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Weiße Nächte

Shôto Todoroki
von

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Schnee & Flammen

Der Winter war in Musutafu eingezogen. Dicke Schneeflocken fielen in Strömen auf die Erde und verwandelten sie in eine weiße Wunderlandschaft. Selbst in den dunklen Abendstunden leuchtete der Pulverschnee strahlend hell und reflektierte die Lichter der Straßenlaternen. 
 

Im Wohnheim der U.A. Oberschule hatten sich die meisten Schüler im Gemeinschaftsraum versammelt, wo sie ihre Freizeit, abseits von Hausaufgaben oder Praktika, genossen. Einige andere Bewohner hatten sich bereits auf ihre Zimmer zurückgezogen, darunter auch Shôto.
 

Er lag auf seinem Futon-Bett und starrte an die hölzerne Decke. Er war weder müde, noch wollte er schlafen. Viel eher zog er sich zurück, um nachzudenken, was ihm abseits seiner lebhaften Klassenkameraden in seinem Zimmer viel leichter fiel. 
 

In seinen Gedanken begleiteten ihn beinahe täglich die Ereignisse der letzten Wochen. Das – mehr oder weniger – Familienessen im Haus seines Vaters, der Streit und die Entführung seines Bruders und vor allem die Worte von Midoriya gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. 
 

Es war nicht das erste Mal, dass sein quirliger Klassenkamerad Einfluss auf seine Gedanken und Emotionen nahm. Damals beim Sportturnier animierte er ihn das erste Mal dazu, seine Feuerkräfte, die er so lange unterdrückt hatte, zu nutzen. Und das hatte weitreichenden Einfluss auf seinen gesamten weiteren Weg. Damit war außerdem ein erster Grundstein gelegt worden, um die Kluft zwischen seinem Vater und ihm langsam zu überwinden.
 

Seitdem hatte sich vieles verändert, er hatte sich verändert. Zuerst war er vor allem davon gelaufen, erst recht vor der Spezialität seines Vaters, die auch er beherrschte. Doch ebenso war er vor seiner Mutter davon gelaufen, hatte sich hinter einem dicken Panzer aus Eis versteckt. Erst Midoriya hatte diese Mauer durchbrochen und Shôto dazu gezwungen, sich mit seinen Problemen auseinanderzusetzen, anstatt sich vor ihnen zu verschließen.

 
 

Ein Seufzen kroch aus seiner Kehle und Shôto schlug seine Augen auf. Er hob seine linke Hand, die nur vom dämmerigen Licht der Laternen erkennbar war. Er legte sie über sein linkes Auge, den Teil seines Körpers, der seinem Vater am nächsten kam. Noch immer verband er viele negative Erinnerungen mit seiner Feuerseite, seinem Vater. Mittlerweile fraß er diese Gefühle nicht mehr in sich hinein, sondern wandelte sie in Energie um, in Motivation. Er stellte sich seinem Vater – mehr oder weniger. Zumindest ergriff er die Möglichkeit, von ihm zu lernen, besser mit seiner Feuerseite umzugehen. Es gab Menschen, die er beschützen wollte und würde. Seine Mutter, seine Geschwister, seine Freunde – er wollte ein echter Held werden. Und Helden meisterten jede Situation. Wenn sogar sein Vater das irgendwie hinbekam, musste auch Shôto es schaffen.
 

Entschlossen setzte er sich auf und erhob sich von seinem Futon. Aus seinem Kleiderschrank holte er sich eine Jacke, die er sich überwarf, ohne das Licht im Raum einzuschalten. Leise verließ er sein Zimmer im Wohnheim und machte sich auf den Weg ins Erdgeschoss. Er spazierte durch den Flur und machte dabei einen möglichst großen Bogen um den Aufenthaltsraum, in dem sich seine Klassenkameraden unterhielten und gemeinsam den Abend verbrachten. Eigentlich wollte er niemandem über den Weg laufen.
 

„Todoroki-san?“
 

Doch dieser Plan scheiterte als Momo Yaoyorozu mit einem Tablett in den Händen aus der Küche trat. Sie transportierte damit eine Teekanne und mehrere kleine Tassen.
 

„Gehst du heute Abend wieder spazieren?“
 

Überrascht blickte er direkt in ihr Gesicht, in dem er bloß ein warmes Lächeln erblickte.
 

„Mhm“, antwortete er und stellte sich bereits auf weitere Fragen ein, die er eigentlich nicht beantworten wollte.
 

„Es hat geschneit, du solltest einen Schal ummachen“, sagte sie, anstatt weiter nachzuhaken.
 

Shôto entspannte sich merklich und warf einen Blick über seine Schulter aus den großen Fenstern neben der Eingangstür. „Das macht mir nichts“, antwortete er mit ruhiger Stimmlage. Schließlich beherrschte er Kalte und Hitze.
 

