Bride Squad - Wundertüte J
“Nicht dein Ernst, Emily.”
Giulia klemmt sich das Handy zwischen Schulter und Ohr und zieht das Shirt vollständig aus dem Paket. Es ist...winzig. Winzig und elastisch und schwarz. Darauf in sehr großen Glitzerlettern: Bride Squad.
Emily am anderen Ende kichert, offensichtlich sehr zufrieden mit sich. “Ich hab doch gesagt, die Shirthersteller hier in Vegas sind der Hammer. Und gekostet hat es auch kaum was.”
Ja, weil nämlich nicht genug Stoff verwendet wurde. Sie weiß ja, dass Crop Tops wieder voll im Trend sind, aber doch nicht… so.
“Wie sieht denn das für Mao aus?”, erklingt Mathildas leise Stimme.
“Oh, es ist fabelhaft!”, ruft Emily, “Weiß mit pinken Pailletten. Und natürlich steht ‘Bride’ drauf statt ‘Bride Squad’. Sie wird ausrasten!”
Japp, das wird sie, da ist Giulia sich sicher. Mao ist frech und schlagfertig - und ein totales girly girl. Giulia liebt sie dafür. Und ein bisschen liebt sie auch Emily, weil die sich so unglaublich viel Mühe gibt. Und dafür wird sie ihren Stolz herunterschlucken und den Junggesellinnenabschied auch in diesem Shirt durchziehen, komme was wolle!
Vor ziemlich genau einem Jahr haben Rei und Mao sich verlobt. Fast genauso lange laufen nun schon die Vorbereitungen. Dabei wollte Mao ursprünglich gar keinen Junggesellinnenabschied; es waren Emily und, ja, Giulia selbst, die sie mit der Idee ansteckten. So kam eins zum anderen und aufgrund der räumlichen Entfernung zwischen ihnen allen ist aus einem Abend schnell ein kleiner Urlaub geworden, den sie ausnahmsweise einmal ganz ohne Männer verbringen wollen. Das ist tatsächlich leichter gesagt als getan. Sie alle mussten sich von “das ist nicht sicher” bis “wer soll dir denn die Haare hochhalten wenn du kotzen musst” so einiges anhören (dabei sind es, ganz ehrlich, immer die Jungs, denen die Haare hochgehalten werden müssen, aber das darf frau ja wieder nicht laut sagen…).
Nun, alle Tickets sind gebucht und Giulias Tasche schon fast gepackt. Übermorgen geht der Flug nach Bangkok.
Drei Tage später liegt das ‘Bride Squad’ am Strand in der Sonne: Giulia, Emily, Mathilda, Hiromi und Mao. Die Hauptsaison ist gerade so vorbei und die meisten Touristen daher schon weg. Sie haben einen Bungalow gemietet, der etwas weiter hinten im Schatten der Bäume steht. Gleich am Anfang hat Giulia im Badezimmer einen Gecko entdeckt, von dem sie hofft, dass er sich verzieht, sobald es ihm mit der Klimaanlage zu kalt wird. Draußen schleichen überall kleine, schlanke Katzen mit riesigen Ohren herum. Sie fühlt sich, als läge sie in einem Postkartenmotiv. Das Wasser allerdings erfrischt nicht, es ist lauwarm.
Emily ist von ihnen allen am glücklichsten, ihr Team für eine Weile los zu sein. Sie blüht richtig auf, ist noch vorlauter als sonst und flirtet mit allem, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Giulia drückt ihr jedes Mal die Daumen, ist sich aber nicht sicher, ob die Amerikanerin es überhaupt ernst meint. Mao hingegen vermisst ihren Zukünftigen jeden Tag. Wahrscheinlich ist es ein gutes Zeichen, aber manchmal drückt ihr trauriges Seufzen die Stimmung. Dabei soll es doch um sie gehen. Hiromi wiederum ist einfach nur froh, dass ihr nicht ständig jemand widerspricht oder herumnörgelt, sobald sie etwas sagt. Sie, die sonst so viel organisiert, lässt nun fünfe gerade sein und schaut am Abend gerne mal tiefer ins Glas. Sorgen machen muss sie sich nicht, die anderen bringen sie immer in ihr Bett zurück. Mathilda und Giulia wechseln sich irgendwie ab in der Rolle der Glucke. Eine muss ja aufpassen. Mathilda hat erstaunliches Durchsetzungsvermögen bewiesen, sie alle gehorchen ihr aufs Wort wenn es sein muss. Und Giulia lässt es gerne auch mal ruhig angehen, ist dann die stille Beobachterin und diejenige, die flirtwütige Männer mit einem Blick verscheucht.
