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Liebe, Leid und Leben

Mamorus Jugend
von

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"Diese Mathearbeit war viel zu schwer!", beschwerte sich Motoki. Sonderlich gestresst wirkte er allerdings nicht gerade, wie er so an einem Baum lehnte, sich ausgiebig streckte und herzhaft gähnte, ohne sich dabei allerdings die Mühe zu machen, sich die Hand vor das sperrangelweite Maul zu halten. Er hockte sich ins Gras, lehnte den Rücken gegen den Stamm des alten Baumes, schloss genießerisch die Augen und seufzte tief.

"Meinst Du?", fragte Mamoru. Er zog es vor, neben Motoki stehen zu bleiben und seinen Blick über den annährend menschenleeren Campus der Moto-Azabu-Oberschule schweifen zu lassen.

"Du etwa nicht?", erkundigte sich Motoki, noch immer mit geschlossenen Augen. Er wirkte irgendwie müde.

"Ich schon", murmelte Mamoru, "aber schau Dir Suiren an."

Das Klassengenie rannte quer über den Campus und erkundigte sich bei ihren Mitschülern, wie es "denn so gelaufen ist", nur um sich dann in Pose zu werfen und herumzuposaunen, wie leicht ihr es doch gefallen ist, diese kleinen süßen Aufgaben zu lösen.

"Gibt es eigentlich irgendwas, das die nicht kann?" Motoki klang etwas entnervt, aber in Wahrheit kümmerte er sich kaum um Suiren. Ihm war egal, dass sie so großartig war. Im Augenblick schien ihm sogar so ziemlich alles herzlich egal zu sein. Was ihn allerdings interessierte, das waren die paar Minuten, die er noch in Freiheit verbringen konnte, bevor der nächste Unterricht beginnen würde.

"Stör Dich daran nicht", schlug auch Mamoru vor. "Jetzt gibt es erst mal wichtigere Dinge. So was wie Ferien, zum Beispiel. Heute ist Mittwoch, der 6. März. In anderthalb Wochen haben wir den Prüfungsstress überstanden, danach können wir ausspannen, dann steht das neue Schuljahr vor der Tür: die elfte Klasse. Unser zweites Jahr in der Oberstufe."

"Na toll", rief Motoki aus, "vom Regen in die Traufe!"

"Wohl eher: Vom Regen in die Flutkatastrophe", prophezeite Mamoru. "Oder glaubst Du vielleicht, die haben vor, es uns leichter zu machen? Bestimmt nicht!"

"Das ist eine Verschwörung der Regierung gegen die unschuldige, wehrlose Schülerschaft. Tyrannei nennt sich so was. Das ist ungeheuerlich."

"Das nennst Du Tyrannei?", grölte Mamoru. "Du solltest Tante Kioku erleben, wenn sie der Ansicht ist, sie müsste mich erziehen. Das gibt dem Wort Tyrannei eine völlig neue Bedeutung."

Motoki hob müde ein Augenlid, betrachtete Mamoru einige Herzschläge lang, streckte sich erneut und fragte dann:

"Wieso? Was hast Du wieder angestellt?"

"ICH?"

"Natürlich Du!"

"Pöh!", machte Mamoru beleidigt. "Immer ich."

"Das kennen wir doch gar nicht anders", feixte Motoki.

Dann gab Mamoru auf. Motoki hatte ja Recht. "Okay, okay; ich geb's ja zu. Mea maxima culpa. Nun ja, es geht einfach immer noch um den kleinen Kratzer an Deinem Knie und um unsere kleine ... Auseinandersetzung vor ein paar Tagen. Tante Kioku sagt so was Ähnliches wie ich hab Hausarrest, bis ich fünfunddreißig bin oder so."

Motoki glotze ihn nun etwas blöde an. "Den ersten Satz hab ich noch verstanden ... und dann..."

