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Magenta II

Zwischen Azeroth und Kalimdor
von

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Spuren im Staub

Die Dunkelheit war ein gern gesehener Gast in Ratchet. Man begrüßte sie stets wie eine alte Freundin, man feierte und trank in ihrer Umarmung, man tätigte Geschäfte unter ihrem Deckmantel, man brachte mit ihrer Hilfe Fremde um die nächste Ecke (und kam ohne sie wieder zurück) und wenn sie sich ihrem Ende entgegenneigte, versank ganz Ratchet wie ein verlassener Geliebter in einem fiebrigen Dämmerschlaf und harrte aus, bis die nächste Nacht heraufzog und es an der Zeit war, sich einer neuen, kühlaufregenden Schönheit mit all ihren Versuchungen an den wogenden Busen zu werfen. In einigen Ecken von Ratchet jedoch hatte die Dunkelheit eine ganz andere Qualität. Wenn die Sonne hinter dem Horizont versank, machte sich hier eine bösartige Schwärze breit, die mit versteckten Zähnen und Klauen auf ihre unschuldigen Opfer wartete. Wer einmal in diesen Abgrund geschaut hatte und ihm entkommen war, wachte danach des Öfteren nachts schreiend und schweißgebadet auf, verfolgt von feurigen Augen und der Gewissheit, nur einen Schritt davon entfernt gewesen zu sein, seine Seele zu verlieren. Im wortwörtlichen Sinne. Die Wachen mieden auf Gazlowes Befehl hin diesen Bereich der Stadt, denn wenn es etwas gab, dass der spitzohrige Goblin-Herr von Ratchet schnell begriffen hatte, war es die Tatsache, dass es günstiger war, sich dafür bezahlen zu lassen, dass seine Männer nicht überall herumstreunten, als immer wieder neue einstellen zu müssen. So lag der höchste Turm der Hafenstadt in einem Kreis aus Ignoranz und Schrecken und niemand beobachtete die seltsamen Vorgänge, die in einer der oberen Kammern vor sich gingen.
 

Fackeln warfen ein flackerndes Licht an die Wände des Turmes und Akolythen huschten nahezu lautlos zwischen den rauchenden Kohlebecken und gespenstisch aufglühenden Runen hin und her. Es herrschte reges Treiben wie auf einem großen Marktplatz, bis auf die Tatsache, dass das Geschrei und der Gestank nach langsam verwesendem Fisch fehlten. Magenta wurde beinahe schwindelig von so viel Geschäftigkeit, das in ihrem Kopf ein beständiges, dumpfes Kreisen hinterließ. Möglicherweise lag das aber auch an den aromatischen Düften, die aus den Räucherschalen aufstiegen und ein schweres, drückendes Aroma hinterließen, das vage an Moschus und Patchouli erinnerte. Eine Mischung, die Magenta äußerst abstoßend fand. Doch sie harrte neben dem Thron des Meisters aus und erwartete mit Spannung das Ergebnis des hektischen Treibens. Die Luftfeuchtigkeit in dem aufgeheizten Raum stieg stetig und mit der Zeit begannen sich kleine Schweißtropfen auf der Stirn der Hexenmeisterin zu bilden. Das Atmen fiel ihr schwerer und schwerer, die sie umgebenden Dämpfen kratzten in ihrem Hals und ihre Augen wurden von der Hitze glasig. Endlich trat eine der dunkelkapuzten Gestalten aus dem Dampf heraus zu Strahad Farsan und verkündete mit leiser, rauchiger Stimme: „Es ist vollbracht, Meister.“

„Wunderbar.“, rief Strahad Farsan aus und streckte sich ausgiebig. „Ich habe mir selten ein ausgiebiges Bad so verdient wie heute.“

Magenta glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. „Ein…Bad?“

Der Mann grinste und zwinkerte ihr zu. „Oh ja. Es geht nichts über ein anständiges Dampfbad am Ende eines langen Tages. Ich nehme an, du möchtest mich nicht begleiten?“

Magenta schüttelte nur stumm den Kopf.

Strahand Farsans Miene wurde schlagartig ernst. „Das will ich dir auch geraten haben. Dir bleibt keine Zeit dich hier zu vergnügen. Auf dich wartet eine Menge Arbeit. Komm!“

Halb torkelnd folgte Magenta dem Schatten, den der Hexenmeister in dem weißen Dampf bildete, bis sich der Nebel auf einmal lichtete und sie in einem kleinen Seitenraum der Badekammer stand. Leise und sorgfältig schloss Strahad Farsan hinter ihnen die Tür und drehte den Schlüssel im Schloss.

„Nun dürfte uns eigentlich niemand mehr gefolgt sein.“, murmelte er und deutete auf eine schmale Leiter, die am anderen Ende der Kammer zu einer Bodenluke führte. „Nach dir.“

Magenta erklomm das wackelige Gestell voller unguter Vorahnungen und stand kurz darauf in einem staubigen Zwischenboden. Dicke, weiße Schichten bedeckten Boden und Wände und in den Ecken sammelte sich allerlei Unrat. Das alles bemerkte die junge Hexenmeisterin jedoch nicht, denn ihr Blick wurde von einem großen, kreisrunden Gebilde angezogen, das fast bis zur Decke ragte. Menara Voidrender stand neben dem Ding und zerrte an einer leicht vergilbten, ebenfalls staubbedeckten Plane herum und schüttelte ärgerlich den Kopf als sie die beiden Neuankömmlinge bemerkte.

„Wird aber auch Zeit.“, murrte sie und wies Magenta mit einer herrischen Geste an ihr zu helfen. Gemeinsam zogen die beiden Frauen die Plane herunter, die in einer riesigen Staubwolke zu Boden rutschte und den Blick auf etwas freigab, das Magenta schon einmal gesehen hatte.

„Ein magisches Tor!“, rief sie unwillkürlich aus.

„Gut erkannt.“, lobte Strahad Farsan. „Du hast so etwas schon einmal gesehen?“

Magenta nickte ehrfürchtig „Im Magierturm in Stormwind.“

„Bah!“ Strahad Farsan machte eine wegwerfende Handbewegung. „Magier. Plustern sich auf, als gehöre ihnen die Welt, dabei wissen sie nur die Hälfte von dem, zu was wahre Macht wirklich fähig ist. Und sie benutzen diese Tore nur, um zwischen zwei bestimmten Orten hin und her zu reisen. Ein relativ sichere, aber auch furchtbar langweilige Sache, wenn ihr mich fragt.“

„Aber natürlich fragen wir dich.“, säuselte Menara und verdrehte die Augen, während sie die Plane in eine Ecke warf und dann in einen Beutel an ihrem Gürtel griff. Zu Magentas Entsetzen zog sie drei Seelensplitter daraus hervor. „Zum Beispiel frage ich dich, ob du nun endlich mal mit dem Geschwätz aufhörst und dich nützlich machst. Hast du die Reihenfolge der Runen herausgesucht?“

„Aber sicher meine Teuerste.“, grinste Strahad Farsan und tippte sich gegen den grauhaarigen Schädel „Alles dort oben drinnen. Wir werden sie zu einem der abgelegeneren Tore schicken. Dort sollte ihre Ankunft eigentlich unbemerkt bleiben.“

„Gut.“, brummte Menara und steckte einen der Seelensplitter in eine dafür vorgesehene Halterung des Torbogens. Der Splitter begann in einem dunklen Violett zu glühen, das Pulsieren in seinem Inneren wurde schneller und schneller, bis es schließlich begann sich über die Grenzen des Steins hinaus auszubreiten. Leuchtende, violette Linien flossen den Torbogen entlang und zeichneten die verschlungenen Runen nach, die in den grauen Stein graviert worden waren. Menara wiederholten den Vorgang bei zwei weiteren Vertiefungen im Tor und schließlich erstrahlte der gesamte Bogen in einem wie unter einem unheilvollen Herzschlag pulsierenden, klaren Violett. Strahad Farsan, in dessen Augen sich der Schein der Runen widerspiegelte, lächelte verzückt.

„Es funktioniert immer noch.“, lächelte er selbstgefällig und strich beinahe zärtlich über die raue Oberfläche des Steintores. „Ich bin immer wieder überrascht, wie gute Arbeit ich doch geleistet habe. Du musst wissen, ich habe dieses Tor nämlich selbst gebaut.“

Da er den letzten Satz in Magentas Richtung gesprochen hatte, beeilte sie sich, ihm ihre Bewunderung auszusprechen. Trotzdem ging ihr dabei unweigerlich durch den Kopf, dass sie nicht genau wusste, ob sie diesem selbstgebauten Tor wirklich vertrauen sollte. Strahad Farsan schien allem Anschein nach einen sehr eigenartigen Sinn für Humor zu haben.
 

„Keine Bange.“, flüsterte ihr Menara Voidrender zu, die anscheinend ihre Gedanken gelesen hatte. Der Meister selbst ergötzte sich hingegen immer noch an seinem Werk. „Das Tor ist sicher. Es wird dich in den südlichen Teil von Desolace bringen. Dort stehen eine ganze Reihe dieser Tore herum, die jedoch nicht mehr genutzt werden. Das heißt jedoch nicht, dass sie nicht bewacht sind. Du musst dich kampfbereit halten, wenn du hindurch gehst.“

„Und wer bewacht die Tore?“, fragte Magenta alarmiert.

„Wenn du Glück hast nur ein paar einfache Dämonen, wenn nicht…“ Menara Voidrender grinste. „Nun, du wirst es herausfinden. Aber wie gesagt, unser Ziel ist eigentlich eines der äußeren Tore, wo die Bewachung nur unzureichend sein sollte.“

„Gut.“, nickte Magenta. „Durch das Tor komme ich also nach Desolace. Und dort besorge ich Euch dann eine Ampulle mit Sartyrblut und einen Höllenstein einer Höllenbestie?“

„Genau.“

„Gut, dann hätte ich nur noch eine Frag: Was ist eine Höllenbestie?“

Menara starrte Magenta einige Sekunden lang an, bevor sie ein amüsiertes Lachen ausstieß. „Ein guter Witz.“, sagte sie und drohte Magenta schelmisch mit dem Zeigefinger. „Und beinahe wäre ich darauf hereingefallen. Immerhin kann es ja nicht angehen, dass Strahads neue Vorzeigeschülerin nicht weiß, was eine Höllenbestie ist. Das wäre ja lachhaft.“

Magenta kniff den Mund zusammen und dachte, dass sie das nicht besonders komisch fand, war jedoch klug genug, sich ihre Unwissenheit nicht weiter anmerken zu lassen. Ihr vorlauter Wichtel würde schon wissen, was so ein Höllendingsda war und wie man es finden konnte.
 

„Menara?“ Strahad Farsan, der immer noch vor dem großen Tor stand und mit den Händen nacheinander auf verschiedene Symbole wies, so als versuche er sich an ihre Bedeutung zu erinnern, warf einen kurzen Blick in Richtung seiner jüngeren Kollegin. „Hast du ihr eigentlich schon von der Kugel von Orahil erzählt?“

„Die…oh ja, die Kugel.“ Für einen Augenblick hatte Magenta das Gefühl, dass die andere Hexenmeisterin nicht besonders begeistert von dem Gedanken war, sie noch weiter in ihre Geheimnisse einzuweihen, doch der flüchtige Schatten auf ihrem Gesicht verschwand ebenso schnell wieder, wie er gekommen war.

„Die Kugel von Orahil ist ein weiteres Instrument der Macht, das wir in deine Hände geben werden. Diese Kugeln werden seit je her von Hexenmeistern genutzt. Sie stellen eine Kraftquelle dar und nähren sich aus dem Dämon, der in ihrem Inneren gefangen ist. Anders als deine normalen Diener, dient er direkt dazu, deine Macht zu mehren und deine Zauber stärker werden zu lassen. Es gibt jedoch eine Schwierigkeit dabei. Die Kugeln sind sehr schwer herzustellen und mehr als ein Hexenmeister hat sich bei dem Versuch, es zu tun, selbst ein interessantes Ende bereitet. Es gibt jedoch einen leichteren Weg, an so eine Kugel zu gelangen.“

„Und der wäre?“, fragte Magenta interessiert. Ein Dämon, dessen Macht ihr zu Diensten war ohne, dass er ihr Widerworte geben konnte, klang interessant.

„Du musst die Kugel stehlen.“

„Was?“ Magenta blinzelte ein paar Mal, bis sie verstanden hatte, was die ältere Hexenmeisterin da gerade verlangt hatte. „Aber wer hat denn solche Kugeln? Ich meine, ich bin nicht gerade besonders geschickt im Einbrechen oder Lautlos-über-Dächer-Kriechen.“

„Nun, dann gibt es da für dich wohl nur den leichteren Weg.“, erklärte Strahad Farsan grinsend. „Du musst den Besitzer der Kugel zunächst töten und ihm die Kugel dann abnehmen.“

„Ach so, ja.“, murmelte Magenta unglücklich. „Ist ja ganz leicht.“

„Wer sagt, das es leicht wäre.“, rügte Strahad Farsan sie sofort. „Ich sagte nur, es wäre leichter. Die Hexenmeister in Mannorocs Coven, die eine solche Kugel besitzen, verfügen über große Macht. Ihnen die Kugel abzujagen wird ein hartes Stück Arbeit werden.“

Ergeben nickte Magenta. „Und wenn ich die Kugel habe, gehört sie dann aber mir?“

„Wo denkst du hin?“, lachte Menara Voidrender. „Zuerst müssen wir den Dämon, den der ursprüngliche Besitzer in seinem Inneren gefangen hat, austreiben. Dazu wirst du Hilfe benötigen. Und schlussendlich wirst du die Essenz eines von dir selbst gefangenen Dämons hineingeben müssen, so dass die Kugel an dich gebunden wird. Hier.“

Menara Voidrender reichte Magenta einen roten und einen grünen Edelstein. „Du kannst wählen. Der rote ist von mir dafür präpariert worden, die Essenz eines Teufelsjägers einzufangen, denn auch von diesen Biestern streifen eine ganze Menge wild in Mannorocs Coven herum. Der grüne dient dazu, die Essenz einer Höllenbestie einzufangen. Je nachdem, welchen Dämon du im Inneren der Kugel einfängst, wird es entweder deine Schatten- oder deine Feuerzauber stärken. Du kannst dich entscheiden, welchen Weg du wählst.“
 

Magenta betrachtete die beiden Edelsteine sorgsam, so als müsse sie noch überlegen, welchen sie wählen müsste. Es erschien günstig, den für die Höllenbestie zu nehmen, da sie ohnehin eine von ihnen töten musste, um an diesen verwünschten Höllenstein zu kommen. Aber sie wusste genau, dass sie nicht den Weg des Feuers wählen würde. So tippte sie nach einem kurzen Zögern auf den roten Stein.

„Eine gute Wahl.“, sagte Menara, während Strahad Farsan hörbar schnaubte.

„Also gut, also schön.“, proklamierte der grauhaarige Hexenmeister und klatschte in die Hände. „Jetzt, da du alle Informationen über deine Aufgaben erhalten hast, wird es nun endgültig Zeit für dich aufzubrechen. Mein Badewasser wird sonst kalt.“
 

Mit aufwendigen Gesten und gewichtiger Miene nahm er vor dem leuchtenden Steinring Aufstellung, schob die Ärmel seiner Robe zurück und legte für einen kurzen Moment die Fingerspitzen an die Schläfen. Dann zog er mit einem Mal einen Dolch. Magenta atmete scharf ein, als er sich mit der Kling zweimal über die linke Handfläche strich. Blut trat aus den Wunden hervor und glitzerte dunkel im schwachen Licht der kleinen Kammer. Dann begann er eine Formel in einer fremden Sprache zu murmeln, während er nahe an das Tor trat und nacheinander mehrere der Runen berührte. Wann immer er das tat, glühte das jeweilige Schriftzeichen hell auf und je mehr der Runen er zum Leuchten brachte, desto mehr musste Magenta die Augen zusammenkneifen, um nicht von dem violetten Strahlen geblendet zu werden. Als schließlich die letzte Rune leuchtete, begann sich im Inneren des Tores etwas zu bewegen. Erst klein und langsam, dann immer größer und schneller drehte sich ein graugrüner Wirbel, der von goldenen und violetten Schlieren durchzogen war. Die steige Drehbewegung hatte etwas Hypnotisierendes und Magenta erwischte sich dabei, wie sie für ein paar Augenblicke die Lider senkte und an gar nichts dachte, aber dann holte sie Strahad Farsans jubelnden Stimme wieder in die Wirklichkeit zurück.

