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Gloria Mundi

Der Ruhm der Welt
von

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Gestrafte

Gloria Mundi - der Ruhm der Welt I

by Lail, April 2004
 

Der Regen schlug gegen die Fensterscheiben der Lagerhalle. Das künstliche, weißgraue Licht der streng angeordneten, simplen Lampen flackerte. Die Lüftungsanlage brummte monoton und rasselte dann und wann. Irgendwo in der Ferne heulten Polizeisirenen. Nichts Ungewöhnliches für ein Gebäude im Randbezirk einer Großstadt.
 

Sein Hemd war zerrissen. Das blonde Haar, lang genug, um störend über den Augen zu hängen, aber dennoch zu kurz, um es hinter die Ohren zu verbannen, war zerzaust.
 

Was hatten sie ihm angetan? Er wagte nicht, darüber nachzudenken, war es doch so offensichtlich - auch wagte er nicht, seinen Blick an der zusammengekauerten Gestalt tiefer sinken zu lassen und Antworten auf die nicht gedachten, schon gar nicht gestellten Fragen zu bekommen.
 

***
 

... was...? Was ist...

Du? ...GOTT! Was machst DU hier?! Ich... geh weg! Geh... BITTE, geh!

... nein! Nicht näher! Komm nicht näher!

... gut. Bleib da. Bleib da stehen! Nicht näher kommen, nur nicht näher kommen!

...

Du bist geschockt, was? Deshalb kommst du auch nicht näher...

Arschloch.

ARSCHLOCH!

Zu spät! Zu bist zu SPÄT!

... Gott sei Dank...

Du hättest mich sonst schreien gehört. Ich habe nach dir geschrieen, weißt du... aber du hast mich nicht gehört. Kein Wunder.

...

Willst du da jetzt ewig stehen bleiben?

Mir ist kalt, weißt du... Woher solltest du es wissen... vielleicht, weil du Augen im Kopf hast...? Aber schaust du mich überhaupt an...?

Würdest du mich bitte losmachen? Paketschnur macht sich nur gut an Handgelenken... Ach, und würdest du mir meine Klamotten wiedergeben? Hemd hab ich ja noch... irgendwie. Ja, und meine Hose... liegt hier irgendwo rum. Glaub ich. Shorts? Keine Ahnung, hab ich aber auch ursprünglich mal angehabt, ja...

Vielleicht sollte ich den Mund aufmachen und was sagen? Oder wenigstens die Augen öffnen? Dann wüsste ich, ob du mich anschaust... würdest du meinen Blick suchen? Würdest du auch etwas sagen? Versuchen, mich zu trösten? Mich in den Arm nehmen? Oder wärest du nur erstarrt... ich könnte es nachvollziehen, denke ich... so, wie ich aussehen muss... sicherlich kein schöner Anblick...

Soll ich...

'N Scheiß werd' ich tun!

... ich will nicht mehr sitzen... das tut weh, weißt du...

Fuck! Ich fang gleich schon wieder an, zu heulen!

... nein... nein! Bleib hier, du dumme Träne...

NEIN!
 

***
 

Er weinte.
 

Wie in Ketten gelegt fühlte er sich, dabei war er selbst doch frei.

Unbeweglichkeit. Oh, wie er sie hasste.

Unfähigkeit. Unbeweglichkeit bedeutete Unfähigkeit. Besonders in diesem Fall.

Er konnte sich nicht bewegen.
 

***
 

Was...? Immer noch nicht? Du bist immer noch nicht da?

... das ist arm, weißt du?! Warum hab ich denn jetzt geweint - warum weine ich IMMER NOCH?!

WILLST DU'S SCHRIFTLICH, DU SACK?!

...

Oh, nein... Jetzt hab ich geschluchzt - ich habe doch... ja, ich habe geschluchzt.

... nein... ich will nicht. Ich will das nicht!

WAS FÜR EIN SCHUTZENGEL BIST DU EIGENTLICH?!

... gut, jetzt bräuchte ich nur noch den Mund aufmachen und das zu sagen. Zu schreien.

Aber es geht nicht. Ich kann das einfach nicht...

Lukiel...
 

***
 

Er sah die Tränen des jungen Mannes, hörte die leisen Laute, getränkt von Schmerzen, voller Verzweiflung.

Und immer noch war er unfähig, sich zu bewegen.

>>Ich schätze, davor hat mich Dumah gewarnt... dazu hätte es nicht kommen dürfen<<, schoss es ihm alarmierend durch den Kopf. Nein, eigentlich wanderten seine Gedanken wie eine zähflüssige Masse in seinem Geist umher. Nur allmählich stiegen sie in sein Bewusstsein auf und machten ihm die Situation alles andere als leichter.

