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Der hellste Stern am Himmel

Regulus lives-AU
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ups. Reallife hat mich eingeholt und dann habe ich diese Fanfic ein bisschen vergessen. Dafür ist das Kapitel jetzt EXTRA lang geworden! Yay?
Wieder mal Sirius-Perspektive und dieses Mal gibt es Gastauftritte von Lily und Remus. :D Komplett anzeigen

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Kein Blut. Keine Tränen.

„Habe ich was im Gesicht?“ fragt Lily. „Blut oder so?“ Sie hebt die Augenbrauen, als Sirius ertappt den Blick senkt. „Ich frage nur, weil du mich anstarrst seit wir hier sind. Und da ich nicht James bin, bin ich so viel Aufmerksamkeit von dir nicht gewöhnt.“
 

Es ist ein Satz voller Landmienen und Sirius weicht ihnen mit der Geschicklichkeit jahrelanger Übung aus. „Ich weise das energisch zurück. Ich habe dich sehr viel und sehr aufmerksam angestarrt, seit wir uns kennen. Vor allem, wenn du kurze Röcke getragen hast.“
 

„Nicht so ausdauernd. Und nicht mein Gesicht.“ Ihre Augen werden schmal und sie neigt den Kopf, als ob sie ihn unter einem Mikroskop betrachtet.
 

Sirius zuckt mit den Schultern und weicht ihrem Blick aus. Es stimmt. Auch drei Stunden später, als die Verletzten alle versorgt sind und sie zu einer kurzen Lagebesprechung bei Mary McDonalds Familie zusammensitzen, kann er nicht aufhören Lily anzustarren.
 

Alles zusammengenommen war es ein kleineres Scharmützel und ein großer Teil von ihnen ist heil davongekommen. Trotzdem ist die Stimmung gedämpft und offensichtlich verspürt gerade niemand das Bedürfnis alleine nach Hause zu gehen.
 

Remus, Mary und Marlene gehen herum und verteilen warme Getränke. James hat eine Hand beruhigend auf Gideons Schulter gelegt und redet leise mit ihm während Edgar seinen Zwillingsbruder verarztet. Dorcas und Caradoc haben die Köpfe über eine Landkarte gebeugt und deuten murmelnd mit den Zeigefingern auf Orte.

Alle machen sich nützlich. Nur Sirius steht am Fenster und starrt Lily an, die dabei ist kurze Nachrichten an alle abwesenden Ordensmitglieder zu verfassen.
 

Sie lebt.

Regulus hätte sie töten können - es wäre so einfach gewesen, so schnell, nur ein Schlenker aus dem Handgelenk - aber sie ist hier und sie lebt, und Sirius kommt einfach nicht klar damit. Damit dass er es nicht getan und damit, was das vielleicht bedeutet.
 

Sie boxt gegen seine Schulter. „Du tust es schon wieder. Das stresst mich, Black. Lass das! Oder verrate mir endlich, was los ist.“
 

„Nichts“, erwidert er reflexartig.
 

Ihre Augen wandern forschend über sein Gesicht und er fokussiert auf eine Stelle zwischen ihren Augenbrauen. Das ist ein guter Trick, wenn man so tun will, als ob man jemandem direkt in die Augen sieht, aber es eigentlich nicht tut. Solche Strategien lernt man früh genug in einem Haushalt voller Raubtiere.
 

Die Schreibfeder schwebt noch neben ihr in der Luft. Ein einzelner schwarzer Tropfen Tinte löst sich langsam und tropft zu Boden. Er sieht dabei zu, wie er auf dem Boden zerplatzt und ihm wird ein wenig übel.
 

„Im Wald, da…“ rutscht es ihm heraus. Er bricht ab, beginnt von vorne. „Als du… Ich dachte…“ Er schüttelt den Kopf, wortlos, uncharakteristisch gehemmt.
 