Ein weicher Stoff segelte sanft um seine Schultern. Er blickte an sich herab und betrachtete den dunkelroten Schal, der an ihm herunterbaumelte.
 

„Falls du später noch einen Tee möchtest, um dich aufzuwärmen, sag einfach Bescheid.“
 

Mit dem Tablett in den Händen verschwand sie im Aufenthaltsraum. Die anderen Mädchen empfangen sie mit quietschenden Lauten, die kaum zu überhören waren.
 

Shôto hingegen wandte sich wieder dem Ausgang des Hauses zu. Während er seine Schuhe anzog, rutschte der Schal an seinem Hals herunter. Er warf die längere Seite auf seinen Rücken, damit er nicht auf den Boden fiel. Es hatte praktisch nur einen Augenaufschlag gedauert, in dem sie den Schal mit ihrer Fähigkeit hergestellt hatte.
 

Schon wenige Minuten, nachdem er aus der Tür getreten war, hüllte die kühle Abendluft Shôto ein. Sein Atem wurde zu feinen, weißen Wölkchen. Trotzdem störten ihn die Temperaturen nicht. Der Schnee war so zahlreich gefallen, dass sich auf den Gehwegen bereits eine dicke Schicht gesammelt hatte. Jeder Schritt, den er ging, knirschte auf der weißen Decke.
 

Draußen war es ruhiger als im Wohnheim. Außer ihm waren nur wenige Leute unterwegs. Hin und wieder fuhr ein Auto an ihm vorbei. Diese Geräuschkulisse ließ ihm genügend Raum für seine Gedanken.
 

Während er die Straße entlang ging, liefen vor seinen inneren Augen die unterschiedlichsten Ereignisse ab. Bilder aus seiner Kindheit, mit seiner liebevollen Mutter und mit seinem strengen Vater. Ein schmerzhaftes Ziehen machte sich in seiner Brust bemerkbar. Die Bilder zogen weiter, er machte einen Zeitsprung zum Sportfest, seinem Kampf gegen Midoriya, Iida und Bakugo. Er dachte an den neuen Weg, den er eingeschlagen hatte, an den Tag als er seine Mutter endlich im Krankenhaus besuchte.
 

In der Zeit darauf hatte er beschlossen, sich endlich mit seinen Feuerfähigkeiten, seinem Vater, auseinanderzusetzen. Er nutzte jedes Praktikum in der Schule, um in der Heldenagentur von Endeavor zu arbeiten. Dabei verfolgte er vor allem ein Ziel: Seinen eigenen Weg finden, mit den Flammen umzugehen und sich nicht dem Willen dieses tyrannischen Mannes zu beugen. Er wollte diese Fähigkeiten auf seine Art einsetzen.

 
 

Nachdem All Might von seinem ersten Platz als Held zurückgetreten und Endeavor auf diesen vorgerückt war, blickten noch mehr Leute auf ihn und sein Verhalten. Obwohl sein Vater als Lehrer streng, hart und unbeugsam war, wusste Shôto mittlerweile viel besser damit umzugehen als in seiner Kindheit. Er ließ sich nicht zu einer Marionette machen – und langsam schien auch Endeavor das zu begreifen.
 

Es war nicht leicht, die Vergangenheit, den Schmerz und das Leid, das sein Vater in der Vergangenheit verursacht hatte, zu vergessen. Doch Shôto stellte sich dem. Ohne, dass er sich bewusst dazu entschlossen hatte, schien er sich mehr und mehr zu öffnen.
 

Das Essen vor zwei Wochen bei ihm Zuhause und die Worte von Midoriya hatten ihm das er wieder einmal bewusst gemacht. Vielleicht bereitete er sich darauf, ihm zu verzeihen. Vielleicht wollte er ihm diese Chance geben. Trotzdem wusste Shôto nicht, wie er mit seinem Vater auf einen gemeinsamen Nenner kommen sollte.
 

Ehe er sich versah, hatte Shôto sein Ziel erreicht: Sein Zuhause, oder eher gesagt das Haus seines Vaters. Endeavor hatte nach dem Streit mit Natsuo sein Versprechen wahr gemacht und seinen Kindern ein Haus in der Nähe des Krankenhauses gekauft. So waren sie immer in der Nähe ihrer Mutter. Er hingegen lebte seitdem alleine in dem großen Anwesen, in dem Shôto und seine Geschwister aufgewachsen waren.
 

