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Drachenjagd

Die Himmelsgöttin
von

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Devon

Der Körper hatte sich wie ein Embryo zusammengerollt, ihre Haare verdeckten das meiste von ihr. Sie war eindeutig nicht in der Lage, auf ihn zu reagieren. Sie lag auf dem Rücken, ganz behutsam legte er eine Hand auf Izara und drehte sie in die Seitenlage. Ihr Anblick überwältigte ihn kurzzeitig. Sie hatte sich einen dicken Stock zwischen die Lippen gepresst - selbst in diesem Zustand hatte sie nur daran gedacht, nicht aufzufallen. Es schmerzte Devon, dass ein Drachenmensch so weit gehen musste - sein Blut verleugnen musste -, um in der Welt als  akzeptiert zu gelten.

Er nahm ihr den Stock aus dem Mund und drückte sie an sich. Ihr Körper glühte, Devon schätzte, dass er bereits die fünfzig Grad-Marke erreicht haben musste. Nicht mehr lange und das Drachenblut wäre zur Verwandlung bereit. Ob das auch für ihren Körper galt, musste sich noch zeigen. Bisher war ihre Seele uneins mit dem Drachen in sich - nicht gerade günstig, wenn die Erweckung ein Zusammenspiel von Körper und Geist war.

Ein leises, gequältes Stöhnen ertönte, Devon machte sich daran, den Körper in eine stabile Lage zu bringen. Wie eine zerbrechliche Puppe lag sie in seinen Armen, er spürte ihren Herzschlag dicht an dem seinen und richtete sich auf. Er war vorsichtig, trotzdem wimmerte das Weibchen, als er sie von der Wiese weg brachte und sich auf die Suche nach der Höhle begab. So schnell es eben möglich war, lief er durch diese fremden Landschaften. Die Unwissenheit gab ihm ein Gefühl von Hilflosigkeit - etwas, womit Devon nur schwer zurechtkam. Es gab kleinere Berge, Felsen und Klippen - doch keine Höhlen. Frustriert musste Devon feststellen, dass die meisten Höhlen verschüttet oder gesprengt worden waren. Bloß keine Gutherzigkeit zeigen! Die Drachen könnten sich ja was darauf einbilden.

Zitternd bewegte sich die Himmelsgöttin in seinen Armen, ihr Atem war so schnell wie sein Herzschlag, die Lider wie ein Schmetterling auf der Flucht. Ihre Kleider waren von dem Fieber getrocknet worden, dafür legte sich ein Schweißfilm auf ihr blasses Gesicht, Schweißperlen tropfen ihre Schläfe hinab.

Schließlich fand er den letzten begehbaren Höhleneingang. Wie er die Paladine kannte, sahen diese es als Akt höchster Großzügigkeit an, dass sie den Drachen Kandios überhaupt noch einen Rückzugsort gewährleisteten. Nicht dass eine Tropfsteinhöhle großzügig gewesen wäre. Die Feuchtigkeit erschwerte das Atmen, der Boden war nass und überall lagen größere Gesteinsbrocken herum. Die Höhle war abgenutzt, wie viele Drachen bereits ihre Verwandlung hier durchzogen hatten, blieb wohl ein Geheimnis; vermutlich jeder Drache, der jemals in Kandio gelebt hatte. Der Duft von Fauligem ließ ihn bitter aufstoßen. Er bahnte sich einen Weg durch die Tropfsteine, suchte einen gemütlichen Untergrund - oder wenigstens eine Stelle, die halbwegs annehmbar war - und legte sie ganz sachte ab. Dann kehrte er zum Höhleneingang zurück. Die linke Hand ausgestreckt, zeichnete er mehrere kleine Kreise in die Luft. Gleißendes Licht wuchs zu einer Blase, die Schutzmauer war fast fertig errichtet, er brauchte nur noch die Blase wachsen und auf die gesamte Höhle ausweiten lassen. Mit seinen Sinnen erfasste er Größe und Struktur der Höhle. Im richtigen Moment ließ er los, die Kräfte verselbständigten sich, das Licht erlosch. Eilig kehrte Devon ins Höhleninnere zurück. Izara hatte sich kaum von der Stelle bewegt, sie zuckte, presste die Lippen zusammen und stöhnte in ihren Mund hinein. Devons Hand strich über das Haar. Es hatte die Farbe von Schnee angenommen, die Strähnen wanden sich um die Arme und um den Hals, als wollten sie ihn auf diese Weise schützen.