Etwas in ihrem Gesicht verändert sich, ihre Mimik wird weicher, zugänglicher. Die Schreibfeder schwebt langsam auf einen Tisch und sie lehnt sich neben ihn an das Fensterbrett. „Ich komme mir vor wie ein Idiot. Wenn das Licht mich nicht geblendet hätte, wäre mir nie so ein dummer Schnitzer passiert. Du hast ihn von mir abgelenkt, nicht wahr? Ich habe deine Stimme gehört.“
 

„Hm.“ Er macht ein unverbindliches Geräusch, dankbar dafür, dass sie zwar seine Stimme, aber offenbar nicht seine genauen Worte gehört hat.

Abgelenkt. Ja, so kann man das auch sagen. Seine reine Anwesenheit hat Regulus sehr effektiv abgelenkt.
 

„Wer auch immer es war, ich bin ganz froh, dass er offenbar seine unverzeihlichen Flüche gerade nicht parat hatte, sonst wäre ich jetzt wohl Hackfleisch. Danke, dass du dazwischen gegangen bist.“ Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und küsst ihn auf die Wange.
 

Überrascht sieht er sie an.

Sie zuckt mit den Schultern, als weiß sie selbst nicht, was sie überkommen hat.
 

Sie stehen sich nicht besonders nah. Lily hat ihm während der Schulzeit sogar mehrfach versichert, dass er ein unausstehliches, arrogantes Arschloch ist und außerdem ein denkbar schlechter Einfluss auf James. (Damit hatte sie nicht Unrecht.) Und wenn er ehrlich ist, muss er zugeben, dass er anfangs überhaupt nicht begeistert darüber war, sich James Aufmerksamkeit plötzlich mit ihr zu teilen.

Er teilt nicht gerne. Besonders nicht James.
 

Andere Menschen – normale Menschen – können das nicht verstehen. Aber als Black lernt man sehr früh, dass Liebe eine begrenzte Ressource ist, etwas, von dem nie genug vorhanden ist und das man mit Klauen und Zähnen verteidigen muss. Gegen alles und jeden.
 

Haben er und Lily sich deswegen häufiger als alle anderen Menschen auf der Welt finster über Eisbecher hinweg angestarrt, und peinliche Treffen zu dritt ausgehalten, in denen sie beide lieber mit James allein sein wollten? Ja.

Waren sie beide gleichermaßen stur und entschlossen und nicht bereit einen einzigen Millimeter nachzugeben? Oh ja.
 

Es gab keinen einzelnen Moment, an dem sie offiziell Waffenstillstand geschlossen oder sich jemals ausgesprochen hätten. Aber irgendwie, irgendwann schweißt es einen zusammen, wenn man die gleichen Feinde hat, die gleichen Ängste aussteht und den gleichen Menschen liebt.

Und dass sie James immer noch liebt, auch wenn sie (grade?) nicht zusammen sind, steht für ihn außer Frage.
 

Sie verschränkt die Arme hinter den Kopf und blickt zu ihm auf, Spekulation in ihren Augen. „Familie ist immer kompliziert. Glaub mir, ich weiß das.“
 

Es ist wie Fass eiskaltes Wasser, das mitten über seinem Kopf ausgegossen wird. „Was?“

Sie weiß es.

Das ist der einzige Gedanke in seinem Kopf.

Sie weiß, was er getan hat. Sie weiß, dass sein Bruder ein Todesser ist. Sie weiß, dass er ihn hat laufen lassen, wie der feige Wurm, der er ist. Sie weiß…
 

„Bellatrix.“
 

„Bella…?“ Einen Moment lang ist ihm schwindelig vor Erleichterung.
 

„Du musst gar nichts sagen“, sagt sie rasch. „Ich weiß… wie das ist. Meine Schwester…“ Sie verstummt und zieht die Schultern hoch, wie immer wen die Rede auf Petunia kommt. „Sie verachtet Zauberer fast genauso sehr wie Bellatrix Muggel verachtet.“ Ihr Lächeln ist wackelig. „Man könnte meinen, dass sie sich gut verstehen würden, wenn sie nicht genau auf unterschiedlichen Seiten stünden.“
 

„Vielleicht sollten wir sie einander vorstellen.“
 

„Ach, das würde sie in ihrer Meinung nur bestärken.“ Sie senkt den Kopf und ihr langes, rotes Haar fällt ihr vor das Gesicht wie ein Schleier.
 