Lukiel würde ihn umbringen, wüsste er, was seinem Schützling widerfahren war... Dem war er sich sicher.

Der Körpertausch war keine gute Idee gewesen...
 

***
 

... kommst du wohl her...? Festgewachsen, oder was?

Scheiße, ich sterbe!

Naja... doch... ich sterbe! ... seelisch zumindest. Wahrscheinlich bin ich schon tot. Und das ist deine Schuld... das ist alles deine Schuld!

Komm her, damit ich dich wegstoßen kann! Lukiel...

Was ist los mit dir? Was habe ich getan? Was habe ich dir getan, um so behandelt zu werden?

Wieso? Warum? Wofür bestrafst du mich?!

Lukiel... komm her...
 

***
 

Die Lippen des jungen Mannes zitterten.
 

Nein! Das reichte! Er konnte das nicht länger mit ansehen! Er konnte nicht länger mimen, was er nicht war. Diese Maskerade war zu weit ausgeufert.

"Tut mir Leid, Yuki...", überwand seine Stimme endlich die Blockade seines Körpers und Geistes. "..." Dann aber holten ihn die Arme des betroffenen Schweigens wieder ein, umschlangen ihn, würgten ihn, bis ein starres Atmen das einzige war, das ihn verlassen konnte
 

***
 

... es tut dir... Leid?!

WAS?

... Lukiel...?!

Oh, nein! Ich habe die Augen aufgemacht!
 

***
 

Yuki öffnete die Augen. Oh, wie viel Verzweiflung, wie viel Leid konnten diese Seelenspiegel fassen, ohne zu zerspringen, ohne, dass es sie zerriss? Und wie sehr konnten sie vor Verwirrung diffus und fragend leuchten?
 

Er trat unbeabsichtigt zurück, als wollte er vor dem Blick des jüngeren fliehen, augenblicklich ergriff ihn Panik, die seinen Geist, sein Bewusstsein befiel und übernahm.

>>Was soll das?! Lass das, Mensch!<<

"Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig!", rief er laut und selbst schützend - ja, beinahe schrie er in das von Tränen gezeichnete Gesicht, dass diese Aktion offensichtlich nicht fassen konnte.
 

Das hellgrüne Augenpaar weitete sich schlagartig, der geschundene Leib fuhr zusammen. "Lukiel... w-was...", wisperte er fassungslos, stotterte, schien sich zu verschlucken, während weitere Tränen seine Wangen hinab sanken.
 

"Ich bin nicht Lukiel!", korrigierte er, seine Stimme von einem nervösen Lachen verzerrt. "Lukiel ist in der Hölle..."
 

***
 

Was soll das?! Lukiel??

Mach keine Scheiße, ja? Hallo? Lukiel...?

... nicht jetzt...

... was...?
 

***
 

Verwirrung. Orientierungslosigkeit. Etwas schien den jungen Mann zu lähmen.
 

Er wusste nicht, woher sein Lächeln rührte - vielleicht war es die Sicherheit, dass der Mensch so fassungslos, so hilflos war, die ihm die Überheblichkeit zu lächeln schenkte, das über alles hinaus oberflächlich war. Wieso verlieh es ihm Sicherheit, um Yukis Situation zu wissen? Beinahe machte es ihn wütend.

"Lukiel und ich schlossen einen Pakt", sagte er in gewichtigem Ton, der die Gegenwart völlig außer Acht zu lassen schien. "Mein Name ist Ksiel, ich bin ein Strafengel Gottes..."
 

***
 

Wer... was...? Ksiel...?

Was soll das, Lukiel?? Spielen wir jetzt Scharade?

Das ist nicht komisch... ah!...

Ich sollte daran denken, mich nicht zu bewegen... aber...

Lukiel...
 

***
 

Er verschränkte die Arme vor der Brust, stolzierte vor Yuki auf und ab, strich sich das dunkelbraune, lange Haar, das nicht einmal wirklich sein eigenes war, zurück, aus dem Gesicht. Gegen seinen ursprünglichen Willen hatte er sich von einer gespielten Rolle in die nächste geworfen.

"Lukiel flehte mich um meine Hilfe an... dafür kam er gar in die Hölle..."

Der Engel schmunzelte emotionslos. "Er hat vor mir im Dreck gekniet, dein großer Beschützer..."
 

***
 

... ich versteh nichts mehr... mir tut alles weh... ich will hier weg!

HÖR AUF! LUKIEL!

Ich will nichts wissen... ich will nicht... lass mich!
 

***
 

Yuki rutschte näher an den Heizkörper, an den man ihn gefesselt hatte. Es war wohl der dabei auflodernde Schmerz, der seine Gesichtszüge verzerrte.
 