„Es ist vollbracht.“, verkündete er. „Die Verbindung nach Desolace ist hergestellt. Jetzt beeil dich, bevor noch irgendetwas Unangenehmes von der anderen Seite entdeckt, dass wir eines der Tore geöffnet haben.“

Eilig packte Magenta ihr Bündel und trat auf das Tor zu, dessen Magie die Haare auf ihren Armen zum Aufstellen brachte. Kurz bevor sie durch die magische Öffnung trat, drehte sie sich noch einmal zu ihren beiden neuen Lehrmeistern herum.

„Wie komme ich eigentlich wieder zurück? Kann ich ebenfalls so ein Tor öffnen?“

„Du wirst einen Greifen nehmen.“, erwiderte Strahad Farsan ungeduldig und machte Anstalten, die junge Hexenmeisterin kurzerhand durch das Tor zu schieben. “Solltest du natürlich zufällig auf die Hand von Ixuros stoßen, darfst du sie selbstverständlich benutzen.“

„Hand von Ixuros?“ Magenta hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Widerspenstig stemmte sie Füße in den Boden. „Und was ist mit der Höllenkugel. Ihr habt gesagt, ich würde Hilfe bei der Austreibung des Dämons brauchen.“

„Wenn du die Kugel hast, bring sie zu Tabetha in die Marschen zurück. Sie wird dir mit Sicherheit helfen, die Kugel zu reinigen.“

„Was?“

Noch bevor Magenta einwenden konnte, dass sie garantiert nicht zu dieser merkwürdigen Frau in den Sümpfen zurückkehren würde, die sie bei ihrem letzten Besuch so unsanft aus ihrer Hütte befördert hatte, erhielt sie schon einen kräftigen Stoß in den Rücken, taumelte einen Schritt vorwärts und wurde von dem magischen Wirbel verschluckt. Stille drückte von allen Seiten gegen sie, um sie herum wurde alles schwarz und dann hatte sie das Gefühl, sie würde von einer riesigen, krallenbewehrten Hand gepackt und durch das Zentrum des Universum geschleudert. Sie wirbelte herum, taumelte und trudelte und war nur noch von dem Gedanken an festen Boden unter den Füßen besessen, als dieser sie mit der Macht eines Hammerschlags traf und sie unverhofft über den staubigen Boden eines fremden Landes kullerte. Über ihr erstreckte sich ein schwefelgelber Himmel und der Staub in ihrem Mund schmeckte nach Asche und Tod. Wie es schien, war sie in Desolace angekommen.
 

In Ratchet erloschen derweil die magischen Runen in der Reihenfolge, in der sie aktiviert worden waren. Strahad Farsan leckte mit der Zunge über die immer noch blutende Wunde an seiner Hand und riss schließlich einen Streifen von seinem Hemd ab, um den Schnitt zu verbinden. Währen der das tat, ruhte der strenge Blick Menara Voidrenders auf ihm.

„Und du meinst wirklich, dass es so eine gute Idee ist, sie erneut dort hin zu schicken?“, fragte sie ungehalten. „Man sollte meinen, du hättest dich langsam damit abgefunden.“

Ein harter Blick aus wasserblauen Augen traf sie wie eine gläserne Klinge. „Damit werde ich mich niemals abfinden.“
 


 


 

Abbefaria hatte sich schnell an das gleichmäßige Schlagen der mächtigen Greifenschwingen gewöhnt und genoss den Flug nahezu im Einklang mit der Kreatur, die ihn trug, auch wenn dessen Herr ihm nicht allzu wohlgesonnen gewesen war. Die drei Greife trugen den Nachtelfen und seine Begleiter zunächst die Küste entlang, fast so als fürchteten sie sich davor, sich im trüben Dunst über den Marschen von Duskwallow zu verirren. Als sie die Küste des Brachlandes erreichten, schwenkten die Tiere schließlich landeinwärts. In der Ferne sah Abbefaria die dunkle Bergkette liegen, die sie auf diese Weise umrundet hatten, und er kam nicht umhin, die Fähigkeiten der Tiere zu bewundern. Was zunächst wie Feigheit gewirkt hatte, war in Wirklichkeit ein kluger Schachzug gewesen.

Während die Sonne höher stieg und den Reitern den Schweiß ins Gesicht trieb, glitten die trockenen Grasebenen des Brachlandes wie gelbes Wasser unter ihnen hinweg. Mehr als einmal scheuchten die drei geflügelten Schatten dabei eine Herde Antilopen auf, die mit weiten, leichtfüßigen Sprüngen vor ihnen flohen. Giraffen und Blitzechsen, wechselten sich mit Hyänen und Raptoren ab, bis das Land unter ihnen wieder grüner wurde und sie zwischen zwei sanft abfallenden Felswänden hindurch in einen Landstrich glitten, den Abbefaria bisher nur aus Erzählungen kannte.

Saftige, grüne Wiesen erstreckten sich bis zum Horizont und gewaltige Kodoherden durchstreiften unter ihnen das fruchtbare Mulgore auf der Suche nach Fressbarem. In der Ferne sah man den gewaltigen Tafelberg, auf dessen flachen Gipfeln Thunderbluff errichtet worden war, die Hauptstadt der noblen Tauren, vor denen Abbefaria trotz der Vorfälle in den Marschen von Duskwallow den größten Respekt hatte. Mehrere Meter breite, hölzerne Stege verbanden die Hochländer miteinander und bildeten so das Vorbild der Taurenstadt, die der Nachtelf bereits in Tausend Nadeln so bewundert hatte. Doch noch bevor er sich dem Anblick richtig hatte widmen können, zog der Greif unter ihm nach oben. Das Tier hielt direkt auf die Felswand zu, die ganz Mulgore wie eine schützende Wiege umgab. Erst im letzten Moment, bevor sie hinein flogen, konnte Abbefaria die Bresche erkennen, die anscheinend irgendwann einmal in das Bergmassiv hinein gesprengt worden war.

Grauer, scharfkantiger Fels ersetzte die weiten Grasebenen und hier und da konnte der Nachtelf einen kurzen Blick auf zerstörte Ruinen werfen. Wer oder was immer hier oben gebaut hatte, er lebte schon sehr lange nicht mehr in den verfallenen Hallen und Palästen. Ein stetiger Wind heulte zwischen den Felswänden und ließ Abbefaria nicht nur wegen des sinkenden Sonnenstandes frösteln. Es lag etwas in diesem Wind, das seine Seele berührte. Wie ein Klagelied von Hunderttausende von Toten schwoll er an und verebbte kurz darauf, nur um aus der nächsten Felsspalte wieder neu zu erklingen. Und mit dem Wind kam der Geruch von Schwefel, Asche und Salz. Der Geruch von Desolace.
 

Der Nachtelf schloss die Augen, als sie über das tote Land hinweg flogen. Er musste nicht hinsehen um zu wissen, was sich unter ihm befand. Die karge, graue Landschaft, in der halb vergrabene Skelette mit seelenlosen Augen in einen sturmgepeitschten Himmel blickten, hatte sich durch Tabethas Erinnerungen tief in seine Netzhaut gebrannt. Das stetige Heulen des Windes, der die feinen Ascheteilchen noch immer über das Land fegte, als triebe er selbst im Tode noch ein grausames Spiel mit der verendeten Natur, ließen Abbefarias Eingeweide rebellieren. Umso erstaunter war er, als sich plötzlich der Geruch von neuem Grün und der zaghafte Eindruck lebendiger Pflanzen und Tiere in die Serenade aus Tod und Verderbnis mischte. Er öffnete die Augen und sah ein Bergplateau, das in den letzten, roten Strahlen der untergehenden Sonne wie in Blut getaucht wirkte. Ein schmaler Pfad, an dem einige junge Bäume und zartes, grünes Gras aus der Asche ragten, führte zu dieser willkommenen Abwechslung in der grauen Landschaft und auf der Ebene konnte Abbefaria einige Bauwerke erkennen. Bauwerke, die eindeutig nachtelfischen Ursprungs waren. Noch während er sich über die plötzlich auftauchenden Spuren seines Volkes wunderte, drängte eine neue, mächtige Präsenz in sein ausgebreitetes Bewusstsein und erfüllte sein Herz mit Freude. Dort oben auf dem Berg gab es einen Bewahrer, einen Hüter des Waldes.
 

Die Greife landeten nahe der aufgestellten Nistplätze am Greifenhort. Abbefaria entdeckte sofort, dass es sich bei dem Greifenmeister ebenfalls um einen Nachtelfen handelte. Er glitt vom Rücken seines Reittieres.

"Ishnu-alah.", grüßte er höflich und verbeugte sich.

"Ishnu-alah, Fremder.", antwortete der Greifenmeister, beließ es jedoch statt der Verbeugung bei einem Kopfnicken. „Ihr seid weit gereist?“

„Wir kommen aus den Marschen von Duskwallow.“, erklärte Abbefaria. „Wir wurden auf eine Mission geschickt, die keinen Aufschub duldet.“

„Wie so viele.“, gab der Greifenmeister unbeteiligt zurück. „Und wie so viele werdet Ihr nicht zurückkehren. Beweist mir, das ich Unrecht habe, Druide. Ich würde mich freuen, wenn ich irren würde.“
 

Mit diesen Worten nahm er die drei Greifen in Empfang, die ihm ohne Widerstand Folge leisteten. Abbefaria sah ihm einen Augenblick bewundernd nach und beneidete ihn ein wenig um diese tiefe Verbindung mit diesen wunderbaren Geschöpfen, bis ihn seine menschlichen Begleiter ansprachen.

„Was er gesagt?“, wollte Abumoaham wissen und streckte sich ausgiebig. „Oh, ich werden alt. Mein Rücken tun weh wie nach Nacht auf Nagelbett.“

„Ja genau, was hat er gesagt?“, fragte nun auch Demuny. Die Priesterin wirkte erschöpft und das Strahlen, das sie sonst umgab, wirkte schwächer als sonst. „Es klag nicht sehr freundlich.“

Abbefaria, der sich erst jetzt bewusst wurde, dass er mit dem anderen Nachtelfen Darnassisch gesprochen hatte, überlegte kurz und sagte dann: „Er hat uns viel Glück gewünscht.“

Während die beiden Menschen zufrieden nickten und sich dem nahe gelegenen Gasthaus zuwandten, um sich dort für die Nacht niederzulassen, erklang hinter Abbefaria ein glockenhelles Lachen. Er drehte sich um und begegnete einem Paar spöttischer, leuchtender Augen, das ihn zugleich abschätzend und vorsichtig musterte.
 

„Eine schmeichelhafte Auslegung von Baritanas’ Worten.“, sagte die fremde Nachtelfe, die unweit des Greifenhorts auf einem Stein saß, und fuhr fort, mit dem Messer einen Pfeil zuzuspitzen. Sie prüfte die Schärfe vorsichtig mit dem Finger, schien zufrieden, legte das Werkstück zur Seite und begann ein neues. Ihre Haut war blassblau und die weißen, schulterlangen Haare waren teilweise zu einem nachlässigen Pferdeschwanz zusammengenommen. Sie trug hohe, lederne Stiefel, ebensolche Hosen und ein feinmaschiges Kettenhemd, das sich eng an ihre Gestalt schmiegte. Schmale Schlagentätowierungen überzogen ihr Gesicht und gaben ihm einen leicht hochmütigen Ausdruck, als sie Abbefaria erneut ansah und die schmalen Lippen zu einem spöttischen Grinsen verzog.

„Was ist? Hat der Greif Eure Zunge gefressen?“, fragte sie herausfordernd und zog eine der überlangen Augenbrauen nach oben. „Oder verbietet Eure ach-so-wichtige Mission mit einer einfachen Jägerin wie mir zu reden? Wenn da so ist, verzieht Euch zu Euren Menschenfreunden und belästigt mich nicht weiter mit Eurer Anwesenheit.“

Abbefaria wollte etwas erwidern und trat einen Schritt auf sie zu, als ein drohendes Knurren ihn in der Bewegung erstarren ließ. Aus dem Schatten des Felsens erhob sich ein schwarzer Wolf, der eine beachtliche Anzahl scharfer Zähne entblößt hatte.

„Sam!“, schnappte die Nachtelf und das Knurren verstummte augenblicklich. Der Wolf setzt sich gehorsam auf seine Hinterpfoten, ließ Abbefaria jedoch nicht aus den Augen und folgte jeder seiner Bewegungen mit leisem Grollen.

„Ich…ich wollte nicht...“, begann der Druide. „Ich wollte Euch nicht beleidigen. Wir, ich und meine Begleiter, sind nur auf der Durchreise. Wir wollen zu Mannorocs Coven.“

„Eine weite Reise.“, kommentierte die Jägerin und begann eine neuen Pfeil zu schnitzen. „Ihr werdet Ausrüstung brauchen, Reittiere und vor allem jemanden, der Euch führt. Die Wege in Desolace sind nicht alle das, was sie zu sein scheinen, und führen den Unerfahrenen nur zu leicht in die Irre.“

Abbefaria verstand. Das also war es, was sie gewollt hatte. Es war sonst nicht die Art seines Volkes, Fremde einfach so anzusprechen. Allerdings war er ja auch nicht irgendein Fremder. Er war ein Nachtelf wie sie und in dieser Einöde musste eine Führerin vermutlich jede Gelegenheit auf Arbeit ergreifen, die sich ihr bot. Zudem würde ihre Such nach einer Höllenkugel durchaus leichter werden, wenn jemand mit Ortkenntnissen ihre Gruppe bereicherte.

„Könntet Ihr…ich meine, würdet Ihr uns führen?“, bat er daher. „Wir würden Euch bezahlen.“

Die Nachtelfe lachte erneut und diesmal klang es ehrlich amüsiert. „Wir werden sehen, was bei Eurer Mission herausspringt. Mannorocs Coven bedeutet, dass ihr Euch mit den Dämonenbeschwörern anlegen wollt. Eine ehrenvolle Aufgabe, der ich mich gerne anschließen werde. Ihr solltet heute Nacht gut ausruhen. Wir brechen im Morgengrauen auf.“

Damit stecke sie den Pfeil, an dem sie gerade arbeitete, in die Köcher, nahm ihn und ihren Bogen in die Hand und schlendere gemächlich an Abbefaria vorbei, so als würde sie ihn gar nicht bemerken. Der schwarze Wolf, der ihr auf den Fersen folgte, blaffte noch einmal kurz in Richtung des Druiden und war kurz darauf ebenso wie seine Herrin in der mit Macht heraufziehenden Dunkelheit verschwunden.

Abbefaria blieb allein zurück in der Nacht, deren kalter Wind ihm um die langen Ohren wehte und erneut den traurigen Chor anstimmte, der ihn schon den ganzen Flug über begleitet hatte. Es bestand kein Zweifel: Dies hier war ein raues Land und daher war es wohl nicht weiter verwunderlich, wenn diese Eigenschaft mehr oder weniger stark auf seine Bewohner abfärbte, mochten sie nun Nachtelfen oder Angehörige irgendeiner anderen Rasse sein. In diesen und ähnliche Gedanken versunken, machte sich der Druide ebenfalls auf den Weg zum Gasthaus, wo ihn eine einfache, aber nachhaltige Mahlzeit und ein weiches Bett erwarteten. Kurz vor dem Einschlafen konnte er vor dem Fenster das lang gestreckte Geheul eines einsamen Wolfes hören, das ein oder zweimal erklang und dann erstarb, als es keine Antwort erhielt, denn das einzige Geräusch, das die Nijelspitze umwehte, war und blieb das Klagelied des Windes.
 

