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Balance Defenders Kurzgeschichten

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
„Deine redseligste Figur trinkt aus Versehen ein Wahrheitsserum. Dummerweise begegnet sie kurz darauf ihrem Erzfeind.“ Ein Vitali x Serena Kapitel.

Der zweite Teil der Aufgabe, dass meine redseligste Figur – Vitali – ihrem Erzfeind begegnet, hat mich dazu veranlasst, eine Begebenheit zu wählen, die tatsächlich im vierten Band von Balance Defenders vorkommen wird, nämlich dass Vitali zum Geburtstag seiner Großmutter muss.
Sorry, Grauen-Eminenz, aber für Vitali kommst du nicht an seine schreckliche Großmutter ran. XD
Zu diesem Zeitpunkt stehen die sechs einer neuen Art von Lichtlosen gegenüber, den sogenannten Plagen, die so einiges bewirken können. Daher gibt es nun einfach eine Wahrheits-Plage statt eines Wahrheitsserums. ;D

Irgendwie hat meine Bearbeitung dieser Aufgabe komplett den Rahmen gesprengt und der Text ist deeeeuuutlich länger geworden als ursprünglich geplant (wie eines meiner normalen Freitagskapitel) – dabei habe ich extra schon ein paar Szenen wieder rausgeschmissen. Ich bedanke mich jetzt schon bei jedem, der sich die Zeit nimmt, es zu lesen!

Es ist auf jeden Fall bisher meine Lieblingsgeschichte, vielleicht auch weil sie eine Alternative zu dem darstellt, wie die Begebenheit sich im 4. Band abspielen wird. Komplett anzeigen

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Vitali und die Wahrheit

Als Vitali an diesem Morgen erwachte, hatte er bereits eine seltsame Ahnung, dass etwas nicht stimmte.

Und das lag nicht daran, dass er heute mit seiner Familie zu der Geburtstagsfeier seiner verhassten Großmutter fahren musste. Es hatte nicht mal etwas damit zu tun, dass – aufgrund der akuten Gefahr der noch freien Plagen – entschieden worden war, dass Serena ihn begleiten sollte. Irgendeinen Freund als Unterstützung auf die Familienfeier mitzunehmen, hätte sein Vater nicht erlaubt. Doch da Vitalis Mutter eh dauernd so tat, als wären Serena und er ein Paar, war Vivien die Idee gekommen, dass sie das für sich nutzen sollten. Es war schließlich völlig normal, seiner festen Freundin die restliche Familie vorstellen zu wollen. Das hieß jedoch, dass Serena und er den ganzen Tag so tun mussten, als wären sie wirklich zusammen.

Was das Problem war, das selbst diese Herausforderungen in den Schatten stellte, begriff Vitali erst, als seine Mutter ihn mit seiner nun endlich offiziellen Beziehung zu Serena aufzog.

„Sie geht nur wegen den Plagen mit, nicht wegen mir.“ Er stockte.

Seine Mutter sah ihn irritiert an.

Er wollte hastig eine Ausrede finden, was er damit gemeint hatte, aber sein Mund ließ es nicht zu, dass er irgendetwas Erfundenes aussprach.

„Plagen?“

„So Dinger, die einen besetzen und einen seltsame Dinge tun lassen.“, erklärte er, ohne es zu wollen.

„Nicht heute, Vitali.“, brummte seine Mutter. „Du weißt, wie deine Oma auf solche Scherze reagiert. Du musst es nicht auch noch darauf anlegen, dass sie dir wieder etwas unterstellt.“

„Sie hasst mich!“, schrie Vitali und ärgerte sich, dass es ihm nicht mal gelang, die Worte einfach zu unterdrücken.

„Vitali.“, sagte seine Mutter drängend. „Es ist nur ein Tag.“

Vitali biss die Zähne zusammen, wirbelte herum und ging zurück in das Zimmer von ihm und seinem Bruder.

Sein jüngerer Bruder Viktor, Vicki genannt, hatte bereits seinen feinen Sonntagsanzug herausgeholt.

Vitali versuchte zu fluchen, aber nicht mal das wollte ihm gelingen.

„Was ist los?“, fragte Vicki verwundert.

„Ich kann nicht lügen!“, schrie Vitali. „Ich kann nicht mal NICHT sagen, was ich denke!“

Vicki schien nicht zu begreifen.

„Frag mich irgendwas, was ich dir sonst nie sagen würde!“

„Hast du damals mein ferngesteuertes Auto kaputt gemacht?“

„Es war ein Versehen!“, rief Vitali.

Vicki wirkte noch nicht überzeugt. „Bist du in Serena verliebt?“

Warum ausgerechnet diese Frage!

„Ja!“, schoss es aus Vitalis Mund.

„Du kannst echt nicht lügen.“, stellte Vicki fassungslos fest.

„Wehe du fragst mich noch so was!“, beschwerte sich Vitali.

„Was machst du, wenn ich es tue?“, fragte Vicki gespannt.

„Gar nichts.“, gestand Vitali. „Aber es verletzt mich, wenn du das ausnutzt.“

„Tut mir leid.“, sagte Vicki kleinlaut.

