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Hanarezu ni soba ni ite

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
An dieser Stelle ein kurzes Vorwort statt einem Nachwort.
Vielen Dank, dass ihr bis zum Schluss dabei geblieben seid! Ich wünsche euch viel Spaß mit dem letzten Teil.
Eure Flokati
PS: Vielleicht kommt die Tage noch ein kleines Leckerli also Bonus? ;) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ok, Leute. Ein Leckerli. Eins zum Fremdschämen. Die Idee kam mir früh morgens, ich hab mich selbst mega beömmelt bei dem Gedanken, aber mich gleichzeitig für meine eigenen Gedanken geschämt. Verurteilt mich nicht, ich fand's so lustig. XD"
Um euch vorzubereiten:
Yuuris Vater Toshiya ist besorgt um das eheliche Wohlergehen seines Sohnes und will daher einige grundlegende Dinge gegenüber Viktor als seinem zukünftigen Schwiegersohn klarstellen. Aufgrund mangelnder Englischkenntnisse des Vaters muss Yuuri als Übersetzer fungieren.
(Ihr seid gewarnt worden.)
Wenn euch meine Geschichten gefallen und ihr gerne mehr lesen wollt, seid so lieb und hinterlasst mir Favoriten und/oder Kommentare, das spornt die Autorin an! (^^)
Flokati

Japanisch = kursiv Komplett anzeigen

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Der Abend des Grand Prix Final, Barcelona (Teil 1)

Es ist schon spät als wir uns aufmachen, die Halle zu verlassen. Ich habe gar kein Zeitgefühl mehr. Wir sind die Letzten, doch es herrscht keine Eile.

Das Einzige, was mich interessiert, ist dass Viktor noch bei mir ist. Ich glaubte, ihn ab hier gehen lassen zu müssen, aber er ist immer noch da und er wird bleiben. Die blauen Augen blicken ähnlich ungläubig drein, während wir in die Umkleide gehen, um meine Sachen zu holen, aber es huscht uns dennoch ein verlegenes Grinsen über die Lippen, wenn unsere Blicke sich begegnen. Es ist ein ganz merkwürdiges Gefühl. Es ist soviel passiert, auf dem Eis, zwischen uns... Und trotz allem fühlt es sich aber hier wieder neu an. Unsere Umarmung vorhin war noch nie so intensiv gewesen, so warm… so befreiter. Der Angst ist verschwunden, ihn hergeben zu müssen und ich habe eine Medaille im Gepäck, von der ich zu Recht behaupten kann, sie mir erarbeitet zu haben. Für Gold hat es nicht gereicht, aber das fühlt sich zweitrangig an.

Was zählt ist, dass Viktor an meiner Seite geblieben ist.

 

Als wir dann die Einganghalle betreten, warten noch Journalisten und Reporter auf uns, unter ihnen Morooka. Sie gratulieren zu meinem Erfolg und Morooka kann sich offenbar gar nicht oft genug vor uns verneigen. Seine Stimme überschlägt sich und er schreit inbrünstig in sein Mikrofon, als könne man ihn so bis nach Japan hören. Viktor überlässt mich meinem Landsmann mit einem Augenzwinkern und wendet sich stattdessen Stéphane Lambiel und einigen anderen internationalen Kollegen zu.

Breitwillig gibt er den Berichterstattern Antworten, winkt den Leuten zu und begeistert sie mit seiner einzigartigen Art. Obwohl Viktor nicht am Tunier als Läufer teilgenommen hat, ist das Interesse der Medien an ihm hier in Europa ist ähnlich groß. Momentan aber genieße ich es, nur für Morooka die Hauptfigur spielen zu müssen. Weiter in Richtung Ausgang sehe ich einen viel größeren Auflauf an Kameras und Mikrofonen. Ja, die meiste Aufmerksamkeit erntet der Sieger und dieser heißt völlig unerwartet Yuri Plisetsky, der jüngste Sieger in der Geschichte des Grand Prix Final.

Ich muss lachen, wenn ich die Traube um Yurio so sehe und beinahe tut er mir leid. So sehr er die Medaille wollte, so sehr hasst er den Trubel um seine Person. Ich sehe ihm auch auf die Entfernung an, dass er genervt ist und nur noch verschwinden will. Allerdings haben seine Trainer Lilia und Yakov, ein waches Auge drauf, dass er nicht entwischt. Beide sehen überaus zufrieden aus, denn auch ohne Viktor Nikiforov geht die russische Siegesserie beim Grand Prix weiter. Die Lücke, die Viktor in dieser Saison hinterlassen hatte, ist von Yurio bestens gefüllt worden und ich muss schmunzeln, als ein Gruppe Groupies der "Yuri Angels" ihren Yuratchka kreischend um Gruppenselfies bittet.

„Können Sie uns etwas über die Ringe verraten, die Sie tragen?“

Mit einem Mal bin ich wieder voll bei meinem eigenen Interview. Der Reporter, der vor mir steht ist nicht mehr Morooka. Ein hagerer Typ mit druchdringenden Augen und gierigem Gesichtsausdruck hat sich vorgedrängelt und ist wohl eher von einem Klatschmagazin statt von einem Sportmagazin. Viktor ist neben mich getreten und der Reporter wedelt sein alarmrotes Mikrofon zwischen ihm und mir hin und her. Ich glaube, mir wird gerade fürchterlich heiß. Woher weiß die Presse schon von unseren Ringen?

„Glücksbringer.“ antwortet Viktor mit einem Lächeln, das zufriedener kaum sein kann. Mir steckt ein Kloß im Hals. Sieht man, dass ich rot bin? Ich berühre ungewollt unauffällig meine Wangen, als ob man Schamesröte spüren könnte.

„Glaubwürdigen Quellen nach zu urteilen, soll es sich um Verlobungsringe handeln,“ perscht der Reporter mit süffisantem Grinsen vor. Ich stecke die Hände sofort in die Taschen meiner Trainingsjacke. Wer hat das mit der Verlobung erzählt? Im Grunde wussten doch nur wir Läufer, Minako-sensei und Mari-neechan davon, dass dieses Wort überhaupt gefallen ist...

„Glücksbringer.“ wiederholt Viktor. Er ist die Ruhe selbst. Wie schafft er es, so locker zu bleiben? „Sind Sie schon mal in Japan gewesen? Japaner lieben Glückbringer und Yuuri hat uns diese für das Finale geschenkt. In Tempeln kann man sie zu jedem erdenklichen Anlass kaufen.“

Ich atme auf. Viktor wechselt gekonnt das Thema und der Reporter sieht aus, als hätte man im eine saure Zitrone als Antwort präsentiert. Ich denke schon, dass die Sache damit erledigt ist, doch das rote Mikrofon befindet sich plötzlich wieder vor meinem Gesicht.

„Herr Katsuki, können Sie als Japaner und Käufer dann bestätigen, dass Ihnen diese Glücksbringer“, er betont das Wort extra lang und sarkastisch, „genug Glück gebracht haben? Sie wurden schließlich nur um ein Zehntel Punkte von Yuri Plisetsky geschlagen und haben Gold verpasst – das würde ich nun eher als Pech bezeichnen, wenn man bedenkt, wieviel Sie diese Ringe gekostet haben müssen.“

„E-Es kommt auf den Blickwinkel an.“ antworte ich aufgeschreckt, aber nur halb so ruhig und professionell wie Viktor.

„Genau das.“ kommt Viktor mir erneut zur Hilfe und ich bin ihm unendlich dankbar dafür. „Der Pechvogel hier bin ich. Yuuri und Yuri Plisetsky haben mich gleich zweimal entthront, wieviel mehr Pech kann man haben?“ Dann lacht er. „Yuuri hat viel gewonnen. Er war Letzter in der Vorsaison. Heute war er nur ein Zehntel Punkte vom Sieg entfernt. Diese Leistung verdient Anerkennung.“

Bevor der Klatschreporter weiter ausholen kann, kommen neue Fragen von dazugestoßenen Journalisten, wie ich mich steigern konnte und ob Viktor ein guter Trainer ist. Das Interview ist wieder beim eigentlichen Thema und die Zitrone für den Herrn mit dem roten Mikrofon doppelt bitter.

Nachdem dann auch die letzte Frage beantwortet ist, machen wir uns still auf den Weg zurück ins Hotel. Viktor trägt meine Tasche, so wie er es bisher immer getan hat. Die Medaille schlägt im Takt meiner Schritte gegen meine Brust und wir laufen das kurze Stück in Stille, aber je näher wir dem Hotel kommen, desto ernster werden die Gesichtszüge von Viktor. Mit jedem Schritt scheint sich die Begeisterung und die vorherige Zufriedenheit über meine Platzierung zu verlieren. Als wir an unserem Zimmer ankommen, ist Viktor’s Gesicht so ernst und angespannt, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe. Es macht mir etwas Angst. Was beschäftigt ihn derartig?

„Yuuri.“ Auch sein Ton ist furchtbar ernst. Er öffnet die Zimmertür. „Geh schon mal duschen, ich muss noch kurz zur Rezeption. Ich komme dann zu dir.“

„Ok ... gut.“ Sein Verhalten verunsichert mich zutiefst. Wir treten ein, er stellt die Tasche auf seinem Bett ab, während ich die Tür schließe. „Was ist los?“ frage ich dann doch wankelmütig, nachdem das Schloss eingerastet ist.

„Ich muss ein Einzelzimmer nehmen.“ Er klingt bitter. „Mach' dir keine Sorgen.“ fügt er denn noch schnell hinzu, als könne er meine Gedanken lesen. „Sobald wir in Hasetsu zurück sind, schlafen wir wieder zusammen.“

Es fühlt sich an, als wäre ich 5 Jahre alt und man hätte mir mein Kuscheltier abgenommen, obwohl ich eine Belohnung verdient hätte. Ich schlucke schwer. Seit meiner Rückkehr aus Russland waren wir keine Nacht mehr getrennt gewesen. Entgegen aller Vernunft hatte Viktor ein Doppelzimmer mit zwei Einzelbetten für Barcelona gebucht. Wir haben im Flugzeug darüber gekichert wie kleine Mädchen, die ihre erste Übernachtungsparty feiern, hatten zusammen alberne Fotos geschossen und hätte ich nicht solch ein Jetlag gehabt, hätte es wohl auch die obligatorische Kissenschlacht vor dem ersten Einschlafen gegeben. Wir waren wie unserer eigenen Welt, ohne Zuschauer. Aber Viktors ernstes Gesicht lässt mich ahnen, dass uns die Realität gerade mit Lichtgeschwindigkeit einholt, weil wir feststellen, dass fast die ganze Welt zusieht.

Ich gehe einen Schritt auf Viktor zu, um ihn zu umarmen und er lässt es geschehen.

„Yuuri...“ flüstert er schwermütig. „Ich habe mir das heute Nacht anders vorgestellt. Verzeih mir, dass ich dich warten lassen muss. Wir holen es in Hasetsu nach. Versprochen.“

Seine Lippen berühren meine Stirn, sanft, liebevoll, ganz und gar wie nur er es kann. Der 5-Jährige in mir scheint sich etwas zu beruhigen.

„Viktor... es ist wegen den Ringen, nicht?“ frage ich, die Augen zum Boden gewandt. Ich schaffe es immer noch nicht, ihm in die blauen Augen zu sehen, wenn er mir mit Worten und Gesten zu verstehen gibt, dass unser Verhältnis über ein platonisches Verhältnis hinausgeht und mit dem heutigen Tag auch nicht beendet sein wird. Mein Griff um seinen Oberkörper wird fester, als würde er sich dennoch jeden Moment in Luft auflösen.

„Ja und Nein.“ entgegenet mir Viktor, als sich seine Lippen vorsichtig von meiner Stirn lösen. „Ich selbst bin derjenige, der die Ringe als Verlobungsringe bezeichnet hat. Ich hätte es nicht so unbedacht in alle Runde in einem Restaurant sagen sollen. Wer auch immer es gehört und uns erkannt hat, verbreitet das gerade.“ Er macht eine kurze Pause, in der seine blauen Augen schon wieder bis zu meinen Gedanken durch dringen. „Ich möchte nicht, dass du nach irgendwelchen Nachrichten im Internet suchst, bis ich wieder da bin. Die Wahrheit kennen nur wir beide.“

Es klopft an der Tür. Viktor küsst mich noch einmal kurz auf die Stirn, geht zur Tür und späht durch den Spion. Er atmet erleichtert auf und öffnet. Es ist Christophe Giacometti.

Der Abend des Grand Prix Final, Barcelona (Teil 2)

„Du erlaubst?“

„Klar. Keine Interviews mehr? Leiste Yuuri doch kurz Gesellschaft, ich muss noch einmal zur Rezeption.“ entgegnet Viktor, beinahe schon wieder so ungezwungen wie immer. Er schlängelt sich an Chris vorbei in den Flur, winkt noch einmal, schließt die Tür und ist verschwunden.

Als sich Chris zu mir umdreht, sehe ich in seinem Gesicht plötzlich Züge von ernster Besorgnis... und Eifersucht?

„Sag' mal...“ beginnt Chris und ich ahne schon, warum er hier ist. „Ich dachte, das mit der Verlobung sei ein Witz. Ein Scherz. Aber ich wurde ständig darauf angesprochen; ob ich etwas dazu sagen könnte, dass mein langjähriger Konkurrent Viktor Nikiforov und Katsuki Yuuri sich verlobt haben und soll ich dir was sagen? Dass du dir Viktor für ein Jahr reserviert hast, ist eine Sache, aber ihn den Rest seines Lebens für dich beanspruchen zu wollen und gleichzeitig von Rücktritt zu sprechen, schlägt dem Fass den Boden aus.“

Ich stehe da wie angewurzelt. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.

„Versteh' mich nicht falsch.“ erklärt er sich schnell beim Anblick meines schockierten Gesichts. „Mir ist egal, was Viktor an dir findet; das Einzige, was mich interessiert, was es für ihn für Konsequenzen hat. Ich hab es dir in China schon gesagt. Während du in Japan mit eurer Liaison ein einigermaßen sorgenfreies Sportlerleben haben kannst, steht für Viktor einiges mehr auf dem Spiel. Er ist Russe, ein Aushängeschild seiner Nation. Was meinst du passiert, wenn rauskommt, dass er mit seinem Schüler ein Verhältnis eingegangen ist?“

Ich schlucke. Über Viktors sexuelle Orientierung war in der Vergangenheit debattiert worden, aber eindeutige Fotos oder Statements hat es nie gegeben. Viktors Outfits auf dem Eis hatten die Spekulationen immer wieder angefacht, aber letztendlich blieben es Spekulationen. Die Stimmen verstummten vollständig, als er seine langen Haare gegen den jetzigen Kurzhaarschnitt eintauschte und über das Thema war seitdem auch nie wieder diskutiert worden.