-
 

„Wo zum Henker sind wir hier?“, murmelte Magenta, während die im Halbdunkel durch die Gegend tappte auf der Suche nach etwas, dass ihr irgendeine Art der Orientierung ermöglichte. Der Teufelshund neben ihr machte ein jaulendes Geräusch und senkte sie Nase wieder in den grauen Sand. Seine Schwanzspitze zuckte nervös hin und her und sein Schnobern machte Magenta fast wahnsinnig. Er hörte sich an wie eine kaputte Maschine, die ein Gnom erfunden hatte, der an zu viel Schlaf litt.

„Das ist auf jeden Fall nicht Mannorocs Coven.“, beantwortete Magenta ihre Frage zum Teil selbst. Die Stelle, an der sie aufgetaucht waren, hatte einen Beschwörungskreis enthalten und kein Dämonentor, so wie Strahad Farsan es angekündigt hatte. Noch dazu wuchsen in diesem Tal, in das es Magenta verschlagen hatte, merkwürdige, riesige Pilze. Was immer auch hier im Wasser war, es gefiel Magenta absolut nicht.
 

Magentas tastende Hände trafen mit einem Mal auf eine raue Holzwand. Sie musste zu einer Art Haus gehören, denn als Magenta weiter an der Wand entlang ging, ertastete sie etwas, das vielleicht ein Fenster mit einem hölzernen Verschlag war. Als sie es befühlte, konnte sie aus dem Inneren ein Geräusch hören. Es klang nach…Pferden?

„Was beim wirbelnden Nether…“, wisperte Magenta und sah sich gleichzeitig nach Sloojhoom um. Der Teufelshund schnüffelte noch interessierter als vorher auf dem Boden herum und sein Schwanz wedelte hin und her wie das Pendel einer wild gewordenen Uhr.

„Aus! Böser Hund!“, zischte Magenta. „Du bleibst hier, während ich mir das da drinnen angucke.“

Sie tastete sich im Dunkeln an der Wand entlang, bis sie auf eine Tür traf. So leise wie möglich öffnete sie den Riegel und schlüpfte hinein.
 

Drinnen erwartete sie nicht das, was sie zunächst angenommen hatte. In dem Stall - denn darum handelte es sich ganz offensichtlich bei dem Gebäude – war es weder warm, noch lag Stroh auf dem Boden. Stattdessen lag ein leichter Brandgeruch in der Luft. Ein Geruch, der Magenta an etwas erinnerte.

Ein Schnauben ganz in ihrer Nähe ließ sie herumfahren. Dort im Dunkeln glühten zwei unheimliche Flammenpunkte auf und ein gequältes Geräusch drang an Magentas Ohr.

Die Hexenmeisterin hatte nun endgültig genug vom Herumraten in der Dunkelheit. Entgegen aller Vernunft begann sie, einen Feuerzauber zu wirken, um wenigstens ein bisschen Licht in die Angelegenheit zu bringen, doch was sie sah, ließ sie den Zauber schnell wieder löschen. Magenta schauderte und diesmal lag es an dem, was sie gesehen hatte.

In einer Box vor ihr stand ein Pferd oder zumindest das, was einmal ein Pferd gewesen war. Das Tier war an allen vier Beinen gefesselt worden und sein Kopf war in einem Gestell festgeschnallt, das verhinderte, dass das Tier sich bewegte. Jetzt, da sie wusste, worum es sich handelte, konnte sie auch die dunklen Zauber spüren, die hier am Werke waren. Das, was damals ein riesiger Sturm mit den freien Herden in Desolace gemacht hatte, wurde hier gerade einem getreuen Reitpferd angetan. Dämonische Magie ersetzte nach und nach die Lebenskraft in seinen Adern und durch einen unglaublich schmerzhaften Prozess wurde aus dem normalen Pferd ein Teufelsross. Doch das, was bei ihrem Ross vor langer Zeit binnen Sekunden geschehen war, fand hier in einem langwierigen Prozess statt. Wahrscheinlich hatte das Pferd schon mehrere Tage, wenn nicht Wochen in diesem Gestell verbracht, denn Magenta hatte das getrocknete Blut an seinen Fesseln gesehen, wo die eisernen Ketten in sein Fleisch geschnitten hatten. Der Bedarf an Teufelsrössern war offensichtlich hoch und wer auch immer hier seine Basis errichtet hatte, war dabei, den Nachschub zu sichern.

„Es tut mir leid.“, flüsterte sie in das Dunkel in der Gewissheit, dass das Pferd sie nicht verstand. Inzwischen musste es vor Angst und Schmerz schon wahnsinnig geworden sein. Sie überlegte einen Moment lang, ob sie es töten sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. Der dabei entstehende Lärm würde vermutlich den „Züchter“ auf sie aufmerksam machen. Außerdem brachte sie es einfach nicht über´s Herz, auch wenn sie dem Tier damit im Grunde genommen einen Gefallen getan hätte.

So leise wie möglich schlich Magenta sich wieder zum Ausgang, wo sie ein völlig überdrehter Sloojhoom erwartete. Seine Tentakel schnüffelten neugierig in Richtung des Pferdes, doch Magenta drängte ihn entschieden zurück. Als er nicht gehorchte, rupfte sie einmal kräftig an einem der Tentakel, was ihn mit einem Aufjaulen wieder zurück zur Räson brachte. Magenta herrschte ihn noch einmal an still zu sein und schlich dann leise weiter dem Ausgang des Tals entgegen. Irgendwo konnte sie die Anwesenheit von anderen Dämonen spüren und sicherlich waren auch die Herren dieser Kreaturen nicht weit, aber Magenta hatte keine Zeit sich mit ihnen zu befassen. Sie musste Mannorocs Coven ausfindig machen, die Dinge für Menara Voidrender finden und dann schleunigst wieder von hier verschwinden.
 

Am Ausgang des Tals angelangt, beschwor Magenta ihr eigenes Teufelsross. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, als sie sich auf den Rücken der Stute mit den brennenden Hufen schwang, doch sie wusste auch, dass die Seele dieses Tieres bereits unweigerlich verloren war. Es wäre ein Jammer gewesen, wenn all ihr Leid und ihre Schmerzen umsonst gewesen wären. So trieb Magenta die Stute einigermaßen beruhigt zu einer schnelleren Gangart an und jagte bald eine Spur aus feurigen Hufabdrücken hinter sich lassend durch das nächtliche Desolace.
 


 

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Am nächsten Morgen erwachte Abbefaria ausgeruht und erstaunlich erfrischt. Er sank einen Moment lang dösend in die Kissen zurück, bis ihn ein vehementes Klopfen an der Zimmertür erneut aus dem Schlaf riss.

„Abbefaria? Seid Ihr da drin? Dann müsst Ihr sofort kommen!“ Demunys Stimme klang schrill und leicht alarmiert, so dass sich der Druide, so schnell es ihm möglich war, erhob, ausgiebig gähnte und dann die Zimmertür öffnete, bevor sie von der aufgebrachten Priesterin eingeschlagen wurde.

„Abbef…oh.“ Demuny trat erschrocken zwei Schritte rückwärts, als sich vor ihr anstatt der verzierten Holztür auf einmal die breite Brust des Nachtelfen befand, gegen die sie fast getrommelt hätte. Zwei rosa Flecken erschienen auf ihren Wangen und standen ihr außerordentlich gut, wie Abbefaria feststellte.

„Ja?“, fragte er und war erstaunt über den schnurrenden Klang, den er in dieses einzige Wort legen konnte. Ceredrian selbst hätte es nicht besser machen können.

Demuny brauchte nur zwei Sekunden, bis sie ihre Sprache wieder fand. Anklagend deutete sie mit ausgestrecktem Arm auf die Tür des Gasthauses. „Dort draußen steht eine Nachtelfe und behauptet, Ihr hättet einen Vertrag mit Ihr geschlossen. Und dass sie unsführen würde. Wisst Ihr etwas darüber?“

„Ich äh…ja?“, stotterte der Druide durch den inquisitiven Tonfall der Priesterin aus dem Gleichgewicht gebracht. „Ich hatte nicht... Also ich wollte eigentlich…bevor Ihr…und dann…“ Er verstummte, als er merkte, dass er sich wie ein plappernder Papagei anhörte.

„Aha.“, machte Demuny lediglich und strahlte im nächsten Moment schon wieder, als wäre nichts passiert. „Dann ist ja alles in Ordnung. Ich sage Abumoaham, dass er aufhören kann, mit ihr herumzustreiten. Aber das nächste Mal warnt Ihr uns lieber vor, wenn Ihr solche Alleingänge plant.“
 

Abbefaria wollte noch etwas erwidern, doch da war die Priesterin schon wieder wie ein weißer Wirbelwind um die nächste Ecke gebogen und er konnte sie draußen nach dem Magier rufen hören. Die Nachtelfe, die das Gasthaus führte, verbarg ihr Lächeln hinter der höflich vorgehaltenen Hand, doch Abbefaria konnte ihr Glucksen hören, als sie mit schnellen Schritten die Treppe hinauf zu den oberen Zimmern verschwand. Eine Menschenfrau mit halblangen, rabenschwarzen Haaren, die hinter dem Tresen der Gaststube stand, war da weniger zurückhaltend. Sie grinste Abbefaria unverhohlen an, als er ebenfalls nach draußen stürmen wollte. Abgelenkt sah er sich noch einmal nach ihr um und stieß auf der Türschwelle fast mit einer hochgewachsenen Gestalt zusammen. Er prallte zurück und wäre um ein Haar gefallen, als ihn der spöttische Blick traf, der ihn am Abend schon einmal durchbohrt hatte. Die Jägerin stand im Eingang der Gaststube und zog erneut eine ihrer Augenbrauen nach oben.

„Wir haben keine Zeit hier herumzualbern.“, knurrte sie. „Eure menschlichen Begleiter haben schon fast die gesamte Nijel-Spitze zusammen gebrüllt, da solltet Ihr wirklich ein wenig für Ausgleich sorgen. Hast du die Vorräte, Christi?“

Ohne ihn weiter zu beachten trat die Nachtelfe an ihm vorbei und ließ sich von der schwarzhaarigen Frau einige Beutel reichen. Sie begutachtete und zählte den Inhalt und nickte dann zufrieden. „Alles da. Setzt es den Menschen auf die Rechnung.“

„Die Pfeile auch?“

„Die erst Recht.“ Die Jägerin grinste und entblößte dabei ihre Eckzähne. „Die meisten davon werde ich vermutlich sowieso brauchen, um ihre verweichlichten Hintern zu retten. Nichts für ungut, aber Menschen neigen dazu, sich in Schwierigkeiten zu bringen, aus denen sie ohne Hilfe nicht wieder herauskommen.“

„Ja ja.“, stichelte die Frau hinter der Bar. „Wir wissen schon, dass du von uns nicht allzu viel hältst, Rakscha. Trotzdem solltest du dich glücklich schätzen, hier mal wieder rauszukommen. Auch du kannst dort draußen nicht herumlaufen und alle Bösen in Desolace allein verprügeln.“

„Nicht können und nicht wollen sind immer noch zwei Paar Schuhe.“, gab die Jägerin, die nun endlich einen Namen hatte, trocken zurück und wandte sich wieder Abbefaria zu.

„Ihr steht ja immer noch hier herum. Na los, macht dass Ihr nach draußen kommt. Die Pferde stehen schon bereit.“

Sie schulterte die Vorräte und schob den sprachlosen Abbefaria hinaus. Dort trafen sie auf Demuny und Abumoaham, die beide ebenso ausgeruht und frisch erschienen, wie Abbefaria sich fühlte. Für einen Augenblick hatte er das Gefühl, dass ein mächtiger Geist den seinen streifte, dann war das Gefühl auch schon wieder verschwunden. Doch dieser kurze Augenblick hatte ausgereicht, um Abbefaria daran zu erinnern, was er am Abend bereits wahrgenommen hatte. Irgendwo au dieser Bergspitze befand sich ein Hüter des Hains.

Als er Rakscha danach fragte, nickte die Nachtelfe.

„Bewahrer Marandis. Sein Domizil befindet sich gleich neben dem Greifenpunkt. Wollt Ihr ihm noch Eure Aufwartung machen? Immerhin ist er derjenige, der dafür sorgt, dass all das hier“, sie wies auf das frische, junge Grün um sie herum, “gedeiht und wächst.“

Abbefaria entschuldigte sich mit dem Versprechen, nicht allzu lange zu brauchen, und ließ die Jägerin mit seinen beiden menschlichen Begleitern allein. Im Weggehen hörte er noch, dass sie den Menschen alle möglichen Anweisungen und Ratschläge gab und ihnen einschärfte, sich von allem, was sie nicht kannten, fernzuhalten.

„In Desolace kann selbst ein harmloser Stein sich mit einem Mal als etwas erweisen, das Euch nach dem Leben trachtet.“, waren die letzten Worte, die er vernahm, bevor er außer Hörweite war.
 

Je näher der Druide dem Gipfel des Berges kam, desto spürbarer wurde die Präsenz des Bewahrers. Der klagende Wind flachte ab und fast war es, als verwandle er sich in einen lauen Frühlingshauch, in den der Gesang von Vögeln und der Geruch von frischen Gras und feuchter Erde gemischt waren. Der Nachtelf betrat das tempelartige Gebäude, in dem er die Präsenz des Hüters spürte, ohne von den Wachen an dessen Eingang aufgehalten zu werden. Im Inneren des Gebäudes, das wie alle anderen hier auf der Nijel-Spitze nachtelfischer Bauart war, herrschte ein dunstiges Zwielicht. Nebelschwaden waberten über den Boden, der sich seltsam weich unter den Füßen des Druiden anfühlte. Er bückte sich und seine Finger ertasteten den samtigen Flaum eines Moosteppichs. Die Säulen des Gebäudes waren lebendige Bäume, deren Blätter sanft im warmen Wind vor sich hin raschelten. Ein Schmetterling taumelte farbenfroh vorbei und hinter einem Busch, der dort stand, wo in einem normalen Haus vielleicht ein Schrank oder ein anderen Möbelstück gestanden hätte, zuckte für einen kurzen Moment die neugierige Nase eines Kaninchens hervor, bevor es sich ob des uneingeladenen Besuchers wieder in die dichte Deckung zurückzog. Abbefaria erschien es fast, als befände er sich nicht mitten in einem toten, öden Land, sondern stattdessen auf der Lichtung eines Frühlingswaldes, dessen Boden jetzt unter den schweren Hufschlägen seines Gebieters erzitterte. Der Druide schlug die Augen nieder, als sich der gewaltige Schatten des Bewahrers auf ihn legte.

„Fandu-dath-belore?”, erklang die tiefe Stimme des Hüters und mit ihr schien das gesamte Haus zu vibrieren.

„Nur ein unbedeutender Schüler, Shan’do Marandis.“, beeilte sich Abbefaria die Frage nach seiner Person zu beantworten. „Verzeiht mein unangekündigtes Eindringen in Euer Reich. Enu thora'serador.“

„Ich tue mein Bestes, um ihn zu schützen und am Leben zu erhalten in dieser Einöde, die nichts als Schmerz und Kummer gebiert.“, antwortete der Hüter und neigte das Haupt mit dem mächtigen Geweih. „Setz dich zu mir, mein Sohn, und erzähle mir, warum du und deine Freunde hier hergekommen seid.“

Abbefaria ließ sich auf einem flachen Baumstamm nieder, der, wie es schien, erst in diesem Moment aus dem Boden gesprossen war, und berichtete mit knappen Worten, auf welche Mission die Magierin Tabetha ihn und die beiden Menschen geschickt hatte. Als er geendet hatte, schwieg sein Gegenüber nachdenklich. Das Spiel von Licht und Schatten über der Lichtung schien sich für einen Moment zu verdunkeln und die Vögel, die in den Zweigen der Bäume gesungen hatten, verstummten nach und nach. Erst, als der Hüter den Kopf wieder hob, erklang ihr Gezwitscher erneut, als hätte es nie geendet.

