wie ich mir das gewünscht hätte und wie ich gerne behauptet hätte, dass ich es konnte, aber auch die leicht verspätete Abwehrreaktion mit meinem Arm – die überraschend weh tat – stieß das kleine Monster zu Boden. Tsukuyomi war aber schneller wieder bei der Sache wie ich, und erledigte mit einem weiteren Lichtstrahl beide.
 

Mein Shadow stieß ein weiteres lautes Donnergrollen von sich, aber jetzt hatte ich kaum mehr Angst mehr davor. Er hörte sich weniger an wie ein Sturm am Nachmittag, sondern mehr wie ein laues Sommergewitter.
 

Mit Tsukuyomi an meiner Seite bestärkt – wenn auch immer noch leicht zitternd, das kann ich nicht abstreiten – trat ich meinem Shadow entgegen.
 

Und wie ich es mir fast dachte, hatte er aufgehört, mich anzugreifen. Er starrte mich nur ruhig an.
 

"Ich.... habe Angst. Ich bin in einer Situation, die für mich vollkommen neu und fremd ist. Und ich kann mit keinem meiner Freunde reden, um mich zu beruhigen oder um Rat zu fragen", sprach ich vor mich hin. Ich redete meinem Shadow zu, aber im Endeffekt war es mehr, als hätte ich etwas viel Wichtigeres verstanden.
 

"Und... klar, jeder hat mal davon geträumt, Teil eines Spiels zu sein, das er liebt. Und jeder hat sich vorgestellt, wie er sich mit diesen Leuten anfreundet. Aber... ich bin nicht im Spiel. Das ist hier und jetzt meine Realität. Und... natürlich ist es schwer, diese beiden Dinge auf einmal zu mischen. Natürlich ist es schwer, alle als normale Leute zu empfinden. Aber..."
 

Ich wich intuitiv ein Stückchen zurück, woraufhin mein Shadow seinen Blick wieder senkte, und mich dabei aber nicht aus den Augen ließ. Dabei stieß ich gegen Tsukuyomi, was mir dabei half meinen Mut wieder zu finden. Tsukuyomi ist bei mir. Ich war schon auf dem halben Weg zu dem Herz meines Shadows. Ich konnte seine bedrohlichen Klauen sehen, aber ich war so weit gekommen, ich war fast da. Also atmete ich einmal tief an, und wieder aus, ehe ich wieder zu ihm zurückfand.
 

"Aber alles, was ich tun kann, ist das Beste aus dem zu machen, was vor mir ist. Und darauf zu vertrauen, dass ich einen Weg schaffen oder finden werde. Ich... werde einen Weg finden, alle so kennenzulernen und zu akzeptieren wie sie sind. Und... und herausfinden, ob Ootori auch ein Freund werden könnte. Das hier ist für den Moment mein Leben... und alles andere hab ich bisher auch geschafft!"
 

Und als hätte er nur auf diese Worte gewartet, schloss mein Shadow seine Augen und begann zu leuchten. Funken lösten sich von ihm und schwebten zu Tsukuyomi – es war ein unglaublicher Anblick. Tsukuyomi im Gegenzug schien sich zu entspannen. Ich drehte mich zu ihm um, um ihn endlich mal genauer sehen zu können, aber genau in dem Moment verschwand er auch wieder.
 

"Tsukuyomi, warte!"
 

Vor meinen Augen erschien erneut die Karte, die ich vorhin berührt hatte, um die Kraft von Tsukuyomi das erste Mal freizusetzen... moment, das war doch nicht nur eine! Stattdessen wurden zwei Karten freigesetzt, und dieses Mal konnte ich sie auch ganz genau erkennen – es waren der Narr, wie ich vorhin richtig gesehen hatte, aber auch der Magician! Moment, aber das war doch auch Yosukes Arcana. Teilten wir uns die jetzt? Ich würde aber nicht seinen Platz in der Gruppe übernehmen, oder..? Aah, es brachte doch auch nichts darüber nachzudenken. Stattdessen sollte ich erstmal hier rauskommen, ehe es wirklich aufhörte zu regnen... ich schauderte, aber zu meiner Erleichterung merkte ich, dass sich der Spiegel, aus dem mein Shadow vorhin getreten war, in ein Portal verwandelt hatte, dass mir bestimmt helfen würde hier rauszukommen. Eine Welle von Erleichterung strömte über mich. Ich hatte es geschafft! Ich hatte meinen Shadow bezwungen!
 

