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place for us

we can see the future and the dreams it's made of
von

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Abrupte Umkehr

Weil ich ein Armleuchter bin und nicht weiß, was ich noch weiter sagen soll, schweigen Mo und ich eine ganze weitere Stunde lang, in der ich auf der Rückbank liege und die beige Decke des Wagens anstarre, als stünden dort die Antworten auf all meine Fragen.

Ich will gerade noch weitere Entschuldigungen für alles anfügen, was ich jemals gesagt, getan und gedacht habe, nur um noch etwas zu sagen, als wir sehr ruckartig halten und ich beinahe in die Spalte zwischen der umgeklappten Sitzbank und den vorderen Sitzen kullere.
 

»Lisanne«, sagt Mo und dreht sich auf dem Sitz zu mir um. Ich starre ihn an.
 

»Was? Was hat die damit zu tun? Die wird Manu ja wohl kaum entführt haben!«
 

»Ist das seine neuste Flamme?«, will Mo verwirrt wissen und ich nicke. Verständlich, dass Mo den Überblick verliert. Manu ist wirklich fleißig, was all seine Liebschaften angeht. Ich beobachte, wie Mo sich mit der rechten Hand übers Gesicht fährt und dann finster zu mir herunter blickt.
 

»Ich bring ihn um, wenn ich ihn in die Finger kriege«, erklärt er mit Grabesmiene, sodass ich es ihm beinahe abkaufe. Was zum Teufel ist denn los? Ich rappele mich auf, um mich in eine würdevollere Position zu bringen. Halb zwischen den Sitzen und der Rückbank zu hängen scheint mir für eine ernste Unterhaltung angebrachter zu sein. Also, ich meine… theoretisch könnte sie Manu natürlich zu sich gelockt und ihn dann überwältigt haben, weil sie rausgekriegt hat, dass er viel Knete besitzt. Andererseits wüsste ich auch nicht, wieso er Lisanne davon erzählt haben sollte, wenn er es vor mir geheim gehalten hat. Mal ganz abgesehen davon, dass er sich aus so ziemlich jeder Situation raus lügen kann, in die er gerät. Aber wenn sie ihn geknebelt hätte…
 

»Er scheint wohl vergessen zu haben zu erwähnen, dass er Lisanne kurzfristig besuchen fährt«, knirscht Mo und er sieht wirklich sehr wütend aus. Ganz blass und mit zusammengepressten Lippen. Und es dauert ein paar Sekunden, bis die Information in meinem Gehirn verarbeitet wird, dass das alles überhaupt nicht nötig gewesen wäre. Dass ich mir tagelang umsonst Sorgen gemacht habe. Weil Manu vergessen hat uns zu erzählen, dass er Lisanne besuchen fährt. Das kann doch nicht wahr sein. Ich öffne und schließe meinen Mund wie ein Fisch und bleibe dabei genauso stumm, weil ich keine Ahnung habe, was ich vor lauter Empörung sagen soll.
 

»Hrghmpf!«, bringe ich schließlich wenig geistreich hervor und sehe garantiert genauso fassungslos aus, wie ich mich fühle. Mo starrt mich an. Und dann, ganz plötzlich, fängt er an zu lachen. Erst leise und kaum hörbar, sodass nur sein Körper bebt, während er sich die Finger auf den Mund presst und ich einen entsetzten Moment lang glaube, dass er vielleicht weint. Aber nein. Das Geräusch ist ungewohnt und es klingt ganz so, als hätte es noch nicht oft die Gelegenheit dazu gehabt, sich in der Welt auszubreiten. Wow. Mo lacht.
 