„Ich sehe nicht klar, was diese Menschenfrau plant.“, sagte der Bewahrer langsam und begann auf seinen vier Hufen nachdenklich auf und ab zu wandern. „Doch was immer sie vorhat, sie tut Recht daran jemanden gegen die Anhänger der Brennenden Klinge ins Feld zu schicken. Viel zu lange schon dulden wir diese Brut und ihre abscheulichen Diener hier bei uns in Desolace. Und doch sind sie nicht die Einzigen, die in diesen Weiten ihr Unheil treiben. Nur sie auszumerzen würde lediglich dazu führen, dass das Übel, das noch unter der Oberfläche lauert, herausbrechen und sich über das ganze Land ergießen kann. Es bedarf jemandem, der stark genug ist sich auch dem entgegen zu stellen, was dieses Land von innen bedroht.“

Abbefaria wurde hellhörig. „Von innen, Shan’do?“

„Tief unter Desolace verbirgt sich noch Leben in den Höhlen und Tempeln, die die Zentauren einst dem Element Erde geweiht haben. Doch wie die Zentauren ist es wild und verdorben. Wer immer diese Hallen betritt, läuft Gefahr, sich in ihnen zu verirren und der Verderbtheit anheim zu fallen. Cenarius’ ältester Sohn selbst liegt dort unten begraben und mit ihm alle Hoffnung auf Frieden zwischen meiner Art und den Dryaden auf der einen und den Zentauren auf der anderen Seite.“

Abbefaria glaubte sich an Geschichten zu erinnern, alte Legenden, die vom Anbeginn der Zeit stammten. Geschichten von Liebe, Verrat und Mord. Ein Name tauchte in seinem Gedächtnis auf. „Cenarius’ Sohn? Ihr sprecht von Zaetar?“

Hüter Marandis hob den Kopf und sah Abbefaria tief in die Augen. Der Druide fühlte, wie etwas erneut seinen Geist berührte so forschend und flehend, dass er fast zurückgeschreckt wäre. Doch er ertrug es und der Behüter beendete seine Prüfung.

„Vielleicht…vielleicht gibt es tatsächlich Hoffnung.“, murmelte er. „Vielleicht wirst du derjenige sein, der Licht in dieses Dunkel bringt. Nun denn. Höre, was sich zugetragen hat.“

Der Hüter senkte den Kopf, das Licht um sie herum wurde schwächer und dann begann er mit leiser Stimme zu erzählen.

„Teile der Geschichte werden schon seit Urzeiten von den Nachtelfen erzählt. Einiges ist im Strudel der Jahrtausende verloren gegangen, anderes klarer geworden. Unbestritten ist jedoch, das Zaetar, der älteste Sohn unseres geliebten Cenarius, sich von seiner Pflicht als Hüter des Waldes abwandte und Prinzessin Theredas, der Tochter von Therazane, der Mutter der Steine, in blinder Ergebenheit folgte. Ob es aus Liebe geschah oder ob sie ihn verführte, ist inzwischen vergessen, doch aus ihrer Verbindung gingen Kinder hervor. Diejenigen, die wir heutzutage als Zentauren kennen.“

„Shan’do Marandis?“, wagte Abbefaria einzuwerfen. „Es heißt doch, die Zentauren seien die Kinder eines Ur zentauren seien. Eines weiteren Sohn von Cenarius’, der sich gegen seinen Vater auflehnte und dafür von ihm bestraft wurde. Dieser erste Zentaur floh vor seinem Vater und schwor ihm und allen Kreaturen dieser Welt ewige Rache. Er und Zaetar können doch unmöglich ein und dieselbe Person sein.“

„Niemand weiß heute mehr, was wirklich geschah, junger Druide. Ob es diesen ersten Zentauren wirklich gab und woher auch immer der Hass der Zentauren stammt. Eines ihrer ersten Opfer war in jedem Fall Zaetar selbst. Ihre Mutter, Theredas, war nach dem Tod ihres Geliebten außer sich vor Wut und vertrieb die Zentauren für ihre Gräueltat aus ihren Hallen. Gleichzeitig fürchtete sie aber den Zorn von Cenarius, von dem sie annahm, dass er kommen würde, um den Tod seines Sohnes zu rächen. Sie nahm daraufhin Zaetars toten Körper tief mit hinunter unter die Erde und wacht seit dem eifersüchtig über ihn. Ich kam einst hierher, um an Celebras’ Seite in die verdorbenen Hallen von Maurodon vorzudringen und Zaetars Überreste zu bergen. Doch zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich durch eigene Schuld verletzt wurde, und Celebras, ein Sohn von Remulos und Neffe von Zaetar, allein mit unseren Dryadenschwestern den Kampf antreten musste.“

Das Dämmerlicht im Haus des Hüters wurde noch schwächer, als er weiter sprach.

„Celebras ist nie zurückgekehrt. Nun ist es an mir, seine Aufgabe zu vollenden, doch ich fürchte mich, junger Druide. Ich fürchte mich vor dem, was dort unten lauert und ich glaube nicht, dass ich stark genug bin, um der Verderbnis zu widerstehen, denn über die Jahre und Jahrhunderte hat nicht nur der Wahnsinn von Theredas und der Hass der Zentauren die Erde vergiftet. Nach dem Eindringen der Brennenden Legion hat auch dämonische Verderbnis dort ihren Einzug gehalten und die Kräfte, die aus dieser unheilvollen Mischung hervorgehen, mag selbst ich nicht mehr einzuschätzen. Doch vielleicht gibt es Hoffnung. Vielleicht seid Ihr stark genug, um Mauraudon zu betreten und die Überreste von Cenarius’ ältestem Sohn endlich in unsere geweihten Hallen zurückzubringen.“

Abbefaria schluckte. „Ich weiß nicht, Shan’do.“, murmelte er. „Ich…meine Kräfte. Wie kann ich Erfolg haben, wo Ihr gescheitert seid.“

Der Hüter hob den Kopf und mit dieser Geste wurde auch das Licht wieder heller und die Vögel begannen, wenngleich auch zaghaft, wieder zu singen.

„Du siehst, wie sehr ich mit diesem Land verwurzelt bin. In meinem Bestreben, mein Fehlen wieder gut zu machen, erschuf ich diese Oase und unterstützte von hier aus den Kampf gegen den Tod dieses Landstrichs. Würde ich gehen, würde all das hier sterben. Gleichzeitig jedoch würde mein Eindringen in Mauraudon nicht unbemerkt bleiben. Man würde mich attackieren an der Stelle, an der ich am verwundbarsten bin. Ich würde die Verderbnis durch meine Verbundenheit zu meiner Umgebung in mich aufsaugen und ihr ebenso anheim fallen wie Celebras. Du jedoch, junger Druide, kannst dich der Verbindung zur Natur verschließen.“

Als Abbefaria protestieren wollte, hob der Hüter seine Hand, die wie eine knorrige Baumwurzel geformt war. „Ihr Druiden strebt stets die vollkommene Verbindung zur Natur an, das weiß ich wohl. Doch Euch sind Grenzen gesetzt, die Ihr bei allem Streben beachten solltet. Würdet Ihr tatsächlich eins mit Mutter Natur werden, würdet Ihr euch selbst verlieren und zu etwas anderem werden. Das höchste Ziel eines Druiden sollte daher der Weg sein und nicht das Ziel.“

Abbefaria senkte wie ein gescholtener Schüler den Kopf. „Ich verstehe, Meister.“

„Und doch wird genau dieser Fehler es sein, der dir erlauben wird, Maraudon zu betreten. Die Prüfungen werden hart sein, doch du kannst es schaffen. Du kannst einen Weg finden, um Zaetars Überreste zu bergen.“

„Aber meine andere Mission.“, warf Abbefaria ein. „Ich kann meine Freunde nicht einfach im Stich lassen.“

Behüter Marandis musterte Abbefaria einen Augenblick lang verblüfft, bevor er schallend anfing zu lachen. Die Vögel rings herum in den Bäumen fielen in ein trillerndes Jubilieren ein und bald hörte es sich so an, als würde die gesamte Lichtung über den jungen Druiden lachen. Schließlich beruhigte der Hüter sich wieder und funkelte Abbefaria amüsiert an.

„Dein Selbstverstrauen, das sicherlich auch auf meine eindringliche Rede zurückzuführen ist, in allen Ehren, mein junger Freund, doch du solltest die verderbten Hallen von Maraudon nicht allein betreten. Nimm deine Freunde mit. Überzeuge sie, dir zu helfen.“

„Und wie soll ich das anstellen?“ Abbefaria, dessen Wangen sich von dem allgemeinen Gelächter dunkel gefärbt hatten, hatte das Gefühl, die Bürde, die ihm der Hüter auflastete, würde mit jedem Wort seines Gegenübers schwerer wiegen.

„Das wird der erste Teil deiner Aufgabe sein.“, erklärte Hüter Marandis und drehte Abbefaria die Hinterhand zu. „Finde einen Weg, sie nach Maraudon zu bringen. Alles andere wird sich dann von selbst ergeben.“

Es war offensichtlich, dass die Audienz bei Behüter Marandis beendet war. Mit hängenden Schultern drehte Abbefaria sich um und ging mit schwerem Herzen in Richtung des Ausgangs. Er hatte keine Ahnung, wie er das seinen Wegkameraden beibringen sollte. Grübelnd und tief in Gedanken versunken macht er sich an den Abstieg.
 

„Ihr habt lange gebraucht.“, mischte sich plötzlich eine vorwurfsvolle Stimme in seine Gedanken. Als er aufsah, erkannte Abbefaria, dass er schon wieder beim Gasthaus angelangt war. Davor warteten drei Pferde, eines von ihnen mit Gepäck beladen, die anderen beiden mit Reitsätteln versehen. Daneben stand Rakscha, die Hände in die Hüften gestemmt und unübersehbar verärgert über sein langes Fortbleiben.

„Wir müssen uns jetzt auf den Weg machen.“, erklärte sie und drückte dem verdutzten Druiden die Zügel in die Hand. „Haltet das, während ich Euer Reittier hole.“

Die Jägerin ging und kam kurz darauf mit einem schwarz-weiß gestreiften Frostsäbler zurück. Das Tier musterte Abbefaria ebenso abschätzend, wie die Nachtelfe es getan hatte, doch im Gegensatz zu ihr schien es sich kein Urteil zu bilden.

„Das ist Mai.“, erklärte Rakscha. „Sie wird Euch sicherlich keine Schwierigkeiten bereiten.“

Abbefaria zögerte kurz, dann legte er die Zügel der Pferde auf den Boden, trat vor die gestreifte Katze und ging in die Hocke. Er streckte die Hand aus und wartete. Als nichts geschah erlaubte er sich, ein wenig Magie einzusetzen, um dem Tier sein Wohlwollen zu übermitteln und es gleichzeitig näher zu locken.

Die große Katze blinzelte ihn ein wenig träge an, dann trat sie auf weichen Pfoten einen Schritt vor und ihr warmer Atem streifte Abbefarias Handgelenk. Als nächstes fühlte er die raue Zunge, die über seinen Handrücken rieb.

Bemüht sein Lächeln nicht zu breit werden zu lassen, richtete der Druide sich wieder auf und sah der Jägerin direkt ins Gesicht. „Ja, ich denke auch, dass wir gut miteinander…was ist DAS?“

Über dem Dachrand des Gasthauses war mit einem Mal ein Kopf erschienen, der ihn aus schmalen, längsgeschlitzten Augen ansah. Eine stetig in seine Richtung züngelnde, gespaltene Zunge sowie der schmale, reptilienartige Kopf machten klar, dass es sich um eine Schlange handelte. Eine sehr große, azurblaue Schlange.

„Aozumi!“ Rakschas Stimme klang wie ein Peitschenknall. „Ich sagte, du sollst dort oben bleiben, bis ich zurück bin. Für diese Mission bist du noch zu klein.“

Die Schlange, die offensichtlich anderer Meinung war, zischte leicht ungehalten und sperrte ihren Rachen auf, so dass Abbefaria einen guten Blick auf ihre nadelspitzen Fangzähne werfen konnte. Auf ihrem Kopf erschien ein mächtiger Federkamm, den sie drohend aufstellte, während sie weiter auf dem Dach nach vorne kroch.

Jetzt endlich konnte Abbefaria auch erkennen, dass es sich bei dem Tier um eine Windschlange handelte. Ein ganzes Stück unterhalb ihres Kopfes wuchs ein Paar ausladender Schwingen hervor, deren Federn in derselben blauen Farbe wie ihr Schuppenkleid glänzte.

„Ich habe gesagt `Nein’.“, wiederholte Rakscha, doch Abbefaria hörte bereits an ihrem Ton, wie diese Auseinandersetzung zwischen der Jägerin und der Windschlange enden würde. Und wirklich seufzte die Nachtelfe, nachdem sie die Schlange einen langen Augenblick lang angestarrte hatte, tief und sagte dann: „Also schön, du kannst mitkommen. Aber sieh zu, dass du Sam und mir nicht im Weg bist.“

Die Schlange zischte etwas, das man sowohl als Zustimmung wie auch als höhnisches Kichern interpretieren konnte, und schwang sich dann mit Hilfe einiger kräftiger Flügelschläge in die Luft. Fasziniert beobachtete Abbefaria, wie der schlanke, blaue Körper mühelos durch die Luft glitt und schließlich begann über einer Stelle Kreise zu ziehen. Als Abbefaria etwas sagen wollte, schnitt ihm die Jägerin mit einer knappen Geste das Wort ab. „Kommt jetzt! Eure Freunde warten bereits am Fuße des Hügels.“
 

Abbefaria und die Katze folgten der Nachtelfe, die die Zügel der Pferde vom Boden klaubte und die Tiere den Berg hinab führte, wo sie auf Abumoaham und Demuny trafen. Die zwei Menschen befanden sich in Gesellschaft des schwarzen Wolfes, der Abbefaria am vorigen Tag so unfreundlich begrüßt hatte. Sobald er die Jägerin sah, verließ er seinen Posten und trottete an ihre Seite, wo er ihr fortan wie ein vierbeiniger Schatten folgte.

„Ah, da Ihr sein ja.“, begrüßte Abumoaham Abbefaria eifrig. „Wir können abreisen jetzt? Oder Ihr noch brauchen Erholung. Ihr still gewesen gestern lange Zeit.“

„Ich war…müde.“, antwortete Abbefaria ausweichend und musste dabei unweigerlich an die Aufgabe denken, die Behüter Marandis ihm aufgetragen hatte.

„Oh ich auch war müde.“, lachte der Magier. „Aber es erstaunlich. Wir verbracht nur eine Nacht hier und ich mich fühlen wieder wie neugeboren. Obwohl Land nicht sehr ansprechend sein um geboren zu werden. Zu wenig grün.“

„Etwas, dass wir unter anderem denen zu verdanken haben, die sich an Mannorocs Coven herumtreiben.“, knurrte Rakscha. „Wir sollten nun endlich aufbrechen.“

Die Jägerin übergab die Zügel der beiden gesattelten Pferde an Abumoaham und Demuny und behielt den des Packpferdes selbst in der Hand. Als Demuny das bemerkte, runzelte die Priesterin die Stirn.

„Ich weiß nicht…“, sagte sie nachdenklich und biss sich auf die Unterlippe, während sie überlegte. „Aber kann es sein, dass wir ein Reittier zu wenig dabei haben?“

Abbefaria, der bereits auf dem Rücken des gestreiften Frostäblers saß, erkannte dass sie Recht hatte. Doch bevor er sich weiter darüber wundern konnte, schüttelte Rakscha den Kopf.