Vitali stöhnte. „Ich kann so auf keinen Fall –“ Verdammt, er konnte nicht mal eine solche Behauptung aufstellen! „Wenn ich so mitgehe, dann –“

„Du sagst allen Verwandten, was du von ihnen denkst.“, beendete Vicki den Gedanken.

Vitali verzog das Gesicht. Verzweifelt hielt er sich den Kopf und verfluchte diesen Zustand.

„Ich will ster- leben. Aaaah! Das macht mich ver- Es macht gar nichts. Ich drehe –“

Das war definitiv die schrecklichste Plage von allen!

Halt! Wenn es eine Plage war, dann konnte man sie doch entfernen!

„Bist du sicher, dass du von einer Plage besessen bist?“, fragte Justin.

Vitali hatte sie alle zu einer Notsitzung einberufen und sie ins Hauptquartier teleportiert. Da Vivien und Justin heute auf Viviens Geschwister aufpassen sollten, war Ewigkeit zurückgeblieben, um den Job solange zu übernehmen.

„Nein.“, gestand Vitali. „Aber ich sage alles, was ich wirklich denke.“

„Tust du das nicht immer?“, fragte Ariane verwundert.

„Nein!“, rief Vitali.

„Es wirkt immer so.“, meinte Ariane.

„Ich sage nicht alles, was ich denke!“, stellte Vitali klar und forderte lautstark: „Mach was mit deinem Schutzschild, damit die Plage rausgeht!“

Erik stoppte ihn. „Wir müssen erst wissen, welche Welle die Plage auflösen kann.“

„Ich hab nicht so viel Zeit.“, drängte Vitali. „Die Familienfeier ist demnächst.“

Erik ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. „Also, du kannst nicht lügen.“

„Ich sage einfach direkt das, was ich wirklich denke, auch wenn ich es gar nicht sagen will.“, erklärte Vitali. „Und ich kann es nicht einfach zurückhalten, es kommt so aus meinem Mund geschossen!“

Erik wandte sich an Vivien. „Denkst du, du bekommst eine Welle hin, die so was wie Verstellung und Zurückhaltung beinhaltet.“

Vivien grinste, als wäre das ihr Spezialgebiet.

„Das heißt, ich soll direkt den Schutzschild benutzen?“, fragte Ariane nochmals in die Runde.

„Ja!“, rief Vitali.

Justin nickte bestätigend.

Ariane ließ ihrer Körperoberfläche ihren Schild entspringen. Ohne Weiteres ließ er Vitali passieren. Doch im Gegensatz zu dem Mal, als Serena besessen gewesen war, zeigte sich nicht plötzlich jenseits des Schilds eine Plage.

„Wieso geht es nicht?“, schrie Vitali.

„Ich weiß nicht.“, sagte Ariane und löste den Schild auf.

„Vielleicht ist jede Plage anders.“, überlegte Justin laut.

„Macht, dass sie rausgeht.“, flehte Vitali.

Ariane trat heran, um es mit ihren Läuterungsfähigkeiten zu versuchen.

„Hat es gewirkt?“, fragte sie.

„Keine Ahnung.“, antwortete Vitali. „Frag mich was.“

Vivien kam herbeigesprungen. „Darf ich?“ Ihre Augen funkelten vor Neugier.

„Du willst mir nur eine superpeinliche Frage stellen, die ich dir sonst nie beantworten würde! Und dann will ich im Erdboden versinken.“

Vivien drehte sich zu Ariane. „Es hat wohl nicht geholfen.“

Ariane schüttelte den Kopf.

„Tut doch was!“, bettelte Vitali. „Wenn ich meine Oma treffe, sage ich ihr sonst alles, was ich über sie denke!“

„Und was denkst du über sie?“, wollte Vivien wissen.

„Sie hasst mich! Sie hat mich schon immer gehasst. Mich und meine Mutter. Und sie hat jede Gelegenheit genutzt, um mich als Lügner hinzustellen. Dabei hat sie gelogen!“ Vitali spürte, wie bei der Erinnerung die Tränen in ihm hochkamen.

Vivien berührte ihn am Arm und er spürte, wie eine andere Emotion auf ihn überging. Er begriff, dass sie ihm ein Gefühl von sich übertrug, um ihn zu beruhigen. Vielleicht weil sie ein schlechtes Gewissen hatte, ihm die Frage gestellt zu haben.

Serena mischte sich ein. „Sag deiner Mutter einfach, dass du zu Hause bleibst.“

„Das – Mein Vater verlangt, dass wir zum Geburtstag seiner Mutter alle mitgehen. Ihm ist völlig egal, ob ich das will oder nicht.“

„Dann tu so, als wärst du krank.“, entgegnete Serena.

„Was an ‚Ich kann nur die Wahrheit sagen‘ hast du nicht verstanden?“

„Du musst ja nicht sagen, du bist krank, sondern nur so tun.“

„Ich kann nicht.“, erwiderte Vitali hilflos. „Ich kann nicht mal irgendwas tun, das nicht ehrlich ist.“ Er bedeckte seine Augen mit den Händen.

Ariane versuchte nochmals, ihn zu beruhigen. „Aber du bist doch allgemein immer ehrlich.“

„Mann, ich sag nicht immer alles, was ich denke! Normalerweise stelle ich mich doof, wenn ich auf was nicht reagieren will. Und weil mich eh alle für dumm halten, kaufen sie mir das auch ab.“

Ariane starrte ihn an.