Langsam schob der Teenager die Tür zum Vorgarten auf. Es brannte nur in einem Zimmer des Hauses Licht, der Rest war leer – und mit großer Wahrscheinlichkeit verlassen. Der Weg zur Haustür war vollkommen von Schnee bedeckt. Nur langsam machte Shôto einen Schritt vor den anderen. Früher hatte er keine Probleme damit gehabt, das Haus zu betreten. Doch seitdem selbst seine Schwester nicht mehr dort lebte, hatte er es nicht mehr geschafft, hineinzugehen. Egal wie oft er in den letzten Tagen da gewesen war, er hatte es kein einziges Mal über die Treppenstufen hinaus geschafft.
 

Er stand auf der Veranda, den Blick auf die Tür gerichtet. Doch er konnte seine nicht heben, konnte weder klingeln noch selbst die Tür öffnen. Dabei hätte er es jeder Zeit tun können. Die Enge in seiner Brust erschwerte ihm das Atmen. Obwohl er ihn während des Praktikums täglich gesehen hatte, blockierte ihn vor diesem Haus etwas. Er war noch nicht bereit. Er hatte ihm noch nicht verziehen. Noch nicht.
 

Als er zurück zum Tor ging, waren seine ersten Fußspuren im Schnee schon halb verblasst. Der richtige Zeitpunkt war noch nicht gekommen und er verschwand, ohne einen weiteren Blick zurückzuwerfen.
 

-

 
 

Nicht lange, nachdem Shôto verschwunden war, öffnete sich die Tür seines Elternhauses. Das Licht auf der Veranda hatte eine ganze Weile geleuchtet, zu lange. Endeavor blickte hinaus auf die Spuren im Schnee. Er war hier gewesen und doch wieder gegangen. Shôto war noch nicht bereit – und selbst als sein Vater lag es nicht in seiner Macht, daran etwas zu ändern. Er versuchte es, doch sein Sohn ging seinen eigenen Weg. Also blieb ihm nichts anderes übrig als weiter zu warten, auf den Tag, an dem er ihm verzeihen würde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: Swanlady
2019-12-29T13:07:14+00:00 29.12.2019 14:07
So, nun komm ich endlich auch mal zum Lesen!
Ich war schon die ganze Zeit gespannt auf deine Darstellung von Todoroki und wurde nicht enttäuscht, weil du einfach ein Händchen für Nuancen hast, die Charaktere ausmachen. :)
Seine Gedanken wirkten stellenweise sehr sachlich, was aber sehr gepasst hat, denn das hat deutlich seine Entwicklung gezeigt – würde ihn alles, was mit seinem Vater zu tun hat, immer noch aus dem Konzept bringen, könnte er nicht von ihm lernen. Und dazu hat er sich schließlich entschlossen.
Du hättest mich aber ruhig vorwarnen können, dass TodoMomo Feels auf mich warten, der Moment zwischen den beiden war purer Zucker. <3 Es war nett, dass du – obwohl die Story klar ein Einblick in Todorokis Gedanken- und Gefühlswelt ist – noch kurz eine weitere Person eingebaut hast, das hat es schön aufgelockert. :)
Es war klasse, wie du deine Idee mit den Spuren im Schnee umgesetzt hast. :D Deinen ersten Abstecher ins BNHA-Fandom halte ich für sehr gelungen und bin auf jeden Fall dafür, dass du das irgendwann wiederholen solltest. <3
Antwort von:  SarahSunshine
11.01.2020 15:55
Hallo meine Liebe!

Jetzt komme ich auch endlich mal zum Antworten nach meinem Urlaub.

Freut mich, dass ich Todoroki so gut getroffen habe <3
und den Moment mit Momo konnte ich mir natürlich nicht verkneifen :D <3

Du musst mir noch erzählen, was deine Gedanken zu den Spuren im Schnee waren :)
Von:  Votani
2019-12-18T23:36:44+00:00 19.12.2019 00:36
Zwar hinke ich einige Kapitelchen hinterher, aber deinen Todoroki-OS wollte ich trotzdem lesen. :) Ich finde, du hast Todoroki ziemlich gut eingefangen und seine Gefuehlswelt neutral, aber deutlich dargestellt. Das passte gut zu seiner Persoenlichkeit.
Auch dein Schreibstil hat hier wieder schoen geglaenzt, aber du weisst ja, dass ich ihn sowieso immer mag. :D
Das Ende war auch mehr als realtistisch, etwas anderes, als Todoroki, der wieder geht, haette ich auch nicht erwartet. Auch das Wetter hat einfach zu Todoroki gepasst.
Die kleine Geschichte hat mir gefallen. :)
Antwort von:  SarahSunshine
20.12.2019 07:41
Dankeschön ;__;
Ich war so unsicher, ob alles schlüssig ist und ob die Gedanken gut genug rüber kommen, aber es freut mich total, dass ich Shôto in deinem Augen gut getroffen habe :)

Die Manga-Kapitel musst du unbedingt lesen, sie sind wirklich, wirklich gut <3


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