„Ich werde laufen.“, erklärte sie. „Wir werden dadurch vielleicht etwas langsamer sein, aber den Tieren wird das Tempo so weniger zu schaffen machen. Außerdem ist es leichter, die Spuren zu lesen, wenn man nicht auf einem hohen Ross sitzt.“

Keiner außer Abbefaria schien die Spitze der Jägerin bemerkt zu haben, denn Abumoaham und Demuny nickten nur verständig und folgten dann der Jägerin, die zusammen mit dem Packpferd bereits in einen leichten Trab verfallen war.

Der Druide zögerte noch einen Augenblick und sah noch einmal zur Spitze des Berges zurück. Er hatte das Gefühl, dass unsichtbare Augen auf ihm ruhten, doch erfühlte sich dadurch weder beruhigt, noch bestätigt. Demonstrativ wandte er sich von dem Haus des Bewahrers ab und trieb die große Katze mit einem leichten Schenkeldruck hinter dem Rest der Gruppe her, die bereits den Pfad erreicht hatten, der sich von den Niejelspitze hinab in die öden Weiten von Desolace führen würde.
 


 


 

In Mannorocs Coven hockten zwei Gestalten auf einem kleinen Hügel, wobei sie sorgfältig darauf achteten, dass niemand sie entdeckte. Angesichts dessen, was sich unterhalb ihres Standortes befand, war dies jedoch auch ziemlich ratsam.

„Das dort?“ Magentas Augenbrauen wanderten einige Zentimeter nach oben. „Das da ist also eine Höllenbestie?"

Pizkol, der neben seiner Herrin in die Tiefe starrte, nickte eifrig, bis er mitbekam, dass sie immer noch nach unten starrte. „Äh ja. Das dort ist eine Höllenbestie.“

„Das ist ein verdammter, brennender Berg.“, jammerte Magenta. „Wie bitte soll ich einen Berg besiegen? Das ist absolut lachhaft.“

„Oh na ja, ich hab schon immer gedacht, dass du eine etwas eigene Art von Humor hast.“ Als der vernichtende Blick der Hexenmeisterin ihn traf, hob Pizkol grinsend die dünnen Achseln. „Was denn?“

„Oh du dreimal verwünschter Mistkäfer…“, fluchte Magenta, als würde das irgendwie helfen. Eigentlich hatte sie Pizkol in der Hoffnung beschworen, dass der Wichtel ihr nützlich sein würde, nachdem Sloojhoom allen in dieser verwünschten Gegend nachgelaufen war, das irgendeine Spur von Magie enthielt. Und das war eine Menge. Eines davon war ein anderer Teufelsjäger gewesen, dessen Essenz jetzt gebannt in den roten Edelstein in Magentas Rucksack auf ihren Einsatz wartete.

Die Hexenmeisterin ließ ihren Blick über die karge Landschaft streifen und konnte sich einer gewissen, morbiden Faszination nicht entziehen. Alles hier war von einem gewaltigen Feuersturm hinweggefegt worden, der nichts als Asche zurückgelassen hatte. Doch dem toten Land war es nicht vergönnt gewesen, in Frieden zu ruhen. Teuflische Magien, heraufbeschworen aus den Tiefen des wirbelnden Nethers, waren unkontrolliert in den Boden geflossen und hatten das Land bis aufs Innerste verderbt. Magie ließ die Luft zäh wirken, so als flimmere sie vor Hitze, und unzählige Dämonen, mit und ohne Herren, durchstreiften die verlassenen Ruinen, die einst in strahlendem Weiß geleuchtet haben mussten. Jetzt wirkten die verfallenen Gebäude krank und vergilbt im Widerschein des fauligen Wassers, das sich träge zwischen den Gebäuden und Hügeln hindurchquälte und die Luft mit intensivem Schwefelgeruch tränkte. Schwankend zwischen Bewunderung und Abscheu, wandte sich Magenta wieder ihrem vordringlichen Problem zu: dem Sieg über eine Höllenbestie.
 

Wieder kam Bewegung in das Etwas, das auf den ersten Blick tatsächlich wie ein Haufen brennender Steine wirkte. Erst, als es fing herumzuwandern, ließ sich in dem Haufen brennenden Gerölls vage eine Gestalt mit Armen und Beinen, einen sehr kleinen Kopf und einem in giftgelbe Flammen gehüllten Leib erkennen. Irgendwo dort drinnen gab es einen so genannten Höllenstein, die Kraftquelle dieses Dings, das mehr Konstrukt als Dämon war. Wenn die Kraft dieses Steins aufgebraucht war, fiel die Bestie gewöhnlich in sich zusammen, jedoch nicht ohne vorher jede Menge Chaos und Zerstörung verbreitet zu haben.

„Wie kämpft man mit einem verdammten, brennenden Berg.“, murmelte Magenta vor sich hin.

„Auf meine Hilfe kannst du nicht zählen.“, grinst Pizkol und hob augenscheinlich ohne Bedauern erneut die Schultern. „Die sind gegen Feuerzauber immun. Was soll ich machen?“

„Garstige, kleine Kröte.“, schimpfte Magenta und entließ den Wichtel mit einem Fingerschnippen.

Das nützt dir auch nichts, quäkte der Wichtel in Magentas Kopf.

Die Hexenmeisterin legte dem nervtötenden Gesellen eine mentale Maulsperre an und musste trotzdem zugeben, dass er Recht hatte. Sie wusste immer noch nicht, wie sie die Höllenbestie besiegen konnte.

In diesem Moment tauchte einer der wenigen, humanoiden Bewohner dieses Landstrichs auf. Ein in eine dunkle Kutte gehüllter Ork, an dessen Seite eine lasziv ihre Hüften schwenkende Sukkubus stolzierte, wanderte, vermutlich in düstere Pläne vertieft, an dem stinkenden Fluss entlang, an dessen Ufer auch die Höllenbestie auf und ab wankte. Als der Dämonenbeschwörer in ihre Reichweite kam, wedelte der Ork ungeduldig mit der Hand, woraufhin die riesige, brennende Gestalt, zwei Schritte zur Seite trat und den Hexenmeister durchließ. Danach bezog sie wieder ihre Stellung und wartete weiter auf was auch immer eine Höllenbestie so wartete.

Magenta, die das Ganze beobachtet hatte, runzelte nachdenklich die Stirn. „Besonders schlau ist so ein Ding ja nicht.“, überlegte sie laut. „Wenn ich jetzt…“ Sie blickte an sich herab. „Aber nicht so. Da muss eine Verkleidung her.“

Eilig durchwühlte Magenta ihr Gepäck und förderte jede Menge sinnlose Dinge zutage, jedoch nichts das als Verkleidung für einen bösen Kultisten getaugt hätte. Ihr Blick fiel auf das braungelbe, stinkende Wasser. „Och nee…“
 

Wenige Minuten später troff Magenta vor Feuchtigkeit und ihre Kleidung war von oben bis unten mit einem ölig-klebrigen, gelbbraunen Film überzogen, der ihre einstmals rot-weiße Robe in ein sehr schlechtes Abbild einer Kultistenrobe verwandelte. Aber vermutlich würde sie damit ja keinen großen Geist täuschen müssen. In ihrer Hand lang die lange, schwarze Lederpeitsche. Sie schwang die Schnur und kurz darauf sickerte Fierneths Stimme wie giftiger Honig in Magentas Ohr.

„Ihr habt gerufen, Meisterin?“, kokettierte die Sukkubus und entwand Magentas ebenfalls schmierigen Händen die Peitsche. „Ihr seht aus, als hätte ich eine Menge Spaß verpasst.“

„Ach halt den Mund und hör zu.“, knurrte Magenta und erklärte der Dämonin, was sie vorhatte.

„Und Ihr denkt wirklich, dass dieser Plan zum Erfolg führen wird?“, sagte die Sukkubus und kräuselte amüsiert die Lippen. „Aber wie Ihr meint. Ihr seid die Herrin.“

Magenta verdrehte die Augen und wünschte sich, dass sich das Gesäusel der Sukkubus auch nur ansatzweise so anhören würde, als wenn sie wirklich meinen würde, was sie sagte.

„Nörgel nicht rum, wenn du keinen besseren Vorschlag hast und tu deine Arbeit.“, herrschte Magenta die Dämonin an und verfluchte sich gleichzeitig dafür, dass ihrer Stimme ihr Ärger anzuhören war. Und dass Fierneth das wusste. Und dass sie wusste, dass Magenta es wusste.

„Wie ihr befehlt, Meisterin.“, hauchte die Sukkubus und folgte Magenta ebenso dicht auf dem Fuße, das die Hexenmeisterin ihren fauligsüßen Atmen in ihrem Nacken spürte.

„Oh meine Gebieterin, mächtige Beschwörerin der Brennenden Klinge. Oh du alles vernichtende, dämonenunterwerfende Beschwörerin der Brennenden Klinge. Oh du…“

Magenta fuhr auf dem Absatz herum. „Das reicht!“, fauchte sie wütend. „Lauf einfach hinter mir her und sag gar nichts. Verstanden?“

Die Sukkubus nickte grinsend und beschränkte sich jedoch tatsächlich darauf, gehorsam hinter Magenta herzulaufen, wobei die Hexenmeisterin förmlich hören konnte, wie sich die Dämonin auch ohne etwas zu sagen über sie lustig machte. Aber das war egal, solange ihr Manöver nur lange genug funktionierte, um nahe an die Höllenbestie heranzukommen.
 

Den Kopf leicht gesenkt, so als wäre auch sie in besonders böse Gedanken versunken, lief Magenta nahe am Ufer des stinkenden Flusses entlang. Sie hatte keine Ahnung, ob Höllenbestien etwas riechen konnten oder ob sie besonders gut sahen, aber sie wollte, dass ihre Tarnung erst möglich spät aufflog. Als die Höllenbestie am Ufer in Sichtweite kam, musste Magenta sehr an sich halten, um ihre Schritte nicht zu beschleunigen. Immer näher und näher kamen sie an die brennen Felsenbestie heran, die sie bis dahin noch nicht bemerkt haben schien.

Ein Geräusch, als schleife Stein auf Stein, ließ Magenta unwillkürlich etwas langsamer laufen. Offensichtlich war jetzt der Augenblick gekommen, da das Ungetüm ihr Näherkommen wahrgenommen hatte. Ein wenig zittrig hob Magenta den Arm und murmelte etwas Unwirsches, wobei sie sich Mühe gab, wie ein Ork zu klingen. Ein Fauchen von der Höllenbestie wurde begleitet von einem glühenden Windhauch.

Ist mein Täuschungsversuch etwa misslungen?

Innerlich bereitete Magenta sich auf einen Kampf vor, als erneut das Geräusch schleifender Steine erklang und sie aus den Augenwinkeln sehen konnte, wie die Höllenbestie beiseite trat, um die vermeintliche Meisterin vorbeizulassen. Mit angehaltenem Atem ging Magenta weiter, bis sie auf Höhe der Höllenbestie war, dann schnellte sie plötzlich nach vorn und direkt auf das steinerne Ungetüm zu.

„Fierneth, jetzt!“, brüllte sie aus Leibeskräften und ihr Schrei mischte sich in das zornige Gebrüll der Höllenbestie, die in diesem Moment begriff, dass sie getäuscht worden war.

Voller Wut wollte sie sich auf die falsche Hexenmeisterin stürzen, als eine dünne, schwarze Lederschnur sich um eines ihrer Beine wickelte und den untersten Stein fesselte.

„Komm und spiel mit mir!“, schnurrte die Sukkubus und zog an der Peitsche.
 

Der Höllenbestie wurde buchstäblich der Boden unter den Füßen weggerissen, doch noch im Fallen war sie beseelt davon, sich auf den Eindringling zu stürzen. Magenta sah die Lawine aus brennendem Stein und giftgelbem Feuer auf sich zukommen, streckte die rechte Hand nach vorne und griff mitten hinein in den brennenden Brustkorb der Bestie.

Nie geahnte Schmerzen rasten durch ihre Nerven, als das dämonische Feuer über ihre Haut leckte, doch sie griff weiter hinein, bekam etwas kleines, hartes zu fassen, zog daran und ließ sich gleichzeitig rückwärts fallen.

Erneut schrie die Höllenbestie, diesmal jedoch vor Qual, und starb. Das Feuer um ihren steinernen Körper erlosch, dann purzelte Magenta in einem Haufen kochend heißer Steine zu Boden. In ihrer verbrannten Hand hielt sie einen kleinen, grüngelben Stein, in dessen Inneren ein dämonisches Feuer glühte. Kleine Schwelbrände hatten ihre ohnehin schon ruinierte Robe erfasst und die glühenden Felsbrocken ihr Gesicht und ihre ungeschützten Arme verbrannt. Das alles war jedoch nichts im Vergleich zu dem Triumph, den Magenta spürte, als sie den Höllenstein in ihrer Faust betrachtete.

„Ich hab´s geschafft.“, grinste sie glücklich, bis der kurze Moment des Siegs durch eine sehr andauernde Zeit des Schmerzes ersetzt wurde.

„Oh verdammt.“, fluchte Magenta, löschte mit ihrer unverletzten Hand die schwelenden Stellen und schob dann den erstaunlich kühlen Höllenstein in eine ihrer Rocktaschen, um sich den Schaden an ihrer Hand anzusehen. Die Haut war verkohlt und darunter war das rohe Fleisch zu Tage getreten. Farblose Wundflüssigkeit sickerte aus den offenen Stellen und verteilte so das Brennen gleichmäßig auf der ganzen Hand. Sie würde diese Wunde schnellsten reinigen und verbinden müssen, wenn sie nicht…

„Nog Kagh Rogor Nog Thrak Kavash!“, brüllte da eine Stimme ganz in ihrer Nähe. Magenta fuhr herum und sah sich einem wütenden Ork gegenüber. Einem der eine echte Robe eines Kultisten der Brennenden Klinge trug und der gerade dabei war, einen Zauber in ihre Richtung zu schleudern. Instinktiv duckte Magenta sich und der Schattenblitz zerfetzte den felsigen Überrest der Höllenbestie neben ihr in tausend Splitter. Ein gleich darauf folgender Feuerball strich mit vernichtendem Gluthauch über Magenta hinweg. Als sie hinter ihrer zerstörten Deckung hervorlugte, konnte sie sehen, dass dieser Hexenmeister von einem Wichteldiener begleitet wurde.

Der Ork brüllte erneut irgendetwas, das Magenta nicht verstand, doch das war im Grunde genommen auch nicht nötig. Was für ein Unterschied machte es schon, ob er sie zum essen einlud oder ihr mit der Ewigen Verdammnis drohte, solange er weiterhin einen Zauber nach dem anderen auf sie abfeuerte.

„Fierneth!“, bellte Magenta und sie Sukkubus erschien wie aus dem Boden gewachsen neben ihr.

„Ihr hab gerufen, Meisterin?“

„Warum hast du mich nicht vor der Patrouille gewarnt?“, keifte Magenta wütend und wich erneut einem Schattenblitz aus.

„Aber ich sollte doch still sein.“, schmollte die Sukkubus und schob kokett die Unterlippe nach vorn.