"<Mea maxima culpa> ist Latein und heißt übersetzt <Meine große Schuld>", klärte ihn Mamoru auf. "Es handelt sich dabei also um ein Schuldbekenntnis. Nimm es zugleich als eine Entschuldigung. Alles klar? Tu mal was für Deine Allgemeinbildung."

"Und tu Du mal was gegen Deine Arroganz", meckerte Motoki. "Ist ja nicht zum Aushalten. Kaum ist Suiren um die Ecke verschwunden, schon lässt Du hier den großen Einstein raushängen. Was hab ich nur verbrochen, dass ich mit so was wie Dir bestraft werde?"

"Ich bin keine Strafe", belehrte ihn Mamoru, "ich bin eine Chance! Ein uraltes Sprichwort besagt Kein Mensch ist Dein Feind, kein Mensch ist Dein Freund. Jeder Mensch ist Dein Lehrer! Merk Dir das gut!"

Motoki bekam einen eigenartigen, panisch anmutenden Gesichtsausdruck, als er mit einem Kreischen in der Stimme feststellte:

"ICH BIN VON LEHRERN UMGEBEN??? RETTET MICH!!!"

Mamoru schüttelte nur theatralisch den Kopf und murmelte:

"Nöh. Du bist nicht mehr zu retten."

Damit schien er genau das auszudrücken, was auf den verwirrten Gesichtern der wenigen anderen Schüler geschrieben stand, die sich bei Motokis Anfall zu ihm umgedreht hatten. Motoki grinste in die Runde und störte sich dann schon gar nicht mehr daran. Im Gegenteil: Er stand ganz gerne dann und wann mal im Mittelpunkt. Ganz anders als Mamoru. Der verkroch sich hinter dem dicken Baumstamm.

"Komm da hinten raus, Du Held!", forderte Motoki, stand auf und ging um den Stamm herum. Dort saß sein Kumpel zu den Wurzeln des Baumes und starrte vor sich hin. Nur noch ein paar Schritt Wiese trennten ihn von der stacheligen Hecke, nach der nur noch die hohe, weiße Mauer das Gebiet des Campus umzäunte. Irgendwie wirkte Mamoru mit einem Schlag ernst und nachdenklich.

"Du, Motoki?", fragte er leise.

Der Angesprochene hockte sich umständlich nieder, lehnte auch sich - wieder einmal - gegen den Stamm und antwortete endlich:

"Was denn? Ist was mit Dir?"

"Sag mal, fühlst Du das?"

Motoki erwartete, dass Mamoru irgendwas tat. Aber außer weiterhin starr geradeaus zu sehen, unternahm er nichts. Schließlich antwortete der Blonde mit einiger Verzögerung:

"Was genau meinst Du?"

"Spürst Du etwas Besonderes hier? Irgend eine Veränderung?"

Motoki sah sich um, doch er konnte nichts Außergewöhnliches entdecken. "Nein, und jetzt spuck endlich aus, wovon Du redest!"

Mamoru zuckte nur mit den Schultern. "Keine Ahnung. Hab mich wohl getäuscht. Vergiss es."

Motoki kratzte sich verständnislos am Kopf. Er musste sich ganz schön veräppelt fühlen.

"Nein, das vergesse ich jetzt nicht. Und wenn Du mir nicht sofort sagst, was Du meinst, dann hau ich Dich; denn ich werde unter Garantie nächtelang nicht schlafen können, wenn ich jetzt nicht bald mal erfahre, wovon Du redest!"

"Ich meine nur..." Mamoru zögerte, während er nach den richtigen Worten suchte. "...Ich hab ein merkwürdiges Gefühl. Es ist ... wie kann ich das beschreiben? ...Es fühlt sich so an, als wäre etwas ganz anders als sonst. Vielleicht kennst Du dieses Gefühl, beobachtet zu werden? Du siehst nichts, Du hörst nichts, und dennoch spürst Du ganz genau, dass da etwas ist. Etwas, das da absolut nicht hin gehört."