»Was ist so lustig? Ich bringe ihn um, ich schwör es dir! Hoffentlich ist der Sex schlecht und ihre Wohnung mit Ratten verseucht!«, fluche ich vor mich hin und Mo lacht weiter leise vor sich hin. Ich möchte weiter sauer auf Manu sein, weil ich es einfach nicht fassen kann, was er mir und Mo angetan hat. Aber klar, die beiden waren noch nie so weit voneinander entfernt und wussten nicht, dass die Verbindung dann abbrechen würde. Vielleicht dachte sich Manu einfach, dass Mo es schon wissen würde, wenn er losfährt. Alter Schwede, ich glaub, mein Hamster bohnert.
 

»Dein Gesichtsausdruck«, erklärt Mo weiterhin matt glucksend und sein ganzes Gesicht strahlt, als wäre auf einmal alle Last von seinen Schultern genommen worden. Gut, ich meine, ihm ist grad klar geworden, dass sein Zwilling nicht in Lebensgefahr schwebt, das ist sicher eine Erleichterung. Aber zum Lachen finde ich die Situation trotzdem nicht. Ich bin stinksauer! Auch wenn ich zugegebenermaßen angesichts von Mos lachendem Gesicht und funkelnden Augen spüre, wie die Wut langsam aus mir weicht wie aus einem löchrigen Ballon.
 

»Ich hab dich noch nie lachen gesehen«, informiere ich Mo völlig aus dem Nichts heraus, obwohl ich mich eigentlich noch ein wenig mehr über Manu empören wollte. Mos Lachen friert ein wenig ein und dann kriecht ein heller Rotton in seine Wangen und er räuspert sich verlegen.

»Klingt es sehr komisch?«, will er wissen. Ich schmunzele.

»Nein, klingt ziemlich gut«, gebe ich zu und der Rotton wird noch etwas dunkler. Huch! Ich habe Mo in Verlegenheit gebracht. Den unnahbaren, schweigsamen, verschlossenen Mo. Beinahe bin ich ein wenig stolz und beinahe vergesse ich, dass Manu nicht entführt wurde.
 

»Also, du hast jetzt mitgekriegt, dass er bei Lisanne ist? Das heißt, wir sind nah genug dran, damit du ihn wieder hören kannst«, sage ich nachdenklich und Mo nickt, immer noch rot im Gesicht.

»Sollen wir weiterfahren und ihm die Party versauen?«, frage ich und bin mir nicht sicher, wie meine eigene Antwort auf diese Frage lautet. Mo sieht aus, als müsste er sehr lange darüber nachgrübeln und es dauert eine ganze Weile, bis er antwortet.

»Nein. Nein, ich denke nicht. Ich werd ihn noch ordentlich verfluchen und er fällt hoffentlich vor lauter Schock aus dem Bett. Ich meine… wenn er gemerkt hat, dass unsere Verbindung abbricht, dann hätte er ja mal anrufen können, um Bescheid zu sagen. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll«, meint Mo und ich bin eindeutig noch nicht dran gewöhnt, so normal mit ihm zu reden, weil ich ihn anstarre wie ein Auto. Er bemerkt es und wird noch ein wenig dunkler im Gesicht.
 

»Was ist los?«, will er wissen. Ich zucke mit den Schultern und muss schief grinsen. Wow. Vorhin hab ich noch wegen Lars gekotzt und jetzt finde ich Mos rotes Gesicht irgendwie niedlich. Vielleicht mache ich noch eine zweite Pubertät durch und meine Hormone spielen komplett verrückt. Gibt es sowas wie verfrühte Wechseljahre? Ich räuspere mich peinlich berührt.

»Es ist nur alles so ungewohnt«, sage ich und wedele undeutlich mit den Händen herum, als würde das irgendwie erklären, was ich meine. Aber womöglich ist Mo, weil er die Gedanken eines Menschen lesen kann, gut darin, solche wirren Gedankengänge zu entschlüsseln, denn er nickt.
 

