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Liebe, Leid und Leben

Mamorus Jugend
von

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Jetzt, wo die Sonne schon um ein gutes Stück hinter den höchsten Gebäuden der Stadt versunken war, streckte die Dunkelheit der Nacht ihre langen Finger aus, die sich schon fast zaghaft am Himmel entlang zogen. Nur noch wenige Minuten, dann würden die letzten Reste stumpfen Rots verblasst sein. Es schien fast wie eine ewig währende, lautlose Schlacht zwischen Hell und Dunkel, die aber keine der beiden Seiten je gewinnen würde. Denn Morgen für Morgen und Abend für Abend wiederholte sich das Spiel der Unvergänglichkeit. Und wieder einmal - wie schon so oft in den vergangenen 4,6 Milliarden Jahren - sah es so aus, als würde die Sonne nie mehr aufgehen. Doch natürlich war das nur eine Illusion, und nur wenige Stunden später sollte die Realität genau dies beweisen. Doch das lag im Moment noch in der Zukunft. Zu weit in der Zukunft, um wirklich Platz in Mamorus Gedanken zu finden. Genau genommen war der Sechzehnjährige geistig noch nicht einmal in der Gegenwart, die ihm das atemberaubende Schauspiel eines weiteren Sonnenuntergangs dieser Welt präsentierte. Nein, Mamoru beschäftigte sich gerade mit völlig anderen Dingen. Er sinnierte über das wohl größte Mysterium, das dieser Planet zu bieten hatte. Es handelte sich dabei um ein Millionen von Jahre altes Geheimnis, das vielleicht auf ewig unentdeckt bleiben wollte. Ein Rätsel, das die Menschheit schon seit - nun ja - Menschengedenken im Nebel der Unwissenheit umhertaumeln ließ. Die Frage aller Fragen, deren Antwort nur im tiefsten Dunkel zu finden war.

Das tiefschwarze, wohlgehütete, wohl bis zur Unendlichkeit unerklärt bleibende Arkanum:

Die Frauen.

Und eines dieser hochmystischen Wesen kam gerade ins Wohnzimmer und fragte:

"Hast Du die Wäsche aufgehängt?"

"Ja, hab ich", log Mamoru.

"Ach ja?", fragte Kioku und hob die Augenbraue hoch, was Mamoru aber nicht sehen konnte, da er weiterhin unberührt zum offen stehenden Fenster rausstarrte, wo man vor Düsternis eh nicht mehr die Hand vor Augen sah. "Und wie viel? Ein Wäschestück? Zwei? Jedenfalls liegt da noch ne ganze Menge Zeug rum, das aufgehängt und getrocknet werden will. Beeil Dich, sonst setzt's Schimmel. Und nen Satz heißer Ohren dazu."

Mamoru warf seiner Tante einen verständnislosen Blick zu. "Wenn Du es weißt, wieso fragst Du dann noch?"

Er würde diese Frauen nie verstehen...

"Es geht hier ums Prinzip", erklärte Kioku und machte sich auf der Couch breit. "Und jetzt schwing die Hufe und arbeite auch mal was."

Doch dazu hatte er gerade keine Lust. Er schloss das Fenster mit den Worten:

"Du, Tante Kioku? Kannst Du mir mal was erklären?"

"Klar, Kurzer. Was hast Du auf dem Herzen?"

Mamoru machte es sich ihr gegenüber auf dem weichen Sessel bequem. Es war ihm nicht gerade angenehm, diese Frage zu stellen, aber schlussendlich siegte doch seine Neugier.

"Sag, warum brauchen Frauen eigentlich immer so wahnsinnig viele Schuhe?"

Seine Tante warf ihm daraufhin einen Blick zu, der ihm zeigte, dass sie drauf und dran war, an seinem Verstand zu zweifeln.

"Wie bitte?", entfuhr es ihr. "Wie um alles in der Welt kommst Du jetzt da drauf?"