"Kumpel, Du halluzinierst. Da ist nichts!", lachte Motoki. "Seit wann, bitte schön, leidest Du unter Verfolgungswahn?"

"Seit gerade eben wieder etwas stärker. Aber im Großen und Ganzen ... seit heute Morgen", flüsterte Mamoru tonlos. Er sah seinen Freund von der Seite an. In seinem Blick lag ein Ausdruck leisen, namenlosen Schreckens.

"Ich kann es nicht wirklich beschreiben", fuhr er fort, "ich spüre nur, wie ... wie der Wind anders ist. Als wolle er mir etwas zuflüstern. Und dieser Baum hier war vor einem Moment noch anders. Ich spüre ... eine Art Unruhe, die von ihm ausgeht. Und das Meer ... es beginnt zu tosen."

"Ein flüsternder Wind und ein unruhiger Baum?", fragte Motoki ungläubig. "Und Du willst über diese Entfernung spüren können, was das Meer tut? Willst Du mich auf die Schippe nehmen?"

"Sehe ich so aus?" Es war fast als läge nun echte Angst in Mamorus Blick. "Ich verstehe ja selbst nicht, was da mit mir geschieht. Aber denk nur daran, wie ich Dein Knie geheilt habe. ...Na gut, beinahe geheilt. Ist dieser kleine Kratzer vom letzten Mal noch da?"

Motoki nickte. Dann krempelte er sein Hosenbein hoch, um die kleine, dünne, längliche Wunde vorzuzeigen. Mamoru machte sich wieder daran zu schaffen, als Motoki nachdenklich meinte:

"Na ja, das ist schon etwas Besonderes. Gebe ich ja auch zu. Du hast mir übrigens noch immer nicht erzählt, wie Du das anstellst..."

Mamoru hatte die Wunde nun völlig verheilen lassen. Er lehnte sich mit einem erschöpften Seufzer zurück. Als er antwortete, überging er Motokis letzten Satz einfach.

"Und anscheinend sind die gleichen Kräfte, die mir diese paranormalen Heilfähigkeiten ermöglichen, auch dazu in der Lage, mich Dinge spüren zu lassen, die ein ... nun ja ... <normaler> Mensch nicht spüren würde. Mit anderen Worten: Ich bin anscheinend hyperästhetisch veranlagt. Das ist unglaublich..."

"Was für ein para... hyper... Schnickschnack?", fragte Motoki verwirrt nach, während er sein geheiltes Knie betrachtete und - noch immer fassungslos - den Kopf schüttelte.

Mamoru zögerte etwas mit der Auskunft. Er versuchte, es seinem Freund so einfach wie nur irgend machbar beizubringen:

"Ich weiß auch nicht wirklich viel darüber. Ich habe mich vorher nie wirklich mit der Parapsychologie auseinandergesetzt. Aber heute morgen hatte ich ein sehr interessantes Gespräch mit Suiren..."

"Sitzt in letzter Zeit oft mit ihr zusammen, was?", unterbrach ihn Motoki grinsend und stupste ihn mit dem Ellenbogen an.

