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So finster wie die Nacht

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Sorry, dass das Kapitel so lange gebraucht hat. Es gab gewisse Schreibblockaden und ich kann nicht versprechen, dass diese verschwunden sind. Aber ich wollte euch auch nicht länger warten lassen. Komplett anzeigen

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Ein Licht in dunkler Nacht

So finster wie die Nacht
 

Kapitel 1

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Ein Licht in dunkler Nacht
 

Ryan zog die Tür hinter sich zu, doch sogleich bereute er es die heimelig warme Buchhandlung verlassen zu haben, in der er momentan jobbte. Warum musste er auch in einem Land leben, in dem es durchschnittlich an jedem dritten Tag regnete? Er blieb unter dem Unterstand stehen und stellte den Kragen seines Mantels hoch. Er musste wohl oder übel los, um seinen jüngeren Halbbruder von der Schule abzuholen.

Bitte lass wenigstens den Wagen anspringen, betete Ryan und sauste dann durch den Regen zu seinem Auto. Als er hinter dem Steuer saß, waren seine braunen Haare bereits pitschnass. Ungeachtet dessen ging wenigstens sein Wunsch in Erfüllung und so stand er keine Viertelstunde später vor Jasons Highschool.

Die Schule sah – jedenfalls Ryans Meinung nach – aus, wie ein altes englisches Spukschloss. Andere hätten vielleicht elitär dazu gesagt. Ryan konnte das ziemlich egal sein, denn sein Vater zahlte das Schulgeld. Er selbst hätte mit seinem mageren Aushilfsgehalt das Ganze auch kaum finanzieren können.

Während er wartete, befand er sich Auge in Auge mit dem ehemaligen Schulleiter. Na ja, besser gesagt mit dessen Skulptur. Trotzdem fühlte er sich beobachtet. Umso erleichterter war er, als sein Bruder endlich auftauchte. Gerade noch rechtzeitig konnte er das kleine Päckchen in Sicherheit bringen, das er zuvor auf dem Beifahrersitz deponiert hatte. An eben jener Stelle nahm nun Jason platz und schüttelte sich.

„Was für ein mieses Wetter.“ Jason verzog das Gesicht, doch seine grünen Augen funkelten amüsiert. Jene Augen waren die deutlichste Gemeinsamkeit der zwei Brüder, jedenfalls bis jetzt. Ryan war 25, Jason 17 Jahre alt.

„Das kannst du laut sagen“, pflichtete Ryan ihm bei. Er versuchte den Wagen zu starten. Einmal, zweimal, beim dritten mal klappte es dann schließlich.

Jason musterte Ryan von der Seite. „Zu dir oder zu ihr?“, fragte er nach einer Weile.

Ryan besaß genug Anstand um verlegen zu werden. „Zu ihr“, entgegnete er. „Ich hatte nicht genug Zeit zum Einkaufen.“

Jason lachte. „Die Ausrede habe ich schon mal gehört.“
 

Obwohl sie seit fast einem Jahr kein Paar mehr waren, verbrachte Ryan noch immer mehr Zeit in Junes Wohnung, als in seiner eigenen. Kein Wunder, denn diese war größer, besser isoliert und der Kühlschrank war selten leer.

Als es an der Tür klopfte, ahnte June schon, dass es mit dem ruhigen Abend vorbei war. Sie schloss auf und lehnte sich in den Rahmen. „Warum überrascht es mich nicht euch hier zu sehen?“

Ryan ging nicht weiter auf die Frage ein, die ohnehin rhetorisch gemeint war. Stattdessen umarmte er seine Ex-Freundin kurz. „Du siehst bezaubernd aus.“

„Netter Versuch.“ Dennoch trat sie einen Schritt beiseite und ließ die zwei hinein.

June hatte haselnussbraune Augen, braunes Haar und klassische Gesichtszüge. Sie trug ein schlichtes, rotes Etuikleid, war aber barfüßig.

„Wolltest du noch ausgehen?“ Jason mochte June, weil sie so unkompliziert war. Insgeheim wünschte er sich sogar, sie würde wieder mit seinem Bruder zusammen kommen und ihm vielleicht ein paar seiner Flausen austreiben.

„Nein, ich war vorhin bei meinem Verleger und hatte noch keine Zeit mich umzuziehen“, antwortete June und ging in die Küche. „Wollt ihr zwei was essen?“

„Du kannst Gedanken lesen“, freute sich Ryan, während er seinen Mantel zum Trocknen aufhing.

„Das war nicht schwer zu erraten.“ June blickte über ihre Schulter hinweg und schmunzelte. „Was macht der Job?“

„Na ja, was soll ich sagen.“ Ryan zuckte mit den Schultern. „Ich habe ihn noch.“

„Schön zu hören.“ Da June gerade in einem der unteren Schränke nach einem Kochtopf suchte, bemerkte sie zunächst nicht, dass Ryan hinter sie getreten war. Infolgedessen zuckte sie überrascht zusammen, als sie ihn nun dort stehen sah.

„Apropos“, meinte Ryan und grinste breit. „Ich habe ein Geschenk für dich.“

June förderte ein augenscheinlich altes Buch zutage, welches Ryan zuvor in Packpapier eingeschlagen hatte. „Dracula?“

„Ja, du hast doch gesagt, du würdest das Buch gerne mal lesen.“ Ryan wirkte beinah ein bisschen verlegen, als er sah, dass sie sich darüber freute. Um sich das nicht anmerken zu lassen, plapperte er einfach weiter. „Ich wollte dir eine besondere Ausgaben schenken. Fast hätte ich die Suche aufgegeben, aber dann hat mir einer unserer Kunden sein Exemplar verkauft. Ob du es glaubst oder nicht, der Kerl sah selbst so aus, wie Bram Stoker.“

June lachte. „Nur, dass der seit fast 100 Jahren tot ist.“ Sie küsste ihn auf die Wange. „Vielen Dank!“

Jason gesellte sich zu den beiden und schaute June über die Schulter. „Hey, cool! Liest du so was?“

„Anscheinend schon“, gab June lächelnd zurück.

Jason dachte nach. „Stellt euch mal vor, es würde Vampire wirklich geben.“

„Die gibt es. Mein Chef ist beispielsweise ein Blutsauger“, sagte Ryan.

Belustigt rollte Jason mit den Augen. „Daran zweifle ich keine Sekunde, aber von solchen Blutsaugern war nicht die Rede.“
 

Die Nacht war kalt und sternenklar. Keine einzige Wolke war am Himmel zu sehen und die silbernen Strahlen des Mondes erhellten die Umgebung.

Auf der Straße waren nur noch wenige Autos unterwegs, die meisten Leute waren schon daheim und sicherlich war der Großteil der Menschen dieser Stadt schon längst am Schlafen.

Jetzt, wo die Tage langsam wieder kürzer wurden und die Nächte sehr kalt, wurde es immer schwieriger, offene Fenster zu finden, durch die man in eine fremde Wohnung oder ein Haus einsteigen konnte.

Doch Mona störte das weniger. Sie hatte eh keinen großen Spaß daran, irgendwo einzubrechen und sich ein Opfer zu suchen. Es war eher eine Notwendigkeit, denn sie brauchte Blut, um zu überleben. Menschliches Blut.

Ihre langen, lockigen schwarzen Haare hatte sie sich sorgfältig hochgesteckt, damit sie nicht störten und so konnte das Mondlicht ungehindert auf ihr schönes, bleiches Gesicht fallen, während sie mit ihren dunkelroten Augen nach einer Gelegenheit suchte, um an ihre Nahrung zu kommen.

Ihre Suche dauerte in dieser Nacht besonders lange, irgendwie hatte sie es diesmal einfach noch nicht fertig gebracht, jemanden zu töten. Mona tötete nicht gern, eigentlich hasste sie es sogar, obwohl es in ihrer Natur lag, denn sie war ein Vampir.

Töten gehörte nicht unbedingt zwangsläufig dazu, wenn man einem Menschen das Blut aussaugte, aber bisher hatte es die Vampirin einfach nicht geschafft, ihren Durst genügend zu Stillen, bevor das Opfer sein Leben aushauchte.

„Wie lange willst du denn noch suchen?“, fragte eine genervte Stimme plötzlich neben ihr und Mona verdrehte die Augen.

„Lass mich in Ruhe, Katherine!“

„Du bist schon seit Stunden unterwegs. Ich habe noch nie jemanden von unserer Art getroffen, der dermaßen lang gebraucht hat“, feixte Katherine jedoch weiter.

„Verfolgst du mich etwa wieder?“ Mona hasste es, wenn die andere Vampirin das tat.

Ein böses Kichern war die einzige Antwort, die Mona bekam.

Natürlich verfolgte Katherine sie. Das tat sie nur zu gerne, nur um jeden noch so kleinen Verstoß gegen ihre Gebote gleich den Oberen zu melden und sie zu triezen.

Das ging bereits seit mehr als hundert Jahre so, genau genommen eigentlich seit dem Zeitpunkt, als die jüngere Vampirin zum Orden stieß.

Mona schüttelte ihren Kopf, um die lästigen Gedanken an die damalige Zeit abzuschütteln. Sie wollte sich nicht daran erinnern, was damals geschah. Es tat einfach zu sehr weh.

Stattdessen konzentrierte sie sich auf das Hier und Jetzt. Außerdem gab es noch ein weiteres Hindernis, das ihre Suche erheblich erschwerte. Sie konnte ein bewohntes Gebäude nur dann betreten, wenn sie dazu aufgefordert wurde. Im Laufe der Jahre hatten die Vampire allerdings bemerkt, dass diese Bedingung vielfältig interpretiert werden konnte. Zu guter Letzt fand Mona ein mehrstöckiges Mietshaus, vor dessen Eingang eine Fußmatte mit der Aufschrift „Herzlich Willkommen“ lag.

„Oh, endlich“, flüsterte die Schwarzhaarige und blickte zu einem offenen Fenster hinauf.

Sie raffte den Saum ihres schwarzen Samtkleides ein wenig, um ihre Landung leichter zu machen. Mona liebte zwar das Fliegen, das ihr mit dem Vampirumhang möglich war, aber mit Landungen auf Fenstersimsen hatte sie es nicht so.

Diesmal jedoch gelang ihr eine sanfte Landung und vorsichtig spähte sie in den dunklen Raum, der vor ihr lag, die stechenden Blicke Katherines im Nacken spürend.

Die fremde Wohnung lag ruhig und friedlich vor ihr und sie war sich sicher, dass die Bewohner bereits zu Bett gegangen waren. Obwohl sie es nicht gern tat, schlich sie zum Bett und wollte ihr Werk verrichten.
 

„Du bist noch hier?“

Eve drehte sich nicht um. Stattdessen blickte sie in die finstere Tiefe unter ihren Füßen hinab. Sie mochte hoch gelegene Orte. Besonders der gut 50 Meter hohe Uhrenturm des Anwesens hatte es ihr angetan.

Es gab einen simplen Grund dafür, dass sich Vampire gerne auf alten Landsitzen aufhielten. Meistens befanden sich diese schon seit ewigen Zeiten im Besitz der Familie, sie lagen abseits von Städten und niemand wunderte sich, wenn die Fenster stets mit schweren Vorhängen verdeckt waren. Es gab durchaus den ein oder anderen Vampir, der ein modernes Loft bevorzugte, aber diese waren deutlich in der Unterzahl. Untote hatten gerne ihre Ruhe.

Da seine Frage realistisch gesehen keiner Antwort bedurfte, wartete Lionel auch nicht darauf. Er reichte Eve seine Hand. „Sei so gut und komm da runter“, bat er.

Eve zögerte einen Moment, legte dann aber doch vertrauensvoll ihre Hand in seine.

„Du wolltest Mona also nicht begleiten?“, erkundigte sich Lionel.

„Nein.“ In der Dunkelheit konnte man nur Eves kornblumenblaue Augen erkennen, die von rabenschwarzen Locken halb verdeckt waren.

Nein, natürlich nicht, dachte Lionel. Eve hasste es Menschen beim Sterben zuzusehen. Vielleicht auch deswegen, weil sie sich selbst nicht daran erinnern konnte, wie sie gestorben war. Auch waren ihre Erinnerungen an ein Leben als Vampir nur bruchstückhaft. Erst seit ihrem Eintritt in den Orden der Ewigen Nacht funktionierte ihr Gedächtnis wieder.

Vampire waren in Orden zusammengefasst – als eine Familie, die ihre eigenen Gesetze hatte. Außerhalb einer solchen Gemeinschaft waren die Chancen auf ein Überleben im Laufe der Jahrhunderte immer schwieriger geworden. Sie waren Wesen, die von Natur aus zu Niedertracht neigten, doch wer würde es schon wagen sich gegen einen der Oberen – sie waren die Ältesten und Mächtigsten unter ihnen – zu richten? Aus diesem Grund funktionierte das System. Jedenfalls tat es das bisher.

„Es ist eine merkwürdige Nacht“, sagte Eve unvermittelt.

„Ist sie das?“

„Ja.“ Eve klang selbst ein wenig skeptisch, so als wüsste sie nicht, was sie zu dieser Aussage getrieben hatte. „Als würde der Wind eine Geschichte erzählen.“ Sie lächelte, was selten vorkam, und schüttelte dann den Kopf. „Was für einen sentimentalen Unsinn ich doch manchmal rede. Meine Nerven sind überspannt, weil ich mir Sorgen mache. Verzeih.“

Eve ging an Lionel vorbei, zurück ins Innere des Gebäudes. Das kuppelüberwölbte Treppenhaus lag im Halbschatten des Mondlichts. Das Anwesen erstreckte nahezu verlassen vor ihr. Der Großteil der Ordensmitglieder war in der Stadt auf Nahrungssuche.

Lionel folgte Eve mit einigem Abstand.

Irgendwann hatte Eve damit aufgehört ihn zu fragen, warum so häufig in ihrer Nähe war und es einfach hingenommen. Das war besser, als das Alleinsein.

Lionels Blick fiel durch eines der Seitenfenster.

„Möglicherweise hast du recht“, murmelte er. „Es ist eine merkwürdige Nacht.“
 

Ryan wurde von einem Schrei geweckt. Er brauchte etwa zehn Sekunden um folgende Dinge zu realisieren: Er war noch immer in Junes Wohnung. Vermutlich irgendwann auf dem Sofa eingedöst. Es war Nacht. Und – diejenige, die geschrien hatte, war June. Ryan kam so schnell auf die Beine, dass er fast stürzte. In Windeseile lief er zu Junes Schlafzimmer und riss die Tür auf. Die Dunkelheit machte es verdammt schwer etwas Genaues zu erkennen, aber jemand war June verdammt nah. Es genügte Ryan dies zu wissen. Wer auch immer seine Ex-Freundin festhielt, Ryan war bereit ihm oder ihr einen Schlag zu verpassen. Jedoch bestand dazu keine Notwendigkeit mehr. Ryan bekam eine Hand zu fassen und sogleich zog der Eindringling diese zurück, als hätte er sich verbrannt. Das Eigenartige daran war, dass Ryan tatsächlich das Gefühl hatte, die Person hätte sich verbrannt, was eigentlich nicht möglich war. Das Letzte, was er hörte, war eine Art Fauchen, dann war plötzlich alles still. Jedenfalls solange, bis Jason verschlafen das Zimmer betrat und das Licht anschaltete.

„Störe ich euch bei etwas?“, fragte der Junge gähnend, der zuvor seelenruhig auf der Couch in Junes Arbeitszimmer geschlafen hatte.

„Sehr witzig“, knurrte Ryan. „Hier ist jemand eingebrochen.“

Jason zog die Augenbrauen zusammen. „Hast du gestern Abend zu viel getrunken? Hier ist niemand.“

Ryan sah sich um. Der Einbrecher war tatsächlich verschwunden. „Er war hier“, beharrte er dennoch.

Schulterzuckend trat Jason an das offene Fenster. „Wer auch immer hier hinein gekommen ist, der kann entweder fliegen oder verdammt gut klettern.“

Besorgt wandte sich Ryan June zu und streichelte ihr über die weichen, braunen Haare. „Bei dir alles okay?“

„Ja, ich denke schon.“ June wirkte mitgenommen, war aber glücklicherweise nicht der Typ, der bei so etwas völlig aufgelöst in Tränen ausbrach.

„Du blutest!“ Jasons Müdigkeit war, wie weggefegt und nun war auch er besorgt.

June legte eine Hand an ihren Hals. Dort war ein kleiner Schnitt zu spüren. „Vermutlich hat mich des Einbrecher gekratzt, als er überrascht wurde.“

„Ja, vermutlich.“ Ryan klang wie betäubt. Er starrte das Fenster an. June wohnte in im vierten Stock und auf dieser Seite des Hauses gab es keine Feuerleitern...
 

Fortsetzung folgt...

Vampirgeruch

So finster wie die Nacht
 

Kapitel 2

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Vampirgeruch
 


 

„Verdammt!“

Monas Laune hatte einen Tiefpunkt erreicht, zu dem sie vor einer halben Ewigkeit zuletzt gekommen war. Sie rieb sich die schmerzende Stelle an ihrem Arm und bemerkte mit wütendem Blick, dass der Sonnenaufgang nicht mehr allzu lang auf sich warten lassen würde. Sie musste zum Anwesen des Ordens zurückkehren, wenn sie nicht zu Staub zerfallen wollte und natürlich passte es ihr gar nicht, dass Katherine sie dabei wohl begleiten würde.

„Du siehst nicht aus, als wärst du sonderlich erfolgreich gewesen“, vernahm sie die Stimme der verhassten Person sogleich.

Mona rollte mit den Augen, als sie zu Katherine aufblickte, die über ihr in der Luft schwebte.

„Halt die Klappe!“, fuhr die Schwarzhaarige die andere Vampirin an.

„Unhöflich wie eh und je“, gab Katherine zurück, doch Mona ließ sich nicht zu einer weiteren Bemerkung hinreißen.

Sie besah sich lieber die Wunde, die sie davongetragen hatte, als dieser Mann sie berührt hatte.

Ihre Haut sah aus, als wäre sie verbrannt worden, wenn auch nicht sonderlich schlimm. Aber obwohl sie normalerweise über gute und schnelle Selbstheilungskräfte verfügte, machte diese Brandverletzung keine Anstalten, sich zu schließen und der Schmerz war nach wie vor noch nicht abgeklungen. Es war fast so, als wäre sie mit Silber in Berührung gekommen, aber sie war sich sicher gewesen, dass der Fremde sie nur mit der bloßen Hand berührt hatte.

Wie konnte das sein?

Diese Frage schoss der Vampirin durch den Kopf, während sie zielstrebig auf das Anwesen zusteuerte.

Nach einiger Zeit landete sie auf dem Fenstersims ihres eigenen Zimmers und ließ Katherine damit hinter sich, die zweifellos nicht mehr die Zeit haben würde, sie sogar bis in ihre eigenen Räumlichkeiten zu verfolgen, denn es dämmerte bereits und die Sonne würde ihrem Treiben ein Ende machen.

„Gerade noch geschafft“, seufzte Mona und ihr Blick fiel auf ihren verletzten Arm.

Das war eine merkwürdige Nacht gewesen, und die Vampirin hatte ihren Durst noch immer nicht stillen können, was ihr gewiss einige Probleme bereiten würde, denn sie hatte den Blutdurst schon viel zu lange ignoriert.

Resigniert zog Mona den schwarzen Vorhang vor ihr Fenster und kroch dann erschöpft in ihr Bett.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Vampiren bevorzugte die Schwarzhaarige ein richtiges Bett und vermied es, wenn möglich, in ihrem Sarg zu schlafen.

Manch einer hielt sie deshalb für sehr leichtsinnig, denn ein einziger Sonnenstrahl würde schon reichen, um sie zu verbrennen. Aber Mona hatte einige Maßnahmen zu ihrem Schutz getroffen, so würde der schwarze Vorhang ihres Himmelbettes sie ganz sicher vor der Sonne bewahren.

Die Vampirin mochte ihr Bett und so ist es auch nicht verwunderlich, dass sie beinahe sofort einschlief, als sie sich erst mal hineinbegeben hatte.
 

An Schlaf war nicht mehr zu denken gewesen, nachdem sie den vermeintlichen Einbrecher in die Flucht geschlagen hatten. Sie waren einfach alle drei viel zu aufgewühlt und da es auch bereits früher Morgen war, hatten June, Jason und Ryan beschlossen, einfach gleich wach zu bleiben.

Ryan ging der Gedanke nicht aus dem Kopf, wie der Einbrecher es überhaupt in die Wohnung von June geschafft hatte.

Weder an der Eingangstür, noch sonst wo waren Einbruchsspuren zu sehen und gestohlen worden war auch nichts.

Aber vor allem quälte den Braunhaarigen die Frage, wie der Einbrecher so schnell und gezielt fliehen konnte, ohne Krach zu machen oder Spuren zu hinterlassen.

Lediglich ein langes, schwarzes lockiges Haar hatte er gefunden. Er hatte es auf Junes heller Bettwäsche gesehen und eingesammelt, davon jedoch keinen Ton zu June oder Jason gesagt.

Denn dieses lange Haar, so dachte Ryan, ließe vielleicht auf eine Frau als Täterin schließen.

Unklar war nur, was sie wollte, denn immerhin fehlte ja nichts und das war es, was Ryan die ganze Zeit so stutzig machte. So wollte er nun erst mal seinen Gedanken nachgehen und logische Schlussfolgerungen ziehen, bis er etwas zu June oder Jason sagte.

Denn zu seinem Leidwesen zweifelte Jason ein wenig an, dass überhaupt jemand dagewesen war. Es erschien einfach unmöglich, durch ein Fenster des vierten Stocks zu gelangen und so hatte Jason die Vermutung geäußert, June könne vielleicht auch einfach einen schlechten Traum gehabt haben.

Als die Tür klappte, schob Ryan seine Gedanken erst mal beiseite und er ging in die Küche, wo Jason gerade die frischen Brötchen vom Bäcker auf den gedeckten Tisch stellte.
 

„Da, er hat wieder ein Tor geschossen!“

„Ja, ich weiß, er ist ein toller Hecht. Aber er wird dich trotzdem nie beachten“, seufzte Jessica, die mit ihrer besten Freundin Lilian am Rande des Fußballfeldes der Schule stand und das Trainingsspiel der Schulmannschaft gemeinsam mit ihr beobachtete.

„Sei nicht so gemein!“, fauchte Lilian, die eben noch quietschvergnügt den Spielverlauf verfolgt hatte und ihrer Freundin nun einen bösen Blick zuwarf.

Sie wusste ja selber, dass der Star des Fussballclubs sie bisher noch keines Blickes gewürdigt hatte, und dass, obwohl er sogar in ihre Klasse ging. Dennoch kam sie jeden Morgen, wenn Training war, zum Fußballplatz und beobachtete ihn beim Spielen.

„Sorry, aber ich mag eigentlich nicht gern jeden Morgen früh aufstehen, nur um den Jungs beim Spielen zuzusehen...“, sagte Jessica entschuldigend.

„Schon ok. Du musst ja nicht immer mitkommen“, meinte Lilian, aber Jessica wiedersprach sofort. „Doch, muss ich, sonst quietschst du mir die Ohren am Handy voll....“

„Upsi“, gab Lilian verlegen zurück und wusste genau, dass ihre Freundin Recht hatte.

Das Trainingsspiel war just in dem Moment zu Ende und die Mannschaft ihres Schwarms Jason hatte natürlich gewonnen, wie so oft.

Lilian freute sich unendlich und war gleichzeitig ein wenig traurig, denn sie wusste, dass er von ihr wohl auch diesmal keine Notiz nehmen würde.

Sie fragte sich, ob das an ihrem Äußeren lag. Ihre weißblonden Haare waren hüftlang und glatt, sie fielen ihr, wie sie fand, wie Spaghetti vom Kopf, weswegen sie auch gern einen Zopf trug. Ihre hellbraunen Augen waren wohl eher unscheinbar und mit ihrer Größe von nur 1,56m konnte man sie ja auch mal schnell übersehen, wo sie doch zusätzlich sehr schmal und dünn war. Sie verzichtete auf Make-up, weil sie fand, dass das nicht zu ihrer blassen Haut passte und ihre Schuluniform saß immer tadellos – nicht, wie bei anderen Mädchen, die den Rock gern mal etwas kürzer trugen, als er eigentlich sein durfte.

Ihre Noten in der Schule waren durchaus gut, sie gab ihren Eltern nie Grund zur Besorgnis.

Und doch war Lilian anders als andere, auch wenn das niemand wissen durfte.

Sie war eine Hexe. Ganz ohne Warzen und andere Klischees, aber dennoch eine Hexe.

Sie konnte mit reiner Willenskraft Gegenstände bewegen und noch ein paar andere Sachen bewerkstelligen, aber das musste natürlich geheim bleiben.

Auch ihre Mutter gehörte dem Zirkel der Hexen an und so hatte Lilian ihre Kraft geerbt.

Es fiel der jungen Schülerin schwer, nicht mit ihren Fähigkeiten anzugeben, um Jason, den tollen Fußballer, auf sich aufmerksam zu machen oder sich damit anderweitig beliebt zu machen. Aber sie wusste, dass ihre Kräfte niemals publik werden durften.

Nicht mal Jessica wusste davon, dabei hätte sich Lilian so gern jemanden gewünscht, mit dem sie hätte reden können – außer ihrer Mutter.

Im Zirkel der Hexen Englands gab es keine weiteren jungen Mädchen, alle anderen Mitglieder waren um so vieles älter als sie und ein bisschen fühlte sie sich verloren, wenn sie zu den Treffen gehen musste.

Als es zur ersten Stunde läutete, schob sie ihre Gedanken über ihre Kräfte einfach beiseite, wie so oft, und ging mit Jessica in ihren Klassenraum.

Wie der Zufall es wollte, ging Jason nur wenige Schritte vor ihr her und Lilian meinte beinahe, dass ihren wilden Herzschlag jeder in der Nähe hören können müsste.

Doch dann nahm sie etwas wahr, dass sie erschrecken ließ.

„Vampirgeruch“, murmelte sie, nicht hörbar für andere. „An Jason ist Vampirgeruch.“

Ihre Augen verfärbten sich von hellbraun zu gelbgold, bevor sie vor Schrecken das Bewusstsein verlor.
 

Fortsetzung folgt....

Der Duft der Vergangenheit

Kapitel 3

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Der Duft der Vergangenheit
 


 

„Na, alles wieder klar bei dir?“

Gedämpft drang eine Stimme an Lilians Ohr, dann riss sie die Augen auf und setzte sich gerade hin. Ein Fehler, denn die plötzliche Helligkeit verursachte erstmal Orientierungslosigkeit bei ihr. Langsam erkannte sie, dass sie auf einem Bett saß. Ihr gegenüber stand Jason und schaute sie mit dem Anflug eines Lächelns an.

Jason, nur dieser Name spukte in Lilians Kopf herum. Er musste sie in das Krankenzimmer der Highschool gebracht haben. Warum musste sie auch unbedingt wenige Meter hinter ihm umkippen?! Erst jetzt erinnerte sich Lilian wieder daran, warum es überhaupt soweit gekommen war. Der Vampirgeruch! Sie stellte fest, dass es erträglicher wurde, wenn man sich daran gewöhnte. Allerdings hatte sie keine Ahnung, warum dieser Geruch überhaupt an Jason haftete, denn dieser war zweifellos ein Mensch.

„Alles wieder klar bei dir?“, wiederholte Jason seine Frage, weil er glaubte, Lilian habe ihn beim ersten Mal nicht verstanden.

Seine arglosen grünen Augen blickten Lilian so neugierig an, dass sie für einen kurzen Moment vergaß zu atmen. „Äh... ja, alles bestens“, antwortete sie unsicher.

„Das freut mich.“ Jasons Lächeln wurde breiter und er entblößte dabei zwei Reihen strahlend weißer Zähne – als wäre er geradewegs einer Werbung für Zahncreme entsprungen.

Lilian wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Hey, warst du in letzter Zeit mal mit einem Vampir zusammen? Nein, das konnte sie unmöglich fragen. Er würde sie mit Sicherheit für verrückt halten. Wahrscheinlich sogar zu Recht. Sie entschloss sich stattdessen dazu, das anzusprechen, was am nächsten lag. „Wie lange war ich ohnmächtig?“

„Eine gute halbe Stunde.“ Jason lehnte sich entspannt zurück gegen die Wand. „Ich konnte Mathe deswegen sausen lassen. Jetzt lohnt es sich nicht mehr hinzugehen.“

Nun war Lilian endlich mit ihrem Schwarm allein und sie hatte keinen blassen Schimmer davon, wie sie ein Gespräch mit ihm anfangen sollte. Sie hätte heulen können. Und dann war da ja auch noch die Sache mit dem Vampir.

„Hast du das öfter?“, erkundigte sich Jason derweil.

„Nein, normalerweise nicht.“ Okay, das klappte doch ganz gut.

„Ich habe mich ganz schön erschrocken, als du ohne Vorwarnung umgekippt bist. Hast du dir den Kopf auch nicht angeschlagen?“

Wie auf Befehl fasste sich Lilian an den Kopf. „Alles noch heil.“ Sie probierte vorsichtig zu lächeln. „Ich habe einen Dickschädel, sagt meine Mutter immer.“

Jason lachte. „Das sagt mein Bruder mir auch immer. Dabei ist er selbst nicht besser.“ Er schaute zur Wanduhr hinüber. „Ist es okay, wenn ich dich jetzt allein lasse? Wenn ich Chemie auch noch schwänze, bekommt Mr. Greene bestimmt wieder einen seiner berühmten Anfälle.“

„Sicher, geh nur.“ Was hätte Lilian auch sonst sagen sollen?

Jason wandte sich zur Tür, doch kurz bevor er den Raum endgültig verließ, fiel Lilian noch etwas ein. „Dein Fußballspiel heute... du warst klasse!“

Ein letztes Mal schaute sich Jason um und zog einen Mundwinkel nach oben. „Bis bald, Lilian!“

Zum Glück konnte er nicht mehr sehen, wie Lilian ihm mit mit offenem Mund nachstarrte. Er kennt meinen Namen, dachte sie. Seufzend ließ sie sich in das Kopfkissen zurückfallen, das vor Jahren vielleicht einmal weich gewesen war. Wie Wellen brachen die Gedanken über ihrem Kopf zusammen, kaum dass sie allein war. Wann war Jason mit einem Vampir in Kontakt gekommen? Oder bildete sich Lilian das alles nur ein? Nein, ausgeschlossen. Ein so starkes Gefühl konnte man sich nicht einbilden. Aber bedeutete das, dass Jason sich in Gefahr befand? Und wo zum Geier war eigentlich ihre Freundin Jessica? Diese hätte hier sein sollen. Durch Zufall fiel Lilians Blick auf ihr Handy. Eine ungelesene Nachricht.

„Hab dich mit Jason allein gelassen. Versau deine Chance nicht. ;) Jessica.“

Am liebsten hätte Lilian das Handy gegen die Wand geworfen.
 

„Okay, erkläre es mir noch mal“, seufzte Jessica. „Warum sind wie jetzt unter die Stalker gegangen und verfolgen Jason?“

Lilian legte einen Finger an die Lippen zum Zeichen, dass sie leiser sprechen sollte. „Ich habe dich nicht gebeten mitzukommen. Du bist mir einfach gefolgt“, stellte sie klar.

Jessica machte eine vage Handbewegung. „Irgendwer muss dich ja im Auge behalten. Seit du umgekippt bist, verhältst du dich – selbst für deine Verhältnisse – eigenartig.“

„Vielen Dank auch“, gab Lilian sarkastisch zurück. Dann schwieg sie. Sie konnte Jessica sowieso nicht erklären, was es mit dieser Aktion auf sich hatte. Die Neugier hatte die junge Hexe gepackt. Sie wollte unbedingt herausfinden, was es mit dem Vampirgeruch auf sich hatte. Sie spähte um eine Ecke. Von hier aus konnte sie Jason gut sehen. Er stand an der Eingangspforte und schien auf jemanden zu warten.

„Mir ist das zu blöd“, brummte Jessica nach einer Weile. Ihre Geduld war schnell strapaziert. „Ich gehe jetzt nach Hause. Ruf mich an, wenn du wieder normal bist.“

Lilian murmelte eine halbherzige Verabschiedung und schaute dann zum Eingang zurück.

Fünf Minuten später hielt ein Wagen direkt vor Jason. Soweit Lilian es erkennen konnte, saß eine Frau darin. Sie musste näher heran.
 

Jason zog sich die Kopfhörer seines iPods aus den Ohren und beugte sich zu dem offenen Wagenfenster. „June? Bist du jetzt neuerdings mein Fahrservice?“ Er grinste.

June lehnte sich mit dem Oberkörper ein Stück weit vor, um ihn besser ansehen zu können. „Eine Ausnahme. Ryan rief mich an und bat mich dich abzuholen, weil er für einen kranken Kollegen einspringen musste.“

Das war ungewöhnlich. Normalerweise schrieb Ryan in solchen Fällen eine SMS mit dem Inhalt: „Es wird später. Nimm den Bus.“ Jason störte sich nicht weiter daran. Draußen war es viel zu ungemütlich, als dass er Junes Angebot ernsthaft hätte ablehnen wollen. Er öffnete die Tür und nahm auf dem Beifahrersitz Platz.

„Ryan hat zwar angeboten, sich um das Abendessen zu kümmern, aber um ehrlich zu sein hatte ich keine Lust auf den Kram vom Lieferservice“, erzählte June, wobei sie mit den Augen rollte. „Wir müssen also noch kurz einkaufen.“

Jason verkniff sich einen vorwitzigen Kommentar und nickte stattdessen bloß. „Kein Problem.“ Er fand es immer wieder erstaunlich, dass June und Jason sich aufführten, wie ein altes Ehepaar, aber nicht mehr zusammen waren. Andererseits konnte er gut verstehen, warum June die Nase voll hatte von Ryans Unzuverlässigkeit.

Als sie abfuhren, bemerkte Jason nicht das Mädchen, das ihnen nachblickte.

Da sie sich unbeobachtet fühlte, hatte Lilian ihren ganzen Mut zusammen genommen und war neben die Eingangspforte getreten.

Diese Frau... der Vampirgeruch haftet auch an ihr, dachte Lilian erschrocken.
 

Es war bereits dunkel, als Ryan endlich bei Junes Wohnung ankam. Er zog sich nicht mal den Mantel aus, sondern ließ sich gähnend auf das Sofa fallen. „Was für ein langer Tag“, murrte er leise. „Wenn die dunkle Jahreszeit bevorsteht kommen die Verrückten aus ihren Löchern gekrochen.“

„Das sagst du auch im Sommer. Da behauptest du nämlich immer, dass die Leute die Sonne nicht vertragen“, wandte June ein.

„Und im Frühling ist es der Pollenflug“, pflichtete Jason ihr bei.

Ryan ließ sich etwas tiefer in die Polster sinken. „Kunden sind grundsätzlich anstrengend.“

June tätschelte ihm den Kopf. „Ich weiß, du hast es wirklich schwer. Trotzdem musst du mir jetzt deinen Mantel geben und dir die Hände waschen, damit wir essen können.“

Ryan schnitt eine Grimasse. „Du bist schlimmer, als meine Mutter.“ Dennoch tat er brav, was sie ihm aufgetragen hatte. Der Gedanke ans Abendessen weckte seine verbliebenen Lebensgeister.

June hatte keine Lust auf langwierige Küchenarbeit gehabt und kurzerhand Pilz-Omelette gemacht, was aber immer noch nahrhafter war, als das in Fett getränkte Zeug, das Ryan für gewöhnlich vom Schnellimbiss um die Ecke mitbrachte.

„Ich weiß jetzt übrigens, wie der Einbrecher hier hinein gelangt sein könnte“, sagte Ryan unvermittelt, während er sich an den Tisch setzte und nach dem Besteck griff.

Zwei Augenpaare richteten sich mit einer Mischung aus Neugier und Skepsis auf ihn.

„Ach ja?“ Jason zog eine Augenbraue hoch. „Und wie bitteschön?“ Er hielt die Erklärung mit dem Alptraum noch immer für die glaubwürdigste Variante.

„Die Wohnung nebenan steht leer.“ Ryan gab sich keine Mühe ein triumphierendes Grinsen zu verbergen.

June dachte nach. „Stimmt. Seit die alte Mrs. Miller vor drei Wochen in ein Seniorenheim gezogen ist, steht die Wohnung leer.“

Mit seiner Gabel deutete Ryan zum Fenster hinaus. „Die Vorsprünge an der Fassade sind breit genug, sodass man darauf stehen kann.“

„Du glaubst also, es wäre jemand auf diesen Vorsprüngen herum spaziert, um in diese Wohnung zu gelangen. Findest du das nicht etwas weit hergeholt?, fragte Jason.

„Ich finde das sogar ziemlich naheliegend“, entgegnete Ryan. „Man liest in der Zeitung oft, dass alleinstehende Frauen ausgeraubt werden.“

„Das beruhigt mich jetzt richtig“, lautete Junes nüchterner Kommentar.

Ryan überhörte den Einwurf und fuhr fort. „Eine Sache passt allerdings nicht so ganz ins Bild. Entweder war unser Einbrecher eine Frau oder ein Hippie mit langen Haaren.“

„Wie kommst du darauf?“ June drehte den Becher in ihrer Hand ohne daraus zu trinken. Zur Abwechslung hatte Ryan ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.

„Ich habe ein langes, schwarzes Haar gefunden, das ja wohl offensichtlich niemandem von uns gehört. Damit haben wir den Beweis, das jemand hier war. Die Möglichkeit mit der Nachbarwohnung ist also meiner Meinung nach die einzig logische Schlussfolgerung.“

„Super, Sherlock! Jetzt bleibt nur noch die Frage, warum es ausgerechnet mich erwischt hat. Zufall?“, meinte June.

„Möglicherweise.“ Ryan zuckte mit den Schultern. Über diesen Punkt war er sich noch im Unklaren.
 

Es klopfte an Monas Tür. „Darf ich hereinkommen?“

Am liebsten hätte Mona laut „nein“ geschrien. Der Blutdurst machte sie zunehmend unleidlich. Sie seufzte. „Ja, komm rein.“

Eve betrat lautlos das Zimmer. „Lionel hat Katherine heute Nacht als Botin fortgeschickt, du wirst also deine Ruhe haben.“

Das mochte Mona an Eve. Sie hielt sich nie lange mit unnötigen Reden auf, sondern kam gleich auf den Punkt. Nur von Zeit zu Zeit sprach sie in Rätseln.

„Heute Nacht musst du jemanden finden, sonst wirst du zum Risiko“, fuhr Eve fort.

Das war unbarmherzig direkt gewesen und das mochte Mona schon weniger gern, aber sie musste sich damit abfinden. „Ich weiß. Richte Lionel aus, dass ich ihm keinen Ärger machen werde.“ Gedankenverloren band sie sich die Haare im Nacken zusammen. Wie sehr sie Eve doch manchmal beneidete, besonders weil diese in der Lage war auf die Jagd zu gehen, ohne ihre Opfer zu töten.

Sie muss ein sehr alter Vampir sein, dachte Mona.

Erst mit einiger Verzögerung fiel ihr auf, dass Eve sie musterte. „Stimmt etwas nicht?“

Eve schüttelte den Kopf. „Du riechst bloß nach Vergangenheit.“
 

Fortsetzung folgt...

Unfreiwillige Begegnung

Kapitel 4

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Unfreiwillige Begegnung
 


 

Mona fragte sich wirklich, was Eve damit meinte, dass sie nach Vergangenheit rieche.

Aber sie kam gar nicht dazu, ihre Freundin nach dem Grund zu fragen, denn diese stellte ihrerseits eine Frage.

„Wo hast du denn diese Wunde her?“

Eine Sekunde lang sah Mona die andere Vampirin verständnislos an, dann fiel ihr ein, dass sie sich ja in der Nacht zuvor eine äußerst merkwürdige Verletzung zugezogen hatte.

„Das ist beim Jagen passiert. Da hat mich so ein Junge von meiner Beute fortgescheucht und mich berührt – und dabei muss ich mich verletzt haben.“

„Trug er Silber?“

Diese Frage war berechtigt, denn sonst vermochte es nur dieses Edelmetall, einem Vampir eine solche Verbrennung zuzufügen.

„Ich bin mir nicht sicher“, gab Mona zurück, die ein wenig erfreut bemerkte, dass die Wunde bereits einigermaßen verheilt war, während sie geschlafen hatte. „Die Sache ist ein wenig merkwürdig. Ich hatte vor, später noch mal zu diesem Haus zurückzukehren und mich umzusehen.“

„Bevor oder nachdem du gegessen hast?“, fragte Eve neckend und Mona schmollte sofort. „Danach natürlich. Vorher bin ich zu nichts mehr zu gebrauchen, fürchte ich.“

Mona hasste ihren Blutdurst und sie vermied es immer so lange wie möglich, ihn zu stillen.

Aber sie wusste genau, dass sie nun Blut brauchte, um überleben zu können. Weitere Abstinenz würde sie so sehr schwächen, dass sie sich nicht mal mehr bewegen konnte.

„Ich werde dich begleiten“, sagte Eve. „Ich könnte auch mal wieder ein bisschen Blut vertragen.“
 

Als die beiden vermeintlich jungen Frauen bei dem Haus ankamen, in dem June wohnte, waren ihre Wangen deutlich rosiger als zuvor und ihre Augen glänzten.

Ihre Jagd war erfolgreich gewesen und Monas Laune hatte sich dadurch erheblich gebessert – auch wenn sie den alten Mann sehr bedauerte, dessen Leben sie für ihr eigenes Überleben beenden hatte müssen .

Sie bewunderte Eve dafür, wie schnell und gezielt sie ihr Opfer überfallen, ihren Blutdurst gestillt und anschließend alles so arrangiert hatte, dass ihrem Opfer nicht mal auffallen würde, dass es von einem Vampir gebissen worden war.

Vampirspeichel hatte heilende Eigenschaften und so konnten Vampire ihre Opfer normalerweise sehr leicht täuschen.

„Hier wohnt also dieser komische Junge?“, hakte Eve noch einmal nach.

„Ja. Zumindest hab ich ihn hier getroffen.“

Das Licht in Junes Wohnung war bereits aus, wie man durch die Fenster erkennen konnte.

Leider hatte die junge Frau auch die Vorhänge zugezogen, was sich nun als ein wenig hinderlich erwies.

Eve hockte auf dem Sims vor einem der Fenster und seufzte resigniert. „Da ist kein Fenster offen, durch das wir hineinschlüpfen könnten.“

„So ein Mist. Sie muss vorsichtiger geworden sein, nachdem ich gestern beinahe erwischt worden bin!“

Monas Freundin zuckte mit den Schultern und wollte sich gerade von den Fenstern abwenden, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm – und beinahe zu Tode erschrak.

Die Frau, die diese Wohnung bewohnte, hatte die Vorhänge zur Seite geschoben und starrte Eve nun direkt an.

Für einen Moment herrschte eisige Stille, dann schrie diese fremde Frau sich die Seele aus dem Leib.
 

Das Telefon klingelte unnachgiebig und Ryan seufzte genervt, als er die Beine über die Bettkante schwang und völlig schlaftrunken in den Flur torkelte, wo dieses nervige Ding stand.

Als er jedoch Junes Nummer im Display des Telefons erkannte, wusste er sofort, dass es etwas Ernstes sein musste und er war sofort hellwach. June würde nie so spät in der Nacht anrufen, wenn es nicht wirklich wichtig war.

Eilig drückte er die Annahme-Taste.

„June, was ist los?“, fragte er besorgt und er konnte seine Ex-Freundin am anderen Ende der Leitung schluchzen hören.

„Hier... hier war eine Frau... vor dem Fenster... bitte, komm sofort her, ich habe Angst!“

June brauchte nicht zweimal bitten.

„Bin gleich da!“, brüllte Ryan in den Hörer und legte auf.

Der junge Mann brauchte nicht lange, um sich seine Hose und ein Hemd überzuwerfen, sich seine Autoschlüssel zu schnappen und sich sofort auf den Weg zu Junes Wohnung zu machen.

Er machte sich nicht die Mühe, seinen Bruder zu wecken – dafür war einfach keine Zeit

Ich schreib ihm später eine SMS, dachte er, als er die Wagentür zuschlug und sich anschnallte.

Gleichzeitig machte er sich Vorwürfe. Warum war er diesen Abend wieder in seine eigene Wohnung zurückgekehrt? Wäre er bei June gewesen, dann hätte er sie sofort beruhigen und trösten können und vielleicht hätte er den Einbrecher auf frischer Tat ertappt!

Aber Jason hatte einfach Recht gehabt, als er sagte, er wolle mal wieder in seinem eigenen Bett schlafen und bräuchte vor allem frische Kleidung. Sie konnten June nicht immer so mit ihrer Anwesenheit „belästigen“, zumal Ryan nicht mehr ihr fester Freund war. Aus diesem Grund waren die Geschwister in ihre eigene Wohnung zurückgekehrt, statt erneut bei June zu übernachten.

Als Ryan endlich angekommen war, fand er eine völlig aufgelöste June vor.
 


 

Lilian hatte zu Fuß dem Auto nicht folgen können und so hatte sie für den Tag aufgegeben und war nach Hause gegangen.

Dennoch ging ihr der Gedanke, das Jason nach Vampir gerochen hatte, nicht aus dem Kopf.

Sie war überzeugt davon, dass er vor Kurzem Kontakt zu einem Vampir gehabt haben musste, vielleicht war er sogar gebissen worden, ohne es zu merken.

Aber wie sollte sie herausfinden, was wirklich geschehen war?

Sie hätte das Thema mit ihrer Mutter besprechen können, ja, eigentlich hätte sie das sogar tun sollen, denn immerhin ging es um Vampire, die größten Feinde der Hexen!

Dennoch konnte Lilian das nicht tun. Sie verstand sich einfach im Moment nicht gut mit ihrer Mutter und sie wollte erst etwas sicherer sein, bevor sie den Zirkel in Aufruhr versetzte.

Immerhin konnte es ja auch sein, dass sie sich irrte. Vielleicht war Jason nur rein zufällig einem Vampir begegnet. Immerhin mischten sich diese Untoten gern unter die Menschen, besonders, wenn sie sich ihre Beute suchten. Vielleicht war Jason im Kino gewesen, wo sich rein zufällig auch ein Vampir aufgehalten hatte? Oder er war einem auf der Straße begegnet, ohne es zu merken?