Vitali konnte nicht fassen, dass er das gerade verraten hatte!

Vivien scherzte. „Vielleicht könnte dich Serena paralysieren. Wenn du bewegungsunfähig im Bett liegst, dann kannst du definitiv nicht mit.“

„Dann bringen sie mich ins Krankenhaus! Und nur Ariane kann die Paralyse aufheben. Die bringen mich noch auf die Intensivstation und da dürfen nur Familienangehörige hin!“

„Ja, das ist ein Problem.“, stimmte Vivien zu.

„Und wenn Serena dich einschlafen lässt?“, schlug Ariane vor. „Sie sollte doch eh mit dir auf diese Geburtstagsfeier.“

„Du meinst, es ist besser, ich penne mitten im Restaurant ein, als dass ich meiner Verwandtschaft die Meinung sage?“

Ariane schaute, als könne sie das nicht beantworten.

Vitali seufzte. „Mein Vater wird wieder schimpfen und sich für mich schämen. So wie immer.“ Er verzog den Mund. Warum musste er das nur laut aussprechen?

Erik erhob die Stimme. „Du musst wegen deinem Vater mit auf diese Feier, aber wegen deinem Vater kannst du nicht mit auf die Feier, weil er wütend wird, wenn du irgendwem sagst, das du wirklich denkst.“

„Ja.“, bestätigte Vitali. „Wenn ich meiner Oma oder irgendwem von seinen Verwandten sage, was ich von ihnen halte, dann hab ich Hausarrest bis ich 18 bin und kriege kein Taschengeld mehr.“

Erik wandte sich an Serena. „Kriegst du es hin, dass er nicht ins Gespräch mit jemandem kommt?“

„Wie soll ich das denn machen?“, rief Serena.

„Ihr seid da als Pärchen. Du musst einfach so tun, als würdest du seine gesamte Aufmerksamkeit beanspruchen.“

„Er kann sich nicht zurückhalten!“, erinnerte Serena. „Egal was ich mache, er wird jedem sagen, was er denkt, wenn derjenige nur vorbei läuft.“

Vivien grinste über das ganze Gesicht. „Du könntest ihn jedes Mal küssen, dann kann er nicht reden.“ Sie lachte hämisch.

„Halt die Klappe!“, kreischte Serena.

„Erik, Vivien, kann ich mit euch reden?“, bat Vitali hektisch.

Ohne auf ihre Antwort zu warten, lief er in den Trainingsbereich. Die beiden folgten ihm.

Obwohl es auszuschließen war, dass die anderen vom Aufenthaltsraum aus hören konnten, was er hier zu Vivien und Erik sagte, flüsterte er.

„Ihr könnt mich nicht –“ Wieder dieses Phänomen, dass er nichts aussprechen konnte, das offensichtlich nicht den Tatsachen entsprach. „Lasst mich nicht mit Tiny alleine!“

Vivien grinste. „Hast du Angst, ihr deine Liebe zu gestehen?“

„Ja!“ Er warf seinen Kopf in den Nacken und flehte inständig, dass diese Wahrheitssache endlich aufhörte.

Erik atmete geräuschvoll aus. „Sie weiß jetzt, dass du nur die Wahrheit sagen kannst, wäre das nicht eine gute Chance, es zu tun?“

„Bist du – Ich kann das n- Aaah! Ich hab Angst!“

„Wovor?“, fragte Vivien interessiert.

Warum ausgerechnet diese Frage?! „Dass –“ Kurz hielt Vitali inne, weil sein Inneres erst die wahre Antwort finden musste. „Wenn ich ihr das sage, dann gibt es kein Zurück. Ich kann das nicht rückgängig machen.“

„Wieso solltest du es rückgängig machen wollen?“, fragte Vivien weiter.

„Weil ich denke, dass sie was anderes will.“ Vitali zog den Kopf ein.

„Was meinst du?“

Konnte Vivien nicht aufhören, solche Fragen zu stellen?

„Sie wünscht sich jemanden, der sie versteht und einfühlsam ist und so was wie in nem Disney-Film. Die große Liebe. Das –“ Betrübt sah er auf. „Ich bin kein Disney Prinz.“

Vivien wirkte vergnügt. „Du könntest Aladdin sein, nur brauchst du keinen Teppich zum Fliegen.“

„Das ist nicht – Ich –“ Vitali seufzte. „Ich hab Angst, dass sie mir das Herz bricht.“ Es war unerträglich, sich das eingestehen zu müssen.

„Oh, das ist so süß!“, jauchzte Vivien. „Ihr habt beide Angst, dass der andere euch gar nicht wirklich mag, dabei seid ihr beide so ineinander verliebt.“

„Sie ist nicht – Woher willst du wissen, dass sie in mich verliebt ist?“

Vivien kicherte, als wäre das eine urkomische Frage.

Vitali sah hilfesuchend zu Erik, dann senkte er frustriert das Haupt. Die Worte kamen unwillkürlich. „Du würdest besser zu ihr passen.“

Nun lachte Vivien lautstark.