„Was ich sagen will,“ reißt mich Chris' Stimme aus meinen Gedanken zurück, „Er wird Probleme bekommen, wenn er in Russland sein Comeback trainieren will. Die sind im kalten Russland nicht ganz so locker drauf wie hier im warmen Europa. Viktor ist nicht nur dein Idol und seine Fans werden ihn nicht teilen wollen, egal mit wem. Ich hoffe sehr, ihr habt den Russen in den Vorentscheiden nur halb so offensichtliches Bildmaterial geliefert wie den Chinesen.“

In meinem Kopf explodiert gerade alles. Viktor würde Probleme bekommen? Wegen mir? Mir schießen die Tränen in die Augen, mein Herz pocht schmerzvoll. Mein Gehirn durchspielt alle Erinnerungen, die in Russland passiert sind. Doch so sehr ich mich bemühe, mich nur auf den Cup of Russia zu konzentrieren, mischen sich die Bilder mit allen Erinnerungen seit Peking. In Peking hat er mich zum ersten Mal geküsst. Direkt nach meiner Kür und jeder hat es gesehen. Kein Fotograf war darauf vorbereitet gewesen, keine Kamera hatte es im richtigen Winkel einfangen können; aber was blieb, waren die Bilder von uns auf dem Eis, er über mir, mit einem Lächeln, das niemals das eines Trainers an seinen Schützling hätte sein können.

Die Presse hatte sich darauf gestürtzt wie die Geier auf das Aas und Phichit’s Sieg war schnell zur Nebensache geworden. Viktor hatte zwar sofort allen Spekulationen die Luft aus den Segeln genommen, denn er war er und er konnte es sich leisten. Doch während er so erfrischend unschuldig und fröhlich die wildesten Erklärungen in die Mikrofone der Reporter abgab; erklärte, dass es ganz normal sei, jemanden zu küssen, der Lob verdient habe, bemerkte ich etwas, dass ich zuvor noch nicht in der Lage gewesen war, voneinander zu unterschieden: Viktor log und zog eine Show ab, dass sich die Balken bogen. Er wusste, dass alle an seinen Lippen klebten und dass sie alles glauben würden, was er ihnen erzählte, solange es nur ihre Neugier befriedigte. Es erfüllte mich mit peinlich berührender Glückseligkeit, als ich begriff, dass ich einen Viktor kannte, der anderen verborgen blieb. Nur ich war wie kein anderer in der Lage, den öffentlichen von dem privaten Viktor zu trennen. Dieser eine Moment nach meiner Kür hatte alles geändert.

Der Kuss hatte keinerlei Konsequenzen nach sich gezogen. Auch in Russland war nichts passiert. Viktor hatte mich schon vorgewarnt, also hatten wir Acht gegeben, nicht gleichzeitig dasselbe Zimmer zu betreten oder zu verlassen. Und dann die Sache mit Makkachin. Viktor war nur kurz zurück in Russland. Wir hatten nicht mal Zeit, etwas anderes zu sehen außer dem Hotel und der Eishalle.

Ich kann deswegen nicht begreifen, was Chris mir gerade prophezeit.

"Yuuri, krieg dich wieder ein." entgegnet er mit irritiertem Blick. "Und heul nicht rum."

Noch bevor ich etwas darauf sagen kann, kehrt Viktor zurück. Offensichtlich hat er problemlos ein Einzelzimmer buchen können. Seine entspannten Züge halten jedoch nur so lange, wie es für ihn dauert, zu realisieren, dass ich Tränen in den Augen habe.

Dass er selbst mich in China zum Weinen gebracht hat, macht ihm auch heute noch immer mal wieder ein schlechtes Gewissen, auch wenn es letzendlich zu meinem ersten, wirklichen Erfolg und irgendwie auch zu unserer Beziehung geführt hat. Aber noch viel schwerer scheint es zu wiegen, wenn andere meine Tränen verursachen. Und Chris ist nicht irgendjemand, er und Viktor kennen sich seit Jahren und kommen gut miteinander aus.

Schnellen Schrittes kommt er zu mir, die Tür fliegt ins Schloss und er nimmt mich in Arme; nicht wie sonst um seine Zuneigung auszudrücken, sondern (und mir schießt sicher wieder Blut in die Wangen) um mich zu beschützen.

"Was hast du ihm gesagt?"

"Ich wollte ihm nur die rosa Brille abnehmen." Dem Schweizer ist die Situation sichtlich nicht ganz geheuer. Er starrt auf den Boden. "Dass er so sensibel ist, konnte ich nicht ahnen."

"Das beantwortet meine Frage nicht."

"Ich hab gesagt, dass eure Beziehung, Verlobung, was auch immer, für dich zum Problem werden kann. Das ist auch nicht ganz ohne Hand und Fuß." verteidigt sich der Blonde, dazu gestikulierend. "Diese Ringe wären besser ein Scherz geblieben."

"Yuuri trifft keine Schuld."

"Was soll dann dieser Zirkus von wegen Verlobung?" ereifert sich Chris. "Der kleine Thailänder ist so überwältigt von der Vorstellung, sein Freund könnte sein Idol Viktor Nikiforov heiraten, dass es alle seine Twitterfreunde wissen! Und deren Freunde und mittlerweile das ganze Netz!"

Meine Augen weiten sich, der Griff von Viktors Armen wird stärker. Phichit war es... er hatte ohne Böses zu wollen seiner Freude Luft gemacht und damit versehentlich eine Lawine losgetreten. Er war schon im Restaurant so euphorisch gewesen... es schnürt mir die Kehle zu.

„Was ich gesagt habe, ist allein meine Verantwortung.“ entgegnet Viktor in einem sehr kühlen Ton. „Ich werde diesen Ring nicht abnehmen und Welt kann denken, was sie will. Solange Yuuri die Wahrheit kennt, ist mir alles andere egal.“

„Ich kann nicht glauben, was ich höre, Viktor! “ entfährt es Chris, die Hände über dem Gesicht zusammenschlagend. „Merde alors, wo ist der Viktor, den ich kannte? Seit Beginn der Saison erkenne ich dich kaum wieder, du schwänzelst nur noch um ihn herum; Yuuri hier, Yuuri da. Merkst du eigentlich noch, wie du rüberkommst? Auf diesem Chinafoto liegst du ihm nackt um den Hals, dann küsst du ihn und on top kreuzt ihr keine zwei Monate später mit Ringen an den Fingern auf und von Verlobung ist die Rede!“

„Was ist dein Problem, Chris?"

„Mein Problem? Du hast dir dieses Jahr für nichts den Arsch aufgerissen! Er redet von Rücktritt, haut einen Weltrekord raus, aber steckt dir einen Ring an den Finger! Er will doch gar nicht mehr! Lass' ihn und komm zurück auf's Eis, Viktor!“
 

Wamm!
 

Es vergehen einige Sekunden, in denen sich keiner von uns rührt. Aber der Abdruck von Viktors Hand auf Chris' Wange leuchtet immer klarer. In Viktors Augen steht die blanke Leere, als er realisiert, was er gerade getan hat. Ich traue mich nicht mich zu bewegen. Selbst wenn ich nicht geschockt wäre, hätte ich nicht gewusst, was ich hätte tun können. Chris fängt sich wieder und streicht sich über die malträtierte Wange, aber er lächelt.

„Viktor, bon dieu. Ich wollt‘ nur rausfinden, wie wichtig er dir wirklich ist. Aber dass du mir gleich eine scheuerst...“ Chris wirkt irgendwie amüsiert, dann seufzt er. „Wie soll ich das Veilchen gleich beim Bankett erklären? Am besten tauche ich erst gar nicht auf.“ Er wendet sich zum Gehen, bleibt aber dennoch an den versteinerten Augen meines Beschützers hängen.

"Die Welt wird einen neuen Viktor zu sehen bekommen. Auch wenn der neue Viktor dir nicht ähnlich sieht." sagt er und betrachtet seinen langen Rivalen mit merkwürdig verträumten Blick. "Ich habe keinen Zweifel an der Echtheit dieser Verlobung - und dieses kleine Geheimnis ist bei mir sicher." Um seine Aussage zu untermalen, legt er einen Finger geheimnisvoll auf seine Lippen und lächelt abermals. Dann nimmt er einen zweiten hinzu und wirft Viktor einen Luftkuss entgegen.

"Schade, Viktor." flirtet der Schweizer zum Abschied. "Pass gut auf deinen petit ami auf. Ich seh dich nächstes Jahr."

Chris ist eben doch kein so schlechter Kerl, denke ich mir. Dennoch ist mir Viktor gerade wichtiger, dessen Blick immer noch glasig ist und weiterhin ins Leere geht. Dass er die Kontrolle verloren hat, scheint ihn mehr erschreckt zu haben als den Betroffenen selbst. Ich drücke ihn ein bisschen fester an mich. Zwar weiß ich noch nicht, welcher Film in seinem Kopf gerade läuft, aber ich fühle mich seltsam stark, es mit seinem Kopfkino aufzunehmen. Viktor vergräbt sein Gesicht zwischen meinen Hals und meiner Schulter, ich spüre den warmen Atem und bin erleichtert. Er braucht Nähe und Halt und den kann ich ihm geben.

Ich beginne, seinen Rücken zu streicheln und ein scheues Lächeln huscht über meine Lippen. Den Rücken streicheln... etwas, das nur ich weiß. Niemand sonst weiß, wie sehr das Viktor gefällt.

Bemerkt habe ich es, als er in unserem Onsen die Reinigungsrituale der anderen japanischen Badegäste beobachtete. Einige Gäste schrubben sich die Rücken mit den bereitliegenden Bürsten, bevor sie ins Wasser steigen. Nach einer Weile versuchte es Viktor selbst, verlor aber schnell die Lust daran. Es schien ihn zu stören, es selbst machen zu müssen und das war der Moment, in dem ich ins Spiel kam. Seinem Hundeblick konnte ich natürlich nichts entgegensetzen, aber als er mit anbot, es mir gleichzutun (was ich zunächst wehement ablehnte), wusste ich zumindest, dass er dankbar dafür war, auch wenn er es nicht sagte. Seitdem kraule ich seinen Rücken, wenn er angespannt ist. Er lässt sich dann vollkommen fallen. Einmal so sehr, dass er sitzend und über den Rand unseres Onsen liegend mit dem Gesicht auf den Steinen eingeschlafen ist. Den Abdruck der Steine hatte er den ganzen Abend über noch als große, rote Flecken im Gesicht. Selbst Makkachin schien das Missgeschick seines Herrchens zu feiern und sich prächtig darüber zu amüsieren. Gefeiert hatte auch die Netzgemeinde, dank Yukos Drillingen bestens mit Fotos versorgt.

„Yuuri...“

Das Kraulen hilft, wusste ich's doch. Ich muss innerlich grinsen, dass ich mittlerweile den einen oder anderen Magic Trick kenne.

Viktor richtet sich auf, sein Blick ist wieder klar und fokussiert. „Bitte mach dich fertig, ich bringe meine Sachen nach oben. Dann muss ich sofort schauen, ob ich Chris noch erwische. Wir treffen uns in einer halben Stunde unten an der Rezeption.“

„Gut.“ entgegene ich und lasse los, beobachte noch still wie Viktor beginnt, seine Habseligkeiten zusammenzusuchen, bevor ich mit einem etwas sehnsüchtigen Blick ins Bad steige.
 

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Eine gute halbe Stunde später sitzen wir im Taxi zum Bankett. Der Plan: Ein bisschen früher als Yurio auftauchen, kurz interviewt werden, und mit dem Erscheinen des Siegers nach drinnen verschwinden können. In der Theorie versprach es zu funktionieren, doch Viktor hat die Rechnung ohne Yurios Bockigkeit gemacht – denn das kleine Monster lässt alle mächtig warten und so stehen Viktor und ich erneut im Kreuzverhör der Reporter.

Bereits zum zweiten Mal an diesem Abend werde ich Zeuge, wie Viktor sich geschickt wie ein Wiesel aus allen verfänglichen Fragen winden kann. Ich muss mir Mühe geben, mir nicht anmerken zu lassen, wie beeindruckt ich davon bin, die Tatsachen so zu verbiegen zu können, dass sie ein völlig anderes Bild ergeben. Er schafft es, dass die Presse letztendlich die Aussage schluckt, dass die Ringe Glücksbringer sind. Ein für Europäer ungewöhnlicher Freundschaftsbeweis, der in Japan üblich ist, um sich zu bedanken, wenn man davon ausgeht, die betreffende Person die nächste Zeit nicht mehr zu sehen und sich dennoch verbunden zeigen möchte. Da ich über meinen Rücktritt und Viktor über sein Comeback nachgedacht haben, schiebt Viktor dies als Untermauerung der These direkt hinterher. Das tut er so perfekt, dass ich erst viel später bemerkte, dass zu dem Zeitpunkt, an dem wir die Ringe tauschten, noch keiner von uns ein Wort über Rücktritt oder Comeback dem anderen gegenüber verloren hatte...!

Chris erscheint wie angekündigt nicht zum Bankett. Zumindest erinnere ich mich nicht daran, ihn eintreffen gesehen zu haben und ich mache mir gedanklich eine Notiz, Viktor später noch zu fragen, ob er mit Chris hatte reden können. Meine Aufmerksamkeit gilt erst einmal dem Ausfindigmachen von Phichit, um ihm die Schuldgefühle zu nehmen und ich bete, dass Yurio mit seinem Eintreffen nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Schließlich erscheint der Blondschopf gut eine halbe Stunde zu spät, aber wie aus dem Ei gepellt und seinen Trainern im Schlepptau, die vor Stolz beinahe platzen. Yurio selbst sieht eher so aus, als würde er gleich anderweitig platzen, weil er den Zirkus langsam satt hat.

Viktor nutzt den Moment, greift nach meinem Arm und zieht mich nach drinnen. Dort begrüßt uns das spanische Personal sehr freundlich und wir bewegen uns durch die Rezeption eines größeren, wesentlich nobleren Hotels mit dunklem Holzdekor, weißen Vasen und Marmorboden. Im Vergleich zum Trubel draußen ist es hier fast gespenstisch still. Eine angenehme Atmossphäre von Austausch und Unterhaltung erfüllt den Bankettraum, in dem sich bereits viele der anderen Teilnehmer, Trainer und Begleitpersonen, sowie Vertreter und Mitglieder des Grand Prix und verschiedener Sportkomitees aufhalten. Viktor zieht an meinem Jarkett und lässt mich wissen, dass der glatzköpfige ältere Mann mit tiefen Gesichtszügen und Rauschebart am hintersten Tisch der russische Botschafter in Spanien ist, den man zur Feier von Yurios und dem sechsten russichen Sieg in Folge bei einem Wettbewerb wohl spontan eingeladen hat. Was er mir eigentlich damit sagen will ist, dass wir uns, solange er hier ist, besser am Riemen reißen und keinen Blödsinn machen sollten. Das heißt noch einmal mehr im Klartext, dass es keinen Alkohol für mich gibt. Was ich mir gerade schwierig vorstelle, sollte der Botschafter auch mit Viktor sprechen und feiern wollen, denn der Champus auf dem Tisch musste dem Vodka bereits weichen und Russen in Feierlaune können Viktors Erzählungen nach gar nicht genug Vodka an ihre Mitmenschen verteilen.

Das kann ja heiter werden. Ich frage mich, wie lange es dauern würde, Viktor mit Vodka betrunken zu machen. In China war er betrunken gewesen, aber ich erinnere mich kaum, was er an diesem Tag alles getrunken hatte. Aber wenn ich es mir so überlege, eine ganze Menge. Immerhin hat er Celestino-sensei unter den Tisch getrunken und das, obwohl er bereits im Flugzeug zu seinem Essen Alkohol bestellt hatte. Beim Hotpot muss ihm dann dieser chinesische Schnaps in der letzten Trinkrunde den Rest gegeben haben.

In Gedanken versunken bemerke ich nicht, wie Viktor von dem Botschafter an den Tisch gewunken wird. Noch bevor ich aufschließen kann, stehen bereits zwei kleine Gläser des klaren Kartoffelschnaps für uns bereit.