Ksiel hob die Augenbrauchen. Langsam ging er scheinbar ziellos durch den Raum, jeder seiner Schritte hallte auf dem metallenen Boden wider, echote von den hohen Wänden. Schließlich blieb er wieder stehen, zog ein durchnässtes Kleidungsstück aus einer Pfütze zwischen umgefallenen Kanistern hervor - der Aufschrift der Behälter war es eine brennbare Flüssigkeit.

"Na, da können wir aber froh sein, dass keiner von uns beiden raucht...", kommentierte er, und hielt die Hose mit einem Finger schier angewidert möglichst weit von sich weg und gleichzeitig demonstrierend in Richtung des immer noch Gefesselten.
 

***
 

Meine... oh, nein! Oh, Gott!

... hey, jetzt bloß nicht rot werden... das fehlte mir noch, verdammt!

Aaah...

Lukiel... wo bist du? Warum...?

Was ist los? Was passiert hier eigentlich? Ich...
 

***
 

Mit einem abfälligen Blick warf der Engel das Bekleidungsstück auf Yuki zu. Mit einem lauten Platschen schlug es zuerst nahe bei Yukis Kopf auf dem Boden auf, woraufhin der junge Mann heftig zusammenzuckte.
 

***
 

AH!... huh...

... was... was soll das? Was zur Hölle sollte das?! Willst du mich jetzt auch noch umbringen?

... mach mich los!
 

***
 

Der junge Mann schnaubte.
 

Ksiel hielt inne, drehte sich wieder zu Yuki, warf sich in dieser Bewegung die gerade aufgesammelte Jacke des jüngeren leger über die Schulter.

"Oh, was denn?", fragte er auf überzogen mitleidige Art und hob abermals die Augenbrauen. Ein Grinsen verfinsterte seine Gesichtszüge. "Willst du dich etwa beschweren? Passt dir etwas nicht?"

Langsam, einen Fuß unmittelbar vor den anderen setzend, kam er näher, ging schließlich vor Yuki in die Hocke. Wie stark und täuschend echt die von ihm aufgelegte Maske schon auf seinem Gesicht haftete, merkte er nicht. Dass sein Verhalten mehr als nur unangebracht war, dem war er sich längst nicht mehr bewusst. "Hör zu, es war ja Teil der Abmachung, dass ich mal ein Auge auf dich werfe, aber, hey, ich bin kein Schutzengel!" Sein Blick streifte zwar die Fesseln, dann aber sah er Yuki wieder gleichgültig an, zeigte keine Intention, den jungen Mann zu befreien. In den Augen des Engels war vielmehr erkennbar, dass in diesem Körper gegenwärtig ein fremder Geist wohnte, der dort nicht hingehörte.
 

***
 

Er hat mich... hat er mich deshalb nicht mehr angesehen? Schon so lange nicht mehr...? Schon... schon so lange ist... Schon so lange ist Lukiel nicht mehr da??

Aber...
 

***
 

Ernüchternd Erkenntnis schien Yuki getroffen zu haben. Er bewegte die Lippen, brachte aber keinen Ton heraus.
 

Ksiel faltete die Jacke typgerecht zusammen und legte sie in, beziehungsweise über den Schoß des jungen Mannes.

"Tut mir Leid, deine Träume zerstören zu müssen, Yuki."

Mit einem gewichtigen, aber wieder emotionsarmen Seufzen stand er auf. "Nein, zerstören, das klingt so hart." Er runzelte gespielt nachdenklich die Stirn und verschränkte die Arme vor der Brust. "Sagen wir lieber ent-täuschen - im wahrsten Sinne des Wortes, denn du obliegst einer gravierenden Täuschung..." Wieder heuchelte er bewusst überzogen und nach allen Regeln der Kunst sein Mitleid vor. "Weißt du, Engel können nicht lieben..."
 

Yuki war wie erstarrt. Langsam wuchs eine Träne, löste sich, lief die Wange des jungen Mannes hinab und verlor sich in der Stille.
 

***
 

Was... soll das?

... Hilfe... Lukiel! Warum...?

Was soll das heißen?
 

***
 

"Lukiel...", entfloh es Yuki heiser.
 

"Ist in der Hölle", ergänzte Ksiel. "Du warst ihm ein Problem."
 

***
 

Was? Problem...? Aber...! Aber...

Lukiel...
 

***
 

"Problem...?"
 

Ksiel nickte. "Ja. Wie hast du dir das denn vorgestellt?" Wieder lachte er oberflächlich. "Ein Schutzengel und sein Schützling? Ein himmlisches Wesen und ein... Mensch?" Er rollte mit den dunklen Augen. "Bitte, klingt das nicht lächerlich genug, um offensichtlich unmöglich zu sein?"