„Was ist daran so lustig?“, verlangte Vitali zu erfahren.

„Dass du Serenas Männergeschmack total falsch einschätzt.“

„Mann! Erik ist supergutaussehend, intelligent, einfühlsam, sexy, stark und versteht sie ohne Worte! Wie soll ich dagegen ankommen?“

Erik sah ihn ausdruckslos an.

„Oooh.“, flötete Vivien. „Wenn deine Liebeserklärung an sie halb so romantisch wird, wie die gerade an Erik.“

„Halt die – Es tut mir weh, dass du dich über mich lustig machst!“

Reue trat in Viviens Züge. „Tut mir leid.“

Vitali hielt sich den Kopf. „Könntest du Justin davon überzeugen, am Ende des Tages Serenas Erinnerungen zu löschen?“

Erik hob vielsagend die Augenbrauen. „Du weißt, dass er das niemals tun würde.“

„Ich bin geliefert.“

Erik holte Atem. „Nur zu deiner Info. Das, was du gerade über mich gesagt hast, sieht Serena in dir.“

„Ich verstehe sie nu-“ Vitali stockte. Er konnte das Wort nicht aussprechen. Hieß das etwa, dass er tatsächlich glaubte, sie ein bisschen zu verstehen?

„Du merkst das vielleicht nicht, aber du verstehst viele Seiten an ihr besser als ich.“, sagte Erik.

Vivien nickte.

Vitali sah von einem zum anderen. „Das hilft mir überhaupt n- Ich hab trotzdem Angst.“

„Was ist schlimmer, alleine auf die Familienfeier gehen oder Gefahr laufen, Serena deine Gefühle zu gestehen?“, fragte Erik.

Vitali musste darüber nachdenken. Es klang beides schlimm. „Kann nicht jemand anderes mitgehen?“

„Du kennst die Antwort.“, entgegnete Erik.

Vitali seufzte tief.

Erik stellte die nächste Frage. „Willst du, dass sie dich begleitet?“

„Ja.“, antwortete Vitali, ohne zu zögern. „Aber ich will allgemein, dass sie bei mir ist.“

Wie kam es, dass etwas sich viel heftiger anfühlte, wenn man es laut aussprach?

„Willst du, dass sie weiß, was du für sie fühlst?“

„Ja.“, gestand Vitali und sah seine Freunde leidend an.

„Dann hast du deine Antwort.“, meinte Erik.

 

******

 

 

Da er ehrlich mit Ja geantwortet hatte, als es darum ging, ob er neben Serena sitzen wolle, saß sie zwischen ihm und seinem Bruder auf der Rückbank. Die Fahrt dauerte eine halbe Stunde, dann kamen sie an dem gutbürgerlichen Gasthof in ländlicher Umgebung an, in dem die Familienfeier stattfand.

Seine gesamte Verwandtschaft väterlicherseits war bereits anwesend.

Die drei jüngeren Geschwister seines Vaters, ein Bruder und zwei Schwestern, waren allesamt studiert. Die unterschwelligen Sticheleien gegen den niedrigeren Bildungsstand seines Vaters hatte Vitali schon als Kind wahrzunehmen gelernt.

Vitalis Vater, Hermann Luft, hatte nach dem frühen Tod seines Vaters bereits in jungen Jahren viel und hart arbeiten müssen, um die Familie mit zu ernähren. Hermann hatte immer nur das gemacht, was von ihm verlangt worden war. Das einzige Mal, dass er sich gegen das entschieden hatte, was seine Mutter von ihm wollte, war als er Vitalis Mutter Irina geheiratet hatte.

In den Augen von Vitalis Großmutter war Irina nichts als ein freches Russenweib. Dabei war sie hier geboren worden und ihre Vorfahren stammten aus Deutschland. Natürlich hatte Großmutter Luft ihre wahren Gedanken nie offen ausgesprochen, zumindest nicht vor Vitalis Eltern. Als er klein gewesen war, hatte sie vor ihm dagegen keinen Hehl daraus gemacht, wie sie über seine Mutter dachte. Und als er seinen Eltern davon erzählt hatte, hatte diese Hexe alles abgestritten und ihn als Lügner hingestellt. Auch wenn er davon ausging, dass seine Mutter eigentlich wusste, wie ihre Schwiegermutter zu ihr stand, hatte sie ihn damals nicht verteidigt. Noch heute schmerzte ihn diese Erinnerung.

Vitalis Blick erfasste weitere seiner Verwandten.

Achja, da waren sein Cousin, der so alt war wie er, und seine drei Jahre jüngere Kusine, beide natürlich auf dem Gymnasium. Er erinnerte sich noch, wie sehr sie ihm das ständig unter die Nase gerieben hatten, als er noch auf der Realschule gewesen war. Er war sich sicher, dass sie auch darüber, dass er nun auf dem Wirtschaftsgymnasium sein Abitur machen wollte, die Nase rümpften, denn ein berufliches Gymnasium konnte natürlich nicht mit einem normalen mithalten.

Wie er dieses bekloppte Snob-Denken verabscheute! Dabei wusste er ja, dass diese Ideen von seinem Onkel stammen mussten, dem Lieblingssohn seiner Großmutter, der studiert und eine anständige deutsche Frau geehelicht hatte, die auch brav arbeiten ging, im Gegensatz zu seiner Mutter, die ja nur Hausfrau war.