„Vitya, du Teufelskerl!“ begrüßt ihn der Botschafter höchst erfreut und klopft ihm kräftig auf die Schulter. Wow, denke ich. Teufelskerl ist ja nett. „Kaum machste den Abflug um die japanische Witzfigur zu trainieren, denken alle in Russland, dein Genie hat dich überschnappen lassen und dann haust du beim Finale mit deinen Choreos sowohl zwei neue Weltrekorde, als auch Gold und Silber raus. Als Läufer biste weg – und trotzdem ganz oben mit dabei, das kann nur das Werk des Teufels sein!“

Gut, dass er dabei lacht. Japanische Witzfigur. Immerhin gehen ein Weltrekord und Silber auf mich!

„So groß war mein Beitrag gar nicht.“ antwortet Viktor, beinahe bescheiden. „Yuuri und Yurio haben diese Rekorde alleine vollbracht. Schließlich hatte ich nicht vor, mich selbst zu schlagen.“

„Lass die Bescheidenheit weg, Vitya. Hier, stoßen wir an! Der Kurze neben dir auch!“

Da ist er schon, der Vodka in meiner Hand. Viktor gibt mir mit einem resignierenden Bilck zu verstehen, dass ich wenigstens diesen einen aus Höflichkeit mittrinken muss. Was sagt man da schnell nochmal?

„Nostrovje!“

Und runter mit dem Zeug. Kaum ist das Glas leer, nimmt Viktor es mir auch ab. Sicher ist sicher. Aus dem Augenwinkel heraus entdecke ich Phichit. Da ist er ja endlich!

„Yuuri? Kannst du uns vielleicht einen Moment allein lassen?“ schlägt just Viktor vor, als hätte er meine Gedanken gelesen. Oder er will mich vom Vodka fernhalten. So ganz sicher bin ich mir da nicht gerade, im Zweifelsfall einfach beides. Ich empfehle mich, erhalte noch den festesten Händedruck, den ich je erlebt habe und überlasse die Russen ihrer Siegesfeier. Yurio hat es auch endlich nach drinnen geschafft und Otabek Altin ist bei ihm. Zusammen schleifen Lilia und Yakov die beiden in Richtung des Botschafters. Ob es an Otabek liegt oder nicht, sei mal dahin gestellt, aber Yurio sieht um einiges zufriedener aus noch gerade eben.

Als ich Phichit erreiche, sehe ich auch Celestino-sensei.

„Phichit-kun!“

„Yuuri!“ Er wirkt extrem verunsichert. Ich kann die Schuldgefühle von seiner Stirn ablesen.

„Hey, Yuuri.“ begrüßt mich Celestino-sensei und reicht mir die Hand. „Ich gratuliere. Ich wollte dir schon vor der Halle gratulieren, aber Viktor und du seid ja noch ewig dadrin geblieben, da waren wir schon weg. Ein so brilliantes Ergebnis hätte ich nie von dir erwartet. Ich muss sagen, ich hätte auch nicht darauf gewettet, dass Viktor zum Coach taugt, aber offensichtlich wusste er, wie er mit dir umgehen muss.“

„Ja, auch meinen Glückwunsch, Yuuri.“ nuschelt Phichit und schüttelt meine Hand, allerdings sehr unbeholfen. Ich kann sehen, wie der Tweet ihn quält. „Es muss sich super anfühlen, einen Weltrekord gelaufen zu sein.“

„Eigentlich denke ich darüber gar nicht so nach, wenn ich ehrlich bin.“ erwidere ich. „Der Lauf war zu emotional, als dass das Ergebnis eine Rolle spielt.“

„Du bist viel zu bescheiden, Yuuri!“ poltert Celestino. Dann senkt er seine Stimme. „Aber emotional war es allemal. Was ist durch deinen Kopf gegangen? Ich habe dich und Viktor die ganze Saison noch nie so demotiviert erlebt, wie heute morgen. Es sah fast aus, als wärt ihr in eine Sackgasse gelaufen. Ihr hattet Streit, nicht wahr?“

Ich beiße mir auf die Lippen. Ja, hatten wir. Aber das würde hier niemanden etwas angehen.

Celestino legt den Arm um meine Schulter und beugt sich zu mir runter. Ich wende den Blick ab, aber mein ehemaliger Trainer fährt fort: „Ich kenne dich gut und lange genug, Yuuri. Viktor kann Außenstehende leicht mit seinem Charisma täuschen, aber diejenigen, die dich kennen, sehen die Dinge anders.“

„Alles ist gut.“ bringe ich hervor. „Wir haben unsere Entscheidungen getroffen. Wir sind im Reinen.“

„Heißt das, ihr trennt euch etwa?!“ Phichit schaut mich fassungslos an. Ich schüttele langsam den Kopf.

„Nein, er bleibt mein Trainer, aber Viktor wird nächste Saison auch wieder mitlaufen. Ich glaube, er will seine Rekorde zurückholen... Gewinnen traut er sich aber nicht zu, sagt er.“

„Kann er ja auch nicht!“ entfährt mein Freund und ihm schießt Farbe ins Gesicht.

„Ich lass euch mal alleine, Jungs. Ihr habt was zu klären.“ Celestino klopft uns gleichzeitig zum Abschied auf die Schultern und geht. Phichits Ausdruck hat sich nicht verändert. Er sieht mich besorgt an.

„Yuuri, er kann dir doch keine Hochzeit nach einer Goldmedaille versprechen, wenn er sie selbst gewinnt!“

„Das hat er nur so gesagt.“ beschwichtige ich mit unsicherer Stimme. „Was Viktor der Presse erzählt hat, ist nicht gelogen. Ich wollte einen Glücksbringer haben und mich bei ihm bedanken. Mehr nicht.“

Phichits Besorgnis wandelt sich in Fassungslosigkeit: „Meinst du das ernst, Yuuri?“ Irgendwie muss ich lächeln. Diese Art von Antworten ist selbst er nicht unbedingt von mir gewohnt.

„Da ist wirklich nicht mehr dran.“ wiederhole ich und sehe ihm direkt in die Augen.

„Hast du noch alle Latten am Zaun?!“ Phichit bricht es ohne Vorwarnung aus ihm heraus. „Yuuri, bist du blind oder ein Arsch?!“ Ich zucke zusammen bei seinem letzten Wort. „Jeder kann sehen, dass Viktor dich liebt und du vermittelst den Eindruck, davon gar nichts zu mitzubekommen! Du steckst ihm einen Ring an den Finger, der ‚nur ein Glücksbringer‘ sein soll und sprichst nur einen Tag später von Rücktritt und das, obwohl das Finale noch nicht mal vorbei ist! Was meinst du, wie er sich dabei fühlt? Dafür, dass er einmal dein größtes Idol war, Yuuri, interessiert dich seine Gefühlswelt erschreckend wenig!“

Ich stehe da wie vom Blitz getroffen. Hält Phichit mir gerade eine Standpauke? Ich glaube, ich habe einen Knoten im Hals...

Für eine Weile sagt keiner von uns ein Wort. Phichit macht sich offenbar wirklich Sorgen, aber ich kann es gerade gar nicht verarbeiten. Erst recht nicht, dass er mir vorwirft, dass mir Viktor egal ist. Aber je länger die Stille anhält, desto mehr reift in mir die Erkenntnis, dass er Recht hat und mein Verhalten falsch war. Und dass ich mir dessen schon viel länger bewusst bin, als mir lieb ist. Ich hatte es ausgeblendet, hatte es nicht an mich rankommen lassen wollen. Wollte nicht zu viele Emotionen investieren, um nicht zu sehr zu enttäuschen. Dabei habe ich nur versucht, mich selbst nicht zu enttäuschen und mir eingeredet, ich würde Viktor nicht enttäuschen wollen, um mich für ihn besser zu fühlen. Doch für Viktor hatte sich gar nichts besser angefühlt.

„Yuuri, du bist kein schlechter Mensch!“ Phichit kann mein Schweigen nicht hinnehmen. „Und ich will nicht glauben, dass dir Viktor völlig egal ist. Deine Performances sprechen eine andere Sprache. Er bedeutet dir doch mindestens genauso viel wie du ihm, also hör auf, dich vor ihm zu verstecken und eure Beziehung an deinen sportlichen Erfolg zu knüpfen! Hat Viktor je gesagt, er würde nicht mehr dein Trainer sein oder nicht mehr bei dir bleiben wollen, sollte er nächste Saison wieder aktiv laufen?“

Mir fährt es eiskalt den Rücken runter und der Knoten in meinem Hals verdoppelt sich schlagartig.

„Hast du ihm je eine Chance gegeben, mit dir über die Zeit nach dem Grand Prix zu reden? Oder stand schon immer für dich fest, dass es mit dem Finale enden wird und du Viktor mit gebrochenem Herzen nach Russland zurück schickst, egal wie es ausgeht?“

Meine Hände ballen sich zu Fäusten, das Blut schießt mir in den Kopf. Ich werde wütend auf Phichit, weil er Recht hat. Weil er ausspricht, was ich an meinem Verhalten nicht wahrhaben wollte. Ich habe Viktor keine Chance gelassen und immer nur an den Grand Prix gedacht, alles darauf ausgerichtet und nicht in Betracht gezogen, dass es auch ein anderes 'Danach' geben könnte, als dass alles zum Alten zurückkehrt.

Ich hatte die Entscheidung, Viktor als meinen Trainer zurücktreten zu lassen, bereits in Moskau getroffen, zwei Wochen vor dem Finale. Ich komme mir vor wie der größte Idiot... Phichit kommt einen Schritt näher zu mir und legt seine Hand auf meine Schulter.

„Yuuri.“ er spricht jetzt in einem mitfühlenden Ton. „Es tut mir so Leid, dass ich das mit den Ringen ins Netz gestellt und euch in Bedrängnis gebracht habe. Ich hätte erst noch einmal nachfragen sollen.“

Seine Worte kommen von so fern her. In Gedanken bin ich nur bei Viktor. Es tut mir leid. Ich will ihn sehen, jetzt sofort. Ich stehe auf, aber Phichit stellt sich vor mich. Sein Stimmt klingt so, wie es sein Gesicht vermuten lässt. Voller Sorge und Anteilnahme.

„Yuuri, bitte hör mir zu. Ich kann deine Entscheidung nicht beeinflussen, aber sei fair. Wenn du ihn nur hinhälst, ist das grausam für ihn...“

„Phichit...“ Seltsamerweise kann ich noch reden, auch wenn der Kloß droht, mich zu ersticken. „Ich...“

„Schon gut, Yuuri.“ unterbricht er mich. „Ich sehe schon, dass ich dich wachrütteln konnte. Lass' es uns gut sein lassen und stattdessen lieber deinen Weltrekord feiern! Auf dem Rückflug nach Japan morgen hast du alle Zeit der Welt mit Viktor zu reden. Er wird dir nicht weglaufen.“

Ich fühle mich unglaublich erleichtert und ein Lächeln huscht über meine Mundwinkel. „Danke, Phichit.“

„Sehr gut!“ sagt er und klatscht enthusiastisch in die Hände. Dann hat er in Windeseile sein Handy in der Hand. „Ich brauche nämlich ein Foto mit einem glücklichen Weltrekordhalter!“ lacht er mir entgegen, als er die Kamera einschaltet.

Der Tag nach dem Grand Prix Final, Barcelona (Teil 1)

Es ist früh am Morgen. Ich bin nach einer viel zu kurzen Nacht aufgewacht und blicke in die Dunkelheit. Nach einer Weile nehme ich die Konturen des Fensters schwach war, welches durch die Stadtlichter leicht erhellt wird. Mir schwirren noch die Worte von Phichit im Kopf herum, die mich einfach nicht loslassen wollen. Auch wenn sie keiner Logik zu folgen scheinen, habe ich das Gefühl, die Dinge klarer zu sehen. Und dass ich Viktor eigentlich einen richtigen Antrag hätte machen sollen...

Sollte ich es nachholen? Wenn wie gestern Abend noch kurz angerissen Viktor ab Januar für einige Monate wieder zurück nach St. Petersburg gehen würde, um zu trainieren und um sein und mein Programm zu erstellen, könnte ich dafür sorgen, dass er bei seiner Rückkehr eine Überraschung erlebt, die er so nicht erwarten würde.

Langsam, Yuuri, ermahne ich mich. Noch steht nichts fest. Es ist nicht gesagt, dass dieser provisorische Plan so bleibt. Oder von wann bis wann Viktor zurück nach Russland gehen wird.

Bei dem Gedanken, ihn monatelang nicht zu sehen, wird mir flau im Magen und es sticht in meiner Brust. Selbst wenn er noch bis nach Neujahr in Hasetsu bleiben wird, schmerzt die Aussicht auf einen Abschied, jetzt wo wir eigentlich beschlossen haben, zusammen zu bleiben.

Wir werden Weihnachten, seinen Geburtstag und Neujahr zusammen verbringen. Das sind noch ganze vier Wochen. Und trotzdem ist mir der Gedanke zuwider, mir vorzustellen, dass er dann erst einmal nicht mehr da wäre. Einen Antrag vorzubereiten würde sicher helfen, die Zeit ohne ihn zu überbrücken, weil ich etwas hätte, mit dem ich mich ablenken könnte...

Ich krame nach meinem Handy und meiner Brille und überfliege schnell alle Nachrichten, die eingangen sind. Das helle Licht des Displays brennt etwas in meinen Augen. Noch mehr Glückwünsche von Freunden, Bekannten, alten Schulkameraden und sogar Leuten, deren Nummer ich gar nicht in meiner Adressliste eingespeichert habe. Meine Eltern haben geschrieben, Kenjiro, die Nishigori-Familie…

Wenn ich Yukos Nachricht richtig verstehe, scheint die ganze Stadt übermorgen bei unserer Ankunft mit uns feiern und sich bei Viktor dafür bedanken zu wollen, dass er mich besser denn je aufs Eis zurückgeholt hat. Außerdem sagt sie, dass Hasetsu Ice Castle bereits von Journalisten überrannt werden würde. Ich schiele auf die Uhr oben auf dem Display. 7:01 Uhr. In Japan ist es bereits Nachmittag und der neue Tag wird in ein paar Stunden vorbei sein.

Ich drehe mich um und meine Augen suchen im Dunkel nach Viktor. Ich staune nicht schlecht, als ich erkenne, dass er doch in dem Bett neben mir liegt. Sein nackter Rücken ist mir zugewandt und ich merke gerade, dass sich in meiner Decke ein Stück Stoff verfangen hat, dass dort nicht hingehört. Als ich es herausziehe und mit dem Handylicht beleuchte, sehe ich, dass es Viktors Jogginghose ist. Inklusive Unterhose. Ich rolle die Augen und seufze. Wie auch sonst. Ich werfe ihm seine Sachen auf die Bettdecke am Fußende und lasse mich auf den Rücken zurück sinken. Eigentlich hat er einen Stock höher schlafen wollen, um Gerüchte zu zerstreuen. Warum er jetzt doch hier liegt, kann ich mir gerade nicht erklären. Ich erinnere mich nicht einmal, dass er ins Zimmer gekommen ist. Verabschiedet hatten wir uns definitiv am Fahrstuhl. Wahrscheinlich ist er in der Nacht nach unten gekommen, aber geweckt hat er mich auch nicht. Manchmal ist er schon komisch. Ich seufze wieder und hoffe, dass er zu dem Zeitpunkt seine Hose noch getragen hat...