Die junge Hexe war ratlos, sie wusste nicht so Recht, was sie machen sollte, sie konnte ihren Schwarm schließlich nicht direkt fragen.

„Vielleicht sollte ich mich bei ihm bedanken, dass er mich ins Krankenzimmer gebracht hat und mich bei der Gelegenheit irgendwie an ihn ranschmeißen“, überlegte sie laut.
 

Fortsetzung folgt...
 

Ein Dankeschön an -Ai-chan-, Kaleidoskop und Angel8938 fürs abonieren und für die lieben Kommentare.

Danke, dass ihr unsere Geschichte lest. ^-^

Danke

Ein sehr herzlicher Dank geht an Baleika für die lieben und hilfreichen Kommentare und das favo. ^-^
 

Kapitel 5

~

Danke
 


 

June saß mit einem Becher heißem Tee auf der Arbeitsfläche ihrer Küche, während Ryan seinerseits gerade das Fenster im Wohnzimmer genauer unter die Lupe nahm. „Es ist verrückt“, überlegte sie laut. „Vielleicht bekomme ich ja wirklich Wahnvorstellungen, aber es sah so aus als würde die Frau seelenruhig auf der äußeren Fensterbank sitzen.“

Wahnvorstellungen waren so ziemlich das Letzte, womit Ryan seine Ex-Freundin in Verbindung brachte. June neigte nicht dazu, überspannt und schreckhaft zu sein. Auch würde sie nie etwas tun um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Im Gegensatz zu ihm war sie zumeist die Ruhe selbst. Sie derartig aufgelöst – wie kurz zuvor am Telefon – zu erleben, hatte ihm gezeigt, dass sie Situation ernst war.

Prüfend öffnete Ryan das Fenster und blickte nach draußen. Rein logisch betrachtet war das unmöglich. Man hatte auf dem Sims vielleicht Platz zum Stehen, aber wie sollte man dorthin gelangen, wenn man keine Flügel hatte oder wie eine Eidechse an Fassaden hochklettern konnte? „Inzwischen hege ich wirklich Zweifel daran, dass es hierfür eine logische Erklärung gibt.“

June kam ins Wohnzimmer. „Was meinst du damit?“ Sie trug bereits ihre Schlafkleidung – ein champagnerfarbenes Nachthemd aus Seide. Als Ryan kam, hatte sie sich einen Morgenmantel übergeworfen, dennoch versuchte dieser seinen Blick möglichst in eine andere Richtung zu werfen. Sie waren nicht mehr zusammen, aber das änderte ja nichts an der Tatsache, dass June tolle Beine hatte.

Ryan räusperte sich. „Ich meine damit, dass es sich vielleicht um etwas handelt, was wir uns gar nicht erklären können. Etwas, das unsere Vorstellungen übersteigt.“

June zog misstrauisch eine Augenbraue nach oben. Andererseits hatte sie auch keine einleuchtende Erklärung parat. Daran, dass sie tatsächlich verrückt wurde, wollte sie lieber nicht glauben.

Als Ryan bemerkte, wie angestrengt sie nachdachte, legte er ihr eine Hand auf den Kopf und lächelte. „Geh schlafen, June. Ich werde hier bleiben.“

„Ich weiß gar nicht, ob ich jetzt noch schlafen kann“, seufzte June. „He... HEY!“

Ryan hatte June kurzerhand hochgehoben und grinste sie frech an, als er sie auf ihrem Bett absetzte. „Ich habe dir geholfen, also wäre es doch nur fair, wenn du wenigstens heute auf mich hörst, nicht wahr?“

June hatte sich schon früher bestens darauf verstanden einen Schmollmund zu ziehen und Ryan musste feststellen, dass er dagegen immer noch nicht gewappnet war.
 

Mona hockte derweil auf der äußersten Kante des Daches und starrte nach unten. Licht fiel durch das Fenster, vor dem sie sich eben noch aufgehalten hatten, ansonsten war alles stockfinster. „Das ist ganz gewaltig schief gelaufen!“, fluchte sie leise vor sich hin. Sich nicht erwischen zu lassen, war für einen Vampir eine Grundregel, die das Überleben des gesamten Ordens sicherte.

Lautlos trat Eve neben sie. „Gehen wir.“

Monas Kopf ruckte hoch. „Gehen? Wohin?“

„Zurück zum Orden“, antwortete Eve, als wäre dies ganz logisch. „Bericht erstatten.“

Das wird Ärger geben, dachte Mona – ihre Überlegung behielt sie jedoch für sich, weil sie schon jetzt wusste, dass Eve nicht umzustimmen war. An solche Dinge ging ihre Freundin mit nahezu stoischer Gelassenheit heran und sie vermutete, dass Lionel nicht ganz unschuldig daran war.

Widerwillig kam Mona auf die Beine. „Aber wir wissen immer noch nicht, wer dieser Mann ist“, wandte sie ein.

Eve zuckte mit den Schultern. „Jedenfalls scheint er entgegen unserer Vermutung nicht hier zu wohnen.“

Da musste Mona ihr Recht geben. Sie hatten von weitem beobachten können, wie Ryan ankam, nachdem June ihn angerufen hatte. Er wirkte ganz normal und doch machte etwas an ihm Mona nervös. Sie erhielt unglücklicherweise nicht genug Zeit um diesen Gedanken zuende zu führen.

„Wildert ihr neuerdings in unserem Revier?“

Schon als Mona die Stimme hörte, verdrehte sie genervt die Augen. Sie erinnerte sich daran, dass es in der Tat jemanden gab, den sie noch weniger leiden konnte als die anhängliche Katherine.

Dieser jemand hieß Daniel und besaß die Frechheit ihr ganz ungeniert ins Gesicht zu grinsen. Und er war nicht allein. Auf dem Dach des Nebengebäudes stand seine Partnerin Marguérite. Die zwei Vampire gaben ein recht seltsames Gespann ab. Während Daniel so aussah, wie ein Halbstarker mit gepiercten Ohren und gefärbten Haaren, wirkte Marguérite wie jemand, der keine Ausgabe von Vogue und Vanity Fair verpasste.

„Der Rat der Obersten hat schon vor Jahren beschlossen die Reviere abzuschaffen“, warf Eve pragmatisch ein. „So gesehen hat unser Verhalten nichts mit wildern zu tun.“

Mona fragte sich, wie Eve so dermaßen gelassen bleiben konnte. Sie selbst hätte dem unverschämten, kleinen Punk am liebsten den Hals umgedreht.

Daniel landete direkt vor Monas Füßen. Er tat so, als hätte er Eves Einwand gar nicht gehört. „Du siehst ungehalten aus, Mona“, stellte er grinsend fest. „Hast wohl heute wieder ein paar Menschen gekillt, hm?“

„Das geht dich nichts an“, zischte Mona.

„Also habe ich Recht.“ Daniel umkreiste sie einmal. „Kein Wunder, dass du selbst außerhalb deines Ordens als Versagerin giltst.“

Mona knirschte mit den Zähnen. „Es kann ja nicht jeder so toll sein wie du“, gab sie voller Sarkasmus zurück.

„Mona“, kam es warnend von Eve. „Wir sollten jetzt wirklich gehen.“

Daniel winkte Mona mit übertriebener Freude zu. „Hoffentlich sehen wir uns bald wieder.“
 

Mona schlurfte wütend hinter Eve durch das Eingangsportal des Anwesens. Zu diesem Zeitpunkt in der Nacht herrschte ein reges Treiben innerhalb der Mauern. Ein Treiben, von dem sich Mona für gewöhnlich angewidert distanzierte.

Einige der Vampire liebten es, sich lebendige Nahrung mitzubringen. Vampire waren – entgegen hartnäckiger Gerüchte – nicht ausschließlich wunderschöne Schattenwesen, doch sie besaßen eine große Anziehungskraft gegenüber Menschen, sodass diese schon einmal blind in ihr Verderben rannten. Denn eines stand fest, wenn ein Mensch den Unterschlupf von Innen gesehen hatte, so würde er ihn nicht wieder lebendig verlassen dürfen.

Fast wäre Mona in Eve hinein gerannt, als diese vor Lionels Tür stehen blieb. Eve blickte sich über ihre Schulter hinweg um, ehe sie eintrat.

Lionel war eines der ältesten Ordensmitglieder und ihm hatte man Bericht zu erstatten, wenn es ungewöhnliche Vorkommnisse gab. Unter den Vampiren ihres Ordens galt er als besonnen und fast zu rücksichtsvoll. Nur sollte man es nach Möglichkeit vermeiden seinen Zorn auf sich zu ziehen, denn dann konnte er tatsächlich gefährlich werden.

Mona überließ Eve das Reden. Denn wenn es eine Person gab, die Lionel besänftigen konnte, dann war das Eve.

Trotzdem schien Lionel nicht glücklich über die Ereignisse, die ihm geschildert wurden. Immerhin sah er seinen Orden dadurch in Gefahr. Er lauschte mit finsterem Blick und nickte ab und an. Als Eve geendet hatte, schwieg er noch eine ganze Weile, ehe er schließlich das Wort ergriff. „Ich werde die Oberen darüber informieren. Mona, du kehrst in deine Gemächer zurück und stehst ab sofort unter Arrest, bis ich dir die Entscheidung der Oberen mitteile“, meinte er sachlich. „Eve, du bleibst bitte noch hier.“

Frustriert verließ Mona den Raum. Gut, sie hatte gegen die Regeln verstoßen, aber ging Arrest nicht ein wenig zu weit? Darüber hinaus sah sie nicht ein, warum die Obersten wegen einer solchen Lappalie verständigt werden sollten. Was sie tat, wurde auf Schritt und Tritt vom Ordern verfolgt.
 

„Du weißt mehr, als du zugeben willst“, bemerkte Eve nachdem Mona gegangen war.

Lionel schaute überrascht auf, doch dann lächelte er flüchtig. „Ich dachte, ich wäre schwerer zu durchschauen.“

Eve schüttelte den Kopf. „Nicht für mich und das obwohl du mir nie eine klare Antwort gibst.“

Lionel schaute sie beinah schuldbewusst an. Es stimmte, was sie sagte. Ihren Fragen wich er üblicherweise aus und behandelte sie stattdessen mit übertriebener Vorsicht und Rücksichtnahme. Bestes Beispiel war der vorangegangene Vorfall: Lionel hatte Mona bestraft, nicht aber Eve.

Eve winkte ab und wandte sich zum Gehen.

Rasch erhob sich Lionel und hielt ihre Hand fest. „Glaub mir, auch wenn ich dir jetzt noch nicht alles sagen kann... es geschieht zu deinem Besten.“

Einen Augenblick lang betrachtete Eve ihn prüfend, dann machte sie sich los. „Ja, wie üblich ist es nur zu meinem Besten.“
 

Als Ryan erwachte, fiel sein Blick zunächst auf den Wecker neben Junes Bett. Es war noch früh und er hatte zumindest nicht verschlafen. Er gähnte und schaute sich dann um. Wie versprochen war er geblieben – allerdings war nicht geplant gewesen, dass er die Nacht zusammen mit June in einem Bett verbrachte. Zwar war es zu keinerlei Intimitäten gekommen, aber ein wenig verlegen war er dann doch. Sie hatten noch eine ganze Zeit geredet, bis June vor Erschöpfung endlich eingeschlafen war.

Ryan rappelte sich auf, strich sich die Haare glatt und weckte June anschließend.

„Hm?“, machte June unwillig.

Ryan lächelte. „Zeit zum Aufstehen, meine Teuerste.“

„Ich glaube das ist das erste mal, dass du mich wecken musst“, meinte June, als sie sich aufsetzte.

Ryan lachte aufrichtig. Da war durchaus was dran. „Ich mache uns Frühstück und danach muss ich los um Jason zur Schule zu bringen, in Ordnung?“

June nickte, hielt ihn dann aus einer plötzlichen Eingebung heraus am Hemd fest. „Danke, dass du geblieben bist.“

Solch verlegener Dank war Ryan von ihr gar nicht gewöhnt und doch tat es gut das mal zu hören. „Gern geschehen“, erwiderte er lächelnd.
 


 

Fortsetzung folgt...

Klaviermelodie

Kapitel 6

~

Klaviermelodie
 


 

Braune Augen, lockiges schwarzes Haar. Ein hübsches Lächeln.

„Liebster!“

Die junge Frau war glücklich, strahlte Zufriedenheit aus in diesem Moment.

Er spürte, wie er einen Namen nannte, aber er hörte ihn nicht. Dennoch fühlte er sich wohl.

Das Bild änderte sich je, es wurde dunkel um ihn herum und die Augen der hübschen Frau, die wohl seine Geliebte war, wurden plötzlich blutrot, es blieb nichts mehr übrig von dem weichen haselnussbraun.

Ihre Miene wirkte nicht länger glücklich, sondern wurde von Kummer geprägt. Die Haut, die zuvor leicht gebräunt gewesen war, wurde immer blasser und blasser, bis sie schließlich aschfahl im Mondlicht glänzte. Trotz ihrer bezaubernden Schönheit, die geblieben war, wirkte sie nun eiskalt und völlig lieblos.

„Bleib bei mir, Geliebter! Geh nicht fort!“, rief ihre melodische Stimme immer wieder, aber er konnte sich nicht bewegen, nichts anderes tun, als sie anzustarren.
 

Als Jason aus seinem Traum erwachte, war er schweißgebadet und fühlte sich sehr unwohl.

„Schon wieder...“, seufzte er und versuchte, sich die Müdigkeit aus dem Gesicht zu reiben.

Dieser Traum verfolgte ihn schon eine ganze Weile. Immer wieder sah er diese schöne Frau vor sich, die sich von einem Moment auf den nächsten völlig veränderte. Ihre hübschen, blutroten Augen folgten ihm beinahe jede Nacht. Sie bat um etwas, das wusste er. Aber er verstand nicht gänzlich, was genau sie eigentlich von ihm verlangte.

Es war schon ein wenig hell im Zimmer geworden und ein Blick auf den Wecker sagte ihm, dass ohnehin schon fast Zeit zum Aufstehen war, also erhob er sich aus seinem Bett.

Seine Kehle fühlte sich staubtrocken an und so schlurfte Jason erst einmal in die Küche, um sich ein Glas Milch zu holen.

Als er an Ryans Zimmer vorbeikam, hob er verwundert eine Augenbraue.

„Ryan?“, fragte er und sah ins Zimmer, aber er konnte seinen Bruder nirgends sehen.

Vielleicht ist er auf dem Klo, dachte Jason.

Wie geplant holte er sich die Milch, trank das Glas in zwei Zügen aus und schlurfte dann den Flur zurück bis zum anderen Ende, wo sich das Bad befand.

Da ist gar kein Licht an, stellte Jason fest und öffnete schließlich die Tür. Kein Ryan zu sehen.

„Komisch, wo mag er nur hin sein?“, fragte sich der Dunkelblonde, zuckte aber nur mit den Achseln und stieg anschließend unter die Dusche.

„Vielleicht hat er irgendwas vergessen zu erledigen“, überlegte der junge Schüler, als er sich schließlich anzog und feststellen musste, das sein Bruder noch immer nicht daheim war.

Es war nichts Neues für Ryan, mal nicht da zu sein und Jason sagte sich, dass sein Bruder schon wieder auftauchen würde, obwohl er sich doch jedes Mal ein wenig um Ryan sorgte.
 

Mit dem Gedanken, dass sein Bruder schon wieder auftauchen würde, sollte Jason Recht behalten, denn als er sich gerade sein Frühstück machte, hörte er, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde.

„Ryan?“

„Oh, Jason, du bist schon wach?“

Der Ältere betrat die Küche, in der Hand eine Brötchentüte.

„Ja, ich hab nicht so gut geschlafen“, winkte Jason schnell ab. „Nur um Brötchen zu holen warst du aber lange weg!“

„Ich war noch bei June“, erzählte Ryan, der die Brötchen abstellte und sich anschließend einen Becher Kaffee holte. Er freute sich, dass sein Bruder daran gedacht hatte, schon mal Kaffee zu kochen.

„Bei June? Wieso das?“, fragte Jason.

Also erzählte Ryan ihm, was geschehen war.
 

Nachdem die beiden ihr Gespräch beendet hatten, fiel Jasons Blick beinahe erschrocken zur Küchenuhr. „Ryan, wir müssen los, du bist schon viel zu spät dran!“

„Ach du liebe Güte, du hast Recht“, bemerkte auch der Ältere.

In Windeseile schnappten sie sich ihre Taschen, schlüpften in Schuhe und Jacke und hechteten zu dem alten Rover 200, den Jason auch gern als „Rostlaube“ betitelte.

„Ich fürchte, ich muss dich ein paar Straßen früher absetzen als sonst, Jason, ich bin sehr spät dran“, bedauerte Ryan.

„Kein Problem“, erwiderte der Jüngere jedoch. Das gab ihm wenigstens Gelegenheit, über das nachzudenken, was Ryan ihm erzählt hatte.

Dennoch hatte Jason ein ungutes Gefühl, als er schließlich zur Schule ging.

Wie war es möglich, dass eine Frau auf dem schmalen Fensterbrett hocken konnte?

Er kannte die Fenster von June und wusste, wie schmal der Sims dort war. Und dann war da ja auch noch dieser Traum, der sich ständig wiederholte.

Jason war so sehr in Gedanken, dass er Lilian gar nicht bemerkte, die sich ihm näherte.

„Guten Morgen, Jason!“ rief sie zum wiederholten Male, bis er endlich aufblickte.

„Oh. Guten Morgen, Lilian!“, sagte er.

„Du hast mich eben gar nicht gehört“, bemerkte sie lächelnd.

„Oh, das tut mir Leid, ich war in Gedanken.“

Zum Glück war er auch noch immer nicht ganz mit seinen Gedanken zurück in der Gegenwart, sonst hätte er sicher bemerkt, dass es ganz und gar nicht leicht für Lilian gewesen war, ihn einfach so anzusprechen.

Das Mädchen war zu höflich, um danach zu fragen, was für Gedanken ihn wohl quälten und so schwieg sie eine ganze Weile, während sie neben ihm herging.

Sie waren schon fast bei der Schule angekommen, als sie fragte, ob er wohl auf die Klausur in Mathematik vorbereitet war.

„In Mathe habe ich eigentlich keine Probleme“, gab Jason zurück „Und du?“

„Es geht“, sagte sie. „Es wird wohl nie mein Lieblingsfach sein, aber ich denke, meine Note wird besser ausfallen als die von Jessica!“

Jessica, so wusste Jason, war wohl eine Freundin von Lilian, die mit Dauerwellen im Haar rumlief und sich etwas zu sehr schminkte, was nun gar nicht zu der klassischen Schuluniform passen wollte. Die Schuluniform der Mädchen bestand aus einer weißen Bluse, einem dunkelblauem, knielangen Rock sowie einem farblich zu dem Rock passenden Blazer, der etwa bis zur Hüfte der Mädchen reichte und figurbetont war, was nicht unbedingt bei allen Mädchen gut aussah. Außerdem trugen die Mädchen genau wie die Jungen Krawatten, die farblich ein paar Töne heller waren als Blazer und Rock. Im Übrigen befand sich auf der linken Brustseite das Schulemblem. Insgesamt sah die Schuluniform sehr schick und förmlich aus und je mehr Jason darüber nachdachte, desto weniger passte diese Kleidung zu Jessica.

Als er nun einen raschen Blick auf das Mädchen neben sich warf, fiel ihm auf, dass sie überhaupt kein Make-up trug und ihre langen Haare, die bei jedem Schritt leicht hin und her wippten, ganz natürlich über ihren Rücken fielen. Irgendwie gefiel ihm das, denn er mochte kein Make-up. Natürlichkeit war ihm lieber.

„Und von deinem Zusammenbruch hast du dich gut erholt?“, fragte Jason nun.

Lilian lief knatschrot an, denn die Sache war ihr noch immer peinlich.

„J...ja. Alles bestens!“, sagte sie sofort mit beinahe schon schriller Stimme.

Zum Glück wurde sie in diesem Moment von Jessica erlöst, die auf sie zukam.

„Guten Morgen, Lilian! Können wir noch mal die Hausaufgaben in Biologie durchgehen?“, fragte sie ihre Freundin gut gelaunt, nickte Jason flüchtig zu und schon waren die beiden Mädchen im Schulgebäude verschwunden.
 

Lilian war Jessica für ihr Eingreifen sehr dankbar, denn sie hatte nicht gewusst, was sie tun sollte. Ihr war kein Gesprächsthema mehr eingefallen, nachdem Jason sie nach dem Zusammenbruch gefragt hatte und das alles war ihr einfach nur schrecklich peinlich.

Sie hätte ihn zwar gern nach der fremden Frau gefragt, allein schon, um herauszufinden, woher wohl der Vampirgeruch kommen mochte, aber sie hatte Angst, ihn zu sehr zu bedrängen, wenn sie ihn direkt danach fragte, wer diese Frau gewesen war.

Jessica hatte jedoch nicht eingegriffen, weil sie Lilian helfen wollte, sondern weil sie tatsächlich Hilfe für ihre Hausaufgaben brauchte. Sie war zwar ein nettes Mädchen, aber ihre Noten ließen in den meisten Fächern zu wünschen übrig.

Lilian hatte schon öfter den Gedanken gehabt, die Gute könnte nur mit ihr befreundet sein, weil sie selbst gut in der Schule war, aber da sie sonst keine Freunde hatte und es sich mit Jessica nicht verderben wollte, hatte sie den Gedanken stets verdrängt.

Wie schon befürchtet hatte Jessica die Aufgaben auch mehr schlecht als recht gelöst, weshalb sie ihrer Freundin versprach, mit ihr zu üben, bevor sie die nächste Biologie-Klausur schreiben würden.
 

Mona war ganz versunken in die Musik und ihre Finger glitten ganz von allein über die Tasten ihres Klaviers.

Sie liebte ihr Klavier und vor allem liebte sie es, darauf zu spielen und dabei den wohlklingenden Melodien zu lauschen, die ihre schlanken Hände wie von selbst fabrizierten. Und jetzt, wo sie Arrest hatte, spielte sie sogar noch mehr als gewöhnlich, denn ihr blieb nicht viel anderes zu tun übrig.

Früher einmal hatte sie auch gern Bücher gelesen, aber inzwischen waren ihr die Geschichten zu langweilig geworden, denn nur allzu oft wiederholten sie sich und sie wurden ihr zu platt. Vielleicht bereiteten ihr die Bücher aber auch einfach zu viel Kummer, denn Mona mochte Liebesgeschichten, aber sie wurde immer traurig, wenn sie dabei an ihren eigenen Liebsten dachte, mit dem sie nicht glücklich werden durfte.

So begnügte sie sich nun mit den Noten, die sie vor sich hatte oder schrieb manchmal sogar selbst den ein oder anderen Song.

Die Vampirin hatte Klavier spielen gelernt, als sie noch ein Mensch gewesen war – genau genommen als kleines Mädchen. Sie hatte in einem kleinen Vorort von London gelebt und ihre Mutter war ebenfalls Musikerin gewesen, die als solche natürlich Wert darauf gelegt hatte, dass sie das Spielen lernte. Von ihrem Vater wusste Mona nicht mehr viel und auch über ihre Schwester hatte sie nie nachgeforscht, obwohl sie sicherlich ein langes Leben gehabt hatte. Zumindest stellte sich Mona das so vor. Der Kummer über den Verlust ihres Geliebten hatte sie damals sehr getroffen, mehr noch als die Tatsache, dass sie kein Mensch mehr war und zu einem ewigen Leben verdammt. Sie hatte ihr altes Leben völlig hinter sich lassen wollen, aber so ganz gelang ihr das nicht – denn am Klavier hing sie noch immer genauso, wie sie es zu Lebzeiten getan hatte.

Und nun, da sie bereits viele Jahrzehnte der Übung gehabt hatte, spielte sie ihr geliebtes Instrument perfekt, ohne es ihrer Mutter jemals zeigen zu können.

„Wir sollten dich Konzerte spielen lassen“, sagte Eve, die plötzlich hinter Mona stand.

Sie hörte abrupt auf zu spielen und drehte sich zu der anderen Vampirin um.

„Ich habe gar nicht gehört, wie du herein gekommen bist“, sagte Mona und es war ihr anzusehen, wie erschrocken sie war.

„Du warst auch sehr in dein Spiel vertieft“, gab Eve zurück.

Völlig unbewusst berührte Mona das Medaillon, das sie um den Hals trug und wischte mit der anderen Hand die Tränen aus ihrem Gesicht, die ihr wie üblich gekommen waren. Sie weinte beinahe immer, wenn sie sich an ihr Klavier setzte.

„Was gibt es, Eve?“

„Ich sollte dir nur mitteilen, dass Lionel dich sehen will“, antwortete Eve.
 


 

Fortsetzung folgt...

Erwischt!

Kapitel 7

~

Erwischt!
 


 

Mona machte sich mit gemischten Gefühlen auf den Weg zu Lionels Arbeitszimmer. Einerseits wurde sie noch immer von einer trotzigen Wut beherrscht, andererseits wusste sie, dass es zu einem Teil von seinem Wohlwollen abhing, wann der Arrest aufgehoben wurde. Über die große Treppe gelangte sie ein Stockwerk tiefer. An den Wänden hingen Bilder von Personen, die Mona nicht kannte, für die sie sich aber auch nicht interessierte. Sie fühlte sich nur merkwürdig beobachtet, wenn sie in deren Nähe war. Als sie bei Lionels Gemächern ankam, klopfte sie ohne zu zögern. Er sollte nicht von ihr denken, dass sie besorgt war.

„Herein.“

„Du wolltest mich sprechen.“ Mona war stolz darauf, wie kühl und desinteressiert ihre Stimme klang, denn sie wollte nicht, dass er bemerkte, dass sie nervös war.

„Ja, komm herein.“ Lionel deutete auf einen freien Stuhl. „Die Oberen sind zu einem Entschluss gekommen, was deinen Fall betrifft.

Warum sitze nur ich hier? Warum nicht auch Eve? Die Antwort auf diese Gedanken konnte sich Mona selbst geben: Die Oberen hielten sie für einen Problemfall. Eve hingegen ließ sich – bedacht wie sie war – sonst nie etwas zu Schulden kommen.

„Dein Arrest wird aufgehoben“, fuhr Lionel fort. Er faltete seine langgliedrigen Finger und schaute Mona über den Tisch hinweg an, um zu sehen, ob sie ihm auch wirklich zuhörte und begriff.

„Aufgehoben?“ Monas Kopf ruckte hoch.

Langsam nickte Lionel. „Ja, unter der Voraussetzung, dass du dich zukünftig von diesem Haus fernhältst. Es ist dir ferner nicht gestattet dich den Personen zu nähern, die du in jener Nacht aufgesucht hast. Hast du das verstanden?“

Eine freche Erwiderung lag Mona auf der Zunge, doch sie schluckte diese hinunter. „Ja, selbstverständlich“, entgegnete sie. „Kann ich jetzt gehen?“

„Nur zu.“

Mona erhob sich fast ein wenig zu übereilt. In diesem Moment interessierte sie das jedoch herzlich wenig. Sie wollte so schnell wie möglich diesen Raum verlassen. Ihr Verstand arbeitete auf Hochtouren. Vom Charakter her war sie viel zu stur, als dass sie eine solche Entscheidung hingenommen hätte, ohne nicht wenigstens deren Sinn zu hinterfragen. Allerdings hütete sie sich davor Lionel danach zu fragen. War es nicht schon immer so gewesen, dass ein Verbot die Neugier nur noch weiter anstachelte?
 

Ryan hatte an diesem Abend Spätdienst. Draußen war es bereits dunkel und herbstlich verregnet. Er schaute auf seine Armbanduhr – in einer halben Stunde konnte er den Laden abschließen. Kein Grund unvorsichtig zu werden. Erfahrungsgemäß wusste er, dass zu dieser Zeit die eigenartigsten Leute unterwegs waren. Wenn man etwas in einer Buchhandlung lernte, dann, dass die Kunden seltsame Ansprüche stellten. Als er an seinem ersten Arbeitstag nach dem „Pferdeflüsterer“ in einer Hardcore-Ausgabe gefragt wurde, hatte er vor Schreck seine Kaffeetasse fallen gelassen. Eine Kollegin, die schon seit nahezu zwanzig Jahren in dem Geschäft arbeitete, hatte dem Kunden das Gewünschte in einer Hardcover-Ausgabe überreicht und Ryan milde angelächelt. Da wusste er, dass er sich nicht unbedingt den entspanntesten Beruf der Welt ausgesucht hatte.

Ryan war in Gedanken versunken und blickte erst auf, nachdem die Klingel an der Tür geläutet hatte. Die Frau, die das Geschäft betrat, trug ein schwarzes Kostüm, das schmal, aber dafür umso weiter ausgeschnitten war. Ihre Augen waren hell – von einem beunruhigenden Grauton. Unwillkürlich musste Ryan an ein Filmplakat denken, an dem er eine Zeit lang auf dem Weg zur Arbeit vorbei gelaufen war – „Der Teufel trägt Prada“.

Er grinste über diese Flegelei, wünschte der Dame aber dennoch einen guten Abend. Keine Reaktion. Innerlich seufzte er. Das waren ihm die liebsten Kunden.

Die Frau ging scheinbar ziellos durch die kleine Buchhandlung. Ihr Blick verharrte an keinem Regal länger als ein paar Sekunden. Sie blieb vor dem Fach mit der Aufschrift Fantasy stehen und Ryan wunderte sich ein bisschen. Als sie sich abrupt zu ihm umdrehte, wich er vor Überraschung einen Schritt zurück.

Ryan fing sich aber gleich wieder. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“

Die Frau lächelte und von Nahem betrachtet wirkten ihre Augen sogar noch unheimlicher. „Ich glaube schon“, entgegnete sie. Ihre Stimme war tief und wohlklingend.

„Suchen Sie etwas Bestimmtes?“

„Ich war auf der Suche nach Ihnen.“

Ryan hatte Mühe damit seine Verwunderung zu verbergen. „Nach mir?“

Die Frau nickte. „Wie ist Ihr Name?“

Ryan hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache, dennoch stellte er sich vor. „Mein Name ist Ryan Parker. Und Sie sind?“

„Marguérite“, antwortete sie. Einen Moment lang schaute sie ihn einfach nur an, dann wandte sie sich halb ab. „Ich fürchte, Sie müssen schließen. Wir werden uns jedoch bald wiedersehen. Da bin ich mir ganz sicher.“
 

Seufzend verstaute Ryan den Inhalt der Ladenkasse im Tresor und griff anschließend nach seinem Mantel. Der Tag war ihm unerträglich lang vorgekommen. Verstohlen warf er einen Blick auf sein Handy. June hatte nicht angerufen. Natürlich nicht. Sie machte sich bestimmt noch Sorgen, aber sie war viel zu stolz um Ryan noch einmal um seine Gesellschaft zu bitten. Vermutlich hockte sie gerade in ihrer Wohnung, hatte jede Lampe angeschaltet, saß vorm Fernseher und schaute sich die erste Staffel der Serie „Friends“ an. Bei dem Gedanken musste Ryan lächeln. June versuchte immer sich mit allen möglichen Dingen abzulenken, wenn ihr etwas auf dem Herzen lag.

Ryan löschte das Licht in der Buchhandlung und schloss dann hinter sich ab. Bis auf das klimpern seiner Schlüssel, war nichts zu hören. Etwas beruhigter wollte er sich auf den Weg nach Hause machen, als er Schritte hinter sich vernahm. Rasch drehte er sich um. Da stand sie wieder, die Frau – Marguérite.

„Haben Sie mich aber erschreckt.“

Marguérite zog einen Mundwinkel nach oben. „Verzeihen Sie bitte. Das lag nicht in meiner Absicht. Ich bin nur gekommen, um mich ein wenig mit Ihnen zu unterhalten. Das ist alles.“

Ryan hatte herzlich wenig Lust sich mit der seltsamen Prada-Frau zu unterhalten. „Tut mir leid. Ich habe keine Zeit. Ich muss...“

„Es ist aber nicht höflich, die Bitte einer Dame abzulehnen.“

Über seine Schulter hinweg schaute sich Ryan um. Woher war der Junge so plötzlich gekommen? Er hatte ihn gar nicht gehört.

Der Junge mit den zerrissenen Hosen und der wilden Frisur gesellte sich zu Marguérite. Sein Blick war spöttisch auf Ryan gerichtet.

Marguérite rollte mit den Augen. „Du konntest wirklich keine zehn Minuten abwarten, nicht wahr, Daniel?“

„Du weißt doch, wie ungeduldig ich bin.“

„Ja, und das ist noch eine deiner besten Eigenschaften.“

Voller Misstrauen blickte Ryan zwischen dem ungleichen Paar hin und her. Während er noch überlegte, ob es sich bei den Beiden nun um Drogendealer oder Menschenhändler handelte, trat Daniel einen Schritt auf ihn zu.

Daniel verschränkte die Arme vor der Brust. „Was soll an dem nun so besonders sein?“

„Das weiß ich noch nicht, aber der Orden der Ewigen Nacht wird nicht ohne Grund Interesse an ihm haben.“ Marguérite tat so, als wäre Ryan gar nicht da. „Für gewöhnlich verschwenden die nicht so viel Zeit mit Menschen. Es sei denn, es dient der Nahrungsaufnahme.“

Wenn das ein böser Traum war, dann wollte Ryan ganz schnell aufwachen. Er beschloss den Rückzug anzutreten, solange die Beiden sich noch unterhielten und dadurch abgelenkt waren. Dummerweise bekam Daniel das mit. Sein Gehör musste unglaublich gut sein. Blitzschnell packte er Ryan am Kragen. „Nicht so eilig. Wir sind noch nicht fertig.“

„Ich bin schon lange fertig.“ Ryan befreite sich aus dessen Griff und stieß den Jungen zugleich von sich weg. Ein merkwürdiges Zischen war zu hören. Es klang beinah wie Wasser, das auf eine heiße Herdplatte tropfte.

Daniel selbst stieß ein unmenschliches Fauchen aus und wich im Bruchteil einer Sekunde fünf Meter zurück – beinahe wie ein verschrecktes Tier.

Ryan prallte hart gegen die Hauswand hinter sich. Er kniff die Augen zusammen, weil Sterne davor tanzten und Schmerz durch seine Glieder fuhr. Nur langsam nahm die Benommenheit wieder ab. Vorsichtig schaute er auf.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt sich Daniel den linken Arm.

Skeptisch zog Marguérite eine Augenbraue nach oben. Auch sie schien die Situation noch nicht zu begreifen. „Was machst du für einen Aufstand?“, fuhr sie den Jungen an.

Anstatt einer Antwort zeigte Daniel ihr seinen Arm, auf dem sich eine unschöne Brandwunde gebildet hatte.

Marguérite betrachtete Ryan eingehend. Das Einzige aus Silber an ihm waren seine Ohrringe.

„Er hat mich mit bloßer Hand berührt“, wandte Daniel ein.

„Das ist unmöglich“, widersprach Marguérite.

Daniel wirkte nun fast so trotzig wie ein kleines Kind. „Ich sage die Wahrheit.“

Ryan hatte keine Lust zu erfahren, worauf das Gespräch hinauslief. Er nahm die Beine in die Hand und rannte zu seinem Auto.

Die beiden Gestalten sahen ihm lediglich nach.

„Wir sehen uns wieder“, murmelte Marguérite mit einem versonnenen Lächeln auf den Lippen.
 

Jason schreckte von der Couch hoch, als die Wohnungstür krachend ins Schloss fiel. Er erhob sich gähnend, schaltete den Fernseher aus und ging in den Flur, wo er seinen Bruder fand, der keuchend auf dem Boden hockte. „Was ist denn mit dir passiert?“

Ryan kam etwas wackelig auf die Beine. „Mann, das war der schrägste Abend, seit ich damals mit einem Kumpel ein Tequila-Wettsaufen veranstaltet habe.“

„Geht das auch etwas genauer?“

„Zwei Leute haben mir heute nach der Arbeit aufgelauert. Ein Halbstarker und eine Frau in Prada Pumps“, entgegnete Ryan.

Jason bedachte seinen Bruder mit einem höchst ungläubigen Blick. „Und du bist sicher, dass du nichts getrunken hast?“

„Ganz sicher.“ Ryan winkte ab und ging in die Küche hinüber, um sich ein Glas Wasser zu holen. Verkehrt herum setzte er sich auf einen der Stühle, von denen keiner zum anderen passte. Als Jason ihm schließlich folgte, erzählte er ihm die Geschichte von Anfang an, wobei er kein noch so unglaubwürdiges Detail ausließ.

Geduldig hörte sich Jason alles an, wobei er noch schwankte, ob er Ryan nun glauben oder doch besser einen Arzt rufen sollte. „Das klingt, wie aus einem Horrorfilm“, meinte er letztendlich.

Ryan zuckte mit den Schultern. „Wer weiß, vielleicht sind wir ja mittendrin in einem Horrorfilm.“
 

Fortsetzung folgt...

Goldene Augen

Kapitel 8

~

Goldene Augen
 

Jason konnte sich einfach nicht entscheiden, ob er Ryan glauben sollte oder nicht.

Eigentlich gehörte sein Bruder nicht zu den Leuten, die sich gern mal etwas ausdachten und das ließ den Jüngeren eher in die Richtung tendieren, dass er ihm glaubte.

Es hörte sich nur alles so furchtbar unrealistisch an.

Andererseits passte es auch ein wenig zu dem Einbruch und der unheimlichen Begegnung bei June. Wenn der Einbrecher ein unnatürliches Wesen war, dann wäre es durchaus möglich, auf einer so schmalen Fensterbank zu hocken.

„Ich frage mich, was die beiden mit Orden der Ewigen Nacht gemeint haben könnten. Ich habe von einem solchen Orden noch nie gehört“, murmelte Ryan und Jason nickte zustimmend. Auch er hatte davon noch nie gehört.

Aber wieso verursachte dieser Name dann so ein komisches Gefühl in seiner Magengegend?

„Jason?“

Der Jüngere sah zu seinem Bruder auf und sah in fragend an.

„Wir dürfen June davon nichts erzählen. Sie hat sicherlich schon genug Angst, ich will sie nicht noch mehr beunruhigen.“

„Geht klar, ich sage ihr nichts“, bestätigte Jason.

Das schien Ryan ein wenig zu beruhigen. Offenbar machte er sich große Sorgen um June.

„Willst du noch zu ihr fahren?“, fragte Jason.

„Nein. Sie hat mich nicht drum gebeten und ich will auch nicht aufdringlich sein. Außerdem laufe ich dann Gefahr, mich zu verplappern.“
 


 

„Und, wie ist es gelaufen?“, fragte Eve interessiert, als Mona zurück in ihr Zimmer kam.

Sie klimperte ein wenig auf Monas Klavier herum, was in den Ohren der Pianistin schrecklich klang. Sie ignorierte das jedoch gekonnt und antwortete auf Eves Frage.

„Mein Arrest wurde aufgehoben.“

„Das ist doch gut“, fand Eve. „Warum bist du dann noch so sauer?“

„Es ist mir verboten, zu diesem Haus zurückzukehren. Und ich darf diesen Personen nicht näher kommen“, knurrte Mona.

„Oh. Diese Leute scheinen wichtig zu sein, dass ein solches Verbot verhängt wird.“

„Offensichtlich. Und ich denke, das hat mit der Verletzung zu tun, die mir dieser Mann zugefügt hat. Irgendwas ist an ihm und ich soll nicht wissen, was es ist“, grummelte Mona.

„Was hast du vor?“ Eve schien zu ahnen, was in ihrer Freundin vor sich ging.

„Mich nicht an die Regeln zu halten, wie du sicher schon weißt.“

Es interessierte Mona herzlich wenig, dass sie beobachtet werden würde und Katherine garantiert als ihr Wachhund ausgesucht wurde. Sie musste einfach wissen, was es mit diesem Mann auf sich hatte.

„Damit könntest du dir ein paar Tage und Nächte im Kerker einhandeln“, erwiderte Eve.

„Das ist mir egal.“

Eve seufzte. Ihre Freundin war stur wie eh und je. Sturer als jeder Esel, dachte sie.

„Sag mal, Eve“, begann Mona schließlich und die andere Vampirin horchte wieder auf. „Wieso hat Lionel dich nicht auch bestraft? Immerhin hatte diese Frau dich doch auch gesehen!“

„Oh, ich weiß es nicht genau. Das liegt vielleicht daran, dass ich sonst vorsichtiger bin.“

„Hmpf“, machte Mona. Sie hatte gewusst, das Eve ihr genau diese Antwort geben würde. Natürlich war sie damit aber nicht zufrieden.
 

Lilian war wie immer überpünktlich aus dem Haus gegangen, um auch ja das Training von „ihrem“ Jason nicht zu verpassen. Sie verpasste nie ein Training des Fußballclubs, das immer vor Schulbeginn stattfand. Es war ihr egal, dass sie dafür früher aufstehen musste, sie tat das gerne, um ihren Schwarm beobachten zu können.

Aber als sie an diesem Morgen das Trainingsspiel beobachtete, war sie enttäuscht.

„Was macht er da bloß?“, schimpfte sie still vor sich hin und konnte gar nicht fassen, dass das „ihr“ Jason sein sollte, der da spielte.

Gerade hatte er einen Pass völlig verfehlt und Lilian schlug die Hand an ihren Kopf. „Nicht zu fassen! Sowas passiert ihm doch sonst nicht!“

Jason spielte schlecht. Sehr schlecht. Er wirkte völlig unkonzentriert und beinahe so, als hätte er gar keine Lust. Das verwirrte seine Kameraden anscheinend genauso wie Lilian, denn offenbar musste er sich von den anderen ein paar dumme Sprüche gefallen lassen.

Die junge Hexe war so enttäuscht, dass sie nach Trainingsende sogar vor den Umkleiden auf Jason wartete.

Als er schließlich als Letzter der Mannschaft aus der Tür trat, wollte sie ihn fast schon anspringen, als ihre Wahrnehmung sie daran hinderte.

Schon wieder Vampirgeruch!, dachte sie erschrocken.

War er etwa gebissen worden? Nein, dafür war der Geruch eindeutig zu schwach. Was war passiert?

Sofort wechselte ihre Stimmung von enttäuscht zu besorgt.

„Lilian? Was machst du denn hier?“, fragte Jason überrascht, als er das Mädchen sah und riss dieses dabei sofort aus ihren Gedanken.

„Was ist passiert?“, fragte sie jedoch ohne Umschweife.

„Huh?“

„Du... du wirkst verändert. Dein Spiel heute morgen war grauenhaft“, sagte sie erklärend.

Der Fußballer wirkte bei diesen Worten tief getroffen, denn natürlich wusste er selbst, dass er schlecht gespielt hatte. Gleichzeitig aber fragte er sich, wieso sie ihn eigentlich darauf ansprach.

„Siehst du mir öfter zu?“, fragte er deshalb, ohne auf ihre Frage einzugehen.

Lilian wurde rot bei dieser Frage, denn sie konnte sie unmöglich verneinen. „Ja. Jeden Morgen“, gab sie zu.

„Jeden Morgen? Wieso denn das?“ Jason schien verblüfft zu sein.

Das Gesicht des Mädchens errötete noch mehr, aber es war nicht die Zeit, schüchtern zu sein.

Es ging gerade um Wichtigeres als eine Schwärmerei für einen Jungen! Vielleicht ging es hier um sein Leben.

„Was ist geschehen?“, fragte sie also noch einmal, nachdrücklicher als zuvor.

Jason konnte nicht verstehen, warum das für Lilian so wichtig zu sein schien und eigentlich fand er auch, dass es sie nichts anging. Andererseits war da irgendwas in ihrem Blick, das ihm sagte, dass sie sich nur sorgte.

„Mein Bruder ist gestern Abend von zwei komischen Leuten angegriffen worden“, gab er diesem Blick schließlich nach.

Lilian wurde sofort noch hellhöriger als zuvor. „Komische Leute?“

„Ja. Die wollten irgendwas von ihm, aber wir haben keine Ahnung, was das war.“

„Wie sahen die aus?“

„Oh, so genau weiß ich das gar nicht. Da war wohl eine Frau, die sehr gut gekleidet war und ein kleiner Punk. Und sie haben etwas von einem Orden gefaselt. Wieso interessiert dich das so?“

Diese Frage brachte Lilian in eine Zwickmühle. Einerseits konnte und wollte sie ihr Geheimnis, eine Hexe zu sein, nicht einfach so preisgeben. Andererseits war sie zu hundert Prozent sicher, dass Jasons Bruder von Vampiren angegriffen worden war und damit schwebten die Parkers in großer Gefahr.

Lilian zögerte zu lange mit einer Antwort, denn Jason wurde ungeduldig.

„Hör mal, Lilian, eigentlich geht dich das gar nichts an. Ich fühle mich ja geschmeichelt, dass du mir jeden Tag zusiehst, aber ich will dich nicht in irgendwas mit reinziehen.“

Mit diesen Worten schob er sich an dem Mädchen vorbei und ging auf das Schulgebäude zu.

Er war nur wenige Schritte weit gekommen, als sie „Halt!“, rief und er sich verwundert umdrehte.

Die Hexe hatte keine andere Wahl. Sie musste Jason beschützen, denn das war ihre Aufgabe.

„Du bist in großer Gefahr. Nicht nur du, auch dein Bruder und die Frau, die dich neulich abgeholt hat.“

Jason riss verdutzt die Augen auf. Was erzählte das Mädchen da eigentlich? Und woher wusste sie, dass er vor Kurzem von June abgeholt worden war? Und vor allem – wieso leuchteten ihre Augen so intensiv? Der Fußballer war nicht in der Lage, den Blick abzuwenden, so sehr fesselten ihn diese goldenen Augen.

Es passte Lilian nicht wirklich, dass sie ihre Magie gebrauchen musste, um ihren Schwarm zum Zuhören zu bringen, aber es war wichtig, dass er begriff.