„Oh du…“, fluchte Magenta und beließ es in Ermangelung eines adäquaten Schimpfwortes bei einem wütenden Blick. „Dann tu jetzt endlich deine Arbeit. Sorg dafür, dass diesem Ork das Maul gestopft wird, bevor hier noch mehr Kultisten auftauchen.“

„Wie Ihr befehlt, Meisterin.“, hauchte die Sukkubus und trat mit einem verführerischen Augenaufschlag hinter ihrer Deckung hervor. „Oh du böser, böser Ork. Wer wird denn hier einfach so herumzaubern? Du meinst vielleicht, du kennst alle Geheimnisse des dunklen Nethers, doch ich kann dir Regionen davon zeigen, in die du noch nie eingedrungen bist. Wie findest du das?“

Der Ork, dessen Gesichtsausdruck mit einmal Mal erstaunlich leer war, hatte seinen Blick an die Kurven der Sukkubus geheftet, seine Kinnlade hing herunter und es hätte nicht viel gefehlt um sich vorzustellen, dass ihm ein langer Sabberfaden von den wulstigen Lippen rann. Allerdings war da immer noch sein Wichteldiener, der von den Anziehungskräften der Dämonin nicht besonders beeindruckt war. Allerdings war er auch nicht so schlau zu erkennen, dass die Gestalt mit dem Lederkorsett und den Fledermausschwingen hier die größere Gefahr darstellte. Er feuerte stur mit Feuerbällen auf Magenta, bis diese ihn schließlich mit einer Beschwörungsformel in die Zwischenwelt verbannte, von wo er sie mit feurigen Augen anglotzte.

„Noch eine Nervensäge weniger.“, brummte Magenta. Sie wickelte ihre verletzte Hand in einige Fetzen ihres Robenärmels und wankte zwischen den Überresten der Höllenbestie hindurch auf den Hügel zu, von dem sie gekommen war. Als sie auf dem Weg an Fierneth vorbeikam, nahm sie der auf ihren Verführungszauber konzentrierten Sukkubus die Lederpeitsche aus der Hand.

„Du wirst mit dem da zu Recht kommen, ja?“, flötete sie den Tonfall der Sukkubus immitierend. „Fein. Ich geh dann mal.“

Hinter sich hörte sie die Sukkubus protestieren. „Aber Meisterin? Er wird erwachen und sich bitterlich an uns rächen wollen.“

Magenta lächelte leise in sich hinein und drehte sich dann mit einem süffisanten Grinsen auf dem Gesicht zu Fierneth herum. „Na dann ist es ja gut, dass ich dann sehr weit von hier weg sein werde. Viel Vergnügen.“

Damit ließ sie die Sukkubus mit ihrem Opfer allein und nahm die Beine in die Hand. Vermutlich würde der Ork jeden Moment erwachen und sich in Ermangelung eines anderen Opfers auf die Sukkubus stürzen. Sollte er ruhig. Sobald Magenta weit genug von Fierneth entfernt war, würde die Sukkubus ohnehin wieder zurück in die Zwischenwelt gezogen. Wen kümmerte es da schon, ob sie vorher ein paar kleine Blessuren davontrug. Einzig die Unsicherheit, ob die Dämonin diese Art der Bestrafung nicht doch genießen würde und die am Himmel aufziehenden Wolken vermochten Magentas Hochgefühl ein wenig zu trüben. Doch während sie gegen das Eine nichts tun konnte, wurde es Zeit, Vorkehrungen für das Zweite zu treffen. Regen in Desolace konnte nichts Gutes bedeuten.
 


 


 

Schwere Tropfen stinkenden, mit Asche durchsetzten Regens prasselten auf Abbefaria nieder und der Nachtelf kauerte sich unwillkürlich auf dem Rücken des Frostäblers zusammen. Die Reise durch Desolace, die aufgrund der kargen, toten Landschaft und ihrer ausschließlich feindseligen Bewohner, bereits nicht unbedingt angenehm gewesen war, erhielt durch den heftigen Niederschlag eine besonders trübe Note. Noch dazu hatte der Druide das Gefühl, dass während seiner Abwesenheit etwas vorgefallen war, denn seine drei Reisegefährten gaben sich ausnehmend schweigsam. Trotz seiner Neugier fragte Abbefaria jedoch nicht nach dem Grund ihres Konflikts. Es gab keinen Grund noch weiter Öl in das Feuer zu gießen.

Rakscha, die immer ein paar Meter voraus lief, tauchte plötzlich aus dem Regen auf. Ihre Haare klebten an ihrem Kopf und das Leder ihrer Rüstung hatte sich durch den Regen dunkel gefärbt. Neben ihr trottete völlig durchnässt der schwarze Wolf und das Schlagen vor Wasser schwerer Flügel über ihnen verriet, dass die Windschlange ebenfalls in der Nähe war.

„Dort vorne endet der Weg.“, sagte die Nachtelfe und wies hinter sich. „Wir werden den Kodo-Friedhof entweder umrunden oder überqueren müssen. Die erste Möglichkeit ist sicherer, dauert aber länger, während die zweite ein Risiko bergen könnte.“

Abumoaham, der wie selbstverständlich wieder die Führung der kleinen Truppe übernommen hatte, strich sich über den grauen Bart. „Ich schon gehört von legendärem Friedhof. Aber Ihr sagen Risiko? Welche Risiko das seien?“

„Nun, die Kodos, die hierher kommen um zu sterben, bedeuten eine große Menge frei verfügbares Fleisch. Aasfresser aller Art tuten sich daran gütlich. Außerdem…“ Die Nachtelfe zögerte, bevor sie weiter sprach. „Außerdem ist es nicht gut einen Ort des Todes zu betreten. Man erliegt leicht dem Einfluss der Geister, die dort wohnen und sich nicht von der hiesigen Welt trennen können.“

„Geister?“, lachte Demuny auf. „Nun sicherlich haben manche Seelen von Verstorbenen Schwierigkeiten, den Weg ins Licht zu finden. Wir selbst haben ja gerade einen solchen Fall erlebt. Aber auf dem Kodo-Friedhof sterben doch nur Kodos. Es sind Tiere. Wie können ihre Geister dort spuken. Ich denke, wir sollten den kürzeren Weg nehmen.“

Die Jägerin machte einen verächtlichen Laut und murmelte etwas Unverständliches. Laut fragte sie: "Ihr wollt den Friedhof also überqueren?“

Demuny und Abumoaham nickten und der Magier sagte: „Wir viele. Wenn Geister kommen, wir sie vertreiben mit gutem Zauber. Ihr Euch nicht müsst fürchten.“

Die Jägerin ignorierte ihn. „Was ist mit Euch, Druide?“ Etwas Herausforderndes lag in ihrer Stimme.

Abbefaria überlegte. Anders als die Menschen war er der Überzeugung, dass auch Tiere eine Seele hatten und es sicherlich nicht ratsam sei, die letzte Ruhestätte der Kodos zu entweihen. Zudem war ihm wohl bewusst, dass die Jägerin nicht dorthin gehen wollte. Andererseits hatten sie ja nicht vor die Kadaver zu plündern und diesen legendären Ort einmal zu besichtigen hätte ihn durchaus interessiert. Außerdem tat ihm Demuny leid, die vor Nässe und Kälte zitternd auf dem Rücken ihres Pferdes hockte. So sagte er schließlich: „Ich denke auch, dass wir den kürzeren Weg wählen sollten. Wir werden sorgfältig darauf achten, den Frieden des Ortes nicht zu stören.“

Das Gesicht der Jägerin, die mit dieser Antwort offensichtlich nicht gerechnet hatte, verfinsterte sich. „Also schön.“, knurrte sie. „Gehen wir also über den Friedhof.“

Mit diesen Worten drehte sie sich um und setzte sich wieder einige Meter von der Gruppe ab an die Spitze, doch diesmal ließ Abbefaria sein Reittier antraben und ritt kurz darauf neben ihr. Als sie nicht auf ihn reagierte, glitt er im Laufen vom Rücken der Katze herunten und trabte kurz darauf neben Rakscha her.

„Was ist?“, brummte sie und beschleunigte ihre Schritte etwas. Abbefaria hatte zunächst Schwierigkeiten, sich ihrem Tempo anzupassen, bis ihm eine Idee kam. Er verwandelte sich und lief daraufhin auf vier schwarzen Katzenpfoten neben ihr her. Der Wolf auf der anderen Seite der Jägerin knurrte kurz, verhielt sich jedoch auf einen mahnenden Laut seiner Herrin hin ruhig. So liefen sie eine Weile nebeneinanderher, bis die Jägerin schließlich aufgab und das Schweigen brach.

„Ich verstehe es nicht.“, herrschte sie Abbefaria an. „Ihr seid ein Druide und mit der Natur vertraut. Wie könnt Ihr dorthin gehen?“

Als Abbefaria ihr nicht antwortete, schnaubte sie wütend und erhöhte ihr Tempo, doch sie konnte den Druiden nicht abschütteln. Nach einer Weile wurde sie wieder langsamer. Der Weg unter ihren Füßen uferte immer weiter aus. Tief in den Boden gegrabenen Spuren von den Füßen unzähliger, riesiger Tiere hatten die Straße zerstörte und ihren weiteren Verlauf unkenntlich gemacht. Noch dazu erhob sich vor ihnen einen Bergkette, die, wie es schien, den Weg versperrte. Trotzdem hielt Rakscha weiter auf die massigen Schatten zu, so als wüsste sie, wonach sie suchen musste. Und tatsächlich erschien, als sie näher an die Berge herankamen, eine breite Bresche im Fels. Rechts und links der vom Wind und Regen glatt geschliffenen Felsen lag etwas im Sand, von dem Abbefaria zunächst annahm, dass es ebenfalls Felsen von ungewöhnlicher, weißer Farbe waren. Als sie näher kamen erkennte er jedoch, dass es sich um die halb im Boden vergrabenen Schädel zweier Kodos handelte. Die Knochen waren riesig – viel größer als die der Tiere, die Abbefaria als Kodos kannte – und ihre leeren Augenhöhlen schienen ihn anklagend anzustarren.

Rakscha wurde erneut langsamer und blieb schließlich stehen. Die beiden Menschen waren irgendwo hinter ihnen im Regen verschwunden.
 

„Ich habe sie für Felsen gehalten, als ich das erste Mal hierher kam.“, sprach die Jägerin leise aus, was Abbefaria noch vor wenigen Momenten gedacht hatte. „Es war dunkel und im Lichte Elunes erschien mir der Ort friedlich. Ich war allein unterwegs und brauchte einen geschützten Platz für die Nacht.“

Sie schwieg für einen Moment und lachte dann bitter auf. „Es ist erstaunlich.“, sagte sie und blickte Abbefaria an. „Je öfter ich diese Geschichte erzähle, desto mehr glaube ich selbst daran. Doch Ihr habt es verdient, die Wahrheit zu erfahren.“

Abbefaria wunderte sich ein wenig über das Verhalten der Jägerin, doch er antwortete ihr nicht und lies sie weiter sprechen, während sie langsam durch den anhaltenden Regen auf den Eingang zum Kodo-Fiedhof zu liefen.

„Als ich hierher kam, war ich genau wie alle anderen.“, erklang die Rakschas Stimme neben ihm und etwas Wehmut lag darin gemischt mit…Reue?

„Ich war auf der Suche nach Abenteuer und sicher…ich wollte Gutes tun. Doch ebenso wie alle anderen sah ich zunächst nur den äußeren Schein. Ich jagte im Auftrag der noblen Menschen Zentauren um ein Kopfgeld auf ihre Ohren zu kassieren, ich erlegte unzählige Tiere, um aus ihren toten Körpern Profit zu schlagen und ihre Teile an die Zwerge zu verkaufen, die diese natürlich nur zu rein wissenschaftlichen Zwecken erwarben. Ich suchte Schätze und lief dem Ruhm nach, etwas für dieses Land getan zu haben. Und eines Tages ließ ich mich auf Geschäfte mit Goblins ein.“

Rakscha schnaubte unwillig und schüttelte den Kopf, so dass ihr die weißen Haarsträhnen im Gesicht klebten. „Ich war so dumm. Der erste von ihnen war noch ein halbwegs anständiger Kerl. Zumindest wenn man von der Herkunft seiner Waren absah. Ich traf ihn und seine Karawane nahe Mannorocs Coven. Der Goblin brauchte Geleitschutz um sicher durch Desolace zu reisen und so begleitete ich ihn und seinen Zug aus schwer bepackten Kodos für ein paar Münzen. Als er mich bezahlte, kam noch einer von diesen grünen Halsabschneidern dazu und meinte, er hätte ebenfalls eine Aufgabe für mich. Ich traute ihm nicht, doch als er mir erzählte, dass er nicht von mir verlangen würde, Leben auszulöschen, sondern lediglich ein paar Knochen benötigte und mich dafür reich belohnen würde, ließ ich mich blenden. Ich trat die Reise zum Kodo-Friedhof an.“

Sie hatten inzwischen die beiden weißen Felsen erreicht. Als sie zwischen ihnen hindurchgingen, hatte Abbefaria das Gefühl, das ihn die toten Schädel beobachteten. Obwohl er wusste, dass das nicht sein konnte, wurde er unbewusst langsamer und drückte den geschmeidigen Katzenkörper tiefer an den Boden. Rakscha, die das bemerkte, verzog den Mund zu einem schmalen Lächeln.

„Ich weiß, was Ihr fühlt. Ich spürte es ebenfalls, als ich das erste Mal hierher kam, doch ich gab nichts darauf. Ich sah nur den Profit, der mich erwartete. Es war Nacht und ich beschloss, mit der Ernte der Knochen bis zum nächsten Morgen zu warten. So machte ich ein kleines Feuer und richtete mir ein Lager inmitten der riesigen Skelette ein. Irgendwann muss ich eingeschlafen sein.“

Sie stockte kurz, bevor sie weiter erzählte. „Was danach geschah, klingt unwirklich wie ein Traum. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es nicht einer war, doch wenn es einer war, dann erwachte ich in diesem Traum und war umgeben von massigen, durchscheinenden Leibern. Sie bedrängten mich, fragten, was ich hier wolle und warum ich ihre Ruhe stören würde. Hörner, Leiber, Beine und vor allem immer wieder weiße, mit Gram gefüllte Augen verfolgten mich, wollte mir die Luft abschnüren und mich, die ich nicht hierher gehörte, vertrieben wissen. Ich schrie und tobte, wollte sie erstechen, erschlagen und erschießen. Doch meine Waffen richteten nichts gegen den Feind aus, meine Fäuste liefen ins Leere und meine Rufe verhallten ungehört. Und dann starb ich. Erdrückt von all dem Leid und der Qual, erstickt von den geisterhaften Leibern, zertrampelt von Hufen, die kein Sandkorn berührten und mich trotzdem töteten.“

Die Jägerin war stehen geblieben, ihr Kopf hing herab und die Haare waren wie ein Vorhang über ihr Gesicht gefallen. Sie wirkte wie eine Puppe, der man die Fäden durchgeschnitten hatte. Doch dann hob sie leicht den Kopf und sah Abbefaria aus silbern leuchtenden Augen an. „Und dann erwachte ich. Ich lag allein auf dem Rücken genau an der Stelle, an der ich im Traum gestorben war. Über mir ragten die weißen Gebeine in die Luft, doch ich wusste, dass ich keinen einzigen Knochen von hier entfernen würde. Ich hatte die Botschaft der Kodos verstanden. Seit dem Tag jage ich nur noch die Dämonen und ihre Brut und morde nur noch, wenn es unbedingt sein muss. Ich versuche nicht die zu sein, die mein Name vorgibt.“
 

Abbefaria hatte genug gehört. Er verwandelte sich zurück und trat wieder in seiner Nachtelfengestalt auf die Jägerin zu. Sie wich zunächst zurück, ließ dann jedoch zu, dass er seine Hand auf ihren Arm legte. „Als ich Euren Namen zum ersten Mal hörte, dachte ich, dass er für Euch sehr passend wäre. Ich konnte mir gut vorstellen, wie Ihr, wie ein sprichwörtlicher Dämon gnadenlos unter Euren Feinden wütet.“

Die Jägerin wollte sich abwenden, doch Abbefaria hielt ihren Arm fest und zwang sie weiter zuzuhören. „Aber es gibt eine weitere Bedeutung des Wortes Rakscha. Sie lautet Beschützer. Und ihr selbst habt entschieden, welchen Pfad ihr einschlagen wollt, Jägerin. Ihr habt Euch von einem Zerstörer zu einem Bewahrer gewandelt, auch wenn Ihr selbst das vielleicht noch nicht sehen könnt.“

Die Jägerin, die inzwischen nicht mehr versuchte von ihm fortzulaufen, sah zu Boden. „Vielleicht…vielleicht habt Ihr Recht.“, murmelte sie. „Nach dem Vorfall am Kodo-Friedhof verließ ich Desolace für eine Weile. Ich streifte umher, suchte nach einer neuen, schöneren Heimat und erkannte irgendwann, dass ich sie nicht finden würde. Denn dieses Land ist meine Heimat. Wenn ich es ansehe, dann sehe ich nicht die Asche und die Knochen. Ich sehe ein wildes, raues Land, dem ebenso Unrecht getan wurde wie seinen Bewohnern. Jeder, der hierher kommt, plündert die wenigen verbliebenen Schätze. Wie die Aasgeier stürzen sie sich auf die Knochen und das rottende Fleisch und horten und tragen weg, was nicht fest mit dem Land verwurzelt ist. Sie bekämpfen die Zentauren, weil sie angeblich barbarisch und roh sind. Und es stimmt dass die Pferdemenschen grausam und feindselig gegenüber allen Rassen sind. Doch wie sollten sie anders sein bei dem, was sich ihnen als Lebensraum erschließt. Sie haben nur dieses Stück Land, dem nichts abzugewinnen ist außer Schmerz und Tod. Es ist leicht jemanden zu verurteilen, wenn es einem gut geht, und schwer sich besser zu verhalten als er, wenn einem das Leben den Rücken zuwendet.“
 

Hufschlag hinter den beiden Nachtelfen kündigte das Herannahen ihrer Weggefährten an. Abbefaria ließ den Arm der Jägerin los und sie trat von ihm zurück, so als hätte es das Gespräch zwischen ihnen gerade nicht stattgefunden. Abbefaria ließ sie gewähren und wendete sich ebenso wie sie dem Eingang zum Kodo-Friedhof zu. Er sah ihre Abneigung, den Ort erneut zu betreten jetzt mit anderen Augen, doch er war sich sicher, dass die Geister der Kodos sie ungehindert ziehen lassen würde. Sie würden die Reue spüren, die die Jägerin empfand und er war sich sicher, dass dies genügen würde um sie zu besänftigen. Zumindest hoffte er es sehr.