Und das ist die andere Sache, die sie zusammenschweißt. Was paradox ist, denn sie reden nicht oft darüber. Nicht über Petunia, nicht über Regulus. Nicht wirklich. Und doch ist es etwas, was sie gemeinsam haben.
 

„Sie weiß nicht einmal, was hier los ist.“ Sie lächelt traurig und dieses Mal hat er das seltene Bedürfnis sie in die Arme zu nehmen. James färbt langsam aber sicher auf ihn ab. „Ich frage mich manchmal, ob es irgendwas ändern würde…“, ihre Stimme bricht, „wenn sie wüsste, dass ich in Gefahr bin. Ob es ihr irgendwas ausmachen würde.“
 

„Ja.“
 

„Du kennst sie nicht.“
 

„Vielleicht würde sie einfach jeden umbringen, der dir jemals wehgetan hat.“
 

Ihm wird heiß, als er ihren verständnisvollen Blick sieht. Ihm ist klar, dass er mit diesem Satz mehr über sich verraten hat als über Petunia Evans.
 

„Vielleicht auch nicht“, korrigiert er. „Aber wen kümmerts. Sie ist selbst schuld, wenn sie dich nicht in ihrem Leben haben will. Damit bestraft sie sich doch selbst am meisten.“
 

Ein überraschtes Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht auf. „Wer hätte das gedacht. Hat Sirius Black etwa doch ein Herz?“
 

„Das sind unhaltbare Gerüchte, Evans.“
 

Aber danach schafft er es tatsächlich sie nicht länger anzustarren, wie ein verrückter Stalker. Moody und Dumbledore tauchen von Gott-weiß-woher auf, und Lily und Marlene liefern einen raschen Überblick, was passiert ist. Dumbledores Brille rutscht immer tiefer auf seine Nasenspitze und Moodys Gesichtsausdruck wird immer finsterer.

Vermutlich muss das Ministerium einschreiten wegen der vielen Muggel, die involviert waren und deren Gedächtnis nun verändert werden muss, aber das ist ja nicht mehr Sirius‘ Problem.
 

Er, Remus und James gravitieren wie gewöhnlich zueinander und enden in eine schmale Nische gequetscht nebeneinander. Sie reichen eine Flasche Butterbier hin und her, die sie einvernehmlich teilen. Es ist ein bisschen wie früher in der Schule. Die ganze Gang beieinander.

Erst als James fragt: „Wo ist eigentlich Peter?“ fällt Sirius auf, dass jemand fehlt.

Remus schüttelt den Kopf. „Ich habe schon eine Weile nichts mehr von ihm gehört. Ich bin nicht sicher, ob er den Patronus bekommen hat.“

„Komisch, ist alles okay bei ihm?“

„Ich weiß nicht, das letzte was ich mitbekommen habe…“
 

Sirius lauscht ihren leisen Stimmen, ohne sich an dem Gespräch zu beteiligen.

Er und Peter standen sich nie besonders nah. In der Schule hat er sich an ihn und James drangehängt wie eine Klette, und im Gegensatz zu Remus, der klug und interessant ist, hat er nie irgendwas wirklich Cooles beigesteuert. Ehrlich gesagt ist Peter ziemlich langweilig.

Aber er weiß, dass James und Remus nicht so denken, nie so über einen Freund denken würden, und deswegen hält er den Mund und nippt schweigend an der Flasche.
 

Remus und James unterhalten sich weiter. Ihre leisen Stimmen fließen um ihn herum wie Wasser. Das Butterbier ist süßlich und viel zu warm. Sein Kopf sinkt auf James‘ Schulter und es ist so gemütlich, dass er beinah einschläft, jetzt wo das Adrenalin nachlässt.
 

Erst als er seinen Namen hört, wird er wach.
 