Er hasste es, hier gute Miene zum bösen Spiel machen zu müssen und zu wissen, dass seine Verwandtschaft doch eh nur darauf wartete, sich über ihn und seine Familie das Maul zu zerreißen.

Eine Berührung an seiner Hand ließ ihn zusammenschrecken. Er riss seinen Kopf zu Serena herum, die neben ihm stand.

Ihr besorgter Blick machte ihm klar, dass man ihm seine Gedanken wohl wieder hatte ansehen können. Eigentlich fand er es nicht schlimm, ein sprechendes Gesicht zu haben, aber in manchen Momenten war es störend.

Sein Vater schritt auf seinen Bruder zu und sie umarmten sich, tauschten nutzlose Floskeln aus.

„Wer ist das?“, flüsterte Serena ihm zu.

„Mein bekloppter Onkel, der meint, er wäre ach so toll.“, antwortete Vitali und konnte Serena ansehen, dass sie die Frage bereute.

„Vitali.“, zischte seine Mutter von vorne, musste sich aber bereits umdrehen, um freudestrahlend ihre Schwägerin zu begrüßen.

Vitali stöhnte.

Er spürte, wie Serena seine Hand ergriff. Fragend sah er sie an.

„Ich bin deine –“ Sie unterbrach sich kurz. „Partnerin.“

Vitali horchte auf. Das war nicht gelogen. Sie waren schließlich Beschützerpartner.

„Vitali!“, rief sein Onkel lautstark. Vitalis Hand entzog sich automatisch Serenas. „Du bist ja noch größer geworden! Aber du solltest mal etwas Sport machen, damit du nicht so ein Spargeltarzan bleibst.“ Sein Onkel boxte ihm gegen die Schulter und lachte laut.

Vitali war genervt davon, dass alle dauernd darauf rumreiten mussten, dass er nicht muskulös war. Doch ehe sich Worte in seinem Mund gebildet hatten, die er entgegnen konnte, brachte Serenas Stimme ihn aus dem Konzept.

„Er ist gut so wie er ist.“, verkündete sie bestimmt.

Fassungslos starrte er sie an. Ihr Blick war fest, ja regelrecht abweisend seinem Onkel gegenüber.

Sein Onkel schnaubte. „Ach du bist also Vitalis Freundin, die unbedingt mitkommen musste.“

„Ja.“, sagte Serena, ohne etwas an ihrem feindseligen Gesichtsausdruck zu ändern.

Vitali erkannte, dass sein Vater nicht begeistert von Serenas Verhalten war.

Sein Onkel sah von oben auf sie herab, zumindest versuchte er es. Bei Serenas Größe war das nicht sonderlich einfach, für jemanden, der ein ganzes Stück kleiner als Vitali war.

„Wie ich sehe, hat Vitali jemanden gefunden, der noch weniger Manieren hat als er.“

„Zumindest habe ich nicht weniger als Sie.“, zischte Serena.

Vitali konnte nicht anders, er musste grinsen. Er hatte Serenas Aufmüpfigkeit noch nie attraktiver gefunden als in diesem Moment.

„Vitali.“, brummte sein Vater erbost.

In diesem Moment ergossen sich die Worte aus Vitalis Innerem. „Selbst wenn ich Spitzensportler wäre und die höflichste Freundin aller Zeiten hätte, würdet ihr doch immer noch was finden, was euch an mir nicht passt. Also wozu mir die Mühe geben? Ihr könnt euren Schwanzvergleich ohne mich weitermachen.“

Er griff nach Serenas Hand und zog sie weiter in den Raum.

„Vitali!“, brüllte sein Vater.

Vitali blieb stehen und drehte sich zu seinem Vater um. Mit den Worten nahm auch seine Erregung zu. „Was? Ist es so schlimm, dass ich sage, was ich denke, im Gegensatz zu dir, der sich alles gefallen lässt und nicht mal den Mund aufkriegt, wenn seine Familie beleidigt wird? Als wären WIR ein Grund, sich zu schämen!“ Tränen hatten sich in seinen Augen gesammelt. „Ich bin nicht dafür da, damit du dich nicht länger unterlegen fühlst!“ Eine Träne löste sich aus Vitalis Augen. Er atmete schwer.

„Es reicht!“, donnerte eine resolute Frauenstimme und Vitali sah, dass seine Großmutter wutentbrannt zu ihm trat. „Du magst dich zu Hause so aufführen können, aber nicht hier! Man hätte dich früh genug Manieren lehren müssen!“

„Manieren!“, schrie Vitali. „Du hast meine Mutter noch nie mit Respekt behandelt! Du hast mich als Lügner beschimpft. Du hast dafür gesorgt, dass mein Vater mich geschlagen hat, für etwas, das ich nicht getan habe! Wenn hier jemand keine Manieren hat, dann bist das du!“, brüllte er. Vor lauter Tränen konnte er nichts mehr sehen.