So schwang er sich wieder auf den Rücken des Frostsäblers und gemeinsam mit seinen drei Begleitern betrat er den sagenumwobenen Ort, an dem die riesigen Kodos ihre letzte Ruhestätte fanden.

Unzählige, weiße Knochen waren hier aufgestapelt. Der Wind, abgehalten durch die hohen Felswände, strich nur ganz leise zwischen den ausgeblichenen Gebeinen umher und erzeugte so ein leichtes Säuseln. Ansonsten drückte die Stille und stolze Würde des Ortes auf Ohren Mund und Nase. Niemand sprach, während sie weiter durch das mit Knochen übersäte Tal ritten. Ein paar Mal glaubte Abbefaria, etwas zu spüren, das ihn sanft wie ein tastender Geist berührte, doch er verschloss sich allem, was von außen kam und konzentrierte sich darauf, den Frostsäbler auf dem schmalen Weg zu halten, der ihnen zwischen den sterblichen Überresten der Kodos noch geblieben war.

Es kam dem Druiden wie Stunden vor, da sie durch diesen unwirklichen Talkessel ritten und als an seinem Ende ein Ausgang sichtbar wurde, war er nicht der Einzige, der sein Reittier zu größerer Eile antrieb. Sie alle atmeten auf, als die Schlucht der Gebeine endlich hinter ihnen lag und Abumoaham richtete als Erster das Wort an die Jägerin.

„Ihr Recht gehabt.“, sagte der Magier und in seiner Stimme lag echtes Bedauern. „Dies nicht Ort, den zu betreten Mensch oder Elf geschaffen ist. Beim nächsten Mal wir hören auf Euren Rat.“

Die Nachtelfe neigte den Kopf. „Und ich werde mich bemühen, Euch meine Beweggründe beim nächsten Mal besser zu erläutern, Mensch.“, versprach sie. „Doch nun lasst uns dieses unglückselige Kapitel hinter uns lassen. Ich will noch vor Anbruch der Dunkelheit bei Mannorocs Coven ankommen.“

Mit diesen Worten drehte sie sich um und trabte weiter in Richtung Süden und die zwei Menschen und Abbefaria folgten ihr, während von oben unablässiger Regen herabströmte.
 


 


 

Magenta haderte mit ihrem Schicksal.

„Ich bin so dämlich.“, sagte sie jetzt wohl schon zum zwanzigsten Mal, während sie trüb vor sich hin aus einer kleinen Felshöhle hinaus in den Regen stierte. „Warum habe ich nicht daran gedacht, den Beschwörer nach einer Kugel von Orahil zu durchsuchen?“

Der wispernde Wasservorhang hielt keine Antwort bereit und Pizkol hatte Magenta wohlweislich nicht von seiner Maulsperre befreit, um sich nicht noch mehr dumme Kommentare von ihm anhören zu müssen. Obwohl sie zugeben musste, dass sie sie in diesem Fall vielleicht irgendwie verdient hatte. Jetzt saß sie hier mit einer verbrannten Hand in einer verlassenen Höhle fest, während Desolace da draußen ernsthaft versuchte zu ertrinken.

Der herabrauschende Regen hatte sich auf der Erde, die ihm keinerlei Rückhalt durch Bäume oder andere Vegetation bot, zunächst zu kleinen Rinnsalen zusammengefunden, die mit dem Andauern des Regen jedoch zu Bächen und schließlich zu ausgewachsenen Sturzbächen geworden waren. So lag Magentas Zufluchtshöhle nur etwa einen halben Meter über einem trüben, gelben Strom, den zu überqueren die Hexenmeisterin keinerlei Neigung verspürte. So starrte die Hexenmeisterin weiterhin in das dreckige Wasser, versuchte das Pochen in ihrer Hand zu ignorieren und ertrank ebenfalls, wenngleich auch in Selbstmitleid.

Es hätte wahrlich nicht schlimmer kommen können, dachte sie gerade, als ein Geräusch ihre Aufmerksamkeit erregte. Ein rhythmisches Klopfen, das sich vom stetigen Trommeln des Regens unterschied und das ganz eindeutig auf Hufschlag zurückzuführen war. Ein Reiter näherte sich ihr.

Magenta wollte schon aufspringen, als eine kleine, warnende Stimme sie zurückhielt. Irgendeine Erinnerung machte sich mit Macht bemerkbar, doch anscheinend war sie von einem Fluch der Sprachen getroffen worden, denn Magenta verstand nicht, was sie ihr zu sagen versuchte. Zurück blieb nur das ungute Gefühl, dass dieser Reiter eventuell nicht unbedingt Annlass zur Freude war, auch wenn Magenta sich nicht erinnern konnte, warum das so war. So blieb sie vorsichtshalber in Deckung und spähte vorsichtig um die Ecke der Höhle um zu sehen, wer dort durch den Regen geritten kam.
 

Die Wasserfluten teilten sich wie ein Schleier um die große, vierfüßige Gestalt herum, die auf schweren Hufen durch den Niederschlag stapfte. Doch auf den kräftigen Pferdekörper folgte nicht etwa ein Reiter, wie Magenta zunächst angenommen. Stattdessen ging der muskulöse, schwarze Leib am vorderen Ende in den Oberkörper eines bärtigen, schwarzhaarigen Mannes über. Sein grobes Gesicht mit den buschigen Augenbrauen war zu einer Grimasse des Missmuts verzogen. Augenscheinlich gefiel ihm das Wetter auch nicht besonders.

Ungeachtet dessen betrat er jetzt den Bach, der sich unter Magentas Zuflucht gebildet hatte, dessen Wasser ihm eine Handbreit bis unter den Bauch reichte. Während er vorbeitrottete, zog sich Magenta weiter in den Schatten der Höhle zurück. Trotzdem kam sie nicht umhin, den unglaublich behaarten Oberkörper des Zentauren zu bemerken, auf den er mit roter und weißer Farbe einige Zeichen gemalt hatte. Er musste sie selbst gemacht haben, denn an den Stellen, die er nicht erreichen konnte, befanden sich keine Markierungen. Allerdings war er ohne Zweifel auch trotz dieser „Verschönerungen“ ein unglaublich hässliches Geschöpf. So hässlich, dass Magenta nicht anders konnte, als ihm nachzusehen, als der Regen ihn bereits fast wieder verschluckt hatte. Dabei hatte sie nicht bedacht, dass der Regen auch den Rand des Erdlochs hatte rutschig werden lassen. Als sie sich zu weit vorlehnte, rutschte sie plötzlich mit einem Fuß ab und konnte sich erst im letzten Moment festhalten, bevor sie in die schlammigen Fluten stürzte. Ein scharfer Schmerz schoss durch ihre rechte Hand, mit der sie sich automatisch festgehalten hatte und bevor sie es verhindern konnte, war ihr der Schmerzensschrei schon über die Lippen geglitten.
 

Der Zentaur blieb augenblicklich stehen und drehte sich dann langsam wieder herum. Seine tief liegenden Augen suchten die Felswand ab und fanden augenblicklich die Höhle, in der Magenta sich verborgen hielt. Vier schwere Hufe setzten sich nun in die entgegengesetzte Richtung in Bewegung und blieben direkt vor der Höhle stehen. Durch seine Größe war der Zentaur auf diese Weise genau auf Augenhöhe mit Magenta. Er machte jedoch keine Anstalten, sie anzugreifen, sondern musterte sie nur mit fragendem Blick.

Schließlich hielt Magenta es nicht mehr aus. „Ich…ich hoffe, das hier ist nicht gerade Euer Haus. Wenn das so ist, war es nicht meine Absicht, hier einzudringen. Ich habe nur Schutz vor dem Regen gesucht.“

Während sie so vor sich hin brabbelte fiel ihr auf, dass den Zentaur vermutlich gar nicht in die Höhle gepasst hätte, die, wenn Magenta ehrlich war, nicht viel mehr als ein besseres Erdloch war.

„Ich habe kein Zuhause.“, antwortete ihr der Zentaur mit einer kräftigen, dunklen Stimme. „Ich brauche es auch nicht um zu wissen, dass es in dieser Welt noch einen Platz für mich gibt, Hexenmeisterin.“

„Ich verstehe.“, entgegnete Magenta, obwohl sie nicht das Geringste verstanden hatte. „Ihr müsst ein glücklicher Mann…äh Pferd…äh, ich meine.“

„Glücklich?“ Der Zentaur lächelte dünn. Ein Anblick, die Magenta schaudern ließ. „Glücklich werde ich erst sein, wenn der Wahnsinn, der hier geschieht, endlich ein Ende hat. Und ich weiß, dass ich es schaffen kann. Die Stämme – sie werden es alle sehen. Sie kämpfen miteinander und gegen die ganze Welt und für was? Für ein paar weitere Knochen, die in der Sonne bleichen und von den Geiern gefressen werden in einem Land, das von der Brennenden Legion überrannt wurde? Wir Zentauren sollten uns lieber auf unsere Herkunft zurückbesinnen, die genauso viel wert ist wie die eines Nachtelfen oder eines Orks. Es ist längst an der Zeit, dass wir Zentauren dementsprechend handeln.“

Magenta schluckte. Sie hatte mit vielen gerechnet, aber diese Ansprache überforderte sie irgendwie. „Das heißt wohl, dass Ihr mich nicht umbringen werdet?“, krächzte sie heiser.

Der Zentaur schüttelte den Kopf. „Nein, Mensch. Denn ich benötige die Hilfe eines Außenstehenden, damit mein Plan gelingt. Die Hilfe von jemandem, der nicht einem der fünf Zentaurenstämme angehört.“

„Und was müsste ich dafür tun?“, fragte Magenta vorsichtig.

„Das werde ich Euch erklären.“, antwortete der Zentaur. „Ihr werdet in die Heiligen Hallen von Maraudon vordringen und dort etwas für mich besorgen. Diese Hallen werden seit je her von meinem Volk beschützt und für jeden Zentaur, der nicht für würdig befunden würde, wäre ein gewaltsames Eindringen dort ein großer Frevel und somit etwas, auf das ich meine Vision nicht aufbauen kann. Doch wenn ihr mir helfen wollt, Mensch, dann nickt jetzt und ich werde Euch meine Anweisungen mitgeben.“

Er hielt eine Schriftrolle hoch. „In diesem Pergament findet Ihr alles, was Ihr wissen müsst, Mensch. Wie lautet also Eure Entscheidung? Werdet Ihr mir helfen, die Stämme endlich zu einem einzigen, großen Zentaurenstamm zu einen?“

Magenta überlegte einen Moment lang. Wenn sie dem Zentauren nicht versprach ihm zu helfen, stiegen die Chancen, dass er sie trotz seiner großen Worte umbringen würde, enorm. Außerdem kannte er sich hier vermutlich aus und konnte Magenta somit sagen, wie sie aus diesem Gewirr an grauen Hügeln wieder zu etwas kam, dass man auch in Desolace als Straße bezeichnen konnte. Und der Mann mit dem Pferdekörper hatte noch einen ganz entscheidenden Vorteil: Seine Beine waren um ein erhebliches länger als die von Magenta.

„Also schön, ich helfe Euch.“, willigte sie ein. „Allerdings verlange ich, dass Ihr mich von hier wegbringt. Ich will wieder zur Straße zurück. Außerdem brauche ich Vorräte, eine Salbe für meine Hand und trockene Kleidung.“

Bei den letzten Worten wurde ihr klar, dass ein Zentaur vermutlich nicht besonders viel Kleidung trug. Außer vielleicht einer Pferdedecke ab und zu.

„Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um Euch zu helfen.“, versprach der Zentaur. „Klettert auf meinen Rücken, dann bringe ich Euch vor die Tore von Mauraudon.“

„Und die Vorräte?“

„Wir werden unterwegs auf Lager meines Volkes treffen, an denen ihr Euch bedienen könnt.“

„Und die Salbe?“

„Auch Medizin wird unter ihren Vorräten sein, wenngleich sie vielleicht nicht unbedingt das sein wird, was Ihr gewohnt seid.“

„Was ist mit Sartyblut? Gibt es Sartyren in Mauraudon.“

„Die Dämonen haben einige Teile der Heiligen Hallen entweiht und für ihre eigenen Zwecke missbraucht. Wenn es Euch nach Ihrem Blut gelüstet, tut Ihr damit dem Volk der Zentauren einen Gefallen.“

„Und eine Kugel von Orahil?“

„Was?“

„Oh nichts. Hätte ja sein können.“
 

So ließ sich Magenta auf den breiten Rücken des Zentauren gleiten und ritt darauf durch den einfach nicht nachlassenden Regen. Was immer auch dieses Maraudon war, es hörte sich an, als sei es dort zumindest trockener als hier draußen. Eine Aussicht, die Magenta durchaus behagte.
 


 


 

Trotz Rakschas ausgezeichneter Führung wurde es bereits dunkel, als sie das Gebiet erreichten, dass Abbefaria sofort als Mannorocs Coven erkannte. Die dämonische Verderbnis troff aus jeder Pore des Bodens und als sie tatsächlich auf eine Pflanze trafen, identifizierten Rakscha und Abumoaham sie beide sofort als Gromsblut; ein Gewächs, das nur auf mit Dämonenmagie verseuchter Erde wuchs.

„Wir besser vorsichtig sein jetzt.“, sagte der Magier und sah sich suchend um. „Vielleicht es besser, wir suchen uns Unterkunft für Nacht.“

„Ihr werdet hier keinen ruhigen Platz finden, Mensch.“, erwiderte Rakscha düster. „Wir sollten lieber schnell zuschlagen und dann von hier verschwinden, so lange die Pferde Euch noch tragen können. Wenn es zu dunkel ist, riskieren wir, dass sie stolpern und sich ein Bein brechen.“

„Wie wäre es denn, wenn wir dort hinten weiter suchen.“, schlug Demuny vor und wies auf einen Bereich, auf dem nur wenige Bauwerke standen. „Dort behalten wir leichter den Überblick.“

Und werden leichter gesehen, dachte Abbefaria, verbiss sich jedoch einen Kommentar. Er wollte die Priesterin nicht gegen sich aufbringen.

