Ein Funken?
Kapitel 12 - Ein Funken?
Honda war aufgeregt. Es waren Tage vergangen, seit Seto bei Otogi und ihm Zuhause aufgetaucht war und davon erzählt hat, dass er Jonouchi gefunden hatte. Am liebsten wäre Honda sofort losgefahren, um seinen besten Freund wieder in seine Arme zu schließen.
Doch dann hatte Seto ihm erzählt, dass der Blonde an einer Amnesie litt. Jonouchi konnte sich weder an Seto, Honda, die anderen oder an die Zeit, die länger als dreieinhalb Jahre zurück lag erinnern. Das hatte Honda schockiert. Wenn Jonouchi sich nicht erinnern konnte... in wie weit war er dann noch Jonouchi?
Aber Seto hatte ihm die Hoffnung geschenkt, dass sie gemeinsam seiner Erinnerung auf die Sprünge helfen könnten. Daher hatte Honda eine Menge Bilder ausgedruckt, die er auf seinem PC oder auf seinem Handy hatte, und hatte damit ein Album gefüllt. Natürlich hatte er auch an Bilder von Shizuka gedacht, von der er einige Bilder aus dem Sommer hatte, in dem sie ihren Bruder hier besucht hatte.
"Man, Hiroto", maulte Seto genervt. "Bleib doch endlich ruhig sitzen."
"Sorry, aber ... ich hab so lange darauf gewartet, ihn endlich wiederzusehen", meinte Honda entschuldigend.
"Ja, ich weiß...", kam es weiterhin genervt von dem jungen Geschäftsmann.
"Ich bin einfach so gespannt auf ihn... Darauf, ob da noch irgendwo ein Funken von Jonouchi ist", erklärte Honda.
"Ist er", kam es nur leise von Seto und brachte ihm einen erstaunten Blick von Honda ein. Dieser legte schließlich seine Hand auf die von Seto, die auf dem Schaltknüppel lag.
"Ja, ist er...", stimmte Honda zu, der erkannte, dass Setos Gefühle für den Blonden noch immer ungebrochen waren.
"Hör mal, Hiroto", begann Seto auf einmal, während die Fähre, auf der sie parkten, sich langsam begann zu drehen. "Sei bitte nicht enttäuscht, wenn er am Anfang etwas distanziert oder verhalten reagiert. Er wusste in den letzten dreieinhalb Jahren nicht mal seinen Namen und jetzt seine Vergangenheit Stückchenweise kennenzulernen... ich stell mir das für ihn schwierig und verwirrend vor."
"Okay", erwiderte Honda ruhig. Er hatte mit so etwas schon gerechnet und es wunderte ihn nicht, dass Seto wohl zu dem Thema recherchiert hatte.
"Vielleicht... müssten wir alle unsere Beziehungen zu ihm neu aufbauen", erzählte Seto sachlich weiter. "Wenn er das möchte."
"Denkst du, dass er nicht daran interessiert sein wird?", hakte nun Honda unsicher nach. "Sicherlich hat er sich einen neuen Freundeskreis aufgebaut."
"Hm... möglich", gab Seto zurück. "Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass er Freunde hat. Viele Menschen, die an dieser Form der Amnesie leiden, scheuen anfangs davor zurück neue soziale Kontakte zu knüpfen."
"Wieso das?", fragte Honda verwirrt.
"Überleg doch mal: Du weißt nichts von dir selbst. Keinen Namen, kein Geburtsdatum, nicht woher du kommst oder was du bislang gemacht hast", erklärte Seto weiter. "Du weißt nicht, ob der Zustand bleibend ist oder dein Gedächtnis zurückkommt und wenn es zurückkommt, wann es kommen wird. Die Frage, ob du ohne Erinnerung noch immer die gleiche Person bist, wie mit deinen Erinnerungen stellt sich dir plötzlich. Was wenn sich deine Persönlichkeit dadurch verändert hat, denn sie entsteht ja aus der Summe deiner Erfahrungen und wenn du plötzlich auf keine Erfahrungen zurückgreifen kannst... was bleibt da noch?"