Irgendwie beschleicht mich ein merkwürdiges Gefühl. Obwohl ich nicht zum ersten Mal neben ihm aufwache und seinen nackten Rücken schon in- und auswendig kenne, sieht es irgendwie anders aus als sonst. Unschlüssig heften sich meine Augen wieder an ihn. Als hätte ich ihn genau so schon einmal neben mir liegen gesehen. Seltsam. Dabei kann das eigentlich nur in Hasetsu gewesen sein. Aber die Bettdecke, die in meinen flüchtigen Gedanken nur eine unscharfe und verschwomme Form hat, sieht nicht aus wie Viktors Decke. Sie erscheint weiß, gänzlich, so wie diese Hotelbettdecke. Die von Viktor in Hasetsu haben dunkelgrüne oder blaue Bezüge, ganz sicher. Wie um alles in der Welt komme ich auf weiß? Vorsichtig schalte ich die kleine Lampe auf dem Nachttisch an.

Es raschelt und Viktor wirft sich auf die andere Seite, so dass ich sein Gesicht sehen kann. Die Haare sind ganz zerzaust und er riecht etwas nach Alkohol. Ich will gar nicht wissen, wieviele Gläser gestern Abend getrunken worden sind. Aber Viktor liegt sonst nie betrunken oder mit Fahne neben mir im Bett, protestiere ich innerlich. Er weiß, dass ich das nicht mag. Wenn er zu viel getrunken hat, muss er alleine schlafen und er hat das bisher immer respektiert.

Gut, resigniere ich, dann ist das eben das erste Mal. Ich richte mich etwas auf, stütze mein Kinn auf meine Hand und betrachte ihn, wie er da liegt und schläft. Es beruhigt mich, ihn so vertraut bei mir zu haben. Dann wieder. Dieses Gefühl. Wo kommt es her?

Nach ein paar Minuten weckt ihn mein Blick. Die blauen Augen blinzeln verschlafen und versuchen sich an das Licht zu gewöhnen.

„Guten Morgen.“ sage ich leise. Wie wird er es aufnehmen, wenn wir nun doch im selben Zimmer übernachtet haben?

„guen mogen.“ nuschelt er halb in die Kissen, halb mir entgegen. Dann setzt er sich auf, petzt die Augen und betrachtet seine Umgebung.

„Du musst heute Nacht runtergekommen sein.“ helfe ich ihm auf die Sprünge.

„Ja.“ stöhnt er und lässt sich wieder in die Kissen fallen. Ich kann mich nicht zurückhalten und frage: „Warum? Du wolltest doch alleine schlafen.“

„Nicht so wichtig.“ brummt er und winkt das Thema ab.

Oh, denke ich. Es scheint, als seien auch die Russen nicht gänzlich trinkfest. Oder er hat dem selbst nachgeholfen und ist dann zu mir gekommen.

„Brauchst du Aspirin?“

„Das wäre gut...“

Ich schiebe die Decke beiseite, stehe auf und gehe zu meiner Tasche. Während ich darin krame, beschleicht mich schon wieder dieses merkwürdige Gefühl von vorhin. Das Bild von Viktors Rücken mit der weißen Decke klebt vor meinem inneren Auge. Der Geruch von Alkohol und sein schlafendes Gesicht mit den zerzausten Haaren.

Just als ich die Aspirin aus der Tasche ziehe, durchfährt mich es mich wie ein Blitz. Nein.

Das kann doch nicht wahr sein… Oder doch? Ich bin wie versteinert und starre vor Schreck ins Leere.

„Yuuri, was machst du so lange? Komm wieder zu mir.“ ruft es hinter mir.

Ich drehe mich um, sehe wie er nackt und quer über beide Betten mit Hundeblick zu mir schaut und seine Arme nach mir ausstreckt.

Das kann doch nicht… Hab ich wirklich… Haben wir wirklich… Oh nein. Oh neeeeiiiiin. Er wusste es. Ich hatte vergessen, aber er wusste es…! Die ganze Zeit über… Das kann doch nicht… Deswegen hat er nie Schamgefühle gehabt…!

„Yuuri, was ist denn? Du siehst total verstört aus...“ bemerkt er. Der Hundeblick ist verschwunden. Er schaut mich mit einer Mischung aus Verwunderung und Besorgnis an.

„Vi-Viktor?“ Ich schlucke. Sag mir, dass das nicht wahr ist.

„Ja?“

„Was hab ich l-letztes Jahr bei dem Bankett noch alles gemacht?“ stammele ich aufgescheucht daher. „A-Außer zu tanzen?“

„Ah.“ Er zieht seine Arme zu sich, stützt seinen Kopf auf seine Hand. „Erinnerst du dich endlich? Ich hab mich schon gefragt, wie lange das noch dauert, nachdem wir im Restaurant schon soviel darüber geredet hatten.“

„Viktor!“

Dann ändert sich sein Blick. Ein laszives Lächeln liegt auf seinen Lippen. „Du hast mich verführt, Yuuri. Das war ein hartes Stück Arbeit, mich nicht darauf einzulassen.“ Das Lächeln wird größer. „Ein paar Gläser weniger und wir hätten eine fantastische Nacht gehabt.“

Ich möchte sterben. Sofort.
 

Ich sitze hochrot vor Scham neben Viktor auf dem Bett, der zur Beruhigung meine Hand hält.

Es ist mir so unendlich peinlich. Nicht nur, weil ich mich vor allen Leuten an ihn gerieben und ihn darum gebeten habe, mein Trainer zu werden und anschließend mit ihm getanzt habe, empfanden wohl einige Gästen mein ganzes Verhalten ihm gegenüber als sexuelle Belästigung, was zur Konsequenz hatte, dass Celestino-sensei angehalten wurde, mich aus dem Saal zu entfernen. Wir sind uns dann aber noch einmal auf dem Hotelflur begegnet, berichtet Viktor.

Celestino-sensei hat mich zu später Stunde an die Luft geschickt, nachdem ich mich auf der Zimmertoilette übergeben hatte. Viktor selbst war zu diesem Zeitpunkt gerade erst vom Bankett zurückgekommen und so standen wir uns unerwartet erneut gegenüber.

Weil ich so fertig und wackelig auf den Beinen war, hat Viktor mich trotz aller vorherigen Peinlichkeiten mit nach draußen in den kleinen Wintergarten des Hotels begleitet. Vom Alkohol und der Anstrengung noch völlig benebelt hatte ich ihm, kaum dass wir beide uns an einen Tisch gesetzt hatten, plötzlich und unvorbereitet mein Herz ausgeschüttet. Er erfuhr, dass ich mich für einen Versager hielt, der zu feige war, Gold gewinnen zu wollen und all diese Dinge, von denen ich mir bisher nicht erklären konnte, woher er all das wissen konnte.

Zu Beginn, so sagt Viktor, habe er nur still zugehört, aber wenig Verständnis für mein mangelndes Selbstvertrauen aufbringen können, gerade weil er mich während des Banketts ganz anders erlebt hatte. Ich erwähnte meine Bewunderung für ihn und dass ich wegen ihm so hart Eiskunstlauf trainiert habe. Und schließlich erzählte ich ihm von Vicchan, der kurz vor dem Finale gestorben war und von dem ich mich nicht mehr hatte verabschieben können, weil ich seit fünf Jahren nicht mehr zuhause gewesen war.

Viktor macht eine Pause und ich kann seine Gedanken beinahe mit Händen greifen. Auch wenn er sich das Gefühl des absoluten Versagens bei einem Wettkampf nicht vorstellen konnte; den Schmerz, seinen geliebten Gefährten zu verlieren, eröffnete ihm völlig unerwartet einen ganz anderen Blickwinkel auf meine emontionale Situation. Er gesteht leise, dass erst die Erwähnung meines Hundes ihm ermöglichte, sich in mich hineinversetzen zu können und er begann, Mitleid zu empfinden. Er fragte sich, wie er reagiert hätte, wenn man ihm kurz vor dem Wettkampf berichtet hätte, Makkachin sei gestorben.

Meine Beschämtheit verpufft bei diesem überraschenden Geständnis wie im Nichts. Ich suche den Kontakt zu den blauen Augen, die ins Leere blicken und sich dann doch an meine heften. Ein scheues Lächeln huscht über seine Lippen.

Dass er plötzlich für jemand anderen als Mensch wichtig war und Trost spenden konnte, so sagt Viktor, sei für ihn in dieser Weise das erste Mal gewesen. Denn egal mit wie viel Selbstvertrauen er durch sein Leben ging oder seine Programme laufen würde; letztendlich hatte er dabei immer das Gefühl, nur auf sich allein gestellt zu sein. Einzig Makkachin war sein Gefährte.

Die schleichende, innere Einsamkeit hatte ihn über die Jahre taub gemacht. Sie hinderte ihn daran, sich anderen Menschen zu öffnen und schaufelte so auch langsam seiner Kreativität das Grab. Schon vor Sochi, so sagt er, habe er gespürt, dass er leer war. Dass es nichts mehr gab, was ihn erfüllte oder was er der Welt hätte zeigen können und wollen.

Und diese ganze Situation hatte sich für ihn an jenem Bankettabend schlagartig geändert.

Ich hänge an seinen Lippen und Viktor fährt mit einem sanften, beinahe nostalgischem Ton fort, dass er seit langem nicht mehr so viel Spaß gehabt hatte, wie an diesem Bankett. Dass ihn plötzlich wieder Gefühle durchströmten; echt und voller Lebenfreude. Es habe zwar eine Weile gedauert, sagt Viktor, bis er sich wirklich soweit fühlte, sich vollends auf das Tanzen mit mir einzulassen, aber dann ging alles rasend schnell. Er ließ sich von der Spontanität anstecken und genoss es unendlich, seit Ewigkeiten einmal wieder ungezwungen mit einer Person zu feiern, sich zu amüsieren, einfach nur 'Viktor' zu sein, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Und er gesteht, dass er sich, so unglaublich es für mich gerade klingt, verliebt hat. Was für mich der vielleicht peinlichste Abend meines Lebens war, war für Viktor einer der Schönsten überhaupt in seiner Karriere.

Als wir dann zusammen im Wintergarten am Tisch saßen, -er lehnt sich zu mir, unsere Gesichter nur Millimeter voneinander entfernt- habe er, so flüstert er mir zu, seit langem erstmals wieder das Bedürfnis gespürt, jemandem wirklich nah sein zu wollen und mit dieser Person mehr zu tun. Er wäre bereit gewesen, sich küssen zu lassen, sich berühren zu lassen, vielleicht sogar mit mir zu schlafen.

Mir schießt das Blut mit Hochdruck in die Wangen und bin völlig gefesselt vor Anspannung.

Noch während Viktor mich zurück auf mein Zimmer begleitete, kämpfte er innerlich mit sich, ob er seinem Verlangen nachgeben sollte oder nicht. Dass ich mich abermals um seinen Hals geworfen hatte, machte die Sache nicht einfacher für ihn.

„Und dann?“ frage ich nervös, aber eigentlich kenne ich das Ende bereits. Viktor sieht mir tief in die Augen, seine Hand wandert in meinen Nacken und ehe ich mich versehe, berühren sich unsere Lippen. Zuerst sanft, dann leidenschaftlicher, fordernder, wilder... mir wird furchtbar heiß. Als Viktor sich löst, ist sein Blick sehnsüchtig.

„Du bist noch mal in Fahrt gekommen, Yuuri, bis wir nackt nebeneinander lagen und es hätte nicht mehr viel gefehlt, dass ich auch das letzte bisschen Zurückhaltung über Bord geschmissen hätte. Aber du warst kurz davor, vor Schwindel ohnmächtig zu werden. An meinen Rücken gelehnt bist du schließlich eingeschlafen.“

Ich kann es nicht fassen und mich nicht entscheiden, ob es abgrundtief abscheulich war, Viktor zu verführen oder ob ich mir etwas drauf einbilden sollte, den besten und schönsten aller Eiskunstläufer so leicht um den Finger gewickelt zu haben. Dabei war ich stutzbetrunken, eigentlich war es einfach nur unendlich grotesk...

„Ich habe mich, nachdem du eingeschlafen warst, aus deinem Zimmer geschlichen.“ schließt Viktor die Geschichte. „Du warst völlig am Ende und ich wollte nicht, dass Yakov mich bei dir findet. Also habe ich schweren Herzens meine Klamotten aufgesammelt und bin gegangen.“

Durch meinen Kopf wirbeln die Emotionen. Wie konnte ich das alles vergessen haben? Der Rausch, die Anstregung beim Erbrechen, das Ausschütten meiner innersten und intimsten Gedanken, unsere fast vollendete Nacht... ich muss völlig entkräftet gewesen sein. Mein Unterbewusstsein muss es für besser befunden haben, diese Erlebnisse aus meinem Gedächtnis zu verbannen und war damit überaus erfolgreich gewesen. In meinem Emotionskarusell ploppen weitere Erinnerungsfetzen aus diversen Berichterstattungen auf. Die ganzen Spekulationen vor und nach der Weltmeisterschaft in Tokyo, Viktor Nikiforov habe ein Tief oder habe sich unglücklich verliebt und hätte sich nur deswegen wieder ganz oben auf dem Treppchen platzieren können, weil er die Emotionen in die Kür transportiert hat… Womöglich trafen all diese Vermutungen den Nagel auf den Kopf. Er hatte vielleicht die ganze Zeit auf eine Nachricht, ein Zeichen, irgendwas von mir, gewartet. Vielleicht hatte er gehofft, dass ich nach Tokyo kommen und ihn sehen wollen würde.

Und ich war nicht da gewesen. Ich habe seine Auftritte nicht mal im Fernseh verfolgt. Stattdessen bin ich zu Yuko gerannt und bin Viktors Kür zeitgleich in Hasetsu gelaufen... könnte es sein, dass sie mir deswegen gelungen war? Weil nicht nur er in meinen, sondern auch ich in seinen Gedanken präsent war, sodass wir in gewisser Weise zusammen gelaufen sind? Mein Herzschlag und mein Atem gehen schneller.

„Yuuri?“

Ich sehe in Viktors blaue Augen und ertrinke fast darin. Ich spüre die gewaltige Liebe dieses einzigartigen Menschen, der mit gegenüber sitzt, bis in die Fingerspitzen. Er hat die ganze Zeit über auf mich gewartet... Überwältigt davon falle ich in seine Arme. Zum ersten Mal bin ich wirklich in der Lage, Viktors Handeln zu verstehen; warum er alles aufgegeben hat, warum mein Video ihn nach Hasetsu gebracht hat, was er empfindet und dass es keinen Zweifel daran gibt, dass mein Ring für ihn so viel mehr bedeutet, als nur ein Glücksbringer. Ich kann die Zusammenhänge endlich ungetrübt sehen.

Und ich fange an, mich selbst zu verstehen. Warum ich nicht irgendeinen Glückbringer haben wollte. Warum mich die Suche danach genau zu diesen Ringen geführt hat. Warum ich will, dass Viktor für mich einfach Viktor bleibt. Es ist der Viktor, den ich von Anfang an kennengelernt habe...

Es hat sich alles zwischen uns geklärt. Und ich weiß ganz genau, was ich tun will.