"Was denn?", verteidigte sich Mamoru. "Du musst selbst zugeben, sie ist eine zuverlässige Informationsquelle! Und jetzt halt die Klappe und hör zu. Die Parapsychologie ist eine Wissenschaft, die sich mit dem Übersinnlichen auseinandersetzt. Dazu gehören so Sachen wie die Levitation, also das freie Schweben einer Person oder eines Gegenstandes, die Telepathie, also Gedankenübertragung, die Telekinese, also das Bewegen eines Gegenstandes durch die bloße Willenskraft, die Präkognition, also das Hellsehen, und viele weitere Bereiche. Dinge, die paranormal sind, können mit den gewöhnlichen wissenschaftlichen Mitteln nicht analysiert werden. Man sieht den Ausgangszustand, man sieht das Ergebnis; doch was dazwischen geschieht, das kann niemand physikalisch erklären. Ich kann Dir nicht sagen, wie ich es geschafft habe, Dein Knie heilen zu lassen. Ich weiß nur: Ich bin dazu in der Lage! Tja ... nun also zur Hyperästhesie. Dieser Begriff wird in der Parapsychologie und in der Medizin nicht ganz gleichwertig gehandhabt. In der Medizin benutzt man diesen Ausdruck, um die Überempfindlichkeit der Sinnesnerven gegen Berührungen zu beschreiben; psychisch bedingt ausgelöst durch Erschöpfung, Nervenkrankheiten und Ähnliches. In der Parapsychologie allerdings sind diese Fähigkeiten nicht krankheitsbedingt. Hyperästhesie ist für die Parapsychologen die Erscheinung, dass gewisse Menschen winzige, anderen Menschen nicht mehr zugängliche Signale mit ihren Sinnen wahrnehmen können. In der Fachsprache bezeichnet man diese Personen als höchst sensitiv. Kurz und gut: Ich hab besondere Fähigkeiten drauf, die sich weit und breit kein Schwein näher erklären kann. Ich kann Wunden verheilen lassen und bekomme jede Kleinigkeit in meiner Umgebung mit. ...In gewisser Weise ist das erschreckend. Auch für mich."

"Und für mich erst!", rief Motoki aus. "Kumpel, Du schockst mich gerade! Aber auf derbste Art und Weise! Dann bist Du ... so ne Art Superman?"

"So in der Art", bestätigte Mamoru augenrollend, in der Hoffnung, Motoki könnte es so am besten verstehen. "Ich habe nur einen besseren Modegeschmack."

"Und das heißt schon was!", stellte Motoki grinsend fest. Dann wurde er schlagartig wieder ernst. Er starrte lange Zeit stumm vor sich hin und dachte nach. Auch Mamoru war jetzt sehr ruhig.

Aber nur äußerlich.

Innerlich war er hin und her gerissen. Was mochte das alles für ihn bedeuten, und für seine Zukunft? Welche Fähigkeiten würden wohl noch in ihm schlummern? Was hatte das alles zu tun mit seinem Erwachen als Herr der Erde, mit der kleinen, goldenen Spieluhr, mit dem teuer aussehenden schwarzen Smoking, der so urplötzlich verschwunden war, mit der alten, griechischen Mythologie über den Hirten Endymion und die Mondgöttin Selene, mit dem Silberkristall und mit dem Goldenen Kristall? Und was im Augenblick das Wichtigste war...

"Wer ist dieser Jemand, von dem Du sagst, dass er Dich verfolgt? Was bedeutet dieses Gefühl, alles hier würde sich verändern?" Motoki hatte genau das ausgesprochen, was in Mamorus Gedanken herumgespukt war.

"Ich weiß es nicht", murmelte Mamoru wahrheitsgetreu. Er sah in diesem Moment wahnsinnig müde aus. "Ich weiß ja noch nicht mal, ob ich meinem Gefühl überhaupt vertrauen darf. Vielleicht bilde ich es mir auch nur ein, jetzt, nach dem Gespräch mit Suiren? Ich habe keine Ahnung. Kann sein, dass ich mich selber verarsche. Kann sein, dass das alles gar nichts bedeutet. Kann aber auch sein, dass ich eine kommende Gefahr spüre. Kann genauso gut sein, dass dieses Etwas, das auf uns zukommt, was immer es sein mag, erst in ferner Zukunft auf uns stößt. Wer weiß das schon? Möglicherweise ist es gutartig, möglicherweise ist es bösartig, möglicherweise ist es gar nicht existent. Ich habe nur das Gefühl ... huschende Schatten zu sehen, die verschwinden, sobald ich mich darauf konzentriere. Ich weiß einfach, dass jemand oder etwas in meiner Nähe ist und mich beobachtet. Ich weiß es einfach. Ich kann es nicht rational erklären, aber es ist einfach so. Keine Ahnung woher, aber ich weiß es so sicher, wie ich weiß, dass die Sonne morgen früh wieder im Osten aufgehen wird. Dieses ... Ding ... was immer es sein mag ... ist noch nicht lange hinter mir her. Vielleicht seit gestern Abend, oder seit heute Morgen, ich weiß es nicht. Aber irgendwas ... lauert still und leise in der Finsternis."