Rakscha, die ebenfalls nicht glücklich mit dem Vorschlag zu sein schien, runzelte die Stirn. Dann plötzlich ruckte ihr Kopf herum und sie starrte auf eine leere Stelle ein wenig oberhalb von ihr auf einem Hügel. Wie von selbst verschmolz sie mit einem Mal mit den Schatten und wurde selbst nahezu unsichtbar. Abbefaria, der nahe bei ihr stand, sah, wie sie einen Pfeil aus de Köcher zog, ihren Boden spannte und genau auf die Stelle zielte, auf die sie so konzentriert starrte. Und mit einem Mal wusste er, was los war.

So schnell er konnte sprang Abbefaria vom Rücken des Frostsäblers und drückte Rakschas Pfeil nach unten. Er konnte immer noch nicht sehen, worauf sie zielte, doch er hatte eine ziemlich gute Vorstellung davon, was beziehungsweise wer es war.

„Wartet ab.“, sagte er eindringlich und verwandelte sich zum zweiten Mal an diesem Tag in eine große, schwarze Raubkatze.

Vorsichtig und abwartend trat er Schritt für Schritt auf die geheimnisvolle Stelle zu, an der er jeden Moment etwas ganz Bestimmtes zu sehen erwartete. Und tatsächlich, als er nahe genug war, schälte sich ein Umriss aus der hässlichen Landschaft.

Die Raubkatze ihm gegenüber war größer als er und ihr Fell war von sandbrauner Farbe. Grüne Augen blitzten aus einer struppigen Mähne hervor und dort, wo Abbefaria die langen Ohren seiner Nachtelfengestalt nicht vollkommen verbergen konnte, sprossen aus dem Kopf der fremden Raubkatze zwei Hörner. Dies war ganz eindeutig ein Taurendruide.

Um zu zeigen, dass er keine feindseligen Absichten hatte, setzte Abbefaria sich auf seine Hinterpfoten und sah den anderen Druiden unverwandt an. Im Schutze Moonglades waren zwar alle Druiden verpflichtet, Frieden gegeneinander zu halten, doch hier draußen sah das völlig anders aus. Trotzdem hoffte er, dass der Taure sein Angebot auf Waffenstillstand akzeptieren würde. Es dauerte noch einige, zögerliche Minuten, dann gab der Taure seine Tarnung auf und verwandelte sich zurück.

Vor Abbefaria ragte eine mächtige Gestalt auf, die sicherlich mehr als sieben Fuß hoch war. Unter der Haut mit dem kurzen, braunen Fell, spannten sich mächtige Muskelstränge, die fast seine durch und durch lederne Kleidung zu sprengen drohten. Seine etwas dunkler gefärbten Kopfhaare waren ebenso wie der Bart an seinem Kinn zu langen Zöpfen verflochten, in die Perlen und Federn eingewoben waren. Zwei lange, gebogene Hörner an der Seite des Kopfes ließen ihn würdig wirken, obwohl Abbefaria das Gefühl hatte, dass der Taure noch nicht besonders alt war.

Der Fremde trat ein wenig unsicher von einem mächtigen Huf auf den anderen und deutete dann mit einem der drei Finger seiner linken Hand auf die Gruppe hinter Abbefaria. Er sagte etwas und der Nachtelfdruide drehte sich herum, um zu sehen, was dort vor sich ging.

Die beiden Menschen waren von ihren Pferden gestiegen und standen jetzt neben Rakscha, wobei Abumoaham den Arm schützend um Demuny gelegt hatte. Sie wirkten nicht, als wollten sie angreifen, obwohl die Jägerin den Bogen nicht aus der Hand gelegt hatte. Sie war es schließlich aus, die das Wort ergriff.

„Was will er?“

Das wiederum konnte Abbefaria ihr nicht beantworten. Er verwandelte sich nun ebenfalls zurück und wiederholte die Frage der Jägerin. Dabei versuchte er mit Gesten zu unterstreichen, was er wissen wollte.

Er hatte keine Ahnung, ob der Taure hatte entziffern können, was er tat. Doch der fragende Tonfall war dem mächtigen Stiermenschen sicherlich nicht entgangen. Er deutete wieder in Richtung von Abbefarias Begleitern und machte dann einige Bewegungen, die eventuell einen Kampf darstellten.

„Nein, nein.“, beschwichtige Abbefaria ihn. „Wir wollen nicht mit dir kämpfen.“

Der Taure schnaubte, offensichtlich frustriert. Dann winkte er Abbefaria, ihm zu folgen. Er deutete auf Rakscha und die beiden Menschen und machte dann erneut Zeichen, dass sie ihm folgen sollte. Er umrundete die Gruppe vorsichtig, immer darauf bedacht, beim ersten Anzeichen von Feindseligkeit zu fliehen, und fing dann an, langsam in Richtung Mannorocs Coven zu wandern. Dabei blickte er immer wieder zurück und blieb wartend stehen. Es war offensichtlich, dass er wollte, dass sie ihm folgten.

„Könnte das eine Falle sein?“, fragte Demuny ein wenig skeptisch.

„Ich denke nicht.“, antwortete Abbefaria. „Wenn er uns hätte aus dem Weg gehen wollen, hätte er das ohne weiteres tun können. Es muss einen Grund geben, warum er will, dass wir ihm folgen.“

„Und er nicht vielleicht stecken unter einer Decke mit Dämonen?“, überlegte nun auch Abumoaham.

„Nein, niemals.“, sagte Abbefaria bestimmt. „Die Tauren würden sich niemals mit Dämonen einlassen.“

„Ich würde nicht `niemals’ sagen“, meinte Rakscha nachdenklich. „Aber Eure Argumente überzeugen mich. Wir sollten ihm folgen und sehen, was er will.“
 

Der Taure, der erleichtert schien, als sie ihm tatsächlich nachliefen, führte sie am Rande der Ruinen, in denen sich die Dämonenbeschwörer und ihre Geschöpfe eingenistet hatten, vorbei, bis sie schließlich zu einer großen, freien Fläche kamen. An ihrem Rand kauerte sich der Taure in den Schutz einiger Felsen – etwas das bei Abbefaria unwillkürlich Heiterkeit provozierte – und deutete dann nach vorn. Als Abbefaria der Geste mit den Augen folgte, erkannte er, weswegen sie hier waren.

Am Rand der Ebene stand eine riesige Gestalt, deren bronzefarbene Haut selbst durch den Regen hindurch leuchtete. Enorme, lederne Flügel spannten sich auf ihrem Rücken, Klauenhände hielten ein krummes, scharfkantiges Schwert, dessen Klinge bereits tiefe Kerben von etlichen Kämpfen aufwies. Der Rücken ging am Ende in einen spitz zulaufenden Schwanz über und die Beine endeten in schartigen, schwarzen Hufen. Der gehörnte Schädel bewegte sich träge hin und her, während er mit einer zweiten Gestalt sprach, deren Umrisse für Abbefaria wesentlich leichter zu identifizieren warn. Es handelte sich um einen Ork in einer violetten Robe und unbezweifelbar um einen Hexenmeister.

„Eine Verdammniswache.“, zischte Rakscha und zog scharf die Luft ein. „Ein äußert gefährlicher Gegner, den sich Euer neuer Freund dort ausgesucht hat. Wenn mich nicht alles täuscht, ist dies einer ihrer Generäle.“

„Und der Ork?“, flüsterte Demuny.

„Keine Ahnung.“, gab die Jägerin zurück. „Diener oder Meister, wer weiß das bei dieser Brut schon so genau. Wenn wir die beiden getötet haben, ist es wieso egal.“

„Ihr wollt kämpfen?“ Abumoaham schien noch zu überlegen, ob das eine gute Idee war.

„Ich dachte, ihr sucht einen Hexenmeister der Brennenden Klinge.“, sagte die Jägerin ungeduldig. „Nun, hier ist einer. Und offensichtlich hat Euer neuer Freund ja den Auftrag, ihn und diesen riesigen Dämon zu töten. Ich halte es für unsere Pflicht, ihm dabei zu helfen.“

Sie wandte sich an den Tauren, deutete dann zuerst auf den Dämon und seinen Begleiter und strich sich dann in einer ummissverständlichen Geste mit dem Zeigefinger über den Hals. Der Taure nickte begeistert.

Rakscha nickte ebenfalls. „Gut, dann wäre das ja entschieden.“

Ohne, dass sie jemand daran hindern konnte, sprang die Jägerin auf und stürmte auf das selbst gewählte Schlachtfeld. Ihr hinterher sprang mit lauten Knurren der schwarze Wolf und die Windschlange segelte mit lautem Zischen über sie hinweg. Der Taurendruide nahm wieder seine Katzengestalt ein und folgte der Jägerin auf den Fersen, so dass Abbefaria und den beiden Menschen nicht viel anderes übrig blieb, als ebenfalls in den Kampf einzugreifen.
 

Es war trotz ihrer Überzahl ein harter Kampf, der mehr als einmal fast verloren schien. Als der Ork-Hexenmeister längst gefallen war, versuchte die Verdammniswache mit letzter Kraft zu flüchten, doch Abumoahams Zauber froren ihn am Boden fest, so dass er schließlich den vereinten magischen und weltlichen Kräften erlag und sein mit Wunden bedeckter Körper schließlich mit einem lauten Rumms zu Boden fiel.

Einen Moment lang schnappten die Kämpfer erschöpft nach Luft. Dann jedoch baute sich der Taure vor den vier Abenteurern auf. Er blutete aus einem Schnitt an der Seite, wo ihn das Schwert der Verdammniswache getroffen hatte, doch er beachtete die Wunde nicht, sondern straffte sich und verbeugte sich dann, indem er den mächtigen Kopf mit einem Ruck nach unten schnellen ließ. Trotz der unwillkürlichen Komik der Geste, lachte Abbefaria nicht, sondern legte die Hände aneinander und verbeugte sich ebenfalls vor dem Tauren.

“Ande'thoras-ethil, mein Freund.”, sagte er feierlich. „Geh und berichte dem, der sich schickte, von deinem, von unserem Sieg.“

„Tawa po, ni’ke tahe.“, antwortete der Taure und für einen Moment glaubte Abbefaria, dass er ihn tatsächlich verstanden hatte. Dann stand anstelle des Tauren wieder die struppige, braune Raubkatze vor ihm, die noch einmal in seine Richtung nickte und dann im nächsten Moment verschwunden war. Trotz der kurzen Allianz, die sie eingegangen waren, war Abbefaria trotzdem irgendwie froh, dass der Taure sie verlassen hatte. Es behagte ihm nicht besonders, dauernd auf jeden seiner Schritte zu achten in der Annahme sonst einen Anngriff zu provozieren.

„Dies sein guter Tag für uns.“, sagte Abumoaham und wies nach oben. „Es langsam aufhören zu regnen.“ Tatsächlich war die Menge des Niederschlags, der auf sie herabprasselte weniger geworden. „Und wir haben gefunden Höllenkugel.“

„Wie bitte?“ Abbefaria blickte völlig entgeistert auf die mattglänzende, violette Kugel in den Händen des Magiers. Sie war etwa so groß, dass Abbefaria sie mit einer Hand umfassen konnte und wirklich trotz ihrer geringen Größe wie das konzentrierte Böse. Hätte der Magier ihm die Kugel in diesem Moment zugeworfen, Abbefaria hätte sie nicht aufgefangen. Alles in ihm sträubte sich, sie zu berühren.

„Wo-woher habt Ihr sie?“, fragte er ungläubig.

„Ork hatte dabei.“, erklärte Abumoaham. „Er muss gewesen sein mächtiger Hexenmeister. Er gekannt wirklich garstige Zauber. Aber jetzt er tot und wir haben seine Kugel.“

„Wunderbar.“, murmelte Abbefaria und war wirklich froh, dass Abumoaham das teuflische Ding in ein Tuch wickelte und in seinem Rucksack verstaute.

„Wir sollten suchen Lager für Nacht.“, meinte der Magier und sah sich im rasch schwindenden Tageslicht nach einer Möglichkeit um, einigermaßen sicher die Nacht zu überstehen. „Dann wir morgen reisen zurück zu Nijelspitze und bringen Kugel zu Tabetha.“

Abbefaria wusste, dass dies der Moment war, in dem er die anderen von seinem Plan nach Mauraudon zu gehen unterrichten musste, doch dann fiel sein Blick auf Demuny. Die Priesterin war durchnässt und durchgefroren und Abbefaria beschloss spontan, mit seinem Anliegen zu warten. Morgen, wenn sie frisch und ausgeruht waren, würde sich sicher ein Weg finden, wie er die Gruppe in die Höhlen leiten würde, in denen sich Zaetars Überreste befanden. Und dann würden sie ihm folgen, so wie sie Abumoaham hierher gefolgt waren, dessen war sich Abbefaria ganz sicher. Morgen war ganz sicher ein besserer Tag.
 


 


 


 


 

Uff!
 

Ganz schön spät geworden. Nicht nur Uhrzeittechnisch sondern auch spät im Jahr. Ich hatte ja eigentlich geplant, monatlich ein Kapitel zu veröffentlichen, aber wie es scheint, sind momentan eher zwei Monate draus geworden. Ich hoffe, ihr verzeiht das. Ich hab aber im Moment auch echt ne Menge zu tun…bei Ebay surfen zum Beispiel. ^_~
 

In der Hoffnung, dass euch das Kapitel gefallen hat, wünsche ich euch und mir, dass es bis zum nächsten nicht so lange hin ist und dass die Geschichte am ENDE eines Kapitels vielleicht auch endlich mal da angekommen ist, wo ich sie hinhaben will. Maraudon zum Beispiel lag nämlich definitiv NICHT auf meiner ursprünglich geplanten Route. Hihi.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  darkfiredragon
2010-02-22T14:56:03+00:00 22.02.2010 15:56
Wieder ein super Kapi^^ (auch ich wiederhole mich hier :D)

So, Mag wird wohl wieder auf einen Teil ihrer Freunde treffen...vielleicht kommt sie ja auch dazu Raksha ihr Gold wiederzugeben^^
Ich bin jedenfalls gespannt und freue mich auf das neue Kapi
Von: abgemeldet
2010-02-22T14:18:36+00:00 22.02.2010 15:18
Prima Kapi^^ (sag ich irgendwie jedes Mal^^)

Naja, am Ende der Kampf zwischen dem Ork-Hexenmeister und Abbeferia und Anhang hätte ein wenig ausführlicher sein können, ansonsten hat mir das Ganze prima gefallen ;)
Von:  Eyefish
2010-02-19T16:02:50+00:00 19.02.2010 17:02
Tja, die Charaktere gehen halt dorthin, wo sie hinwollen und du als arme Autorin kannst ihren Weg nicht wirklich kontrollieren, sondern nur die Geschichte erzählen, die sie erzählen.
So wie es ausschaut, wird Mag wohl vorbeischneien (oder eher -regnen, wobei das wieder einen unangenehmen Nebengeschmack hat wie mir gerade auffällt...), Abbefaria wird sie angreifen weil sie Hexenmeisterin ist und Abu darf die ganze Sache (und vor allem Mag) retten. Und dann gehts nach Maraudon.
Die ersten zwei Sätze von diesem Kapitel waren sehr genial :D Hab sehr laut lachen müssen^^
Was mir grammatikalisch aufgefallen ist, ist dass ein paar Fragezeichen gefehlt haben, was mir das Lesen etwas erschwert hat (sieht einfach seltsam aus wenn der Satzbau ein FZ verlangt und dann stattdessen ein bloßer Punkt dasteht).


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