»Das stimmt.«
 

Er schweigt einen Moment und kaut auf seiner Unterlippe herum. Dann…

»Aber ehrlich gesagt auch wieder nicht. Also, ich weiß ja, wie es ist, mit dir Zeit zu verbringen. Nur nicht so direkt«, erklärt er und seine Stimme wird gegen Ende immer leiser, bis er schließlich auf seine Knie schaut. Ich habe so noch nie darüber nachgedacht. Manu verbringt am meisten Zeit mit mir, da er trotz seiner allgemeinen Beliebtheit eigentlich kaum enge Freunde hat. Mo verbringt mit Manu am meisten Zeit und umgibt sich sonst nicht wirklich mit Menschen. Und Mo wohnt in Manus Kopf. Was im Umkehrschluss heißt, dass Mo mich neben Manu so gut kennt, wie sonst keiner auf dieser Welt und dass er eigentlich fast immer, wenn Manu und ich Zeit miteinander verbringen, auch dabei ist.
 

Ich schlucke und versuche die Tragweite dieser Tatsachen sacken zu lassen. Der aberwitzige Gedanke, dass ich für Mo das bin, was einem Freund am nächsten kommt – und sei es nur einseitig – schnürt mir die Kehle zu, weil ich mich jahrelang ihm gegenüber wie der letzte Arsch verhalten habe. Mist, Mist, Mist. Oli, du bist so ein Armleuchter.

»Steig aus«, sage ich und krabbele über die Rückbank zur hinteren Autotür. Mo sieht verwirrt aus, folgt aber meiner Aufforderung und öffnet die Fahrertür. Wir stehen am Rand einer schlecht betonierten Straße, die zwischen einer flachen Landschaft aus brach liegenden Feldern liegt, wie eine schwere, graue Schlange. Um uns herum ist Nieselregen, matschige Herbstblätter, ein dick verhangener und tonnenschwerer Himmel und ich umrunde das Auto und stapfe auf den verwirrt dreinblickenden Mo zu.
 

»Tut mir wirklich leid«, sage ich und schaue in seine grauen Augen, die aus irgendeinem Grund bei weitem nicht so trist aussehen wie der Himmel über uns. Mo blinzelt verwundert.

»Alles, meine ich«, füge ich hinzu und fröstele. Ich bin nicht besonders gut darin, meine Gefühle auszudrücken, und die Vorstellung, Mo zu unterbreiten, dass ich gerade eine Erleuchtung bezüglich seines Soziallebens hatte, liegt mir sehr, sehr fern.

»Ok«, meint Mo sehr leise und zieht schon wieder seinen Kopf zwischen seine Schultern. Ich atme die kalte, feuchte Herbstluft tief an, dann falle ich nach vorn und umarme Mo mitten im Nieselregen.
 

Er steht für mehrere Herzschläge ganz still da und ich frage mich peinlich berührt, ob ich schon jemals gesehen habe, wie Mo und Manu sich umarmt haben, aber ich glaube nicht. Vielleicht machen sie das im Geheimen. Immerhin sind sie sehr eng miteinander. Gerade, als ich mich frage, ob diese ganze Umarmungssache vielleicht eine blöde Idee war, hebt Mo seine Arme und legt sie vorsichtig um meine Schultern, als hätte er Angst, dass er mich zerbrechen könnte. Ein Gedanke, bei dem ich ein bisschen wahnsinnig grinsen muss.
 

Ich drücke ihn fester und werde ziemlich übermütig. Immerhin wurde Manu nicht entführt und abgesehen davon, dass er ein Horst ist, ist alles auf einmal sehr viel mehr in Ordnung, als es noch vor zwei, drei Tagen war. Mo drückt zurück. Ich hole mir mit großer Wahrscheinlichkeit eine Erkältung, weil mir unheimlich heiß ist, während ich in kalter Luft nur mit einem Pulli herumstehe. Aber was macht das schon.

»Es ist ja schon ziemlich ungerecht«, nuschele ich gegen Mos Pullover und hoffe, dass er seine Verbindung zu Manu brav blockiert, damit Manu nicht mitbekommt, wie ich mich hier an seinem Zwillingsbruder festklammere.
 