Eine plötzliche Stille ist im Raum eingekehrt. Anspannung macht sich in James Körper breit.

Langsam hebt Sirius den Kopf von seiner Schulter, pustet eine schwarze Strähne aus seinen Augen und blickt sich um.
 

Remus ist aufgestanden.

„Möchtest du das wiederholen, Dearborn?“ fragt er höflich. Aber da ist ein kühler Unterton in seiner Stimme. Was immer über Sirius gesagt worden ist, Remus mit seinem übernatürlichen Werwolfgehör ist es nicht entgangen.
 

Caradoc Dearborn steht von dem Tisch auf, an dem er eben noch heftig mit Moody diskutiert hat und verschränkt die Arme vor der Brust. „Der Angriff auf die Muggel war ein Ablenkungsmanöver, während Todesser Amelias Eltern überfallen und entführt haben. Es ist doch offensichtlich, was hier passiert! Nur Ordensmitglieder wussten über ihren Aufenthaltsort Bescheid.“
 

Er echot damit akkurat den Gedanken, den Sirius schon vor einigen Wochen hatte. Nur Ordensmitglieder…

Es wussten auch nur Ordensmitglieder über Millys Aufenthaltsort Bescheid.
 

„Das ist eine schwere Anschuldigung“, sagt Dorcas. Ihr Blick flackert zu Sirius, beinah unwillkürlich, wie ein Reflex. „Keiner von uns würde…“
 

„Offensichtlich HAT jemand“, widerspricht Caradoc. „Ich bin nicht der erste und nicht der Einzige, der es denkt. Ihr seid nur alle zu feige, um es auszusprechen“
 

Das Schweigen, was sich im Raum ausbreitet ist beinah ohrenbetäubend in seiner Lautstärke. Er ist definitiv nicht der Einzige, wird Sirius klar. Es hat nur bisher niemand gewagt, es laut zu äußern. Nicht den Verdacht. Und nicht den Verdächtigen…
 

„Es sieht so aus, als hätten wir einen Verräter in unserer Mitte.“ Das leise Sirren von Moodys Auge, als es sich wild hin und herdreht, als ob es alles und jeden gleichzeitig im Auge behalten will, ist das einzige Geräusch.
 

„Niemand würde…“, beginnt Marlene.
 

Caradoc schnaubt. „Ignorieren wir nicht alle den offensichtlichen Kandidaten?“ Seine Augen blicken quer über den Tisch hinweg direkt zu Sirius.
 

Sirius hebt die Augenbrauen und schlägt die Beine übereinander. In seiner linken Hand baumelt lässig die Flasche Butterbier. Nach außen bleibt er gelassen, auch wenn es in seinem Inneren brodelt. War ja nur eine Frage der Zeit, bis das passieren würde. „Willst du mir irgendwas sagen, Dearborn?“ fragt er mit einem aufreizend koketten Lächeln. „Oder bewunderst du einfach nur mein Gesicht? Ich schick dir gerne ein Foto, dann kannst du es die ganze Nacht weiter bewundern.“ Er wackelt vielsagend mit den Augenbrauen.
 

Verächtlich spuckt Caradoc auf den Boden. „Oh, ich habe kein Problem damit, dir was zu sagen“, erwidert er. „Einmal ein Black, immer ein Black. DAS will ich sagen!“
 

Lily schnappt empört nach Luft. Marlene zieht die Augenbrauen zusammen.
 

„Sirius ist kein Verräter!“ James springt auf. Er vibriert vor Zorn und macht Anstalten auf Caradoc zuzustürzen. „Nimm das sofort zurück oder ich…!“
 

Remus hebt den Arm, um ihn aufzuhalten. „Hast du irgendwelche Beweise für diese Anschuldigung?“
 

Caradoc zuckt mit den Schultern. „Seine gesamte Familie besteht aus Todessern und Anhängern der dunklen Künste. Woher sollen wir denn wissen, dass er denen nicht nebenbei Informationen zuspielt?“
 

„Du hast ja nicht mehr alle!“ James hat seinen Zauberstab in der Hand, schneller als Remus es verhindern kann, und dann ist Caradoc ebenfalls aufgesprungen und hat den seinen gezückt. Es prickelt in der Luft, Vorboten eines riesigen Gewitters.