Der Tag nach dem Grand Prix Final, Barcelona (Teil 2)

Nach unserem sehr emotionalen Start in den Tag treffen wir uns mit Yurio, Yakov und Lilia im Frühstücksraum des Hotels. Viktor hat dieses Treffen gestern Abend vereinbart, um über die nächste Saison zu sprechen. Er setzt sich Yakov gegenüber und macht mir zwischen ihm und Yurio Platz, sodass ich, wenn auch etwas beengt, ebenfalls an dem Vierertisch Platz nehmen kann. Yurio liegt mit dem Kopf auf seinen verschränkten Armen auf dem Tisch und kämpft gegen die Müdigkeit. Den ungeöffneten Kondensmilchdöschen vor ihm zu urteilen, darf der Arme nicht mal Kaffee trinken, um munterer zu werden. Er sieht fix und fertig aus.

„Guten Morgen.“ begrüßt Viktor die Runde in etwas zurückhaltendem Ton. „Hey, Yurio, alles klar?

Ich werde mich nie an den Klang von Russisch gewöhnen können. Als würde man sich mit Lauten ständig verschlucken und das überaus amüsant finden. Von Yurio kommt nur ein abfälliges Stöhnen. Für mehr scheint seine Energie nicht zu reichen und ich frage mich, ob er nicht doch Opfer von einem dieser Trinkspiele geworden ist. Falls ja, wäre das die einfachste Erklärung für seinen Zustand, auch wenn er eigentlich noch gar keinen Alkohol trinken darf. Eine Dame vom Service kommt an den Tisch und bringt ein weiteres Service für mich. Sie schenkt mir und Viktor Kaffee ein, lässt die Kanne auf unserem Tisch stehen und nimmt die benutzten Teller mit sich, um uns Platz zu machen. Ich trinke einen ersten Schluck.

„Nun gut, Vitya.“, setzt Yakov ein, der offensichtlich nicht viel Zeit mit Nichtigkeiten vergeuden will. Sein missfallender Blick auf meine rechte Hand macht mir schlagartig bewusst, dass die Sache mit den Ringen längst nicht durchgestanden ist. „Wie hast du dir das nächste Saison vorgestellt? Du willst laufen, aber trotzdem ihn trainieren?“

Die strengen Augen durchbohren mich. Unter dem Tisch greift Viktor meine linke Hand und hält sie fest.

„Ich komme nach Neujahr erst einmal zurück nach St. Petersburg.“, erklärt Viktor und drückt meine Hand ein bisschen fester. „Vorraussichtlich bis Ende März. Was danach ist, also ob ich wieder nach Japan gehe oder ob Yuuri nach Russland kommt, müssen wir sehen.“

„Also hat sich das mit deinem vollen Comeback doch wieder erledigt?“ brummt sein ehemalige Trainer mürrisch. „Du wirst es nicht schaffen, bei den Besten mitzulaufen, wenn du einen Klotz am Bein hast.“

„Yuuri und Yurio haben mir im Finale gezeigt, dass mein Talent bei ihnen bestens aufgehoben ist. Auch wenn es an mir nagt, so muss ich sagen, dass es Dinge gibt, die mir im vergangenen Jahr wichtiger geworden sind, als noch einmal selbst wie ein Besessener einem Titel hinterher zu jagen.“

Jetzt werde ich wirklich rot. Yakovs Augen verdunkeln sich und er sieht fast mörderisch aus, so wenig begeistert ist er von dieser Aussicht.

„Und wofür willst du dann trainieren?“

„Ich will gegen die Beiden antreten und ihre Rekorde zurückholen. Und mir liegt noch eine Sache am Herzen, Yakov.“ sagt er und ich sehe, wie die blauen Augen anfangen zu leuchten. Diese Sache scheint ihm wirklich auf der Seele zu brennen.

„Ich muss ‚Hanarezu ni soba ni ite‘ noch einmal überarbeiten. Ich werde keine Ruhe finden können, wenn ich die Kür so stehen lasse.“ Sein Mund bleibt leicht geöffnet, als wollte er noch etwas sagen, doch Yakov schließt die Augen, schüttelt den Kopf. Offenbar versteht Yakov etwas, was ich gerade nicht verstehe.

„Vitya.“

Der Tonfall jagt mir einen Schauer über den Rücken. Es ist derselbe Ton, in dem meine Eltern manchmal mit mir reden, wenn ich eine unsäglich dumme Idee habe, aber sie nicht anders können, als mich dabei zu unterstützen, weil sie mich lieben. Dass dieser zeternde, strenge Mann diese Töne anschlagen kann, überrascht mich doch sehr. Begleitet von Yurios Geraschel, sich die Ohren zuzuhalten und die Zunge rauszustrecken, fährt Yakov mit demselben Klang in seiner rauen Stimme fort: „Du musst nichts mehr erklären. Es ist bereits alles gesagt. Ich kenne dich länger und besser als die meisten anderen Menschen. Wahrscheinlich war ich der Erste, der dich überhaupt verstanden hat.“

Viktor drückt meine Hand und verschränkt unsere Finger. Ich habe gerade wirklich das Gefühl, als wäre Yakov Viktor’s Vater, der die Lebensplanung seines Sohnes zwar nicht gutheißt, aber nicht anders kann, als ihn gewähren zu lassen, weil er ihn sonst unglücklich machen würde. Mir wird ganz schön mulmig, wenn ich über meine eigene Rolle in diesem bizarren Szenario nachdenke.

„Ich habe dich letzten April nicht freiwillig gehen lassen und du weißt ganz genau warum. Ich halte nichts von dieser vorgeschobenen Trainer-Schüler-Geschichte, da bist du noch absolut grün hinter den Ohren. Nachdem Yuri als Verlierer dieses Wettstreits und ohne dich aus Japan zurück gekommen war, sah ich mich in meiner Annahme bestätigt und dennoch wollte ich nicht glauben, was dich antreibt, deine Zeit mit diesem zweitklassigen Eiskunstläufer zu verschwenden. Das Talent des Japaners gab keinen Anlass dazu, rein professionelle Gründe zu vermuten.“

Er macht eine Pause, blickt zu seiner Ex-Frau, dann wieder zu mir und ich fühle mich vollkommen nackt unter dem Blick dieses grimmigen Russen.

Viktor betrachtet ihn mit erwartungsvollen, angespannten Augen. Sein Puls muss rasen, er bewegt sich keinen Millimeter. Doch Yakovs sonst so stoischen Züge hellen sich für den Bruchteil einer Sekunde auf, um dann wieder in die gewohnten Furchen zurückzufallen.

„Was hab ich mir deinetwegen alles angehört. Ich dachte, mein Schwein pfeift, als du dem Japaner in China um den Hals gefallen bist. Man wollte dich sogar nach Russland zitieren, um mit der Sache aufzuräumen.“

Viktor und ich tauschen schuldbewusste Blicke aus. Jetzt drücke ich seine Hand fester. Ich habe das Gefühl, ihn beruhigen zu müssen, denn er war es, der mich vor allen Leuten geküsst hat. Aber ich bin selbst zu nervös, um etwas sagen zu können. Ich senke meine Augen und starre meinen noch leeren Teller an und mein Bein wippt nervös auf und ab. Yakov fährt fort: „Ich habe mich dann dafür entschieden, es hinzunehmen und deiner Version von Beweggründen zu folgen. Aber krieg' es nicht in den falschen Hals!“

Es entsteht eine unangenehme, spannungsvolle Pause. Dann resigniert Yakov:

„Aber bevor du wieder abhaust, kann er meinetwegen nach Russland kommen.“

Ich horche auf und blicke in das Gesicht meines Freundes. Ich sehe, wie sich die blauen Augen mit Wasser füllen. Seine Hand löst sich, er steht auf und umarmt seinen ehemaligen Trainer, wie es nur ein Kind aus Dankbarkeit seinen Eltern gegenüber tun kann, für die Unterstützung, die es gerade erfahren hat.
 

Auf dem Weg zum Flughafen habe ich viel Zeit mit Nachdenken verbracht. Viktor ist wieder der gewohnte Sonnenschein, seit Yakov ihm heute morgen seinen Segen als mein Trainer gegeben hat. Dass er so gelöst ist, erleichtert mich auch. Im Flugzeug sitzen wir nebeneinander im hinteren Teil und obwohl Viktor schon mehrfach wiederholt hat, in der Holzklasse nicht schlafen zu können, scheint meine Schulter ein einladendes Argument dafür zu sein. Der Platz links neben Viktor bleibt den Flug über unbesetzt und so haben wir ein bisschen mehr Privatssphäre für uns.

„Du solltest auch schlafen, Yuuri.“, schnurrt er mich mit geschlossenen Augen an. „Wenn wir landen, ist das dein großer Auftritt. Du solltest ausgeruht aussehen, jeder wird nur auf dich schauen.“

„Auf dich doch auch.“ nuschele ich zurück, den Blick aus dem Fenster auf das Wolkenmeer unter uns gerichtet.

„Nein, diesmal bist du der Held. Ich bin der Geschlagene.“

„Ohne dich wäre ich nie soweit gekommen...“

„Yuuri...“ Er küsst meine Schulter. „Ich wäre aber auch nicht hier, wenn du mir nicht überzeugt hättest, zu kommen.“

„Ich bin nur dein Programm gelaufen...“

„Ja, und du wirst es wieder laufen.“

Ich drehe mich etwas irritiert zu ihm. Hat er das gerade wirklich gesagt? Ich frage vorsichtig nach: „Wie meinst du das?“

„Ich habe gesagt, dass ich in St. Petersburg ‚Hanarezu ni soba ni ite‘ überarbeiten möchte. Denn ich finde, bzw. fand schon zu Beginn, dass diese Kür eigentlich zwei Protagonisten braucht. Ich kann mir keinen besseren Partner vorstellen als dich. Ich würde mir wünschen, dass wir sie noch einmal zusammen laufen.“

Ich schaue ihn mit ungläubigen Augen an. Dann muss ich unwillkürlich kichern und Viktor sieht verdutzt aus. „Was kicherst du?“ mault er.

„Naja,“ beginne ich und stupse ihm auf den Kopf. „Dass du freiwillig deine Kür mit mir teilst...“

„Ich teile sie nicht mit jedem x-beliebigen.“

„Aber mit deinem verlobten Rekorddieb?“ entgegne ich, immer noch amüsiert.

Jetzt muss auch Viktor lachen und richtet sich auf. „Verlobter Rekorddieb? So, so. Ich kann mich nur an einen Fast-wie-ein-Antrag erinnern. Also sind wir auch nur fast-wie-verlobt.“

„Njaa...“ gestehe ich verlegen. Viktor lacht: „Den richtigen Antrag bist du mir noch schuldig; dafür, dass ich den hier bereits habe.“ Er hält mir seine rechte Hand unter die Nase.

„Ich weiß. Und du wirst ihn bekommen.“, sage ich bestimmt.

Er hält inne, erwidert nichts, perplex, so wie er immer schaut, wenn ich ihn überrasche. Dann entspannen sich seine Gesichtsmuskeln und formen ein Lächeln, dass mein Herz einen Purzelbaum schlagen lässt.

„Ich freue mich darauf, Yuuri.“ ist alles, was in meinen Kopf nachklingt, als seine Lippen meine verschließen. Das Flugzeug kann sich ruhig Zeit lassen, in Osaka zu landen...
 

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Viktor hatte angekündigt, dass wir in Narita landen und umsteigen würden. De facto aber landen wir gerade auf dem Kansai International Airport in Osaka, um in einen Inlandsflieger nach Fukuoka umzusteigen. Was ausgeklügelt erscheinen mag, war letztendlich doch nur seiner Vergesslichkeit geschuldet. Ausnahmsweise hatte es für uns diesmal Vorteile gehabt, denn wir können ohne von Kameras und Mikrofonen begleitet zu werden die Maschine wechseln. Am Zielflughafen in Fukuoka etwa zwei Stunden später kann von dieser Ruhe keine Rede mehr sein. Solange wie der Flug gedauert hat, brauchen wir auch, uns den Weg durch die Gepäckrückgabe, den Flughafen und vorallem durch die japanische Presse zu bahnen und ins Taxi zu steigen. Eigentlich hatte Takeshi uns abholen wollen, aber er kommt nicht durch bis zu uns, so viele Menschen sind zum Flughafen gekommen. Erst als wir im Taxi sitzen, spüre ich, wie müde ich eigentlich bin und ich glaube, man sieht es mir auch an. Viktors Augen sind ebenfalls müde und gerötet, aber dennoch wachsam. Letztendlich hat er im Flugzeug mehr geschlafen als ich, weil er mich als Kissen missbraucht hat. Irgendwie schaffen wir es bis nach Hasetsu. Und Yuko hatte nicht zuviel versprochen, was das Begrüßungskomitee anbelangt. Die ganze Stadt ist auf den Beinen. Hilfe! Seit wann hat Hasetsu soviele Einwohner?! Dabei will ich doch einfach nur schlafen...
 

Als wir endlich bei meinen Eltern zuhause ankommen und überschwänglich von Makkachin begrüßt werden, sind wir seit gut 24 Stunden wach und unterwegs. Mutter kann mich gar nicht feste genug drücken und auch Viktor bleibt von einer innigen Umarmung nicht verschont. Mein Vater dagegen sieht etwas missgestimmt aus und ich kann mir schon denken, wo der Schuh drückt. Bestimmt haben Mari und Minako-sensei schon geplappert. Da die beiden aber erst morgen landen werden, muss ich die Suppe jetzt alleine auslöffeln. Viktor hat sich nämlich ebenfalls aus der Schußlinie gebracht, indem er nochmal mit Makkachin vor die Tür ist.

„Wie war es in Barcelona?“ fragt mich mein Vater mit suspektem Blick, als wir unsere Koffer nach oben tragen.

„Gut. Die Stadt ist sehr schön. Wir waren an der Sagrada da Familia und in der Stadt und auf dem Weihnachtsmarkt. Ich hab euch Souvenirs mitgebracht.“ entgegene ich schläfrig, wohlwissend auf was er hinaus will.

„Da wird sich deine Mutter freuen.“

„Ja.“ Wir erreichen Viktors Zimmer und ich rolle seinen Koffer hinein. Die Bettwäsche ist dunkelblau. Als ob das jetzt noch was ändern würde, denke ich mir und lache mich selbst aus.

„Soll ich deinen Koffer gleich auch hier lassen?“ reißen Vaters Worte mich aus meinen Gedanken.

„Was, nein. Ich nehm den schon.“ antworte ich hastig.

„Ich dachte nur. Mari hatte da etwas erwähnt.“ setzt er schließlich an. Warum kann er das nicht bis morgen sein lassen? Warum jetzt? Aber da er keine Ruhe geben wird, bis er die Antwort hat, die er haben will, resigniere ich. Also dann, kurz und schmerzlos.

„Ich weiß, worauf du hinaus willst. Ja, die Ringe gibt es. Reicht dir das für heute?“

Bei dem Gesicht, dass er zieht, nein.

„Aha. Dann hast du deiner Mutter und mir also nicht noch was zu sagen?“

„Mari hat doch alles schon erzählt, so wie du schaust.“ sage ich genervt.

„Du willst ihn also heiraten, wenn du Gold gewinnst?“

„Ja.“

Vaters Augen verengen sich und ich schnaube. Bitte, mach's kurz, ich habe keine Lust mehr zum Diskutieren heute Abend. Ich will einfach nur noch schlafen.