»Was?«, murmelt Mo leise und ich stelle fest, dass er eindeutig so umarmt wie jemand, der nicht viele Umarmungen verteilt. Ich bin ein sehr körperlicher Mensch, wie Manu oftmals zu seinem Leidwesen feststellen muss. Immerhin, das fand Lena gut an mir. Aber nicht gut genug, als dass sie bei mir geblieben wäre. Jetzt, wo ich hier stehe, macht mir das allerdings nichts mehr. Es ist doch komisch, wie eine so abgefahrene Aktion wie ein Roadtrip zur Rettung des besten Freundes die Perspektive auf Dinge ziemlich stark verschieben kann.

»Dass du alles über mich weißt und ich gar nichts über dich«, erkläre ich verlegen und löse mich behutsam von Mo. Er steht vor mir und wankt kaum merklich, als wäre ihm ein wenig schwindelig.
 

»Ah. Das. Naja, es gibt über mich ja auch nicht so viel zu wissen«, gibt er unsicher zurück und schaut drein, als wäre er sich nicht im Klaren darüber, was er mit sich anfangen soll.

»Das halte ich für ein Gerücht«, entgegne ich und frage mich, wie ich Mo noch vor ein paar Tagen blöd finden konnte. Die Welt ist ein seltsamer Ort.

»Aber bevor wir darauf zurückkommen, sollten wir ein telepathisches Telegramm an Manu schicken«, füge ich hinzu und klettere ins Auto, diesmal auf den Beifahrersitz. Ich angele nach meiner Reisetasche und krame eine Dose Ravioli und Plastikgabeln hervor. Ein Hoch auf Dosen mit Verschluss, für die man keinen Dosenöffner braucht!
 

»Ok. Was willst du ihm sagen?«, fragt Mo und beobachtet mit einem leicht entgeisterten Gesichtsausdruck, wie ich mir eine kalte Ravioli in den Mund schiebe. Sein Blick entgeht mir nicht und ich halte ihm fragend ebenfalls eine Plastikgabel hin.

»Kalte Ravioli?«, gibt er zweifelnd zurück und ich nicke inbrünstig. Er piekst eine der gefüllten Nudeln auf seine Plastikgabel und einen Augenblick später schaue ich ihm erwartungsvoll beim Kauen zu. Mo verzieht das Gesicht.

»Banause!«, rufe ich und mache demonstrativ begeisterte Geräusche, während ich die nächste Ravioli esse. Mos Mundwinkel zucken und dann muss er lachen, weil ich mir mit Tomatensoße in den Schoß kleckere. Toll.
 

»Also«, meine ich, nachdem ich mich von der Zurückweisung meines köstlichen Mahls erholt habe, »sag ihm Folgendes: Manu, du hirnverbrannter Lackaffe, glaub ja nicht, dass ich in den nächsten fünf Monaten meine Heizdecke oder meine Wii mit dir teile! Außerdem solltest du dankbar sein, wenn ich dir bei der nächsten Übernachtung nicht den Kopf rasiere und mit Edding einen Penis ins Gesicht male!«

Mo guckt mich an, als wäre ich ein Alien. Dann presst er amüsiert die Lippen aufeinander, schließt die Augen und sieht aus, als müsste er sich arg konzentrieren, um seinen Zwilling mit seinen Gedanken zu erreichen. Ich hoffe, dass Mo meine Worte ganz genau übermittelt und Manu das als ernsthafte Drohung empfindet. Der Typ ist total verrückt nach meiner Heizdecke! Allerdings kann er sich bei seinem millionenschweren Konto auch eine eigene leisten. Unweigerlich verfinstert sich mein Gesichtsausdruck bei dem Gedanken daran, dass Manu mich angelogen hat. Ich seh schon, sobald er wieder von Lisanne zurück kommt, haben wir eine Menge zu besprechen. Vielleicht sollte ich Mo mit zu unserer Besprechung einladen, weil der weiß, wenn Manu lügt. Herrje. Ich hoffe, meine Freundschaft mit Manu wird jetzt nicht auf ewig von Paranoia bestimmt sein, das wäre in der Tat sehr anstrengend.
 