Sirius schmeckt Blut. Sein Blick kreiselt durch den Raum.

Marlene packt Lily am Arm und zieht sie einen Schritt zurück. Gideon hat sich schützend vor seinen verletzten Zwillingsbruder gestellt. Edgar weicht seinem Blick aus.

Glauben sie ihm? Denken die anderen auch, dass er es war?
 

„Hey! Hey!“ donnert Moody. „Das reicht jetzt! Weg mit den Stäben! WEG damit, habe ich gesagt!“
 

Keiner von beiden gehorcht. James freundliches Hundegesicht ist finster entschlossen, Caradoc brodelt vor Zorn. Ein Wort, ein Zucken und sie werden aufeinander losgehen.
 

Sirius steht langsam auf. Er schiebt sich erst an Remus und dann an James vorbei, direkt vor Caradoc. „Das ist ja alles herrlich romantisch und so, aber bitte duelliert euch nicht um meine Ehre“, sagt er mit vor Sarkasmus triefender Stimme. „Die habe ich vor Jahren in einem Nachtclub verloren. Es lohnt sich also nicht.“
 

Caradoc hat die Zähne gefletscht und die Spitze seines Zauberstabes richtet sich auf Sirius‘ Gesicht. „Du kannst ja nicht mal das ernst nehmen.“ Er klingt angewidert.
 

„Tja, du hast Recht. Meine Ernsthaftigkeit ist begrenzt, und für heute ist sie aufgebraucht. Frag doch morgen wieder.“ Er entblößt die Zähne zu einem spöttischen Lächeln.

Aus den Augenwinkeln sieht wie Edgar sich abwendet und Dorcas missbilligend die Arme verschränkt. Vermutlich sind sie enttäuscht von seiner Kaltschnäuzigkeit. Sollen sie doch.
 

Du kannst bluten, du kannst weinen – es darf nur nie jemand sehen. Erste Regel im Leben aller Black Kinder.

Sie werden ihn niemals bluten sehen. Niemals.
 

Eine Hand berührt seine Schulter. Es ist James, der sich neben ihn geschoben und den Arm um ihn gelegt hat, eine wortlose Unterstützung und eine Aussage, so klar und deutlich, als würde er ein Schild vor sich hertragen, auf dem „TEAM SIRIUS!“ steht.

Sirius schnaubt und spürt wie seine vor Anspannung schmerzenden Schultern langsam nach unten sinken.
 

„Gegenseitige Schuldzuweisungen sind sinnlos und gefährlich“, sagt Remus leise und tritt auf seine andere Seite. „Durch Zwietracht und Misstrauen spielen wir den Todessern nur in die Hände. Also überleg dir nächstens, was du sagst.“
 

„Ich stimme Remus zu“, sagt Dumbledore, der sich erhoben hat. Seine Stimme bewirkt, dass Caradoc endlich auch den Stab sinken lässt. „Wir haben in der aktuellen Situation keine Beweise, die irgendjemanden hier belasten würden.“ Er macht eine Pause und lässt die Worte einsinken. „Ich möchte trotzdem zu einer erhöhten Wachsamkeit aufrufen. Kritische Informationen werden von jetzt an nur noch auf „Need-to-know“-Basis verteilt werden.“ Zum ersten Mal seit Sirius ihn kennt, sieht er plötzlich so alt aus, wie er ist. „Des Weiteren müssen wir in Betracht ziehen, dass uns vielleicht niemand willentlich hintergeht.“ Er hebt die Hand und unterbricht die Proteste, die im Entstehen sind. „Bedenkt, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, die nichts mit Verrat zu tun haben. Der Imperiusfluch. Vielsafttrunk. Um nur zwei davon zu nennen.“
 

Moody reibt sich das stoppelige Kinn und flucht leise.
 

Die anderen sehen so vor den Kopf gestoßen aus wie Sirius sich fühlt.

