Wann, wenn denn nicht jetzt?
Als Kai nach seinem Spaziergang wieder nach Hause kommt und auf sein Zimmer geht, ist Tala schon längst wieder da. Der Rothaarige liegt auf dem großen Bett und starrt die Zimmerdecke an. Der jüngere Russe beobachtet seinen Bruder eine Weile, bis er fragt: "Wie geht es dir?" Tala schaut kurz zu dem Graublauhaarigen und meint emotionslos: "Wie soll es mir schon gehen?!" "Keine Ahnung! Sag es mir doch!", erwidert Kai etwas gekrängt. ,Wieso ist er jetzt so abweisend zu mir?'
Der Rothaarige schaut Kai noch eine Weile an, dann wendet er sich wieder von ihm ab und schließ seine Augen. ,Kann er mich nicht einfach in Ruhe lasse?!' Der Junge mit den rotbraunen Augen geht jetzt langsam auf seinen großen Bruder zu und setzt sich auf die Bettkante. Er betrachtet Tala noch mal genau und merkt, dass dieser wohl geweint haben muss. Jedenfalls weisen seine Wangen noch nasse spuren auf. Kai streicht den Rothaarigen, eine diesem im Gesicht hängende Strähne, zur Seite und streicht ihn kurz über die Wange.
"Lass das!", sagt Tala nicht gerade freundlich und ergänzt: "Hau ab und lass mich in Ruhe!" Kai zieht seine Hand wieder zurück und fragt betrübt: "Was soll das Tala? Warum schickst du mich weg?" ,Ich will dir doch nur helfen.' "Weil ich nicht will, dass du bei mir bist!" ,Sorry, Kai! Aber es muss sein! Ich kann dich nicht in meiner Nähe haben, sonst komme ich nie von dir weg. Es tut mir so leid!'
"Aber wieso? Wieso willst du nicht, dass ich bei dir bin? Wieso lässt du dir nicht von mir Helfen? Warum darf ich dich nicht halten?", erwidert Kai mit tränenerstickter Stimme. Tala schaut ihn überrascht an, so was hatte er nicht von ihm erwartet. "Weil...", versucht der Rothaarige eine Antwort zu formulieren. "Weil ... es ... nicht ... geht! Es geht einfach nicht! Du darfst mir nicht zu Nahe kommen, dass würde uns nicht gut tun!" ,Es würde alles nur zerstören, da ich mehr für dich empfinde, als nur Geschwisterliebe! Wenn du es herausfinden würdest, würdest du mich hassen.' "Ich will dich nicht verlieren!", sagt Tala leise, doch noch laut genug, dass es Kai hört.
"Du wirst mich nicht verlieren. Egal was passiert. Ich will doch dass du bei mir bist.", meint Kai und Tala fragt verdutzt: "Warum?" "Weil ... Weil ich dir helfen will. Ich will dir das geben, was du braust. Dass was man dir dein Leben lang verwährt hat." Durch diese Worte füllen sich die Augen von Tala wieder mit Tränen und ein paar vereinzelte kullern seine Wangen hinunter. "A... Aber...", entgegnet er seinen kleinen Bruder. "Kein Aber!", meint Kai. Hebt seine Hand wieder und wischt den Rothaarigen die Tränen weg, dabei sagt er: "Du hast schon so oft geweint. Es wird Zeit, dass du wieder lachst, wieder fröhlich bist." ... "Kai..." Tala senkt betrübt seinen Kopf und Kai nimmt ihn in seine Arme. Beide schweigen. ,Dein Schweigen steckt mich mal wieder an, Tala. Wie immer!'
Nach einer Weile windet sich der Junge mit den Eisblauen aus der Umarmung seines Bruders und dreht sich von ihm weg, so dass er ihn nicht sehen muss. "Es bringt doch alles nichts! Ich kann nicht mehr glücklich sein! Ich hab mein Lachen verloren und dass schon vor langer Zeit!", meint Tala und Kai denkt: ,Ja! Und das an mich. Du hast mir dein Lachen geschenkt und kannst es deshalb jetzt nicht mehr. Und ich ... muss jetzt dafür Zahlen!' "Geh endlich Kai! Geh endlich!" "Nein! Ich geh nicht! Nicht bevor du dich umdrehst und mich noch einmal ansiehst! Nicht bevor du mir in die Augen siehst und mir noch einmal sagst, dass ich gehen soll! Eher nicht!" Überrascht dreht sich Tala tatsächlich um und schaut Kai in die Augen. Er öffnet auch seinen Mund, doch es kommt kein Wort über seine Lippen.
