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Drachenjagd

Die Himmelsgöttin
von

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Izara

Sie starrte auf die Klinke. Irgendetwas sagte ihr, dass sie nicht so schnell hier raus könnte. Das Schnauben lenkte sie von ihren Gedanken ab. Izara drehte den Kopf. Die Augen weiteten sich, die Lippen waren geöffnet, der Körper erstarrt. Das Zimmer des Königs war kein Zimmer. Der Raum war gewaltig, es gab weder Blümchentapete noch einen flauschigen Teppichboden oder helles Parkett. Es gab keine Tische, keine Stühle, selbst ein Bett würde man hier vergeblich suchen. Für einen Moment glaubte sie, im Inneren einer Höhle zu stecken. Das grelle Licht zwischen einzelnen Steinen, die unförmig aus der Wand gehauen worden waren, verrieten, dass sie sich noch immer im Schloss befand. Womöglich hätte sie sich etwas länger umgesehen, wenn nicht ein riesiger Drache am Ende des Raumes gestanden hätte und ihre Aufmerksamkeit für sich beanspruchte.

Izara hatte bis zu diesem Zeitpunkt keine Vorstellung, wie ein Himmelsdrache auszusehen hatte. Nicht einmal ihre eigene Drachengestalt war ihr bisher bewusst gewesen. Die Kreatur vor ihr, die sie mit seinen eiskalten blauen Augen anstierte, übertraf all ihre Vorstellungen, die sie über ihre Spezies gelernt hatte. Die weißen Schuppen waren so grell, als wären sie aus der Sonne geboren worden. Umrahmt wurden sie von einem verwaschenen Blau, als wäre jemand mit Aquarellfarbe darüber gegangen. Die Flügel waren makellos und so blass schimmernd, dass sie den Eindruck erweckten, man könnte durch sie hindurch sehen. Der lang geschwungene Hals, die breiten Schultern, die Vorder- und Hinterbeine, aus denen silberne Krallen hervorstachen - es war nur ein Bruchteil dessen, was seine Erscheinung ausmachte, die zweifellos die Bezeichnung »königlich« verdient hatte. Izara konnte es nicht bestreiten, sie war fasziniert und auf eine sehnsuchtsvolle Weise fühlte sie sich von ihm angezogen, wie es nicht einmal seine menschliche Gestalt vemochte. Hatte sie König Devon als großgewachsenen und durchaus gutaussehenden Mann kennengelernt, übertraf die Drachenform alles, und zum ersten Mal wurde sie sich ihres eigenen Wesens bewusst.

"Hoheit", hauchte Izara. Erst jetzt hatte sie wieder zu atmen begonnen. Die Luft war stickig und schwül. Der Drache stieß aus seinen Nüstern blasse Schwaden aus, die wie Nebel durch den Raum schwebten. In seinen Augen lag keine Erkenntnis und Izara musste schmerzlicherweise feststellen, dass er sie wirklich nicht erkannte. Bis zuletzt hatte sie Trias Worte als leere Drohung vermutet, damit er Izara von seinen Gemächern fernhalten konnte. Nun, wo der Himmelsdrache mit hasserfüllten Augen zu ihr hinunter sah, gab es keinen Spielraum für Interpretationen. Aus seinem Bauch schien ein leises, bedrohliches Grollen zu kommen. Izara verstand es durchaus als Warnung und sie spürte, wie ihr Körper instinktiv eine Schutzhaltung einnahm. Die Arme um den Oberkörper geschlungen, wusste sie nicht so recht, was sie tun sollte. Sie war so überzeugt gewesen, dass es richtig war, hierherzukommen, dass sie sich keine Gedanken gemacht hatte, wie es danach weitergehen sollte. Ganz anders der Drache. Dieser reckte seinen Hals und begann mit den Flügeln zu schlagen. Die Heftigkeit, mit der der Wind auf Izara zu raste, brachte sie aus dem Gleichgewicht. Sie stolperte, rutschte auf etwas Nassem aus und landete mit dem Gesicht in einer Pfütze. Ein metallischer Geschmack legte sich auf ihre Lippen. Izara fasste sich an den Mund, schmeckte das Blut auf ihrer Zunge und riss die Augen auf. Die Lache war kalt, Izara spürte das Blut überall. Vor lauter Schreck fasste sie sich an die Bandagen. Die Laken war klitschnass, das Blut war binnen Sekunden durchgesickert.

"Unmöglich", murmelte Izara, die sich nicht erklären konnte, warum die Schmerzen ausblieben. Dann begriff sie und mit offenem Mund starrte sie zu König Devon hinauf.