Er griff unter ihren Nacken, die Position schien ihr alles andere als zu behagen, also versuchte er sie ein Stück zur Seite zu drehen. Seine Hand fand dadurch ihren Rücken, etwas Warmes bahnte sich einen Weg durch ihren Mantel bis zu seiner Handinnenfläche. Das war Blut - eindeutig. Nicht das noch! Devon befreite sie von dem Mantel, riss die restlichen Kleidungsstücke auf und warf sie von sich. Sobald ihre Verwandlung los ginge, wären ihre Menschenkleider sowieso zerfetzt worden. Devon hatte den Vorgang lediglich beschleunigt. Er wusste, dass die Drachenhaut Luft zum Atmen brauchte, ganz besonders, wenn es da noch zwei Flügel gab, die darauf warteten, auszubrechen. Erstlinge waren unerfahren und abgelenkt, als dass sie ihr Menschsein problemlos nach innen kehren könnten.

Kaum hatte er Izara auf seinen Schoß gelegt, fielen ihm die vielen Risse auf. Zwischen den Schulterblättern war die Haut bereits stark in Mitleidenschaft gezogen worden, Blut sickerte unaufhaltsam ihren Rücken herunter. Nicht gut! Der menschliche Körper kämpfte gegen die Drachengestalt an. Wenn er die Blutungen nicht in den Griff bekäme, würde sie noch verbluten. Aus seinem Mantel fischte er ein Fläschchen heraus. Er hatte immer einen kleinen Vorrat an Heiltränken und -mixturen dabei. Er öffnete den Deckel und tröpfelte den Inhalt auf die geschundene Stelle. Izara gab einen seufzenden Laut, die Flüssigkeit brannte, das hatte Devon schon zu Genüge erfahren können. Wenigstens zeigte sie schnell Wirkung. Der Gerinnungsprozess setzte bereits ein, das Blut floss kontrollierter, langsamer. Devon hoffte, dass es das Blut bis zum Durchbruch in Schach halten konnte.

"Ganz ruhig. Alles wird gut", raunte er in ihr Ohr. Unwahrscheinlich, dass sie ihn noch hörte, aber manchmal reichte es aus, zu spüren, dass man nicht alleine war. Soweit Devon ihren Zustand einschätzen konnte, befand sie sich zwischen der ersten und zweiten Phase. Es gab drei und jede galt es zu überwinden, um den Drachen zu erwecken. Die Temperatur stieg stetig an, der Körper dehnte sich. Ihre Haut wurde transparent, Schuppen zeichneten sich durch blass graue Linien ab. Devon wusste, dass sie noch einen langen Weg vor sich hatte. Sie mussten geduldig sein - sie beide.

Ein Rascheln und die Haare begannen mit dem Hals zu verwachsen. Außenstehende könnten meinen, sie wollten sie erdrosseln, dabei bereitete er ihn auf das Bevorstehende vor. Nicht mehr lange und der Hals würde sich strecken, lang und kräftig werden. Der Wachstumsprozess war der Schwierigste von allen. Selbst Drachen mit reinem Blut schmerzten die ersten Zentimeter, wenn die Haut zu reißen drohte, die Schale aufplatzte und die Drachenschuppen offenbarten. Devon hatte nie eine Verwandlung durchlebt, das stand denjenigen zu, die als Fötus im Leib der Mutter herangewachsen waren. Drachen, die aus Eiern schlüpften, kamen als Drachen auf die Welt - ihr menschliches Äußeres nahmen sie erst in ihrer Kindheit an, wenn sie der Gestaltwandlung fähig waren.