Er zuckte mit den Achseln. "Nur so."

Kioku war selbst schuld, wenn sie ihm aufbrummte, in ihrem Schlafzimmer Staub zu wischen. Denn sonst wäre ihm nie wirklich bewusst geworden, was Schuhe doch für ein wahnsinniger Staubfänger sein konnten! Und Kioku besaß einige Paar Schuhe. Wenn auch nicht ganz so viele, wie angeblich so manch anderes Weibstück...

Augenblicklich jedenfalls wich im Anbetracht dieses Gedankens der misstrauische Blick aus ihren Augen und machte Platz für einen Gesichtsausdruck, gegen den der hellste Sonnenstrahl ein blanker Hohn war. Kioku seufzte verträumt während sie nach den richtigen Worten suchte, mit denen sie ihrem dummen Neffen beibringen wollte, über welchen kostbaren Schatz er doch so verständnislos und abfällig redete. Sie entschloss sich dazu, es ihm an einem praktischen Beispiel zu demonstrieren.

"Komm mit, Kurzer. Ich zeige es Dir."

Im Schlafzimmer angekommen suchte sie aus ihrem Kleiderschrank ein langes, grünes Kleid hervor und legte es sorgsam auf das Bett.

"Wenn man sich schick machen will, muss alles in Form und Farbe zusammen passen. Man kann also beispielsweise nicht eine orangefarbene Hose anziehen, einen roten Schlabberpulli darüber, ein teures, weißes Jackett darauf und rosa Armeestiefel an den Füßen, alles klar?"

"Klar", meinte Mamoru. "Rosa Armeestiefel wären ja schon ein Antagonismus an sich. So weit kann ich Dir also gerade noch folgen."

"Anta...was?"

"Antagonismus", erläuterte er darauf, "ein Widerspruch, eine Gegensätzlichkeit, eine Divergenz. Ein Paradox, wenn Du so willst."

"Was für'n Paradeochse?", fragte sie verwirrt.

"Kein Paradeochse", belehrte er, "ein Paradox! Pa... ra... dox. Etwas, das einen Widerspruch in sich selbst enthält."

Kioku brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, dass sie nichts begriff.

Ihr Neffe seufzte. "Vergiss es. Fahre fort."

Sie verbrachte noch etwa zwei Sekunden mit Nachdenken und gab es dann auf. Nun wandte sie sich wieder dem grünen Kleid zu, das sie auf dem Bett ausgebreitet hatte.

"Wie gesagt, Form und Farbe müssen zusammen passen. Der Stil übrigens auch. Zu diesem Kleid würde ich diese Handtasche wählen..." Sie wies auf ein unförmiges Ding, in das vielleicht gerade noch so eine menschliche Hand hineinpasste.

Vielleicht.

"... und dazu diese Schuhe..."

Sie brachte ein schwarzes Paar Lackschuhe mit Pfennigabsätzen zum Vorschein, die sie Mamoru stolz unter die Nase hielt. Dieser beäugte zunächst die Schuhe, dann das Kleid, dann die Handtasche, und dann wieder das Kleid.

"Und warum nimmst Du nicht die Schuhe, die da unten im Regal stehen? Die passen doch farblich", erkundigte er sich.

Kioku schlug die Hände überm Kopf zusammen. Dass sie noch die Schuhe in ebendiesen Händen hielt, und ebendiese Schuhe in ebendieser Bewegung an ihren Kopf bekam, störte sie nicht.

"Um Himmels Willen, Kurzer!", stöhnte sie. "Das sind doch Turnschuhe!"

"Na und? Ich finde sie schick!"

Kioku seufzte in einem Anflug von Resignation. "Aber dieses Kleid hier ist edel, dazu muss man edle Schuhe wählen!"

Mamoru grinste von einem Ohr zum andren. "Etwa so edel wie Du?"