»Ich glaube, er ist eventuell gerade aus dem Bett gefallen«, informiert Mo mich und ich meine, einen schelmischen Unterton in seiner Stimme zu hören. Ich lache dreckig vor mich hin und klopfe mir zufrieden auf den Oberschenkel.

»Wie schön! Dann können wir uns ja auf den Rückweg machen und während ich meine Ravioli aufesse, erzählst du mir von dir«, meine ich und schnalle mich an. Mo mustert mich ein paar Wimpernschläge aus dem Augenwinkel, dann folgt er meiner Aufforderung und startet das Auto. Wir wenden mitten auf der Straße und ich fasse es nicht, dass mir immer noch alles weh tut, ich wahnsinnigen Hunger hab, sauer auf Manu bin und mich trotzdem so gut fühle. Mein Handy vibriert und ich klemme meine Raviolidose zwischen meine Beine.
 

»Kleinen Moment!«, sage ich entschuldigend zu Mo und stelle seufzend fest, dass meine Eltern nun doch versuchen, mich anzurufen. Ein paar Tage war ich in einer Luftblase, wo es keine Eltern gibt, die auf konkrete Zukunftspläne pochen.
 

»Hallo Ma«, sage ich und hoffe, dass mein gut gelaunter Ton sie besänftigt.
 

»Oliver. Wann gedenkst du, nach Hause zu kommen?«
 

Oh. Sie nennt mich nur Oliver, wenn sie sauer ist. Prost Mahlzeit.
 

»Ich bin schon wieder auf dem Rückweg. Der kurze Ausflug war sehr fruchtbar«, sage ich und tue so, als würde ich nicht merken, dass sie sauer auf mich ist und als wäre es völlig legitim mit einer vagen Erklärung für ein paar Tage zu verschwinden, ohne sich zwischendurch zu melden.
 

»Tatsächlich? Inwiefern, wenn ich fragen darf?«, will sie kühl wissen und ich räuspere mich. Die Wahrheit würde nicht helfen, deswegen wage ich die Flucht nach vorn und improvisiere das Einzige, was meine Mutter besänftigen kann.

»Ich bin jetzt doch recht sicher, dass ich Informatik studieren möchte.«

Nicht, dass ich mir nicht schon vorher Gedanken darüber gemacht habe. Aber da es kein konkreter Plan war, wollte ich ihn meinen Eltern nicht erzählen. Jetzt brauche ich etwas, um meine Mutter zu besänftigen. Und wenn ich ehrlich bin, hat all das Nichtstun und Nichtwissen mich schon auch ziemlich wahnsinnig gemacht. Wer weiß, ob ich mich jetzt total in die Scheiße reite, indem ich diese großspurige Ansage mache, aber wenigstens lassen meine Eltern mich dann erst einmal in Ruhe.
 

»Ach, tatsächlich?«, entgegnet meine Mutter und sie klingt erstaunt. Schon hab ich sie überlistet und sie hat vor lauter Begeisterung vergessen, sauer auf mich zu sein! Ich bin ein Genie. »Und wie kommt es plötzlich dazu?«

Ich erkläre ausschweifend den nicht wirklich vorhandenen Selbstfindungsprozess, den ich in den letzten Tagen durchgemacht habe und stelle fest, dass ich beinahe Manu Konkurrenz mache. Meine Mutter jedenfalls scheint sehr gerührt zu sein und fragt schlussendlich nur noch einmal nach, wann genau ich denn komme und ab wann sie mich wieder zum Mittagessen einplanen soll. Vielleicht sollte ich statt Informatiker doch Vertreter werden. Wer weiß, was ich Leuten noch alles andrehen könnte.
 

»Informatik?«, erkundigt sich Mo leicht schmunzelnd bei mir, nachdem ich erleichtert aufgeregt habe. Katastrophe abgewendet! Noch mehr Drama und Gefühlschaos hätte ich wirklich nicht ertragen.