„Die Leute, die deinen Bruder angegriffen haben, sind sehr gefährlich. Ihr solltet nach Sonnenuntergang auf keinen Fall die Wohnung verlassen und niemanden hereinlassen, den ihr nicht kennt. Entfernt Fußmatten, die einen Willkommensgruß enthalten und tragt Ketten aus Silber!“

Doch Jason reagierte nicht so, wie Lilian es gerne gehabt hätte. „Wozu soll das gut sein?“

„Das... ich kann es dir nicht erklären Jason. Tut mir Leid...“

„Wieso soll ich dir dann glauben? Und wieso spionierst du mir nach?“

In diesem Moment bereute die junge Hexe, was sie gerade tat. Sie löste den Zauber, der seinen Blick gefangen hielt und ihre Augenfarbe wurde im gleichen Moment wieder zu hellbraun.

Die Veränderung fiel Jason sofort auf, aber er schob sie auf den wenigen Schlaf der letzten Nacht. Menschen konnten nicht so mir nichts, dir nichts ihre Augenfarbe wechseln!

„Danke für deine Warnungen, aber ich denke, wir kommen klar“, sagte er, als Lilian einfach schwieg und ging schließlich.

Sie blieb jedoch an Ort und Stelle stehen und verfluchte ihr Hexendasein einmal mehr.

„Ich hab’s vermasselt!“, jammerte sie leise vor sich hin. „Jetzt hab ich keine andere Wahl mehr, als die Sache dem Zirkel zu melden.“
 

Fortsetzung folgt...

Gespräche

Kapitel 9

~

Gespräche
 


 

Ryan tastete mit den Fingern nach dem Schloss seiner Wohnungstür, weil Einkäufe ihm die Sicht versperrten. Schließlich sprang die Tür mit einem leisen Klicken auf. Die Tüten stellte er auf der Kommode neben sich ab und blickte zur Uhr. Es blieb noch genug Zeit um Jason von der Schule abzuholen. Es war Freitag und Ryan machte dann meist schon gegen Mittag Feierabend.

Geistesabwesend räumte er die Lebensmittel weg. Die beiden Gestalten des gestrigen Abends beschäftigten noch immer seine Gedanken. Was wollten sie von ihm?

Als sein Handy klingelte, zuckte er erschrocken zusammen und ließ dabei fast eine Milchflasche fallen. Er seufzte, aber als er auf dem Display „Eingehender Anruf – June“ las, war er plötzlich hellwach.

„Ja?“

„Hi, Ryan“, meldete sich June. Sie klang so wie immer. Nichts ließ auf die beunruhigenden Vorkommnisse der letzten Tage schließen. „Bist du schon Zuhause?“

Ryan hoffte, dass es ihm ebenfalls gelingen würde seiner Stimme einen gelassenen Klang zu verleihen. „Ja, bin gerade wieder da.“

„Sehen wir uns heute Abend?“

Jetzt saß Ryan in der Zwickmühle. Einerseits hatte er Angst sich zu verplappern, andererseits wollte er June gerne sehen. Vielleicht sogar mehr, als er sich das selbst eingestehen wollte. Schließlich gab er seinem Wunsch den Vorzug. „Natürlich, gern.“

„Prima“, erwiderte June am anderen Ende der Leitung. „Treffen wir uns dann im The Salisbury gegen acht Uhr?“

„Ich werde da sein.“ Ryan lächelte, obwohl sie das ja gar nicht sehen konnte.

„Ich freue mich. Bis heute Abend.“ Dann war das Gespräch beendet.
 

„Darf ich mal fragen, was du da machst?“

Mona zuckte zusammen. So langsam aber sicher gingen ihr Eves lautlose Bewegungen auf die Nerven. „Psst!“, zischte sie.

Eve trat ungerührt neben Mona und schaute ihr über die Schulter. Verwundert zog sie beide Augenbrauen nach oben. „Seit wann hast du einen Computer und wieso kannst du überhaupt damit umgehen?“

„Bram hat mir den geliehen, den er für seine Arbeit benutzt und mir gezeigt, wie er funktioniert.“ Trotzig streckte Mona das Kinn vor.

„Schreibt der immer noch?“, fragte Eve, was nur halb interessiert klang.

„Ja“, erwiderte Mona. „Er hat sich für seine neueste Idee wieder mal das Pseudonym einer Frau zugelegt. Eine dieser Mädchen-verliebt-sich-in-Vampir-Geschichten. Vorhin hat er irgendwas von Vampiren, die im Sonnenlicht glitzern gefaselt.“ Mona rollte mit den Augen. „In den letzten paar Jahren scheint sein Verstand arg gelitten zu haben.“

Eve ging nicht darauf ein, stattdessen war ihr Blick auf den Bildschirm gefallen. Sie deutete darauf. „Erkläre mir das.“ Zu sehen, war ein Foto der Frau, die sie entdeckt hatte und in deren Wohnung sie hatten einbrechen wollen. „June Carrington. Junge Illustratorin auf der London Book Fair“, las sie dort. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. „Mona!“

„Ich weiß“, brummte Mona. „Es ist mir nicht erlaubt das zu tun. Dennoch werde ich herausfinden, wer diese Leute sind und warum mich Lionel von ihnen fernhalten will. Ich muss es einfach wissen.“

„Nein, das musst du nicht“, widersprach Eve kühl. „Das ist Irrsinn.“

„Ich werde es trotzdem tun“, beharrte Mona noch immer.

Eve wandte sich kopfschüttelnd ab. „Bitte, aber erwarte nicht, dass ich dir dabei helfe.“

„Du willst doch nur Lionel nicht verärgern.“

„Er vertraut mir“, sagte Eve schlicht. „Deswegen werde ich es nicht tun. Tut mir leid, aber diesmal bist du auf dich allein gestellt. Befehl ist Befehl. Je eher du das einsiehst, desto besser wird es für dich sein.“

„Fein, macht doch alle, was ihr wollt“, knurrte Mona, nachdem Eve gegangen war. Es kränkte sie, dass ihre Freundin sie im Stich ließ, aber das würde sie niemals zugeben.
 

The Salisbury war ein typisch britischer Pub im viktorianischen Stil. Ryan hatte diesen Ort noch gut in Erinnerung, denn dort war ihm June zum ersten Mal aufgefallen. Sie traf sich dort regelmäßig mit Freunden – heute sowie damals. Ryan war fast genauso oft gekommen, nur um sie zu sehen. Jetzt musste er grinsen, wenn er daran zurück dachte. Er hatte sich wirklich wie ein verliebter Trottel benommen.

Ryan zog seinen Mantel enger um sich und drehte sich genau in dem Moment um, als June um die Ecke bog. Zur Begrüßung küsste sie ihn auf die Wange.

„Wartest du schon lange?“, fragte sie.

Ryan schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin auch gerade erst gekommen“, erwiderte er. „Komm, gehen wir rein.“

The Salisbury befand sich im Herzen der Stadt. Die winzige Glastür führte einen scheinbar in eine andere Zeit, denn der Inhaber hatte nicht viel am ursprünglichen Aussehen verändert. Im Inneren gab es alte Laternen, die den Raum in warmes Licht tauchten. Große Spiegel, mit Ornamenten verziertes Holz und gemütliche Nischenplätze rundeten den Gesamteindruck ab.

Abends arbeitete an der Bar ein Mann namens Richard, der aus der gleichen Zeit zu stammen schien, wie dieser Laden. Seine schwarzen Haare waren akkurat zurückgekämmt und er trug stets ein Monokel. Er war vermutlich englischer als die Queen, aber auch wärmer als George Michael. Als er ihnen zulächelte, nahm Ryan so schnell wie möglich einen Platz in der entlegensten Ecke ein. June schmunzelte und folgte ihm dann gemäßigten Schrittes.

„Er wird dich schon nicht auffressen“, meinte sie amüsiert.

„Das sagst du.“ Ryan schnaubte, wechselte dann aber schnell das Thema. „Bist du mit dem Auto hier?“

June schüttelte den Kopf. „Nein, mit der U-Bahn“, erwiderte sie, als wäre das ganz logisch. Nun, im Grunde genommen war es das auch. Man besuchte höchst selten einen Pub und fuhr dann noch Auto.

Dennoch gefiel Ryan der Gedanke nicht, dass sie allein im Dunkeln unterwegs war, wenn merkwürdige Gestalten herumschlichen.

Richard kam an ihren Tisch – oder besser gesagt tänzelte er an ihren Tisch – um die Bestellungen aufzunehmen. Das lenkte Ryan zumindest für den Moment von seinen Sorgen ab. Demonstrativ rutschte er ein Stück näher zu June und bestellte machohaft ein Bier. June trank Weißwein. Beides wurde in Windeseile serviert.

Nachdem Richard an seinen Platz zurückgekehrt war, zog June die Augenbrauen nach oben und musterte Ryan. „Manchmal bist du wirklich albern, weißt du das? Du solltest mal etwas gegen deine Homophobie unternehmen.“

Ryan schnitt ihr eine Grimasse. „Ich leide nicht unter Homophobie, sondern unter Richardphobie“, stellte er klar. „Das ist ein Unterschied.“

June gab sich Mühe ein ernstes Gesicht zu bewahren, aber man konnte deutlich sehen, dass ihre Mundwinkel verräterisch zuckten. Ryan konnte sie schon immer zum Lachen, oder zumindest zum Lächeln, bringen.

Zum ersten Mal an diesem Abend betrachtete er sie genauer. Sie trug ein dunkelblaues Kleid mit schwarzem Gürtel und darunter eine Strumpfhose. Die braunen Haare fielen ihr locker über die Schultern und umrahmten ihr Gesicht. Als er die Kette um ihren Hals entdeckte, machte sein Herz einen Hüpfer. „Die hast du noch?“

„Natürlich“, entgegnete June lächelnd. „Das war dein erstes Geschenk an mich. So etwas werfe ich doch nicht weg.“

Verlegen drehte Ryan den Kopf weg und starrte in sein Bier. Er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Doch irgendwie freute ihn diese Aussage.

„Wir war die Arbeit?“

Ryans Kopf ruckte hoch, als sie ihn das fragte. Er ermahnte sich selbst ruhig zu bleiben, immerhin war das eine ganz alltägliche Frage. „Gut“, sagte er schnell.

„Gut?“ June hielt in ihrer Bewegung inne und setzte das Weinglas wieder ab.

„Hm“, machte Ryan.

June zog die Augenbrauen zusammen. „Ich kenne dich nun schon so lange, aber noch nie hast du auf diese Frage mit gut geantwortet. Doch, das eine mal... da hattest du deinen Job verloren.“ Sie schaute ihn misstrauisch an. „Hast du deinen Job verloren?“

Ryan schüttelte den Kopf.

„Zumindest etwas“, kommentierte June. „Trotzdem... ist irgendetwas passiert? Du beschwerst dich über die Idiotie der Menschheit oder erzählst von alten Damen, die einen Narren an dir gefressen haben, aber du sagst niemals gut.“

Innerlich kapitulierte Ryan. Es war von Anfang an zwecklos gewesen June irgendwas verheimlichen zu wollen. Sie kannte ihn zu gut und er war einfach kein guter Lügner. „Nun, um ehrlich zu sein, war da schon etwas“, begann er zögerlich. „Man hat mir gestern nach der Arbeit aufgelauert.“ Und so erzählte er die Geschichte von dem Halbstarken und der Prada-Frau zum zweiten Mal, von deren unglaublicher Kraft und vom Orden der Ewigen Nacht.

„Orden der Ewigen Nacht?“, hakte June nach. „Das klingt nach einer Sekte, wenn du mich fragst.“

„Möglich.“ Ryan zögerte vor dem nächsten Schritt, denn er wollte sie nicht unnötig aufregen. Schließlich seufzte er ergeben. „June, ich glaube, dass das etwas mit dem zu tun haben könnte, was neulich bei deiner Wohnung passiert ist. Diese Leute schienen merkwürdige Fähigkeiten zu haben, die vielleicht auch erklären würden, wie jemand auf deine Fensterbank kommt. Ich weiß, das klingt verrückt, aber mit Logik kommen wir ja anscheinend nicht weiter. Ich glaube...“ Er brach ab und setzte dann neu an. „Ich glaube, dass uns jemand verfolgt. Ich weiß nur nicht, wieso.“

Ruhig hatte June seinen Ausführungen gelauscht. Sie wirkte besorgt, nachdenklich, aber zu seiner Erleichterung schenkte sie ihm Glauben.

Sie hält mich nicht für verrückt, jubilierte Ryan innerlich.

„Und was wollen wir jetzt tun?“, fragte June nach einer Weile. „Bisher können wir nur Vermutungen anstellen, aber wie wollen wir das beweisen?“

„Ich muss diese Leute noch einmal treffen“, erwiderte Ryan, obwohl ihm selbst nicht wohl zumute war bei diesem Gedanken. Er hatte keine Ahnung, wie er das anstellen sollte, aber er hatte das untrügliche Gefühl, dass er ihnen wieder über den Weg laufen würde. Möglicherweise früher als ihm lieb war...

„Ich wünschte, du hättest etwas weniger Gefährliches vorgeschlagen“, meinte June.

Ryan blickte auf. Machte sie sich Sorgen? Um ihn?

„Tu mir nur einen Gefallen und sei vorsichtig“, fuhr June fort. „Riskiere nicht Hals und Kragen. Das ist es nicht wert.“

„Okay, versprochen.“

June nickte. „Dann werde ich mich mal ein wenig umhören und schauen, ob jemand diesen Orden kennt.“

„Und du wirst vorsichtig sein?“ Ryan zog eine Augenbraue nach oben.

„Selbstverständlich.“ June lächelte.

Für den Rest des Abends versuchte Ryan die Unterhaltung in weniger beunruhigende Bahnen zu lenken, was June dankbar annahm. Es war fast wieder so wie früher, als sie stundenlang geplaudert und dabei die Zeit vergessen hatten.

Als sie das The Salisbury verließen war es bereits nach Mitternacht. Ryan bestand darauf June nach Hause zu bringen, denn er misstraute der Dunkelheit inzwischen. Bisher hatte ihnen das eine Menge Unannehmlichkeiten bereitet.

Ryan wollte sich an der Tür von June verabschieden und wie üblich auf die Wange küssen, aber da sie just in diesem Moment den Kopf umdrehte, streifte er ganz leicht ihre Lippen. Verlegen machte er einen Schritt zurück. „Entschuldigung. Wir äh... telefonieren dann morgen, ja? Gute Nacht!“ Er brachte es nicht fertig ihr in die Augen zu schauen, weil er sich vor dem fürchtete, was er dort vielleicht lesen würde.

„Gute Nacht.“ June blickte ihm nach. Erst als sie hörte, dass die Eingangstür ins Schloss fiel, ging sie in ihre eigene Wohnung.
 

Fortsetzung folgt...

Im Buchladen

Kapitel 10

~

Im Buchladen
 


 

Den ganzen Tag über war Lilian auffällig ruhig gewesen. Das Gespräch mit Jason hatte sie traurig und wütend zugleich gemacht. Traurig, weil sie ihren Schwarm wohl gegen sich aufgebracht hatte, und wütend, weil er ihr nicht geglaubt hatte.

Außerdem fragte sie sich, wie sie es anstellen sollte, dem Zirkel von ihrer Vermutung zu berichten.

Es regnete, als sie den Heimweg antrat, aber die Hexe machte sich nicht die Mühe, ihren Schirm aufzuspannen. Der kalte Regen, der ihr übers Gesicht lief, tat ihr ganz gut, dennoch war sie pitschnass, als sie endlich daheim ankam.

„Mom?“, rief sie, noch während sie die Haustür aufschloss.

„Ja?“, hörte Lilian auch sogleich die Stimme ihrer Mutter aus der Küche.

Die junge Hexe schloss die Tür hinter sich, stellte ihre Schultasche im Eingang ab und zog sich dann die Schuhe und Jacke aus, bevor sie sich zu ihrer Mutter gesellte.

„Lilian, wie siehst du denn aus? Warum hast du deinen Schirm nicht benutzt?“, schimpfte diese sogleich.

Das Mädchen unterdrückte den Impuls, ihre Augen zu rollen. „Mom, ich muss dir was wichtiges sagen“, entgegnete sie.

Ihre Mutter sah sie fragend an, also fuhr Lilian fort. „Ich habe den Verdacht, dass einer meiner Schulkameraden in Gefahr ist. An ihm klebt seit ein paar Tagen Vampirgeruch.“

Sophia Brooks, Lilians Mutter, zweifelte keinen Augenblick an den Worten ihrer Tochter, so schlecht ihr Verhältnis zueinander auch sein mochte. „Wie stark ist es?“

„An ihm ist der Geruch nur sehr schwach. Aber er hat mir erzählt, dass sein Bruder angegriffen worden ist. Anscheinend sind die Vampire hinter seinem Bruder her, eventuell auch an einer Frau.“

„Wir sollten das im Auge behalten“, sagte Sophia nachdenklich.

Natürlich konnte der Zirkel der Hexen nicht verhindern, dass die Vampire sich ihre Beute suchten und noch weniger konnten sie wirklich alle Vampire vernichten – dafür gab es einfach nicht mehr genügend Hexen in England. Nicht mehr, seit sie vor über 100 Jahren die damals mächtigste Hexe, die „Seherin“ verloren hatten. Der Zirkel hatte nie erfahren, was aus der jungen Frau geworden war und es gab die wildesten Gerüchte über dieses Thema.

Aber dennoch versuchte der Hexenzirkel, die Wildereien der Vampire unter den Menschen so gering wie möglich zu halten. Es war die Aufgabe der Hexen, die Menschen zu beschützen.
 

Jason hatte sich den ganzen Tag über sein schlechtes Spiel am Morgen geärgert. Und gleichzeitig wunderte er sich über Lilian. Bisher war sie ihm ziemlich normal vorgekommen, doch an diesem Morgen war sie sehr merkwürdig gewesen. Diese intensive Farbe ihrer Augen konnte er einfach nicht mehr vergessen und schon gar nicht diese Worte, er solle niemanden ins Haus lassen und Silber tragen. Einerseits sagte er sich, dass das Quatsch war, andererseits hatte er das Gefühl, dieses Mädchen wusste mehr, als sie sagen wollte. Schon allein die Tatsache, dass sie ihn beinahe wie eine Zitrone ausgequetscht hatte über die Sache mit Ryans Überfall – wieso interessierte sich seine Klassenkameradin für so was? Wusste sie etwa ganz genau darüber Bescheid, was eigentlich los war? Gab es wirklich einen Zusammenhang zwischen den komischen Vorfällen bei June und dem Überfall auf Ryan?

Ein bisschen hatte Lilian ihm mit ihrer Warnung tatsächlich Angst gemacht und so hatte Jason tatsächlich sogar die Fußmatte mit dem Willkommensgruß von der Tür entfernt.

Ryan kam an diesem Abend erst sehr spät nach Hause, aber Jason wollte unbedingt mit ihm sprechen, also blieb er solange wach, bis sein Bruder kam.
 

Mona hatte tatsächlich Gefallen an dem Umgang mit einem PC gefunden und längst entschieden, dass sie selbst einen haben wollte. Das Surfen im Internet machte ihr Spaß und sie hatte nach langer Zeit endlich mal wieder ein anderes Hobby als nur das Klavierspielen. Bram drängelte zu ihrem Leidwesen bereits jetzt, dass er seinen Rechner gern zurückhätte – er hätte schließlich Deadlines einzuhalten – und so hatte die Vampirin kurzerhand beschlossen, dass sie (natürlich mit seiner Hilfe) selbst einen PC kaufen würde.

Natürlich war es für einen Vampir nicht so leicht, einfach in einen Laden zu gehen und sich etwas zu kaufen – viele Läden schlossen bereits, bevor die Sonne unterging – dennoch hatte ihr der ältere Vampir versprochen, nach Sonnenuntergang in der nächsten Nacht mit ihr loszuziehen. Mona freute sich darauf, wie ein kleines Kind.

Als es endlich soweit war, trug sie ein schlichtes, schwarzes Kleid, mit dem sie hoffte, nicht allzu sehr aufzufallen und darüber ihren ebenfalls schwarzen Vampirumhang. Dann wartete sie am Eingang des Anwesens auf Bram, der sie glücklicherweise nicht allzu lange warten ließ.

„Eine gute Entscheidung, einen eigenen PC zu kaufen“, brummte er. „Die Dinger sind ungemein praktisch. Allerdings auch teuer, hast du genug Geld, Mona?“

Die junge Vampirin nickte. Sie gab nie besonders viel Geld aus, deshalb hatte sich einiges angesammelt.
 

Es war noch früher Abend, aber es ging stark auf den Winter zu, deshalb war es schon dunkel und die beiden Vampire konnten sich frei in der Londoner Innenstadt bewegen.

Mona fiel es schwer, sich einfach so unter die Menschen zu mischen. Sie befürchtete jeden Moment, dass einer der Menschen erkennen würde, was sie war.

Bram hingegen bewegte sich sehr geschickt und unauffällig, wie er es schon seit Jahrzehnten machte. Er fiel zwischen der Bevölkerung der Stadt überhaupt nicht auf.

Ohne Probleme konnten sie ein Geschäft für Elektronik und Computer aufsuchen und als sich die Vampirin darin umsah, stellte sie erneut fest, wie weit die Menschheit und die Technologie inzwischen fortentwickelt waren. Sie konnte mit den ganzen Bezeichnungen und Artikeln, die angeboten wurden, überhaupt nichts anfangen. Sie hatte sich auch nie sonderlich für die technischen Errungenschaften der letzten Jahre interessiert. Das sollte sich nun ändern.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis Bram sie heranrief, um ihren neuen Computer, den er für sie ausgesucht hatte, zu bezahlen. Über den Preis staunte sie nicht schlecht, aber die Abbildung auf dem Karton, den Bram hielt, gefiel ihr. Es war einer dieser tragbaren Dinger, die man „Notebook“ oder „Laptop“ nannte. So ein kleiner Kasten würde für sie und ihre Zwecke völlig ausreichen. Ein breites Lächeln zierte ihre Lippen, als sie mit dem älteren Vampir den Laden verließ.

„Danke, Bram“, sagte sie. „Ohne dich wüsste ich gar nicht, was ich nehmen würde.“

„Kein Problem“, kicherte der Ältere. „Ich helfe dir nachher auch beim Einrichten der Software. Hab ich alles schon zig mal gemacht. Aber erst wollte ich gern noch in den Buchladen um die Ecke. Kommst du mit?“

Mona nickte. „Gern. Vielleicht finde ich ja auch mal wieder ein Buch, das mich interessiert.“

Sie schlenderten weiter durch die Straße, wobei Bram – ganz der Gentleman – natürlich die große Tüte mit dem Notebook trug.

Bis sie den Buchladen erreichten, erzählte der ältere Vampir Mona davon, wie er neulich eines seiner ersten Werke an den netten Verkäufer weitergegeben hatte, der es seiner Freundin hatte schenken wollen, und das er gerne wüsste, wie das Geschenk bei der Dame wohl angekommen war.

Eine kleine Glocke klingelte, als Mona und Bram das Geschäft betraten und aus einem der Regale vernahmen sie die Stimme eines jungen Mannes, der „Guten Abend“ rief.

„Ah, guten Abend! Ich wollte unbedingt fragen...“, dem Rest des Gesprächs zwischen Bram und dem jungen Mann verfolgte Mona nicht weiter. Sie war weiter in das Geschäft hineingegangen und las sich die Titel einiger Liebesromane durch. Mona mochte die Bücher von Jane Austen, aber die hatte sie inzwischen alle mehr als zehnmal gelesen und sie hoffte, etwas Neues zu finden. Allerdings sagten ihr die Titel von einer gewissen „Nora Roberts“ überhaupt nicht zu.

Als sie sich schlussendlich für ein Buch entschieden hatte, trat sie zwischen den Regalen vor und suchte nach Bram, der sich noch immer mit dem Verkäufer unterhielt.

„Bram, bist du soweit?“, fragte sie und erschrak, als sie schlussendlich einen Blick auf den Verkäufer warf.

„Ryan!“, rief sie panisch, wurde noch bleicher, als sie ohnehin schon war und ließ vor Schreck das Buch fallen.

Ryan horchte auf, als die junge Frau seinen Namen sagte. Er hatte zuvor nicht auf sie geachtet, da er nebenbei Bücher einsortierte, aber nun musterte er sie interessiert. „Woher kennen Sie meinen Namen?“, fragte er. Er fand den Kleidungsstil der Frau elegant, aber sehr altmodisch. Ihre Haare trug sie offen, aber sie waren sehr dunkel und ihre Augen verwirrten ihn. Erst hatte er sie für dunkelbraun gehalten, aber als er nun genauer hinsah, erkannte er, dass sie blutrot waren. Wie konnten Augen so blutrot sein? Und wieso war sie so erschrocken, ihn zu sehen?

Bram schien sich das gleiche zu fragen, er sah Mona stirnrunzelnd an. „Was ist, Mona?“

Die junge Vampirin nahm weder die eine, noch die andere Frage so richtig wahr. In ihrem Kopf rauschte nur das Verbot, das Lionel ihr auferlegt hatte – sie durfte sich diesem Menschen nicht nähern!

Natürlich hatte sie den Mann sofort erkannt – er war immerhin der Grund für ihre Verletzung gewesen und sie hatte sich ja intensiv mit ihm beschäftigt in den letzten Tagen. Ihn jetzt vor sich zu sehen, ängstigte sie. Wie konnte es nur so viele Zufälle geben?

Schließlich verließ sie fluchtartig den Buchladen, wobei sie nicht bemerkte, dass sie ihr kostbares Medaillon verlor, dass sie immer um den Hals trug und das Ryan später finden würde.
 

Fortsetzung folgt...

Verschwunden

Kapitel 11

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Verschwunden
 

Ryans Auto streikte mal wieder, weswegen er an diesem Abend mit der U-Bahn nach Hause fuhr. Es war voll und laut, aber davon bemerkte Ryan kaum etwas. Nachdenklich betrachtete er die goldene Halskette in seiner Hand. Die eigenartige Besucherin musste sie verloren haben, als sie praktisch aus der Buchhandlung geflohen war. Eigentlich hätte er das Medaillon zu den Fundsachen legen sollen, aber die Reaktion der Frau und die Tatsache, dass sie ihn zu kennen schien, hatten Ryan schließlich dazu bewogen das Schmuckstück mitzunehmen. Mittlerweile hatte er eine Schließvorrichtung daran entdeckt, doch so sehr er sich auch bemühte, der Anhänger ließ sich einfach nicht öffnen.

Letztendlich gab Ryan auf, als eine monotone Stimme seine Haltestelle ansagte. Er steckte die Kette in seine Manteltasche, griff nach seinen Sachen und machte sich auf den Heimweg.

Jason erwartete seinen Bruder bereits an der Tür, da er ihn vom Fenster aus entdeckt hatte. Ryan wunderte sich ein wenig über diese Begrüßung. „Hi“, murmelte er. „Wie war dein Tag?“

Jason kratzte sich am Hinterkopf. „Merkwürdig. Und deiner?“

„Noch merkwürdiger.“ Ryan grinste schief, wobei er aber müde wirkte.

Jason ging in die Küche hinüber und als Ryan seine Sachen abgelegt hatte und ihm endlich folgte, roch es dort bereits nach frisch aufgebrühtem Kräutertee.

„Hast du aus einem bestimmten Grund auf mich gewartet?“, fragte Ryan, während er eine Tasse dampfenden Tee entgegen nahm und sich daran die Hände wärmte. Die Tage wurden immer kälter und er hatte es versäumt sich neue Handschuhe zu besorgen, nachdem er seine Alten verloren hatte. Er war dankbar für die Wärme, die ihn nun langsam durchflutete.

Jason setzte sich seinem Bruder gegenüber. Es dauerte eine ganze Weile bis er antwortete. „Es geht um eine Klassenkameradin von mir“, begann er – unschlüssig, was er sich von diesem Gespräch erhoffte. „Ich habe ihr erzählt, dass ich mir Sorgen mache, weil du von irgendjemandem angegriffen wurdest.“

„Warum hast du das zu ihr gesagt?“ Skeptisch zog Ryan eine Augenbraue in die Höhe.

Jason zuckte mit den Schultern. „Sie hat mich danach gefragt, weil ich... na ja, beim Fußball habe ich mich total daneben benommen, deswegen ist es ihr wohl aufgefallen“, meinte er peinlich berührt. „Das ist es aber gar nicht, was mich beschäftigt, sondern vielmehr die Tatsache, dass sie mehr darüber zu wissen schien, als sie zugeben wollte. Sie hat mich gewarnt.“

Ryan drehte die Tasse in seiner Hand hin und her. „Wovor hat sie dich gewarnt?“

„Das wollte sie mir nicht sagen. Sie meinte nur, dass ich vorsichtig sein soll.“ Jason zählte ihre Ratschläge auf – vom Silber bis hin zu der Fußmatte. „Ergibt das für dich irgendeinen Sinn?“, fragte der Junge schließlich.

Lange dachte Ryan darüber nach, schüttelte aber schließlich den Kopf. „Noch nicht wirklich. Tut mir leid. Doch ich bin mir fast sicher, dass es etwas zu bedeuten hat. An so viele absonderliche Zufälle auf einmal glaube ich nicht.“

Nun war es an Jason fragend dreinzuschauen und so berichtete Ryan ausführlich von den letzten Vorkommnissen in der Buchhandlung. Die Begegnung mit Mona hatte neue Fragen in ihm aufgeworfen, sodass er sie unmöglich als Zufall abtun konnte. „Diese Frau... sie wirkte so, als wäre sie nicht von dieser Welt. Ihre Augen waren blutrot.“

„Möglicherweise waren es nur Kontaktlinsen“, warf Jason ein. Er versuchte gelassen zu klingen, doch sein Herz schlug ihm plötzlich bis zum Hals. Blutrote Augen. Das erinnerte ihn an die Frau aus seinem Traum.

„Wer weiß...“ Ryan kramte in seiner Tasche und legte dann das Amulett auf den Tisch, welches er aufgehoben hatte. „Ich vermutete, dass das ihr gehört.“

Kalter Schweiß trat Jason auf die Stirn und er wusste gar nicht, warum er sich mit einem mal so unwohl fühlte.

Diese Veränderung entging Ryan nicht. Sein Blick war voller Besorgnis, als er seinen Bruder musterte. „Ist alles in Ordnung mit dir? Du bist ja ganz blass.“

Jason winkte ab, doch damit konnte er niemanden täuschen. Er fühlte sich, als würde er vor Hunderten von Fäden stehen, die an einer Stelle zusammenliefen, welche er nicht erreichen konnte. „Das ist alles vollkommen verrückt“, sagte er kopfschüttelnd. „So etwas kann überhaupt nicht wahr sein.“

Ryan verstand nicht ganz, worauf sein Bruder hinaus wollte, aber er fragte auch nicht weiter nach, solange Jason nicht von allein darüber reden wollte.
 

Mona stellte ihr gesamtes Zimmer auf den Kopf. Sie suchte im Schrank, schaute unter das Bett und durchwühlte sämtliche Schubladen. Nichts. Ihr Medaillon, der Besitz an dem sie am meisten hing, blieb verschwunden. Langsam aber sicher beschlich sie der Verdacht, dass sie es bei dem Ausflug mit Bram verloren hatte. Es konnte praktisch überall sein, wenn sie es auf einer der belebten Einkaufsstraßen verloren hatte, durch die Bram sie geführt hatte. Sie seufzte innerlich und warf einen schnellen Blick zum Fenster hinaus. Es war bereits zu spät um sich draußen auf die Suche zu machen, denn in gut einer Stunde würde die Sonne aufgehen. Sich jetzt noch auf den Weg zu begeben, wäre leichtsinnig gewesen, dennoch hätte Mona nichts lieber getan.
 

Gedankenverloren band sich June ihre Haare mit einer roten Schleife im Nacken zusammen. Mit gemischten Gefühlen betrachtete sie das bunte Sammelsurium, das an diesem Sonntagmorgen vor ihr ausgebreitet auf dem Schreibtisch lag. Die meisten Spuren zum Orden der Ewigen Nacht führten in eine Sackgasse. June zerknüllte ein paar Zettel, die sich zwar mit einem Orden dieses Namens befassten – allerdings ging es dabei um irgendein Online-Rollenspiel. Die „Ewige Nacht“ hatte sie zu Krimis oder gar zu Songs geführt. Schließlich klappte sie ihren Computer zu, denn dem Internet misstraute sie in den meisten Fällen sowieso. Ein Mensch mit angeborener antiquierter Ader versuchte seine Informationen auf andere Weise zu finden – in einer Bibliothek.

June schnappte sich die Autoschlüssel, ihren dunkelgrauen Dufflecoat und verließ die Wohnung in der Hoffnung endlich einen Anhaltspunkt zu finden, der sich nicht als Spinnerei erwies. Sie bereute es schnell den Wagen genommen zu haben um sich durch die Stadt zu bewegen. Denn glaubte man einer Statistik, dann kam man tagsüber in London mit dem Auto auf durchschnittlich 16 Stundenkilometer. Eigentlich wusste sie das, aber manche Dinge gewöhnte man sich nur sehr schwer ab.

Erst als sie sich durch die Reihen neugieriger Touristen hinein ins Innere der Bibliothek geschoben hatte, überkam sie ein Gefühl von Erleichterung. Die Anwesenheit von Büchern, das gedämpfte Licht und die nahezu ehrfurchtsvolle Atmosphäre beruhigten ihre angespannten Nerven. Doch nur für kurze Zeit, denn noch wusste sie nichts von dem, was sie finden würde.
 

June zuckte zusammen als eine Lautsprecherdurchsage sie darauf aufmerksam machte, dass die Bücherhalle bald schließen würde. Sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und blickte auf die Uhr – schon kurz vor 17 Uhr, sie hatte also fast den ganzen Tag hier verbracht. Eilig griff sie nach ihren Sachen und verließ das Gebäude, stieß dabei aber dummerweise mit einem jungen Mann zusammen.

„Verzeihung.“ Mit einen höflichen Lächeln, das so gar nicht zu seiner äußeren Erscheinung zu passen schien, überreichte er ihr die heruntergefallenen Bücher.

June warf nur einen flüchtigen in seine Richtung. „Danke“, murmelte sie und eilte dann zu ihrem Auto. Das Letzte, was ihr in Erinnerung blieb, waren seine Piercings, die für einen Moment im Licht aufblitzten.
 

Widerwillig erhob sich Ryan von der Couch, als es an der Tür klingelte. Der Sonntag war ihm heilig und da hatte er etwas gegen unerwünschten Besuch. Allerdings war dieser Besuch alles andere als unerwünscht, denn es war June, die vor ihm stand.

Damit hatte er nicht gerechnet. „Hi“, begrüßte er sie, trat einen Schritt beiseite und ließ sie hinein. Er hielt ein wenig Abstand, denn er wusste nicht, wie sie zu dem „Beinah-Kuss“ vom vergangenen Freitag stand.

„Hallo.“ June lächelte, wirkte aber aus irgendeinem Grunde angespannt.

Ryan nahm ihr den Mantel ab und erst dann fiel sein Blick auf die Bücher in ihrer Hand. „Was hast du da?“, erkundigte er sich neugierig.

June zögerte für den Bruchteil einer Sekunde. „Ich bin mir nicht sicher“, erwiderte sie. „Aber es könnte sein, dass wir endlich auf der richtigen Spur sind, was die merkwürdigen Vorfälle der letzten Tage betrifft.“

Damit hatte sie Ryans vollste Aufmerksamkeit. Nach den vielen Fragen, erschien ihm die Aussicht auf ein paar Antworten geradezu verlockend. Er schämte sich nur ein bisschen dafür, dass seine Wohnung schon wieder so unordentlich aussah.

June schien sich nicht weiter daran zu stören und breitete stattdessen die mitgebrachten Bücher und Unterlagen auf dem Küchentisch aus.

Ryan setzte sich neben sie und las einige der Titel. An einem der Bücher blieb sein Blick schließlich hängen. Sein Herz schlug schneller angesichts der dunklen Vorahnung, die ihn beschlich. Vorsichtig nahm er das Buch in die Hand, als könne er sich daran verbrennen. „Vampirismus?“ Er schluckte.

June nickte, wobei sie nicht viel glücklicher aussah, als er. „Es gibt viele Vereinigungen, die sich Orden der Ewigen Nacht nennen. Vieles davon stellte sich als Unsinn heraus, aber alle diese Gerüchte gehen auf einen Bund zurück, der sich bereits Anfang des 11. Jahrhunderts in Südosteuropa gründete. Ihren Mitgliedern wurde nachgesagt, sie würden menschliches Blut trinken, weil sie glaubten, es würde ihnen ewiges Leben und Jugend schenken. Die Legende des Vampirismus ist allerdings schon wesentlich älter.“

Ryan atmete einmal tief durch, als ihm bewusst wurde, dass er die Luft angehalten hatte. Fragend schaute er zu June hinüber.

„Angeblich stahl Lilith, die erste Frau Adams, nach ihrer Vertreibung aus dem Paradies Kinder“, erklärte June.

Skeptisch zog Ryan eine Augenbraue nach oben. „Aber das ist doch nur eine Legende“, wandte er ein.

„Wichtig ist nicht, ob es eine Legende ist, sondern wer an die Legende glaubt und wie viel Wahrheit sich in ihr verbergen mag“, meinte June und schaute Ryan dabei in die Augen. „Ich weiß, das mag verrückt klingen, aber...“

„In letzter Zeit sind eine Menge verrückter Dinge passiert“, führte Ryan ihren Satz zuende. Nachdenklich fuhr er sich mit den Fingern durch die Haare, bis ihm ein Blatt ins Auge fiel, das er bislang nicht beachtet hatte. „Was ist das?“ Es war eine herausgerissene Buchseite.

June schüttelte den Kopf. „Die habe ich nicht mitgebracht.“ Nachdenklich neigte sie den Kopf zur Seite. Da kam ihr der junge Mann wieder in den Sinn. „Warte mal... als ich die Bibliothek verlassen habe, bin ich mit jemandem zusammen gestoßen. Möglicherweise stammt das von ihm.“

„Wie sah derjenige aus?“, hakte Ryan misstrauisch nach.

„Hm, ich weiß nicht... gefärbte Haare, Piercings, ausgefranste Klamotten“, kramte June in ihrem Gedächtnis.

Ryan zog die Augenbrauen zusammen. „Die Beschreibung würde auf den Jungen passen, der mich neulich angegriffen hat“, wandte er alarmiert ein.

June tippte auf die Buchseite. „Dann führt uns das entweder in die Irre oder aber auf die richtige Spur.“
 

Fortsetzung folgt

Lilians Erwachen

Kapitel 12

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Lilians Erwachen
 

June sah sich die Buchseite genau an, aber dann seufzte sie ernüchtert.

„Das ist auf deutsch. Aber ich beherrsche die deutsche Sprache nicht.“

Auch Ryan konnte mit der germanischen Sprache nichts anfangen.

„Dann werden wir wohl etwas nachforschen müssen“, sagte er ruhig und überlegte, wie sie am besten vorgehen konnten.

Die Seite schien wirklich mitten aus einem alten Buch herausgerissen zu sein. Die Buchstaben waren eindeutig Altdeutsch und nur schwer zu lesen für jemanden, der die lateinische Schrift gewöhnt war.

„Das könnte Kurrentschrift, wahrscheinlich Sütterlin sein“, meinte June nach einer Weile.

Ryan sah seine Exfreundin wenig begeistert an. „Das wird dauern, das zu übersetzen, oder?“, fragte er.

„Mit Sicherheit. Ich kenne leider auch niemanden, der uns das übersetzen könnte, wir werden also selbst suchen müssen. Offenbar will man es uns nicht zu leicht machen“, sagte sie nickend.

„Ich weiß gar nicht, ob Jason in der Schule vielleicht Deutsch lernt“, stellte Ryan fest.

„Wo ist dein Bruder überhaupt?“

„In seinem Zimmer. Er hat vorhin was davon gesagt, dass er müde sei und sich ein wenig ausruhen wolle.“
 

In der Tat befand sich Jason Parker in seinem Bett und schlief.

Die Träume in den letzten Nächten hatten ihn kaum zur Ruhe kommen lassen und das seltsame Verhalten seiner Klassenkameradin Lilian hatte nicht gerade zu seiner Beruhigung beigetragen.

Auch jetzt schlief der junge Fußballer alles andere als ruhig.

Er war bereits schweißnass und wälzte sich von einer Seite auf die andere.
 

Haselnussbraune Augen blickten ihn verliebt an, ihre Hände streichelten den eigenen geschwollenen Leib zärtlich. „Liebster“, hörte er ihre flüsternde Stimme.

Doch auf einmal war alles dunkel, das haselnussbraun wandelte sich abermals zu blutrot, der Ausdruck auf dem Gesicht der hübschen Frau wurde finster und betrübt, überall war Blut.

Etwas Goldenes blitzte auf und er richtete seine Aufmerksamkeit darauf.

Es war ein Medaillon. Ein goldenes Medaillon.
 

Als Jason erwachte, fühlte er sich schrecklich. Sein Mund war ausgetrocknet, seine Kehle brannte und als er sich über das Gesicht wischte, stellte er beinahe entsetzt fest, das er im Schlaf geweint haben musste.

„Verdammt“, murmelte er.

Wie von allein glitt seine zitternde Hand neben das Bett, um die Flasche Wasser zu ergreifen, die dort immer stand.

Nachdem er ein paar Schlucke getrunken hatte, fühlte sich Jason ein wenig besser. Doch noch immer hallte der Traum in seinen Gedanken nach.

„Das Medaillon... es gehört ihr....“, begriff er endlich. Nun war ihm endlich bewusst, wo er das Schmuckstück schon mal gesehen hatte.

Aber warum träumte er von ihr? Von dieser Frau mit den blutroten Augen? Was wollte sie von ihm? Und warum tauchte ausgerechnet jetzt das Medaillon auf?

Jason stand auf und verließ sein Zimmer.

Er musste es haben. Das goldene Medaillon war gar nicht zu Ryan gekommen. Es wollte eigentlich zu ihm.

In der Wohnung war es bereits dunkel, nirgends war mehr ein Licht zu sehen.

War es schon so spät?

Ein Blick auf die digitale Wohnzimmeruhr bestätigte ihm, dass es schon spät war. In fünf Stunden würde er aufstehen müssen, um anschließend zur Schule gehen zu können.

Ihm war gar nicht bewusst gewesen, dass er so lange geschlafen hatte. Es war ihm bei weitem nicht so lang vorgekommen.

Er begab sich zum Zimmer seines Bruders und lauschte. Kein Schnarchen, aber auch kein anderer Laut.

Jason klopfte an und wartete einen Moment. Er wollte gerade noch einmal klopfen, als ein „Komm rein“ ertönte.

„Ryan?“, fragte der Jüngere in den Raum hinein, als er die Tür öffnete.

„Was ist?“, fragte Ryan zurück. Sein Zimmer wurde nur noch von der Nachttischlampe erleuchtet und ein Buch lesend lag Ryan in seinem Bett. Er hob fragend die Augenbraue, als er seinen kleinen Bruder musterte. „Hast du schlecht geschlafen?“

„Sehr schlecht“, antwortete Jason ehrlich.

„Alpträume?“

„Ja. In letzter Zeit dauernd.“

„Ich weiß.“

„Du weißt...?“ Jason sah seinen großen Bruder fragend an.

In der Tat hatte Ryan schon des öfteren mitbekommen, das der Jüngere schlecht schlief. Aber er hatte ihn nicht darauf ansprechen wollen. Er wusste, Jason würde von sich aus kommen, wenn er wollte.

Ryan antwortete nicht, sondern bedeutete dem Bruder, sich neben ihn zu setzen.

Dieser Aufforderung kam Jason ohne zu zögern nach.

„Wovon träumst du?“, wurde er gefragt.

„Von einer Frau. Sie ist hübsch. Sie hat lange, dunkle Locken und braune Augen und sie bittet mich um etwas. Aber ich verstehe nie, was sie von mir will. Und auf einmal wird sie ganz kalt und ihre Augen werden rot. Und dann wache ich immer auf.“

„Das ist ein seltsamer Traum. Ist es immer derselbe?“

„Ja. Er variiert zwar manchmal, aber es ist immer diese Frau.“

„Hast du Angst vor ihr?“

„Anfangs nicht. Aber ich bekomme Angst, wenn sie anfängt, kalt und blass zu werden“, gab Jason zu. „Und sie trägt das Medaillon.“

„Das Medaillon?“

„Ja. Das, dass du mir gezeigt hast. Im letzten Traum hat sie es getragen.“

Ryan hatte das goldene Schmuckstück erst einmal in die Schublade seines Nachttisches gelegt, aber nun holte er es wieder hervor.

„Bist du sicher, dass es dieses ist?“

„Nein. Aber irgendwas ist damit.“

Wenn es wirklich dieser seltsamen Frau gehörte, die Ryan in der Buchhandlung getroffen hatte, dann konnte Jason mit seiner Vermutung durchaus Recht haben.

„Es lässt sich nicht öffnen, obwohl hier ein Verschluss ist“, erklärte Ryan, als er Jason das Medaillon gab.

Der Fußballer sah sich das Schmuckstück genau an, aber auch er konnte es nicht öffnen.

Da kam ihm eine Idee.

„Ryan, darf ich es morgen mal meiner Klassenkameradin zeigen? Sie weiß vielleicht, was es damit auf sich hat.“ Immerhin schien Lilian ja eine ganze Menge merkwürdiges Zeug zu wissen, wenn sie ihm schon so seltsame Warnungen zukommen ließ.

„Klar. Mach. Ich weiß ehrlich gesagt sowieso nichts damit anzufangen“, meinte Ryan.
 

Es regnete. Natürlich regnete es. Immerhin befand sie sich ja in England.

Ihrer Mutter zuliebe hatte Lilian diesmal sogar einen Schirm aufgespannt.

Der Schultag war normal gewesen – bis auf die Tatsache, dass sie diesen Morgen nicht beim Fußballtraining zugesehen hatte. Nachdem Jason sie so abserviert hatte, hatte sie keine Lust mehr gehabt, ihm zuzusehen.

Ihre Mutter hatte ihr zwar geraten, auf den Jungen aufzupassen und es ihr sofort zu melden, falls sie erneut Vampirgeruch an ihm feststellte, aber Lilian hatte es einfach nicht fertig gebracht. Sie ärgerte sich viel zu sehr darüber, es sich mit Jason vermasselt zu haben.