"Okay, ich verstehe, warum man anfänglich keine neuen Kontakte eingehen möchte. Aber Jonouchi lebt jetzt dreieinhalb Jahre ohne Gedächtnis... irgendwann gewöhnt man sich doch daran", wandte Honda ein.
"Manche, ja", antwortete Seto. "Aber es gibt Menschen, die haben Angst mit ihrer Situation anzuecken oder ausgegrenzt zu werden... und einige stellen sich immer die Frage, ob es fair wäre neue Freundschaften aufzubauen, wenn sie jederzeit ihre Erinnerungen zurück bekommen könnten und dann wieder wie früher wären. Vielleicht kann man dann die neuen Freunde gar nicht leiden. Manche brechen sogar den Kontakt zu ihren bisherigen Freunden ab, weil sie sich nicht mehr 'passend' fühlen."
Honda hob unbewusst eine Hand zum Mund und begann an den Fingernägel zu kauen. Dass er das nicht zum ersten Mal tat, davon zeugten die Fingernägel der anderen Hand, die bereits bis zum Nagelbett abgefressen waren. Es wäre furchtbar, wenn sie Jonouchi gefunden hätten und dieser befinden würde, dass er ihre Freundschaft nicht wieder aufleben lassen wollen würde. Das wäre, als würden sie ihn ein zweites Mal verlieren.
Die Fähre legte an und Seto fuhr den Wagen wieder als erstes aufs Festland. Dann aktivierte er das Navi, in das er Jonouchis Adresse einprogrammiert hatte.
Auf dem Weg zu Jonouchi hatte Honda noch auf einen Zwischenstopp bestanden. Seto hatte sich erst geweigert, doch dann hatte Honda ihn davon überzeugt, dass sie nicht einfach mit leeren Händen bei Jonouchi aufschlagen konnten. Wenn man bei jemandem, den man kaum kannte, eingeladen war, hatte man gefälligst ein Gastgeschenk mitzubringen.
Daher entschieden sich die beiden in einem kleinen Laden für japanische Süßwaren etwas zu kaufen. Erst wollten sie eine Auswahl nehmen, entschieden sich dann aber für die drei Sachen, die Jonouchi immer besonders gemocht hatten. Seto hatte sich anschließend sogar noch breit schlagen lassen Zutaten für ein Curry mit Reis zu kaufen.
Doch diese Einkaufstasche ließen sie erst einmal im Auto, als sie bei dem Appartementgebäude ankamen. Sie nahmen ihr in einer kunstvollen Pappschachtel verpackte Auswahl an Süßwaren und trugen diese die Treppen auf die höchste Ebene des Gebäudes. Dort führte Seto Honda bis zur letzten Wohnung, bei der er schließlich die Klingel betätigte.
Honda fiel sofort der fremde Name an der Klingel auf: Yamada Tarō. Klar, Jonouchi hatte ja nicht als 'Unbekannt' weitermachen können. Dennoch klang der Name so fremd. Umso mehr wurde er geflasht, als Jonouchi die Tür öffnete und sie mit einem Lächeln im Gesicht begrüßte. Keinen Zweifel: Das war ihr Jonouchi Katsuya. Da war weit mehr als ein Funke in ihm übrig.
"Hi, Yamada", begann Seto. "Das ist Honda."
"Hey, Kaiba", erwiderte der Blonde und wandte sich dann seinem eigentlich besten Freund zu. Er musterte ihn und war scheinbar von der Frisur ganz fasziniert, bevor er ihm kurz zu nickte. "Hey Honda, ich bin Yamada Tarō."
"Freut mich... dich... ähm...", stotterte sich der Brünette einen ab, da er nicht wusste, ob er 'wiedersehen' oder 'kennenlernen' sagen sollte. Am liebsten hätte er ihn sofort an sich gezogen und fest umarmt.
"...kennenzulernen", ergänzte Seto. "Er freut sich, dich kennenzulernen."
"Wir... wir haben dir ein Gastgeschenk mitgebracht", kam es immer noch total neben sich stehend von Honda.