Wieder ging er in die Hocke. "Logisch, oder?"
 

Der Mund des jungen Mannes stand jäh offen.
 

***
 

... lächerlich?

Ja... lächerlich... Lukiel und ich... lächerlich. Logisch...

Nein.... Niemals hätte ich auch nur im Entferntesten daran gedacht... klar...

Gut... ja, ich hab's geschnallt. Kein Problem. Bin ja nur ein Mensch, klar, ich muss einfach nur umdenken, alles andere vergessen... Arschloch...

Nein, nicht schon wieder anfangen, zu weinen! Zusammenreißen...
 

***
 

"Mach mich los..."
 

Ksiel hob die Augenbrauen, offenbar skeptisch. Was war denn plötzlich mit dem Menschen, dass er so unüberhörbar, wenngleich auch nur flüsternd forderte, aber nicht erzürnt zu sein schien?

"Lukiel... hat unglaubliche Angst vor dir...", begann Ksiel. "Engel haben grundsätzlich Angst vor Gefühlen..." Weshalb fühlte er sich plötzlich, als hätte man ihn verraten? Warum fühlte er sich so an die Wand gespielt, als hätte man ihn in eine Ecke getrieben? "Seit Luzifers Fall wird so etwas streng geahndet, weißt du..."
 

"Warum erzählst du mir das?" Ohne Ankündigung sah Yuki auf, die Augen des jungen Mannes blitzen. Dann jedoch erloschen sie wieder, er schloss die Augen, ließ den Kopf wie erschöpft auf die Seite kippen. "Es interessiert mich nicht."
 

***
 

Woher nehme ich eigentlich die Kraft, zu sprechen...? Egal...

Ich habe sowieso schon aufgegeben... oder? ...

Lukiel... ich bin wütend... Spricht dieser Engel die Wahrheit? Oder ist das alles nur dein Spiel, Lukiel? ... diese Augen... sofort hätte ich es gewusst. Nie und nimmer sind das deine Augen, Lukiel... so kalt...

Angst... hast du wirklich Angst vor mir, Lukiel? Ist das das Einzige, was du für mich empfindest? Habe ich dir nur Angst eingejagt, als ich dich im Spiegel sah und erkannte, dass ich nicht alleine bin? Aber du hast doch gelächelt, dich mit mir unterhalten...

Lukiel... du hast doch gesagt, dass du dich mir schon so lange hattest zeigen wollen... weil du...
 

***
 

Die Fesseln von Yukis Handgelenken lösten sich. Rasch ließ er die freigegebenen Hände hervorschnellen, griff nach einer Hand des Engels, bekam sie zu fassen und zog sie zu sich, hielt sie fest, als wäre sie die hervorstehende Baumwurzel an einem Abgrund, in den er zu fallen drohte. "Aber er hat mich ge-..."
 

Ksiels Augen sprachen Bände, waren leer und schienen zugleich vor Aussage zu zerbersten. Wahrscheinlich hätten sie ein eindeutiges Gefühl übermittelt, wären es Ksiels eigene Augen gewesen.
 

Von der Erkenntnis getroffen, stieß Yuki die gefangene Hand von sich. "DU?!"
 

***
 

Er?! Dieser Kerl?!... als er gesagt hat, dass er... es war nicht Lukiel... sondern ER?
 

***
 

"Warum? Was fällt dir ein? Perverser!" Yuki sprang auf, zwang sich in Eile wieder in Shorts und Hose, wich auf Abstand, fuhr dann herum und stürzte aus der Halle.
 

Ksiel blieb stehen, verbarg seine Hände in den Seitentaschen des weiten, beigen Übergewandes. Lange zeigte sich keine Regung auf seinem Gesicht, dann, klammheimlich, schlich sich wieder ein Lächeln auf sein Gesicht.

"Schätze, davor hat mich Dumah gewarnt..."
 

***



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2004-06-27T17:08:00+00:00 27.06.2004 19:08
Hallöchen!
Ich mal wieder!
Der Aufbau dieser Story...diese Wechsel gefallen mir!
So ganz genau weiß ich noch nicht worum es geht ^^'
aber es gefällt mir! Genau sowas mag ich!! *nick*
Und das das meiste aus Gedanken und wörtlicher Rede besteht...das hat einfach was.
Und Stories mit Engeln lese ich immer gerne! ^.^
Ich meld mich also bald wieder! ^.^

Pitri
Von: abgemeldet
2004-04-18T15:38:11+00:00 18.04.2004 17:38
Erster! XD
*yay* *fähnchen schwenk*
Weiterschreiben, weiterschreiben!! XP


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