Während des Unterrichts hatte sie nichts Ungewöhnliches an ihm feststellen können und so dachte sie sich, dass er vielleicht auch einfach rein zufällig einem Vampir begegnet war.

Vielleicht war sein Bruder ja auch gar nicht von Vampiren angegriffen worden, sondern von einfachen Räubern!

Sie würde ihn beobachten, das musste sie. Das war ihre Pflicht als Hexe.

Aber sie wollte ihm nicht wieder so nahe kommen.

Es schien ein Wink des Schicksals zu sein, als es nun ausgerechnet Jason war, der auf Lilian zukam.

Sie war bereits beinahe beim Schultor angekommen, als er sie abfing.

„Lilian? Kann ich dich was fragen?“

Das hat mir gerade noch gefehlt!, dachte sie grimmig. Sie wollte nach Hause, nicht mit Jason diskutieren!

„Was gibt es?“, fragte sie jedoch. Sie wollte nicht unhöflich sein und ignorieren konnte sie ihn ja nun auch nicht mehr, wo er sie direkt ansprach.

Der Fußballer hatte keinen Regenschirm bei sich, also deutete er auf die überdachten Fahrradständer. „Wollen wir uns kurz unterstellen?“

Das Mädchen nickte und sie begaben sich zu den fast komplett geleerten Ständern. Nach Schulschluss blieb immer kaum ein Rad hier stehen.

„Also...“, begann Jason nun, als Lilian ihn fragend ansah. „Ich wollte dich etwas fragen...“

Er ist ja richtig nervös, dachte Lilian, als sie ihn musterte. Seine dunkelblonden Haare waren völlig durchnässt, ebenso wie die dunkelblaue Uniformjacke, die er trug. Er musste also schon länger auf sie gewartet haben. Außerdem nestelte er an einem Knopf der Jacke herum, wie er es immer tat, wenn er nervös war. Lilian wusste das, immerhin beobachtete sie den Jungen schon seit einiger Zeit.

„Dann frag“, forderte sie ihn auf, als er vorerst schwieg.

„Ich hab hier was....“, murmelte er, dann zog er eine goldene Kette aus seiner Jackentasche hervor.

Im ersten Moment fragte sich die Hexe, was er damit nun bezweckte, aber die Frage, die er nun stellte, war eine andere, als sie erwartet hatte.

„Weißt du, wem sie gehören könnte? Mein Bruder hat sie gefunden.“

„Wieso zeigst du mir das?“, fragte sie zweifelnd.

„Ich weiß es nicht. Mein Gefühl sagt mir, dass du damit was anfangen kannst.“

„Dein Gefühl, ja?“, fragte Lilian skeptisch. Was genau dachte er eigentlich von ihr?

Er konnte doch unmöglich wissen, dass sie eine Hexe war!

Aber als sie das Medaillon berührte, durchzuckte es sie sehr heftig.

Magie!, schoss es ihr durch den Kopf. Das Ding ist voller Magie!

Jason starrte sie beinahe erschrocken an. Eine so heftige Reaktion hatte er nicht erwartet. Seine Klassenkameradin war ja geradezu berauscht von diesem Schmuckstück.

Lilian hatte sich von dem ersten Schrecken schnell erholt und betrachtete das Medaillon schließlich eingehend.

Sie erkannte beinahe sofort, dass der Verschluss des Medaillons magisch versiegelt worden war und das machte sie neugierig. Die Magie musste einmal sehr stark gewesen sein, war aber im Laufe der Zeit schwächer geworden. Die Hexe konnte den Zauber ohne Probleme brechen und sie tat dies schon beinahe unbewusst.

Ein kleines Knacken war zu hören, als das Medaillon schließlich aufsprang.

„Wie hast du das gemacht?“, fragte Jason beinahe ungläubig. „Weder mein Bruder noch ich haben es aufbekommen.“

„Zufall“, erwiderte Lilian geistesgegenwärtig.

Jason war näher gekommen, um den Inhalt der goldenen Kette ansehen zu können und war ein wenig verwirrt. Das Medaillon enthielt einen kleinen, blutroten Edelstein und zwei Fotos.

Die Bilder kamen ihm merkwürdig vertraut vor, aber der Edelstein sagte ihm so gar nichts.

„Was ist das?“, fragte er leise, aber Lilian schüttelte unwissend den Kopf.

„Ich habe keine Ahnung.“

Aber das Merkwürdigste geschah, als Lilian den roten Edelstein berührte.

Sie gab sofort einen spitzen Schrei von sich und ihre Hand, mit der sie den Stein berührte hatte, fühlte sich an wie glühendes Feuer. Beinahe sofort nahmen ihre Augen den goldenen Schimmer ihrer magischen Kraft an und ihre Haare wurden wie von Zauberhand plötzlich schneeweiß.

Zeit und Raum verloren an Bedeutung für die Hexe und sie spürte eine große magische Kraft in sich aufsteigen. Der Edelstein war verschwunden – es war, als wäre er in ihren Körper eingedrungen und würde sich dort einnisten, obwohl sie wusste, das dem nicht so war. Ganz im Gegenteil nahm ihre Magie die Magie des Edelsteins völlig freiwillig und recht gierig in sich auf.

Eine Vision nahm sie gefangen und im gleichen Moment wusste sie, was mit ihr geschehen war.

Sie war erwacht.

Die Berührung mit der Magie des blutroten Steins brachte sie dazu, zu erkennen, das sie die neue „Seherin“ war.
 

Jason war gleichzeitig ziemlich das Herz in die Hose gerutscht, als diese seltsame Veränderung mit Lilian geschah. Er hatte Angst, denn er wusste nicht, was da passierte.

Diese seltsame Farbe ihrer Augen erkannte er sofort wieder und nun war ihm auch klar, dass er sich das nicht eingebildet hatte. Die goldenen Augen starrten ins Leere und Lilian war gänzlich unbewegt, als ihre Haare sich ebenso seltsam veränderten.

„Was zum...?“, flüsterte er voller Ehrfurcht und wusste gleichzeitig überhaupt nicht, was er tun sollte.

Aber am meisten erschrak er, als das Mädchen schließlich besinnungslos zu Boden glitt und er sie im letzten Moment auffangen konnte, bevor sie hart aufschlug.

„Lilian!“

Sie zitterte stark und war sehr blass, obwohl ein leichtes Schimmern von ihr auszugehen schien.

„Was soll ich denn jetzt machen?“, fragte sich der Fußballer verzweifelt.

Er wusste nicht wirklich Rat, er wusste nur, das er Hilfe brauchte.

Nachdem er einmal tief Luft geholt hatte, zog er mit zitternden Fingern sein Handy aus der Tasche hervor und wählte.

Es tutete mehrfach, bevor jemand abnahm.

„Ja?“, meldete sich die klare Frauenstimme am anderen Ende der Leitung.

„June? Ich bin’s, Jason. Ich brauche deine Hilfe!“
 

Wird fortgesetzt...

Keine Antworten

Kapitel 13

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Keine Antworten
 

Jason brauchte einen Moment lang um June zu erkennen. Die junge Frau trug entgegen ihrer üblichen Art enge Jeans und ein T-Shirt mit dem Logo der schottischen Indie-Rockband Franz Ferdinand. Die Haare hatte sie locker im Nacken zusammen gebunden. Es sah aus, als wäre sie übereilt aufgebrochen – was nach Jasons aufgeregtem Anruf auch kein Wunder war.

Als erstes fiel Junes Blick auf die bewusstlose Lilian. „Was ist passiert?“

„Ich weiß es nicht... sie ist einfach ohnmächtig geworden.“ Zerstreut fuhr sich Jason mit den Fingern durch die dunkelblonden Haare. Dabei war sehr wohl ein Ereignis voran gegangen, doch er hatte keine Ahnung, wie er June das erklären sollte, deswegen schwieg er vorerst.

„Wir sollten deine Freundin in ein Krankenhaus bringen. Du hättest gleich den Notarzt rufen müssen“, meinte June streng.

Was hätte ich denen erzählen sollen?, fragte sich Jason in Gedanken selbst. Vielleicht: Hi, meine Schulkameradin hat gerade einen Edelstein berührt und ist dann umgekippt. Nein, man hätte ihn für verrückt erklärt. Er sah vorsichtig auf und erkannte, dass er Junes Misstrauen geweckt hatte. Er seufzte resigniert. „Ich weiß nicht, ob ein Krankenhaus eine so gute Idee ist“, sagte er dann langsam.

„Warum nicht?“, wollte June wissen. „Ich bin keine Ärztin und kann dem Mädchen nicht helfen.“

„Lilian... sie...“ Jason kaute nervös auf seiner Unterlippe herum. „Ich glaube nicht, dass sie einen Arzt braucht.“ Er ergab sich schließlich in sein Schicksal und erzählte June knapp formuliert, was soeben vorgefallen war. Doch war er sich unsicher, ob seine Worte so recht den Kern der Sache trafen.

Für einen Augenblick lag Ungeduld in Junes Blick, aber dann besann sie sich und nickte. „Also schön, dann bringen wir sie am besten nach Hause.“

Jason blinzelte überrascht, fragte sich aber gleichzeitig, warum er nicht selbst darauf gekommen war. Wenn jemand von Lilians eigenartigen Fähigkeiten wusste, dann war es vermutlich deren Familie. Vorausgesetzt sie hatte nicht auch vor denen Geheimnisse.
 

„So, laut ihrem Schülerausweis ist dies die Adresse“, meinte June, als sie ihren Wagen parkte. Gemeinsam mit Jason hob sie die immer noch besinnungslose Lilian aus dem Auto.

Jason trug Lilian zur Tür und warf dabei einen flüchtigen Blick auf das weiße Reihenhaus, während June die drei kleinen Stufen hinauf eilte um zu klingeln. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass rechts neben ihr jemand die Gardine hinter dem Küchenfenster bewegte. Wenige Sekunden später wurde die Eingangstür geöffnet.

„Mrs. Brooks, Ihre Tochter ist nach der Schule ohnmächtig geworden. Wir hielten es für das Beste sie erstmal zu Ihnen zu bringen“, sagte June und nickte der Frau zu, die sie für Lilians Mutter hielt. Dann trat sie einen Schritt beiseite.

Sophia Brooks war weder sonderlich groß, noch sonderlich klein. Mit ihrer leicht rundlichen Figur wirkte sie eher unscheinbar. Lediglich ihre Augen, die von hellbrauner Farbe waren, strahlten einen starken Willen aus.

Jason hatte ein unbehagliches Gefühl, denn der Blick dieser Frau schien ihn förmlich zu durchbohren. Sie wirkte nicht erschrocken und doch auf irgendeine Art und Weise alarmiert, die Jason noch nicht richtig deuten konnte.

Endlich zeigte Sophia Brooks eine rein mütterliche Reaktion. „Kommen Sie rein.“ Sie schaute wieder zu Jason. „Leg Lilian bitte auf das Sofa.“ Mit diesen Worte deutete sie durch den Flur. „Das Wohnzimmer ist ganz hinten.“

Jason ging zielstrebig in das gewiesene Zimmer, wobei er es kaum wagte sich umzusehen. Er hatte das Gefühl hier ein wenig weiter in Lilians Privatsphäre einzudringen, als es vielleicht gut war.

„Was ist geschehen?“, verlangte Sophia zu wissen.

Jason schluckte, denn aus irgendeinem unerklärlichem Grunde fühlte er sich schuldig. Er hatte nichts getan, aber vielleicht war es nicht richtig Lilian in seine Probleme mit hinein zu ziehen. Zumal er ja nicht mal wusste, womit sie es zu tun hatten.

„Also?“, hakte Sophia noch einmal nach. Ihre Stimme klang ungeduldig, als sie neben ihrer Tochter niederkniete und sie in Augenschein nahm.

Das riss Jason aus seinen Gedanken. „Nun...“, begann der Junge unsicher. „So sicher bin ich mir da auch nicht.“ Er zog aus einer spontanen Eingebung heraus das Medaillon aus seiner Hosentasche und zeigte es Mrs. Brooks. „Ich wollte wissen, ob ihr das hier möglicherweise bekannt vorkommt. Es ging erst nicht auf, aber Lilian hat es irgendwie geschafft es zu öffnen. Und...“ Er wusste, wie verrückt das klingen musste. „Als sie den Edelstein berührte, der sich darin befand, ist sie ohnmächtig geworden.“

„Verstehe“, erwiderte Mrs. Brooks daraufhin lediglich. Sie zeigte keine erkennbare Reaktion. Es prägte sich lediglich eine nachdenkliche Falte zwischen ihren Augenbrauen ein. Sie erhob sich und schaute zwischen June und Jason hin und her. „Vielen dank, dass Sie meine Tochter hergebracht haben. Den Rest schaffe ich allein.“
 

June blickte noch einmal zurück auf das Reihenhaus, als Mrs. Brooks die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. „Ziemlich merkwürdige Geschichte“, fand sie. „Das Verhalten einer Mutter hätte ich mir in einer solchen Situation anders vorgestellt.“

„Ja, ich auch“, stimmte Jason ihr nickend zu. „Außerdem kam ihr das alles überhaupt nicht seltsam vor. Nicht einmal, als ich sagte Lilian wäre umgekippt, nachdem sie diesen Stein berührt hatte.“ Eines war Jason jetzt jedenfalls bewusst: Seine Klassenkameradin war keinesfalls ein normales Mädchen.

„Ich hatte das Gefühl, sie würde dich kennen.“

„Was?“ Jason zog beiden Augenbrauen in die Höhe.

„Mrs. Brooks“, erwiderte June. „Ich hatte das Gefühl, sie würde dich kennen. Vielleicht hat Lilian von dir gesprochen. Freilich hielt ihre Mutter es nicht für nötig uns zu fragen, wer wir sind.“

Seufzend fuhr sich Jason mit den Fingern durch die Haare. „Ich habe das Gefühl, jeder weiß inzwischen mehr als wir.“

June ließ diese Vermutung unkommentiert und ging stattdessen zu ihrem Auto zurück. Als sie sich über ihre Schulter hinweg zu Jason umschaute, lächelte sie beschwichtigend. „Na, komm. Jetzt holen wir erstmal Ryan von der Arbeit ab.“
 

Marguérite beförderte Daniel stilecht mit einem Tritt von ihrem Stiletto aus seiner Schlafstätte. „Genug geruht“, meinte sie mit ruhiger Stimme und ging dann einmal ums Bett herum, während sich Daniel grummelnd aufrappelte.

„Es ist bereits dunkel und wir haben nicht ewig Zeit“, fuhr Marguérite fort, während sie die schweren Vorhänge beiseite zog um einen Blick auf die Brook Street und das nächtliche London zu werfen. Sie und ihr Partner hatten sich vorübergehend in dem Nobelhotel Claridge‘s einquartiert.

„Wir sind unsterblich, also haben wir sehr wohl ewig Zeit“, beschwerte sich Daniel verschlafen, der es überhaupt nicht schätzte, wenn man ihn weckte.

„Wenn du nicht sofort aufstehst, werde ich dir beweisen, dass du sehr wohl sterblich bist“, erwiderte Marguérite betont liebenswürdig und legte sich dann einen Mantel mit pelzbesetztem Kragen um die Schultern.

Daniel ließ es nicht darauf ankommen und kam stattdessen auf die Beine. Während Marguérite akkurat ihren Lippenstift nachzog, ordnete er lediglich nachlässig seine Haarsträhnen mit den Fingern. „Meinetwegen. Was tun wir als nächstes?“

„Den Köder hast du ausgeworfen?“ Marguérite klappte ihren Handspiegel zu.

Daniel verschränkte die Hände hinter dem Kopf und nickte. „Klar, ich bin mir sicher, dass die Kleine die Buchseite längst gefunden hat.“

„Sehr gut“, meinte Marguérite. Sie hob einen Mundwinkel. „Dann müssen wir Lionel und seinen verdammten Orden nur davon abhalten zu früh zu viel zu erfahren.“

„Mona ist doch momentan sowieso die Einzige, die herum schnüffelt.“, warf Daniel ein. Ein gehässiges Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Womöglich sollten wir sie darauf hinweisen, dass so etwas ungesund ist.“
 

Mona schrak zurück, als sich ihr jemand in den Weg stellte. Erst war sie erleichtert, als sie Eve erkannte, aber dann flackerte das alte Misstrauen wieder in ihr auf. Außerdem stand Eve derzeit nicht unbedingt auf ihrer Seite. Demnach war Vorsicht geboten.

„Wohin willst du so schnell?“, fragte Eve kühl.

„Das geht dich nichts an.“ Mona versuchte an ihr vorbei zu huschen, doch Eve ließ sie nicht. Im Gegenteil, ihr Blick wurde noch stechender.

„Es geht mich sehr wohl etwas an, denn du dürftest gar nicht hier sein“, belehrte Eve sie.

Zorn stieg in Mona auf. Der Verlust ihres Medaillons machte sie reizbar. „Lionels Befehle interessieren mich nicht. Ich habe etwas Wichtiges zu tun.“ Waren hier denn wirklich alle gegen sie? Von Minute zu Minuten wurde ihre Chance die Halskette wieder zu finden geringer.

Eve machte einen Schritte beiseite, aber nicht etwa, weil sie Monas Entscheidung billigte. „Früher oder später wirst du den Orden ins Unglück stürzen“, damit wandte sie sich um und verschwand in einem dunklen Gang, zurück ins Anwesen.

„Fein!“, schnaubte Mona uneinsichtig und setzte dann eilig ihren Weg fort, ohne dabei auch nur einen Gedanken an Eve oder den Orden zu verschwenden.
 

Fortsetzung folgt...

Hexe

Kapitel 14

~

Hexe
 

Was in aller Welt ist nur geschehen?

Diese Frage stellte sich Jason immer und immer wieder.

Die letzten Strahlen der Sonne fielen durch das Wohnzimmerfenster, wurden von dem glänzenden Metall des Medaillons reflektiert und zauberten damit Lichtreflexe auf das Gesicht des Jugendlichen, der das Schmuckstück vor sich hielt und einfach nur anstarrte.

Vor seinem inneren Auge sah er seine Klassenkameradin, wie sie dort bei den Fahrradständern stand und eben jenes Medaillon in den Händen hielt.

Diese eine Szene spielte sich immer wieder in seinem Kopf ab. Wie Lilian das Medaillon völlig mühelos öffnete und diesen roten Stein entnahm. Ihren leisen Schrei, als hätte sie sich verletzt. Die plötzliche Veränderung ihrer Augen und ihrer Haare. Ihr Zusammenbruch. Das leichte Schimmern...

Jason hatte keine Ahnung, was da geschehen war. Er wusste nur, dass Lilian kein normaler Mensch sein konnte. Nur, wenn sie kein Mensch war, was war sie dann?

Diese übernatürlichen Begebenheiten in letzter Zeit ängstigen ihn allmählich – zusätzlich zu der Befürchtung, dass er selbst auch nicht so normal war, wie er immer gedacht hatte.

Die Träume der letzten Zeit mussten eine Bedeutung haben und nun, da er Lilian so gesehen hatte, glaubte er fest daran, dass etwas ganz und gar nicht Normales hier ablief.

Schon zum wiederholten Male öffnete er das Medaillon, dessen Verschluss nicht mehr zu klemmen schien. Und zum wiederholten Male sah er auf den Bildern, die das Schmuckstück enthielt, sein eigenes Gesicht neben dem der Frau aus seinen Alpträumen...
 

June sorgte sich um Ryans kleinen Bruder. Er wirkte sehr mitgenommen von dem Zusammenbruch seiner Klassenkameradin. Er hatte ihr zwar kurz mitgeteilt, was geschehen war, aber das alles klang sehr seltsam. Unnatürlich. Erst hatte die junge Frau gedacht, Jason wollte sich vielleicht aus irgendetwas herausreden, was den „Unfall“ des Mädchens betraf, aber dann besann sie sich eines besseren. Jason neigte nicht dazu, zu lügen. Außerdem konnte June das Schimmern, das von Lilian ausgegangen war nun wirklich nicht übersehen. Überdies passte das alles einfach viel zu gut zu den merkwürdigen Vorkommnissen der letzten Zeit.

Die beiden hatten Ryan von der Arbeit abgeholt, aber bereits zu diesem Zeitpunkt war Jason auffällig still geworden.

Ryan wunderte sich über das Verhalten seines Bruders, aber er stellte vorerst keine Fragen. Er war sich sicher, dass June ihm später alles erzählen würde.

Bei der Wohnung der Geschwister angekommen, hatte sich Jason sofort ins Wohnzimmer zurückgezogen und war seither dort geblieben.

June und Ryan waren sich einig darüber, dass sie ihn vielleicht erst mal allein lassen sollten, damit er in Ruhe nachdenken konnte und so hatten sie sich in die Küche begeben.

Dort traf June wie beinahe immer fast der Schlag.

„Ryan, sag mal...“

„Ja?“

„Warum sieht eure Küche eigentlich immer aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen?“, fragte June resigniert und machte sich schließlich daran, ein bisschen Ordnung in das kreative Chaos der Brüder zu bringen.

„Nun ja, das ergibt sich immer so“, sagte Ryan verlegen und half ihr ein wenig widerwillig beim Aufräumen. Er fand es nämlich durchaus nicht schlimm, wenn hier und da ein bisschen Geschirr rumstand.

Der Blick in den Kühlschrank bestätigte June nach dem Aufräumen sofort, dass sie wohl auch noch einkaufen gehen mussten, um etwas Essbares zustande zu bringen.
 


 

Als Lilian erwachte, war sie erst einmal orientierungslos, bis sie schließlich bemerkte, dass sie auf dem Wohnzimmersofa ihres Zuhauses lag.

Sie wollte sich aufsetzen, doch ein pochender Schmerz in ihrem Kopf hielt sie davon ab.

„Was ist nur geschehen....?“, fragte sie sich laut und versuchte sich dann daran zu erinnern, wie sie nach Hause gekommen war. Aber sie konnte sich an nichts anderes mehr erinnern, als an heiße Magie, die ihren Körper durchflutet hatte.

„Oh, du bist endlich wach“, hörte sie auf einmal die Stimme ihrer Mutter neben sich.

„Mom? Was ist passiert?“, fragte Lilian und obwohl der Schmerz immer noch in ihrem Schädel pochte, richtete sie sich nun auf.

„Das wüsste ich gern von dir“, gab Sophia Brooks zurück.

„Ich weiß nicht...“, murmelte das junge Mädchen, dessen Erinnerungen sehr getrübt waren.

„Dieser Jason und eine Frau haben dich hergebracht. Er sagte, du wärst ohnmächtig geworden, nachdem du ein Schmuckstück berührt hast“, erzählte Sophia.

„Eine Kette... ja, da war eine Kette...“, erinnerte sich Lilian, aber sie hatte keine Ahnung, was da mit ihr geschehen war.

Leider wusste das auch ihre Mutter nicht. Sie konnte zwar erkennen, dass Lilians magischen Kräfte durcheinandergewirbelt worden waren, aber sie hatte noch nie zuvor eine ‚Seherin’ getroffen und konnte so leider auch nicht erkennen, was ihre Tochter war.

„Meine Magie scheint mir einen Streich gespielt zu haben“, versuchte sich Lilian die ganze Situation zu erklären. Das war keine wirkliche Erklärung, das wusste sie, aber etwas anderes fiel ihr dazu auch nicht ein – obwohl ihre magische Kraft bisher immer sehr zuverlässig gewesen war.

Da Sophia dazu schwieg, stand Lilian einfach auf. „Ich glaube, ich brauche nun erst mal eine Aspirin.“
 


 

Mona wusste inzwischen nur noch einen Ort, an dem sie ihre Kette verloren haben könnte, und das war der Buchladen, in dem sie Ryan getroffen hatte.

Sie wusste genau, dass sie die Kette im Elektronikladen noch gehabt haben musste, aber danach war sie sich über deren Verbleib nicht im Klaren.

Das Schmuckstück war sehr wichtig für die dunkelhaarige Vampirin. Es war beinahe wichtiger als alles andere auf der Welt für sie – es war im Grunde das Einzige, das von ihrem Leben als Mensch übrig geblieben war.

Tränen stiegen in ihr hoch, als sie an die Bilder dachte, sie das Medaillon enthielt und die sie vor ihrer Zeit als Vampir das letzte Mal gesehen hatte. Oh, hätte sie sich doch damals nicht auf IHN eingelassen... aber sie hatte ihn so sehr geliebt, dass sie ihm auch nach den vielen Jahren nicht wirklich böse sein konnte. Mona wusste, dass er damals dazu gezwungen worden war, sie zu verraten. Ihn traf keine Schuld.

Die Vampirin war inzwischen in dem Stadtteil Londons angekommen, wo sich der Buchladen befand und war geradewegs auf dem Weg dorthin. Ihre Gedanken jedoch verweilten noch immer in der Vergangenheit.

Sie erinnerte sich daran, wie sie das Medaillon wohlüberlegt mit dem letzten Rest ihrer Magie versiegelt hatte, damit niemand an ihre Macht kommen konnte, die sie als Hexe besessen hatte. Dank ihrer Gabe hatte sie gewusst, was der Orden mit ihr vorhatte und dass sie vor ihrem Schicksal nicht entfliehen konnte – und so hatte sie dem Orden zumindest einen kleinen Strich durch die Rechnung machen können, bevor sie sie zur Vampirin gemacht hatten und Mona damit ihre Fähigkeiten als Hexe nahmen...

Gerade, als Mona kurz vor ihrem Ziel - dem Buchladen - war, stellten sich ihr zwei Gestalten in den Weg.

„Also wirklich, Mona“, grinste Daniel, „du weißt wirklich nicht, wann du die Finger von etwas lassen solltest!“
 


 

Wie gewohnt ging Jason am Morgen seinem Fußballtraining nach. Auch wenn er sich miserabel fühlte, wollte er sich das nicht weiter anmerken lassen und gab sein Bestes beim Spiel mit dem Ball.

Insgeheim hoffte er jedoch, dass Lilian ihn wieder beobachten würde. Auch wenn er sie zuvor nie am Spielfeld bemerkt hatte, so hatte sie ihm doch gesagt, sie würde immer da sein.

Aber sie war es diesmal nicht. In den letzten Tagen war sie nie beim Spielfeld gewesen.

Und nun, einen Tag, nachdem sie vor seinen Augen auf mysteriöse Weise umgekippt war, und er unbedingt mit ihr sprechen wollte, war sie wieder nicht da.

Vor Unterrichtsbeginn wartete er an der Tür des Klassenzimmers auf das Mädchen und als sie endlich auftauchte, hatten sie keine Zeit mehr zum Reden, denn es klingelte bereits zur Stunde und die Lehrerin war schon in Sicht.

„Hey, Lilian!“, begrüßte er seine Klassenkameradin noch schnell.

„Guten Morgen“, antwortete diese reserviert und ging an ihm vorbei.

„Wir müssen reden!“, raunte er ihr noch schnell zu, dann war es höchste Zeit, den Platz einzunehmen.
 

Lilian hatte die ganze Zeit das Gefühl, Jason würde sie mit seinen Blicken durchbohren. Das störte sie dermaßen, dass sie sich nicht mal richtig auf den Unterricht konzentrieren konnte.

Die junge Hexe wusste, dass er Fragen hatte und sie auch stellen würde, sobald er die Gelegenheit dazu bekam. Und nach der gestrigen Aktion war sie sich sicher, dass sie ihm Dank schuldete und ihm nicht so ohne Weiteres aus dem Weg gehen durfte. Aber was sollte sie ihm sagen? Es war ein streng gehütetes Geheimnis des Zirkels, dass es Hexen gab. Sie durfte das eigentlich niemandem sagen. Dennoch fühlte sie sich schlecht bei dem Gedanken, Jason anzulügen. Aber konnte sie dem Sportler vertrauen? Konnte sie darauf vertrauen, dass er dieses große Geheimnis für sich behalten würde?

Die Sache wurde dadurch noch schwieriger, dass sie keine Ahnung mehr hatte, was am Tag zuvor eigentlich genau geschehen war. Lilian erinnerte sich lediglich noch daran, dass er mit ihr sprechen wollte, dass er ihr eine hübsche Kette gezeigt hatte und danach erinnerte sie sich nur noch an Hitze und mächtige Magie.

Als es zur Mittagspause läutete, sammelte Lilian rasch ihre Sachen zusammen und wollte möglichst schnell aus dem Klassenzimmer fliehen, um Jason zu entgehen. Aber er kam sofort direkt auf sie zu.

„Oh, Lilian, seit wann steht Jason auf dich?“, wunderte sich Jessica, die im Unterricht stets neben ihr saß und sich bereits zum Gehen wandte. Natürlich hatte sie die Blicke, die der junge Sportler ihrer Freundin zugeworfen hatte, nicht übersehen.

„Ach, wer weiß, vielleicht will er nur meine Physik-Hausaufgaben sehen“, winkte Lilian mit einem Lächeln ab und bedeutete Jessica, dass sie ruhig schon vorgehen konnte.

Die Hexe gab auf. Jason war hartnäckig, das merkte sie nun, also wartete sie, bis sie mit ihm im Klassenzimmer allein war.

„Ich glaube, du hast mir einiges zu erklären“, begann Jason das Gespräch, als der letzte Klassenkamerad den Raum verlassen hatte.

„Was möchtest du denn wissen?“, fragte Lilian erst einmal so unschuldig wie möglich zurück.

„Ich wüsste gern, was da gestern mit dir passiert ist. Es war unnatürlich. Du bist nicht einfach nur bewusstlos geworden, es ist irgendwas mit dir geschehen und ich kann mir keinen Reim darauf machen, was es ist.“

Lilian stand auf, ging zur Tür und schloss sie, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand lauschen würde.

„Erst einmal“, begann sie, „muss ich dir dafür danken, dass du mich nach Hause gebracht hast.“

„Kein Problem. Ich hatte Angst um dich, aber das Krankenhaus erschien mir falsch, sonst hätte ich dich dorthin gebracht.“

Das Herz der Hexe machte einen kleinen Hüpfer. Ich hatte Angst um dich. Sie konnte kaum glauben, dass er das wirklich gesagt hatte. Sie war nach wie vor in ihn verliebt, daran änderte sich einfach nichts, das merkte sie nun.

„Ich glaube, das war genau richtig“, sagte sie nickend. „Aber ich weiß selbst nicht genau, was da gestern passiert ist. Deshalb kann ich dir das nicht erklären.“

„Lilian, du hast nur ein Schmuckstück berührt! Das muss doch irgendwas zu bedeuten haben! Ich meine, weder mein Bruder noch ich waren in der Lage, das Ding zu öffnen und dir schien das so leicht zu fallen. Da ist doch was faul! Und dann leuchtest du wie ein Glühwürmchen und kippst um. Was war das, verdammt noch mal?“

Jason schien langsam die Vernunft zu verlieren bei den vielen seltsamen Vorkommnissen der letzten Tage. Zumindest seine Nerven lagen ziemlich blank. Er hatte keine Ahnung, wie lange er noch mit dieser Ungewissheit leben konnte, dass Übernatürliches mit ihm geschah.

„Ich bin kein Glühwürmchen“, schmollte Lilian, denn das war für sie fast eine Beleidigung.

Für einen flüchtigen Augenblick kam Jason der Gedanke, dass das blonde Mädchen süß aussah, wenn es schmollte. Aber den Gedanken verdrängte er eilig.

„Was bist du dann? Was wird hier gespielt? Du hast mich vor diesen komischen Gestalten gewarnt, also musst du etwas wissen.“

Lilian warf noch einmal einen Blick zur Tür, als hätte sie Angst, dass jeden Moment jemand hereinkommen könnte. Nun, diese Angst war berechtigt, wenn man bedachte, dass sie kurz davor war, ihm ihr größtes Geheimnis zu verraten.

Sie überlegte kurz, dann entschloss sie sich, dass es besser war, noch vorsichtiger zu sein.

Lilian wollte nicht lügen. Das war nicht ihre Art. Und sie wusste, sie schuldete es dem Sportler, ihm die Wahrheit zu sagen.

Ein leiser Seufzer entfuhr ihr, dann hob sie ihren Zeigefinger in Richtung Tür und ein leises „Klack“ ertönte.

„Was hast du da gemacht?“, fragte Jason ein wenig nervös und als er Lilian ansah, erkannte er sofort die andere Augenfarbe an ihr.

„Ich habe die Tür abgeschlossen. Es wäre nicht gut, wenn jetzt jemand hereinkäme.“

Natürlich war das etwas, das Jason noch nicht ganz begreifen konnte – weder, dass sie in der Lage war, Türen nur mit einem Wink ihres Zeigefingers abzuschließen, noch, dass sie so vorsichtig war. Was wird hier nur gespielt?

Langsam setzte sich Lilian auf einen der Tische und sah Jason dann ernst an.

„Was ich dir jetzt sage, ist mein größtes Geheimnis. Niemand, absolut niemand darf das wissen! Versprich mir, dass du mit niemandem darüber reden wirst!“

Der Blick des Mädchens verriet Jason, dass sie Angst hatte und es wirklich todernst meinte.

„Ich verspreche es dir.“

Eine kleine Pause entstand, denn noch immer zögerte die Schülerin, ihr Geheimnis, das sie noch mit niemandem geteilt hatte, nun jemandem zu sagen.

„Ich bin eine Hexe. Eine ‚Gute’ Hexe, wie manche sagen würden.“

Unter anderen Umständen hätte Jason vielleicht gelacht, wenn ein Mädchen ihm gegenüber sagte, es wäre eine Hexe. Aber Jason wusste, dass Lilian die Wahrheit sagte. Er wusste es mit jeder Faser seines Körpers.

„Das heißt, du kannst zaubern...?“, fragte er vorsichtig nach.

„Ja. Ich darf meine Magie natürlich fast nie anwenden, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Aber sie ist ein Teil von mir, seit ich geboren wurde.“

„Das heißt, du hast das Medaillon mit deinen Kräften geöffnet?“

„Offensichtlich. Aber ich weiß nicht mehr, was dann passiert ist.“

Jason setzte sich nun ebenfalls auf einen Tisch, den Blick abwechselnd zu der Hexe und zum Boden gerichtet.

„Vor was hast du mich gewarnt? Was für Leute sind das, die hinter meinem Bruder her sind? Sind das auch Hexen?“

„Um Gottes Willen, nein, das sind keine Hexen. Wir Hexen sind dafür da, um die Menschen vor diesen Kreaturen zu schützen. Aber es gibt nicht mehr viele von uns, deshalb können wir nicht mehr viel tun, um sie von ihren Überfällen abzuhalten“, erklärte Lilian.

„Was genau wollen diese Kreaturen denn?“

„Blut. Sie brauchen es, um Leben zu können. Nun ja, was sie als ‚Leben’ bezeichnen...“

„Blut? Du willst doch nicht etwa sagen, es handelt sich um...?“

„Doch, genau das will ich sagen. Es sind Vampire.“

„Huh.“ Jason wusste nicht wirklich, was er von diesen Informationen halten sollte. Unbewusst fuhr er sich mit einer Hand durch die Haare, um sich zu sammeln.

Einerseits klang das alles völlig verrückt, aber andererseits passte das alles zusammen. Es machte Sinn.

Dennoch fiel es dem jungen Sportler schwer, an all das wirklich zu glauben.

Die Pause war bald um und die Zeit für ihr Gespräch damit fast beendet. Jason hatte Angst, dass Lilian ihm danach nie wieder etwas darüber erzählen wollen könnte, deshalb zog er nun das Medaillon aus seiner Tasche hervor. Es gab da eine Frage, deren Antwort er noch dringender brauchte, als alles andere.

„Vielleicht kannst du mir noch diese letzte Frage beantworten. Ich muss einfach eine Antwort darauf haben“, sagte er beinahe flüsternd, dann öffnete er das Medaillon, betrachtete noch einen kurzen Moment die beiden Bilder und gab es dann an die Hexe weiter.

Lilian fragte sich, was Jason nun von ihr wissen wollen könnte, aber die Frage erübrigte sich schnell, als sie die beiden Fotos betrachtete.

„Aber... aber das bist ja du!“

„Ja. Aber die Bilder müssen uralt sein. Wieso bin ich darauf zu sehen? Und wer ist diese Frau da neben mir? Weißt du, von dieser Frau träume ich immerzu. Sie will etwas von mir, aber ich weiß nicht, was es ist.“

Die Hexe hörte die Verzweiflung klar und deutlich in der Stimme ihres Gegenübers, deshalb tat es ihr umso mehr Leid, nur den Kopf schütteln zu können.

„Ich habe keine Ahnung, was es damit auf sich hat. Das werden wir beide wohl herausfinden müssen.“
 


 

Fortsetzung folgt...

Ultimatum

Kapitel 15

~

Ultimatum
 

June war mit ihren Nachforschungen endlich zu einem Ergebnis gekommen. Obgleich Ergebnis vielleicht zu viel gesagt war, denn so recht schlau wurde sie noch immer nicht aus dem, was nun vor ihr auf dem Schreibtisch lag. Ein Freund ihres Vaters war es schließlich gewesen, der die Buchseite für sie übersetzt hatte. Dieser war Anfang der Siebziger Jahre von Deutschland nach Großbritannien übergesiedelt und hatte die Sütterlinschrift seinerzeit noch in der Schule gelernt. Das Resultat dessen überraschte June über alle Maßen, denn sie hatte mit so ziemlich allem gerechnet – nur nicht damit.

June zog die Augenbrauen zusammen und griff dann beinah automatisch nach ihren Autoschlüsseln. Höchste Zeit, dass Ryan und Jason davon erfuhren. Außerdem war sie dankbar dafür, sich zumindest für den Moment von dem leisen Gedanken abzulenken, der sich in ihrem Unterbewusstsein eingenistet hatte und vor dem sie sich eigentlich fürchtete.
 

Müde schreckte Ryan von der Couch hoch, als es an der Tür klingelte. Er hatte nur am Vormittag gearbeitet und den halben Nachmittag verschlafen. Da es aber nur eine Person gab, die er im Moment erwartete, war er schnell auf den Beinen.

„Hi, June.“ Ryan lächelte unwillkürlich, so wie er es fast jedes Mal tat, wenn er sie sah. Es geschah ganz von allein – ohne, dass er groß darüber nachdachte. Doch dieses mal wurde er sogleich wieder ernst, als er ihr nachdenkliches und besorgtes Gesicht sah.

„Hallo“, murmelte June.

Ryan wollte schon fragen, ob etwas vorgefallen war, als sie eintrat. „Ich habe die Übersetzung. Das solltest du dir ansehen“, sagte sie ohne weitere Umschweife. Ryan nickte und ging dann mit ihr ins Wohnzimmer. Vorher warf er noch einen flüchtigen Blick auf Jasons Zimmertür. Sein Bruder war noch immer nicht wieder von der Schule zurück und so langsam aber sicher keimte Sorge in Ryan auf.

June breitete derweil die Übersetzung auf dem Tisch aus. „Es ist ein Lied.“

Ryan blinzelte verwundert. „Ein Lied?“ Er setzte sich neben sie auf die Couch und spähte neugierig über ihre Schulter.

„Genauer gesagt ein altes Kinderlied“, erklärte June. Geistesabwesend fuhr sie mit den Fingerspitzen über das Papier. „Ein Bekannter meines Vaters, der in Deutschland aufgewachsen ist, hat den Text für uns übersetzt. Ich war erstaunt, als er mir mitteilte, dass er es nicht nur ins Englische übertragen könne, sondern auch wüsste, was es ist. Es ist ein Lied – eine Sage, die er in seiner Kindheit gehört hat.“

Ryan ahnte bereits, dass die Geschichte damit noch kein Ende hatte, denn June spielte immer wieder an ihrem Ohrring herum, wie sie es nur tat, wenn sie nervös war.

„Ehrlich gesagt“, fuhr June fort, „für etwas, das man Kindern vorsingt, ist es ziemlich gruselig, fast schon brutal. Die Rede ist hier immer wieder von Bluttrinkern und Wiedergängern.“

„Wie in den Berichten, die du über den Orden der Ewigen Nacht gefunden hast“, entfuhr es Ryan. „Es geht also wieder um Vampirismus?“ Er zog eine Augenbraue nach oben.

Langsam nickte June. „So, wie ich es verstanden habe – ja.“ Ihr Verstand weigerte sich noch immer an solche Dinge zu glauben. Aber – ganz gleich – wie rational ihre Gedanken für gewöhnlich waren, so musste sie zugeben, dass sich bei ihr Zweifel eingeschlichen hatte nach all den merkwürdigen, zum Teil verstörenden Ereignissen der jüngsten Zeit.

„Aber nichts, was dort steht, hilft uns weiter oder beantwortet unsere Fragen“, murmelte Ryan ein wenig skeptisch.

„Oder wir übersehen etwas“, warf June ein.

„Aber was?“, folgerte Ryan daraus logischerweise.

June zuckte beinah resigniert mit den Schultern. „Ich weiß es wirklich nicht“, gab sie zu. „Umso mehr wir erfahren, desto verwirrender erscheint mir alles. Mein Leben kam mir niemals langweilig vor, aber verglichen mit dem, wie es jetzt ist, war es das wohl.“

Ryan verschränkte die Hände hinterm Kopf. „Von mir aus kann es dann ruhig wieder langweilig sein“, seufzte er. „Ich mache mir in letzter Zeit Sorgen um Jason.“ Zögerlich schaute er sie von der Seite an. „Und ich mache mir Sorgen um dich“, fügte er hinzu.

Er kam nicht dazu weiter zu sprechen, denn in diesem Moment fiel die Haustür ins Schloss. June und Ryan wechselten einen Blick und gingen dann beide in den Flur.
 

Jason wirkte müde und fast ein wenig verloren, als er dort vor den beiden stand.

Ryan hatte das Gefühl, er hätte wieder den kleinen Bruder vor sich, den er als Kind immer geärgert hatte. „Was ist passiert? Du bist spät dran.“

Mit seinen Gedanken war Jason ganz woanders gewesen, weswegen er nun leicht zusammenzuckte. „Ähm... was?“

„Du bist spät dran“, wiederholte Ryan.

„Ich... habe mich noch mit einer Klassenkameradin unterhalten und dabei wohl die Zeit vergessen“, winkte Jason schnell ab. „Ich muss jetzt Hausaufgaben machen.“ Offensichtlich lag ihm viel daran endlich in sein Zimmer verschwinden zu können. Er hatte fast ein schlechtes Gewissen, als er seine Zimmertür hinter sich zuzog. Aber er konnte sich noch immer nicht entscheiden, was er tun sollte. Immerhin hatte er Lilian versprochen, dass ihr Geheimnis bei ihm sicher war. Andererseits wollte er auch Ryan und June nicht belügen. Schlimmer noch – nun wusste er wie gefährlich es tatsächlich war, wenn sie zu arglos weiter forschten.

Diese Entscheidung konnte ihm niemand abnehmen und am liebsten hätte er sich für Tage in seinem Bett verkrochen.
 

„Das war eigenartig“, meinte Ryan, als sie ins Wohnzimmer zurückkehrten.

June kannte ihn mittlerweile gut genug, um zu wissen, das hinter dieser kleinen Bemerkung Ryans große Angst um seinen jüngeren Bruder steckte. Sie machte ein bekümmertes Gesicht. „Jason sagte etwas von einer Klassenkameradin. Ich frage mich, ob er das Mädchen von neulich meint.“ Der Vorfall mit der ohnmächtigen Schülerin war ihr lebhaft in Erinnerung geblieben.

Fahrig fuhr sich Ryan mit den Fingern durch die hellbraunen Haare. „Durchaus möglich.“ Doch mit seinen Gedanken war er gar nicht richtig bei der Sache.

Eine ganze Weile musterte June ihn, während er vor ihr auf und ab lief. Schließlich schüttelte sie leicht den Kopf und erhob sich vom Sofa. „Ich sollte jetzt besser nach Hause fahren. Wir können ja morgen weiter reden.“ Als Ryan ohne Vorwarnung nach ihrer Hand griff, blinzelte sie überrascht.

„Geh nicht“, bat Ryan.

June machte große Augen und brachte keinen Ton heraus.

„Ich meine... es wird bald dunkel“, versuchte sich Ryan – offenkundig verlegen – irgendwie zu rechtfertigen. „Nach all dem wäre mir wohler zumute, wenn du heute Nacht hier bleibst.“ Er zögerte und fügte dann leise ein „Bitte“ hinzu.
 

Mona erwachte, als die Sonne unterging. Ihre Glieder fühlten sich schwer an, wie Blei, und ihre Augen brannten. Die Wunden und Schrammen an ihrem Körper waren dank ihrer vampirischen Fähigkeiten längst verheilt, aber sie spürte noch immer ein Brennen in sich, das schlimmer war als alles andere. Wenn sie die Augen schloss, sah sie genau die Ereignisse der letzten Nacht vor sich...
 

„Du weißt wirklich nicht, wann du die Finger von etwas lassen solltest!“ Noch ehe diese Worte verhallt waren, spürte Mona einen dumpfen Schlag. Benommen ging sie zu Boden.

Als sie vorsichtig den Kopf anhob, erblickte sie ein Paar makellos gepflegter Designerschuhe. Sie ballte die Hände zu Fäusten.

„Du hättest auf eurem Anwesen bleiben sollen. Dort ist es sicherer für dich“, warnte Marguérite mit betont gelassener Stimme. Sie neigte den Kopf zur Seite. „Du merkst einfach nicht, wenn etwas deine Fähigkeiten übersteigt.“

Der abartig, mitleidige Ton in Marguérites Stimme mobilisierte Monas Kräfte – innerhalb von Sekundenbruchteilen war sie auf den Beinen und brachte sicherheitshalber einen Abstand zwischen sich und Marguérite sowie Daniel, welcher sie von einer Mauer herab angrinste. „Was wollt ihr von mir?“, stieß sie den beiden zischend entgegen.