Abends sitzen sie mit Gin und Tonic am Strand in der Dunkelheit. Etwas weiter Richtung Wasser tröpfelt ein Touristenstrom an ihnen vorbei, auf dem Weg zum nächsten Restaurant. Es gibt dort eine Gruppe Feuerschlucker, die jede Nacht ein ziemliches Getöse veranstalten, doch die haben sie schon längst gesehen. Ansonsten ist es sehr ruhig, auch das ein Vorteil der Nebensaison. Sie sind weitestgehend ungestört.
“Also, hm”, macht Mao und überlegt eine Weile. “Ich habe noch nie… gekifft!”
“Du Unschuldslamm”, sagt Emily und trinkt aus ihrem Becher; Giulia tut es ihr gleich, doch sie beide sind die einzigen. Ups.
Jetzt ist Mathilda an der Reihe. Auch sie muss etwas nachdenken, denn sie spielen schon eine ganze Weile und langsam gehen ihnen die Ideen aus. Allerdings sind Mathilda und Hiromi noch ziemlich nüchtern, sodass die übrigen in stummer Übereinkunft nun versuchen, Dinge zu finden, bei denen die beiden trinken müssen. Das ist gar nicht mal so einfach.
“Ah!” Mathilda lächelt ihr verhaltenes, aber siegessicheres Lächeln. “Ich war noch nie in Kai Hiwatari verschossen!”
Giulia fühlt, wie ihr Gesicht heiß wird und trinkt, genauso wie Emily und - endlich! - Hiromi. Mathilda sieht sie erstaunt an und Giulia hebt beinahe entschuldigend die Schultern. Das ist nun schon sehr lange her.
“Tja, und dann schwimmt er doch zum anderen Ufer”, sagt Hiromi, “Okay, ich bin dran. Ich war noch nie … oh, ich war noch nie in eine Frau verliebt. Glaube ich.”
“Das sagst du doch jetzt nur, weil mich die Barkeeperin vorhin abgeblitzt hat!”, beschwert Emily sich und trinkt. Giulia hebt ebenfalls ihr Glas zum Mund und lächelte Mathilda an, die auch an ihrem Drink nippt. Jetzt muss sie selbst etwas sagen, aber sie ist vorbereitet: “Ich habe noch nie gegen Emily beim Beybladen verloren!”, ruft sie und bekommt einen Schubs von Emily, sodass sie seitwärts im Sand landet, doch das hat sich gelohnt: Hiromi und Mathilda müssen trinken.
“Tja, und ich habe noch nie gegen jemanden aus dem russischen Team gebladet!”
“Das stimmt nicht, Em, du hast gegen Kai verloren in Moskau, als er bei Borg war!”, entgegnet Mao sofort und Emily wirkt tatsächlich, als hätte sie das vollkommen vergessen. “Ups, ach ja, stimmt. Okay, ich formuliere anders… Ich habe noch nie gegen Yuriy Ivanov gebladet - yes!”, ruft sie, als Mathilda das Glas hebt. Giulia muss auch wieder trinken.
Jetzt sind sie wieder bei Mao angelangt, und sie sieht nun sehr siegesgewiss aus. “Okay Ladies, ihr könnt jetzt alle euer Glas wegexen. Ich war nämlich noch nie” Sie macht eine Kunstpause, “in eine Person aus einem anderen Team verknallt.”
Sie alle seufzen und sie alle prosten sich zu, bevor sie ihre Becher leeren.
Giulia steht vor dem Spiegel und zupft an ihrem “Bride Squad”-Shirt herum. Es hilft nichts, der Stoff endet definitiv kurz unter ihrem Bauchnabel. Ihr Bikinihöschen passt farblich nicht zu den grellen Lettern und sie kann nicht verhindern, sich mal wieder lächerlich zu fühlen. Wenn sie in Madrid Touristinnen in so einem Aufzug sieht, rümpft sie immer die Nase. Eigentlich hasst sie Junggesellinnenabschiede.
“Du siehst süß aus.”
Sie dreht sich um und sieht Mathilda an, die sie aus schüchternen Augen betrachtet. Bei ihr sieht das Shirt schon ganz anders aus, sie ist ja auch ein Stück kleiner. Auf dem Kopf trägt sie Maos großen Sonnenhut. Giulia lächelt. “Danke. Du auch.”