»Ja, Informatik. Ich denk schon länger drüber nach und hab mich um eine endgültige Entscheidung gedrückt. Wenn es mir nicht gefällt, kann ich den Studiengang ja noch wechseln«, sage ich schulterzuckend und fahre damit fort, meine kalten Ravioli zu verspeisen.

»Und dann wirst du später Computerspiele programmieren?«, fragt Mo weiter und ich bin kurz erstaunt darüber, dass er weiß, dass ich das cool fände, bis mir die ganze Telepathiesache wieder einfällt. Es ist komisch, wie man diese abgefahrenen Dinge manchmal immer noch vergessen kann.
 

»Hey, so haben wir nicht gewettet! Du solltest Sachen über dich erzählen, du weißt ja sowieso schon alles über mich«, empöre ich mich und Mo sieht tatsächlich ein wenig schuldbewusst aus, so als hätte er wirklich absichtlich versucht, von sich selbst abzulenken. Ich schiebe mir eine weitere Ravioli in den Mund und betrachte Mo abwartend kauend, während ihm schon wieder Röte in die Wangen schießt. Ok, scheiß drauf, er kann meine Gedanken ja nicht lesen: Er ist verdammt niedlich, wenn er rot anläuft. Ich räuspere mich, um vor mir selbst ein kleines Maß an Seriosität zu bewahren.

»Ich weiß nicht, was ich erzählen soll«, erklärt Mo und er klingt ein bisschen kläglich. Ich habe Mitleid mit ihm und grübele kurz.

»Also schön. Wir können mit ein paar einfachen Quizfragen zum Einstieg anfangen. Was ist deine Lieblingsfarbe?«
 

»Hellblau.«
 

»Wieso?«
 

»Äh… weil ich den Himmel gern anschaue?«
 

»Ok. Lieblingsessen?«
 

»Kartoffelpuffer mit Apfelmus.«
 

»Lieblingsband oder Musiker?«
 

»Cat Stevens.«
 

»Wenn du ein Superheld wärst und dir eine übernatürliche Kraft aussuchen könntest, welche würdest du nehmen?«
 

Diesmal denkt Mo lange nach. Ich meine, er hat ja eigentlich schon zwei ziemlich abgefahrene Fähigkeiten, aber mir gefällt die Frage trotzdem.
 

»Alle Sprachen der Welt sprechen wäre ziemlich super. Oder heilen? Ich weiß nicht… fliegen ist sicher auch nicht schlecht…«
 

Ich lausche Mos Überlegungen und frage mich, ob Manu mittlerweile wieder aus seinem Kopf verschwunden ist. Ein paar Tage unterwegs ins Nirgendwo und ich fühle mich wie ein ganz neuer Mensch. Es war wirklich eine krasse Achterbahnfahrt, diese ganze Aktion. Mit einem leichten Ziehen im Magen denke ich an Lars und daran, dass man offenbar nichts tun kann, um Leute vor ihrem eigenen Tod zu bewahren. Mo macht das schon ein Leben lang mit und ich frage ihn nach seinem Lieblingsessen. Aber gut, man muss klein anfangen, auch wenn er mich mit großer Wahrscheinlichkeit fast so in- und auswendig kennt wie Manu.
 

Mo einigt sich schließlich mit sich selbst auf Heilungskräfte, was mir direkt wieder einen kleinen Stich versetzt, weil ich glaube mir vorstellen zu können, wieso er sie gewählt hat. Manus Antwort auf die Frage wäre vermutlich wahlweise »Ich brauch nicht noch eine Superheldenkraft, ich hab ja schon eine.« oder aber sowas wie »Pheromone, Alter!«. Manu ist mein bester Freund und das wird sich nicht ändern, aber es lässt sich nicht leugnen, dass er ein egozentrischer Saftsack ist. Nicht, dass er das nicht selber weiß – oder, dass ich es ihm noch nie gesagt hätte – aber im Vergleich zu Mo und seiner altruistischen Ader fällt es einem direkt noch mehr auf.