„Und wieder schätzt du deinen Wert falsch ein“, erwiderte Marguérite. „Wer sagt dir denn, dass wir etwas von dir wollen?“

Mit einem Satz stand Daniel plötzlich neben Mona. „Genau“, pflichtete er seiner Partnerin bei. „Du kommst uns lediglich in die Quere.“

Mona biss die Zähne zusammen, war aber ansonsten stolz auf sich, dass sie keine Miene verzog. Angst konnte sie sich in dieser Situation nicht leisten. Derzeit überwogen ohnehin die Wut und die Enttäuschung über den Verlust ihres Amulettes, die in ihrem Inneren brodelten. „Was ihr wollt, ist mir egal. Ich gehe nirgendwohin.“

„Sei doch nicht dumm“, lachte Daniel. „Wir geben dir die Chance, deine Haut zu retten und dafür musst du nichts weiter tun, als einmal auf uns zu hören und dich aus allem heraus zu halten.“ Er zog spöttisch die Mundwinkel nach oben. „Ich finde, das ist schon mehr als liebenswürdig von uns, oder?“

Mona würdigte ihn keiner Antwort und reckte ihren Angreifern nur kühn das Kinn entgegen. Gleichzeitig fragte sie sich, warum die Vampire so viel Interesse an etwas hatten, dass sie doch eigentlich gar nicht betraf. Oder doch?

Daniel schien ihr nachdenkliches Schweigen richtig zu deuten. Er grinste. „Weißt du, wir sehen einfach genauer hin, während du dich nur auf eine Sache versteifst“, meinte er bedeutungsvoll und doch gleichzeitig abgedroschen.

Und tatsächlich waren Marguérite und Daniel nicht allein Monas wegen hier aufgetaucht. Nein, sie suchten ebenso nach dem Mann, an dem sich Daniel im wahrsten Sinne des Wortes die Finger verbrannt hatte.

Es war die sonst so kühle Marguérite, die schließlich die Nerven verlor und einen angriffslustigen Schritt auf Mona zuging. „Du wirst es noch bereuen, dass du nicht abgehauen bist, als du noch die Zeit dazu hattest“, knurrte sie und ließ dabei ihre Fangzähne aufblitzen – eine Herausforderung, die man schwerlich missverstehen konnte.

Mona wappnete sich schon, aber Marguérite war eine Sekunde schneller und schleuderte Mona unbarmherzig zu Boden. Als diese sich aufrichten wollte, packte Marguérite ihren Schädel und schleuderte sie mit voller Wucht gegen eine steinerne Mauer. Sterne tanzten vor Monas Augen. Daniel tauchte hinter ihr auf und presste ihr die Hände auf den Rücken.

„Du hättest auf uns hören sollen“, flüsterte Daniel nah an ihrem Ohr. Sein unbekümmertes, freches Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. Wahnsinn blitzte für einen winzigen Moment in seinen blauen Augen auf.

Mona zuckte zusammen, als er eine Klinge aus Stahl in ihren Arm bohrte. Ein Gutes hatte der Schreck jedoch – er brachte sie dazu, aus ihrer Starre zu erwachen und endlich zu handeln. Abrupt warf sie ihren Kopf in den Nacken, wodurch sie Daniels Nase traf, der zu dicht hinter ihr gestanden hatte um noch rechtzeitig zu reagieren. Er ließ sie fluchend los und verlor dabei sein Messer. „Miststück“, fauchte er. Er setzte zum Sprung an, doch dann ging jäh ein Ruck durch seinen Körper. Mona blickte misstrauisch auf. Zunächst wollte sie ihren Augen nicht trauen. „Eve...“, murmelte sie.

Eve bog Daniels Arm unsanft nach hinten und das, obwohl der Mann wesentlich größer war, als sie selbst. Der Schein konnte allerdings trügen – das galt insbesondere für die Welt der Vampire, wo Stärke von anderen Faktoren abhing. Die zierliche Eve hatte Daniels Messer aufgehoben und hielt es diesem nun an die Kehle. „Ihr solltet gehen“, sagte sie mit leiser Stimme. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. „Sofort!“

Marguérite fauchte leise und straffte dann die Schultern. „Daniel“, sagte sie ohne diesen dabei anzusehen, „für heute ist es genug.“

Daniel wollte schon lautstark protestieren, als seine Erinnerung an die scharfe Klinge zurückkehrte. „Warum?“, brachte er mit unterdrücktem Zorn hervor.

„Weil es derzeit das Klügste ist“, lautete Marguérites schlichte Antwort. Ohne eine weitere Silbe zu verlieren, wandte sie sich ab und verschwand in die rabenschwarze Nacht.

Eve ließ Daniels Arm los. „Geh!“, befahl sie.

Er wusste, dass er ohne seine Partnerin kaum eine Chance gegen zwei Gegnerinnen hatte und so zog er sich widerwillig zurück, jedoch nicht ohne den beiden Frauen zuvor noch einen finsteren Blick zu zuwerfen. „Das werdet ihr büßen!“ Dann war auch er verschwunden.

Mona gab einen erleichterten Seufzer von sich. „Danke, Eve. Ich weiß nicht...“

„Ruhe“, schnitt Eve ihr eisig das Wort ab. Abwehrend hob sie die Hand. „Du solltest mir nicht danken. Dazu hast du nicht den geringsten Anlass. Ich bin nicht hier um dich zu retten. Ich will dich warnen.“

„Warnen... wovor?“, fragte Mona, obwohl sie die Antwort gar nicht hören wollte.

„Du hättest aufhören sollen Fragen zu stellen, denn damit hast du gegen den Orden gehandelt.“ Eve blickte ihr fest in die Augen. „Solltest du dich nur noch ein einziges mal gegen Lionel stellen und seinen Anweisungen zuwider handeln, so werde ich dich in Zukunft als meine Feindin ansehen und dich selbst vor den Oberen anklagen.“
 

Mona starrte die Decke ihres Zimmers an. Trotz allem war sie hierher zurückgekehrt. Aber warum? Die Antwort war simpel. Wohin hätte sie sonst gehen sollen?

Eine wichtige Entscheidung

Kapitel 16

~

Eine wichtige Entscheidung
 

Lilian hatte zu Hause ein wenig Ärger mit ihrer Mutter bekommen, weil sie erst so spät nach Hause gekommen war, aber obwohl die Sache durchaus ernst zu sein schien, konnte sich die junge Hexe nicht dazu durchringen, ihrer Mutter jetzt schon von dem Gespräch mit Jason zu erzählen und so hatte sie die Schimpftirade Sophias erst einmal hingenommen.

Nun lag sie in ihrem Bett und konnte die ganze Zeit nicht einschlafen. Wichtige Gedanken hielten sie einfach davor ab, Ruhe zu finden, und so wälzte sie sich immerzu von einer Seite auf die Nächste, bis sie schlussendlich genug davon hatte, ihre Nachttischlampe einschaltete und nach dem Medaillon griff, dass sie auf den Nachttisch gelegt hatte.

Sie dachte an das Gespräch zurück, dass Jason und sie nach Schulschluss weitergeführt hatten, während sie nun das Schmuckstück öffnete.

Das Medaillon warf viele Fragen auf und sie hatten sich beide keinen Reim darauf machen können, wieso sich Jasons Abbild auf den Fotos befand.

Es handelte sich bei den beiden Bildern um sehr alte Schwarz-Weiß-Aufnahmen, auf denen eine junge, hübsche Frau mit langen, dunklen Locken zu sehen war, neben der ein ebenso junger Mann stand, der Jason sehr ähnelte. Die beiden standen vor einem alten Haus und lächelten den Betrachter glücklich an.

Man könnte jetzt natürlich denken, dass der Mann einfach ein Vorfahre von Jason gewesen sein könnte – wenn da nicht Jasons wiederkehrende Träume gewesen wären, in denen diese Frau ihn scheinbar um Hilfe bat.

Es hatte Lilian weh getan, zu sehen, wie verzweifelt Jason sie um Hilfe gebeten hatte und doch erst mal nichts tun zu können. Die Träume mussten ihn wirklich sehr plagen.

Die Hexe strich sanft über die Bilder und biss sich dabei auf die Lippen. Irgendwas musste sie doch tun können! Das Alles musste eine Bedeutung haben! Besonders, da sie selbst bei der ersten Berührung mit dem goldenen Schmuckstück bewusstlos geworden war.

Aber huch! Was war das? Als sie die Bilder berührte, bemerke die Hexe, dass sie sie herausnehmen konnte.

„Ob ein Hinweis auf der Rückseite steht?“, fragte sie sich selbst und entfernte eins der Bilder vorsichtig.

Sie war beinahe enttäuscht, als sie sah, dass nichts auf der Rückseite des Fotos stand. Aber dann fiel ihr Blick auf den goldenen Boden des Medaillons, in den etwas hineingraviert worden war.
 

Für meine geliebte Mona
 

Diese Worte standen da in einer hübschen Schmuckschrift.

„Mona...?“, flüsterte Lilian und betrachtete das Bild erneut.

„Nun wissen wir wenigstens deinen Namen“, sagte sie zu der abgebildeten Frau.
 


 

„Hey, Jason, wach auf!“

Jason schreckte hoch und war erst einmal völlig orientierungslos, bis er bemerkte, dass er in seinem Bett lag und Ryan auf seiner Bettkante saß, der ihn besorgt ansah.

„Du hast anscheinend wieder einen schlimmen Traum gehabt“, erklärte ihm sein Bruder und nun bemerkte Jason auch, dass sein ganzer Körper schweißnass war.

„Oh... habe ich dich geweckt?“, fragte Jason schuldbewusst, aber Ryan winkte ab.

„Nicht der Rede wert, es ist eh beinahe Zeit zum Aufstehen.“

Als der Fußballer das hörte, war er ein wenig erleichtert. Er wollte erstens nicht, dass er seinen Bruder um den Schlaf brachte, aber zweitens wollte er auch auf keinen Fall weiterschlafen. Nicht so nass, wie er war und mit dem Nachhall des Traums in seinem Kopf.

Erst jetzt fiel ihm auf, dass er aus dem Bad Geräusche hörte, die darauf schließen ließen, dass gerade jemand duschte.

„Ist June noch hier?“, fragte er deshalb.

„Ja. Ich hab sie gebeten, hier zu bleiben. Im Moment ist alles ein wenig... gefährlich.“

„Das kannst du wohl laut sagen“, murmelte Jason, aber auf Ryans fragenden Blick schüttelte er schnell den Kopf. Noch konnte er über das Gespräch mit Lilian kein Wort verlieren. Nicht, bevor sie beide sich nicht sicher waren, was vor sich ging.

„Ich decke mal den Frühstückstisch“, sagte Ryan und stand auf. Er würde nicht nachbohren, was Jason beschäftigte. Das hatte er noch nie getan, denn er wollte seinen kleinen Halbbruder nicht bedrängen. Der würde schon von sich aus kommen.

Jason nickte und stand ebenfalls auf, um sich frische Wäsche herauszusuchen und auf June zu warten, damit er ebenfalls duschen gehen konnte.
 

Als er aus dem Bad kam, warteten June und Ryan bereits auf ihn.

Erst hatte Jason gedacht, dass sich die beiden vielleicht das große Bett in Ryans Zimmer geteilt hatten, aber ein Blick ins Wohnzimmer verriet ihm, dass Ryan die Nacht wohl auf dem Sofa verbracht hatte. Sie waren also wohl doch nicht wieder zusammen. Das fand Jason schade, er mochte June und er hoffte, dass die beiden wieder ein Paar wurden.

„Möchtest du Kaffee?“, riss ihn Junes Stimme nun aus den Gedanken.

Normalerweise mochte Jason keinen Kaffee, er kochte ihn immer nur für Ryan. Aber diesmal nickte er. Die Nacht hatte einfach ihre Spuren hinterlassen.

Nachdem sie ihm den Becher halb gefüllt hatte, schaufelte er eine ordentliche Ladung Zucker hinzu und ertrank das ganze schließlich noch mit reichlich Milch.

Ryan wollte dazu gerade eine abfällige Bemerkung machen, als Jason ihm mit einer Frage zuvorkam.

„Was ist das denn für ein Text?“ Jason hatte einen Zettel auf dem Küchentisch entdeckt.

„Oh, das. Das ist die Übersetzung der Buchseite, die ich in der Bibliothek gefunden habe. Es handelt sich wohl um einen Liedtext“, erklärte June.

„Tatsächlich? Das klingt für ein Lied aber ziemlich gruselig...“

„Das stimmt. Vermutlich diente es früher dazu, um Kinder abzuschrecken“, sagte June nickend.

„Kann ich den Text mal mitnehmen?“

Eine Augenbraue hochziehend fragte Ryan: „Wozu das?“

„Ich möchte ihn meiner Klassenkameradin zeigen. Sie... eh.. interessiert sich vielleicht dafür.“

„Ist das die Klassenkameradin von neulich?“, fragte June neugierig.

„Ja.“

„Geht es ihr wieder gut?“

„Ja. Aber ich kann euch noch nicht alles verraten“, wehrte Jason schnell ab.

Diese Aussage warf natürlich sowohl bei June, als auch bei Ryan Fragen auf, die aber keiner von beiden stellte.

„Nimm den Text ruhig mit“, meinte June schließlich. „Ich habe noch eine Kopie von der Übersetzung.“
 


 

„Oh, wartest du auf mich?“

Lilian kam gerade zum Sportplatz, wo sie wie zuvor das Training der Fußballmannschaft beobachten wollte. Aber diesmal wartete Jason bereits auf sie, obwohl bis zum Training noch ein wenig Zeit war.

„Ja, natürlich.“

Ach, was machte das Herz der Hexe doch für einen Hüpfer! Da stand ihr Schwarm vor ihr und wartete auf sie. Das fühlte sich unheimlich gut an, fand Lilian, aber dann wurde ihr wieder bewusst, dass sie gestern ein sehr ernstes Thema miteinander besprochen hatten.

„Hast du schon was über das Medaillon herausgefunden?“, fragte er sie.

„Ein bisschen“, nickte sie. „Es ist etwas darin eingraviert.“

Sie zeigte ihm die Gravur mit der Widmung an Mona.

„Mona...? Der Name sagt mir gar nichts“, seufzte Jason.

Lilians Miene verdüsterte sich ebenso wie seine. Sie hatte darauf gehofft, dass er mit dem Namen etwas anfangen konnte. Dann fiel ihr etwas ein.

„Jason, hast du die Bilder deinem Bruder gezeigt?“

„Nein, bisher nicht.“

„Mist. Dann hol das nach. Vielleicht ist die Frau auf dem Bild, die möglicherweise Mona heißt, die Frau, die das Amulett verloren hat. Er wird sich doch noch an sie erinnern, oder?“

„Bestimmt. Meinst du denn, sie könnte...?“

„Ein Vampir sein? Ja, warum nicht? Es ist möglich“, nickte Lilian.

Eigentlich hatte Jason einen ganz anderen Gedanken gehabt, aber Lilians Einwand war genauso gut. Wenn er recht darüber nachdachte... ja, diese Frau aus seinen Träumen war vielleicht tatsächlich ein Vampir. Das würde erklären, warum sie immer auf einmal so blass und kalt wurde... dennoch erschreckte ihn der Gedanke. Er konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, dass es diese Wesen tatsächlich geben sollte. Andererseits stand eine waschechte Hexe neben ihm und auch das hätte er nie glauben können, wenn sie ihm ihre Kräfte nicht demonstriert hätte.

„Wenn ich Ryan die Bilder zeige, wird er Fragen stellen“, sagte er schließlich nach einer kurzen Weile. „Bisher hat er mich nicht gedrängt, aber ich kann ihn nicht ewig hinhalten. Er macht sich bestimmt Sorgen.“

Natürlich hatte Jason mit dieser Aussage Recht, das wusste auch Lilian. Aber es war bereits jetzt schon gefährlich genug, dass dieser Fußballer ihr Geheimnis kannte. Sie hatte Angst davor, es auch noch weiteren Leuten anzuvertrauen.

„Oh, das hier hab ich übrigens heute morgen entdeckt. June – Ryans Exfreundin – hatte neulich in der Bibliothek etwas gefunden und es übersetzen lassen.“ Mit diesen Worten überreichte Jason seiner Klassenkameradin den Text, den er mitgenommen hatte.

„Also sind die beiden selbst kurz davor, herauszufinden, dass es so etwas wie Vampire gibt“, schlussfolgerte Lilian, nachdem sie den Text gelesen hatte und das Nicken des Jungen neben ihr bestätigte diese Vermutung.

Diese Entscheidung fiel Lilian schwer, aber trotzdem fand sie, dass sie richtig handelte, wenn sie die Sicherheit der anderen als wichtiger betrachtete, als die Hütung ihres Geheimnisses. Ihre Stimme klang fest und überzeugt, als sie sagte: „Ich werde nach der Schule mit zu dir kommen und sehen, was ich tun kann. Und wenn ich dafür mein Geheimnis preis geben muss, dann ist es eben so!“

Das war ein kleiner Preis im Gegensatz zu einem Menschenleben, fand sie. Und mit ihren Nachforschungen brachten sich Ryan und June in Lebensgefahr.
 


 

„Ich hörte, du hattest Ärger!“

Mona rollte mit den Augen, als sie die vertraute Stimme Katherines vernahm.

„Was willst du in meinem Zimmer?“, grollte sie.

„Lionel hat mich wieder zu deiner Beobachterin gemacht“, erklärte Katherine mit einem selbstgefälligen Grinsen. „Er hat da wohl etwas aufgeschnappt, das Eve erwähnte...“

Eve!

Die Klavierspielerin war momentan nicht gerade gut auf Eve zu sprechen. Dieses kleine Miststück hatte sie bereits verraten, soviel war Mona klar. Selbst wenn sie Lionel nicht alles erzählt haben mochte, so hatte sie ihr doch eindeutig gedroht und ihr damit quasi die Freundschaft gekündigt. Dabei hatte Mona eigentlich gar nichts gegen Lionel. Sie wusste, dass er als Oberer manchmal streng sein musste. Aber Eve schien sie inzwischen als Bedrohung anzusehen, warum auch immer.

Vielleicht, weil Mona es einfach Leid war, einem Orden treu sein zu müssen, der sie seinerzeit gegen ihren Willen zu einem Leben als Untote verdammt hatte!

„Ich werde dich verfolgen, egal, wo du hingehst. So lautet mein Befehl.“

Diese Worte erinnerten die Dunkelhaarige wieder daran, dass Katherine noch immer in ihrem Zimmer stand. „Das kannst du gern tun. Ich kann dagegen sowieso nichts ausrichten. Aber zumindest bin ich befugt, dich aus meinen privaten Räumen rauszuschmeißen!“

Mona schob Katherine unsanft zur Tür hinaus.

„Ich werde die ganze Zeit hier bleiben!“, bemerkte diese.

„Mach doch. Ich werde den Raum ohnehin nicht verlassen!“, knurrte Mona und knallte schließlich die Tür zu.

Kurz kam Mona in den Sinn, dass sie ja durchs Fenster fliehen könnte, aber dann fiel ihr ein, dass Lionel bestimmt dafür gesorgt hatte, dass ihr dieser Fluchtweg abgeschnitten war.

Das war ungefähr genauso wie damals, als sie ihr auch jegliche Möglichkeit genommen hatten, sich aufzulehnen!

Ihre Hand glitt unbewusst zu ihrem Hals, um ihr Medaillon zu umfassen, wie sie es immer tat, wenn sie betrübt war. Aber sie griff wie so oft in den letzten Nächten ins Leere. Das Medaillon war noch immer verschwunden.

„Es ist weg...“, flüsterte sie und eine Träne rann bei diesen Worten über ihre Wange.

Ihr kostbarster Schatz war weg und sie konnte nicht nach ihm suchen. Wieso war diese Welt nur so grausam zu ihr?

Mona setzte sich auf ihr Bett und ihre Gedanken schlichen sich ganz von selbst in eine Zeit, in der sie noch ein Mensch gewesen war.
 

Visionen hatten sie geplagt, die ihr zeigten, dass ihr Schlimmes bevorstand. Aber diese Visionen waren so durcheinander gewesen, dass sie nicht erkennen konnte, was sie dagegen tun sollte. Sie hatte sich nicht getraut, dem Zirkel von ihren Visionen zu berichten, sie wollte die anderen Hexen einfach nicht beunruhigen. Vor allem aber wollte sie auch ihre heimliche Beziehung zu einem Mann nicht preisgeben müssen, was sie sonst unweigerlich hätte tun müssen.

Wenn diese Visionen damals doch nur klarer gewesen wären!

Vielleicht waren ihre Fähigkeiten als Seherin eingeschränkt gewesen von dem neuen Leben, dass sie unter ihrer Brust trug...

Natürlich wäre es normalerweise ihre Pflicht gewesen, dem Zirkel davon zu berichten und irgendwann hätte sie ihre Schwangerschaft auch nicht mehr verbergen können, aber sie wollte noch warten damit. Wollte erst noch Vorkehrungen treffen.

Das alles hatte nicht mehr geklappt.

Als Seherin war sie die mächtigste Hexe des gesamten Zirkels gewesen, die einzige, die fähig war, Visionen zu empfangen. Und normalerweise war es ein streng gehütetes Geheimnis des Zirkels, welche Hexe die Seherin war.

Mona wusste auch nach diesen vielen, vielen Jahrzehnten nicht, wie genau der Orden herausgefunden hatte, wer sie war. Sie hatten es gewusst und ihren Geliebten bedroht und zum Verrat an sie gezwungen.

Bis heute konnte sie nur vermuten, was der Plan des Ordens gewesen war und sie war sich eigentlich recht sicher, dass ihre Vermutung auch zutraf – der Orden wollte die Linie der Seherinnen unterbrechen und dafür sorgen, dass niemals wieder eine Seherin erschien.

Es gab im Zirkel immer nur eine Seherin und die Macht wurde immer von der einen Hexe zur anderen verliehen. Die Seherin würde eine Vision von ihrem Tod haben und würde auch wissen, wer die Nächste sein würde, wem sie ihre Macht vererben musste. Wenn jedoch eine Seherin starb, ohne ihre Macht weitergeben zu können, würde es keine nächste Seherin geben!

Mona hatte ihren Tod vorausgesehen. Natürlich hatte sie das. Und auch wenn sie nicht wusste, wie es passieren würde, so wusste sie damals, dass es noch keine Nachfolgerin für sie gab, denn ihr Tod würde nicht natürlich sein.

Doch der Orden hatte die Rechnung ohne sie gemacht! Sie hatte ihre gesamte Macht im Medaillon verborgen und gehofft, sie so vor dem Orden zu schützen.

Bis jetzt hatte sie damit Erfolg gehabt – bis sie das Medaillon verlor.

Bittere, sehr bittere Tränen waren es, die Monas Gesicht nass werden ließen.

Sie fühlte noch immer den Schmerz des Bisses an ihrem Hals, als sie von einem der Vampire gebissen worden war und sie schmeckte auch noch immer das Blut in ihrem Mund, dass sie als eine von denen wieder auferstehen ließ. Durchlebte die Qualen, als ihr Körper starb und dabei auch das ungeborene Leben abstieß erneut, als sie nun daran zurückdachte.

Natürlich konnte ein Vampir keine Kinder bekommen. Der Körper war tot. Nicht ganz tot, aber tot genug für Unfruchtbarkeit.

Mona litt noch immer darunter, ihr Kind verloren zu haben. Und auch darunter, als Vampir keinerlei Magie mehr ausüben zu können. Auch das hatte damit zu tun, dass ein Vampir nun mal ein totes Wesen war. Magie heftete sich nicht an den Tod.

Eve hatte sie einmal gefragt, warum sie sich nicht einfach der Sonne stellte und damit ihr unheiliges Dasein beendete, wenn sie doch damit so unglücklich war.

Aber natürlich hatte Mona ihr nicht darauf antworten können, ohne ihre List zu verraten und war ihr die Antwort schuldig geblieben.

Sie hatte immer gehofft, ihre Seherinnen-Macht weitergeben zu können. Irgendwann mal eine Hexe zu treffen, die ihre Nachfolgerin war. Sie glaubte fest daran, dass ihr das Schicksal dies irgendwann erlauben würde. Bis dahin musste sie durchhalten. Nur deshalb war sie noch beim Orden!

Der Zirkel hatte natürlich nie davon erfahren, was mit ihr geschehen war, für den Zirkel war sie einfach nur spurlos verschwunden.

Niemals hätte sie zu ihm gehen können. Nicht nur, weil der Orden das stets verhindert hätte. Man hätte ihr auch niemals geglaubt, wo sie doch nun eine Vampirin war und die ihren damit quasi verraten hatte.

Mit jeder Faser ihres stillen Herzens hasste sie den Orden und war nur aus reiner Verzweiflung bei ihm geblieben. Wo sonst hätte sie hingehen sollen?

Bis heute wusste sie keine Antwort auf die Frage, warum der Orden sie nicht einfach nur getötet, sondern zur Vampirin gemacht hatte. Mona hatte auch die Hoffnung aufgegeben, diese Antwort jemals zu erfahren.
 

Energisch schüttelte sie nun den Kopf.

Über die Vergangenheit zu grübeln brachte überhaupt nichts!

Sie musste herausfinden, wie sie ihr Medaillon wiederfinden konnte.

Die Chance, dass sie es tatsächlich im Buchladen verloren hatte, war groß. Wie also konnte sie feststellen, ob das wirklich der Fall war und es sich nun in Ryans Besitz befand?

Mona setzte sich an ihr Klavier, legte ihre Hände auf die kühlen Tasten und begann, die ersten Töne der Mondscheinsonate zu spielen. Beim Spielen konnte sie sich am besten konzentrieren.

Als die letzten Klänge von Beethoven gespielt waren, wusste sie, was sie tun würde.

Im Stillen dankte sie Bram noch einmal für seine Hilfe, als sie ihren kleinen, technischen Kasten öffnete, den man wohl „Laptop“ nannte und den Knopf drückte, der ihn starten würde.

Mona konnte vielleicht das Anwesen des Ordens nicht verlassen – aber sie konnte immer noch E-Mails schreiben. Und die Internetadresse des Bücherladens herauszufinden, war für die Vampirin dank Bram, der ihr das alles beigebracht hatte, auch kein Problem.

Nun grinste Mona in sich hinein. Vampire waren im Allgemeinen nicht gerade aufgeschlossen für die neueste Technik und niemand von denen würde vermuten, dass sie Ryan nun auf diese Art kontaktierte.

Niemand, außer vielleicht Eve.
 

Fortsetzung folgt...

Mit dir

Kapitel 17

~

Mir dir
 

June hatte sich ein T-Shirt von Ryan geliehen, welches natürlich viel zu groß war und ihr bis auf die Oberschenkel reichte. Bei diesem Anblick musste Ryan schmunzeln. Die junge Frau, die sonst sehr bedacht ihre Kleidung auswählte, so zu sehen, hatte etwas durchaus Erheiterndes an sich. Wenn Ryan an die letzte Gelegenheit zurück dachte, bei der June seine Klamotten getragen hatte, wurden seine Wangen ganz heiß. Schnell verscheuchte er den Gedanken.

Es war einer dieser Vormittage, die man mit guten Vorsätzen, aber wenig Lust begann und eher seine Zeit vertrödelte, was nicht unbedingt das Schlechteste war, was man tun konnte. Ein klein wenig Ruhe war sogar ganz erfrischend.

Entspannt hatte June im Wohnzimmer auf dem Fußboden platz genommen und saß nun vor Ryans altem Plattenspieler, den er irgendwann mal auf einem Flohmarkt gekauft hatte. Lächelnd strich sie mit den Fingerspitzen über die glatte Oberfläche. Keinerlei Staub befand sich darauf, was einerseits überraschend war bei Ryans fehlendem Ordnungssinn und andererseits darauf schließen ließ, das dieses Gerät noch immer benutzt wurde. Sie warf einen Blick auf die dazugehörigen Vinyl-Platten. Pink Floyd, Led Zeppelin, Bob Dylan – Ryan stand offensichtlich nach wie vor auf klassische Rockmusik.

Ryan beugte sich von hinten über June, reichte ihr ein Tasse Tee und grinste sie an. „Ich stehe nicht nur auf alten Kram“, meinte er und legte demonstrativ eine CD ein.

June lächelte unverbindlich. „Ich habe mich ja gar nicht beschwert.“

Er setzte sich neben sie auf den Teppich, als gerade die ersten Töne von Joe Bonamassas „Steal your heart away“ erklangen.

Früher hatten sie viele Sonntage auf diese Weise verbracht – nichts tuend, aber dafür zufrieden. Ryan mochte die friedliche Stimmung, welche dabei entstand, obwohl er sonst ein eher unruhiger Geist war. Vielleicht, dachte er manchmal bei sich, waren diese Tage auch nur mit June schön. Nachdenklich wandte er den Kopf in ihre Richtung.

„Hast du es eigentlich je bereut mit mir zusammen gewesen zu sein?“, fragte er aus einem plötzlichen Impuls heraus. Als er Junes erstaunten Blick bemerkte, verfluchte er sich sogleich für seine unbedachte Frage.

„Nein. Niemals“, erwiderte sie ebenso schlicht, wie aufrichtig.

Nun war es an Ryan überrascht zu sein. „Wirklich nicht?“ Junes sanftes Lächeln wärmte sein Herz.

„Wirklich nicht“, bestätigte sie. „Oh, ich habe oft auf dich und seinen Leichtsinn geschimpft, das kannst du mir glauben. Du warst wie ein großes Kind, das man besser im Auge behielt.“ Sie lehnte sich leicht an seine Seite – eine vertraute Geste. „Aber nein, unsere gemeinsame Zeit habe ich niemals bereut.“

Ryan wollte etwas erwidern, aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Sie sprach zwar in der Vergangenheit, aber vielleicht war noch nicht alles verloren, was sie beide einst verband. Dieser Gedanke ließ Ryan ein wenig zur Ruhe kommen. Er musste nicht weiter fragen, musste heute nicht alles erfahren – dieses Band zwischen ihnen würde nicht einfach reißen.

„Mit dir...“, setzte Ryan an.

June blickte fragend auf.

Er grinste – wieder mit seiner gewohnten Leichtigkeit. Er würde immer zu ihr stehen, das wusste er nun. „Mit dir bin ich immer glücklich.“ Bin – nicht war.
 

„Ich werde nach der Schule mit zu dir kommen und sehen, was ich tun kann. Und wenn ich dafür mein Geheimnis preis geben muss, dann ist es eben so!“ Lilian hörte ihre eigenen Worte noch immer klar und deutlich. Aber als sie nun mit Jason vor dessen Wohnung stand, wurde ihr doch ein bisschen mulmig zumute. Indem sie ihr Geheimnis auch vor anderen Leuten preisgab, machte sie sich verwundbar. Außerdem – sie erhielt ja nicht jeden Tag die Gelegenheit das Zuhause ihres Schwarms zu sehen. Dementsprechend nervös stand sie nun hinter Jason, der gerade seine Tasche nach dem Haustürschlüssel durchwühlte.

Bevor er aufschloss, schaute er sich noch einmal zu Lilian um. „Alles okay bei dir?“

Lilian nickte, obgleich ihr etwas bang ums Herz war. „Ja, natürlich“, beeilte sie sich zu sagen. Sie wusste, wie viel auf dem Spiel stand und das es nicht allein um ihre Sicherheit ging.

Jason bemerkte ihre Unsicherheit, besaß aber genug Taktgefühl. um darüber hinwegzusehen. „Bin wieder Zuhause“, rief er, als er die Tür aufschob. Ein kurzer Blick nach rechts auf den Boden bestätigte ihm, dass June nicht gegangen war – ihre Schuhe standen noch immer dort.

Ryan streckte seinen Kopf aus der Küche heraus. „Oh, du hast ja Besuch mitgebracht“, stellte er sogleich fest.

Lilian rang sich ein Lächeln ab. „Hallo. Ich bin Lilian, Jasons Klassenkameradin.“

Grinsend hielt Ryan ihr die Hand hin. „Und ich bin Jasons Bruder Ryan.“ Er wandte den Kopf zur Seite und blickte Jason dabei an. „Wusste gar nicht, dass du seit neuestem eine Freundin hast“, meinte er augenzwinkernd.

Über die freche Bemerkung ging Jason einfach hinweg. Er war ganz froh, als June schließlich in den Flur kam. Wie es sich gehörte stellte er sie und Lilian einander vor. Zwar waren sich die beiden Frauen schon einmal begegnet, aber zu diesem Zeitpunkt war Lilian bewusstlos gewesen.

Verstohlen musterte Lilian die junge Frau. Die Tatsache, dass diese einer Männershirt trug und offensichtlich nicht erst seit zehn Minuten hier war, brachte die Hexe aus dem Konzept. Was sie daraus folgerte, entsprach zwar nicht der Wahrheit, ließ sie aber feuerrot anlaufen. „Freu... freut mich sehr“, stammelte sie unbeholfen. „Ich hoffe, ich störe nicht.“

„Das tust du nicht. Keine Sorge“, entgegnete June freundlich. „Möchtest du einen Tee? Oder Kaffee?“

Lilian schüttelte den Kopf, wusste aber ansonsten nicht so recht, was sie sagen sollte, weswegen sich Jason einschaltete.

„Wir wollten eigentlich mit euch beiden reden. In Ruhe“, setzte er an.

Ryan wirkte überrascht, nickte aber und deutete flüchtig den Gang entlang. „Dann last uns doch ins Wohnzimmer gehen“, schlug er vor. Die ernsten Blicke der Schüler hatten ihn neugierig gemacht, doch noch ahnte er nicht im entferntesten, worauf das alles hinauslaufen sollte.

Nervös spielte Lilian an ihrem Ring herum. Sie trug nur ganz selten Schmuck, war jedoch heute ganz froh darüber, weil sie nicht wusste, wohin sie sonst mit ihren Händen sollte.

Jason warf einen knappen Blick auf die Kopie der Übersetzung, welche auf dem Couchtisch vor ihnen lag, dann tippte er mit dem Finger darauf. „Ihr solltet damit aufhören“, sagte er schließlich – langsam und nachdrücklich.

„Womit aufhören?“ Ryan zog eine Augenbraue nach oben.

„Mit euren Nachforschungen“, antwortete Jason, weil sein Bruder offenbar nicht verstand, was er damit meinte. Einen Moment lang schwieg der Junge, wog seine nächsten Worte sorgfältig ab. „Ihr seid da an ein paar ganz üble Typen geraten. Und diese Spur lockt euch vielleicht geradewegs in eine Falle.“

„Ein paar Halbstarke und Spinner sollen ganz üble Typen sein? Du machst Witze.“ Ryan lachte, merkte aber selbst sehr schnell, wie unsicher das klang.

„Das ist kein Witz“, widersprach Jason. „Glaub mir, ich wünschte, es wäre ein Scherz, aber das ist es leider nicht.“

June hatte die Arme verschränkt und schaute skeptisch drein. „Ihr wisst also, was das für Leute sind.“ Sinnlos dies als Frage zu formulieren. „Darüber hinaus haltet ihr sie für gefährlich, aber ich wüsste schon gern, warum. Mal abgesehen von den ganz offensichtlichen Gründen.“

Lilian und Jason tauschten einen Blick miteinander. Ob man ihnen glauben würde? Jason hielt es – obgleich er wusste, dass es die Wahrheit war – ja selbst immer noch für verrückt.

Letztendlich war es Lilian die ihren ganzen Mut zusammen nahm. „Wenn ich mich nicht irre, was ich offen gesagt bezweifle, dann haben wir es mit Vampiren zu tun.“

Für ein paar endlos erscheinende Sekunden herrschte Stille in der kleinen Wohnstube. Fast so, als hätte jeder der Anwesenden vergessen, wie man atmet.

„Ich weiß, dass das vollkommen absurd klingt“, fuhr Lilian fort, die irgendwie das Gefühl hatte sich verteidigen zu müssen. In einer aufgeklärten Zeit wie ihrer war es so gut wie unmöglich geworden an blutsaugende Nachtgestalten zu glauben, aber eben nur so gut wie. Manchmal mussten sich die Menschen eingestehen, dass sie eben doch nicht alles verstanden, was sich zwischen Himmel und Erde abspielte. Als Lilian in die nachdenklichen Gesichter von June und Ryan blickte, erkannte sie, dass diese zwei sie nicht sofort für verrückt erklären würden. Sie hatten in den letzten paar Wochen viel gesehen und gehört, was ihren rationalen Verstand überstieg. Und nun lieferte jemand ihnen eine Erklärung – absurd oder nicht spielte dabei keine Rolle. Möglicherweise waren June und Ryan noch nicht bereit das alles zu akzeptieren, aber sie waren bereit Lilian zuzuhören, was die junge Hexe Mut schöpfen ließ.

„Es ist die Wahrheit“, sagte Lilian. „Vampire existieren. Wie erklärt ihr euch sonst die beachtliche Körperkraft, die ihr zweifellos festgestellt haben müsst und wie, dass diese Leute mühelos durch Fenster in hoch gelegenen Stockwerken gelangen können?“ Sie atmete einmal tief durch. „Versucht euch zu erinnern – ihr seid ihnen bisher nur bei Dunkelheit begegnet, nicht wahr?“

Ryan kramte in seiner Erinnerung, stellte dabei fest, dass sie tatsächlich recht hatte.

„Woher weißt du das alles?“, hakte June voller Verwunderung nach. Sie betrachtete Lilian nun mit ganz anderen Augen – aufmerksamer und eine Spur misstrauisch.

Lilians Herz hämmerte in ihrer Brust. Und wenn ich dafür mein Geheimnis preis geben muss... „Ich bin eine Hexe“, antwortete sie langsam.

Wieder diese Stille, die alles im Raum zu verschlingen schien. Wäre jetzt zur Unterstreichung von Lilians Worten irgendwo ein Blitz eingeschlagen, es hätte wohl niemanden ernsthaft gewundert. Die Ruhe war viel beunruhigender.

Ryan räusperte sich. „So wie in Merlin & Mim?“, fragte er – einen alten Kinderfilm zitierend.

„Ähm... ja, so in etwa“, gab Lilian ein bisschen verdutzt zurück. Mit einem solch eigenartigen Vergleich war sie bisher auch noch nie konfrontiert worden. „Ich zähle zu den so genannten weißen Hexen.“

„Was bedeutet, dass es auch schwarze Hexen gibt“, folgerte June daraus.

„Ja, das ist richtig.“ Lilian nickte. „Sie praktizieren meist schwarze Magie zu ihrem eigenen Vorteil“, erklärte sie.

„Und das tust du nicht?“, fragte Ryan.

„Nein.“ Lilian klang beleidigt, obwohl sie ja eigentlich wusste, dass er es nicht böse meinte. Er wusste es einfach nicht besser. Dennoch wollte sie die Sache klarstellen. „Mein Zirkel und ich agieren zum Schutz der Menschen. Gegen Vampire und ihresgleichen.“

„Zirkel? Dann gibt es also noch mehr von deiner Sorte?“, hakte Ryan weiter nach.

„Ja.“ Lilian sagte nichts weiter dazu, wollte nicht zu viel über ihren Zirkel preisgeben. Den anderen Hexen – allen voran ihrer Mutter – hätte es sicherlich missfallen. Lilian wagte sich schon jetzt auf dünnes Eis. Und das alles nur, weil sie Jason helfen wollte.

Jason, der die ganze Zeit über schweigend zugehört hatte, beugte sich nun vor. „Begreift ihr nun, was ich damit meinte, als ich sagte, dass wir an ein paar üble Typen geraten sind?“

Sowohl Ryan, als auch June nickten.

„Aber in einem Punkt irrst du dich, glaube ich.“ June nahm das Blatt mit dem alten Kinderlied zur Hand.

„Inwiefern?“, wunderte sich Jason.

„Das hier,“ June hielt den Zettel hoch, „ist keine Falle sondern eine Warnung. Man will uns damit sagen, dass wir unsere Nase nicht in fremde Angelegenheiten stecken sollen.“

Ryan schaute sie von der Seite an. „Warum glaubst du das?“

„Ganz einfach“, erwiderte June. „Solche Geschichten erzählt man Kindern um sie zu erschrecken und damit sie sich in Acht nehmen. Genau das sollen wir vermutlich auch tun. Uns in Acht nehmen.“

„Leichter gesagt, als getan.“ Seufzend lehnte sich Ryan auf der Couch zurück. „Es ist ja nicht so, als ob wir jede dieser Begegnungen provoziert haben.“ Ernst sah er seinen jüngeren Bruder an. „Tut mir leid, aber ich fürchte wir können die Nachforschungen nicht so einfach ruhen lassen, wie du glaubst. Wenn ihr mich fragt, sind wir in Gefahr, egal was wir tun, denn offensichtlich hegt jemand – warum auch immer – Interesse an uns.

Zähneknirschend musste Jason zugeben, dass er damit nicht ganz unrecht hatte. Da fiel ihm plötzlich wieder etwas ein. Er kramte in seiner Hosentasche und zog das Bild hervor, auf dem die Frau namens Mona zu sehen war – und ein Mann, der Jason auf verblüffende Weise ähnelte.

„Aber das...“ Ryan riss die Augen auf, als er einen Blick darauf warf. „Der Kerl sieht aus wie du... oder so, wie du vielleicht vor hundert Jahren ausgesehen hättest.“ Nun verstand er wirklich gar nichts mehr.

Jason nickte. „Ja, das ist ist uns auch schon aufgefallen. Was mich momentan aber mehr interessiert, ist, ob du die Frau auf dem Bild auch wiedererkennst.“

„Die Frau?“ Ryan zog die Augenbrauen zusammen. Dann begriff er, worauf sein Bruder hinaus wollte. „Das ist die Frau aus dem Buchladen. Sie war es, die das Amulett verloren hat“, antwortete er.

Also doch, dachte Jason. „Ihr Name ist Mona. Jedenfalls war das in dem Anhänger eingraviert.“

„Und sie soll auch ein Vampir sein?“, fragte June. Das Wort Vampir ging ihr noch immer schwer über die Lippen.

„Das vermuten wir“, erwiderte Lilian.

„Schwachpunkte...“, murmelte June nachdenklich vor sich hin.

„Was?“, fragte Lilian verdutzt.

June blickte auf. „Nun, ich wundere mich nur gerade, wo die Schwachpunkte dieser Wesen liegen. Bisher haben sich zwei von ihnen irgendwie... verbrannt, als Ryan sie berührte.“ Sie wusste selbst nicht, wie sie es besser ausdrücken sollte. „Das ist doch eigenartig, oder?“

Das schien auch Lilian zu finden. Sie blinzelte verwirrt und wandte sich dann an Ryan. „Hattest du etwas aus Silber bei dir?“, lautete ihre erste Vermutung.

Ryan versuchte sich zu erinnern, verneint dann aber schließlich. „Nicht, dass ich wüsste. Tut mir leid.“

Das wurde ja immer merkwürdiger. Selbst Lilian konnte sich keinen Reim darauf machen. Davon hörte sie immerhin zum ersten mal. Ihr kamen nur die üblichen Dinge in den Sinn, um Vampiren zu schaden: Silber, Sonnenlicht, Feuer. Aber eine bloße Berührung? Vollkommen ausgeschlossen.
 

„Du solltest hereinkommen. Es wird bald anfangen zu regnen.“

Eve saß wieder einmal auf ihrem Lieblingsplatz – dem alten Uhrturm – und ließ die Beine baumeln. Sie gab keine Antwort.

Lionel trat neben sie, obgleich der schmale Sims kaum Platz bot, um sich zu bewegen. Besorgt schaute er zu ihr hinunter. Im fahlen Mondlicht sah sie noch blasser aus als sonst, hell und zerbrechlich wie Porzellan. „Lass uns hineingehen.“

„Die Kälte stört mich nicht“, erwiderte Eve geistesabwesend.

Lionel packte ihre Oberarme und zog sie sanft hoch. „Ich weiß, dass dir die Kälte nichts ausmacht“, sagte er und die unterdrückte Heftigkeit in seiner Stimme ließ Eve aufhorchen. Schließlich ließ er sie seufzend los, als hätte er sich selbst dann besser unter Kontrolle. „Ich versteh nur nicht, warum du am liebsten hier bist – so weit fort von mir.“

Eve sah ihn lange aus ihren unergründlichen blauen Augen an, ehe sie ihm eine Antwort gab. „Ich bin nie weit fort. Ich bin immer bei dir.“ Sie legte ihre Hand über die Stelle, an der sein Herz lag. „Genau hier.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ging sie ins Innere des Anwesens. Was wichtig war, hatte sie ihm gesagt. Mehr zählte für sie nicht. Für Lionel hätte sie alles getan und das aus Gründen, die nur sie selbst kannte. Mona zu verraten hatte sie nicht weiter geschmerzt – ihr Herz war längst aus Eis. Wie oft hatte sie schon darüber nachgedacht, jedes mal mit demselben Ergebnis. Lionel war das Einzige, was sie noch bewegte. Das Einzige, was sie davon abhielt ins Sonnenlicht zu treten.

Lionel schaute ihr nach und erst als Eve sich über ihre Schulter hinweg zu ihm umblickte, löste er sich aus seiner Starre. „Es wird bald anfangen zu regnen“, sagte Eve und wiederholte damit wortgetreu seinen Satz.

Für einen winzigen Augenblick lang glaubte Lionel den Ansatz eines Lächelns auf ihren Mundwinkeln zu erblicken, doch schon im nächsten Moment war er sicher, dass er sich geirrt haben musste.
 

Ryan gähnte herzhaft, als er die Tür zur Buchhandlung aufschloss, musste sich dabei leicht dagegen stemmen, weil sie meistens klemmte. Heute war es seine Aufgabe den Laden zu öffnen, weswegen er früher als sonst aufgestanden war. In der Nacht hatte er kaum geschlafen, weil ihm Lilians Geschichte nicht mehr aus dem Kopf wollte. Doch das musste vorerst warten. Routiniert tastete er nach dem Lichtschalter. Jedoch erschreckte er jedes mal von Neuem, wenn er das Bild auf der linken Seiten des Ladens sah, einen Kunstdruck: Ophelia von John Everett Millais. Er konnte nicht verstehen, was die Leute daran fanden. Das Bildnis der im Wasser treibenden, toten Ophelia war für ihn immer nur gruselig gewesen. Warum hatte man das Bild überhaupt dort aufgehängt?

Als erstes holte er die Pakete mit den Kundenbestellungen, die während der Nacht geliefert worden waren und schaltete anschließend die Computer an – zwei an der Zahl. Sein Chef war altmodisch und hielt noch immer nicht viel von diesen „neumodischen Dingern“, wie er sie gern nannte. Ryan gähnte noch einmal. Er mochte die Stille, die hier herrschte solange weder Kollegen noch Kunden sich in den Räumen befanden. Diese Momente genoss er am meisten – allein mit den Büchern.