„Raus!“, bellte seine Großmutter. „Raus! Und lass dich hier nie wieder blicken!“

Vitali liefen Tränen über die Wangen. „Ich war doch eh nie willkommen.“, spie er bitter aus. Er spürte, dass seine Hand sich viel zu fest um Serenas gekrampft hatte. Er ließ sie los, drehte sich um, erkannte den geschockten Blick seiner Mutter, das ängstliche Gesicht seines kleinen Bruders, der von der Situation völlig überfordert zu sein schien, und eilte hinaus.

Er rannte, raus, an die frische Luft und erbrach ein bitterliches Schluchzen, bedeckte sein Gesicht mit den Händen.

Er bekam kaum mit, wie jemand ihm folgte, doch wusste er, dass es Serena war, als die Person ihre Arme um ihn schlang.

Hilflos klammerte er sich an sie. Seine stummen Schluchzer brachten sein Inneres zum Beben. Er krümmte sich vor Leid. Seine Finger gruben sich in Serenas Jacke.

‚Die Wahrheit tut weh.‘

Eine fremdartige, dunkle Stimme erklang in Vitalis Gedanken. Er spürte, wie sich etwas aus seinem Körper löste, als hätten die Tränen ihm Bahn gebrochen.

Nach Luft schnappend ließ er Serena los, sah automatisch auf und entdeckte dort in der Luft schwebend etwas Fremdartiges.

Es sah aus wie ein im Wind wehendes Stück von etwas, das sich in fließenden Bewegungen erging. Wie ein seltsames Gespenst aus Licht und Dunkelheit.

Die Plage!

‚Plage.‘, schnaubte die dunkle Stimme in seinem Kopf, als hätte sie seine Gedanken gelesen. ‚Das einzige, was euch Menschen plagt, sind die geheimen Wünsche eures Herzens, die ihr glaubt, unterdrücken zu müssen.‘

Obwohl er keine Augen an der Erscheinung erkennen konnte, hatte er das Gefühl, sie würde direkt in sein Inneres sehen.

‚Aus Angst.‘

Er glaubte, etwas Gönnerhaftes in die fremde Stimme treten zu hören. ‚Sag, hast du heute etwas offenbart, das du nicht aus tiefstem Herzen einmal aussprechen wolltest? Das dein Herz nicht längst ans Tageslicht bringen wollte? Das du nicht so gefühlt hast? Bin wirklich ich dein Feind oder nicht vielmehr deine eigene Feigheit?‘

Vitali rang nach Atem.

‚Nun, willst du, dass ich es ungeschehen mache? Dass sich keiner mehr an deine Wahrheit erinnert? An den Schmerz, den du so lange unterdrückt hast? Willst du weiterhin Verstecken spielen aus Angst vor Veränderung?‘ Etwas Spöttisches trat in die Stimme. ‚Change.‘

Dass die Plage seinen Beschützernamen kannte, jagte ihm einen Schauer über den Rücken.

‚Überlege es dir gut, denn ich kenne die Wahrheit.‘

„Ich will niemandem wehtun.“, sagte Vitali.

Ein tiefes Lachen schallte in seinem Kopf. ‚Solange du lebst, wirst du anderen wehtun, Junge. Veränderung zerstört, aber sie ist notwendig. Du solltest das wissen. Oder verschließt du dich so sehr vor deinem wahren Wesen?‘

Die Worte trafen Vitali.

‚Schmerz ist der Begleiter der Veränderung, Wahrheit Fluch und Segen. Und Leben ist Schmerz, wenn du festhältst an dem, wie du es haben willst oder wie du glaubst, wie es besser wäre, statt dich dem Wandel hinzugeben.‘

Vitali schüttelte den Kopf. „Mein Vater …“

‚Ist es sein Leben? Willst du seine Wahrheit leben oder deine?‘

Vitali rang mit sich.

‚Angst ist menschlich. Aber sag mir, was du willst, Change. Willst du tun, was die Angst dir zuflüstert und deine Wahrheit runterschlucken, bis du an ihr erstickst?‘

„Ich kann nicht einfach …“

‚Wer hat gesagt, es wäre einfach?‘

„Ich will nicht, dass jemand wegen mir leiden muss.“

‚Deshalb leidest du an ihrer Stelle? Ist es das, wofür du hier bist? Um die Fehler anderer zu bezahlen? Dein Vater hat seine Wahl getroffen, deine Mutter ihre. Doch was ist deine? Hast du nicht lange genug gelitten, um sie stolz auf dich zu machen?‘

Vitalis Mund verzog sich, er biss sich auf die Unterlippe in einem Versuch, die Tränen nicht erneut hochkommen zu lassen.

‚Du bist nicht dafür da, den Schmerz anderer zu unterdrücken, indem du ihr Spiel spielst. Betrüge dich nicht. Der Schmerz ist da, ob er an die Oberfläche dringt oder unter ihr schwillt.'

„Wirst du es rückgängig machen?“, fragte Vitali.

‚Ich habe dich gewählt, Change, weil alles in dir aufrichtig ist. Enttäusche mich nicht, indem du eine Wahl triffst, mit der du dich selbst belügst.‘

„Ich kann nicht mehr.“, sagte Vitali.

‚Glaube mir, du kannst sehr viel mehr, wenn du nur aufhörst, davonzulaufen.‘

Vitali bedeckte die Augen mit den Händen. Er wusste, was von ihm verlangt wurde.