"Was ist jetzt, Tala? ... Gib es zu! Du kannst es nicht! Du kannst es mir nicht ins Gesicht sagen!" Betrübt senkt der ältere der Beiden seinen Kopf. "Nein, dass kann ich wirklich nicht!" Kai nickt nur verstehend und meint: "Lass endlich alles von dir los! Dann könntest du es schaffen, wieder glücklich zu sein. ... Und vielleicht auch endlich allein dein Leben zu meistern. Und, wenn du willst ... mit mir zusammen." Tala schaut wieder auf. "...Kai...Wieso? Wieso sagst du so was?"
"Weil ... Weil ich dich ... Liebe! Tala! Ich liebe dich ... und zwar als Mensch ... und nicht nur als Bruder. Ich liebe dich!" "Du liebst mich?! Warum?", fragt der Rothaarige erstaunt und sein Bruder meint: "Warum, weis ich nicht! Es ist einfach so!" Wieder senkt der ältere seinen Kopf, schließt für kurze Zeit seine Augen und meint: "Tut mir leid Kai! Aber egal, wie viel du für mich empfindest und wie viel ich für dich empfinde. Ich kann nicht mit dir zusammen sein. Nicht Jetzt! Ich fühle kaum noch etwas. Ich fühle mich kaum noch..." "Tala..." "Kai! Geh jetzt bitte! Ich kann jetzt nicht mit dir zusammen sein, obwohl ich dich auch liebe. ... Trotzdem geht es nicht! Geh bitte jetzt, ich will jetzt nicht mehr reden. Es geht nicht mehr! Ich..."
,Wie bitte? Er liebt mich auch?! Aber warum will er dann nicht mit mir zusammen sein? Warum?' "Und wann dann? Wann dann, wenn nicht jetzt? Du sagst du kannst dich nicht mehr fühlen. Du sagst du liebst mich auch! Aber warum willst du dann jetzt nicht mit mir zusammen sein? ... Wann willst du es dann? Wenn du jetzt schon nicht mehr Mal reden willst, wenn jetzt schon gar nichts mehr geht? Wann denn dann?" Nun laufen auch Kai vereinzelte Tränen über sein Gesicht. Tala schaut seinen Gegenüber traurig an. ,Kai. Er weint ... wegen mir! ... Er muss mich wohl wirklich aufrichtig lieben. ... Und was mach ich? Ich bring ihn zum weinen. ... Dabei liebe ich ihn doch auch!' "Verzeih mir Kai!", sagt der Rothaarige und wischt den jüngeren die Tränen weg. "Warum entschuldigst ... du dich?", fragt Kai überrascht.
"Weil du meinetwegen weinst! Weil ich dich verletzt hab, obwohl ich das gar nicht wollte! Tut mir leid, ... mein ... Aibou!", erwidert Tala, beugt sich langsam zu Kai vor und schaut ihm noch mal in die Augen, bevor er dessen Lippen mit seinen versiegelt. Beide schließen ihre Augen und genießen den Kuss. Als sie sich wieder von einander lösen, fragt Kai: "Sind wir jetzt zusammen, oder ... nicht?" Der Rothaarige lächelt seinen großen Bruder an und meint: "Ja! Das sind wir! Und uns wird nichts mehr trennen!" Der Graublauhaarige lächelt zurück und nickt nur. Dann lässt er sich aufs Bett gleiten und Tala macht es ihm gleich. Beide kuscheln sich aneinander und schlafen mit einem Lächeln auf den Lippen ein. Sie sind sehr erschöpft, da diese Unterhaltung ihnen beiden sehr viel Kraft gekostet.