Motokis Mund stand zu einem stummen Entsetzensschrei geöffnet. Und dennoch glaubte er seinem Freund. Er musste es glauben. Was er da gerade alles gehört hatte, das konnte sich doch keiner einfach so aus den Fingern saugen! Das übertraf ja die kühnsten Fantasien der berühmtesten Autoren seit Menschengedenken! Die unglaublichsten Geschichten schrieb eben immer noch nur die Realität...

"Und ... und...", stotterte Motoki fassungslos, "...und ... mit diesem Wissen - und dieser Kreatur im Nacken - hast Du tatsächlich ... diese schwere Mathearbeit geschrieben? Also, ich hätte mich da echt nicht mehr konzentrieren können!"

Mamoru klatschte sich die flache Hand gegen die Stirn und seufzte. Na klar! In einem solchen Moment musste Motoki solch einen überflüssigen Kommentar abgeben!

"Was denn?", fragte der Blonde verunsichert.

"Motoki", beklagte sich Mamoru, "manchmal hast Du einfach das wahnsinnige Talent, am falschen Ort zur falschen Zeit die falschen Dinge zu sagen."

"Nun mach mal langsam!" Motoki verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. "Man kann das Pferd auch von hinten aufzäumen!"

Mamoru starrte ihn einige Sekunden lang blöde an und meinte dazu nur:

"Ich glaube, Du solltest Dir ein Sprichwörterlexikon zulegen..."

Dann erstarrte er mitten in der Bewegung.

"Motoki...", flüsterte er tonlos und presste seinen Rücken gegen den Baumstamm. "Da ist jemand. Auf der anderen Seite vom Baum. Tu mir den Gefallen und sieh nach."

"Echt?", flüsterte der Blonde geschockt zurück. "Ich hab nichts gehört..."

"Tu, was ich sage!"

"Ja, ja", meinte Motoki und schluckte schwer. Er machte einige vorsichtige Schritte um den Baum herum und verschwand aus Mamorus Blickfeld. Dieser blieb wie angewurzelt stehen, hielt den Atem an und lauschte. Und tatsächlich hörte er nur Sekunden später Motokis Stimme:

"Hey, wer bist Du denn? Was suchst Du hier?"

Die Stimme eines Mädchens antwortete. Sie klang leise und wirkte irgendwie etwas eingeschüchtert. "Bist ... bist Du Motoki Furuhata, aus der zehnten Klasse?"

Als Mamoru die Stimme seines Kumpels hörte, konnte er sich prompt bildlich vorstellen, wie Motoki sich in heldenhafte Pose stellte. Der selbstherrliche Unterton in seiner Stimme, als er antwortete, zeigte Mamoru, wie sehr er doch recht gehabt hatte mit seiner Einschätzung.

"Der, und kein anderer."

Mamoru vermutete, Motoki würde sich gerade mit einer eitlen Bewegung ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht wischen und sein breitestes Grinsen auflegen. Jedenfalls sähe ihm das ähnlich.

"Gut. Man hat mir nämlich gesagt, dass ich Dich hier finden würde. Sag, Du bist mit Mamoru Chiba in einer Klasse, nicht wahr?"

In seinem Versteck hinter dem Baum konnte Mamoru schon fast hören, wie seinem Freund ungläubig der Unterkiefer herunterklappte.

"Äääh..."

"Dann könntest Du ... ihm ... vielleicht ... das hier geben?"

Kurze Stille. Dann Motokis Stimme:

"Was ist das?"

"Wonach sieht es denn aus?" Das Mädchen kicherte verlegen. "Also danke, ja? Ist lieb von Dir!"