“Oh nein!”
Bei Maos Aufschrei zucken sie zusammen. Die Braut in Spe kommt aus dem Bad gestürmt, als hätte sie einen Geist gesehen. “Wo ist mein Handy? Ich hab ganz vergessen - die Blumen - ich muss Rei -” Wie immer, wenn ihre Gedanken sich um die Organisation der Hochzeit drehen, wird Mao so nervös, dass sie keinen geraden Satz mehr hervorbringt. Um genau solche Situationen zu vermeiden, haben die anderen ihr ein Handyverbot auferlegt; nichtsdestotrotz können sie nicht gänzlich verhindern, dass Mao in regelmäßigen Abständen irgendetwas einfällt, das sie angeblich vergessen hat.
“Gar nichts musst du”, sagt Giulia bestimmt, “Außer dich mit Sonnencreme einreiben und an den Strand legen.”
“Aber ich weiß doch gar nicht, ob mit der Blumendeko alles klappt, wie es soll! Die wollten mir doch jetzt irgendwann Bescheid sagen!”
“Glaub mir, Rei hat alles im Griff”, schaltet sich nun auch Hiromi ein, die zwar gerade erst dazu gekommen ist, aber mal wieder sofort versteht, worum es geht. “Wenn du willst, kann ich kurz bei Rei checken, ob alles läuft, aber du bekommst dein Telefon nicht! Außerdem glaube ich, dass er heute auch mit den anderen Jungs feiern geht, also möchte ich ihn ungern stören. Ich bin sicher, es ist alles gut.”
“Und selbst wenn irgendwas schief geht, ihr habt genug Kohle, um kurzfristig noch was nachzubestellen”, fügt Emily hinzu. Das stimmt, da Rei sich Geld von Kai geliehen hat. Der scheint generell wenig Probleme damit zu haben, seinen Freunden finanziell unter die Arme zu greifen. Zumal gerade diese Hochzeit auch sehr groß werden wird, weil Rei und Mao nämlich alle Blader eingeladen haben. Giulia vermutet, dass Kai das Ganze wie eine Spende an die Blader-Community betrachtet, aber in ihrer Gegenwart würde er das natürlich nie zugeben. Sie plant, ihn auf der Hochzeit einfach betrunken zu machen und die Wahrheit aus ihm herauszuquetschen.
Mao hat sich auf eines der Betten geworfen und Mathilda setzt sich nun neben sie, um ihr beruhigend über den Rücken zu streicheln. “Mach dir doch nicht immer solche Gedanken”, sagt Hiromi, dann kommt sie auf Giulia zu und zeigt ihr unauffällig ihr Handy. Auf dem Bildschirm läuft eine Instagram-Story ab: Takao und die anderen beim Feiern. Anscheinend muss Rei sich in einer Reihe hirnrissiger Spiele beweisen, dann enden sie in einer Kneipe und die Bilder werden immer verschwommener. Kurzum: Von ihren Jungs ist gerade niemand in der Lage, Fragen zu irgendeiner Blumendeko zu beantworten. Giulia sieht Hiromi an und beide heben in einem stummen Einverständnis die Schultern.
Irgendwann in diesen Tagen befindet Giulia, dass sie mehr reisen muss. In Europa ist sie schon gut herumgekommen, aber seit der letzten Beyblade-Meisterschaft war sie auf keinem anderen Kontinent. Sie mag Thailand, auch wenn ihr bewusst ist, dass es das Touristen-Klischee-Thailand ist, das sie hier sieht. Sie hätte nichts dagegen, noch einmal wiederzukommen und mehr von diesem Land zu sehen. Ein bisschen beneidet sie Raoul, der nun regelmäßig in China bei Lai ist. Sie kann nicht verhindern, dass sie sich manchmal allein gelassen fühlt. Es ist wahrscheinlich nur natürlich, schließlich hat sie den Großteil ihres Lebens mit ihrem Bruder verbracht. Dabei ist es doch ganz einfach, zu verreisen: Sie muss nur ihre Freundinnen fragen, ob sie sie besuchen kann. Emily in den USA, Mao in China, Hiromi in Japan. Oh, und dann sind da noch Salima in Kanada und Mariam in Pakistan! Die hat sie bei einem Bladertreffen im letzten Jahr kennengelernt. Mit Kai kommt sie auch erstaunlich gut klar, der studiert in London und ist regelmäßig in Moskau. Und dann ist da noch Mathilda…
Sie bewundert Mathilda. Mathilda ist mutig und reist allein. Setzt sich den Rucksack auf, steigt in ein Flugzeug, weg ist sie. Sie kann gut mit der PPB und der BBA und irgendwie sogar mit BEGA. Sie war mit Garland in Varanasi und mit Moses und Monika in Luxor. Oh, und mit Borg hat sie Strandurlaub in Sotschi gemacht. Giulia muss lächeln, als sie an die Fotos denkt, die Mathilda gepostet hat. Sie ist wie ein Glücksbringer für Beyblader, alle, wirklich alle, mögen sie.