"Hmm", Izara verzog das Gesicht. Sie fing an, sich zu kratzen. Die Haut ähnelte immer mehr der einer Schlange, sie biss sich auf die Lippen, versuchte die Haut von den lästigen Schuppen zu befreien. Er griff nach ihren Armen, aber Izara wehrte sich, fauchte und fletschte die Zähne. Kleine, bissige Stute! In dieser Phase wurden alle Weibchen zu Furien. Der Drache erwachte, die Zähne wurden spitzer, die Finger - lange, scharfe Krallen - bohrten sich durch alles, was sie zwischen die Finger bekamen. Auch die Füße ähnelten immer mehr den Hinterbeinen eines Drachen. Sie strampelte, traf dabei zwei Tropfsteine, die mit einem Knall zu Boden gingen. Noch war sie weit davon entfernt, ihre wahren Drachenkräfte zu erwecken. Das hielt sie aber nicht davon ab, um sich zu schlagen und alles zerlegen zu wollen, was ihr in den Weg käme. Devon ließ sie ihre Gefühle ausleben, ihr Kreischen hallte durch das Innere der Höhle - wild und unbeherrscht. Was als gequälter Laut begann, verwandelte sich in leidenschaftliche Raserei. Ihre Hormone waren unkontrolliert, ihr Körper spürte die Veränderung, spürte das Weibchen in sich. Und Devon spürte es auch, biss die Zähne zusammen und kümmerte sich weiter darum, das Blut von Izara zu lecken. Die antiseptische Wirkung würde später die Heilung beschleunigen und verhindern, dass Narben blieben. Die Prozedur lenkte ihn von den Gefühlen, die sich wie ein Rauschgift in der Höhle verteilt hatten, ab.

Stunden strichen dahin, Izara hatte kaum noch Kraft, der Verwandlung stand zu halten. Ihre Flügel standen nun kurz vor dem Durchbruch, er strich ihr über die Fleischwunde, spürte die Handflughaut darunter, die auf ein Maximum zusammengefaltet war.

"Unterdrück es nicht", flüsterte er ihr zu. Izara keuchte. Lange würde sie das nicht mehr durchstehen. Das Himmelsblut machte ihr zu schaffen, Devon wusste auch nicht, was er noch tun könnte. Drachenmenschen waren zu selten und es hatte seine Gründe, weshalb Himmelsdrachen dieses Risiko nie eingegangen waren. Er musste darauf hoffen, dass ihr Körper den Strapazen standhielt, ihr Wille erwachte und den Drachen in sich befreite. Wenn sie ihn akzeptierte, würden vielleicht auch die Schmerzen nachlassen.

"Es geht vorüber. Versprochen." Devon war sich nicht sicher, ob er sich gerade selbst Mut zusprach. Etwas Zuversicht hatte auch er bitter nötig.

"I-ich kann-"

Devon sah zu ihr herunter. Hätte er sich verhört? Eigentlich sollte sie nicht in der Lage sein zu sprechen. Sie stieß die Luft aus, Rauch sammelte sich in ihren Nüstern. Wie er es sich gedacht hatte, waren ihre Worte nur Einbildung. Doch es gab ihm Zuversicht. Er gab ihr etwas von seiner eigenen Wärme, sein Licht umhüllte Izara, bis sie selbst zu leuchten begann. Es knackte unter seinen Fingern, die Flügel brachen durch, hinterließen eine Pfütze aus Blut und einem blau-weißen Sekret. Als spannte sich ein Schirm auf, entfalteten sich die Flügel, die Decke knackste unter der gewaltigen Kraft. Ob sie dem Druck standhielt, blieb ungewiss, aber das war Devon egal. Er hatte nur Augen für den Drachen.  Die Verwandlung war vollzogen -  mit den letzen Kraftreserven, die sie hatte aufbringen können. Neben ihrer erhabenen Gestalt waren es die Flügel, die alles an Aufmerksamkeit für sich beanspruchten. Hatten sie einmal das Blut abgeschüttelt, waren sie das Schönste, was er je in seinem Leben gesehen hatte. Selbst seine kräftigen Schwingen konnten es nicht mit ihren weißen, blau schimmernden Flügeln aufnehmen. Ohne Frage waren dies die Flügel einer Prinzessin - der einzig wahren Himmelsgöttin.



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