Ich trat aus dem Portal, und erkannte zum Glück gleich, wo ich war – es war ein nur zu bekannter Schauplatz, und zwar der Eingang zur Fernsehwelt! Zwar sah ich niemanden hier – so ein bisschen hatte ich ja gehofft, ich würde hier jetzt auf Souji und die anderen treffen – aber ich war auch so glücklich, endlich mal wieder einen bekannten Ort zu sehen. Nur, äh... wie ging es denn jetzt weiter? Da war keine Tür, und auch der bekannte Fernsehstapel aus dem Spiel und dem Anime ließ sich nicht finden. Hmm... aber ich war nahe dran. Ich musste bloß ein bisschen genauer hinsehen. Ich war hier sicher schon so gut wie raus.
 

"Waaaaaaaaah!", hörte ich auf einmal eine laute, aber nicht verzerrt klingende helle Stimme neben mir. Schnell drehte ich mich um, ehe ich dessen Ursprung ausmachen konnte – es war Teddy!
 

"T-Teddy!", rief ich, ehe ich drüber nachdenken konnte, und fiel dem Bären-Maskottchen um den Hals. Ein Teil von mir wusste, dass das die Dinge vielleicht komplizierter machen würde, aber gleichzeitig war ich einfach erleichtert, den Dungeon bezwungen zu haben, endlich wieder einen vertrauten Ort und dann auch noch ein vertrautes Gesicht zu sehen. Ich hatte es geschafft. Und jetzt war tatsächlich jemand da, der mir helfen konnte.
 

"I-Ich fühle mich ja bär geschmeichelt", eröffnete er die Konversation gleich mit einem seiner berühmten Puns, "abär das ist nicht die Zeit!"

Er hielt aber kurz inne, als er wohl spürte, dass mir vor Erleichterung sogar ein paar Tränen übergelaufen sind.

"Teddy... ich bin so froh dich zu sehen...", sagte ich leise, und hoffte sofort, dass er mich nicht verstanden hatte.

"Ich kenne dich zwar nicht, aber ich glaube, ich mag dich!", beschloss er gleich.

"Oh! Abär uns bleibt keine Zeit! Du musst schnell wieder zurück! Ich habe vorhin schon gerochen, dass jemand hier rein gekommen ist, und ich habe versucht, dich zu finden. Und es sieht so aus, dass du es alleine geschafft hast – ein Glück! - abär länger kannst du nicht bleiben! Das ist viel zu gebährlich! Du musst schnell verschwinden!"
 

Teddy löste sich aus meiner Umarmung und schob mich liebevoll, aber bestimmt von sich, ehe er mit einem lauten "Kumaaa!" einen eher willkürlich wirkenden Haufen von Fernsehern erscheinen ließ.
 

"Wir sehen uns bärstimmt wieder, aber jetzt musst du erst mal hier raus! Ich kann dich nicht beschützen, wenn der Nebel verschwindet!"
 

Teddy nahm mich am Handgelenk und zog mich in die Richtung des Stapels, ehe er mich losließ, hinter mich lief und nun begann, mich zum Fernseher zu schieben.
 

"Schnell! Schnell! Such' dir einfach einen aus, du musst wieder zurück!"
 