»Ok. Auf was für Menschen stehst du?«, frage ich unverfroren und immer noch in dieser merkwürdigen Stimmung, wo ich erschöpft, sauer auf Manu, verspannt, müde und gleichzeitig total zufrieden bin. Vielleicht sollte ich, sobald ich zu Hause angekommen bin, Lena eine SMS schreiben und mich bei ihr für die dramatischen Szenen im Zuge ihres Schlussmachens entschuldigen. Ich bin der König des Dramas, soviel steht fest.
 

Mo ist so dunkelrot im Gesicht, dass ich einen Augenblick lang Angst habe, dass er erstickt und wir einen Autounfall bauen.

»Wieso ist das wichtig?«, fragt er mit leicht krächzender Stimme. Dumpf frage ich mich, wie mir früher niemals auffallen konnte, dass Mo gar kein so unnahbarer Klotz, sondern einfach nur wahnsinnig schüchtern und den Umgang mit Leuten nicht gewohnt ist? Ja, ich kenn die Antwort. Weil ich nachtragend wegen meines toten Kaninchens war. Wenn ich mir das jetzt vor Augen halte, scheint es besonders lächerlich zu sein. Ich muss mich noch mindestens dreihundert Mal bei Mo entschuldigen, dafür, dass ich so ein Horst war.
 

»Weil du auch weißt, auf was für Leute ich so stehe. Ausgleichende Gerechtigkeit!«
 

»Aber ich wusste bis vor kurzem auch noch nicht, dass du vielleicht Männer gut findest!«
 

»Das wusste ich selber auch nicht! Deswegen kann ich dir noch nicht sagen, was für Männer ich vielleicht gut finde!«
 

»Ich hab keinen bestimmten Typ«, murmelt Mo ergeben und starrt sehr konzentriert geradeaus, ohne zu blinzeln. Ich mustere ihn amüsiert.

»Ich höre da ein Aber«, stichele ich und bin doch sehr gespannt, was als nächstes kommt. Mo holt tief Luft und linst für einen Wimpernschlag zu mir herüber.

»Es gibt kein Aber«, nuschelt Mo und wenn er noch leiser wird, verstehe ich ihn bald nicht mehr. Vielleicht sollte ich ihn nicht so bedrängen, aber meine Neugierde ist eindeutig geweckt und ich beobachte interessiert, wie Mo sich am Steuer windet.

»Es macht mir nichts, wenn du auf Männer stehst«, informiere ich ihn probehalber. Mo kaut nervös auf seiner Unterlippe herum.

»Ich weiß noch nicht, ob ich Frauen auch mag«, sagt er schließlich. Ich nicke. Wie bei mir, nur andersrum. Manu ist sehr hetero, das steht zumindest fest. So hetero, wie man nur sein kann. Ich frage mich kurz, wie er darauf reagieren wird, wenn ich irgendwann tatsächlich eine Begeisterung für einen Mann entwickeln sollte…

»Weil ich bislang erst einmal verliebt war. Also, in einen Mann«, fügt Mo hinzu.
 

Ich grinse zufrieden.
 

»Cool. Wer ist der Kerl? Kenn ich ihn?«
 

»Schon.«
 

»Ist es Marc? Der sieht ja schon ziemlich gut aus. Oder irgendwas ganz Abgefahrenes? Euer Postbote womöglich? Oder was Geheimes? Dein ehemaliger Deutschlehrer?«
 

Mo schnaubt entrüstet und ich glaube, ich habe mit meinen wilden Vermutungen die angespannte Atmosphäre etwas aufgelockert. Helau!