Ein kurzer Blick auf seine Armbanduhr verriet Ryan, dass er noch mehr als genug Zeit hatte. Für seine Verhältnisse war er ziemlich früh dran und so beschloss er noch die E-Mails zu kontrollieren für den Fall, dass es etwas Wichtiges gab. Er öffnete das entsprechende Programm und warf einen prüfenden Blick darauf. Das meiste davon war Werbung. „Grow your...“, weiter las Ryan die Betreffzeile lieber nicht vor. Grinsend schüttelte er den Kopf. Er fragte sich wirklich, warum man solche Nachrichten an Firmen schickte. „Was für ein Unsinn“, murmelte er vor sich hin, ehe er die nächste Mail öffnete. Die Adresse kannte er nicht, kein Betreff. Er zog eine Augenbraue hoch. Eins fiel ihm gleich ins Augen, noch bevor er den Text überhaupt gelesen hatte: Die Signatur lautete „Mona“.
 

Fortsetzung folgt...

Die Seherin

Kapitel 18

~

Die Seherin
 

Der Regen prasselte unaufhörlich auf ihren bunten Regenschirm und der Wind blies ihr langes Haar in ihr Gesicht, bis sie es schließlich doch noch mit einem Haargummi zusammenband.

Lilian seufzte. Der Winter nahte und bald würde der erste Schnee fallen.

Eigentlich mochte Lilian den Winter, aber dieses Jahr schien alles viel zu düster zu sein für ihren Geschmack.

Zumindest hatte eine Bemerkung ihrer Mutter am Frühstückstisch an diesem Morgen ein kleines Lächeln auf Lilians Lippen zaubern können und sie freute sich schon sehr auf das Ende des heutigen Schultages.

„Hey, Lilian!“, hörte die Hexe nun jemanden ihren Namen rufen, gerade als sie die Straße überqueren wollte, um zur Schule zu gelangen.

Sie drehte sich um und sah Jessica auf sich zukommen.

„Guten Morgen“, begrüßte sie ihre Klassenkameradin.

„Morgen“, gab diese zurück, nicht ohne ein wissendes Grinsen auf dem Gesicht.

„Was ist? Was grinst du so?“, fragte Lilian – und schon wurde Jessicas Grinsen noch breiter.

„Du bist gestern mit ihm zusammen nach Hause gegangen, nicht wahr?“, platzte das Mädchen mit den dauergewellten Haaren hervor.

„Wie?“, wunderte sich Lilian erst, bis ihr klar wurde, was Jessica meinte.

Ihre Klassenkameradin hatte wohl gesehen, wie sie mit Jason das Schulgelände verlassen hatte.

„Bist du jetzt mit ihm zusammen? Jason schien in letzter Zeit ziemlich auf dich abzufahren!“, fand Jessica.

Lilian wurde knallrot im Gesicht, als sie diese Worte hörte. Sie war immerhin weit davon entfernt, mit Jason zusammen zu sein. Es gab andere Gründe, viel wichtigere Gründe dafür, dass sie mit ihm „rumhing“, aber natürlich konnte sie das Jessica nicht sagen.

Diese wartete auch gar nicht erst auf eine Antwort.

„Aha. Du BIST also mit ihm zusammen. Mensch, Lilian, du kannst mir so was ruhig erzählen, weißt du?“

„Ähm“, stammelte die Hexe, aber sie brachte es nicht fertig, ihrer Freundin zu sagen, dass sie gänzlich falsch lag. Vielleicht war es sogar besser, wenn die anderen alle glaubten, sie wären ein Paar. Dann würde sich niemand mehr darüber wundern, warum sie bei Jason rumhing.

Allerdings war sich Lilian nicht so sicher, wie ihre Klassengemeinschaft das aufnehmen würde. Sie wusste, dass auch ein paar andere Mädchen an Jason interessiert waren.

Obwohl sie eine Hexe war, hatte Lilian nicht allzu viel Selbstbewusstsein und war eher unscheinbar. Innerhalb der Klasse fiel sie eher weniger auf. Sie war weder sonderlich beliebt, noch unbeliebt und bisher war sie auch noch nie gemobbt worden. Eher ein wenig beneidet, weil sie stets gute Noten hatte.

Das sollte sich nun ändern, wie sie feststellte, als sie mit Jessica das Schulgebäude erreicht hatte.
 

Am Eingang hatte sich eine kleine Gruppe Mädchen versammelt und Lilian roch den Gestank von Zigarettenrauch und kalter Asche. Zwar würde nie eins der Mädchen so öffentlich rauchen, aber es war allgemein bekannt, wer von ihnen Raucher war und wer nicht.

Die Hexe hasste Rauchgeruch und wollte einfach nur schnell ins Gebäude, aber eins der Mädchen stellte sich ihr in den Weg.

Überrascht blieb Lilian stehen und hob fragend die Augenbraue.

„Was ist, Maria?“

Maria Curtis war der Name des Mädchens und es war allgemein bekannt, dass auch sie schon länger für Jason schwärmte. Sie hatte lange, dunkelbraune Locken und beinahe ebenso dunkle Augen, die sie mit schwarzem Make-up betonte. Innerhalb der Klassengemeinschaft gehörte sie zu den sehr beliebten Mädchen. Lilian erinnerte sich daran, ihr ein paar Mal bei den Hausaufgaben ausgeholfen zu haben, deshalb hoffte die Hexe, dass es auch diesmal nur um Hausaufgaben ginge.

Leider täuschte sie sich da gewaltig.

„Weißt du, Brooks, mir ist zu Ohren gekommen, dass du in letzter Zeit viel mit Jason rumhängst. Das gefällt mir nicht.“ Maria kam gleich zur Sache.

Verdammt, dachte Lilian. Sie hatte nicht vorgehabt, mit jemandem Streit anzufangen.

Die Eifersucht eines anderen Mädchens kam ihr sehr ungelegen.

Gerade wollte Lilian ihrer Klassenkameradin eine nette kleine Lügengeschichte über Nachhilfe auftischen, als leider Jessica ihren Mund aufmachte und Lilians Plan gänzlich verdarb.

„Lilian ist mit Jason zusammen, hast du ein Problem damit?“

Damit ging der Ärger erst richtig los.

„Und ob ich ein Problem damit habe!“, knurrte Maria, die Lilian nun mit ihren dunklen Augen fixierte. Die anderen Mädchen kamen ebenfalls näher und umringten die Hexe auf unangenehme Weise.

„Hau ab, Carter!“, wurde Jessica angeblafft und man sah ihr an, dass sie jetzt erst bemerkte, dass sie gerade großen Mist gebaut hatte. Sie warf einen entschuldigenden Blick zu Lilian, bevor sie tatsächlich das Weite suchte.

Na toll, dachte Lilian. Erst reitet sie mich rein und dann lässt sie mich hängen. Prima. Und was mach ich jetzt?

Im nächsten Moment spürte Lilian, wie sie unsanft gegen die Schulwand gedrückt wurde.

„Lass die Finger von Jason, klar? Du trennst dich von ihm, sonst kannst du dein blaues Wunder erleben. Haben wir uns verstanden?“, drohte ihr Maria, die ihr ihre Hände schmerzhaft in die Schultern bohrte.

Fieberhaft überlegte die Blonde, was sie tun konnte. Natürlich hätte sie sich mit ihrer Magie befreien können, aber sie durfte sie nicht einsetzen. Andererseits konnte sie sich im Moment einfach nicht von Jason fernhalten. Dafür stand zu viel auf dem Spiel, wenn man an die Vampire dachte.

„Haben wir uns verstanden?“, wiederholte Maria ihre Frage, nachdem Lilian nicht antwortete und unterstrich ihre Drohung mit einer Ohrfeige. Die anderen Mädchen lachten und feuerten die Dunkelhaarige sogar an.

„Lass mich los“, fauchte Lilian endlich. Sie wollte sich nicht unterwerfen, auch wenn das bedeutete, dass sie sich damit furchtbar unbeliebt machte. Sie war wütend.

Statt loszulassen, griff Maria jedoch nur noch fester zu und es schallte noch eine Ohrfeige und eine wüste Beschimpfung, die Lilian nur noch wütender machten.

Da geschah es.

Lilian wusste nicht, was es war und woher es kam, aber ihr Körper fühlte sich plötzlich sehr heiß an und sie begann zu schwitzen. Ihre Magie, die sie normalerweise unterdrückte, brach hervor und die Hexe spürte, dass sie nun die völlige Kontrolle verlieren würde.

Was ist mit mir?, fragte sie sich selbst, als sie bemerkte, dass sie die Veränderung in ihrem Körper nicht aufhalten konnte.

Ihre Augen waren längst golden verfärbt, aber noch hatte die Mädchengruppe um sie herum nichts bemerkt. Es war einfach noch zu dunkel um diese Uhrzeit, als das man diese Veränderung hätte sehen können.

Erst, als sich auch ihre Haare immer mehr verfärbten und noch heller wurden, als sie ohnehin schon waren, runzelte Maria die Stirn, auch wenn sie im Nachhinein nicht sagen konnte, was sich an dem anderen Mädchen verändert hatte.

„Hey, ignorier mich nicht einfach, sag was, du Ziege!“, schimpfte sie.

„Geht weg von mir!“, zischte Lilian, verängstigt von dem, was mit ihr geschah.

Sie wusste nicht, was mit ihrer Magie nicht stimmte, warum ihre Macht so durcheinanderwirbelte und fürchtete, jemandem weh tun zu können.

Die Hexe hatte Glück, dass Maria sie in diesem Moment tatsächlich losließ. Irgendetwas bewog sie dazu. Sie rief ihren Freundinnen ein „Gehen wir“ zu und verschwand tatsächlich, ließ die sich nun leicht windende Lilian allein am Schuleingang stehen.
 

Als Jason das Schulgelände betrat, hallte in seinen Ohren noch das Gespräch nach, das er soeben mit seinem Bruder übers Handy geführt hatte.

Er konnte gar nicht glauben, dass die Frau namens Mona sich tatsächlich per E-Mail bei Ryans Buchhandlung gemeldet hatte und nach dem Medaillon gefragt hatte. Natürlich hatte es in der Mail keinerlei Hinweise darauf gegeben, dass sie tatsächlich ein Vampir sein konnte oder wie alt sie war, aber sie hatte deutlich gemacht, dass sie das ihr kostbare Medaillon gern zurückhaben wollte. Ryan würde ihr antworten und er war sehr gespannt darauf, auf welche Weise er ihr das goldene Schmuckstück zurückgeben sollte. Derzeit war das Medaillon noch bei Lilian, da die Hexe es gerne bei Gelegenheit dem Zirkel zeigen wollte.

Er wunderte sich, als er am Eingang der Schule eine Person hocken sah, bis er beim Näherkommen schließlich Lilian erkannte.

Sofort rannte er auf sie zu, teils, um ihr die Neuigkeit mitzuteilen, teils weil er das Gefühl hatte, das etwas nicht mit ihr stimmte.

„Lilian? Was ist los?“, fragte er sie, als er den Eingang endlich erreicht hatte.

Sie hob den Blick und sah ihn aus glasigen goldenen Augen an. „Ich weiß nicht. Meine Magie spielt verrückt“, flüsterte sie beinahe unhörbar und nun fasste sie sich wie benommen an den Kopf.

Jason hatte längst bemerkt, dass ihre Kräfte „aktiviert“ waren und wurde nervös. Er wusste nicht wirklich, was er tun sollte. Und seine Nervosität steigerte sich noch, als er hinter sich weitere Schüler plappern hörte, die auf sie zukamen.

„Wir müssen hier weg, Lilian“, raunte er der Hexe zu und half ihr dabei, aufzustehen.

Ihre Haut fühlte sich seltsam heiß an, als er ihre Hand berührte, beinahe, als hätte sie enorm hohes Fieber.

Die Schüler, die auf sie zukamen, waren glücklicherweise weitere Klassenkameraden von Jason und Lilian.

„Guten Morgen“, wurden sie von einem der drei näherkommenden Jungen begrüßt.

„Guten Morgen“, erwiderte Jason, dann nutzte er die Chance, die sich ihm bot. „Hört mal, Lilian scheint es nicht gut zu gehen. Ich bringe sie nach Hause. Könnt ihr den Lehrern Bescheid geben?“
 


 

Sophia Brooks zog überrascht eine Augenbraue hoch, als es an der Tür klingelte.

„Mutter ist früh dran“, dachte sie und wischte sich schnell die nassen Hände ab, bevor sie die Tür öffnen ging.

Umso überraschter war sie, als vor der Tür nicht - wie erwartet – ihre Mutter stand, sondern ihre Tochter, in Begleitung von Jason.

„Was macht ihr hier? Ihr solltet in der Schule sein!“, schimpfte sie, dann erst fiel ihr auf, dass Lilians Haare weiß waren. Ein Zeichen dafür, dass sie ihre magische Kraft benutzte.

Wieso hat sie ihre Kräfte aktiviert?, fragte sich Sophia. Dann fiel ihr erneut etwas auf.

Die Magie, die Lilian ausstrahlte, war ungewöhnlich intensiv und wirbelte wild umher.

Sie hat ihre Macht nicht unter Kontrolle. Was ist los?

Sophia zögerte nun keinen Moment länger, sie half Jason dabei, ihre Tochter ins Haus zu bringen und schloss schnell die Tür.

„Es scheint Lilian nicht gut zu gehen. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber sie sagt, ihre Magie spielt verrückt“, erklärte Jason schnell und vergaß dabei völlig, dass er eigentlich gar nichts von Lilians Magie wissen durfte.

„Das sehe ich“, bemerkte Sophia trocken, half Lilian auf einen Küchenstuhl und runzelte dann die Stirn.

„Was hast du gerade gesagt?“, fragte sie Jason.

Dieser biss sich nun auf die Unterlippe, als ihm bewusst wurde, was er da gerade verraten hatte. Er war ja ein toller Geheimnishüter!

Jasons Miene verriet Sophia sofort, dass sie sich nicht verhört hatte, aber der Zustand Lilians war wichtiger als dieses eine Detail. Darauf würde sie erst später zurückkommen können.

„Lilian, was ist passiert?“, fragte sie ihre Tochter.

Diese hielt sich noch immer den Kopf, als hätte sie Kopfschmerzen.

„Ich habe keine Ahnung, Mum. Ich kann sie nicht kontrollieren. Das hatte ich noch nie“, wimmerte die junge Hexe.
 


 

Amanda Wood war eine pünktliche Frau. Das lag vielleicht daran, dass sie es hasste, wenn andere sich verspäteten. Verspäten, nein, das kam für sie nicht in Frage. Sie fuhr immer überpünktlich los und kam meistens auch überpünktlich an.

Und an diesem Morgen war sie sogar noch früher aufgebrochen, als es normalerweise der Fall gewesen wäre. Sie hatte einfach so ein ungutes Gefühl in ihrer Magengegend. Und auf ihr Bauchgefühl war eigentlich immer Verlass gewesen.

Sie mochte alt sein, älter als viele andere Hexen, aber das hatte sie auch empfindlicher gegenüber der Magie anderer gemacht. Sie spürte einfach, wenn eine andere Hexe in der Nähe war.

Das Gefühl, dass sie nun hatte, unterschied sich von dem, das sie sonst in der Gegenwart anderer Hexen hatte, jedoch enorm.

Irgendwas ist erwacht, dachte sie, aber sie hatte keine Ahnung, woher dieser Gedanke kam und was er bedeuten mochte.

Je näher sie dem Haus ihrer Tochter Sophia kam, desto stärker wurde das ungute Gefühl.

Ob etwas in der Familie passiert war?

Sie parkte ihren Bentley S2 vor dem Reihenhaus, stieg aus und ging für ihr Alter erstaunlich flott zur Tür. Sie musste einfach wissen, was da los war!

Der Anblick Sophias bestätigte ihr sofort, dass etwas nicht stimmte.

„Sophia, Kind, was ist passiert? Woher kommt all diese Magie?“, fragte sie, als sie schneller, als man ihr zutrauen würde, ins Haus kam.

„Von Lilian. Wir haben keine Ahnung, was passiert ist, aber ihre Magie kocht beinahe über!“, erklärte Sophia und führte bei diesen Worten ihre Mutter ins Wohnzimmer, wo sie Lilian zwischenzeitlich hingebracht hatten.

Jason war noch immer bei ihr. Seine Anwesenheit schien Lilian auf seltsame Weise zu beruhigen.

„Oma“, rief die junge Hexe erfreut aus, als sie ihre Großmutter Amanda erkannte.

„Mum hat heute morgen erzählt, dass du eine Woche zu Besuch kommst“.

„Und ich bin froh, dass ich hier bin. Lily, was ist passiert, dass deine Magie so durcheinander ist?“, fragte Amanda, doch Lilian zuckte nur mit den Schultern.

Amanda schien sich kein Stück an Jason zu stören, obwohl dieser sich in dem großen Wohnzimmer der Familie Brooks furchtbar unbehaglich fühlte. Fehl am Platze.

Woher kommt mir das nur so vertraut vor?, fragte sich Amanda derweil.

Diese eigenartigen Muster, in der Lilians Magie zu wabern schien. So etwas hatte sie noch nie erlebt, und doch erschien es ihr, als müsste sie erkennen, was los ist.

Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, als sie Lilians schmale Hand in ihre nahm.

„Die Seherin!“, flüsterte sie, wie vom Donner gerührt.
 

Mona wälzte sich unruhig in ihrem dunkel behangenen Bett hin und her.

Das war ein seltsamer Traum, der sie da gefangen hielt. ZU seltsam.

In ihrem Traum sah sie ihr verlorenes Medaillon, doch obwohl es eigentlich geschlossen sein musste, war es geöffnet worden. Sie erkannte die beiden alten Bilder, auf dem sie zusammen mit ihrem Geliebten David vor dem alten Haus ihrer Familie abgebildet war.

Das waren Bilder, die sie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatte und doch erkannte sie jedes kleine Detail wieder.

Obwohl sie ihre Macht in jenem Moment verloren hatte, in dem sie gestorben war, spürte sie sie nun ganz deutlich und greifbar.

Doch die Macht war nicht mehr Teil von ihr selbst. Er war Teil einer anderen Hexe, das erkannte sie nun.

Als Mona aus ihrem Traum erwachte, sah sie noch immer goldene Augen und weißes Haar in ihrem Geist.

„Die Macht wurde weitergegeben. Die neue Seherin ist erwacht“, flüsterte sie sich selbst leise zu.

Sie wusste, dass das stimmte. Ihre Mentorin hatte ihr vor vielen, vielen Jahren gesagt, dass sie es spüren würde und dass es niemals Zweifel daran gab, ob eine neue Seherin geboren war.

Nun wusste sie, dass ihre Mentorin Recht gehabt hatte.

Und Mona wusste auch, was nun ihre Aufgabe sein würde.

„Ich muss ihr zeigen, wie sie damit umgehen muss....“, überlegte sie.

Aber erst einmal muss ich vor Katherine und dem Orden fliehen.
 

Was Mona nicht wusste, war, dass sie nicht der einzige Vampir war, der gespürt hatte, dass eine neue Macht erwacht war...
 

Fortsetzung folgt...

Schwere Entscheidung

Kapitel 19

~

Schwere Entscheidung
 


 

Lionel saß über seinen Schreibtisch gebeugt da. Unter seinen braunen Augen lagen dunkle Schatten und er wirkte um Jahre gealtert, wobei dies natürlich ein Luxus war, der den Vampiren verwährt blieb. Man kam jedoch nicht umhin zu erwähnen, dass ihn etwas quälte.

Konnte das, was er gespürt hatte der Wahrheit entsprechen? Damals – vor gut einhundert Jahren – hatte es niemanden gegeben, an den Mona ihre Kraft hätte weitergeben können. Die Kraft einer Seherin. Und plötzlich tauchte diese Macht wieder auf. Die Erkenntnis hatte Lionel vollkommen unerwartet getroffen und er konnte sich keinen Reim darauf machen, was geschehen war.

Was ihm größeres Kopfzerbrechen bereitete, wusste er nicht: die Existenz einer neuen Seherin oder die Tatsache, dass Mona es zweifellos auch gespürt hatte. Es war bisher schon schwer genug sie im Zaum zu halten. Jetzt würde es nahezu unmöglich werden.

Seufzend stieß sich Lionel mit den Händen vom Stuhl ab, erhob sich und trat auf den kleinen Balkon hinaus, über den sein Arbeitszimmer verfügte. Der kalte Wind blies ihm entgegen, wie der Hauch des nahenden Winters. Die undurchdringliche Wolkendecke gab keinen Blick frei auf den nächtlichen Sternenhimmel.

Lionel fühlte sich für einen Augenblick genauso alt wie das Firmament. Eine einzige Sekunde reichte aus um ihm alle Entscheidungen und Ereignisse der vergangenen Jahre wieder vor Augen zu führen. Er umklammerte das Geländer bis ihm die Fingerknochen weiß unter der ohnehin schon blassen Haut hervortraten.

Das hätte nicht passieren dürfen! Unter keinen Umständen!

Der relative Frieden, den er mit aller Macht versucht hatte zu schaffen, verblasste nun langsam vor seinem Inneren Augen. Es hatte immer kleinere Rangeleien mit anderen Orden oder gar Übergriffe auf Hexen gegeben. Doch war die Bedrohung, die von den Hexen ausging, nie unmittelbarer gewesen. Sie hatten ihre mächtigste Waffe zurück erhalten. Lionel musste handeln, bevor jemand herausfand, wie diese zu benutzen war.

Von einem schlagartigen Gefühl der Unruhe erfasst, verließ er das Zimmer. Er ging die Treppe hinunter und übersprang dabei fast jede zweite Stufe. Eile sah ihm sonst gar nicht ähnlich.

Habe ich wirklich so viel Schuld auf mich geladen?

Lionels Blick huschte zur dem blauen Deckengewölbe hinauf, welches dunkel und drohend über ihm lag. Eine vollkommen unsinnige Empfindung, die er schnell beiseite schob.

In der großen Halle fand er schließlich diejenigen, nach denen er so übereilt gesucht hatte. War das wirklich eine gute Idee? Lionel maß der Frage keine weitere Bedeutung bei. Er hatte eigentlich auch keine andere Wahl – so glaubte er jedenfalls.

Zwei Paare beunruhigend grüner Augen richteten sich auf ihn. Ninon und Noël Milton waren zwar keine eineiigen Zwillinge und doch war ihr Blick exakt gleich – unergründlich und ein klein wenig unheimlich. Dabei sahen die beiden ansonsten ganz harmlos aus: dunkelblonde, fast schon braune Haare und weiche Gesichtszüge. Mit vierzehn Jahren hatte man sie in Vampire verwandelt, was nun aber auch schon an die zweihundert Jahre her war.

„Können wir etwas für dich tun, Herr?“ Ninons Stimme klang wie Vogelgezwitscher an einem Frühlingstag. Das Mädchen lächelte arglos, während er Bruder fragend den Kopf zur Seite neigte.

„Ja, das könnt ihr in der Tat“, erwiderte Lionel.
 

Der Blick, den man vom British Airways London Eye auf die Stadt hatte, war atemberaubend. Das 135 Meter hohe Riesenrad hatte sich seit seiner Errichtung im Jahre 1999 zu einem echten Wahrzeichen der Stadt entwickelt. In einer der Gondeln hatten bis zu 25 Menschen Platz. Heute waren es erheblich weniger, was eher ungewöhnlich war.

Zwei der insgesamt vier Fahrgäste schienen sich überhaupt nicht für die Aussicht zu interessieren. Lediglich Daniel warf ab und an einen Blick auf die Themse hinunter.

„Glaubst du, die wissen, wer er ist?“, fragte der vermeintlich junge Mann.

Marguérite dachte darüber nach und schüttelte dann den Kopf. „Vollkommen ausgeschlossen“, erwiderte sie knapp.

„Na ja...“ Daniel streckte sich. „Der Orden der Ewigen Nacht war schon immer zu dämlich um irgendetwas zu bemerken.“

„Ich glaube, die haben derzeit ganz andere Probleme“, wandte Marguérite ein. Ob sie damit das Erwachen der Seherin meinte, oder nicht, blieb offen. Sie äußerte sich nicht weiter zu diesem Thema.

Daniel nickte. „Auch wieder wahr.“ Plötzlich stieß er ein verächtliches Schnauben aus. „Ich verstehe nicht, warum wir ihn nicht einfach killen.“

Wer war er?

Marguérite kräuselte missbilligend die Lippen. Daniels Ausdrucksweise hatte sie nie sonderlich gemocht. Dieses mal wies sie ihn jedoch nicht zurecht. Stattdessen warf sie einen flüchtigen Blick auf seinen Arm. „Du weißt ja, was dir das eingebracht hat.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, wir sollten uns vorerst bedeckt halten.“

Vor Ärger lief Daniel rot an, hatte sich aber nach einigen Minuten wieder unter Kontrolle. Einzig der Blutdurst war geblieben und sang in seinen Ohren – verführerisch. Aus den Augenwinkeln schaute er zu den zwei anderen Passagieren hinüber, einem jungen Pärchen. „Es wird Zeit fürs Abendessen“, meinte er halblaut und grinste dabei.

„Wehe, wenn du dabei wieder eine Sauerei veranstaltest und meine Schuhe ruinierst.“ Drohend hob Marguérite eine Augenbraue. Sie waren hier nicht ganz ungestört, aber für ihr Abendessen gab es hier wenigstens kein Entkommen. Seufzend gab sich Marguérite geschlagen. Man bekam Blutflecken so furchtbar schlecht ausgewaschen.
 

Mona kam sich vor wie ein Einbrecher. In Gedanken korrigierte sie sich sogleich selbst: ein Ausbrecher traf wohl eher zu. Doch sie fühlte sich nicht nur komisch, weil sie hier heimlich durch die Dunkelheit schlich und sich hinter irgendwelchen Hecken und Sträuchern versteckte. Auch ihre Kleidung fühlte sich merkwürdig an. Sie hatte ihr Samtkleid aus praktischen Gründen gegen eine schwarze Hose und eine Bluse eingetauscht. Ein wenig unbehaglich zupfte sie daran herum. Außer dem Laptop, welchen sie zusammen mit Bram gekauft hatte, trug sie nichts weiter bei sich. Sie benötigte nicht mehr. Allein der Computer war wichtig, weil sie nicht wusste, wie sie sonst mit Ryan in Verbindung treten sollte. Er war die beste Möglichkeit um das verlorene Amulett zurück zu bekommen. Und sie bezweifelte insgeheim, dass sie noch einmal freiwillig hierher zurückkehren würde.

„Darf ich fragen, wo du hinwillst?“

Mona fuhr vor Schreck herum, war aber geistesgegenwärtig genug um den Laptop mit dem Fuß ins Gebüsch zu schieben. Sie presste die Lippen fest aufeinander, als sie Katherine erkannte.

Die hochgewachsene Vampirin schaute verächtlich, aber auch ein bisschen selbstgefällig zu Mona. „Ich dachte mir schon, dass du hier bist“, fuhr sie fort. „Dachtest du etwa, Lionel würde dich einfach so ziehen lassen? Er wusste, dass du versuchen würdest zu fliehen. Deswegen bin ich hier.“ Katherines Lippen verzogen sich zum einem wölfischen Grinsen. „Ich soll dich aufhalten. Notfalls mit Gewalt.“

Mona stellte sich breitbeinig hin, um so einen festeren Stand zu haben. „Versuch es doch“, knurrte sie. „Ich werde mich nicht länger gegen meinen Willen einsperren lassen. Ich gehöre Lionel nicht. Nicht in der Vergangenheit und nicht in der Zukunft.“

„Ich, ich, ich.“ Katherine ahmte ihren Tonfall nach. „Natürlich geht es wie immer nur um dich. Du bist ja auch etwas Besonderes. Die Prinzessin, die auf uns andere hinab sieht.“ Ihre Worten trieften förmlich vor Sarkasmus.

Mona sagte nichts, wollte Katherine nicht noch mehr Angriffsfläche bieten. Stattdessen stellte sie sich auf den ersten Angriff ein, der sicher nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Dazu war Katherine viel zu unbeherrscht und Mona hoffte, das für sich nutzen zu können.

„In meine Augen bist du nichts weiter als ein Störfaktor. Das warst du schon immer.“ Der Boden unter Katherines Füßen knirschte und im nächsten Moment hatte sie sich auch schon auf Mona gestürzt.

Mona hatte damit gerechnet, war aber dennoch ein bisschen beunruhigt, als ihr gewahr wurde, wie viel Kraft und Wut Katherine bereits in diesen ersten Vorstoß legte. Sie war tatsächlich bereit alle Waffen zu benutzen, die ihr zur Verfügung standen. Ihr Griff war wie ein Schraubstock, doch Mona wollte ihr keine Genugtuung gönnen und so schrie sie auch nicht auf, als Katherine die Hand noch fester um ihren Arm schloss.

Katherine zog blitzschnell einen langen Dolch aus ihrem Stiefel, aber Mona gelang es sich zu entwinden und wich im letzten Moment zurück. „Ich frage mich wirklich, was du gegen mich hast?“, keuchte sie.

„Tu nicht so unschuldig!“ Mit einem wütenden Schrei griff Katherine erneut an.
 

Als er Eves Hand auf seiner Schulter spürte, wäre Lionel fast zusammengezuckt. Nicht etwa, weil er ihr Kommen nicht bemerkt hatte, sondern weil sie ihn sonst fast nie berührte, von dem Moment auf dem Turm mal abgesehen. Es freute und verstörte ihn gleichzeitig sie so nah an seiner Seite zu spüren.

Ich bin immer bei dir. Ihre Worte klangen noch immer in seinen Ohren.

„Du siehst bedrückt aus“, stellte Eve fest. Ihre Stimme klang nahezu unberührt, wie sonst auch.

Lionel erwiderte nichts. Immerhin hatte sie ihm keine Frage gestellt. Es war eine Feststellung gewesen. Er wandte sich um und jetzt trennten sie nur noch wenige Zentimeter voneinander. Zögerlich musterte er sie. Sein Blick verharrte am längsten auf ihren blauen Augen und den perfekt geschwungenen Lippen. War Eve schon immer so sinnlich gewesen? Ja, das war sie – aber Lionel hatte sich immer gezwungen nicht daran zu denken, wenn er in ihrer Nähe war.

Vielleicht war es der gequälte Ausdruck in seinen Augen, der Eve dazu veranlasste ihre Hand auf seine Wange zu legen. Womöglich auch etwas völlig anderes, er wusste es nicht und es war ihm egal.

„Ich hätte dich nicht dazu zwingen dürfen deine Freundin zu verraten“, meinte Lionel – einfach, weil er das Gefühl hatte etwas sagen zu müssen. Es klang wie eine unbeholfene Ausrede.

„Du hast mich nicht gezwungen und es geschah um unseren Orden zu beschützen“, entgegnete Eve ruhig. Fast zu leise um es zu verstehen, fügte sie hinzu. „Ich habe dich gewählt.“

Lionel hätte sie am liebsten umarmt, doch er wagte es nicht. Dass sie sich von dem abgestoßen fühlen könnte, was er als nächstes vorhatte, sorgte ihn am meisten – nicht die Konsequenzen. Er musste es ihr sagen. Und er wusste, wenn er es nicht jetzt tat, würde ihm wahrscheinlich irgendwann der Mut dafür fehlen.

„Eve, ich... ich muss sie melden“, brachte er langsam hervor. „Die Oberen müssen von Mona erfahren.“ Er gab sich keinen Illusionen hin. Dies konnte Monas Todesurteil sein.

Eve wich nicht zurück, verharrte in ihrer Position. „Ich verstehe“, sagte sie. Mehr nicht. Einfach nur „ich verstehe“.

Trotz der Nüchternheit ihrer Worte, war es für Lionel wie eine Absolution. Eve würde ihm auch nach dieser Entscheidung nicht den Rücken kehren.
 

„Jason, kommst du heute nicht zum Training?“

Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe einen wichtigen Termin.“ Okay, das war glatt gelogen. „Könnt ihr euch eine Ausrede für mich einfallen lassen?“

„Klar.“ Damit zogen seine Kameraden ohne ihn davon.

Jason stieß ein frustriertes Schnauben aus, als sie fort waren. Eigentlich hätte er sich beim Fußball gut ablenken können, aber ihm war nicht danach.

Lilian war heute nicht in der Schule gewesen. Seit dem gestrigen Nachmittag hatte er nicht mehr mit ihr geredet. Dabei wünschte er sich nichts sehnlicher, als eine Erklärung. Er dachte zurück. Lilians Mutter und ihre Großmutter hatten besorgte Blicke miteinander getauscht und ihn dann rausgeworfen. Zwar höflich, aber auch bestimmt. Als wenn etwas nicht für seine Ohren bestimmt war.

„Verdammt...“ Er trat gegen ein Tischbein. Heftige, unbedachte Reaktionen dieser Art sahen ihm gar nicht ähnlich. Er wollte wissen, was mit Lilian passiert war. Die Ungewissheit machte ihn echt fertig.

Abrupt griff er nach seiner Tasche und verließ danach die Schule, ohne dabei jemanden anzusehen. Etwas von dem, was er gestern aufgeschnappt hatte, wollte er gerne überprüfen.
 

Mit der U-Bahn war es nicht weit bis zu Junes Wohnung und so stand Jason nur wenig später vor dem alten Stadthaus, welches im neogeorgianischen Stil erbaut worden war. Als er die Stufen hinauf ging, warf er einen kurzen Blick nach links. Dort stand ein Umzugswagen.

Drinnen musste er sich an ein paar Möbelpackern vorbeischlängeln, die gerade einen Schrank nach oben trugen.

Er ging weiter. Fast hätte die Frau ihn über den Haufen gerannt. Sie trug eine große Kiste und konnte ihn deswegen nicht sehen. Jason hatte schnelle Reflexe und konnte den Aufprall abfangen. Das Erste, was er sah, war ein honigblonder Haarschopf. Dann lugten ein paar braune Augen seitlich an dem Pappkarton vorbei.

„Tut mir leid, ich habe dich nicht gesehen“, meinte sie.

„Kein Problem. Soll ich Ihnen helfen?“ Jason wartete ihre Antwort gar nicht ab, denn die Kiste sah schwer aus. „In welche Wohnung sollen die Sachen?“, fragte er. Man musste kein Genie sein, um zu erraten, dass sie diejenige war, die hier gerade einzog. In das Appartement von Mrs. Miller, die ins Altenheim gegangen war, vermutete Jason. Also neben June.

Die Frau ging voraus. „Stell die Sachen einfach hier vorne ab.“

Jason nickte und tat wie geheißen.

Zum Dank schenkte sie ihm ein freundliches Lächeln. „Das ist lieb von dir. Vielen Dank.“

„Keine Ursache“, erwiderte Jason. Er nickte ihr knapp zu und wandte sich dann ab. Jedoch schielte er, als er bei June klingelte noch einmal hinüber. Er schätzte die neue Mieterin auf Mitte dreißig. Auf dem Umzugskarton hatte „Gray“ gestanden.

Dann öffnete June die Tür. Sie trug ein altes, rotes Shirt und hatte einen Farbklecks auf der Wange. Offensichtlich arbeitete sie gerade an einer Illustration.

Fast hätte Jason ein schlechtes Gewissen bekommen. Natürlich, sie kann sich nicht nur um uns kümmern, sie muss auch arbeiten, dachte er. „Störe ich gerade?“

Lächelnd schüttelte June den Kopf. „Nein, ich wollte sowieso gerade eine Pause machen.“ Sie sagte das, weil sie nett war und nicht etwa, weil es der Wahrheit entsprach. „Komm rein.“

Jason trat in den Flur. Er legte seine Jacke und die Schuhe ab, folgte June anschließend in die Stube. Der Raum diente ihr gleichzeitig als Arbeitszimmer. Neugierig warf Jason einen Blick auf den Schreibtisch. Das Bild, welches dort lag, kannte er noch nicht. „Ein neuer Auftrag?“

„Ja, ich habe gerade erst damit begonnen“, antwortete June. „Mal sehen, was daraus wird.“

„Gefällt mir“, meinte Jason anerkennend. Die Tatsache, dass June Kinderbücher illustrierte, hatte er immer ein bisschen amüsant gefunden, aber er mochte ihre Zeichnungen sehr. Eines ihrer Bilder hing sogar bei ihm und Ryan im Wohnzimmer.

„Möchtest du etwas trinken?“

„Momentan nicht. Danke“, winkte Jason ab und ließ sich auf die Couch fallen. „Du hast ja eine neue Nachbarin.“

June zog einen Mundwinkel nach oben. „Ja, die Handwerker machen schon seit ein paar Tagen Lärm. Ich bin froh, wenn sie endlich mal fertig werden.“

„Ich bin ihr gerade auf dem Flur begegnet“, erzählte Jason. „Sie ist ziemlich hübsch, erinnert mich ein bisschen an diese Schauspielerin... Diane Kruger.“

June hob eine Augenbraue.

„Nicht so hübsch, wie du natürlich“, fügte Jason deswegen breit grinsend hinzu. „Du bist eine Audrey.“ Damit meinte er Audrey Hepburn.

„Vielen Dank auch“, entgegnete June erheitert. „Also, was hast du auf dem Herzen?“

Jason schaute sie ertappt an. Er wusste selbst nicht, was er erwartet hatte. Sie aufgesetztes Grinsen konnte sie offenkundig nicht täuschen. Er zögerte, aber nur kurz. „Es gibt da etwas, was mich seit gestern beschäftigt. Ich habe schon versucht mit Ryan darüber zu reden, aber der war keine große Hilfe.“ Der Junge zuckte leicht mit den Schultern. „Weißt du, was eine Seherin ist?“

„Eine Seherin?“ June sah ihn überrascht an.

Jason nickte.

June dachte darüber nach. „Kassandra würde mir als Erstes in den Sinn kommen.“

„Wer?“

„Kassandra“, wiederholte June. „Eine Figur aus der griechischen Mythologie. Angeblich hat sie den Trojanischen Krieg vorhergesehen.“

„So eine Art Hellseherin?“, hakte Jason nach.

„So in etwa. Ihre Wahrnehmung überbrückt Zeit und Raum. Solche Leuten wurden entweder bewundert oder gefürchtet“, erklärte June. „Einigen wurden gar magische Kräfte nachgesagt.“ Sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Allerdings kann ich dir auch nicht sagen, was davon stimmt. Das sind alles nur Vermutungen, die mal irgendwelche mehr oder weniger klugen Menschen angestellt haben.“

„Verstehe.“ Jason kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe herum. Was June sagte, leuchtete ihm ein. Aber war es wirklich das, was Lilian war?

„Wieso interessiert dich das plötzlich?“, wunderte sich June.

War das wieder ein Geheimnis? Lilian hatte ihn zumindest nicht gebeten Stillschweigen zu bewahren. Möglicherweise nur, weil sie zu verwirrt gewesen war. Jason selbst war es gar nicht so recht bewusst, aber insgeheim sorgte er sich doch um die junge Hexe.

Jason blickte wieder zu June auf. In knappen Worten berichtete er ihr, was am Tag zuvor geschehen war. „Kurz bevor man mich dann hinaus geworfen hat, sagte ihre Großmutter etwas von einer Seherin“, schloss er. „Und... nun ja, ich gehe davon aus, dass sie Lilian damit gemeint haben.“

„Es klingt ganz danach“, stimmte June ihm zu. Sie zog die Augenbrauen zusammen. „Das wird ja immer merkwürdiger.“ Sie hatte sich gerade an den Gedanken gewöhnt, dass Jasons Klassenkameradin eine Hexe war – also warum nicht auch eine Seherin. „Und was sagt Ryan dazu?“

Jason schnitt eine Grimasse. „Der hat gesagt, dass es bei Asterix auch mal einen Seher gab.“

Trotz der ernsten Situation musste June nun leise kichern. „Das ist typisch Ryan.“

„Ja, ist es“, brummte Jason.
 

Carol Gray hatte gerade dem letzten Möbelpacker etwas Trinkgeld in die Hand gedrückt und die Tür hinter sich geschlossen. Sie ging in die Küche hinüber, wo noch überall Kartons herumstanden. Auf den meisten davon stand „Vorsicht Glas“, obwohl sich nichts Zerbrechliches darin befand. Carol konnte es nur nicht leiden, wenn man mit ihrem Eigentum nicht pfleglich umging. Sie hob die Tageszeitung vom Küchentisch auf. „Umwerfender Ausblick – zwei Tote nach Unglück im London Eye“ titelte die Sun. Zwei amerikanische Touristen waren nach einer Fahrt in dem Riesenrad mit Blutarmut aufgefunden worden. Beide erlagen noch in der Nacht ihrem Leiden. Die Polizei suchte nun nach zwei angeblichen Zeugen – einer Frau und einem Jugendlichen, die man dort kurz zuvor gesehen hatte.

Carol schüttelte den Kopf. „Ihr werdet sie niemals finden“, murmelte sie.

Flucht

Kapitel 20

~

Flucht
 

Ryan wunderte sich ein wenig über sich selbst. Wunderte sich darüber, wieso er sich darauf eingelassen hatte. Aber die Nachrichten der Frau hatten so verzweifelt geklungen, dass er gar nicht anders konnte, als sich in die Höhle des Löwen zu begeben.

So stand er nun mit seinem Rover an der verabredeten Stelle und war dennoch am Zögern.

Die erste Mail hatte nur angefragt, ob er das Amulett gefunden hatte und ob sie es bitte zurückhaben könne. Er wusste noch, wie sehr ihm das Blut in den Adern gefroren war, als er den Namen „Mona“ gelesen hatte.

Natürlich hatte er sofort seinen Bruder angerufen und ihm davon berichtet.

Sie waren sich einig darüber gewesen, dass er ihr antworten sollte, und so hatte Ryan eine E-Mail zurückgeschickt und Mona tatsächlich bestätigt, dass das Amulett gefunden worden war und sie es sich die Tage abholen kommen konnte.

Was dann geschehen war, war noch wesentlich seltsamer gewesen: Sie hatte Ryan um Hilfe gebeten. Die näheren Umstände hatte sie ihm nicht erklärt, sie hatte ihn nur gefragt, ob er zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort auf sie warten könne.

Nun, jetzt stand er hier, was seine Antwort darauf klar machte. Und diesmal wusste Jason nichts davon.

Ryan seufzte. Er hoffte, dass er kein zu großes Risiko eingegangen war.
 


 

Ich kann sie einfach nicht ausstehen, schoss es Mona durch den Kopf, als sie sich erneut unter einem Hieb von Katherine wegduckte, aber dennoch einen Schnitt am Oberarm hinnehmen musste, der nicht nur den Ärmel der Bluse zerschnitten hatte, sondern auch eine Wunde hinterlassen würde, die länger zum Heilen brauchte.

„Du bist ganz schön hinterhältig. Benutzt einfach eine Klinge aus Silber!“, knurrte Mona wütend. Sie selbst war unbewaffnet, was in dem Fall ein deutlicher Vorteil für Katherine war.

„Wie ich schon sagte – Lionel gab mir die Erlaubnis, dich zu Not auch mit Gewalt zu holen!“, gab Katherine zurück. Das Silbermesser sagte genug darüber aus, wie viel Gewalt Katherine anzuwenden versuchen würde.

Mona war froh, dass sie ihr Kleid gegen die Hose getauscht hatte – in dem Kleid hätte sie niemals die Bewegungsfreiheit gehabt, die sie in diesem Kampf brauchte.

Beim nächsten Angriff Katherines gelang es ihr zwar schon etwas besser, dem Dolch auszuweichen, doch büßte sie dafür eine Strähne ihres gelockten Haars ein, was deutlich machte, wie wütend Katherine war – und vor allem, dass die Klinge noch schärfer war, als sie aussah!

Es war eigentlich nur pures Glück, dass Katherine genau in dem Moment, in dem sie erneut auf Mona zustürmte, leicht stolperte. Das gab der Schwarzhaarigen einen kleinen Moment Zeit, in dem sie ihre Gegnerin mit einem Tritt in den Bauch außer Gefecht setzen konnte – zumindest für wenige Augenblicke. Aber diese Augenblicke reichten für Mona aus, sich ihren Computer zu schnappen und so schnell zu laufen, wie sie konnte.

Jeder Läufer wäre neidisch über die Schnelligkeit gewesen, die Mona hatte, aber für einen Vampir war das nichts und sie wusste, dass Katherine sie sofort verfolgen würde.

Was Katherine nicht wusste, war, dass Mona nicht ganz so dumm war, wie man im Orden vielleicht von ihr dachte. Sie hatte sich Hilfe geholt.
 


 

Eine schnelle Bewegung erregte Ryans Aufmerksamkeit und dann sah er sie, wie sie auf ihn zurannte, einen kleinen, schwarzen Kasten unterm Arm und in einer Geschwindigkeit, die er der Frau niemals zugetraut hätte.

Ryan hatte sie sofort erkannt – die schwarzen Locken und das recht hübsche Gesicht, die blutroten Augen. Es gab keinen Zweifel mehr für ihn, sie war die Frau auf den Bildern des Medaillons.

„Das ist also Mona“, murmelte er, bemerkte aber im selben Moment, dass sie tatsächlich verfolgt wurde – ganz so, wie sie in ihrer Mail schon befürchtet hatte.

Er öffnete ihr die Beifahrertür und war froh darum, dass er den Motor seines Rovers angelassen hatte.

Die Frau sprang in sein Auto, zog hastig die Tür zu und rief ihm ein „Fahr los!“ entgegen, noch bevor ihre Verfolgerin sie erreichen konnte.

Eilig trat Ryan auf das Gaspedal und tat, wie ihm geheißen.

Monas Atem ging schnell, beruhigte sich aber recht zügig, dennoch sprach sie kein Wort, bis Ryan selbst etwas sagte.

„Wohin soll ich dich bringen?“, fragte er sie. Das war das einzige, was sie ihm in der Mail nicht geschrieben hatte. Er spürte ihren Blick auf sich, dann hörte er sie leise kichern.

„Ich bin dumm“, sagte sie. „Darüber habe ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht. Ich wollte einfach nur weg.“

Darauf wusste Ryan erst mal nichts zu antworten. Nicht nur, dass sie ihn fast schon spontan an diesen düsteren Ort mehrere Kilometer von London entfernt bestellt hatte – nein, sie wusste nicht mal, wohin sie wollte. In was für einer Hölle war sie nur gewesen, dass sie solche Worte wie einfach nur weg sagte?