„Und er will dich heiraten?“

„Ich gehe davon aus.“

In dem Moment fängt mein Vater urplötzlich an, lauthals loszulachen. Er lacht mich tatsächlich aus! Hallo? Was ist daran so lustig? Er soll sich wieder einkriegen!

„Hast du den Antrag schon früher mit den Postern geübt? Kennt er deine Sammlung?“ beömmelt er sich und hält sich den Bauch vor Lachen.

„Vater!“

Er versucht, sich am Riemen zu reißen, wirkt aber dennoch überaus amüsiert und kichert gelegentlich, als er spricht: „Ich hab zu Mari schon am Telefon gesagt, dass du soviel Glück gar nicht haben kannst. Dass er unerwartet vor der Tür stand, war doch schon des Guten zuviel. Aber alles gut, alles gut, fragen kann man ja.“

„Yuuri!“

Viktor ist zurück und wir sehen ihn mit Makkachin den Gang zu uns laufen. Vater dreht sich um, streichelt Makkachin den Kopf und verschwindet mit einem weiteren unterdrücken Lachen und „Gute Nacht“ um die Ecke.

Viktor schaut mich mit großen Augen an. „Was war denn?“

„Nichts.“ antworte ich und bin froh, dass endlich Ruhe ist. Viktors Augen fallen auf meinen Koffer, den ich neben die Zimmertür gerollt habe. „Wo willst du denn mit deinem Koffer hin? Schläfst du nicht bei mir?“

„Doch. Komm, ich fall' gleich tot um.“

„Dein Vater hat irgendwas von mir gesagt, oder?“

„Viktor, bitte.“ entgegne ich gequält, als ich meinen Koffer in sein Zimmer rolle. „Ich will einfach nur noch ins Bett und schlafen.“

„Okay <3"

Die Tage bis Neujahr, Hasetsu.

Die nachfolgenden Tage vergehen schneller als mir lieb ist. Irgendwie war ich davon ausgegangen, dass ich bis Weihnachten sowas wie Ferien haben würde. Zumindest hat Viktor nur abgespeckte Trainigspläne erstellt, was für mich ein eindeutiges Zeichen für Freizeit war. Wie sehr ich mich doch täuschte.
 

Viktor und mir ist es derzeit kaum möglich, einen Tag ohne einen anderen Termin zu verbringen. Es gibt Anfragen für diverse Radioprogramme, Zeitschriftenartikel und Auftritte im Fernsehen. Ich komme mir unendlich blöd vor, als ich diesbezüglich meinen Argwohn äußere und Viktor mir neckend bewusst macht, wie dumm der Gedanke eigentlich war, denn er meinte: „Was hast du denn gedacht, Yuuri? Du brichst den Weltrekord des ewigen Siegers, deines Trainers und Fast-wie-Verlobten und denkst, das interessiert niemanden?“

Natürlich. Natürlich hat Viktor die ganzen Anfragen erwartet. Daher auch dieser kleine Trainingsplan. Er weiß ganz genau, wie der Hase nach einem Podestplatz im Finale läuft. Es ist das übliche Brimborium, dass er nach jedem Sieg mitgemacht hat und welches an mir als stetem Verlierer immer vorbei gegangen war...

Als die Anfragen schon nach nur vier Tagen zu unübersichtlich werden, bietet uns Minako-sensei ihre Hilfe an. Sie sortiert und koordiniert die Termine und achtet penibel darauf, dass Viktor und ich nur von ihr als seriös erachtete Formate zusammen besuchen. Die Klatschtermine (und davon gibt es viel mehr, als ich mit je hätte ausmalen können) lehnt sie direkt ab, um uns unsere Privatssphäre zu sichern.

An ihrem zweiten 'Arbeitstag' eröffnet sie uns, dass wir als Werbegesichter für den Weihnachts-TV-Spot einer in Japan beliebten Männerpflegeserie angefragt worden sind. Während Viktor das Ganze mit einem netten Nicken abtut und mit Minako-sensei bereits über die Inhalte der Anfrage redet, brauche ich noch etwas Zeit, den Schock, dass mein Gesicht überall im Land auf den großen Kanälen gesendet werden soll, zu verarbeiten. Mir schwirrt der Kopf, wenn ich lese, dass neben dem Werbespot im Fernseh noch eine Printkampagne in so ziemlich jedem landesweiten Magazin geplant ist, von der hohen Gage mal abgesehen. Ich wende mich nervös wieder dem Gespräch von Viktor und Minako-sensei zu und bin sogleich irritiert, dass Viktor die Vergütung zu niedrig findet und das obwohl sein Anteil schon wesentlich höher angesetzt ist als meiner. Prompt frage ich nach dem Warum und ernte nur einen irrtierten Blick mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich könnte mich fast selbst ohrfeigen für diese dämliche Frage. Während ich lediglich das Deo des besagten Pflegesets promoten soll, möchte der Kunde Viktor für das dazugehörige Duschgel vor der Kamera sehen und das natürlich ohne Kleidung. Abgesehen davon hat Viktor mit 1,80m Körpergröße, den graublonden Haaren, dem schönen Gesicht und den türkisblauen Augen schon zu Jugendzeiten neben dem Sport immer wieder gemodelt und das ein oder andere Magazincover und Werbeplakat geziert. Nicht selten habe ich früher mit Yuko am Computer gesessen und nach genau diesen Fotos gesucht, die es nie bis in die japanischen Medien geschafft hatten, da die meisten davon nur nationale, russische Kampagnen begleiteten.

Der Erfolg unserer Suchaktionen war aber offenbar nicht ganz so glorreich, wie ich bisher angenommen habe, denn als Viktor beginnt aufzuzählen, für wen, was und für wieviel er bereits vor der Kamera gestanden hat, halte ich kurzzeitig die Lust an. Ich erinnere mich sogar selbst daran, dass Viktor auch schon für große Labels im Rahmen von Fashionevents auf dem Eis performt hat und fühle mich, als hätte ich erst jetzt wieder verstanden, wer seit geraumer Zeit mit mir das Bett teilt... Wenn ich ihm den Antrag gemacht habe, würde ich gerne mal einen Blick auf sein Konto werfen, nur um dann tot umzufallen.

Jedenfalls jubele ich innerlich, dass er vergessen hat, dass er mir eine Rechnung für seine Trainigsstunden schreiben wollte. Bei Gelegenheit und besserem Kontostand würde ich ihn vielleicht daran erinnern.
 

Auf der Wunschliste von Anfragen stehen bei Viktor selbst überraschender Weise Gameshows ganz oben. Er hat schon den Sommer über die ein oder andere Sendung verfolgt und als tatsächlich die ersehnte Anfrage kommt, ist er kaum zu bremsen. Als ich ihn frage, warum er ausgerechnet darauf so abfährt, antwortet er, dass japanische Gameshows auch in Russland den Ruf haben, die beklopptesten der Welt zu sein und dass er das einfach spannend findet. Na dann, viel Spaß, Viktor.

Den Auftritt verfolgen wir live im Fernsehen und ganz Japan erliegt an diesem Abend endgültig dem Charme des ‚Russen mit den blauen Augen‘. Viktor hat sichtlich Spaß und er passt perfekt zu genau dieser Art von japanischen Unterhaltungsformaten, auch wenn man ihm deutlich ansieht, dass er außer den Spielregeln nicht viel versteht. Als die Sendung vorbei ist, wünschen wir uns mit Lachtränen in den Augen, Viktor hätte noch ‚Beat Takeshi‘ miterleben können.
 

Mit all den Terminen verabschiede mich schließlich niedergeschlagen von dem Gedanken, vor Weihnachten auch nur einen ruhigen Tag verbringen zu können, aber immerhin rentiert sich so der Anzug, den Viktor mir zum Geburtstag geschenkt hat. Ich habe auch kaum Zeit, mir über den versprochenen Antrag Gedanken zu machen und die offensichtlichsten Szenarien wie Weihnachten, Geburtstag und Neujahr bin ich schon mehrfach durchgegangen und habe sie alle verworfen. Dass er bereits weiß, dass es einen Antrag geben wird, macht die Sache nicht einfacher. Eigentlich nur komplizierter. Er müsste mit den Gedanken komplett woanders sein, um die Möglichkeit des Antrags in genau diesem Moment ausgeblendet zu haben. Da er allerdings Gefallen daran findet mich zu foppen, weil er schon den Ring, aber noch keinen richtigen Antrag bekommen hat, fällt es mir schwer glauben, dass er selbst nicht ständig daran denkt. Und wenn ich ehrlich bin, will ich auch nicht mehr lange warten. Viktors Rückflug nach St. Petersburg ist für den 4. Januar fest gebucht und es ist immer noch nicht geklärt, ob ich ihm nachziehe oder nicht und wenn ja, wann. Dazu kommt, dass Viktor in den letzten Tagen sehr viel mit Yakov telefoniert hat und die Gespräche bereiten mir zusätzlich Kopfzerbrechen.

Yakov hält nichts davon, dass Viktor nur drei Monate nach Russland kommen will. Ginge es nach ihm, müsste Viktor die komplette neue Saison in St. Petersburg verbringen. Sollte Viktor also Yakovs Anweisung Folge leisten, wäre es am einfachsten, ich würde mit ihm nach Russland gehen. Die Möglichkeit haben wir natürlich durchgesprochen und mir wurde versichert, dass das alles kein Problem sei: Die Wohnung wäre groß genug, das Essen in Russland wunderbar und der Verkehr lebensgefährlich, aber ganz ok, wenn man sich mal dran gewöhnt hat. Aber ehrlich gesagt, ist mir bei dem Gedanken, im russichen Lager zu trainieren, am unwohlsten. Auch wenn Viktor als Trainer streng sein kann, so ist er doch immer noch Viktor mir gegenüber geblieben. Yakov und Lilia sind da garantiert eine ganz andere Hausnummer... es wäre mir wesentlich lieber, wenn wir für uns trainieren könnten, so wie diese Saison, auch wenn es ein sehr egoistischer Gedanke ist. Viktor hat immerhin wegen mir seit fast einem Jahr nicht mehr für Wettkämpfe trainiert, also wäre es nur fair, wenn ich ihn in der nächsten Saison ähnlich unterstütze und ihn bei dem Trainer trainieren lasse, den er sich wünscht.

Yakov hat ihm sogar schon einen Trainingsplan geschickt und wenn ich mir den so anschaue, merke ich, dass auch ein Viktor Nikiforov trotz seines Genies und Talents einiges an Training investieren muss, um seine Leistungen abzurufen. Der Plan klingt wie Folter. Viktor hat bei meinem schockierten Gesicht nur gelacht und gemeint, dass das alles halb so wild sei. Ich hoffe einfach mal, dass er Recht hat.

Aber der Gedanke, dass es wirklich konkret werden könnte, nach Russland zu ziehen, bestärkt mich, Viktor den Antrag noch vor seinem Abflug auf japanischem Boden zu machen. Wenn in Russland erst einmal alles neu für mich ist, hätte ich dafür sicher erst einmal keine Nerven. Ich muss mir also bald was einfallen lassen, sonst bleibt keine Zeit mehr.

Und dann ist bald Weihnachten. Und Viktors Geburtstag. Ob dieser Terminmarathon je ein Ende haben würde?

Minako-sensei hat uns den 25. Dezember bisher erfolgreich freigehalten, damit wir zumindest an diesem Tag verschnaufen können. Meine Mutter steckt schon mitten in den Vorbereitungen und versucht über das Internet herauszufinden, ob Viktor so etwas wie einen Lieblingskuchen hat, den sie bei unserer Stammkonditorei in Auftrag geben kann, ohne Viktor selbst fragen zu müssen. Mein Vater ist bemüht, über unsere Großhändler an russischen Vodka und Snacks zu kommen. Dass sich beide so ins Zeug legen, macht mich überaus glücklich. Viktor gehört für sie schon zur Familie, genauso wie Makkachin. Ich bin mir zwar sicher, dass die Ringe nichts damit zu tun haben und dass meine Eltern dasselbe auch so getan hätten, aber sicherlich bekräftigt es sie in ihren Entscheidungen, Viktor wie ein Familienmitglied zu behandeln. Ich kann zwar ab und zu die argwöhnischen Blicke meines Vaters spüren, wenn wir uns spät abends mit Makkachin unter dem Kotatsu reinrollen, lesen, versuchen uns gegenseitig Russisch und Japanisch beizubringen, einfach nur dösen oder Fernseh schauen, aber im Grunde ist er glaube ich froh, dass ich jemanden habe, der auf mich aufpasst und dafür sorgt, dass es für mich nach vorne geht.
 

Unser Geschenk für Viktor hat ebenfalls einige Zeit und Nerven gekostet. Materielle Dinge würden kaum Sinn machen, da er das, was er braucht, bereits besitzt und hier in Japan auch nur ein Teil seiner kompletten Habe ist und somit das Risiko, etwas doppelt oder gar unpassendes zu kaufen, einfach zu groß ist. Außerdem hat der Ring ein Loch in meinen Finanzen hinterlassen und mein Preisgeld aus dem Grand Prix sowie die Gagen aus den Interviews und Werbespots würden zum Großteil für den Umzug nach Russland und den Lebensunterhalt dort draufgehen, sollte es wirklich dazu kommen. Es wäre mir einfach zu unangenehm, wenn Viktor alle Kosten für mich übernehmen müsste, gerade weil ich weiß, dass er es auch tun würde. Also stellen meine Familie und ich an einem langen Abend ein Fotoalbum mit Fotos von ihm und Makkachin aus dem letzten Jahr zusammen. Auf die letzten beiden Seiten schreibt meine Mutter mit etwas Übersetzungshilfe von Mari und mir zum Abschluss noch das Rezept für Katsudon, sodass er sich in St. Petersburg selbst daran versuchen kann. Die nötigen Zutaten bekommt er in einem Körbchen zu dem Album dazu. Ob er es wirklich ausprobiert, kann ich beim besten Willen nicht abschätzen, aber abgesehen davon hat Yakovs Trainingsanweisung auch eine speziell auf Viktor zugeschnittene Diät beinhaltet, was heißt, dass auch für ihn Katsudon nur noch zu besonderen Gelegenheiten drin ist. Ein bisschen tut er mir schon leid deswegen, aber Mari sagte zu mir, dass wenn ich wegen ihm nach Russland ziehen und er mich bei Laune halten wollen würde, es doch das Mindeste sei, dass er mir mein Lieblingsgericht anbieten könne. Diese eine Ausnahmeregelung müsste doch auch bei einem russischen Trainer drin sein können. Ich musste lachen und fand den Gedanken gar nicht so schlecht, aber ich bin mir sicher, dass Yakov uns diesen Wunsch nicht erfüllen würde.
 

Es scheint auch eine glückliche Fügung zu sein, dass Yakov bereits so früh angefangen hat, Viktor Anweisungen zu geben, denn nur einen Tag nach dessen Geburtstag eröffnet uns Minako-sensei, dass Viktor und ich zum Neujahrsschaulaufen, einer Exhibition im Eiskunstlauf im 1st Gymnasium Ice Rink in Tokyo am 2. Januar eingeladen worden sind.