»Also, es ist schon geheim. Aber nicht auf dieser Deutschlehrer-Ebene«, erklärt Mo und ich beobachte, wie er erneut seinen Kopf einzieht. Vielleicht kaufe ich ihm eine kleine Stoffschildkröte, wenn wir wieder daheim sind. Ich schiebe mir meine allerletzte Ravioli in den Mund und bedauere, dass die Dose schon leer ist. Aber ich glaube, ich habe noch eine Packung Salzstangen hinten in meiner Reisetasche…
 

»Nun rück schon raus!«, quengele ich und denke darüber nach, wie ich meine leere Dose am besten entsorgen kann, ohne Tomatensoße überall im Auto zu verteilen.
 

»Versprich mir, dass du nicht aus dem fahrenden Wagen springst«, verlangt Mo. Ach herrje! Wie schlimm kann die Enthüllung denn sein?

»Versprochen«, entgegne ich und lege mir zur Untermalung meiner Worte die Hand aufs Herz, was Mos Mundwinkel zum Zucken bringt.

»Ok…«, murmelt Mo und holt tief Luft.
 

»Also, wer ist er?«
 

Ich halte auf keinen Fall vor Aufregung die Luft an. Würd ich nie tun.
 

»Du.«



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  SessyFuchs
2014-02-13T22:10:38+00:00 13.02.2014 23:10
Ich wusste, dass ich Fangirlen werde und ich tu genau das gerade ohne Scham. Ich grinse, ich quietsche, ich wedle mir Luft mir meinen Händen zu. Meine Katze ist ganz irritiertund ich glaube meine Mitbewohnerin ist davon auch etwas befremdet, aber mir ist das egal, weil ich das Kapitelende einfach nur Zucker finde! Und nicht normalen Zucker, sondern Traubenzucker. Weil der nämlich viel schneller ins Blut geht.
Jetzt bin ich au einem Zuckerhigh, weil mentaler Zucker auf mich die gleiche Auswirkung hat wie realer Zucker. ich bin voller Energie und kann nicht still bleiben.
lg
sessy
Von:  MiuAyumi
2014-02-13T18:10:25+00:00 13.02.2014 19:10
wuaaaaaa T/////T wie schaffst du es nur immer diese gefühle in einem hervorzurufen? Gott alles so zucker in diesem Kapitel! Mo ist einfach so...gnaaaaaaaaaah QAQ dieser wandel ist so toll TAT und nachvollziehbar! xD und das ende war so... dokidoki. *u* du schaffst es immer wieder... du hasts so drauf QAQ ich liebe deine geschichten!
Von:  MoonlightWhisper
2014-02-13T16:12:27+00:00 13.02.2014 17:12
Ich finde die Geschichte so süß ^^
Ich konnte bis zu dem 'Du' nicht aufhören zu grinsen :)
Die Idee ist originell und as mag ich sehr
Hoffentlich kann ich bald mehr lesen von den Beiden
Von: abgemeldet
2014-02-13T11:19:56+00:00 13.02.2014 12:19
ahhh wie kann man denn an so einer stelle das kapitel beenden? :D ist ja schrecklich!! schrecklich süß! ich habs ja schon geahnt :) jetzt bin ich natürlich doppelt neugierig was als nächstes passiert :)
LG
Von: Karma
2014-02-13T11:17:19+00:00 13.02.2014 12:17
Dieses »Du.« hab ich zwar so ziemlich ab der Umarmung im Nieselregen (wie süß! *___*) kommen sehen, aber es tat dem Quietschfaktor des Kapitels keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil. Ich kann jetzt nicht anders als selig zu lächeln - was gut ist, weil mein Tag recht bescheiden angefangen hat und dieses Kapitel meine Stimmung sehr verbessert. Danke also dafür!
Von:  Seto
2014-02-12T22:51:04+00:00 12.02.2014 23:51
Kommentar Anfang

Mo ist so süß!!!!!!!

Kommentar Ende

ps. und den Manu habe ich ganz anders eingeschätzt und bin jetzt froh das er einfach abgehauen ist, so macht er den Mo ganz doll glücklich <3


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