‚Wenn du mich erlösen willst, dann wähle die Wahrheit.‘

Er blickte nochmals auf und begriff. Bisher war er davon ausgegangen gewesen, dass man Lichtlose stets mit einer gegensätzlichen Schwingung auflöste. Doch diese Plage war wie ein Gefangener auf der Suche nach einer Seele, die die Wahrheit wählen würde, trotz der Konsequenzen, die dies nach sich zog.

Langsam atmete er ein und aus, traf seine Wahl.

„Ich werde mutig sein.“

Er glaubte, ein dankbares Nicken an der Plage zu erkennen und ein Lächeln. Allmählich löste sie sich in funkelnden Schimmer auf und hinterließ ein Gefühl von finaler Erlösung.

„Vitali.“

Er sah Serena an. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sie die ganze Zeit über nicht versucht hatte, die Plage zu paralysieren oder zu attackieren.

„Alles okay?“, fragte sie besorgt.

In diesem Moment dämmerte ihm, dass sie die Plage nicht gesehen und nicht gehört hatte, dass dieses ganze Gespräch nur in seinem Kopf stattgefunden hatte.

Er nickte, noch zu überwältigt von allem, um sich zu Worten durchzuringen.

„Vitali!“ Das war die Stimme seiner Mutter. Ängstlich drehte er sich zum Ursprung des Rufs um.

Mit seinem kleinen Bruder an der Hand kam seine Mutter auf ihn zu.

Er fürchtete sich vor ihrer Reaktion, davor, dass sie ihm Vorwürfe machen würde.

Serena trat vor ihn. „Er kann nichts dafür!“, rief sie verzweifelt aus. „Er wollte das nicht.“

„Das weiß ich.“, sagte seine Mutter streng. Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah sie ihn an. „Wir gehen.“

Vitali glaubte, sich verhört zu haben.

„Was ist mit Papa?“, fragte Vicki aufgelöst.

Vitali sah die Züge seiner Mutter hart werden, als müsse sie ihre eigenen Gefühle unterdrücken. Er fühlte sich entsetzlich schuldig.

„Irina!“

Unwillkürlich wich Vitali einen Schritt zurück, als sein Vater ebenfalls aus dem Gasthof gestürmt kam.

Seine Mutter ließ Vicki los und wirbelte zu ihm herum. „Ich werde nicht wieder da reingehen!“, schrie sie. „Ich habe das lange genug mitgemacht! Aber jetzt reicht es! Ich lasse meinen Sohn nicht mehr so behandeln!“

Sein Vater schwieg, sah zu Vitalis Verwirrung nicht wütend, sondern völlig am Ende aus, als hätte er keine Kraft mehr für dieses Gespräch.

„Irina…“

„Nichts Irina! Du weißt genauso gut wie ich, dass sie nur so zu ihm ist, weil er nach mir kommt!“

Vitali horchte auf. Die hellen Haare hatte er von seinem Vater, während Vicki rein äußerlich mehr Ähnlichkeit mit seiner Mutter hatte, aber dafür deutlich zu ruhig und brav war. Obwohl seine Großmutter andauernd angedeutet hatte, dass er seiner Mutter ähnelte, als er klein gewesen war, hatte er darüber nie weiter nachgedacht.

„Entweder stehst du zu deiner Familie, zu UNS, oder du lässt es!“, forderte seine Mutter mit Nachdruck. „Wenn dir deine Mutter wichtiger ist als ich, dann weiß ich zumindest, woran ich bin.“

Das Gesicht seines Vaters verzog sich, als würden die Worte ihm Leid zufügen. Er schien den Tränen nahe zu sein.

„Kommst du mit uns oder bleibst du hier?“, forderte seine Mutter zu erfahren.

Sein Vater antwortete nicht. Wie ein geschlagener Hund lief er an ihnen vorbei zum Wagen.

 

Die ersten Minuten der Heimfahrt über herrschte Schweigen. Vitali schämte sich, einen Streit zwischen seinen Eltern heraufbeschworen zu haben. Diese ganze Situation ging auf seine Kappe.

Seine Mutter durchbrach die Stille. „Es tut mir leid, dass du das mitbekommen musstest.“ Er verstand, dass sie mit Serena redete.

„Mir tut es leid.“, antwortete Serena und wirkte, als würde sie mit sich hadern. „Bitte seien sie nicht böse auf Vitali. Er wollte das alles nicht.“

Vitali fürchtete sich vor der Reaktion seiner Eltern auf ihre Worte.

„Darüber brauchst du dir keine Sorgen machen.“, entgegnete seine Mutter in einem Tonfall, von dem Vitali nicht sagen konnte, ob er Wut auf Serena oder auf ihn beinhaltete. „Ich hätte schon viel früher etwas sagen müssen.“

Vitali zuckte zusammen.

„Das ist meine Schuld.“, behauptete Serena. „Wenn ich nicht dabei gewesen wäre, hätte sich Vitali nicht so benommen.“

Es schmerzte Vitali, dass sie die Verantwortung für sein Verhalten auf sich nehmen wollte.

