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Balance Defenders Kurzgeschichten

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Die Protastik-Aufgabe zu dieser Kurzgeschichte hat mich vor eine ziemliche Herausforderung gestellt, denn sie lautete:
Dein*e Lieblingsprota fragt dich nach einem guten Buch. Was empfiehlst du – und warum?

Ich hatte nicht erwartet, dass das so ausarten würde, aber ihr müsst wissen, dass ich meinen Figuren zuvor noch nie so gegenüberstand. Es war also eine sehr aufwühlende Erfahrung, die sich über deutlich mehr Zeilen erstreckt hat als geplant und viel mehr Selbstoffenbarung beinhaltet als beabsichtigt. Aber lest selbst. Komplett anzeigen

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Ich, meine Lieblingsprotas und die Buchempfehlung

Acht Augenpaare starren mich an. Erwartungsvoll, grimmig, interessiert, unsicher, skeptisch, freundlich, begeistert und auf der Hut.

Es ist komisch, ihnen so gegenüberzustehen, normalerweise bin ich eben nicht ich, also nicht anwesend, sondern verschwinde hinter ihnen, sehe die Welt aus ihren Augen, gehe in ihnen auf. Ich bin dann sie und fühle mich dadurch sicher und geborgen. Jetzt, so ihnen gegenüber, als eigenständige Person, spüre ich Unsicherheit. Kurz frage ich mich, was sie von mir denken, dabei kann ich ihnen ansehen, dass sie wissen, wer ich bin und sie mir nicht übel gesonnen sind. Ich kenne sie ja besser als jeder andere.

Natürlich, Grauen-Eminenz zieht ein Gesicht, als wäre er extrem entnervt, klar, er ist ja der Antagonist und möchte taff rüberkommen, das bin ich ja von ihm gewöhnt.

Serena ist in Habachtstellung, als befürchte sie, dass ich etwas von ihr verlange, das sie nicht leisten kann oder will, als könnte sie den Anforderungen einfach grundsätzlich nicht genügen. Das tut mir leid. Ich sollte mich wohl sputen, zu erklären, worum es geht, damit sie sich nicht weiter so verrückt macht.

Auch Justin wirkt, als nehme er an, für irgendetwas gerügt zu werden. Erik dagegen schaut so kritisch, als könne ich in seinen Augen nur etwas falsch machen. Irgendwie trifft mich das mehr als Grauen-Eminenz‘ böser Blick. Hastig wende ich mich Vivien, Vitali, Ariane und Ewigkeit zu.

Die vier schauen deutlich weniger abweisend. Vivien wirkt sogar so, als würde sie mich am liebsten umarmen, aber unterließe es, um mich nicht zu überfordern.

Okay.

„Ich, ähm, die Protastik. Also, äh, die Aufgabe, die dieswöchige Aufgabe ist, dass mein Lieblingsprotagonist – also – ich meinem Lieblingsprotagonist ein Buch empfehlen soll, ach nein, er bzw. sie soll mich nach einem Buch fragen. Wartet, ich les noch mal die Aufgabe. Ja, er oder sie fragt mich nach einem guten Buch und ich soll sagen, welches ich empfehle und warum.“

Grauen-Eminenz fährt mich wütend an. „Und was soll ich dann hier?!“

Wow, wenn man ihm so gegenübersteht, sieht er deutlich gruseliger aus, als ich dachte, und seine Stimme ist wirklich sehr einschüchternd. Während ich aus seiner Perspektive schreibe, ist er immer so witzig. Und dann weiß ich – glaube ich – dass er nicht wirklich so böse ist, wie er tut. Aber jetzt hinterfrage ich das. Vielleicht kenne ich ihn ja gar nicht! Vielleicht ist er viel boshafter als ich dachte. Ich bin verunsichert, dabei mag ich ihn doch eigentlich…

„Was?!“, brüllt er mich gereizt an.

„Du schüchterst sie ein.“, sagt Vivien zu ihm. Dass sie ihm gegenüber so gelassen auftreten kann, beeindruckt mich jetzt noch mehr.

„Gut so!“, schreit er. „Ich habe mit dieser bekloppten Aufgabe nichts zu tun!“

Vivien grinst. Oh, sie ist ja noch viel niedlicher, wenn sie grinst, als ich dachte! Sie sieht dabei so frech und süß zugleich aus! „Vielleicht wollte sie ja ein Casting für ihren Lieblingsprota machen.“, scherzt sie.