Wir haben uns entschieden, zu diesem Anlass 'Hanarezu soba ni ite' überarbeitet als Paar unter dem Titel 'Duetto' zu performen. Viktor hat nach dem Entschluss sofort mit einer Schneiderin aus Russland telefoniert und für mich ein passendes Outfit zu seinem in Auftrag gegeben und ich bete, dass alles noch glatt geht und wir uns nicht mit der Zeit verschätzt haben, denn auch zum Trainieren der Performance bleibt nicht viel Zeit und unser Trainingspensum hat sich schlagartig erhöht. Wir proben jetzt jeden Tag bis Neujahr von früh bis spät im Hasetsu Ice Castle an den Hebefiguren, die einige der Sprünge in der Kür ersetzen sollen und die perfekt koordiniert werden müssen. Da kommt es uns zugute, dass wir beide die Kür auswendig kennen und zumindest darauf keine Zeit mehr verwendet werden muss.

Viktor ist während des Trainings auch überraschend kritisch mit sich selbst und er redet oft wie Yakov daher. Wenn ich die Ähnlichkeit nicht schon vorher bemerkt hätte, wäre ich wohl sehr irritiert darüber, aber so hat es etwas amüsantes und beinahe niedliches an sich. Schade, dass Yakov das nicht sehen kann, denn ginge es nach dem russichen Trainer, könnte man meinen, Viktor habe seit der letzten Weltmeisterschaft keine Schlittschuhe mehr angehabt, was aber natürlich nicht stimmt. Auch Viktor ist in der Lage mein diesjähriges Kurzprogramm und die Kür fehlerfrei zu laufen. Es sind seine Choreografieren, die er nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch entworfen hat und unzählige Male mit mir durchgegangen ist. Ich sehe also nicht im Geringsten, dass er fast ein Jahr lang pausiert hat. Und ich spüre, dass er wieder mit der gleichen Ausdrucksstärke, dem gleichen Elan und der gleichen Leidenschaft läuft wie früher. Er scheint seine Tiefphase gänzlich überwunden und neue Energie gewonnen zu haben. Die Faszination, die er kreiert, fesselt mich und mein Herz klopft wie verrückt, wenn ich ihm zusehe... jede Bewegung passt, erzählt eine Geschichte voller Emotionen, zieht mich in seinen Bann und lässt mich nicht mehr los.

Es gibt nichts auf der Welt, was mich glücklicher macht, als ihn wieder eislaufen zu sehen. Und ich weiß ganz genau, wann und wo ich ihm die Frage stellen will, auf die er so sehnsüchtig wartet.

2. Januar des neuen Jahres, Hasetsu.

Es ist fast Mitternacht und ich bin immer noch nicht wieder ganz in der Realität angekommen. Ich kann es noch kaum fassen, so surreal ist der Anlass unserer Runde. Nicht mal ein ist Jahr her, dass Viktor plötzlich in unserem Onsen saß. Nicht mal ein Jahr, dass ich angefangen habe, überhaupt mit ihm zu sprechen. Und jetzt ist Viktor nicht mehr mein unerreichbares Idol aus Kindertagen, er ist (und ich kann es kaum denken, so sehr glühen meine Wangen bei der Vorstellung) mein Mann.

Ein Blick in sein Gesicht verrät mir, dass auch er die Situation immer noch nicht realisiert hat und mit den Nerven ist er sowieso durch. Wir tragen immer noch unsere Outfits unter den Pullovern und auf Viktors geröteten Wangen kann ich die Spuren der Tränen erkennen, die auf unserer Rückreise immer wieder still und leise geflossen sind. Er lehnt müde und erschöpft an meiner Schulter und hält meinen Arm fest, aber er wirkt überglücklich und seine blauen Augen leuchten, wie ich es noch nie zuvor bei ihm gesehen habe.

Wir sitzen nur im kleinen Kreis meiner Familie, Yukos Familie, Minako-sensei und natürlich Makkachin beisammen. Unser Gästeraum ist in der Eile von Yukos Drillingen notdürftig mit Luftschlagen und einigen mit Herzen bemalten Ballons dekoriert worden und es erinnert mehr an einen Kindergeburtstag als an eine Glückwunschfeier zu unserer Verlobung. Vor uns auf dem Tisch hat meine Mutter alles für ein Teppanyaki vorbereitet, auch wenn Viktor und ich nicht in der Lage sind, auch nur einen Bissen zu essen.

Meine Mutter hatte alles für eine Gruppe Gäste eingekauft, die ganz zufällig heute morgen abgesagt hat. Sie hat bis jetzt keine Ahnung, dass es Yuko war, die reserviert und abgesagt hatte, denn sie war eine Verbündete in meinem Plan, Viktor den Antrag zu machen. Die Feier ist in diesem Sinne also nicht ganz so unvorhergesehen wie man meint, aber wir mussten sehr vorsichtig bei der Planung sein, um zu vermeiden, dass Viktor oder Yukos Drillinge davon Wind bekamen. Von der Zeit, die an allen Ecken und Enden fehlte, mal ganz abgesehen.

Da die jüngsten Absprachen mit Yakov tatsächlich darauf hinausgelaufen waren, dass Viktor nicht nur einige Monate, sondern sicher die ganze nächste Saison wieder in St. Petersburg trainieren und ich ihm Mitte Januar nachziehen würde, mussten wir uns einiges einfallen lassen, um zusätzlich zu den Vorbereitungen für seinen und meinen Umzug auch noch den Antrag irgendwie organisiert zu bekommen.
 

Viktor hatte bis zur Umsetzung absolut nichts geahnt. Ich wollte ihn überraschen, in dem er nicht damit rechnen würde und meine Entscheidung war getroffen, als uns nach Weihnachten die Einladung zur Teilnahme an der Exhibition im 1st Gymnasium Ice Rink erreichte. Tagelang hatte ich mir den Kopf zerbrochen, wann und wie ich ihn fragen sollte und diese Gelegenheit war einfach nur perfekt. Irgendwie auch ziemlich verrückt, denn schließlich würden einige tausend Menschen zusehen, die vor den Fernsehern nicht mitgerechnet. Und dennoch rannte ich sofort zu Yuko, um sie um Hilfe zu bitten.

Wir hatten alles bis ins kleinste Detail durchdacht. Zuerst einmal galt es, Viktor zu ermutigen, das Paarlaufen zu „Hanarezu ni soba ni ite“ für den Anlass der Exhibition vorzuziehen und damit nicht bis irgendwann in Russland zu warten. Ich wusste, dass es ihm viel bedeutete und schwitzte Blut und Wasser, während er den Vorschlag abwog und beurteilte. Still betete ich, dass er den Braten nicht riechen würde und fügte schnell hinzu, dass es nicht nur eine gute Gelegenheit wäre, sein Comeback anzukündigen, sondern auch ganz seinem Motto der Überraschungsmomente entspräche, denn schließlich würde jeder die Weltrekordkür zu „Yuri on Ice“ von mir erwarten. Nach vielen qualvollen Sekunden des Wartens stimmte er schließlich zu, jedoch nur unter der Bedingung, dass wir nicht eher aufhören würden zu trainieren und zu proben, bis er zufrieden wäre. Da ich etwas anderes gar nicht erwartet hatte, war die Sache beschlossen. Weiterhin war von Vorteil, dass er so vollkommen abgelenkt wurde. Er hatte fast nur noch die Choreografie und das Training im Kopf, sodass er kaum mitbekam, was um ihn herum passierte und er so Yuko und mir ganz nebenbei die nötige Planungsfreiheit einräumte.

Bezüglich der Abschlusspose, die mir einen raschen, unkomplizierten Kniefall ermöglichen sollte, musste ich Viktor überzeugen, von seiner ursprünglichen Endpose abzuweichen. Er war wenig erfreut darüber, die Schlusspose ändern zu sollen und lehnte zunächst ab. Letztendlich musste er sich aber eingestehen, dass die genaue Übernahme seiner Endpose ein zu hohes Risiko barg, uns gegenseitig die Ellbogen ins Gesicht zu schlagen und so konnten wir uns schließlich auf eine (für mich bessere) Endpose einigen.

Am Heikelsten war es, die Entführung der „Braut“ zurück nach Hasetsu zu organisieren, sodass wir weitgehend unbemerkt dort wieder ankommen könnten. Ich holte Minako-sensei ins Boot und überließ ihr die zeitliche Koordination. Da sie gerade sowieso Viktors und meine Termine verwaltete, war auch das für Viktor kein Grund, Verdacht zu schöpfen. Ähnlich wie die spontane Absage der Gästegruppe bei meinen Eltern, ließ auch Minako-sensei unbemerkt unsere Rückflüge aus Tokyo am Tag der Exhibition von Haneda aus auf eine Verbindung am frühen Abend umbuchen und organiserte einen alten Schulfreund als Fahrer vom Eisstadion zum Flughafen.

Um Viktor so schnell wie möglich aus dem Eisstadion herausbringen zu können, waren auch einige besondere Vorkehrungen zu treffen. Minako-sensei bequatschte die Veranstalter so lange, bis Viktor und ich alle Interviews vor unseren Auftritt gelegt bekamen. Wir waren damit der letzte Auftritt innerhalb der Show. Außerdem bestand ich darauf, dass man uns alle Mikrofone von den Outfits vor der Kür entfernte. Nur Viktor sollte mich in der Mitte der Eislauffläche hören können.

Ich hatte zudem eine extra Tasche vorbereitet, in die wir nach dem Auftritt schnell die Schlittschuhe werfen konnten und in die ich für uns jeweils ein Paar Wechselschuhe sowie zwei Pullover eingepackt hatte. Zum Umziehen wäre uns keine Zeit geblieben, weswegen auch Trainingsjacken und Mäntel bereits griffbereit in der Umkleide liegen mussten.

Die letzte und schwierigste Aufgabe war natürlich, die richtigen Worte auszuwählen. Es durfte nicht zu lang werden, aber auch nicht zu kurz, nicht zu geschwollen und nicht zu plump. Außerdem musste ich bedenken, dass Viktor ein paar Sekunden brauchen würde, um zu realiseren, was ihm gerade widerfährt, denn ich erinnerte mich noch gut an seine Reaktionen in Barcelona.

Die ganze Zeit, die wir beim Juwelier verbracht hatten, hat er keinen einzigen Laut von sich gegeben; auch nicht, als die Verkäuferin ihn nach seiner Ringgröße fragte. Es ebbte auch nicht ab, nachdem ich ihn aus dem Laden in die Kirche neben dem Weihnachtsmarkt geführt hatte. Auch wenn ich eigentlich keinen richtigen Antrag machen wollte; die weihnachtliche Stimmung, die festliche Szenerie, der Chor, der ergreifende Lieder sang; all das hatte unbeabsichtigt eine verträumte und romantische Atmosphäre geschaffen und mein Herz pochte so sehr, dass es mir fast aus der Brust gesprungen wäre. Ich war noch nie so aufgeregt gewesen wie in diesem Moment. Wie ich es geschafft hatte, ihn abseits zu platzieren und ihm den Handschuh auszuziehen, wusste mir schon schon kurze Zeit später nicht mehr. Ich war zu fixiert auf seinen Finger, an den ich den Goldring steckte, um meiner Gefühlswelt und Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen. So habe ich auch nicht mitbekommen, wann Viktor aus seiner Starre aufgewacht und mit seinen Gedanken voll und ganz bei mir angekommen war. Ich habe nur noch wie gebannt zugesehen, als er so ruhig und sanft den identischen Ring auf meinen Finger steckte und mir ein Lächeln schenkte, das nicht nur äußerlich gestrahlt hat, sondern aus den Tiefen seines Herzens kam.
 

Damals war ich zu feige gewesen, meinen Gefühlen vollends nachzugeben. Stattdessen hatte ich versucht, es dem Eiskunstläufer in ihm recht zu machen und war vor mir selbst geflüchtet.
 

Diesmal wollte ich nicht davon laufen. Nicht noch einmal kalte Füße bekommen und ihn versetzen. Diesmal musste ich es durchziehen... Phichit hatte Recht. Viktor hat keinen Zweifel an der Tatsache gelassen, dass er mich liebt und deswegen war es jetzt an mir, ihm zu beweisen, dass meine Liebe ihn auch an dem Ort erreicht, an dem er einst vergeblich gewartet hatte.
 

_______________________________________________
 

„Hanarezu ni soba in ite“
 

Es ist eine Liebeserklärung, wie sie vollkommener nicht sein kann. Wir tragen sie gemeinsam in die Welt hinaus. Die wahrscheinlich Schönste aller Facetten von Liebe, die nur zwischen zwei Liebenden existiert, die vom Schicksal füreinander bestimmt sind. Die Präsenz von Viktor neben mir auf dem Eis hat alle Nervosität fortgeblasen. Ich fühle nicht mehr den geringsten Zweifel in meinen Bewegungen und meinen Gefühlen. Dieser Mann gehört mir; es gibt nur noch ihn und mich. Er führt mich, hält mich, unterstützt mich, baut mich auf, gibt mir Liebe und das Gefühl, dass nur ich es bin, den er für immer bei sich haben will.
 

Wir gleiten über das Eis, im Takt mit der Musik. Es ist noch dunkel, nur die Scheinwerfer erhellen einen Kreis um uns herum, das Eis glitzert und LED-Lichter in Lila und Blau zaubern wunderschöne Schimmer passend zu unseren Kostümen in das ausverkaufte Stadion. Der letzte Takt verklingt, die Kufen kommen zum Stehen und das Licht hebt zaghaft den Schleier der Dunkelheit von der Eisfläche. Das Publikum feiert und applaudiert uns für diese perfekt gelungene Vorstellung.
 

Ich lasse mich ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden nach unten auf mein Knie gleiten. Ich halte Viktors Hand und er folgt meiner Bewegung mit seinen blauen Augen; überrascht von der nicht vollendeten Verbeugung und ich sehe, wie sich der gleiche Blick, den ich aus Barcelona kenne, über sein schönes Gesicht legt. Er hält gänzlich inne. Um uns herum wird es mit einem Mal mucksmäuschenstill. Der Applaus hält den Atem an und die Szenerie friert ein.
 

Es ist soweit. Sieh nur mich an, Viktor, wende deinen Blick nicht von mir ab. Ich bin entschlossen wie nie, vor aller Welt dieser Kür die Krönung aufzusetzen.
 

Ich atme tief ein.
 

„Viktor Nikiforov.“ Meine Stimme ist klar und ruhig. Es gibt nichts anderes, was ich jetzt tun wollen würde. Du blickst in meine Augen wie hypnotisiert und ich halte deine Hand weiter, spüre den Ring an deinem Finger.
 

„Dass ich einen zweiten Anlauf brauche, soll meiner Entschlossenheit keinen Abbruch tun. Ich danke dir, genau an diesem Ort bis zu diesem Moment auf mich gewartet zu haben. Ich wünsche mir, dass du mich in Zukunft durch mein Leben begleitest, als der Viktor, der du sein willst und den ich für immer an meiner Seite wissen will. Hier und jetzt vor allen Menschen, die zusehen – willst du mich heiraten?“
 

In deinen Augen kann ich sehen, dass die Emotionen dich überrennen. Du hast es nicht kommen sehen. Nicht hier, nicht so plötzlich, nicht so intensiv. Dein Körper bebt, deine Hand zittert. Ich halte sie fest und die Sekunden ziehen sich bis in die Unendlichkeit. Das Schweigen schreit unerträglich; meine Knie werden weich, mein Magen dreht sich um. Ich fange an zu schwitzen und meine Hände werden kalt, je länger diese endlose Stille anhält und das Blut rauscht durch meinen Körper. Mir wird fast schwindelig.
 