Seine Tante stellte sich in Pose, zwinkerte ihm zu und fragte:

"Warum nicht?"

"Du weißt schon, was das Wort edel bedeutet, oder?", fragte er in belustigtem Ton.

"Natürlich weiß ich das!", schnauzte ihn Kioku an. "Wofür hältst Du mich?"

"Dann weißt Du natürlich auch...", fuhr Mamoru ungerührt im Plauderton fort, "...dass ein Chemiker das Wort edel gebraucht, um einen Stoff zu beschreiben, der äußerst reaktionsträge ist..."

Kioku sah ihn eine Weile verständnislos an. Dann verengten sich ihre Augen zu blitzenden kleinen Schlitzen. "Willst Du damit etwa sagen, ich sei langsam?"

"Quod erat demonstrandum", antwortete ihr Neffe grinsend, "was zu beweisen war."

"Ich sollte Dir so langsam mal Eine runterhauen, hab ich so das Gefühl!", donnerte Kioku. "Was ist jetzt? Willst Du jetzt wissen, was es mit den Schuhen so auf sich hat, oder nicht?"

"Ja, ja. Ich bin ganz Ohr."

Tante Kioku verbrachte noch einige Zeit damit, die Kleider rauszusuchen, Outfits zusammen zu stellen, und das passende Paar Schuhe dazu zu finden. So langsam begriff Mamoru, dass es mehr als nur ein Klischee war, Frauen würden zum Umziehen immer so lange brauchen. Es gab tausende verschiedener Kombinationen, unter denen man wählen konnte. Doch das eigentliche Problem waren die Millionen von Kombinationen, die man nicht zusammenstellen durfte. Das Geheimnis lag nicht darin - so erklärte ihm Kioku - das Richtige herauszusuchen, sondern das zu tragen, was nicht das Falsche war. Das verstand Mamoru nicht, aber er nickte immerhin brav und sagte dann und wann mal so was wie "Ja, klar" oder "find ich auch schön" oder Ähnliches. Dabei studierte er eingehend Kiokus Miene, die ihm verriet, ob er etwas gut oder schlecht finden sollte. Im Prinzip war es also ganz einfach, und seine Tante nickte ihm dann auch immer bestätigend zu.

Dennoch fand er die Prozedur schon sehr bald ziemlich nervtötend, und er verstand, warum seine Leidensgenossen (also all die anderen Männer) sich immer beklagten, wenn sie zum Shoppen mitgehen sollten.

Im Großen und Ganzen hatte er doch keine richtige Antwort darauf gefunden, warum Frauen immer so viele Schuhe brauchten. Dies, und noch vieles Andere mehr, würde wohl auf Ewig ein Geheimnis bleiben, um das sich Mythen und Legenden rankten. Wohl würde so mancher Mann, der mutig - oder auch einfach nur dumm genug - war, sich auf die Suche nach der Lösung dieses Geheimnisses zu machen, mit seinem Leben oder doch zumindest mit seinem Verstand bezahlen, aber wahrscheinlich würde es nichtsdestotrotz das größte Rätsel der Menschheitsgeschichte bleiben.

Bleibt schlussendlich nur noch zu sagen, dass Kioku es doch tatsächlich nach geraumer Zeit geschafft hatte, vor lauter Begeisterung ihren ganzen Kleiderschrank im Schlafzimmer auszubreiten. Und nun standen sie und ihr Neffe in einem Durcheinander aus Farben und Stoffen, und keiner traute sich mehr so recht, auch nur einen einzigen Schritt vorwärts zu tun, aus Angst, irgendwo drauftreten zu können.

"Ähm, tja, nun gut", stotterte Kioku, "gibt's noch Fragen?"

"Ja, eine", meldete sich Mamoru zu Wort. "Was ist der Sinn des Lebens?"

Darauf grinste Kioku ihn an und antwortete:

"Schuhe!"