Wie naiv sie alle sind, dass sie bisher nicht daran gedacht haben. Es muss gar keinen Verräter geben. Einfach jeder könnte es sein. Einfach jeder könnte nicht mehr er selbst sein.
 

Auf dem Heimweg diskutieren sie über nichts anderes. James ist offensichtlich vollkommen entsetzt von diesem Gedanken. „Aber wir würden uns doch immer erkennen, oder?“ fragt er zum dritten Mal. „Ich meine, ich würde doch merken, wenn du nicht… DU bist.“
 

„Wieso bist du da so sicher? Ich könnte in diesem Moment meine durchgeknallte Cousine sein und du wüsstest es nicht“, erwidert Sirius.
 

„Sag doch sowas nicht“, stöhnt James. „Bist du Bellatrix?“
 

„Das letzte Mal als ich nachgesehen habe, hatte ich noch alle Tassen im Schrank. Also nein.“
 

James überlegt weiter halblaut welche Sicherheitsfragen sie sich gegenseitig stellen könnten, und ob sie sich alle die Haare abrasieren sollten, um zu verhindern, dass man daraus Vielsafttrank brauen kann, und ob Lily vielleicht nur deswegen Schluss gemacht hat, weil sie gar nicht Lily ist.

Sirius hört mit einem Ohr zu, während er brütend vor sich hinschlendert, die Hände in den Hosentaschen vergraben.
 

„Ich hätte es sagen sollen“, sagt er schließlich als sie an ihrer Wohnung ankommen.
 

James, der dabei ist ihre Schutzzauber zu überprüfen, dreht sich um. „Was?“
 

„Das mit Regulus. Ich hätte…“ Sirius schüttelt den Kopf und lässt sich auf die Couch fallen. „Wieso habe ich Dumbledore nichts von ihm gesagt? Ich bin ein Idiot. Genau das macht mich verdächtig. Als ob ich ihn beschütze, nur weil er mein Bruder ist!“

Das wäre ein gefundenes Fressen für Caradoc. Sirius hat seinen Todesser-Bruder laufen lassen. Die stecken doch unter einer Decke!
 

„Was? Nein!“ James wirft sich neben ihm. „Hör zu. Ich habe darüber nachgedacht. Und ich denke, es ist gut, dass du nichts gesagt hast.“
 

Sirius hebt den Arm von den Augen. „Was?“ fragt er unwirsch. „Wieso das denn?“
 

Er hat sie nicht getötet!“ James breitet die Arme aus, als ob er Sirius etwas Spektakuläres darbietet und nicht nur einen halbgaren, kontextlosen Fakt.
 

Sirius würde sich gerne dumm stellen, aber es ist ja nicht so, dass ihn diese Sache nicht auch den ganzen Tag beschäftigt hat. „Das beweist rein gar nichts“, sagt er stattdessen.
 

„Doch! Es beweist, dass er da vielleicht in was reingeraten ist, dass ihm vielleicht langsam über den Kopf wächst.“
 

Sirius starrt ihn an.
 

Hastig redet James weiter: „Denk doch mal darüber nach! Er ist so jung. Wie kann er gewusst haben, worauf er sich einlässt? Deine wahnsinnige Cousine wird ihn bearbeitet haben, bis er nicht mehr gewusst hat, wo oben oder unten ist. Und jetzt steckt er fest und weiß nicht, wie er rauskommen soll.“
 

„Nein.“
 

„Ich sage nur, dass das eine Möglichkeit ist, die wir in Betracht ziehen müssen!“
 

„Nein, müssen wir nicht!“
 

„Wieso sperrst du dich so gegen die Idee, dass dein Bruder vielleicht KEIN Soziopath ist?“
 

„Ugh.“ Sirius steht auf. „Weil es Schwachsinn ist! Und jetzt gehe ich duschen.“
 

Er hat gehofft, dass das Thema damit beendet ist, aber wenn James eins ist und schon immer war, dann hartnäckig. Die nächsten Tage geht es ununterbrochen so weiter.