Ein bisschen musste ich mich dazu zwingen, da ich gerne noch ein wenig mit Teddy geredet hätte, auch wenn er nie einer meiner Favoriten gewesen ist, aber ich wusste, dass er vollkommen Recht hatte. Es war wirklich gefährlich, hier zu bleiben. Und ich musste aufhören so zu denken...im Moment war es eher so, als wäre Teddy einer dieser Klassenkameraden, mit denen ich nie viel redete, die ich aber irgendwie mochte – und jetzt war ich nur froh, endlich ein vertrautes Gesicht zu sehen und jemanden zu finden, an dessen Seite ich mich wenigstens ein bisschen sicherer und weniger allein fühlen konnte. Ich wollte ihn überhaupt nicht gehen lassen. Wer sagte denn, dass ich nochmal eine Chance bekommen würde, diesen überraschend plüschigen, warmen Bären zu umarmen?
 

...aber wenn ich nicht bald los ließ, dann war es vielleicht wirklich umsonst. Erst jetzt merkte ich, dass er mich ein wenig hilflos von der Seite ansah, und langsam hibbelig wurde. Der Nebel hatte sich bereits merklich gelichtet. Es half ja nichts. Ich musste einfach darauf vertrauen, dass ich ihn wiedersehen konnte – spätestens bei der nächsten verregneten Mitternacht.
 

Außerdem merkte ich, dass ich sowieso ziemlich müde war – und war es nicht auch mitten in der Nacht? Der Schlaf würde mir definitiv noch helfen, nicht zuetzt da ich nach wie vor noch Kanji zu lernen hatte – oder träumte ich sowieso?
 

"Los jetzt, schnell!"
 

Teddys Flehen wurde dringlicher, sodass ich mich endlich dazu durchringen konnte, in einen der größer erscheinenden Fernseher zu treten.
 

"B-Bis bald!", brachte ich noch hervor, wusste aber nicht mal, ob er mich noch gehört hatte.
 

Mit einem dumpfen Aufprall kam ich zu mir, und fand mich auf einmal auf Teppichboden wieder. Einen Moment brauchte ich, um mich zu orientieren, ehe ich feststellte, dass ich mich wieder in meinem Gastzimmer befand. Im Fernsehen liefen irgendwelche schrottig aussehenden Anime, die eh keiner zu einer anderen Tageszeit ertragen könnte, und schnell schaltete ich ihn ab. Für einen Moment konnte ich mein Spiegelbild noch im Fernseher sehen, ehe mir etwas dämmerte – der Fernseher lief, und ich war auf dem Bett gefallen. War ich vielleicht.... eingeschlafen? Allerdings waren meine Erinnerungen an die Geschehnisse ungewöhnlich klar. Und obwohl ich keine Persona hervorrufen konnte – in der anderen Welt ging das wie von selbst – fühlte ich mich anders. Besser.
 

...
 

Aber war das vielleicht doch nur, weil im Traum alles gut gelaufen ist? Ich bemerkte auch keine körperlichen Verletzungen an mir, obwohl ich mir bei dem Sturz vorhin mit Sicherheit einen oder zwei blaue Flecke zugezogen hatte... oder mindestens eine Schramme. Allerdings war es auch ein bisschen frostig in meinem Zimmer geworden. Schnell kroch ich wieder ins Bett – das sich genauso kalt anfühlte. Entweder war ich also wirklich in der Fernsehwelt gewesen, hatte Teddy getroffen und meine Persona Tsukuyomi kennengelernt, oder aber ich war eingeschlafen und das schon vor längerer Zeit. Allerdings fühlte ich mich nicht durchgefroren.
 

Na ja, aber das Rätsel würde ich jetzt nicht lösen können. Laut meinem Nokia war es bereits 2 Uhr morgens, also musste ich versuchen, mich wieder ein bisschen von dem Adrenalinrausch zu beruhigen und noch zu schlafen soweit es ging. In dem Moment, in dem mein Kopf das Kissen berührte, merkte ich allerdings schon, wie mich die Müdigkeit überströmte, also würde ich das Rätsel vielleicht erst morgen lösen können... aber bestimmt... nein, ganz sicher hatte das, was gerade passiert war eine große Bedeutung.



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