"Diese Antwort hatte ich befürchtet", murmelte er seufzend und augenrollend.

"Was denn, was denn?", fragte Kioku. "Was ist so falsch daran?"

"Ach, weißt Du", begann Mamoru, während er sich unsicher im vollgestopften Zimmer umsah, "korrigier mich, wenn ich was Falsches sage, aber ... waren Schuhe nicht ursprünglich einfach nur dazu da gewesen, um nützlich zu sein?"

"Ach", machte Kioku verzweifelt, "Du Dilettant hast mal wieder gar nichts begriffen!"

Genau genommen war das nicht wirklich eine Antwort...

Kioku beugte sich vor und griff nach einem Pullover. "Jetzt hilf mir aufräumen, Kurzer."

"Nö. Wieso sollte ich?", stellte Mamoru fest. "Den ganzen Kram hast Du doch rausgeräumt."

"Das hab ich doch nur für Dich getan, Du undankbare kleine Made!", schimpfte sie und warf Mamoru den Pullover zu. Er fing ihn auf und lächelte leicht böse, als ihm die rettende Idee kam.

"Wie Du willst", meinte er, noch immer auf diese boshafte Art grinsend. Er latschte quer über die ausgebreiteten Klamotten (weswegen Kioku am Rande eines Herzinfarkts war), knüllte den Pulli zu einer relativ gleichmäßigen Kugel zusammen und platzierte diesen unförmigen Haufen mitten auf einem Regalbrett im Schrank.

"So etwa?"

"Nein, nein, nein!", kreischte seine Tante wie von Sinnen. "Ihr Kerle seid doch zu nichts zu gebrauchen! Raus! RAUS!!!"

Und damit bückte sie sich und hob ihre Sachen selbst auf, legte sie vorsichtig zusammen oder hängte sie auf Kleiderbügel und schimpfte währenddessen auf die Männer, ihre Unordnung und ihre undankbare Art.

Ein paar Minuten noch lehnte Mamoru sich gegen den Türrahmen und amüsierte sich königlich darüber, wie Kioku schuftete und dabei wie ein Rohrspatz vor sich hin schimpfte.

Arbeiten ist schön.

Mamoru könnte stundenlang dabei zusehen.

Nach einem arsengetränkten Blick seiner Tante hin war es ihm allerdings lieber, sich schleunigst aus dem Staub zu machen.

Auch, als Onkel Seigi etwas später mit den Worten "Ich bin wieder zu Hause!" die Haustüre hinter sich schloss, war seine Frau noch mit Aufräumen und Schimpfen beschäftigt. Und ihr Repertoire war sehr beachtlich. Sie konnte stundenlang Flüche herunterbeten, ohne sich dabei auch nur ein einziges Mal zu wiederholen. Das hatte Mamoru schon als Kind von ihr übernommen...

"Schatz?", fragte Seigi und bestaunte das unordentliche Zimmer. "Du bist schon wieder mit Deinen Schuhen beschäftigt?"

Er hörte ein wütendes Kreischen.

Er sah eine schnelle Bewegung.

Er erkannte das fliegende Ding vor sich gerade noch als Stiefel.

Dann sah er nur noch bunte Sterne vor seinen Augen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  RallyVincento
2005-08-11T08:42:46+00:00 11.08.2005 10:42
Erste... habs geschafft mal als erste zu kommentieren *g*

Also das kapi ist echt zum todlachen, wahnsinn, genau wie in der realität. Männer und Schuhe die würden auch auf nen dunklen Anzug weiße Turnschuhe tragen *seufz* *lol*
Und weiße Tennis socken, hauptsache sie überhaupt was an... banausen... Trottel... *rofl*

Echt gut beschrieben hab schon lange nicht mehr so gut gelacht, aber ihr armer Mann tut mir Leid... nen stiefel ins Gesicht zu bekommen tut bestimmt weh...

schreib schnell weiter *knuddel*


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