James möchte endlos darüber diskutieren, was passiert ist, und Sirus möchte nie wieder darüber nachdenken.
 

„Er hat sie nicht getötet!“
 

„Das war vermutlich ein Versehen.“
 

„Er hat dich auch nicht angegriffen!“
 

„Weil er wusste, dass er keine Chance hat gegen mich!“
 

Er hat seinen Bruder abgeschrieben, schon vor Jahren. Er ist immer gut damit gefahren von seiner Familie nichts mehr zu erwarten.

Wenn man nichts erwartet, wird man auch nicht enttäuscht, so einfach ist das.

Nur James will das einfach nicht verstehen.
 

James hat den irrsinnigen Gedanken, dass Regulus „gerettet“ werden könnte und geht von der völlig falschen Prämisse aus, dass Sirius derjenige ist, der ihn „retten“ möchte.
 

„Vielleicht möchte er kein Todesser sein? Vielleicht bereut er seine Entscheidung?“
 

„Vielleicht ist er auch einfach kein besonders guter Todesser. Er war nie in irgendwas gut.“
 

Das ist eine offensichtliche Lüge, denn Regulus hat Dutzend von „Ohnegleichen“ in seinen Prüfungen gekriegt und auf dem Quidditch-Feld war er zumindest gut genug, dass James sich ein bisschen anstrengen musste, und das heißt schon was, denn James ist der beste Quidditch-Spieler, den Sirius je erlebt hat.

Und wenn die Welt fair wäre und sie nicht gerade mitten im Krieg wären, würde James das jetzt professionell machen und ein Star sein.
 

Wenn die Welt fair wäre, wäre Sirius auch nicht mit seiner grässlichen Familie gestraft, aber die Welt ist nun mal nicht fair und nur deswegen sitzen sie jetzt hier und diskutieren sich zum siebenundfünfzigsten Mal den Mund fusselig und Sirius ist kurz davor zu schreien.
 

„Was ist, wenn…?“ James Augen sind riesengroß und dramatisch. „Sirius, was ist, wenn er Hilfe braucht?“
 

„Glaub mir, er braucht keine Hilfe, er braucht eine Tracht Prügel!“
 

„Aber…“
 

Merlins Bart! Hör auf! Ich will nichts mehr davon hören!“
 

Türen werden geknallt und Sirius weigert sich zwei Tage lang mit James zu reden, sondern schläft bei Remus auf der Couch.

Er ist so kurz davor, Remus einzuweihen in seine Probleme, denn Remus ist klug und pragmatisch und viel weniger emotional als James, und vielleicht hätte er ja was Vernünftiges zu dem Ganzen beizusteuern, aber dann sagt Remus „Ehekrach?“ mit diesem Unterton, den er manchmal hat, und Sirius wirft ein Kissen nach ihm und dann reden sie doch nicht darüber.
 

Er kann nicht darüber reden.

Worte werden zu Asche in seinem Mund, wenn er es versucht.

Er wüsste nicht, wie er es erklären soll. Er besitzt eine meterdicke Schutzschicht aus Arroganz, Verleugnung und Sarkasmus, an der alles abprallt und durch die niemand durchkommt. Niemand wird sein Blut sehen. Niemand seine Tränen.

Etwas von seiner Familie zu erwarten, bedeutet die Zugbrücke hinunter zu lassen. Sich ganz und gar nackt und verletzlich zu machen. Und das kann er nicht. Das würde ihn umbringen.
 

Deswegen erwartet er nichts von Regulus. Er kann nicht. Das ist der einzige Schutz, den er hat. Die Zugbrücke muss oben bleiben.
 

-
 

Zwei Wochen nach dem desaströsen Ordens-Treffen wird er mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen. Zwei Dinge wecken ihn simultan.

Das Glühen seines Zauberstabs.

Die Hand auf seinem Mund, vertraut genug, dass er die Augen öffnet ohne sich zu wehren.

James sitzt auf seiner Bettkante, den Zeigefinger auf dem Mund.
 