Dann fühle ich, wie der Griff deiner Hand stärker wird, du mir deine andere reichst und mich nach oben ziehst, sodass ich vor dir zum Stehen komme, nur einige wenige Zentimeter von deinem Gesicht entfernt.
 

„Katsuki Yuuri,“ dringt deine liebevolle Stimme von nah und doch so fern an meine Ohren, „es gibt nichts auf der Welt, das ich lieber täte.“
 

Die Anspannung hält an.
 

„Ja, ich will.“
 

„Viktor!“
 

Mit meinem Ausruf kommt die Lautstärke zurück, wir fallen uns in die Arme, halten uns fest, der Ort füllt sich mit ohrenbetäubender Euphorie, ich kann die Menschen jubeln und klatschen hören, die heiserne Stimme des Kommentators, der ins Mikrofon schreit und keine Worte finden kann, für das, was passiert ist.
 

Ich spüre nur noch dich.
 

Hier und jetzt für immer, an deiner Seite.
 

~ENDE~

Ein Leckerli: Männergespräche. 3. Januar, Hasetsu.

Ich fühle mich jetzt schon unwohl, dabei weiß ich noch nicht mal, worum es geht. Vater hat mich genötigt, ein „Männergespräch“ mit Viktor zu arrangieren. Die Ankündigung fand Viktor unglaublich spannend und hat direkt zugestimmt, aber mir schwant Böses. Ich kenne meinen Vater ja besser als er. Hoffentlich wird es nicht zu peinlich... Also sitzen wir nun um unseren Wohnzimmertisch, Vater gegenüber von Viktor mit einem Gesicht zum Fürchten und ich undankbar in der Mitte als Übersetzer.

Yuuri,“ beginnt mein Vater, nachdem wir uns eine Weile nur angeschwiegen haben, „sag ihm, dass es um ernste und grundlegende Dinge geht, die wir hier bereden. Er grinst mir eine Spur zu breit.

Das fängt ja schon mal super an. „We’ll talk about serious matters, so could you look a little less excited?“

„Okay.” Das Grinsen ist weg.

Ist in Ordnung.

Gut.“ Vater verschränkt die Arme, er fixiert seine Augen auf Viktor. „Also, es geht darum, dass ich mich als Yuuris Vater davon überzeugen muss, dass es meinem Sohn auch gut geht, wenn er nach Russland zieht, um zu heiraten.

Moment mal, niemand hat gesagt, dass wir in Russland heiraten!“ platze ich heraus.

Ist doch egal wo, offensichtlich ist er schon mit dem Gedanken hergekommen, dich mit dorthin zu nehmen! Und Russland ist was anderes wie Amerika, viel unsicherer und gefährlicher.“, plustert er sich auf. Ich hoffe mal, dass es wirklich nur darum geht. Ich drehe mich zu Viktor.

„He’d like to make sure you can take care of me well enough.“

„Oh, I see.” Das Grinsen ist zurück. „Well, I guess there’ll be no problem at all. My apartment is big enough, I have saved up enough money to make a living for the both of us and since it’s not far from the home rink, you won’t die in a car crash, either.”

„My father says Russia is much more insecure than America.”, füge ich hinzu. „But actually I have told him about all this already…”

„As long as you stick with me and do not sneak into areas one should better not get himself into it’s not more dangerous than the US. Save the traffic, of course.”

Ich atme einmal tief durch und wende mich wieder meinem Vater zu: „Ich hab dir alles schon gesagt. Vom Verkehr mal abgesehen, gibt es kaum Unterschiede. Die Wohnung ist groß genug und liegt nah an der Eishalle. Viktor hat im Notfall auch genug Geld für uns beide. Und so lange ich mich nicht irgendwo rumtreibe, sondern in seiner Nähe bleibe, ist alles gut.

Das weiß ich, Yuuri.“, antwortet mein Vater unwirsch.

Warum frägst du dann?

Ist dir aufgefallen, dass wir wesentlich mehr weibliche Badegäste haben, seit er hier ist?

Ich schaue ihn perplex an. Was ist das denn für ein Themawechsel? Bevor ich antworten kann, fährt er fort: „Und weniger männliche? Sogar einige Stammkunden bleiben aus, seit er hier ist.

Was hat das jetzt mit meinem Umzug nach Russland zu tun? Ja, wir haben insgesamt mehr Gäste, seit Viktor hier ist, aber doch nicht so signifikant mehr oder weniger, wie mein Vater das gerade behauptet. Und überhaupt, wie kommt er jetzt auf so etwas???

Und was hat das mit mir zu tun?

Eine ganz Menge!“ ereifert er sich. Ich verstehe nur Bahnhof. Viktor schaut schon überaus interessiert zwischen mir und meinem Vater hin und her und wartet auf Info, während er Makkachins Kopf krault.

Verrätst du mir auch was?“ frage ich genervt. Ich verliere langsam die Lust an dieser kryptischen Unterhaltung und verfluche mich sogleich, dass ich es wirklich wissen wollte. Denn was mein Vater jetzt zum Besten gibt, beschert mir den potenziell krassesten Moment für das gesamte neue Jahr; dabei ist es gerade Mal der 3. Januar und ich habe mich gestern vor einem Millionenpublikum verlobt:

Unsere männlichen Gäste fühlen sich in ihrer Ehre gekränkt.

WAS?! Mir klappt die Kinnlade runter. Das ... das ist nicht sein Ernst?! Meint er das grad wirklich?! Er will, dass ich Viktor das sage??? Ich muss das erst mal fangen... Vielleicht meint er es anders? Gut, Viktor ist groß, trainiert, gut gebaut... Ja, an manchen Stellen auch besser gebaut als der Durchschnittsjapaner.

Scheiße, er meint es doch nicht wirklich genau so?!

Bei dem Schock in meinem Gesicht lächelt Viktor mich nur noch neugieriger an. „What’s up?“

Und was dich anbelangt,“ setzt mein Vater wieder an und ich schlage die Hände über die Ohren.

Nein, ich will’s gar nicht wissen! Sei still! denke ich und hoffe, dass das alles gerade nicht passiert.

Du hälst ihn gefälligst noch ein bisschen auf Abstand. Du bist viel zu zierlich. Du musst erst ein bisschen zulegen. Der haut das Ding doch durch, wenn er genug Schwung hat!

Vater!“ jaule ich gequält mit hochrotem Kopf. Ich raste gleich aus, was für ein schrecklich peinlicher Film läuft hier gerade?

„Wow, wow, Yuuri, what’s up?“ lacht Viktor. Auch Makkachin hat seinen Kopf über den Tisch gehoben.

Vater!“ rufe ich aufgebracht. „Kannst du dich bitte aus unserer Beziehung raushalten?!

Seine Augen verengen sich und er lehnt sich vor zu mir: „Nein, kann ich nicht, denn du willst ihn ja heiraten, da ist es meine Pflicht sicherzustellen, dass er dich ordentlich anfasst! Der bricht dir sonst noch was!

Er bricht mir gar nichts!“ heule ich und mein Kopfkino fährt Achterbahn mit zu vielen Loopings.

Ach so?“ Vaters Gesicht ist jetzt noch näher, der Blick noch giftiger. „Dann hat er dir dich schon soweit gehabt, ja?

Ja, und frag nicht auch noch wie oft! schießt es durch meinen Kopf und ich muss mich verdammt anstrengen, dieses Kopfkino zu unterbinden.

„Yuuri, why are you so red in the face? Won't you let me know?“ :D

Nein, gerade nicht, Viktor! Und schau mich nicht so an, das macht's nur schlimmer! Ich kann sehen, dass er auch ohne Japanischkenntnisse gemerkt hat, dass es hier eindeutig nicht mehr um Wohnungen oder Lebensunterhalt geht. Ein schiefes Grinsen liegt auf seinen Lippen.

Yuuri, was grinst er schon wieder so? Sag ihm, dass ich erwarte, dass er dich mit dem nötigen Respekt behandelt!

„I can't help it if I'm not told, Yuuri.“

Yuuri, ich verlange, dass du ihm das klarmachst!

„I really can't take care without you telling me.“

RUHE, alle beide! Quiet!“ rufe ich und haue die Hände auf den Tisch. „Viktor!“

„Yes?“

„The talk is over.“

„Oh, okay...?“ Er schaut schaut überrascht von meinem plötzlichen Ausbruch. Ich greife nach seiner Hand, die gerade noch mit Makkachin beschäftigt war und stehe auf. Viktor tut es mir gleich, allerdings sichtlich irritiert.

Yuuri, unser Gespräch ist noch nicht beendet!“ protestiert mein Vater.

Ich drehe mich zu ihm um und strafe ihn mit einem vernichtenden Blick. Wenn er meint die Hölle lostreten zu müssen, dann kann er das haben.

Du hast noch genau einen Tag Zeit, dich persönlich davon zu überzeugen, ob er zum Ehemann taugt oder nicht. Du kannst beispielweise bequem hier sitzen bleiben, Viktors Zimmer ist genau über diesem und nein, Makkachin ist nie auf Viktors Bett herumgehüpft.

Mein Vater sitzt da wie vom Donner gerührt. Ich wende mich an Viktor: „Let's go upstairs, we still haven't packed all of your stuff.“

Bevor dieser etwas dazu sagen kann, ziehe ich ihn aus dem Zimmer, Makkachin direkt hinter uns. Als wir vor seinem Zimmer stehen, in dem sich bereits eine Vielzahl von Kartons staplen, fragt er: „Yuuri, I still need some of this stuff until tomorrow, you know?“

„I know.“ sage ich und ein Grinsen legt sich auf meine Lippen. „But it'll make some noise.“

Und außerdem hat niemand gesagt, wessen Hintern der Leidtragende ist.
 

~ ENDE ~


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen :)

Im nächsten Kapitel ist es soweit! Am Montag (24. April) stelle ich den letzten Teil dieser FF online.
Ich freue mich, dass ich doch einige Leser erreichen konnte und es wäre echt toll, wenn auch der letzte Teil euren Geschmack treffen würde.
Über euer Feedback bin ich jederzeit dankbar, also lasst vielleicht einen Kommi da, wenn ihr etwas loswerden wollt :D

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Kommentare zu dieser Fanfic (26)
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Von:  whitedeamon
2017-07-12T14:30:19+00:00 12.07.2017 16:30
Hier bin ich nun und hab nach langer Zeit es endlich geschafft und die Story in einem Rutsch durchgelesen. Und obwohl ich ein extrem kommentarfauler Mensch bin, der selbst den Freunden seltenst online Lob oder Kritik um die Ohren haut, kann ich hier nicht anders...

Eigentlich ist die Geschichte so ziemlich alles, was ich im ersten Moment nicht mag. XD
Die Perspektive der ersten Person Singular ist mir generell eher ein Graus (war es schon zu Schulzeiten), mehr als drei Kapitel (ich hab doch so gut wie nie Zeit) und dann noch zu einer Serie, die mir wirklich am Herzen liegt (ein zu großes Risiko, dass der/die Autor/in Dinge udn Charaktere anders interpretiert als ich).

Doch hier haben wir das große ABER: Die Story ist so gut, die Idee so schön und dein Schreibstil so gar nicht plump, wie ich es so oft von der Ich-Perspektive kenne.
Man kann mit den Charakteren mitfühlen, ohne im Kitsch zu ertrinken und lachen bis einem die Tränen kommen (das Bonuskapitel hat mich so gekillt) und obwohl ich dachte "Na, den Antrag kennst du jetzt ja schon." hatte ich trotzdem Gänsehaut und musste mich arg zurücknehmen um nicht im Büro (ja ich las Fanfiction während der Arbeitszeit) in Tränen der Rührung auszubrechen.

Ich würde gerne mehr als nur einmal den 'Favoriten-Button' drücken, denn es machte so viel Spaß deine Geschichte zu lesen. <3 Ich freue mich unglaublich darauf, die nächste in Gänze serviert zu bekommen.
Antwort von:  Flokati
12.07.2017 17:46
Wow!
Das ist der bis jetzt längste Kommi überhaupt! Und das, obwohl gerade du ja eh alles bis ins so gut wie kleinste Detail kennst <3
Ich freu mich mega und du weißt ja, was alles an den Start kommt.
Ich hab dich lieb <3
Von:  xXajameXx
2017-07-01T19:02:10+00:00 01.07.2017 21:02
Ich hab mich schon lange nichtmehr so vor lauter lachen weggeschmissen! Ein echtes leckerlie, wirklich.
Mach weiter so, ich freue mich auf die Fortsetzung <3
Antwort von:  Flokati
01.07.2017 21:11
Vielen Dank, das freut mich ;D
Von:  Lady_Shanaee
2017-05-04T01:38:10+00:00 04.05.2017 03:38
Ich möchte bitte eine ganze Kiste voll von diesen Leckerlies! Meine Beta und ich können nicht mehr vor Lachen! XD
Antwort von:  Flokati
04.05.2017 17:59
XDD
Da müsst' ihr noch ein bisschen warten, mein Hirn hat bisher nur dieses eine hervorgebracht xD Wenn ich wieder einen Geistesblitz habe, lass ich es euch wissen!
Von:  LittleGiantHina
2017-04-30T19:18:47+00:00 30.04.2017 21:18
Echt Super! :D
Antwort von:  Flokati
30.04.2017 22:19
Danke sehr :)
Von:  Hakuya
2017-04-30T00:48:55+00:00 30.04.2017 02:48
Hahaha! Sehr gut gekontert Yuuri XD
Aber können wir nicht noch einen R-18 Teil haben? XP
Antwort von:  Flokati
30.04.2017 10:00
Mal schauen, vielleicht findet sich eine Gelegenheit in der nächsten FF? ;)
Von:  --lina--
2017-04-29T22:46:48+00:00 30.04.2017 00:46
Oh bitte bitte mehr xD
Ich habe das Leckerli verschlungen und bin süchtig! Gott ist die toll xD
❤️❤️❤️
Habe mich bekrümelt xD Herrlich!
Antwort von:  Flokati
30.04.2017 09:59
Danke, das freut mich XD
Von:  Hakuya
2017-04-24T21:40:08+00:00 24.04.2017 23:40
Awwww das war wuuunderschön. Habe die ganze Geschichte wirklich verschlungen *_*
Antwort von:  Flokati
25.04.2017 07:45
Vielen Dank! :D
Das freut mich!
Von:  LittleGiantHina
2017-04-24T19:41:46+00:00 24.04.2017 21:41
Omg es war soo wunderschön! Ein richtig tolles Ende. <3
Antwort von:  Flokati
25.04.2017 07:44
Dankeschön, das freut mich! :D
Von:  --lina--
2017-04-24T19:24:49+00:00 24.04.2017 21:24
Omg omg omg!!! ;////////; Es ist sooooooo schön. Oh bitte bitte bitte schreib noch etwas :'D
Danke dir vielmals für diese schöne Geschichte! ❤️❤️❤️
Antwort von:  Flokati
25.04.2017 07:44
Vielen Dank :D

Ich hab noch viel Material, das zu schade für die Schublade ist, also mal schaun. Aber mit dem versprochenen Leckerli ist diese FF definitiv fertig.
Antwort von:  --lina--
25.04.2017 10:40
Dann wartenich vorerst aufs Leckerli und dann auf ein neues Werk :3
Es hat einfach nur Spaß gemacht die FF zu lesen ❤️
Von:  --lina--
2017-04-23T21:03:23+00:00 23.04.2017 23:03
Omg so schön ;////;
Antwort von:  Flokati
24.04.2017 07:47
Dankeschön :D


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