Nach einer Woche ist alles vorbei. Mao bekommt ihr Telefon zurück und ist überglücklich, dass Rei in der Zwischenzeit nicht ihre Hochzeitsplanung versaut hat. Emily hat am Ende doch noch die Email-Adresse der hübschen Barkeeperin bekommen; ob darüber hinaus noch mehr passiert ist, weiß keine von ihnen, aber Fakt ist, dass es einen Abend gibt, an dem Emily spurlos verschwunden war. Hiromi hat den leeren Platz in ihrem Koffer mit Süßigkeiten für ihre Jungs gefüllt, die anscheinend tödlich beleidigt wären, wenn sie ihnen nichts mitbringt.
Mathilda und Giulia fliegen gemeinsam nach Paris, von wo aus es dann für beide nach Hause geht. Während des Fluges können gucken sie Kinderfilme aus der Videothek der Airline, dann schläft Mathilda ein und lehnt sich ganz leicht an Giulia. Sie traut sich nicht, sich zu bewegen.
Im Flughafen Charles de Gaulle trinken sie einen letzten Kaffee zusammen, noch ganz benommen von der langen Reise und noch nicht ganz wieder auf Europa eingestellt. Giulia fragt Mathilda, ob sie zusammen verreisen möchten, und Mathildas Augen fangen an zu leuchten. Vielleicht fangen sie klein an und pilgern ein wenig Richtung Santiago de Compostela. Das soll wohl ganz beliebt sein in letzter Zeit.
Zum Abschied umarmen sie sich sehr lange.
Als Giulia zu Hause ihre Tasche auspackt, fallen ihr zwei “Bride Squad”-Shirts in die Hände. Sie erinnert sich, wie sie einfach den Haufen ihrer Klamotten in den Koffer geworfen hat, ohne wirklich darauf zu achten, ob sich nicht noch andere Kleidungsstücke darunter gemischt haben.
Sie öffnet den “Bride Squad”-Chat und tippt: Wessen Shirt habe ich geklaut?
Kurz darauf schreibt Mathilda sie direkt an: Meins! Bringst du es mir zurück? <3
Sie schreibt Natürlich!, aber ganz ehrlich, in diesem Augenblick ist sie sich nicht so sicher.
Einige Wochen später sitzt Giulia vor einem Café in der Sonne und trinkt Cappuccino, während sie durch ihre Timeline scrollt. Die Hochzeit rückt immer näher und Raoul ist schon jetzt nach China geflogen. Lai und er unternehmen ausgedehnte Wandertouren in den Bergen. Währenddessen posten sowohl Mao als auch Rei Fotos vom Vorbereitungschaos. Natürlich ist mit der Blumendeko alles in Ordnung.
Emily hat ihre Barkeeperin inzwischen wieder aus den Augen verloren; stattdessen taucht momentan immer wieder eine andere Tennisspielerin auf ihren Bildern auf. Und Hiromi lässt alle an ihren Versuchen, Daichi und Takao zu einem passablen Aussehen für die Hochzeit zu verhelfen, teilhaben. Wie es scheint, machen die Jungs ihr zuliebe alles ohne zu protestieren mit.
Die Borg-Jungs sind anscheinend bei Kai in London. Es ist ihr schleierhaft, wie er sie alle in seiner kleinen Studentenbude unterbringen will. Wahrscheinlich ist der Boden komplett mit Luftmatratzen bedeckt. Yuriy hat ein Selfie mit Kai gepostet, und beinahe hätte sie weitergescrollt, doch dann fällt ihr etwas auf. Sie zoomt und hebt die Augenbrauen, dann schreibt sie Kai eine Nachricht:
Sehe ich da Ringe an euren Fingern?