„Es tut mir Leid. Ich wusste mir einfach nicht anders zu helfen. Niemand sonst wäre für mich da gewesen. Ich danke dir“, sagte sie nach mehreren Minuten des Schweigens.

Obwohl er seinen Blick bisher fest auf die Straße vor sich geheftet hatte, sah er sie nun kurz an, bevor er sich wieder aufs Fahren konzentrierte.

„Du bist ein Vampir, nicht wahr?“, fragte er dann schließlich völlig unvermittelt.

Mona war von dieser Frage mehr als überrascht. Sie hätte nicht gedacht, dass Ryan so schnell darauf kommen würde. Es folgte wieder eine kleine Weile des Schweigens, bis sie ihm schließlich eine Antwort gab.

„Ja.“

Ryan stieß den Atem aus, von dem er bis jetzt nicht mal bemerkt hatte, dass er ihn angehalten hatte. Eigentlich hätte ihn das nicht mehr überraschen sollen, aber es fiel ihm doch schwer, daran zu glauben, dass es Hexen und Vampire wirklich zu geben schien.

Wieder Stille. Keiner von beiden traute sich, etwas zu sagen, bis Ryan schließlich einen Entschluss fasste.

„Du wirst von anderen Vampiren verfolgt.“ Das war keine Frage.

„Ja. Es gibt etwas, das ich tun muss und dass mich die Vampire niemals tun lassen würden. Deshalb musste ich nun endgültig fliehen.“

Ryan fragte nicht, was es war, was sie tun musste. Es würde wichtig genug sein, wenn sie sich zu einer Flucht hinreißen ließ, die sie das – nun ja – „Leben“ kosten konnte.

„Versprichst du mir, uns nicht einfach zu beißen, zu töten oder dergleichen zu tun?“

Wieder spürte er ihren Blick auf sich. Dann hörte er ihr entschlossenes „Ja.“

„Dann nehme ich dich erst mal mit nach Hause.“
 

Katherine kreischte dem Auto vor Zorn hinterher und verfolgte es eine Weile, bis sie es schließlich doch noch aus den Augen verlor, als es zu regnen begann. Sie gab die Verfolgung auf.

Es war wichtiger, Lionel davon zu berichten, dass Mona entkommen war. Es gab genug Vampire in London, die herausfinden konnten, wo Mona sich verkroch.

Im Stillen ärgerte sich Katherine jedoch auch darüber, dass sie die Einzige gewesen war, die auf Mona angesetzt worden war. Gab es nicht noch genug andere Vampire im Orden, die ihr dabei hätten helfen können? Dann wäre die Vampirin vielleicht nicht entkommen.
 

Lionel war nicht gerade glücklich darüber zu hören, dass Mona tatsächlich entkommen war – und noch weniger glücklich war er über die Tatsache, dass ihr offenbar ein Mensch geholfen hatte bei ihrer Flucht.

So weit war es also schon gekommen, dass es Menschen gab, die Vampiren halfen!

Er hegte einen Verdacht, um welchen Menschen es sich handeln könnte, aber sicher war er nicht. Das würde er erst herausfinden müssen. Genauso, wie er herausfinden musste, wie Mona es geschafft hatte, von ihrem Zimmer aus solch eine Flucht zu planen.

Irgendwie musste sie ja auch mit dem Menschen kommuniziert haben!

Erst als er näher darüber nachdachte, fiel ihm ein, dass Eve ihm von diesem Ding erzählt hatte, das sich Mona gekauft hatte. So ein neumodischer Schnickschnack, den die Menschen erfunden hatten und mit dem er noch nie zurechtgekommen war. Wie hießen die Teile noch gleich? Lionel hatte keine Ahnung, wie diese Kästen funktionierten und eigentlich wollte er es auch gar nicht so genau wissen, aber er fragte sich, ob es damit möglich war, mit anderen Leuten zu sprechen.

Ein tiefer Seufzer entkam ihm. Diese verfluchten Menschen und ihre verdammte Technik machten alles viel, viel komplizierter!
 


 

Sophia war sehr erschrocken gewesen, als Amanda ihr erklärte, was mit Lilian geschehen war. Die Seherin! Niemand hätte je geglaubt, dass es wieder eine Seherin geben würde, nachdem die Letzte vor über hundert Jahren spurlos verschwunden war.

Und ausgerechnet ihre Tochter sollte die nächste Seherin sein?

„Wir müssen ihre Magie abschirmen“, hatte Amanda gesagt. „Sie wird sonst sämtliche Feinde damit anlocken!“

Nun saßen die beiden älteren Hexen neben der auf dem Boden liegenden Lilian und führten das Ritual durch, das bewirken sollte, dass die starke Magie der Seherin nicht mehr zu spüren war. Das Ritual war furchtbar kompliziert, aber es war auch das einzige, was die beiden für die junge Hexe tun konnten.

Als sie schließlich fertig waren, war Sophia völlig erschöpft und sie fürchtete, die ganzen Wachsflecken niemals wieder aus ihrem schönen Teppich rauszubekommen. Die Kerzen, die sie für das Ritual gebraucht hatten, waren beinahe völlig heruntergebrannt und das Wachs hatte sich gut auf dem Boden verteilt.

Auch Amanda schien erschöpft zu sein, aber trotz ihrer 76 Jahre war sie noch erstaunlich fit.

„Darf ich mich nun wieder bewegen?“, fragte Lilian, die schüchtern zu ihrer Großmutter schaute und sich sofort aufsetzte, als sie diese nicken sah.

Sophia erhob sich aus ihrer unbequemen Haltung und ging schließlich in die Küche, um Getränke zu holen, die ihnen allen sehr gut tun würden.

„Gut, das George diese Woche auf Geschäftsreise ist“, sagte Amanda, als sie Sophia folgte. „Er konnte diesen ganzen ‚Hexenkram’ nie ausstehen, nicht wahr?“

George war Sophias Ehemann und Lilians Vater. Er war Anwalt und legte mehr Wert auf stichhaltige Beweise und konkrete Aussagen. Mit der Hexerei hatte er einfach nichts am Hut. Zwar wusste er von den Dingen, die da in seinem Haus manchmal abliefen und er tolerierte sie aus Liebe zu seiner Familie, aber das hieß nicht, dass er die Magie mögen musste.

„Mutter, nun mach ihn nicht wieder schlecht. George ist mir ein guter Ehemann und auch ein guter Vater.“

„Wohl kaum“, höhnte Amanda. „Er ist doch so gut wie nie zu Hause!“

Etwas heftiger als beabsichtigt stellte Sophia die Gläser auf die Arbeitsplatte der Küche.

„Lass es! Wir haben wichtigere Dinge zu tun, als über meinen Mann zu lästern!“

Amanda sah schuldbewusst zu Seite und nickte. „Ja, du hast Recht. Wir müssen umgehend den Zirkel informieren. Sie werden schon gespürt haben, dass es wieder eine Seherin gibt.“

„Was bedeutet es genau, das ich nun die Seherin bin?“, fragte Lilian, die ihrer Mutter und Oma gefolgt war.

„Du bist die mächtigste Hexe des Zirkels, vielleicht sogar ganz Großbritanniens. Du bist die einzige Hexe, die in der Lage ist, die Vergangenheit und Zukunft zu sehen. Solche Sachen.“

Lilian erschauderte. Solch eine Macht sollte sie nun haben? Warum ausgerechnet sie? Sie war doch nur eine Schülerin! Hätte nicht ihre Mutter oder eine der anderen Hexen des Zirkels diese Kraft bekommen können?

Ihre Mutter drückte ihr ein Glas mit Orangensaft in die Hand und scheuchte sowohl sie als auch Amanda zurück ins Wohnzimmer, damit sie sich auf die Sofas setzen konnten, was deutlich bequemer war, als in der kleinen Küche herumzustehen.

Die späte Uhrzeit störte keine der drei. Lilian würde am nächsten Tag nicht zur Schule gehen, das war ihnen allen klar. Trotz des anstrengenden Rituals waren sie alle zu aufgeregt, als dass sie hätten schlafen gehen können.

„Wie konnte die Magie der Seherin auf Lilian übergehen?“, fragte Sophia. Das war die Frage, die sie wohl am meisten beschäftigte.

„Ich bin mir nicht sicher“, antwortete Amanda. „Normalerweise wird die Macht nur von Seherin zu Seherin weitergegeben und die alte Seherin lehrt die Neue, wie sie die Macht benutzen muss und sie kontrolliert.“

„Ist es möglich, Magie irgendwie einzusperren? In einen Gegenstand zum Beispiel?“, fragte nun Lilian. Hatte es etwas mit dem Medaillon zu tun?

„Ja, durchaus. Man kann Magie in spezielle Edelsteine verschließen. Das ist recht schwierig und nicht jede Hexe kann das, aber es ist möglich.“

Sophia wechselte einen Blick mit Lilian und nickte. Daraufhin holte Lilian eine goldene Kette mit einem hübschen Anhänger aus ihrem Zimmer.

„Hier“, sagte sie, als sie das Schmuckstück ihrer Oma gab.

„Ah, ist das die Kette, von der du mir am Telefon erzählt hast, Sophia?“, fragte Amanda und Sophia nickte bestätigend. „Ja, das ist sie.“

Lilian zog sofort eine Schnute. „Du hast das Oma erzählt?“

Ein Lächeln zierte Amandas Lippen, als sie das Medaillon öffnete und die Bilder betrachtete.

„Sie verschwand noch lange Zeit, bevor ich geboren wurde, aber ich habe bei meiner eigenen Mutter einmal ein Bild von ihr gesehen. Ich erinnere mich ganz genau daran. Die Frau auf diesen Bildern war die letzte Seherin.“
 

Fortsetzung folgt...

Kein Abschied

Kapitel 21

~

Kein Abschied
 

„Er geht nicht ran.“ Seufzend ließ Jason sein Handy sinken. Und schaute wieder zur Uhr – zum wahrscheinlich hundertsten mal an diesem Abend. Der große Zeiger hatte die zehn mittlerweile überschritten und draußen war es stockfinster. Ryan hatte schon vor Stunden Feierabend gehabt, war aber nicht nach Hause zurückgekehrt, wie er es üblicherweise tat.

Besorgt folgte June seinem Blick. Sie hatte den Schüler mit ihrem Auto gebracht, weil sie fand, dass er im Dunkeln nicht allein unterwegs sein sollte. Besonders nicht, wenn Vampire in der Nähe waren. Der Gedanke daran, dass sie in einer finsteren Ecke lauern konnten, war beunruhigend.

Beide saßen schweigend am Küchentisch. Während June sich um das Abendessen kümmerte, hatten sie noch zwanglos miteinander geplaudert. Das Essen war mittlerweile kalt. Die Sorge um Ryan hatte ihnen den Appetit verdorben.

Schließlich erhob sich June und räumte den Tisch ab – einfach um sich mit irgendetwas abzulenken. Doch es wollte nicht so recht gelingen. Ryan, wo steckst du nur?, fragte sie sich in Gedanken selbst. Ihr Herz zog sich zusammen bei der Vermutung, dass ihm etwas zugestoßen sein konnte.

Das Schloss an der Haustür klackte.

Klirrend fiel June das Glas, welches sie in der Hand gehalten hatte, ins Waschbecken. Jason sprang so abrupt auf, dass fast der Stuhl umgefallen wäre, auf dem er saß. Beide hasteten in den Flur.

Die nächste Szene hatte etwas Surreales. Im ersten Moment war Jason erleichtert, als er seinen Bruder sah, doch gleich darauf wurde er kreidebleich. Die Frau von dem Foto.

Mona trat über die Schwelle, hielt dann aber inne, als wäre sie gegen eine unsichtbare Mauer geprallt. Ryan hatte sie hinein gebeten, das war also nicht das Problem. Es war Jasons Gesicht, das jegliche weitere Bewegung unmöglich machte.

June sah geschockt aus. Sie starrte Ryan an.

Dieser hob beschwichtigend die Hände. „Ich kann alles erklären“, sagte er schnell. Als einziger blieb er ruhig. Jedoch wunderte er sich insgeheim, dass auch Mona geschockt dreinblickte. Bei June und Jason konnte er ja verstehen, warum sie überrascht waren. Aber Mona. Hatte sie nicht erwartet, dass hier noch andere Leute waren?

Mona sah noch immer Jason an. Sie hatte die Hände unwillkürlich vor den Mund geschlagen. „David“, flüsterte sie. Sie zwang sich zur Ruhe, was ihr allerdings nicht so recht gelingen wollte. Wie lange hatte sie sich danach gesehnt dieses Gesicht zu sehen. Und jetzt, da es endlich soweit war, wusste sie nicht, was sie tun sollte. Natürlich war das nicht ihr David. Er war schon lange tot. Dennoch war die Ähnlichkeit verblüffend – erschreckend geradezu.

„Ich kann alles erklären“, wiederholte Ryan als er merkte, dass ihn alle ignorierten.

„Ich frage mich wirklich, wie du das erklären willst“, versetzte June schneidend.

Ihr Tonfall ließ Ryan zusammenzucken.

„Sie ist ein Vampir“, sagte June. „Vielleicht war sogar sie es, die uns angegriffen hat. Und was machst du? Bringst sie mit in deine Wohnung? Ich fasse es nicht.“

„Sie hat mich um Hilfe gebeten“, verteidigte sich Ryan kleinlaut. „Lass es mich erklären, June. Sie wird von ihresgleichen verfolgt. Ich konnte sie nicht einfach im Stich lassen.“

June wich einen Schritt zurück. „Doch“, widersprach sie. „Genau das hättest du tun sollen.“ Sie ging in die Küche um ihre Tasche zu holen und drängte sich dann ohne ein weiteres Wort an Ryan vorbei aus der Wohnung.

Ryan griff nach ihrem Handgelenk, doch June machte sich los.

„Fass mich nicht an!“, fauchte sie ihn an und rannte dann ins Treppenhaus.

Fassungslos sah er ihr hinterher. Dann wanderte sein Blick zu Jason und Mona. Er fasste einen Entschluss. „Verzeihung, ich...“ Er deutete hastig auf die Tür. „Ich bin sofort wieder da. Dauert nur eine Sekunde. Versprochen.“ Augenblicklich rannte er June hinterher. Er konnte sie so nicht gehen lassen.

Jason und Mona blieben allein zurück, taxierten einander mit unschlüssigen Blicken.

Das war die Frau aus seinen Träumen. Und sie war diejenige auf dem Bild. Daran bestand für Jason kein Zweifel. Einerseits brannte er darauf zu erfahren, wer sie war – andererseits wäre er am liebsten wie June Hals über Kopf aus der Wohnung gerannt. Momentan überwog noch die Wut auf Ryan, weil er Mona einfach mitgebracht hatte ohne Jason oder June vorzuwarnen.

Letztendlich war es Jason, der die Stille beendete. „Was hast du eben gesagt?“

„Was?“ Mona fuhr zusammen, als er sie so unvermittelt ansprach.

„Als ihr durch die Tür gekommen seid. Danach hast du etwas gesagt. Was war das?“ Jason schaute sie finsterer an, als es unbedingt notwendig war. Angst hatte er seltsamerweise keine. Er war eher ein klein wenig wütend. Durch Leute wie sie, war sein Leben vollkommen aus den Fugen geraten. Er wusste, dass er sie nicht allein dafür verantwortlich machen konnte, doch es lag viel Ablehnung in seiner Haltung.

„Das war nichts weiter“, winkte Mona ab.

Oh, David. Wer war dieser Junge? Mona wurde zusehends unruhiger. Die Gedanken in ihrem Kopf überschlugen sich fast. Konnte er Davids Wiedergeburt sein? Wenn ja, dann war das Schicksal grausam sie ausgerechnet auf diese Weise wieder zueinander zu führen. Mona musterte Jason vorsichtig. Es wäre so viel einfacher, wenn sie ihn hätte hassen können, nachdem er sie verraten hatte. Aber dafür konnte ja dieser Junge nichts. Er erkannte sie ja nicht einmal.
 

„June! Nun warte doch mal eine Sekunde.“

June dachte freilich nicht im geringsten daran einfach stehen zu bleiben. Sie hatte ihren Wagen erreicht, schloss die Tür auf und wollte einsteigen.

Ryan drückte dagegen, sodass die Tür wieder ins Schloss fiel. Er berührte June leicht am Arm, doch sie schlug wieder seine Hand weg. „Ich sagte, du sollst mich nicht anfassen.“

„June, bitte...“, brachte Ryan hervor. „Es ist nicht so, wie du denkst. Ich glaube nicht, dass diese Mona uns etwas antun will.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich hätte sie doch niemals hergebracht, wenn ich denken würde, sie könnte dir oder Jason etwas antun.“

„Nichts antun? Verdammt, Ryan! Sie ernährt sich von Blut. Das mag für dich altmodisch klingen, aber ich finde schon, dass sich das gefährlich anhört.“

Verdammt? Ryan wusste nicht, was er tun sollte. So hatte er June noch nie erlebt. Sie fluchte sonst nicht und sie schrie ihn auch nicht an. Außer ihr kannte er keinen Menschen, der so viel innere Selbstbeherrschung besaß, wie sie. Allerdings war derzeit nichts mehr davon bemerken.

„Du hättest anrufen können?“

„Was?“ Ryan sah sie verwirrt an.

„Du hättest anrufen können“, sagte June erneut. „Jason und ich haben uns Sorgen gemacht. Du bist nach der Arbeit nicht nach Hause gekommen. Es war draußen schon dunkel.“ Ohne, dass sie es verhindern konnte, stiegen Tränen in ihre Augen. „Ich dachte, die wäre etwas zugestoßen. Und was machst du? Hilfst einem Vampir.“ Sie stieß ihn leicht gegen die Brust. „Ich hatte solche Angst um dich, du Trottel!“

Am liebsten hätte Ryan sie in den Arm genommen, aber er fürchtete, dass sie ihn in ihrer derzeitigen Verfassung ohrfeigen oder anschreien würde. Dennoch musste er sich arg zusammenreißen um es nicht zu tun. „Es tut mir leid.“

June wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. „Mit – es tut mir leid – ist es diesmal nicht getan.“

Ryan hob hilflos die Hände. Was sollte er noch tun?

June schaute sie zu ihm auf. „Mit tut es leid“, fuhr sie langsam fort. „Solange sie hier ist, werde ich nicht wiederkommen.“ Ihre Stimme klang nun wieder gefestigt – und so endgültig, dass Ryan erschrak.

Doch blieb ihm nichts anderes übrig, als ihre Entscheidung zu akzeptieren. Er wollte sie auf Knien anbetteln zu bleiben, aber sein Problem wäre damit nicht gelöst. Würde er June ein zweites mal verlieren? Er wusste nicht, ob er das noch einmal durchstehen könnte.

Ein letztes mal schaute June zu ihm, dann stieg sie in ihr Auto. Er hielt sie nicht mehr fest. Sie zögerte für eine Sekunde, startete dann den Wagen und fuhr davon. Kein Blick zurück, kein Wort des Abschieds.
 

Jason wartete an der Haustür auf seinen Bruder. Als er dessen niedergeschlagen Gesichtsausdruck bemerkte, ahnte er schon, was geschehen war. Er stellte keine unnötigen Fragen. Stattdessen trat er einen Schritt beiseite und ließ Ryan hinein.

„Mona ist im Wohnzimmer“, war alles, was der Junge sagte.

Ryan nickte. Wie sollte es jetzt weitergehen? Ebenso wie Mona, die bei ihrer Flucht keinen Plan gehabt hatte, hatte er jetzt auch keinen. Bis vor kurzem war ihm seine Handlung noch richtig vorkommen, jetzt war er sich nicht mehr sicher.

Er ging in die Stube hinüber, gefolgt von Jason, welcher offenkundig nicht mit Mona allein sein wollte. Die Vampirin saß auf dem Sofa in der Ecke.

„Sorry, dass es hier so unordentlich ist“, meinte Ryan. Albern so etwas zu sagen, fand er schon im selben Moment, als er es ausgesprochen hatte. Aber irgendetwas musste er schließlich sagen.

Von Nahen betrachtet, sah Mona gar nicht gefährlich aus. Eigentlich sogar wie ein ganz normaler Mensch, wenn man einmal von ihren Augen und der durchscheinend blassen Haut absah.

„Es wird wohl das Beste sein, wenn du heute Nacht hier bleibst“, sagte Ryan zu Mona. Dann stutzte er plötzlich. Was geschah eigentlich, wenn die Sonne aufging? Er musterte die Frau unsicher. „Äh, schläfst du in einem Sarg, oder so?“

„Nein, aber ich brauche die Dunkelheit“, erwiderte Mona ruhig. Dass sie Tages-, aber kein Sonnenlicht ertragen konnte, behielt sie für sich. Sie wollten diesen Fremden nicht mehr erzählen, als unbedingt notwendig. Denn das waren sie – Fremde. Obwohl einer von ihnen David zum Verwechseln ähnlich sah.

„Hm, man kann die Zimmer hier nicht vollständig abdunkeln, aber es wäre möglich“, überlegte Ryan.

„Habt ihr einen Keller?“, fragte Mona schnell. Ein abgedunkelter Raum hätte tatsächlich gereicht, aber der Blick, den Jason ihr aus der anderen Ecke des Zimmers zuwarf, bewog sie dazu sich ein anderes Plätzchen auszusuchen.

Ryan wirkte nicht so, als wäre er glücklich darüber eine Frau – Vampir oder nicht – dort unter zu bringen. Trotzdem nickte er. „Ja, haben wir. Aber ist das nicht zu unbequem?“

Mona schüttelte den Kopf. „Nein, es wird schon gehen.“
 

„Und mit so etwas soll Mona diese Leute kontaktiert haben?“ Lionel warf einen skeptischen Blick auf den kleinen, eckigen Kasten, der dort vor ihm stand und den man auf- und zuklappen konnte.

„Äh, ja.“ Bram schien ein wenig nervös. Er wusste nicht, ob er eine Strafe zu erwarten hatte, weil er Mona indirekt geholfen hatte. Er drückte einen Knopf und kurz darauf flackerte ein Bild über den Monitor.

Lionel zuckte zurück. Wenn man sein eigentliches Alter bedachte, war es ein Wunder, dass er nicht mir dem Finger darauf zeigte und „Hexenwerk“ schrie.

„Können wir irgendwie feststellen, wem sie geschrieben hat?“, wollte Lionel wissen.

„Negativ“, erwiderte Bram. „Ich kenne ihr Passwort nicht.“ Lionel schaute ihn finster an. Bram wusste nicht, ob das an seiner Antwort lag und daran, dass Lionel nicht wusste, was ein Passwort war.

Eve saß neben den beiden Männern, hatte sich aber bisher nicht in deren Gespräch eingemischt. Als Lionel damit begann Bram einen Vortrag über Verantwortung zu halten, warf Eve einen Blick auf den Laptop. An Technik war sie nicht sonderlich interessiert, aber ihr war gerade langweilig und so drückte sie ein paar Tasten. Als sich plötzlich ein Dokument öffnete, hob sie eine Augenbraue. „Er küsste sie leidenschaftlich und drängend, während seine Hand ihren Oberschenkel hinauf wanderte. Sie schrie auf, als er sie zwischen...“

„EVE!“ Lionel war knallrot angelaufen.

Eve schaute zu ihm auf, war sich aber keiner Schuld bewusst – als hätte sie gar nicht verstanden, was sie dort gerade vorlas.

Es handelte sich dabei übrigens um den neuesten Vampirroman, an dem Bram gerade arbeitete. Nachdem er gerade seine Jugendbuchreihe abgeschlossen hatte, schrieb er nun etwas für Erwachsene.

Plötzlich hatte Bram Lionels Strafpredigt vollkommen vergessen. Er betrachtete Eve mit leuchtenden Augen und griff nach ihren Händen. „Ich wusste gar nicht, dass deine Stimme so unglaublich sexy klingt“, sagte er – ganz angetan von dem, was er gerade gehört hatte. „Darf ich dich um einen Gefallen bitten? Würdest du vielleicht das Hörbuch lesen, wenn die Geschichte veröffentlicht wird? Du bist perfekt dafür.“

Eve zuckte bloß mit den Schultern.

„EVE!“ Lionel spürte wie ihm die Situation entglitt. Streng wandte sich an Bram. „Das war dann alles.“

„Aber ich...“, wollte Bram protestieren.

„Kein aber, wenn du nicht sofort gehst, dann fliegt dein geliebter Taplop aus dem Fenster“, drohte Lionel. Seine Augen funkelten finster.

„Es heißt Laptop“, korrigierte Bram ihn.

„RAUS!“

Eilig schnappte sich Bram seinen Computer, drückte ihn an seine Brust und verschwand aus dem Zimmer. Er ahnte schon, dass er damit einer schlimmeren Strafe entging.

Lionel lehnte sich seufzend in seinem Stuhl zurück, als die Tür ins Schloss fiel. Wenn es um Eve ging, dann verstand er keinen Spaß.

Eve schaute ihn gelassen an. „War das wirklich nötig?“

„Ja, war es“, schnaubte Lionel. Das Thema war damit für ihn beendet. Das Schlimmste war, dass Bram recht hatte – ihre Stimme klang tatsächlich sexy. Mit einem mal kam sich Lionel ziemlich schäbig vor. Er war auch nicht besser, als andere Männer. Als Eve auf einmal vor ihm stand, schreckte er aus seinen Gedanken.

Sie hatte die Hände links und rechts neben ihm abgestützt. „Lass es langsam angehen“, sagte sie und verließ dann ebenfalls das Zimmer.

Lionel starrte die Tür an und kam sich dabei vor, wie ein Idiot.

Auf was waren ihre Worte bezogen?
 

Als Jason am darauf folgenden Morgen in die Küche kam, brannte dort bereits Licht. Er rieb sich mit dem Handrücken über die Augen. Verschlafen schaute er zu Ryan hinüber, der gerade Kaffee machte. „Warum bist du schon so früh auf den Beinen?“

Ryan wandte sich nicht um. Er zuckte leicht mit den Schultern. „Konnte nicht schlafen“, antwortete er einsilbig.

Langsam fiel die Benommenheit von Jason ab und er erinnerte sich wieder an alles, was gestern vorgefallen war. An Mona und an den Streit zwischen June und Ryan. Flüchtig blickte der Junge sich um.

„Mona ist im Keller, falls du sie suchst.“ Ryan blickte sich über seine Schulter hinweg um.

„Schon klar.“ Jason nahm am Küchentisch platz und beobachtete seinen Bruder eine ganze Weile ohne etwas zu sagen.

„Frag schon.“

Jason fühlte sich ertappt. „Willst du nicht zu ihr fahren?“ Er sprach von June.

Wieder ein Achselzucken. „Sie will mich nicht sehen.“

„Und?“

Seufzend drehte sich Ryan an. „Sie will mich nicht sehen, aber ich will unbedingt zu ihr. Okay? Zufrieden? Jetzt habe ich es gesagt.“

„Ich bin erst zufrieden, wenn du es auch tust“, gab Jason zurück. Er ahnte, wie sehr es Ryan quälen musste mit June zerstritten zu sein. Die beiden gehörten einfach zusammen, fand er.

Ryan wirkte unschlüssig.

Kurzerhand griff Jason nach Ryans Autoschlüsseln und warf sie diesem zu. „Nun geh schon“, sagte er fast schon ungeduldig.

Ryan nickte. „Und ich kann dich...?“

„Mich hier allein lassen?“ Jason zog eine Augenbraue hoch. „Klar, unser Vampir schläft ja schließlich.“ Er blickte auf seine Armbanduhr. „Außerdem muss ich eh bald zur Schule.“

Jetzt zögerte Ryan nicht länger. Er schloss die Finger um die Autoschlüssel, holte seine Jacke und verließ anschließend die Wohnung.
 

Ryan hatte sich keinen Plan zurecht gelegt. Dementsprechend unsicher, war er nun auch, als er vor Junes Wohnung stand. Würde sie ihn überhaupt herein lassen? Er beschloss, es auf einen Versuch ankommen zu lassen und klingelte. Als er hörte, wie Innen das Schloss geöffnet wurde, schluckte er und trat einen Schritt zurück.

June wirkte nicht überrascht ihn zu sehen. Allerdings ließ sich auf ihrem Gesicht nicht ablesen, ob sie sich freute oder verärgert war.

„Hi“, murmelte Ryan kleinlaut. „Können wir reden? Bitte.“

June nickte und ließ ihn in die Wohnung, ehe sie selbst in die Küche vorging – wortlos.

Sie ist mir immer noch böse, dachte Ryan. Sein schlechtes Gewissen plagte ihn.

June setzte sich. „Rede“, sagte sie kühl.

Es versetzte Ryan einen Stich, als sie ihm derart deutlich die kalte Schulter zeigte. So kannte er sie nicht. Das war nicht seine June. In seinem Leben hatte er bereits viel Unsinn angestellt, aber stets hatte sie Ruhe bewahrt und ihm den Rücken gestärkt. Ein Gefühlsausbruch wie am gestrigen Abend passte nicht zu ihr.

„Es tut mir leid.“ Ryan setzte sich ihr gegenüber, sah sie flüchtig an. „Ich weiß, dass ich Mist gebaut habe. Dabei habe ich geglaubt, ich würde einmal etwas Gutes tun.“ Manchmal war er einfach zu gutherzig und konnte nicht nein sagen. „Wenn Mona uns etwas hätte antun wollen, dann hätte sie es gleich getan. Ich bin nicht naiv – ich weiß schon, dass sie uns jederzeit angreifen könnte, wenn sie hungrig ist. Aber ich versuche darauf zu vertrauen, dass es nicht geschieht.“ Erst jetzt wurde Ryan selbst bewusst, wie unsicher das überhaupt klang. Er bereute nicht Mona gerettet zu haben, aber sie konnte nicht bleiben.

„Du verstehst überhaupt nicht, warum ich wütend bin“, sagte June leise.

Zögerlich wagte es Ryan ihr in die Augen zu schauen. „Was willst du damit sagen?“

June verschränkte ihre Finger ineinander, weil sie nicht wollte, dass Ryan sah, wie ihre Hände zitterten. „Es geht mir gar nicht wirklich um Mona“, fuhr sie fort. „Es geht mir um dich. Du hast nicht einmal gemerkt in welcher Gefahr du geschwebt hast. Du warst freundlich, aber dabei einfach nur leichtsinnig. Und ich? Ich hatte Angst um dich.“

Endlich begriff Ryan, wovon sie sprach. Es spielte keine Rolle, dass Mona ein Vampir war oder das Ryan ihr geholfen hatte. Es ging einzig darum, dass Ryan hätte sterben können. Und damit hätte er June allein gelassen.

Er nahm seinen Mut zusammen, ging zu ihr hinüber und zog sie ohne zu fragen in seine Arme. „Es tut mir leid, June.“

June klammerte sich an seinen Schultern fest, als sie spürte, dass ihr wieder Tränen in die Augen stiegen. „Es ist selbstsüchtig von mir, aber ich will dich nicht verlieren“, flüsterte sie mit erstickter Stimme. Ryan war der wichtigste Mensch in ihrem Leben und würde es immer bleiben. Deswegen trug sie noch immer seinen Schmuck und hatte seine Fotos in ihrer Wohnung stehen, obwohl sie sich getrennt hatten.

„Du wirst mich nicht verlieren“, versprach Ryan. Er drückte sie sanft an sich, als könne er sie so vor allem Übel beschützen. „Du musst mir vertrauen. Ich bleibe bei dir.“

June nickte schniefend. „Ich vertraue dir.“ Sie wollte ihn nicht anschreien oder mit ihm streiten. Das hatte sie nie wirklich gewollt. Er bedeutete ihr alles und ein Leben ohne ihn konnte sie sich praktisch gar nicht mehr vorstellen.

Junes Worte waren Balsam für Ryans Seele. Er liebte sie noch immer und hoffte, dass er ihr das auch eines Tages sagen konnte.
 

Fortsetzung folgt....

Sorgen

Kapitel 22

~

Sorgen
 

Nachdem Ryan sich endlich auf den Weg gemacht hatte, fühlte sich Jason ganz schön einsam in der Wohnung.

Gern hätte er sich noch mit seinem Bruder etwas unterhalten, aber die Beziehung zu June ging eindeutig vor. Ryan durfte sie einfach nicht verlieren. Das wäre nicht gut, für keinen von beiden. Sie liebten sich gegenseitig noch, auch wenn sie sich getrennt hatten. Gefühle konnte man nun mal nicht von heute auf morgen einfach begraben!

Jason wollte sich Frühstück machen, aber als er sich Gedanken darüber machte, was er essen wollte, fiel ihm auf, dass er gar keinen Hunger hatte. Diese ganze Geschichte mit Mona lag ihm irgendwie noch schwer im Magen. Also nahm er sich einfach nur eine Tasse Kaffee und verdünnte dieses ‚schreckliche Gebräu’ mit Milch und Zucker.

Was Mona jetzt wohl machte?

Sie hatten ihr in den völlig verdreckten Keller einen der Küchenstühle gestellt und ihr Decken gegeben, damit sie nicht fror – wenn sie denn überhaupt frieren konnte. Es war Ryan sicher unangenehm gewesen, sie in diesen engen, kleinen, unaufgeräumten Raum zu verfrachten, aber sie hatte es so gewollt.

Ob sie sich langweilte? Im Keller gab es nichts, womit man sich beschäftigen konnte. Sie hatte zwar einen kleinen Laptop mitgebracht, aber der Akku des Geräts würde nicht ewig halten. Der Schüler musste grinsend den Kopf schütteln, als er an den Computer dachte. Wer hätte gedacht, dass es auch fortschrittliche Vampire gab?

Es war seltsam. Obwohl er Angst vor der Frau aus seinen Träumen hatte, war er doch auch fasziniert von ihr.

Jason seufzte, packte seine Schulsachen zusammen und machte sich auf den Weg, obwohl es bis zum Schulbeginn noch eine ganze Weile hin war.

Statt das Haus zu verlassen, begab der Schüler sich jedoch in den Keller.

Er musste sie sehen. Vielleicht konnte sie ihm endlich ein paar seiner Fragen beantworten!
 

Der Keller war dunkel, kühl, muffig und feucht, nichts, wo sich Jason gern länger aufhalten würde. Er wartete, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bevor er den Keller betrat.

Jede Partei des Mehrfamilienhauses hatte seinen eigenen Kellerraum und der Raum von Ryan und Jason befand sich ganz am Ende des Ganges.

An der hölzernen Tür gab es ein Vorhängeschloss, das sogar verschlossen war. Jeder der Brüder hatte für dieses Schloss einen eigenen Schlüssel und eben jenen zog Jason nun hervor, um das Schloss zu öffnen.

„Mona?“, fragte er leise, als er die Tür öffnete und das erste, was er wahrnahm, waren ihre blutroten Augen, die ihn geradewegs anzustarren schienen.

Der Mut, den sich Jason angesammelt hatte, schwand in jenem Augenblick deutlich.

Dennoch zwang er sich, den Raum zu betreten und die Tür hinter sich zu schließen.

„Was ist?“, fragte ihn die klangvolle Stimme der Vampirin und er zuckte zusammen.

Mona saß auf dem Küchenstuhl, völlig unbeweglich und blickte ihn aus fragenden Augen an.

Sie wirkte hier eindeutig fehl am Platze.

Jason fiel auf, wie unwirklich ihm diese Frau vorkam. Sie war da und doch schien es ihm wie ein Traum zu sein. Sie war real – und war es doch auch auf irgendeine Weise nicht.

„Ich habe Fragen an dich“, sagte er, nahm dabei erneut all seinen Mut zusammen.

„Fragen. Hm. Jeder scheint im Moment nur noch Fragen zu haben. Auch ich habe eine Menge Fragen. Stell sie.“

Eine Pause trat ein, denn Jason zögerte. Er wusste gar nicht, mit welcher Frage er beginnen sollte und schon gar nicht, wie er sie möglichst höflich formulierte. Immerhin wollte er die Vampirin ja auch nicht verärgern. Sie war gefährlich, das wusste er.

„Dieses Medaillon, das Ryan gefunden hat... es gehört wirklich dir?“, fragte er also.

Immer schön langsam, dachte er.

„Ja. Aber er hat es mir noch nicht zurückgegeben. Weißt du, wo es ist?“

Das wusste Jason in der Tat – Lilian hatte es. Aber das würde er Mona nicht sagen. Nicht jetzt.

„Keine Ahnung“, log er also.

„Schade. Es ist wichtig für mich. Mein Liebster hat es mir geschenkt.“

Traurig, dachte Jason. Ihre Stimme klingt unheimlich traurig.

„Es wird sich sicher wieder anfinden.“

„Das hoffe ich. Es ist das einzige, das mir aus meinem Leben als Mensch geblieben ist.“

Wieder diese unendlich traurige Stimme, obwohl diesmal auch ein klein wenig Bitterkeit in ihren Worten mitschwang.

„Auf diesen Bildern in dem Medaillon“, begann Jason nun, „da ist ein Mann abgebildet. Ein Mann, der genauso aussieht wie ich. Wie kann das sein?“

Was jetzt geschah, geschah so schnell, dass Jason keine Ahnung hatte, wie Mona es geschafft hatte, aufzustehen und ihn an die Wand zu nageln, ohne, dass er es bemerkte, bevor er den Aufprall in seinem Rücken spürte. Ihre Arme waren links und rechts neben seinem Kopf und hielten ihn so gefangen. Sein Herz klopfte wie wild und das erste Mal in seinem Leben wusste der Schüler, wie es ist, wenn man wirklich und wahrlich Angst hat. Er hatte Angst.

Seine Augen waren weit aufgerissen und er starrte in eine blutrote Leere, die ihn anfunkelte.

„Hast DU es geöffnet? Nein, das kann nicht sein. Kein Mann hätte es öffnen können! Es kann nur eine Hexe gewesen sein. Sag es mir! Los, sag es!“, fauchte Mona, so wild, dass Jasons Angst nur noch größer wurde. Tränen sammelten sich in seinen Augen, die unkontrolliert seine Wangen hinabliefen. Werde ich jetzt sterben?

Beim Anblick seiner Tränen zuckte Mona jedoch zusammen und ließ ihn genauso plötzlich, wie sie ihn gefangen hatte, wieder los.

„Es tut mir Leid“, flüsterte sie, gerade so hörbar. „Ich wollte dir nicht weh tun oder dir Angst machen.“

Jason rutschte an der Wand hinab und blieb einen Moment reglos sitzen, traute sich nicht, sich zu rühren.

„Es ist der Blutdurst“, erzählte sie, ohne auf eine Reaktion seinerseits zu achten. „Er macht mich immer halb wahnsinnig und es ist schon fast zu lange her, dass ich Blut getrunken habe. Ich hasse es, weißt du? Ich habe nie darum gebeten, zu werden, was ich nun bin. Ich bin gegen meinen Willen zu einem Monster gemacht worden.“

Als Jason endlich zu ihr aufblickte, sah er, dass auch ihr Tränen übers Gesicht liefen. Er wunderte sich beinahe, dass diese Tränen genauso klar waren wir seine eigenen. Er hatte angenommen, ihre Tränen müssten genauso blutrot sein wie ihre Augen.

„Ich hatte einen Geliebten, bevor ich zum Vampir wurde. Er hat mich an den Orden verraten und hat dafür mit seinem eigenen Leben gebüßt. Ich habe ihn sehr geliebt, sogar sein Kind habe ich in mir getragen und doch blieb ihm keine andere Wahl, als mich zu verraten. Sein Name war David.“ Mona klang noch trauriger als zuvor.

„War das der Mann auf dem Bild?“, fragte Jason, seine Stimme heiser und rau.

„Ja. Er war zu dem Zeitpunkt älter, als du jetzt bist. Aber er ist eindeutig dein Abbild.“

„Was ist mit ihm geschehen?“

„Junge, ich glaube, DIESE Geschichte ist nichts für deine Ohren. Sie ist grausam“, flüsterte Mona.

„Jason“, sagte er nur.

„Huh?“

„Meine Name ist Jason. Ich mag aussehen, wie dieser David, aber ich bin nicht er.“

Die Vampirin richtete ihren Blick auf ihn und nickte. „Nein, du bist nicht er.“
 


 

Jessica machte sich Sorgen. Seit zwei Tagen war Lilian nun schon nicht mehr zur Schule gekommen und sie fühlte sich schrecklich schuldig deswegen.

Maria Curtis hatte ihre Freundin bedroht und in der ganzen Klasse als kleine „Schlampe“ bezeichnet, die sich einfach an „ihren“ Jason geschmissen hatte. Dass nun ausgerechnet beide gleichzeitig fehlten, machte die Sache nicht wirklich besser.

Das beliebteste Mädchen der Klasse ging nun davon aus, dass ihre Drohung bei Lilian funktioniert hatte, aber niemand konnte sich einen Reim darauf machen, warum auch Jason an diesem Tag erneut fehlte. Gestern war er da gewesen, hatte aber seltsam abwesend gewirkt und wohl auch sein Fußballtraining geschwänzt. Jason hatte noch nie zuvor beim Fußball gefehlt, hatten die Jungs gesagt.

„Vielleicht hängen die beiden ja zusammen ab“, hatte einer der Jungs – Henry – überlegt.

„Ja. Bestimmt liegen sie gemeinsam im Bett und bumsen von morgens bis abends ohne Pause“, hatte ein anderer gesagt und die ganze Klasse hatte gelacht.

Wie fies, dachte Jessica. Ich hätte nie gedacht, dass es so schlimm enden würde.

Natürlich hatte Maria auf diese Worte sofort reagiert und behauptet, dass der „tolle Jason“ sich ja niemals in so ein Mauerblümchen wie Lilian verlieben würde.

Sämtliche Mädchen standen auf Marias Seite und Jessica wurde jetzt bewusst, welchen schweren Stand ihre Freundin nun in der Klasse haben würde.

Natürlich war sie froh darüber, nicht selbst das Ziel der anderen Mädchen zu sein und sie lachte bei jedem Scherz der Klassenkameraden mit. Aber sie fühlte sich sehr schlecht dabei und ihr schlechtes Gewissen bereitete ihr nun seit Tagen schlaflose Nächte.

Sie hatte anrufen wollen, dann aber doch jedes Mal wieder den Mut verloren, auf die Wahltaste des Telefons zu drücken.

Was würde Lilian ihr sagen? Zweifellos war sie wütend auf Jessica. Vielleicht würde sie ihr die Freundschaft kündigen – und sie hätte sogar jedes Recht dazu, nachdem sie von ihr im Stich gelassen worden war.

Es begann gerade erneut zu regnen, als Jessica aus dem Fenster ihres Klassenraums schaute und beschloss, Lilian am Nachmittag zu besuchen.
 

Lilian war mehr als überrascht, ausgerechnet Jessica zu sehen, die triefend nass vor ihrer Haustür stand und reumütig dreinblickte.

„Hey Lil“, begrüßte sie die Freundin, schaffte es aber nicht, ihr in die Augen zu blicken.

„Hi Jess. Komm rein.“

Die Hexe würde nie jemanden bei dem Regen draußen stehen lassen, auch, wenn sie wütend auf diesen jemand war.

Zögernd trat Jessica in das Haus der Familie Brooks. Obwohl sie schon oft hier gewesen war und normalerweise gleich mit ihrer Freundin in deren Zimmer verschwand, blieb sie diesmal im Eingang stehen.

„Oh, Besuch, wie reizend“, erklang da die Stimme von Amanda Wood.

„Ah, Oma. Darf ich dir meine Freundin und Klassenkameradin Jessica Carter vorstellen? Jessica, dass ist meine Oma Amanda.“

Freundlich wie immer. So war Lilian. Jessica zwang sich zu einem netten Lächeln und begrüßte Amanda, während sie ihr die Hand reichte.

„Geht ruhig auf dein Zimmer, Lily. Ich könnte euch Getränke bringen?“

„Nein, Oma, das geht schon, Danke. Ich hole bei Bedarf einfach was“, winkte Lilian ab, dann packte sie Jessica bei der Hand und verschwand mit ihr die Treppe hinauf, wo ihr Zimmer war.

Als sie schließlich in ihrem Zimmer waren und sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, platzte es aus der jungen Hexe nur so heraus.

„Was willst du?“

„Mich entschuldigen“, kam es leise von Jessica.

Lilian hatte wütend sein wollen auf ihre Freundin, wollte sie anbrüllen, aber nach diesen Worten konnte sie das einfach nicht. Ihr fehlte die Kraft.

„Ich hätte zu dir stehen müssen, als Maria dich so angemacht hat. Aber ich hatte Angst davor, selbst zum Opfer zu werden. Verzeih mir.“

Es war so viel passiert in den letzten Tagen und die Sache mit Maria war noch das geringste Problem für Lilian. Dennoch war sie sauer auf Jessica gewesen, als diese sie so einfach im Stich gelassen hatte. Sie hätte nie gedacht, dass ihre Freundin zu ihr kommen würde, um sich zu entschuldigen. Das passte eigentlich gar nicht zu Jessica.

„Ich verzeihe dir“, seufzte Lilian resigniert. Sie hatte nicht viele Freundinnen. Genau genommen gar keine – außer Jessica. Sophia achtete einfach zu sehr darauf, dass sie fleißig lernte und keine Gelegenheiten bekam, ihre Kräfte zu demonstrieren. Es konnte ihr schaden, wenn zu viele Leute wussten, dass sie eine Hexe war. Genau genommen war ihre Mutter sogar stocksauer über die Tatsache gewesen, dass sie ihr Geheimnis Jason anvertraut hatte und gemeint, dass das ein großer Fehler gewesen war. Niemand durfte das wissen!

Jessica wusste tatsächlich nichts von Lilians Macht und die Hexe würde ihr wohl auch niemals davon erzählen. Sie wusste, dass ihre geschwätzige Freundin das niemals für sich behalten würde.

Nun riss sie die Stimme ihrer Freundin aus ihren Gedanken. „Es gibt Ärger in der Schule.“

„Inwiefern?“, fragte Lilian, aber eigentlich konnte sie sich schon denken, worum es ging.

„Maria. Sie hetzt die anderen gegen dich auf, weil du mit Jason zusammen bist. Er hat heute auch gefehlt und da sind einige fiese, dumme Sprüche gefallen. Sie werden dir das Leben nicht gerade leicht machen“, erzählte Jessica.