„Es ist gut, dass du dabei warst.“, sagte seine Mutter unerwartet. „Er hat sich zu lange alles gefallen lassen.“

„Irina.“, grollte sein Vater.

„Was?“, fuhr sie ihn an. „Ich habe meinen Sohn nicht dazu erzogen, still und leise zu sein, auch wenn das deiner Mutter recht gewesen wäre. Meine Kinder sollen für sich einstehen und sich nicht kleinmachen lassen wie du!“

„Mama.“, flehte Vicki.

Doch ihre Mutter ließ sich nicht beirren. „Du hast dich immer unterbuttern lassen in deiner Familie und ich dachte, ich muss still sein, damit meine Kinder es nicht von deiner Verwandtschaft abbekommen, dass ich nicht reinpasse. Einmal nur hätte ich mir gewünscht, dass du hinstehst und ihnen sagst, dass sie aufhören sollen! Es ist doch eine Schande, dass unser Sohn das für uns machen musste!“

„Irina…“

Vitali glaubte, etwas Flehendes aus der Stimme seines Vaters herauszuhören und sah sich gezwungen, das Wort zu ergreifen.

„Ma.“, sagte er zaghaft.

„Du hast nichts falsch gemacht!“, schimpfte seine Mutter.

„Können wir aufhören, darüber zu sprechen?“, bat er.

Seine Mutter schwieg.

Vitali atmete langsam aus und wandte sich zu Serena. Es war offensichtlich, dass sie sich unwohl fühlte aufgrund der ganzen Situation. Er griff nach ihrer Hand.

Von der ungewohnten Geste überrascht, sah sie ihn fragend an. Vitali blieb ihr eine Antwort schuldig. Er sah aus dem Fenster und hielt ihre Hand.

 

Zu Vitalis Erleichterung hatte sein Vater während der Fahrt kurz nach der Hand seiner Mutter gegriffen und sie hatte es zugelassen, ohne sich ihm zu entziehen. Das war ein gutes Zeichen.

Schließlich kamen sie vor Serenas Haus an.

„Vitali, begleite deine Freundin zur Tür.“, befahl seine Mutter.

Zum ersten Mal störte ihn das nicht.

Während er den Weg von dem weiß gestrichenen Zaun bis zur Eingangstür neben ihr her ging und Serena ihren Schlüssel aus ihrer Handtasche hervorholte, fasste Vitali einen Entschluss. Er wollte nicht mehr feige sein.

„Tiny.“

Serena stoppte in der Bewegung und sah ihn an.

„Damals hast du gesagt: ‘Freunde‘“

Sie schien zu verstehen, dass er auf ihre eigene Besessenheit anspielte. Etwas Ängstliches trat in ihr Gesicht, als fürchte sie, dass er ihr die Freundschaft kündigen wollte.

Vitali rang nach Worten. „Ich … Nicht nur!“

Ihre Augenbrauen gaben ihre Verwirrung wieder.

„Nicht nur Freunde.“, sagte er und versuchte ihr mit einem Blick zu verdeutlichen, was er ihr mitteilen wollte. Aber das genügte offenbar nicht.

„Ich will, …“ Er holte nochmals Luft. „Du bist mehr für mich.“ Sein Herz klopfte wie wild bei den Worten. Seine Augen suchten in ihren nach einer Bestätigung, nach irgendwas.

Ihr Mund war nicht länger geschlossen, als wäre seine Eröffnung für einen Moment zu viel für sie.

Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihr unmissverständlich klarzumachen, worauf er hinauswollte. „Ich will, dass du mehr in mir siehst als einen Freund und Beschützerpartner.“

Er schluckte. „Das ist alles.“ Er senkte den Blick. „Meine Eltern warten.“

Kurz schweifte sein Blick über ihr ängstliches Gesicht, dann wandte er sich ab und lief dem Auto seiner Eltern entgegen.

„Vitali!“

Er stoppte und drehte sich zu ihr um.

Für eine Sekunde starrte sie ihn verzweifelt an, dann rannte sie plötzlich auf ihn zu.

Ohne länger zu zögern, legte sie ihre Rechte auf seine eine Gesichtshälfte und drückte ihm einen Kuss auf die andere. Hastig zog sie sich zurück und sah ihm furchtsam in die Augen.

Er antwortete mit fragendem Blick.

„Immer.“, stieß sie mit hoher Stimme aus.

Vitali blinzelte. Serena trat einen Schritt zurück und zog beschämt den Kopf ein, sah dann aber doch wieder zu ihm auf, als wolle sie seine Reaktion nicht verpassen.

Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Er strahlte sie an.

Davon offenbar noch verlegener werdend, lächelte sie scheu in sich hinein.

Ein Hupen erklang.

„Ich muss gehen.“, stellte Vitali fest.

Serena nickte.

Noch einen Atemzug blieb er bei ihr stehen, sah sie an, lächelte.

Dann begann sein Herz abermals zu rasen. Hastig, bevor er es sich anders überlegen konnte, beugte er sich zu ihr und gab ihr ebenfalls einen Kuss auf die Wange.

Nur kurz streiften seine Augen ihr liebliches Antlitz, ihre niedliche Reaktion, dann eilte er grinsend dem Wagen seiner Familie entgegen.

Veränderung hatte auch ihre Vorteile.



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