„Hä?“, ruft Vitali. Der Anblick seines sprechenden Gesichts in live vor mir ist sehr einnehmend. „Ich mach bei keinem Casting mit!“

Ein halb spöttisches Lächeln schleicht sich auf Eriks Züge. „Glaubst du, sie will, dass du ihr vorsingst?“

Ich hätte gedacht, dass er die ganze Zeit schweigen würde, aber wenn es um Vitali geht, ist er manchmal lockerer als man denkt. Das ist wirklich knuffig.

„Was weiß ich!“, ruft Vitali.

Justin sieht mich sorgenvoll an. „Was sollen wir denn tun?“

„Nichts.“, sage ich hastig. „Also nichts Bestimmtes. Was ich meine ist, … Ihr seid alle meine Lieblinge, ich kann mich nicht entscheiden, wer von euch mein Lieblingsprotagonist ist.“

„Ich bin kein Protagonist.“, herrscht Grauen-Eminenz mich mit schneidender Stimme an, was mich zusammenfahren lässt.

Ich merke, dass seine grimmige Abwehr deutlich amüsanter ist, wenn man sie nicht direkt abbekommt.

Ich senke die Augenbrauen und schaue mit verzogenem Mund zu ihm auf. Er sollte wissen, dass ich alles über ihn weiß und ich entscheide, ob er ein Protagonist ist oder nicht!

Er beißt die Zähne zusammen, als würde ihm klar werden, dass ich am längeren Hebel sitze. Ich hoffe, er begreift, dass ich nur sein Bestes will, ihn aber auch nicht zwingen werde, etwas zu tun, das er nicht will. Das muss schon von ihm ausgehen.

Ariane ergreift das Wort. „Wir sollen Sie nach einer Buchempfehlung fragen?“

Dass sie mich siezt, versetzt mir einen Stich. Ich fühle mich auf einmal extrem alt, dabei war ich jünger als sie, als ich mit dieser Geschichte anfing. Aber stimmt, Ariane ist erst später hinzugekommen als die anderen. Ob sie irgendeinen Groll deswegen auf mich hat?

Unsinn, es ist Ariane. Sie ist einfach sehr höflich und versucht dauernd, perfekt zu sein.

„Ihr könnt mich duzen.“, stelle ich klar.

„Ich will gar keine Buchempfehlung.“, meint halblaut Vitali an die anderen gewandt. Wahrscheinlich wäre ihm eine Videospielempfehlung lieber. Da kenne ich mich nicht so aus, aber ich habe Freunde, die ich fragen könnte. Mein einer Kumpel hat mir Persona 5 ans Herz gelegt. Oder war es eine andere Zahl? Aber ob es Vitali gefallen würde? Ach, ich schweife vom Thema ab.

Serena wirft ihm einen tödlichen Blick zu, als wolle sie ihm stumm mitteilen, dass er sie nicht alle blamieren solle.

„Was?“, fordert er von ihr zu erfahren.

Sie schüttelt nur den Kopf, als wäre er zu blöd oder als würde sie sich für ihn schämen. Ich bin baff, wie abweisend sie dabei wirkt. Ich weiß ja, wie gern sie Vitali hat. Aber nun beeindruckt es mich umso mehr, dass Vitali tatsächlich hinter ihre Fassade schauen kann.

Ich versuche mir Gehör zu verschaffen. „Was haltet ihr von eurer eigenen Geschichte?“

Die meisten von ihnen schauen verständnislos, Vivien dagegen klatscht freudig in die Hände und strahlt über das ganze Gesicht.

Oh, sie ist so süß! Auf andere Weise als Ewigkeit, die wirklich äußerst zerbrechlich wirkt mit ihren grazilen Gliedern, den zart schimmernden Schmetterlingsflügeln, gerade mal handgroß. Ich bemerke jetzt erst den zauberhaften Glöckchenklang, der von ihr ausgeht.

„Was meinen – meinst du mit unserer Geschichte?“, hakt Ariane nach. Sie ist ja meistens diejenige, die die Fragen ausspricht, die alle haben.