Damit drehte sie sich wohl herum und eilte davon. Mamoru hörte das Gras unter ihren Sohlen rascheln, und das Geräusch wurde immer leiser, wich bald dem Trappeln auf Asphalt und war dann ganz verklungen.

"Motoki!", flüsterte Mamoru. "Pssst, Motoki! Wo bleibst Du denn?"

Der Blondschopf kam um die Ecke und stammelte:

"Ich hab da was für Dich..."

"Quatsch keine Opern, rück raus das Ding! Was ist es? Und wer war das Mädchen?"

"Du wirst es nicht glauben..." Mit einem Schlag grinste Motoki von einem Ohr zum andren. "...ich glaub es ja selbst kaum!"

Und damit überreichte er Mamoru einen Briefumschlag. Noch während Mamoru ungeduldig den Umschlag aufriss, fuhr Motoki fort:

"Sie ist nicht von hier. Ihrer Uniform nach zu schließen, kommt sie von einer anderen Schule, aber ich kenne diese Art von Uniform nicht. Keine Ahnung, zu welcher Schule sie gehört. Ihrem Alter nach zu urteilen, würde ich schätzen, sie dümpelt irgendwo in der Mittelstufe herum. Aber sie schien eine ganz Süße zu sein. Ich weiß ja nicht - stehst Du auf etwas jüngere Mädchen?"

Mamoru warf ihm einen bitterbösen Blick zu und zerrte den Brief auf dem halb zerfetzten Umschlag. Er brachte gerade keine Geduld auf, sorgsam damit umzugehen.

"Na, was steht drin?", erkundigte sich Motoki und versuchte, einen Blick aus das Papier zu erhaschen.

Mamoru überflog die sauber geschriebenen Zeilen, ließ das Papier dann sinken, starrte Motoki ungläubig an und antwortete:

"Ein Liebesbrief."

Motokis Grinsen steigerte sich schlagartig in ein schadenfreudiges Lachen. "Ah, Du solltest Dein verblüfftes Gesicht mal sehen! Das ist absolut der Hammer! Unbezahlbar!" Er japste verzweifelt nach Luft und lachte unverhohlen weiter. Ihn störte Mamorus zornesrotes Gesicht kein bisschen. "Uh, wie gruselig! Du wirst von einem kleinen Mädchen verfolgt! Schlotter, schlotter! Ich hab Angst! Willst Du jetzt die Polizei rufen? Das FBI? Die Armee? Oder einen Exorzisten? Ich pack's nicht!"

"Ja, ja, beruhig Dich wieder."

"Pffft, nöh. Beim besten Willen nicht. Das Meer beginnt zu tosen, so ein Blödsinn! Ich krieg mich nicht mehr! Ich lach mich krank!"

Er sank auf die Knie, fiel dann entgültig zu Boden und kugelte sich dort vor Lachen. Mamoru konnte nur mit Mühe dem Impuls wiederstehen, ihm schlicht und ergreifend einen Tritt in seine vier Buchstaben zu versetzen.

"Du bist ja bloß eifersüchtig, weil mal ausnahmsweise nicht Du im Mittelpunkt stehst", giftete er.

Motoki nickte nur prustend. "Die kannst Du gerne behalten, ich bleibe eh bei Reika. Aber dass Du auch endlich auch mal beachtet wirst, amüsiert mich königlich!"

"Ja, ist nicht zu übersehen", murmelte Mamoru und ging den Brief noch mal Zeile für Zeile durch.

"Was willst Du jetzt machen?", fragte Motoki, wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln, stand endlich wieder auf und klopfte sich den Staub aus seinem Hemd, während er noch leise kichern musste.

"Na, was wohl? Ich werde den Brief natürlich beantworten und sagen, dass ich kein Interesse hab. Du weißt, mein Herz gehört Hikari."

"Ja, und sie benutzt es auch kräftig als Fußabtreter. Aber wenn Du meinst ... tu, was Du willst! Ich sage nur: Ich an Deiner Stelle hätte die Kleine von gerade eben gern mal ... getestet! Wie heißt sie denn?"