"Ihr blutet." Jetzt sah sie die Stellen. Pfützen über Pfützen - die Spuren zogen sich über den gesamten Raum. Steine waren beschmiert, selbst von der Decke tropfte es herunter. Fast schien es, der Raum selbst blutete, doch dann sah Izara die Wunde. Die Flügel hatten einen Großteil verdeckt, nun zeichnete sich am Rücken eine lange tiefe Schnittwunde ab; von einem Schwert, wie Izara vermutete, und ihr Herz verkrampfte sich bei dem Gedanken. Vorsichtig versuchte sich Izara aufzurappeln. Der Drache stieß einen donnernden Schrei aus, der Izaras Beine zum Zittern brachte. Izara hatte kaum Zeit zu reagieren, als auch schon die Krallen nach ihr ausgefahren wurden. Schnell duckte sie sich und schob sich mithilfe des Blutes weit genug von den Pranken des Himmelsdrachen.

"Bitte hört auf!", rief sie der Kreatur zu. Der Drache kreischte, den Kopf gen Decke gestreckt. In seinen eiskalten Augen erkannte sie Zorn und Schmerz. Der Drache litt, ganz egal, wie oft er dieses Prozedere schon durchlebt hatte - die Schmerzen des Königs trafen Izara bis ins Mark und dass Trias dies als Lappalie verkaufen wollte, machte sie wütend.

Ein weiteres Mal holte der Drache aus, diesmal stürzte er sich direkt auf Izara, die durch seine Vorderbeine hindurch rannte.

"Ihr müsst aufhören!", rief Izara immer weiter. Aber der Drache hörte nicht. Sein animalischer Laut hallte durch den Raum. Selbst die Wände schienen vor ihm zu erzittern.

"Ich flehe Euch an", flüsterte sie. Ihre Schreie waren vergeblich, der Drache hörte sie nicht, und wenn, war es ihm egal, was Izara sagte. Der nächste Flügelschlag erwischte Izara an der Schulter, sie flog auf die Wand zu und sackte zu Boden. Sie stöhnte vor Schmerz auf. Izara mochte sich erholt haben, aber auf eine Konfrontation mit dem König der Drachen war auch sie nicht gewappnet.

"Ihr müsst Euch erinnern!", versuchte es Izara auf ein Neues.

Warum hört er mich nur nicht?, dachte sie verzweifelt, während der Drache den nächsten Angriff vorbereitete.

Lag es daran, dass er all seine Gefühle abgestellt hatte? Dass die Gestalt ihn zu einer triebgesteuerten Bestie werden ließ?

Ihre Blicke trafen sich und ihr kam eine Idee. Was, wenn der Drache auf Izaras Menschenblut reagierte? Wie hatte König Devon ihren Duft bezeichnet; er hätte etwas »Erdiges«? Sie selbst konnte ihren Duft nicht ausmachen, doch sie war sich sicher, dass auch jetzt noch ein Großteil ihres Menschseins an ihm haftete. Da war es nur logisch, dass der Drache sie als Feind betrachtete, oder?

"Natürlich", murmelte Izara, passte nicht auf und wurde von einer Böe bis zur Mitte des Raumes befördert. Izara kauerte sich instinktiv auf den Boden. Der Drache ging ein Stück in die Luft. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Die Hände über den Kopf geschlagen, kam ihr nur noch eine einzige Möglichkeit in den Sinn. Ganz gleich, wie lächerlich es schien, doch um ihren menschlichen Duft zu überdecken, musste sie den Drachen in sich erwecken - oder zumindest seinen typischen Geruch. Bisher hatte sie es nicht kontrollieren können, aber sie musste es wenigstens versuchen. Sie musste die Angst abschütteln und sich auf den Drachen in sich konzentrieren. Dieser fühlte mit dem Himmelsdrachen, dessen unkontrolliertes Umsichschlagen bloß aus Verzweiflung und Hilflosigkeit geschah.

Ein lauter Schrei und der Drache war direkt über ihr. Sie spürte den Wind seiner Flügel, die Energie, die sein Körper ausstrahlte, das hitzige Schnauben, das seinen Nüstern entfleuchte. Izara sah ihn bereits auf sie stürzen. Was tat ein Drache mit einem Menschen? Zerfetzte er ihn in tausend Stücke, so wie es die Völker seit Jahrhunderten erzählten? Aß er ihre Gedärme und verschönerte seine Schuppen mit zermahlenen Knochen - ganz nach den Märchen, die die Paladine herum posaunten? Izara würde es wohl nie erfahren. Warme Luft blies ihr in den Nacken. Zaghaft wagte Izara einen Blick auf den Drachen. Der Himmelsdrache stand neben ihr, seinen Kopf hatte er in ihre Richtung gedreht. Er begann, sie von allen Seiten zu beschnuppern, was ein eigenartiges Kribbeln in ihr freisetzte. Könnte es sein, dass der Drache ihr Handeln als Annäherungsversuch verstand? Nicht, dass Izaras Duft Assoziationen weckte, und der Drache dies als Einladung verstand. Können Drachen und Menschen überhaupt - Izaras schüttelte den Gedanken beiseite. Es war lächerlich und in dieser Situation überhaupt darüber nachzudenken, fühlte sich einfach nur unsinnig an.