„Naja, Balance Defenders. Die Geschichte von euch, die ich schreibe.“

Etwas geht in Serenas Gesicht vor, Erkenntnis. „Auf keinen Fall!“, kreischt sie, wohl verstehend, dass sie in ihren Teilen mehr von sich offenbart, als sie die anderen wissen lassen möchte, vermutlich insbesondere Vitali. Dabei gehe ich nicht davon aus, dass er es lesen würde, es sei denn ich würde ihm explizit sagen, welches Kapitel und welche Stelle er lesen soll, um Serenas Gedanken zu erfahren.

Ariane sieht sie verwundert an. „Wieso nicht?“

„Die Charaktere dürfen doch nicht einfach alles wissen, was der Autor weiß! Das ruiniert die ganze Handlung!“, schreit Serena. „Außerdem hat sie das gerade auch IHM vorgeschlagen!“ Sie zeigt unverhohlen auf Grauen-Eminenz.

Justin nickt. „Er könnte das gegen uns verwenden.“

Grauen-Eminenz verdreht die Augen, als hätte er genug, was er gegen sie verwenden könnte, auch ohne das.

Plötzlich werden Arianes Augen groß. „Ich bin auch dagegen.“ Ihr Blick war kurz zu Erik gewandert, daher kann ich mir zusammenreimen, dass sie befürchtet, dass die Eröffnungen aus der niedergeschriebenen Geschichte Erik überfordern könnten. Vor allem Details, die sie ihm bisher vorenthalten haben, um ihn zu schonen. Ich sehe ein, dass das keine gute Idee ist.

„Stimmt. Ähm, ich habe noch zwei andere Empfehlungen. Das eine ist eine Geschichte, die eine Freundin von mir schreibt, also wir haben uns über unsere Geschichten angefreundet. Es geht um eine Welt, in der es Dämonen gibt, also die sind quasi wie Götter, und sie suchen sich Menschen aus, mit denen sie sich verbinden und denen sie ihre Kraft geben, aber die Dämonenbesitzer sind bei den anderen Menschen nicht sonderlich beliebt. Es gibt auch viele verschiedene Charaktere wie bei euch und es geht auch oft um den Alltag und es ist echt schön gemacht, mit tiefsinnigen Themen etc. Der Titel ist Demon Girls & Boys. Zum anderen eine Geschichte von einem Kumpel, den ich auch übers Schreiben kennengelernt habe, die ist eher High Fantasy. Es geht um eine taffe Heldin, die Teufelswaffen einsammelt, nachdem sie durch eine fast oder eigentlich richtig gestorben ist, aber wieder auferstand. Mit ihren Begleitern zusammen erlebt sie Abenteuer. Da gibt es mehr Action. Sie heißt Morgenstern.“

Erik sieht mich an und mir wird bewusst, dass er mit Fantasy nichts anfangen kann. Auch Ariane hätte wohl lieber eine Art Thriller oder Abenteuerroman, in den geschichtliche Fakten und dergleichen mit eingewoben sind, um einen Schatz zu finden oder so. Justins Ausdruck nach zu urteilen, würde er mir zuliebe auch diese Fantasy-Geschichten lesen, einfach um mir eine Freude zu machen.

Er ist wirklich ein Schatz.

„Kommen Liebesgeschichten darin vor?“, fragt Vivien neugierig. Achja, sie liebt Romantik.

„Ja, in beiden.“ Ich lächle, denn es freut mich, dass sie sich dafür interessiert, dabei hätte ich ja wissen können, dass die vorgeschlagenen Werke ihren und Serenas Geschmack treffen könnten.

Eigentlich denke ich, dass Morgenstern auch Vitali gefallen würde wegen dem Humor. Aber er ist nunmal keine Leseratte. Ich ja leider auch nicht. Irgendwie schon peinlich, schließlich erwartet das jeder von einem, wenn man selbst schreibt. Dadurch fühle ich mich oft schlecht, denn sollte ein guter Autor nicht auch viel lesen? Ah, ich schweife schon wieder ab mit meinen Gedanken!

„Ihr müsst natürlich nichts davon lesen. Das ist ja auch gar nicht Teil der Aufgabe.“

Vivien ruft: „Wo kann ich es lesen?“

„Ähm, auf Animexx, so wie eure Geschichte. Äh, ich hab mir gar nicht überlegt, ob ihr in eurer Welt darauf zugreifen könnt. Das ist eine faszinierende Frage.“

Oje, jetzt habe ich mir mehr Arbeit gemacht. Vielleicht sollte ich dieses Gespräch schnell beenden, bevor Vivien noch auf die Idee kommt, dass ich ein Special schreiben soll, in dem sie in meine Realität überwechseln und mein Leben auf den Kopf stellen. Das würde ihr sicher gefallen.