Sirius nickt zum Zeichen, dass er wach ist (wach genug), und James lässt die Hand sinken.

Schweigend hebt er seinen Zauberstab. Auch von ihm geht ein gelbliches Licht aus.

Sirius weiß, was das bedeutet. Die Schutzzauber haben ausgelöst. Jemand ist dabei in ihre Wohnung einzudringen.
 

Lautlos schwingt er sich aus dem Bett, streift sich mit einer Hand ein T-Shirt über (einer Horde Todessern nur in Boxershorts gegenüber zu stehen, hat er schon einmal erlebt und es ist nicht so cool wie man denkt) und schnappt mit der anderen seinen Zauberstab.
 

Lautlos tapsen sie zur Tür. Sirus lauscht, versucht seinen aufgeregten Herzschlag zu beruhigen.

Aber wer auch immer dabei ist, gerade in ihre Wohnung einzudringen, tut es sehr leise.
 

James macht eine Kopfbewegung zur Seite und Sirius nickt.

Einer von links, einer von rechts.
 

James hebt die Hand und sie lassen ihre Stäbe sacht aneinanderklacken, ein wortloses „Bis-gleich-sei-vorsichtig“, und dann verschwinden sie in entgegengesetzte Richtungen.
 

Man kann ihr Wohnzimmer von zwei Seiten betreten. Während James durch Sirius Schlafzimmer in sein eigenes zurückschleicht, geht Sirius am Badezimmer vorbei und durch die Küche. Er bewegt sich rasch, aber leise. Alle paar Schritte bleibt er stehen und lauscht mit angehaltenem Atem.
 

Da ist etwas in der Luft, er kann es spüren. Ein Hauch von Magie, die Signatur fremd und doch vage vertraut. Irgendjemand hat ihre äußeren Schutzzauber außer Kraft gesetzt, was eigentlich unmöglich sein sollte. Doch dieser jemand rechnet sicher nicht damit, dass sie auch drinnen ein paar Schutzzauber eingerichtet haben. Sie haben eine ganz besondere Alarmanlage.
 

Wie auf Kommando poltert ein Stuhl zu Boden. Der Plattenspieler springt an und die Ramones grölen aus voller Lautstärke: „I WANNA BE SEDATED!“
 

Der Beat wummert unter seiner Haut. Sirius rennt die letzten Meter, schliddert über die Küchenfließen.
 

„I CAN’T CONTROL MY FINGERS, I CAN’T CONTROL MY BRAIN”
 

Sein Herz hämmert. Gleich. Gleich.

Wie viel sind es? Todesser? Ist es Voldemort?
 

„NOTHING TO DO, NOWHERE TO GOO~ – I WANNA BE SEDATED!”
 

Ein Knallen. Das letzte Wort erstirbt mit einem Gurgeln, gefolgt von einem Zischen. Brandgeruch steigt ihm in die Nase.
 

In der Dunkelheit hört er James Stimme. „Expelliarmus!“ Und dann: „Lumos!
 

Das Wohnzimmer ist dunkel bis auf einen Streifen Mondlicht, der quer hindurchgeht und das bläuliche Licht von James‘ Zauberstab. Es ist keine Horde Todesser. Gegenüber von ihm steht nur eine einzelne dunkle Gestalt, gekleidet in einem schwarzen Umhang.

Funken sprühen aus der Richtung ihres Plattenspielers und dicker, schwarzer Rauch steigt davon aus.
 

James stößt einen ungläubigen Fluch aus und hustet. „Godrics Eier!“
 

„Hände hoch!“ faucht Sirius und zielt blindlings in den Rauch.
 

„Nicht schießen!“ ruft James atemlos. „Es ist dein Bruder…!“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Und endlich sind wir da gelandet, wo ich eigentlich schon im dritten Kapitel landen wollte. Aber ihr habt sicher schon gemerkt, dass ich mich einfach nicht kurz fassen kann ...
Ups.
Das nächste Kapitel ist schon fast fertig und kommt noch vor Weihnachten, versprochen. :D Komplett anzeigen

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