Izara beobachtete ihn dabei, wie er den Hals hin und her schwenkte, die Augen über ihre viel zu kleine Gestalt wandern ließ. Ob er zweifelte, dass der Duft von ihr auskam? Wenigstens hatte er mit dem Knurren aufgehört. Izara wagte, sich aufzurichten, auch wenn sie dadurch kaum größer erschien. Der Drache ließ sie gewähren. Sein Gesicht war ihr nahe; so nahe, dass Izara einfach die Arme ausstreckte und ihm seine Hände darbot. Er sah sie an, Izara meinte, den Blick König Devons wiederzuerkennen und lächelte sanft. Obwohl sie ihm freiwillig die Hände entgegen streckte, überraschte es Izara, als der Kopf des Drachen sich herunter beugte. Wenn er ihre Stimme nicht erkannte - die Bedeutung ihrer Geste verstand er durchaus. Ein tiefes Ausatmen und Izara war in eine Dunstwolke eingehüllt, die sie an die warmen weichen Kissen von Zuhause erinnerten. Sie selbst atmete tief ein, ihre Hand näherte sich langsam dem Kopf, der schwebend neben ihrem eigenen zum Stehen gekommen war.

"Wer hat Euch das angetan?", flüsterte Izara, während ihre Fingerspitzen die Schuppen des Drachen fanden. Die Haut war warm und ein klein wenig feucht, als hätte er sich vor Minuten zum Trocknen in die Sonne gestellt. Mit Zeigefinger und Daumen zeichnete sie die Linien oberhalb seines linken Auges ab. Ihre Berührungen fühlten sich unheimlich vertraut und selbstverständlich an, was einerseits beruhigend, aber auch ein klein wenig furchteinflößend war. Der Drache blieb stumm und beobachtete aus seinem tiefgründigen Blick jede winzige Bewegung Izaras.

"Zum Glück scheint die Wunde sich geschlossen zu haben", redete sie weiter. Sie wusste, dass er sie nicht verstand, es war nur ungemein beruhigend statt sich mit der Stille und dem eigenen Herzschlag herumzuschlagen.

Sanft wanderten die Hände zu den Partien, die eigentlich zu den Wangen gehörten. Dort waren die Schuppen eine Nuance dunkler, die blauen Linien deutlich kräftiger.

"Es ist das erste Mal, dass ich Euch berühre", sie hielt inne. Der Drache schaute sie aus seinen runden Augen an und Izara fuhr fort. "Ob Ihr Euch später daran erinnern werdet? Oder werdet Ihr alles vergessen haben? So wie ich Eure Fürsorge vergessen habe…schon wieder." Sie senkte die Lider.

"Vielleicht ist es besser so. Wenn Ihr wüsstet, dass ich hier bin, wärd Ihr bestimmt böse auf mich", sie schnaubte lächelnd, "und auf Trias. Aber ich versichere Euch, ihn trifft keine Schuld. Wenn ich nicht gerade schmolle, kann ich auch sehr stur sein." Sie strich über die Vorderbeine, von dort wurde es schwer, den Linien zu folgen, ohne auf den Drachen klettern zu müssen - und so weit wollte sie nun doch nicht gehen. Ihn in seiner wahren Form zu berühren, erschien ihr intimer als in seiner Menschengestalt.

Dieses mächtige Wesen, das sie mit Leichtigkeit niedertrampeln konnte, legte sich schließlich neben Izara nieder. Auch jetzt lag der Kopf noch oberhalb ihres eigenen Körpers, der allmählich zu entspannen begann. Sie erlaubte sich, den Drachen als Ganzes zu berühren. Dabei wanderte sie die Konturen seines Halses hinab und zuckte kurz zusammen, als die Wunde wieder sichtbar wurde. Von Nahem flößte sie noch mehr Furcht und Respekt ein. Ein berührendes Bild menschlicher Grausamkeit. Jemand hatte wohl den Körper durchtrennen wollen, und ein einfacher Mensch wäre wohl noch in der Luft zweigeteilt worden. Sie biss sich auf die Lippen und strich um die Wunde herum. Eine Narbe war noch das Mindeste, was er aus diesem Angriff mitgenommen hatte. Wie es um sein seelisches Leiden stand, war kaum zu begreifen. Izara bezweifelte, dass König Devon jemals über seine eigenen Gefühle sprach, geschweige denn sich erlaubte, seiner Seele Erleichterung zu verschaffen. Ob sie ihn wohl jemals danach fragen könnte? Vermutlich nicht.

"Es ist nicht Eure Schuld", murmelte Izara traurig, und wusste nicht so recht, ob sie über das Volk oder sich selbst sprach. Wenn sie sich vorstellte, dass sich König Devon ständig solch einer Gefahr aussetzte-

Welcher König konnte das schon von sich behaupten?

"Werdet schnell wieder gesund", hauchte sie und ließ sich neben das Gesicht des Drachen nieder. Ihr Erschöpfungszustand hatte ein neues Level erreicht. Sie war wohl doch noch nicht so fit, wie sie gedacht hatte. Kurz ruckte der Kopf des Himmelsdrachen, nur um seine Position zu verschieben, dass Izara weiter in seine Augen blicken konnte, deren Lider immer schwerer wurden.



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