Oh Gott, hoffentlich würde Justin sie aufhalten.

„Danke, dass ihr alle hergekommen seid.“, versuche ich einen Schluss zu finden. „Das hat mir echt geholfen. Ich habe mich sehr gefreut, euch mal leibhaftig zu sehen. Ist aber auch seltsam. Ihr seid so groß.“

„Vivien nicht.“, merkt Vitali an, schließlich ist Vivien nur eins fünfzig und damit einen Kopf kleiner als ich. Andererseits ist es faszinierend, dass er Vivien nennt statt Ewigkeit.

Vivien lacht. Ihre geringe Größe macht ihr glücklicherweise nichts aus. Ich fürchte, Serena leidet sogar eher darunter, dass sie so groß ist, dabei ist sie nur zwei, drei Zentimeter größer als ich, ein Meter vierundsiebzig, aber dadurch ist sie eben das größte der Mädchen, gleich groß wie Justin. Neben Vitali fällt es aber gar nicht auf.

Ich ergehe mich schon wieder in unnötigen Überlegungen, dabei wollte ich diese Protastik-Geschichte doch gar nicht so lang werden lassen! Sicher sind die Leser sonst nur genervt, schließlich passiert hier doch überhaupt nichts. Kein Konflikt, der gelöst wird, nur ein seltsames Gespräch zwischen mir und meinen Charakteren, die sie nicht mal richtig kennen. Bestimmt werden sie von den ganzen Namen völlig verwirrt sein! Und Ewigkeit hat gar nichts gesagt. Sie scheint auch jetzt nichts sagen zu wollen.

Vielleicht hätte ich das anders aufziehen, auf eine bessere Idee warten sollen.

Oh Mann. Wieder diese Selbstzweifel... Ich muss damit aufhören.

Ich schaue meine sechs, Ewigkeit und Grauen-Eminenz an. Ich bin echt froh, dass ich sie habe. Sie machen mich wirklich glücklich, auch wenn sie es nicht wissen.

Sie wissen es doch nicht, oder?

Was wissen sie überhaupt über mich? Bin ich nicht eine komplett Fremde für sie? Aber gleichzeitig kennen sie mich doch bestimmt besser als jeder andere, oder? Wir halten es schließlich schon fast 21 Jahre miteinander aus.

Natürlich haben sich ihre Charaktere in dieser Zeit geändert und vor allem ihre Story, aber trotzdem sind sie schon so lange Teil von mir und haben mich so viel über mich gelehrt, haben mich begleitet, sind mir beigestanden. Ich habe sie wirklich lieb.

Vivien dreht sich plötzlich zu den anderen um und gibt ihnen ein Zeichen.

Zu meiner Überraschung kommen alle auf einmal auf mich zu und nehmen mich in den Arm.

Ich höre Ewigkeits Glöckchenklang, werde emotional und muss schluchzen. Tränen laufen über meine Wangen.

„Du hast gesagt, sie würde sich drüber freuen!“, beschwert sich Vitali, wohl bei Vivien.

Serena fährt ihn an. „Sie weint vor Rührung, du Vollidiot.“

„Ich dachte, nur du machst das.“, gibt er zurück.

„Sie ist unsere Autorin, du Depp! Was glaubst du, von wem wir diese bescheuerten Eigenschaften haben!“, keift sie.

„Also sie ist schuld, dass du mich dauernd paralysierst?“

Serena gibt ein unzufriedenes Geräusch von sich.

Die beiden können sich wirklich in jedem Moment streiten.

Jemand streicht mir von hinten über den Kopf und ich weiß instinktiv, dass es Grauen-Eminenz ist. Ich bin erstaunt, dass er das vor den Beschützern tut, doch er hört auch direkt wieder damit auf.

Ich weiß, ich sollte mehr an mich glauben, weniger zweifeln. Sicher bin ich oft anstrengend für sie alle. Trotzdem halten sie zu mir. Das treibt mir schon wieder die Tränen in die Augen.