"Wenn sie den Brief auch verfasst hat, und nicht nur die Postbotin war, dann heißt sie Miharu. Ich frage mich, woher sie die Zeit nimmt, hier aufzukreuzen. Hat sie denn keinen Unterricht?" Mamoru faltete den Brief - nun ein gutes Stück vorsichtiger - wieder zusammen und schob ihn in die Brusttasche seines Hemdes. Er stellte sich die Frage, wie er den Brief denn beantworten sollte, wenn er weder wusste, wie das Mädchen mit Nachnamen hieß, noch, auf welche Schule und in welche Klasse sie genau ging. Aber irgendwie wollte er das auch nur sehr ungern herausfinden. Vielleicht wegen der leisen Angst in seinem Hinterkopf, er könne dieses Mädchen doch irgendwie süß finden und müsste sich dann zwischen ihr und Hikari entscheiden, was er nicht wollte. Na gut, dann musste er eben Motoki mit dieser Aufgabe betreuen. Der würde sicherlich nicht nein sagen.

Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet Mamoru, dass er nur noch wenige Minuten Zeit hatte, um sich ein wenig zu entspannen. Als er seine Klassenarbeit abgegeben hatte, war die reguläre Unterrichtsstunde noch nicht zu ende gewesen, und seit dem hatte er zusammen mit Motoki das bisschen Restzeit hier draußen verbracht. Schon bald würde die Pause anbrechen, und Minuten später würden beide wieder im Unterricht sitzen.

"Zumindest hat Dich Dein Gefühl nicht getäuscht", sagte da Motoki grinsend. "Da war tatsächlich jemand. Weißt Du, Kumpel, wenn es mal so richtig, richtig ernst wird - sagen wir mal, wenn Dich so was Grässliches wie ein kleines Kätzchen angreift, oder so - dann kannst Du auf mich zählen; ich bin für Dich da! Ich beschütze Dich!"

"Und wer beschützt mich vor Dir?", brummte Mamoru. Der Deckel der Spieluhr klappte auf, und ihre sanfte Melodie ertönte dumpf unter Mamorus Hemd. Aber nur ein paar Sekunden lang. Dann schloss er die Klappe wieder mit einem verwirrten, skeptischen Gesichtsausdruck. Er fühlte sich so gar nicht wohl in seiner Haut. Gerade da sah er im Augenwinkel eine Bewegung. So was wie ein großer Schatten. Als er den Kopf umwandte, war das Etwas schon wieder weg.
 

Hab ich Dich also endlich gefunden..., wisperte es. Dann zog es sich lautlos zurück und verharrte in der Finsternis.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  RallyVincento
2005-08-22T08:49:17+00:00 22.08.2005 10:49
Das war mal wieder ein richtig schönes kapi, total mysteriös... das mädel mit dem Liebesbrief is ja kawaii.
ich geb Steffinator recht ich mag hikari auch net so wirklich aber naja vielleicht wird sie ja noch von einem 12tonner überfahren *diabolisches Grins*

Schreib schnell weiter... *knuddel*
Von: abgemeldet
2005-08-21T01:33:09+00:00 21.08.2005 03:33
Oh,
wie fies an dieser Stelle aufzuhören......;Misst!^^

Motoki ist einfach zu herrlich mit seinen Sprüchen, einfach Klasse *lach*

Das kleinere Mädchen kann einem schon leid tun, aber es ist doch schon irgendwie dämlich das Mamoru keine anderen Mädchen sehen will, weil er sich sonst ja entscheiden müsste.
Er soll Hikari endlich vergessen (ich ,mag sie einfach nicht, ich kann dagegen einfach nichts machen.....)

Wie es wohl weiter geht? Hat der schatten etwa etwas mit dem dunklen Königreich zu tun? Logisch wäre es, ich bin ja mal gespannt,nur weiter so"
Lg ^^


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