Für einen weiteren Moment studierte Jonouchi Hondas Gesicht ganz genau, dann nahm er die Pappschachtel entgegen, trat bei Seite und ließ die beiden in seine Wohnung kommen.
"Danke, das wäre doch nicht nötig gewesen", meinte der Blonde, wobei man ihm aber ansah, dass er sich darüber freute.
Das erste, was Seto auffiel, war der Vorhang, der nun den Bereich mit dem Bett verbarg. Er war sich sicher, dass weder dieser noch die Vorhangstange bei seinem ersten Besuch schon da waren. Gerade, als er einen Fuß auf den Holzboden setzen wollte schlug ihm Honda mit dem Handrücken gegen den Oberarm.
"Man, Seto... Schuhe", meinte dieser, der gerade dabei war aus seinen halbhohen Stiefel zu schlüpfen und sich ein Paar der Gästepantoffeln aus dem Halter an der Wand zu nehmen. Auch dieser war neu, wie Seto auffiel. Jetzt war er sich sicher, dass Jonouchi normalerweise keinen Besuch in seiner Wohnung empfing. Also schlüpfte auch Seto aus seinen teuren Schnürschuhen und schlüpfte in ein Paar Gästepantoffeln aus Filz.
"Ähm, wollt ihr einen Tee?", fragte Jonouchi, während er die Pappschachtel auf der Anrichte abstellte. "Ich kann euch aber auch gern was Kaltes anbieten."
Seto und Honda traten mehr in den Raum und blieben abrupt stehen, als sie auf dem kleinen Tisch einen Teller sahen, auf dem ... die gleichen Süßwaren angerichtet waren, wie sie vor kaum einer halben Stunde gekauft und gerade Jonouchi geschenkt hatten.
Als Jonouchi keine Antwort bekam, wandte er sich zu den beiden um und sah sie auf die Süßwaren starren.
"Ähm... ihr könnt euch gern bedienen. Ich hab sie extra für heute gekauft, damit ich euch mehr als nur einen Tee anbieten kann", erklärte er. Honda musste grinsen und sah dann zu dem lange Vermissten.
"Du... wirst es nicht glauben, aber wir haben dir die gleichen gekauft", meinte Honda amüsiert.
"Echt?", kam es ungläubig von Jonouchi, der sich wieder der Schachtel zuwandte und sie öffnete. Tatsächlich war darin die gleiche Auswahl, was ihn kurz amüsiert schnauben ließ.
"Du hast die früher am liebsten genascht", erklärte Honda ihre Auswahl.
"Wusste ich gar nicht. Ich hab ewig sowas nicht mehr gehabt", gab Jonouchi etwas verlegen zurück.
"Ich würde mich über eine Tasse deines Tees sehr freuen", meinte Seto schließlich, der aus seinem Jackett schlüpfte und dieses über einen der bereitgestellten Stühle hing. Dabei fiel ihm auf, dass einer der Stühle nicht zu den anderen passte.
"Ja, ähm... sorry, ich hab mir in der Werkstatt einen dritten Stuhl ausgeliehen, weil ich nur zwei hatte", erklärte der Blonde weiter verlegen, bevor er drei Tassen aus dem Schrank holte und in einer kleinen Kanne den Tee aufbrühte. Dann verteilte er den Tee auf die Tassen und holte aus dem Kühlschrank zwei kleine Kännchen.
"Dieses Mal hab ich vorgesorgt", meinte Jonouchi und stellte zunächst die Kännchen, danach ein Gefäß mit Kandiszucker am Stil auf den Tisch, bevor er die Tassen verteilte. Schließlich nahmen sie Platz. Honda nahm einen Schluck und hielt abrupt inne.
"Verrückt, das ist ja der gleiche Tee, den du auch Zuhause trinkst, Seto", meinte er auf einmal. Wieder blickte Jonouchi Honda verdaddelt an, bevor sein Blick zu Seto wechselte.
"Ja. Danke, Hiroto", meinte Seto etwas aufgesetzt freundlich zurück.
"Du trinkst auch diesen Tee bei dir Zuhause?", fragte Jonouchi. "Hast du das letzte Mal gar nicht gesagt."