Ich bin ganz froh, dass Vitali mich dafür nicht anschreit, wie er es in der Vergangenheit öfters bei Serena getan hat, wenn ihre Tränen ihn überforderten. Aber ich weiß ja, es lag daran, dass er nicht wusste, wie er damit umgehen soll. Dennoch könnte ich das gerade nicht gut wegstecken. Justins einfühlsame Ruhe ist in diesem Moment eher das, was ich brauche.

Erik seufzt. „Wie lange willst du dich noch kleinreden?“

Ich muss schlucken. Natürlich muss er den Finger in die Wunde legen.

„Erik.“, tadelt Ariane. „Sie gibt ihr Bestes.“

„Sie kann mehr.“, behauptet Erik.

Ich weiß nicht, ob ich mich davon geschmeichelt oder unter Druck gesetzt fühlen soll. Und ich habe den Eindruck, meine Gedanken klingen Serenas gerade allzu ähnlich.

Es ist nicht so einfach, will ich trotzig entgegnen, aber das kommt mir auch wie etwas vor, das Serena sagen würde. Komischerweise würde Erik das nie so brutal Serena gegenüber äußern. Das bedeutet wohl, von mir erwartet er mehr. Ich bin mittlerweile ja auch deutlich älter.

Stimmt, ich bin ja jetzt die Älteste in dieser Runde. Dabei war Grauen-Eminenz so viel älter als ich, als ich mit dieser Geschichte anfing.

Aah! Diese Gedankenabschweifungen sind echt nicht gut. Ich bin ein verdammt schlechter Erzähler!

Was wollte ich denn jetzt gerade machen?

Äh, wollte mir nicht Erik gerade eine Strafpredigt halten?

Darin ist er ja ziemlich gut und er sagt dabei meist sehr direkte und wahre Dinge, die den anderen zwar treffen, aber aufbauen sollen. Wird er das jetzt auch bei mir machen?

Ich warte, hebe den Blick und sehe ihn an.

Er macht mir stumm klar, dass ich seine Worte nicht brauche. Er erwartet, dass ich die Antwort selbst kenne, schließlich hat er seine Eigenschaften ja auch von mir. Im Umkehrschluss bedeutet das wohl, ich bin selbst tiefsinnig genug und habe ausreichend Durchblick, um mich aus jedem Loch rauszuholen.

Dass er eine so hohe Meinung von mir hat, ehrt mich, schließlich kenne ich seine hohen Ansprüche – die hat er ja auch von mir. Irgendwie tut mir das leid. Ich weiß ja, wie sehr er unter ihnen leidet.

Sie alle leiden schlussendlich unter meinen Schwächen…

„Danke.“, sage ich. „Dass ihr für mich da seid und das alles mit mir gemeinsam durchsteht. Dieses ganze Leben. Das ist echt anstrengend.“

Vivien lacht.

„Ihr seid stärker als ihr denkt.“, setze ich fort.

„Sag dir das gefälligst selbst.“, antwortet Erik grob.

Ich verziehe den Mund, schließlich habe ich das gerade nur gesagt, weil ich erkannt habe, dass das auch für mich gilt.

Ich seufze. „Ich gebe mein Bestes.“, verspreche ich.

„Du musst nicht dein Bestes geben.“, widerspricht Erik. „Du musst einfach nur Freude daran haben.“

Ich bin extrem überrascht, dass er so etwas von sich gibt. Woher hat er denn jetzt diese Reife? Gut, er besitzt ja einen sechsten Sinn, vielleicht wusste er daher, was ich gerade hören musste.

„Danke.“, antworte ich.

Justins beruhigende Stimme erklingt. „Wir sind hier.“, versichert er glaubhaft. „Wannimmer du uns brauchst.“

Ich nicke dankbar. Etwas beschämt presse ich hervor „Ich hab euch lieb“ und frage mich, ob es unangebracht ist, ihnen das zu sagen. Es ist so viel leichter, Vivien das aussprechen zu lassen.

„Wir dich auch.“, antwortet ausgerechnet Erik, zwar in einem Ton, der eher abweisend als herzlich klingt, dennoch wundere ich mich erneut, warum ER das ausspricht, etwas, das sonst typisch für Vivien wäre. Aber ich kenne Vivien, sie weiß, wann sie schweigen muss, um anderen Raum zu lassen. Und vielleicht musste ich diesen Satz von Erik hören.

Es fällt mir schwer, mich von ihnen zu verabschieden, denn das bedeutet wieder zurück zu müssen in mein Leben, in meinen Alltag, die Probleme des Erwachsenseins, die Existenz! Wieder alleine mit meinen Gedanken sein…

Ich hole noch einmal tief Luft und entsinne mich Justins Worten. Dennoch fürchte ich mich, denn es ist leichter, in meiner Fantasie zu bleiben, in der ich entscheide, was geschieht. Wo mich niemand angreifen kann…

Wieder schäme ich mich für den Gedanken. Das werden doch später Leute lesen. Ich sollte das rauslöschen. Das ist viel zu persönlich und intim! Die Leute denken sicher, ich bin ein Schwächling, wenn ich so was schreibe.

Ach Mann. Warum mache ich es mir denn jetzt wieder so schwer und verheddere mich in meinen eigenen Gedanken? Wieso kann das nicht einfach aufhören?

Ich seufze lang und tief. Momentan finde ich mich selbst oft schrecklich anstrengend.

„Hey!“, ruft Vitali.

Ich blinzle ihn an, doch er scheint nichts weiter sagen zu wollen, er wollte mich wohl bloß aus meinen Gedanken reißen, aber sobald ich darüber nachdenke, fängt das Gedankenkarussell sich wieder an zu drehen! Ich schüttele den Kopf.

Mein Blick fällt auf Serena, die so viel von meinem Teenager-Ich hat, so viel von meinen Unsicherheiten, auch wenn ich die auch auf die anderen verteilt habe.

Ich weiß, es ist nicht schlimm, schwach zu sein, dennoch schäme ich mich dafür und mache es dadurch noch schlimmer.

Wie hat Vitali mal gesagt: Es ist okay, sei einfach wie du bist. Und: Du bist wichtig. Das hat er zwar nicht zu mir gesagt, aber zu Justin und Serena. Und das ist fast dasselbe.

Ich sollte mich darauf konzentrieren, dass sie nicht nur meine Schwächen haben, sondern auch meine Stärken. Ja. Jeder von ihnen stellt Stärken von mir dar. Stärken, die in mir sind.

Und vielleicht werden viele diese seltsamen Gedankenergüsse befremdlich finden, vor allem, weil sie sich endlos hinziehen, aber vielleicht wird es irgendwem gefallen.

Ist das schlussendlich überhaupt wichtig?

Ich bin hier. Im Hier und Jetzt, diesem Moment.

Durch den Mund stoße ich den Atem aus und mache mir bewusst, dass es nur darum geht, jetzt hier sein zu dürfen, da sein zu können.

Ich beginne zu lächeln und lasse meine Erwartungen gehen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Und die Moral von der Geschicht:
ein jeder Autor eignet sich zum Prota - NICHT. 😆

Die zwei Werke, die ich hier erwähnt habe, findet ihr übrigens hier:
Demon Girls & Boys von RukaHimenoshi
und
Morgenstern von totalwarANGEL Besagter hat übrigens auch eine dystopische Zukunftsstory mit einer Gruppe aus Teenies mit besonderen Fähigkeiten: Last Seed (vormals Last Generation) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  RukaHimenoshi
2023-01-29T16:51:18+00:00 29.01.2023 17:51
Naaaw, das ist ja eine süße Protastik!!!!! 🥹🥹
Hat wirklich Spaß gemacht, es zu lesen. Und ich finde es wirklich schön, dass du diese ganzen Gedankengänge aufgeschrieben hast. 🥰 (Und oh mein Gott, Grauen Emineeeeenz!!!!!!! Sein Auftritt… Seine REAKTION!!!!!! 😍😍😍)
Von:  totalwarANGEL
2023-01-28T00:15:57+00:00 28.01.2023 01:15
> High Fantasy
Was? Low Fantasy. Es ist Charakterbetont und dreht sich eher weniger um große Handlungen, die ganze Völker betreffen. Zumindest im Moment. Derzeit ist es "nur" Low Fantasy.

Hi hi, das war ja putzig.
Paar interessante Denkanstöße. Das mit den in andere Welten eintauchen z.B. ...
Antwort von:  Regina_Regenbogen
28.01.2023 16:26
😂 Okay, man vergebe mir meine inkorrekte Verwendung der Genre-Begriffe.
>Hi hi, das war ja putzig.
>Paar interessante Denkanstöße. Das mit
>den in andere Welten eintauchen z.B. ..
😄 Das freut mich.
Bei mir gibt es immer Denkanstöße. 😆👍


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