Er hat auch gefehlt? Das wunderte Lilian. Ob bei Jason etwas geschehen war? Ihr Schwarm war nun wirklich nicht der Typ Mensch, der die Schule schwänzte. Dem würde sie wohl nachgehen müssen. Aber erst mal musste sie Jessica wieder loswerden.
 


 

„Er geht nicht ran.“

Diesmal war es Ryan, der diese Worte sprach und sich Sorgen machte.

„Hoffentlich ist nichts passiert. Immerhin habt ihr einen Vampir in eurem Keller“, sagte June und auch ihre Sorge wuchs.

Eigentlich hatte Ryan seinem Bruder Bescheid geben wollen, dass er noch eine Weile bei June bleiben würde, aber Jason ging weder an das Haustelefon, noch an sein Handy.

Anfangs hatte Ryan noch gehofft, dass Jason einfach noch nicht wieder von der Schule zurück war, aber inzwischen war es schon dunkel draußen und sein Bruder hatte auch nicht zurückgerufen.

„Es geht nicht, June“, seufzte der braunhaarige Mann, „ich muss schauen, ob alles in Ordnung ist. Du bleibst hier!“

June wollte widersprechen, aber Ryans Blick sagte ihr deutlich, dass er sie nicht mitnehmen würde, egal, was sie sagte. Er wollte sie nicht in Gefahr bringen.

Hoffentlich war es kein Fehler gewesen, Mona zu helfen!, dachte er voller Kummer.

Er zog sich seine Jacke über, winkte seiner Exfreundin noch einmal kurz zu und schon war er verschwunden.

Eilig lief er die Treppen hinab und ging schließlich das kurze Stück Weg zu seinem Auto, nicht wissend, dass er beobachtet wurde. Als er sein Auto startete und wegfuhr, schob Carol Gray ihre Gardine wieder vors Fenster.

„Hier gehen durchaus interessante Sachen vor sich“, sagte sie lächelnd.
 


 

Fortsetzung folgt...

Unerwartete Hilfe

Kapitel 23

~

Unerwartete Hilfe
 

Ryan hastete die Treppenstufen zu seiner Wohnung hinauf. Oben angekommen war er vollkommen aus der Puste, was er auf die Aufregung schob, obgleich er wusste, dass er schon seit längerem kein Fitnesscenter mehr von Innen gesehen hatte.

Angesichts der Größe des Appartements dauerte es nicht lange sich zu vergewissern, dass Jason nicht dort war. Einen Moment lang blieb Ryan unsicher mitten im Flur stehen, ehe ihm der Keller in den Sinn kam. Er schluckte. Sollte Jason wirklich so leichtsinnig sein? Eigentlich hatte er keinen Grund sich zu beschweren, denn er war seinem Bruder ein denkbar schlechtes Vorbild gewesen. Er war derjenige, der Mona hergebracht hatte.

Also stieg Ryan die Treppe wieder hinab. Diesmal gemächlicher um nicht über seine eigenen Füße zu stolpern, die ihm vor lauter Nervosität ungelenker erschienen als sonst.

Ryan wusste nicht, ob er erleichtert oder beunruhigt sein sollte, als er seinen jüngeren Bruder tatsächlich im Keller fand – in Monas Gesellschaft.

„Du warst nicht in der Schule“, lautete Ryans etwas unsinniger erster Satz. Und doch war dies die erste Vermutung, die ihm in den Sinn kam, als er Jasons Schultasche entdeckte.

Jason blickte schuldbewusst drein. „Ja, tut mir leid“, sagte er ganz automatisch. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Ihm war nicht bewusst gewesen, dass es schon so spät war. Er hatte einfach die Zeit vergessen. Langsam dämmerte ihm auch, warum Ryan so besorgt aussah. Jason zog das Handy aus seiner Tasche und warf einen beiläufigen Blick darauf – etliche Anrufe in Abwesenheit. Den Ton hatte er abgeschaltet. „Tut mir leid“, wiederholte er, wobei er zu Ryan aufschaute. „Ich hätte dir Bescheid sagen sollen.“

Mona hatte während der ganzen Zeit so still gesessen, als wäre sie eine Statue. Erst jetzt drehte sie den Kopf und schaute zwischen den Brüdern hin und her. Doch nach wie vor schwieg sie.

Ryan seufzte, winkte ab und setzte sich dann auf eine Kiste, die in der Ecke stand. Manchmal fühlte er sich mit seinen 25 Jahren alt. Vielleicht war alt das falsche Wort, aber müde traf ziemlich gut zu. Die letzten Tage waren aufregender gewesen, als ihm lieb war. Insgeheim fragte er sich, ob sein Leben je wieder so sein würde, wie früher. Doch dann fand er den Gedanken zu theatralisch, weswegen er ihn beiseite schob.

Jason kaute auf seiner Unterlippe herum. „Wir haben uns ein wenig unterhalten“, fuhr er fort, als Ryan nichts erwiderte. „Es ist so viel passiert und ich hatte so viele Fragen.“ Es klang wie eine Verteidigung, das war Jason durchaus bewusst. Allerdings brachte er es nicht über sich seinem Bruder zu verraten, dass Mona ihn in einem unachtsamen Moment angegriffen hatte. Er sollte sich nicht unnötig sorgen, immerhin war nichts passiert. Dennoch brachte es Jason auf einen Gedanken. Er sah Mona an. „Du musst dich bald ernähren, oder?“

Ryans Kopf hob sich mit einem Ruck und Jason bereute diese Frage gestellt zu haben. Eigentlich war das auch keine Antwort, die er sich gerne anhören wollte.

Mona verzog keine Miene, aber in ihrem Blick lag so etwas wie Schmerz. „Ja“, entgegnete sie einsilbig. Sie musste sich nähren. Und zwar bald, sonst würde sie unweigerlich zu einer Gefahr für die Brüder werden.
 

June saß am Küchentisch. Vor ihr lag aufgeschlagen ein Bildband des Jugendstilkünstlers Alfons Mucha. Der tschechische Maler war Anfang des 20. Jahrhunderts besonders populär gewesen und zählte noch heute zu den wichtigsten Repräsentanten des Art Nouveau. Jedoch schenkte sie den farbenfrohen Bildern keinerlei Beachtung, sondern starrte zu ihrem Handy hinüber. Ryan hatte sich noch immer nicht gemeldet. June seufzte und drehte das Radio lauter. The Killers eigneten sich ausgezeichnet um für einen Moment lang abzuschalten.

June wusste nicht mehr, wie lange sie schon so da gesessen hatte, als es an der Haustür klingelte. Sie schaltete das Radio ab, ging in den Flur und warf einen Blick durch den Türspion. Es dauerte einige Sekunden ehe sie das Gesicht zuordnen konnte. Sie öffnete.

„Guten Abend“, sagte June. „War die Musik zu laut?“

Carol Gray, ihre neue Nachbarin schüttelte den Kopf. „Nein, keineswegs“, erwiderte sie lächelnd und reichte June einen Umschlag. „Der ist fälschlicherweise in meinem Briefkasten gelandet.“

June nahm den Brief entgegen. „Vielen Dank.“

Carols Lächeln wurde eine Spur breiter. „Keine Ursache. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“

Nachdenklich schaute June ihr nach. Jason hatte mit seiner Bemerkung gar nicht so unrecht gehabt, kam es ihr unwillkürlich in den Sinn. Carol sah wirklich aus wie eine Schauspielerin. Nachdem June die Tür hinter sich wieder fest verschlossen hatte, galt ihr erster Weg ihrem Handy. Und tatsächlich – diesmal leuchtete auf dem Display der Hinweis „eine neue Nachricht“ auf. Ihr Blick huschte über Ryans knappe SMS.

„Hier ist alles in Ordnung. Rufe dich morgen wieder an“, schrieb er.

Erleichtert atmete June auf und sank auf dem Küchenstuhl nieder. Sie hatte sich wirklich Sorgen um Jason gemacht, nachdem sie und Ryan nichts von ihm gehört hatten.

Erst jetzt fiel June der Brief wieder ein, welchen sie noch immer in der Hand hielt. Sie drehte ihn einmal. Merkwürdig – nirgendwo stand ein Absender. Misstrauisch öffnete sie den Umschlag und zog dann drei zusammengefaltete Seiten hervor. Ein kalter Schauer lief über Junes Rücken. Abgedruckt war dasselbe Kinderlied, das sie schon vor einiger Zeit entdeckt und übersetzt hatte – die Nachricht der Vampire! June zwang sich zur Ruhe und unterzog die Seiten einer gründlichen Betrachtung. Auf dem letzten Blatt standen handschriftlich die Worte: „Manche Warnungen sollte man ernst nehmen. C.G.“

C.G.? June zog die Augenbrauen zusammen, doch dann dämmerte es ihr. Die Initialen standen für Carol Gray. Der Brief war keineswegs fälschlicherweise bei der Nachbarin gelandet.

„Was zum...“, murmelte sie und eilte im nächsten Moment schon aus ihrer Haustür. Woher konnte Carol davon wissen? Eigentlich war das vollkommen unmöglich.

Bevor June klopfen konnte, öffnete Carol bereits die Tür zu ihrer Wohnung. Sie hatte offenbar neben dem Eingang an der Tür gelehnt und dort gewartet. „Kommen Sie rein. Dann können wir reden“, sagte sie ruhig.

June zögerte, unsicher ob der Situation zu trauen war. Doch in den letzten Tagen war sie schon gefährlicheren Dingen ausgesetzt gewesen, weswegen sie nun nickte und Carol ins Innere der Wohnung folgte.

Flüchtig ließ June ihren Blick schweifen. Carols Wohnung war ganz anders geschnitten als ihre eigene. Die Räume waren schmaler, aber durch die helle Einrichtung wirkte alles dennoch freundlich. Hier und da standen noch immer Umzugskartons herum.

Das ungewöhnlichste Detail – jedenfalls war das für June – im Wohnzimmer waren die Bücher, welche in Wandregalen über Kopfhöhe untergebracht waren. Also entweder benötigte Carol diese nicht allzu oft oder sie hatte einfach Spaß am Klettern.

„Setzen Sie sich doch“, bat Carol, ehe sie selbst in der Küche verschwand. Einige Minuten später kehrte sie mit einer Kanne Tee zurück.

Für June genug Zeit um sich Gedanken darüber zu machen, was sie sich hiervon eigentlich versprach. Misstrauisch sah sie auf. „Woher wissen Sie von diesem Lied?“

„Ich weiß so einiges“, gab Carol zurück, was eine schrecklich allgemein gefasste Aussage war. Jedoch lächelte sie einlenkend. „Verzeihen Sie. Es ist wirklich nicht nett von mir Sie auf die Folter zu spannen, zumal ich es war, die Sie hierher gelockt hat.“ Sie schenkte Tee in eine Tasse ein, die sie June reichte. „Ich war in Ihrer Wohnung.“

Fast hätte June die Tasse fallen gelassen. „Sie haben was getan?“

Schnell winkte Carol ab. „Nicht so, wie Sie denken“, entgegnete sie. „Damit wären wir wieder bei den Dingen, die ich weiß. Zum Beispiel, dass in Ihrem Umfeld merkwürdige Dinge vorgehen. Dinge, die Sie bestimmt gern als Aberglauben abtun würden. Ist es nicht so?“

June schluckte, erwiderte aber nichts.

„Vampire“, konkretisierte Carol ihre Aussage. „Sie sind so real, wie in diesem alten Kinderlied. Aber wäre die Welt nicht ein ziemlich finsterer Ort, wenn nur Vampire tatsächlich existierten?“ Über den Rand ihrer Teetasse lächelte sie zu June hinüber.

Langsam fiel der Groschen bei June. „Sondern auch Hexen.“ Kurz tauchte vor ihrem Inneren Auge das Bild von Jasons Klassenkameradin auf. Der rationale Teil in ihr sträubte sich dagegen, aber ihre eigenen Erfahrungen belehrten sie eines Besseren. Fast hätte June geseufzt – sie ergab sich in das scheinbar Unvermeidliche.

Carol nickte. „Richtig erkannt“, sagte sie. „Ich war in Ihrer Wohnung, wenn auch nicht physisch. Für meine Indiskretion muss ich mich entschuldigen. Ich wusste, dass etwas Besorgniserregendes in London vor sich geht und meine Vorahnung hat mich hierher geführt. Als ich diesen Text bei Ihnen fand, wusste ich, dass ich richtig lag.“

June trank einen Schluck. Der kräftige, aromatische Geschmack des Schwarzen Tees war beinah tröstlich und half etwas von der Inneren Kälte zu vertreiben. „Warum erzählen Sie mir das?“, fragte June leise.

„Weil ich noch etwas weiß.“

„Und das wäre?“ June zog eine Augenbraue hoch.

Carol lächelte. „Ich weiß, dass Sie Hilfe brauchen.“
 

Lange hatte Lionel es vor sich hergeschoben, aber inzwischen blieb ihm keine Wahl mehr. Die Oberen mussten endlich benachrichtigt werden und von den Vorkommnissen erfahren. Lionel hasste Inkonsequenz, aber dieser Schritt fiel ihm nicht leicht. Wenn er es noch länger hinauszögerte, würde er es nie mehr tun. Und kaum brach die Nacht herein, entsandte er einen Boten an die Oberen. „Kein Zurück mehr“, murmelte er vor sich hin.

Man hatte Mona noch immer nicht gefunden und die Zeit rann durch Lionels Hände wie die Körner einer Sanduhr.

„Du hast nicht falsch gehandelt.“

Ein flüchtiges Lächeln umspielte Lionels Mundwinkel, als er zu Eve auf sah. Solange er sie an seiner Seite wusste, würde er nicht den Mut verlieren.

„Wer sucht nach Mona?“, fragte Eve.

„Heute Nacht“, begann Lionel, „werden es Ninon und Noël sein, die nach ihr suchen.“ Er schüttelte den Kopf. „Dass ihre Gesichter so unschuldig wie die von Kindern sind, macht es fast noch schlimmer.“

Anders als geplant

Kapitel 24

~

Anders als geplant
 

Lilian seufzte. Als sie ihre anhängliche Freundin endlich losgeworden war, war es bereits viel zu spät gewesen, um Jason noch einen Besuch abzustatten. Jessica gegenüber konnte sie ihre Sorgen unmöglich zur Sprache bringen, aber innerlich zerfrass es die Hexe fast, dass sie nicht wusste, was mit ihm war. Es musste doch einen Grund geben, warum er nicht zur Schule gegangen war!

Und nun ging im Hause Parker niemand ans Telefon. Das war doch zum Verrückt werden!

Sie machte sich Sorgen. Natürlich. Immerhin wurden die Brüder von Vampiren verfolgt, das passierte einem ja nicht jeden Tag.

Die Hexe beschloss, auf jeden Fall am nächsten Tag zu Jason zu gehen.

Nur sollte natürlich wieder alles anders kommen, als geplant...
 

„Ich fahre wieder rüber zu June. Du kommst doch alleine klar, oder?“

Jason nickte. Natürlich würde er auch ohne seinen großen Bruder klar kommen.

Ryan war zwar nicht wohl bei dem Gedanken, dass da ein Vampir im Keller lauerte und war hin- und hergerissen zwischen seiner Verantwortung seinem kleinen Bruder gegenüber und der Liebe zu June, aber er hatte sich dieses Mal für June entschieden. Er wollte sie nicht endgültig verlieren und sie würde nicht mehr zu ihm kommen, solange Mona im Keller des Hauses wohnte.

„Wann kommst du zurück?“, fragte Jason.

„Ich weiß es noch nicht. Bald. Ich rufe an, ja?“

Ryan wuschelte dem Jüngeren einmal durch die Haare, dann öffnete er die Wohnungstür und trat hinaus ins Treppenhaus. „Sei artig!“, bat er, dann war die Tür geschlossen und Ryan fort.

Jason begann, sich einsam zu fühlen in diesem Moment.

Es war bereits dunkel draußen und Jason hatte nicht einmal gemerkt, wie die Zeit vergangen war.

Der Tag war seltsam gewesen. Er hatte so viel erfahren. So viel unwirkliches, das doch so nah war.

Mona war so traurig gewesen.

„Ich wollte nie werden, was ich nun bin“, hatte sie gesagt und dann hatte sie erzählt von ihrem früherem Leben, von dem Verrat ihres Geliebten und ihrem Tod.

Sie tat ihm Leid, begriff er nun.

Und schließlich traf er eine Entscheidung: Mona konnte nicht die ganze Zeit dort unten im Keller hocken. Dort war es kalt, muffig und sehr eng und das war nun wirklich kein Ort für eine Frau.
 

Als er die Kellertür öffnete, starrte sie ihn wieder an mit ihren blutroten Augen. Es war ein gruseliger Anblick, irgendwie, aber Jason hatte inzwischen keine Angst mehr vor ihr.

„Was willst du?“, fragte sie ihn, beinahe ein wenig gereizt.

„Komm mit hoch in die Wohnung“, antwortete er. „Hier unten ist es so ungemütlich.“

Hätte Mona den Keller nicht schon so satt gehabt nach diesem Tag, hätte sie dieses Angebot vielleicht abgelehnt. Aber sie erhob sich und schaute ihn erwartungsvoll an, bis er ihr bedeutete, ihm zu folgen.
 

In der Wohnung war es sehr viel wärmer als in dem Keller, das gefiel der Vampirin. Kälte machte ihr zwar nicht viel aus, aber sie bevorzugte trotzdem die Wärme.

„Ist dein Bruder nicht da?“, fragte sie und Jason nickte.

„Er ist bei June.“

„Und du hast gar keine Angst, allein zu sein mit mir?“

Sie konnte ihm sehr gefährlich werden und dass hatte sie ihm bereits gezeigt, auch wenn sie sich für diesen Angriff fürchterlich schämte. Sie hatte nie vorgehabt, dem Jungen weh zu tun oder ihm Angst zu machen – immerhin konnte sie dankbar sein, dass sie von den Brüdern versteckt wurde.

„Doch. Ich habe Angst. Aber ich vertraue darauf, dass du mir nichts tun wirst“, antwortete er wahrheitsgemäß.

Mona lächelte. Sie mochte Ehrlichkeit.

„Möchtest du vielleicht duschen? Ich kann dir auch ein paar saubere Klamotten geben“, bot er ihr nun an.

Erst wunderte sie sich über dieses Angebot, aber als sie an sich hinunterblickte, verstand sie, worauf er hinauswollte. Ihre Kleidung war bei dem Kampf mit Katherine ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden und vermutlich stank sie furchtbar. Mona hatte noch gar keine Gelegenheit gehabt, sich zu waschen und umzuziehen und hatte daran bisher auch noch gar keinen Gedanken verschwendet. Außerdem hatte sie in der Tat keine Wechselkleidung.
 

Als sie wenig später frisch geduscht und in einem Flanellhemd und einer Jeans von Ryan wieder aus dem Badezimmer kam, fühlte sich die Vampirin tatsächlich viel besser als zuvor.

Ihre nassen Haare klebten ihr noch an der Stirn und auf dem Hals, aber das störte sie nicht weiter.

„Ich hätte schon viel früher mal anfangen sollen, Jeans zu tragen“, stellte sie fest, als sie zu Jason ins Wohnzimmer ging. „Die Dinger sind bequem.“

Jason fand zwar, dass sie in dieser Kleidung eher seltsam aussah, aber tatsächlich konnte man sie nun kaum noch von einem normalen Menschen unterscheiden. Die Tatsache, dass sie unter dem Flanellhemd keinen BH trug, machte ihn allerdings doch ein wenig nervös. Genauso wie die Tatsache, dass Mona seit ihrer Flucht noch immer nicht „gegessen“ hatte.

Er wollte sie gerade fragen, wie sie dieses Problem zu bewältigen gedachte, als er hörte, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde.
 

Die Nachricht hatte sich wie ein Lauffeuer ausgebreitet, nachdem Amanda Wood sie erst einmal verkündet hatte.

Der gesamte Hexenzirkel war in heller Aufruhr – endlich gab es wieder eine Seherin! Niemand verstand so Recht, wie das kommen konnte, wo doch die letzte Seherin so plötzlich verschwunden war vor so langer Zeit, aber jetzt, wo es eine neue Seherin gab, gab es auch Hoffnung für den Zirkel.

Lilian selbst war allerdings so gar nicht begeistert davon, nun eine so wichtige Stellung inne zu haben. Gelinde gesagt nervte es sie jetzt schon.

Eigentlich wollte sie zu Jason rübergehen um herauszufinden, was bei ihm los war, aber als sie am frühen Morgen zum Frühstück erschienen war, hatte ihr ihre Oma Amanda eröffnet, dass sie zu Allison gehen würden, um ihre Zeremonie abzuhalten.

Allison Seymore war die derzeitig älteste Hexe des Zirkels und somit für sämtliche Zeremonien zuständig. Natürlich hatte Lilian keine Ahnung, was ihr da nun eigentlich bevorstand und Lust hatte sie erst recht keine, aber ihr blieb keine andere Wahl, als sich dem Willen ihrer Oma und dem ihrer Mutter zu beugen.

Aber sie nahm sich fest vor, so schnell, wie es irgend ging, zu Jason zu gehen.

Hexentreffen

Kapitel 25

~

Hexentreffen
 

June schlug blinzelnd die Augen auf und blickte zur Uhr. Es war schon kurz nach neun. Sie war auf der Couch eingeschlafen. Gähnend erhob sie sich, als es noch einmal an der Tür klingelte. Es überraschte sie Ryan zu sehen und dachte dabei unwillkürlich an seine SMS zurück. „Wolltest du nicht morgen anrufen?“, fragte sie ein bisschen schlaftrunken.

Ryan strich sich verlegen die Haare hinters Ohr. „Ja, schon.“

„Aber?“

Ryan schluckte.

Schließlich trat June einfach beiseite. „Komm erstmal rein.“

„Danke“, erwiderte Ryan lächelnd.

June blickte ihm nach, während sie die Tür hinter sich schloss. „Wie geht es Jason?“ Nach Mona fragte sie bewusst nicht, sie wollte es gar nicht hören. Die Anwesenheit der Vampirin im Hause Parker behagte ihr nicht.

Ryan legte seinen Mantel ab und nahm auf dem Sofa Platz. „Es geht ihm gut. Er hat bloß die Schule geschwänzt. Offenbar wollte er mit...“ Er zögerte. „Jason hatte ein paar Fragen.“ Monas Name gehörte nicht hierher. Überhaupt war das ganze Thema hier fehl am Platze.

June nickte bloß und setzte sich zu Ryan, schmiegte sich dabei sogar leicht an seine Schulter. Sein Leichtsinn und seine unbedachten Handlungen waren Gründe für ihre Trennung gewesen. Und es war weiß Gott nicht so, als würde June dies vermissen. Doch sie vermisste Ryan – und das ganz schrecklich. Obgleich es so vieles gab, was sie ihm berichten musste, schloss sie ihre Augen und genoss für einen kurzen Moment einfach nur seine Nähe. Die Wärme, die von ihm ausging, hatte eine beruhigende Wirkung. June lächelte und verschränkte ihre Finger mit seinen.

Die ganze Fahrt über hatte Ryan darüber nachgedacht, was er wohl sagen sollte. Es war ihm nichts einfallen. Jetzt, wo er hier war, erschien alles ganz einfach. Er musste nichts sagen, stattdessen wollte er einfach nur bei ihr sein. Mit dem Daumen streichelte über ihren Handrücken. Sie waren einander lange nicht mehr so nah gewesen. Unwillkürlich machte sein Herz einen Hüpfer. Stundenlang hätte er so sitzen bleiben mögen.

„Ich habe eine neue Nachbarin“, flüsterte June schließlich in die Stille hinein.

Ryan blinzelte überrascht, konnte offenbar nicht ganz einordnen, woraufhin dieser Satz abzielte.

June blickte auf und schaute ihm direkt in die Augen. Er würde ihr glauben – das beruhigte sie ein wenig. Und doch konnte sie sich noch immer nicht ganz daran gewöhnen solche Dinge auszusprechen. „Meine neue Nachbarin ist eine Hexe.“

Ryans Augen weiteten sich. „Eine Hexe?“

June nickte. „Ja“, antwortete sie langsam, bedächtig beinahe. „Das behauptet sie von sich selbst und ich glaube ihr. Ihr Name ist Carol Gray. Sie weiß von den Vorkommnissen der letzten Zeit.“

Das musste Ryan erstmal verarbeiten. Vampire und Hexen wurden langsam zu seinem Alltag und er konnte nicht behaupten, dass ihm das sonderlich gefiel. Aber es war ja auch nicht so, als hätte er eine Wahl gehabt. „Woher weiß sie das?“

„Mit ihren Fähigkeiten scheint sie die besten Anlagen für eine Spionin zu haben.“ June zog einen Mundwinkel nach oben, wurde dann aber gleich wieder ernst. „Sie will uns helfen.“ Nach und nach begann sie von dem Gespräch zu berichten, das sie mit Carol geführt hatte und welches für sie eine leise Hoffnung war.
 

Lilian schaffte es erst am späten Abend ihrer Familie und den anderen Hexen zu entfliehen. Nun stand sie vor Jasons Haus und wusste nicht so recht weiter. Sie schaute zu dem Appartement hinauf. Eines der Fenster war hell erleuchtet und sie glaubte Jason dort ausmachen zu können. Aber er war nicht allein. Sie kniff die Augen zusammen. Sein Bruder vielleicht? Aber nach einem Mann sah das nicht aus. Ein ungutes Gefühl überkam Lilian, ohne dass sie es sogleich benennen konnte. Ihr Instinkt meldete sich – Gefahr.

„Bist du nicht Lilian?“

Die junge Hexe zuckte erschrocken zusammen und drehte sich um.

Ryan lächelte. „Tatsächlich, du bist es. Willst du zu Jason?“

Lilians Herz raste, so sehr hatte Ryans plötzliches Auftreten sie aus der Fassung gebracht. Tief durchatmen, ermahnte sie sich in Gedanken selbst. Sie durfte sich nicht so gehen lassen, immerhin war sie nicht grundlos hergekommen. Sie nickte. „Ja, es gibt etwas, dass ich gern mit Jason besprechen würde.“ Erst jetzt erkannte Lilian, dass Ryan gar nicht allein war.

Hinter ihm tauchte eine Frau mit langem, blonden Haarschopf auf. Ihre Augen funkelten beinah amüsiert, ansonsten war ihr Blick entschlossen. Sowieso strahlte die ganze Haltung sogleich innere Ruhe, als auch Tatendrang aus.

„Das überrascht mich nun doch ein bisschen“, gestand Carol lächelnd. „Ich hätte nicht gedacht schon hier auf die Seherin zu treffen.“

Lilian verzog keine Miene. Dass jemand um ihre Fähigkeiten wusste, schockierte sie offenbar nicht im Geringsten. Hexen erkannten einander.

Jetzt war es Ryan, der verwirrt dreinblickte. Er schaute zwischen den beiden hin und her, zuckte dann aber bloß mit den Schultern. Es war so viel Seltsames passiert. Dagegen war das hier harmlos. „Lasst uns doch drinnen weiter reden. Die Straße scheint mir nicht der geeignete Ort dafür zu sein.“
 

Auf dem Weg nach oben blickte sich Ryan ein paar Mal verstohlen zu den zwei Frauen um. Sie schienen einander nicht persönlich zu kennen und doch herrschte eine Art stilles Abkommen zwischen ihnen, was Ryan gleichermaßen erstaunte und faszinierte.

Er schüttelte den Kopf und sah wieder nach vorn. Schon ein bisschen surreal die ganze Situation, aber man gewöhnte sich erschreckend schnell daran, dass das eigene Leben ablief wie in einem Film.

June hielt an ihrem Vorsatz nicht in Monas Nähe zu kommen fest, dafür hatte sich Carol erboten mitzukommen, um den „Hausvampir“ unter die Lupe zu nehmen.

Einigermaßen erstaunt war Ryan dann aber doch, als er Mona beim Betreten der Wohnung dort vorfand.

Jason sprang sogleich auf. „Ich wollte Mona nicht im Keller lassen, weil...“ Seine Rechtfertigung blieb ihm im Hals stecken, als die Wohnung sich so langsam füllte.

Ryan seufzte. Das Chaos war perfekt, sowohl in seinem Kopf als auch in den eigenen vier Wänden. „Ich koche uns erstmal einen Tee.“

Nur ein Brite konnte glauben, dass Tee die Dinge in einem anderen Licht erscheinen ließ.
 

Vor dem Haus stand erhellt vom Licht der Straßenlaterne ein junges Mädchen – kaum älter als 13 oder 14 Jahre. Ihr Haar trug sie zu altmodischen Ringellöckchen aufgesteckt. Auch ihre Kleidung sah aus, wie aus einem längst vergessenen Jahrhundert.

„Was verborgen bleiben sollte...“, murmelte ihr Zwillingsbruder neben ihr.

„...kommt langsam ans Licht“, führte Ninon seinen Satz zuende.

Noël verzog missbilligend das Gesicht. Seine grünen Augen funkelten dabei auf. „Lionel hat zu lang gezögert.“

„Es steht dir nicht zu, das zu beurteilen, Bruder“, sagte Ninon mit teilnahmsloser Stimme. „Wir sind nur hier um die Verräterin ihrer Strafe zuzuführen. Das – und nur das – ist unsere Aufgabe.“ Der Wind fuhr in ihre Rockschöße und bauschte ihr Kleid auf. Obwohl die Luft klirrend kalt war, erschauderte sie nicht einmal.

Mit der Spitze seines Schuhs stieß Noël einen Stein an. „Was tun wir jetzt?“

Ninons Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. „Wir warten.“
 

Fortsetzung folgt...

Gefahrenzone

Kapitel 26

~

Gefahrenzone
 

In der Wohnung der Parkers roch es herrlich nach frisch aufgebrühtem Earl Grey. Aber das war auch schon alles, was in dieser Wohnung auch nur im Entferntesten positiv wirkte.

Die Stimmung war sehr angespannt, als sich die fünf Personen um den Wohnzimmertisch auf den Sofas verteilt hatten.

Ryan hatte Mona im ersten Moment kaum wiedererkannt – sie sah in seiner Kleidung ganz anders aus. Sie wirkte viel menschlicher, als in dem altmodischen Kleid, in dem er sie zum ersten Mal gesehen hatte, oder in der ebenfalls altmodischen Bluse, die sie zuvor getragen hatte. Ihre Haare waren noch nass und rochen nach seinem Shampoo.

Sie hat hier geduscht, dachte er. Gut, es sprach auch nichts dagegen, dass sie das tat. Aber auch das ließ die Vampirin deutlich menschlicher wirken, als er für möglich gehalten hätte.

Er konnte verstehen, warum sein kleiner Bruder sie nicht einfach im Keller lassen konnte. Er machte ihm auch ganz sicher keine Vorwürfe. Und trotzdem fühlte er sich ein wenig unbehaglich. Ob es daran lag, dass sie der Grund für seine Streitigkeiten mit June gewesen war?

Noch hatten sich die vielen Personen einander nicht wirklich vorgestellt, und Carol räusperte sich nun, um diese unerträgliche Stille zu durchbrechen, die sich wie ein Fluch auf den Raum gelegt hatte.

„Vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen. Ich bin Carol“, sagte sie. Alle Blicke ruhten auf ihr und jeder einzelne schien froh darüber zu sein, dass endlich jemand die Stille brach.

„Du bist eine Hexe“, stelle Mona trocken fest. Sie hatte vielleicht keine Macht mehr, dennoch war sie in der Lage, andere Hexen zu erkennen.

„Richtig. Und du bist ein Vampir.“

„Ebenfalls richtig.“

Wieder Stille.

Lilian konnte den Blick nicht von Mona abwenden. Sie war der erste Vampir, dem sie begegnete. Der Zirkel bekämpfte diese Wesen der Dunkelheit zwar schon seit Jahrhunderten, aber sie war noch lange nicht bereit, diesen Kampf selbst aufzunehmen. Ursprünglich hatte sie einfach nur verhindern wollen, dass ihrem Schwarm Jason etwas zustieß. Und nun war sie so sehr in die Ereignisse verwickelt, dass sich die Begegnung mit einem Vampir wohl nicht vermeiden ließ. Sie hatte so vieles mit Jason besprechen wollen, aber die Anwesenheit dieser Frau ließ das alles nebensächlich erscheinen. Sie konnte auch später noch mit ihm sprechen, aber gegenwärtig war sie viel zu nervös, um überhaupt irgendwas zu sagen.

Mona bemerkte Lilians Blick und erwiderte ihn.

„Du bist also die neue Seherin. Meine Nachfolgerin.“

Lilian zuckte zusammen, als Mona sie so unvermittelt ansprach.

„Ja. Dann bist du also die Seherin, die damals spurlos verschwand?“

„Offensichtlich, nicht wahr? Ich bin froh, dass ich es geschafft habe, meine Macht an jemanden weiterzugeben. Aber ich hätte gern so langsam mein Medaillon zurück.“

Ihr wertvollster Besitz war noch immer verschwunden, aber irgendetwas sagte ihr, dass Lilian es haben musste.

Die neue Seherin nickte. Sie verstand, dass das Schmuckstück der Vampirin sehr wichtig sein musste. Also kramte sie es aus ihrer Tasche hervor und gab es Mona zurück.

„David...“, flüsterte die Vampirin, der sofort Tränen in die Augen stiegen, als sie die goldene Kette entgegennahm. Sie öffnete das Medaillon und betrachtete die Bilder. Wie lange schon hatte sie darauf gewartet, sie wieder betrachten zu können? Schluchzend betrachtete sie das Gesicht ihres einstigen Geliebten und sah anschließend zu Jason hinüber, der bislang schweigend dagesessen hatte. Eine jüngere Ausgabe von David, dachte sie, während ihr Tränen übers Gesicht kullerten.

Die anderen Anwesenden waren wohl alle überrascht darüber, wie viel Gefühl Mona zeigte.

„Du bist seine Wiedergeburt, ohne Zweifel“, sagte Mona leise zu Jason, der sich dadurch noch unwohler fühlte als ohnehin schon.

„Dann bleibt nur noch die Frage, warum diese Seele wiedergeboren wurde“, warf Carol ein. „Eine Wiedergeburt hat immer einen bestimmten Zweck. Diesen müssen wir herausfinden.“

„Ich habe geträumt. Von dir, Mona.“ Jason hatte ihr das schon im Keller gesagt, aber er hoffte, dass nun jemand darauf kommen würde, warum er diese Alpträume hatte. „Ich wurde um Hilfe gebeten, soweit ich das in dem Träumen verstehen konnte. Aber ich weiß nicht, wobei ich helfen soll!“

„Über diese Frage müssen wir zweifellos nachdenken“, sagte Carol. „Aber nun müssen wir als erstes überlegen, wo wir Mona besser verstecken können. Hier kann sie nicht bleiben. Der Orden weiß bereits, dass sie hier ist.“ Der erfahrenen Hexe war nicht entgangen, dass sie beobachtet worden waren.

„Was?“, rief Ryan daraufhin erschrocken aus. „Ich dachte, sie wäre hier ein paar Tage sicher.“

„Das sehen die zwei Vampire, die unten lauern, sicher anders“, entgegnete Carol.

Ryan unterdrückte den Impuls, aufzustehen und auf die Straße zu sehen. „Was sollen wir also machen?“

„Ich schätze, dass sie bei mir zu Hause genauso wenig sicher wäre. Ganz zu schweigen davon, was meine Eltern davon halten würden, einen Vampir zu beherbergen“, überlegte Lilian.

„Meine Wohnung erscheint mir auch denkbar ungeeignet“, sagte Carol.

Jason sah zu Ryan, unsicher, ob er seinen Gedanken wirklich laut aussprechen sollte. Er holte einmal tief Luft. „Könnten wir sie nicht bei Vater unterbringen?“

Dieses Thema war ein rotes Tuch bei Ryan und eigentlich auch ein Tabuthema zwischen den Brüdern, weshalb der Ältere auch sofort mit einem wütenden Blick Richtung Jason reagierte.

Ryan und Jason Parker hatten eine sehr verworrene Familie, über die sie nicht gerne sprachen, da es für beide unangenehm war.

Sie hatten denselben Vater, aber verschiedene Mütter. Und beide waren der Meinung, dass ihr Vater ein dreckiges Arschloch war, der ihre Mütter hintergangen hatte.

Es war kein Zufall, dass Ryan sich um seinen jüngeren Halbbruder kümmerte und sie gemeinsam eine kleine Wohnung bewohnten – obwohl ihr Vater ein stinkreicher Mann war.

Ashton Parker war Bänker und hatte viel Geld mit Aktien und Spekulationen gemacht. Aber das machte aus ihm keinen besseren Menschen, wie seine Söhne am eigenen Leib erfahren hatten.

„Du glaubst doch nicht wirklich, dass der uns helfen würde, oder?“, zischte Ryan.

Ich hätte diese Frage nicht stellen sollen, dachte Jason. Ich habe nur daran gedacht, dass die Villa eine gute Versteckmöglichkeit wäre, aber natürlich hat Ryan Recht.

Jason hatte seinen Bruder nicht wütend machen wollen, obwohl ihm eigentlich völlig klar war, dass Ryan ihren Vater hasste und diese Reaktion zu erwarten gewesen war.

Die Stimmung sank spürbar und wieder herrschte Stille, bis es erneut Carol war, die sie durchbrach.

„Ich schätze, wir sind hier alle nicht mehr sonderlich sicher. Die Vampire haben es auf euch beide und die Seherin genauso abgesehen wie auf Mona.“

Ryan sah die blonde Hexe nervös an. Er wusste, dass stimmte, was sie sagte. Immerhin war er schon mehrfach angegriffen worden. Es war ein Glück, dass Jason davon bisher verschont geblieben war. Aber konnte er sein normales Leben einfach so erst mal beiseite schieben? Er hatte einen Job, um den er sich kümmern musste, wenn er sein und Jasons Leben irgendwie finanzieren wollte. Und was war mit June?

„Ich kann hier nicht weg“, sagte er deshalb. „Ich werde hier nicht alles stehen und liegen lassen, nur weil ein paar Spinner meinen...“

„Sie sind hinter dir her!“, wurde Ryan von Mona unterbrochen.

Nun richteten sich wieder alle Augenpaare fragend auf die Vampirin.

„Du hast etwas an dir, dass uns Vampiren schadet. Und da niemand weiß, was das ist, wollen sie dich haben“, erklärte sie. Sie stand auf, ging auf Ryan zu und sah ihn fordernd an.

„Berühr meinen Arm“, sagte sie und streckte ihm ihren linken Arm entgegen.

„Was soll das werden?“

„Berühr ihn!“

Ryan seufzte, dann berührte er sie tatsächlich.

Mona zischte auf, als die Berührung von Ryans Hand eine Brandwunde auf ihrem Arm hinterließ, den sie mit schmerzverzerrtem Gesicht wegzog.

„Wow“, kommentierte Carol nüchtern. „Sowas hab ich auch noch nicht gesehen.“

„Dann warst du es!“, entfuhr es dagegen Ryan. „Du hast dich in Junes Schlafzimmer geschlichen und wolltest ihr etwas antun!“ Es konnte nicht anders sein. Woher sonst sollte sie wissen, was seine Berührung anrichten konnte?

Diese Tatsache ließ ihn wütend werden. Mona hatte June verletzen wollen! Er sprang auf und wollte der Vampirin an die Gurgel, wurde aber im letzten Moment von seinem Bruder abgehalten, der zwischen die beiden getreten war. „Ryan, das hilft uns im Moment nicht weiter! Lass sie!“

„Sie wollte...“

„Lass sie! Sie hat es nicht getan und wird es auch nicht mehr tun!“, schrie Jason.

„Ich wollte nie werden, was ich bin. Ich habe die Vampire bekämpft, wo ich nur konnte! Denkst du nicht, ich hätte mein unheiliges Dasein diese ganzen Jahrzehnte nicht verflucht? Diese ganzen Jahre habe ich nur durchgestanden, um die Macht der Seherin weitergeben zu können!“, erklärte Mona, wie, um sich für ihr Verhalten zu entschuldigen.

Ryan starrte sie an. Wütend. Hasserfüllt. June.

„Du wolltest meine Freundin verletzten. Wie viele Menschen hast du noch verletzt? Oder getötet?“

„Viele“, gab Mona zu, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ich habe es niemals gern getan. Aber ich musste meinen Blutdurst stillen, sonst hätte ich meinen Verstand verloren und vielleicht noch viel Schlimmeres angerichtet. Genau das ist es, was ich an den Vampiren genauso hasse, wie du, Ryan. Wir sitzen im selben Boot mit demselben Ziel.“

„Und warum sollte ich dir das alles glauben? Wer sagt mir, dass dies nicht alles ein Plan der Vampire ist, um uns alle zu kriegen?“

Er konnte gar nicht glauben, wie leichtsinnig er wirklich gewesen war. So langsam verstand er, was June eigentlich gemeint hatte. Und trotzdem... trotzdem war da etwas in ihm, dass ihr vertrauen wollte.

„Die Vampire haben mir alles genommen, was mir jemals wichtig gewesen war. Mein Leben, meinen Geliebten, meine Macht als Hexe und mein ungeborenes Kind. Mein Hass auf sie ist größer, als deiner je sein kann, daran kannst du glauben!“, sagte Mona mit Verachtung in der Stimme. Sie verachtete nicht Ryan. Sie verachtete ihre eigene Existenz als Vampir.

„Beruhigt euch doch erst mal wieder“, meinte Lilian nun. „Es hilft uns nicht weiter, wenn wir uns gegenseitig anschreien.“

„Nein“, seufzte Ryan resigniert, während er sich wieder aufs Sofa plumpsen ließ und seine Teetasse in die Hand nahm. „Das hilft uns in der Tat nicht weiter.“

Erneute Stille. Das Ticken der Wohnzimmeruhr war deutlich zu hören.

„Mein derzeit größtes Problem ist mein Blutdurst. Ich habe mich schon seit vielen Tagen nicht mehr... ernährt. Lange werde ich mich nicht mehr beherrschen können, allerdings... unter den gegebenen Umständen werde ich auch nicht jagen können.“ Monas Stimme klang leise und bedacht. Sie wollte nicht schon wieder jemanden gegen sich aufbringen. Sie hoffte lediglich auf eine Lösung für dieses Problem. „Ich werde für euch zu einer großen Gefahr, wenn ich länger hierbleibe.“

Ihre Miene, von Kummer geprägt. „Bleib bei mir, Geliebter! Geh nicht fort!“, rief ihre melodische Stimme immer wieder, aber er konnte sich nicht bewegen, nichts anderes tun, als sie anzustarren.

Jason hatte die Bilder seines Traumes vor Augen und fasst einen Entschluss.

„Würde es nicht reichen, wenn du Blut zu dir nehmen würdest?“, hakte er nach.

„Fürs erste ja, aber wie soll ich da rankommen?“

Jason sah Mona direkt in die Augen und leckte sich nervös über die Lippen.

„Nimm mein Blut“, bot er ihr an.

Allen anderen Personen im Raum blieb der Atem stehen.

„Das kann ich nicht machen!“, rief Mona dann erschrocken aus. Ich will ihn nicht töten. Nicht noch einmal.

„Ich bestehe darauf. Ich denke, das ist es, was meine Träume mir immer sagen wollten!“

„Das kannst du doch nicht machen, Jason!“, meinte nun auch Lilian, die verständlicherweise Angst um ihren Schwarm hatte.

„Stellt euch nicht so an, dass ist nur ein bisschen Blut. Wie beim Blut spenden“, entgegnete Jason.

Ryan war gänzlich sprachlos. Das muss ein Traum sein. Ein blöder Alptraum. Das hier spielt sich nicht wirklich ab, dachte er.

„Du willst das tatsächlich tun, ohne dass du das wirkliche Risiko kennst?“, fragte Mona nach.

„Ja. Warum nicht? Ich werde schon nicht sterben.“

Mona musste hart schlucken. Sie hatte noch nie getrunken, ohne dabei zu töten, weil sie sich nicht bremsen konnte. Würde sie es bei ihm können, wenn sie es versuchte? Oder sollte sie sein Angebot doch besser ablehnen?

Es fiel ihr schwer, abzulehnen, als er ihr auffordernd seinen Arm unter die Nase hielt. Ihre vampirischen Sinne konnten sein Blut schon riechen und das Schlagen des Herzens hören.

„Ryan, du musst mich aufhalten!“, warnte sie den großen Bruder noch.

Dann ging alles ganz schnell.

Ihre Zähne bohrten sich in das weiche Fleisch und die Vampirin nährte sich hemmungslos am Blut des Jungen. Sie verfiel regelrecht in einen Rausch, der es ihr unmöglich machte noch etwas anderes wahrzunehmen als dieses süße, köstliche Blut, dass ihr die Kehle hinunter rann.

Sie konnte nicht stoppen. Dafür war die Befriedigung, die sie durchs Trinken erhielt, viel zu hoch und ihr Bewusstsein viel zu weit weg.

Sie stoppte erst, als sie mit viel Macht unsanft zur Seite gestoßen wurde.

„Hör auf! Du bringst ihn um!“, schrie Lilian mit tränennassem Gesicht. Die junge Hexe setzte ihre ganze magische Kraft ein, um die Vampirin von Jason zu lösen; letztendlich war es aber Ryan, der Mona vertreiben konnte, in dem er sie berührte und damit verbrannte.

Erst jetzt begann sie, wieder etwas wahrzunehmen.

„Was hab ich getan?“, flüsterte sie, von sich selbst entsetzt. Sie erblickte den am Boden liegenden, reglosen Körper des Jungen und Grauen erfüllte sie. Nein. Nein! NEIN!

Wie von Sinnen sprang die Vampirin auf, riss eins der Wohnzimmerfenster auf und verschwand in die Dunkelheit der Nacht.
 

June hatte schon den ganzen Abend ein fürchterlich ungutes Gefühl. Sie hatte nicht mitkommen wollen zu diesem... diesem Weib. Aber das änderte nichts daran, dass sie einen dicken Kloß im Hals hatte, seitdem Ryan zur Tür hinaus gegangen war. Selbst der Fernseher, vor dem sie schon so oft Trost gefunden hatte, konnte sie nicht wirklich ablenken.

Dennoch schrak sie hoch, als plötzlich ihr Handy klingelte.

Sie las Ryans Namen auf dem Display und nahm ohne zu zögern ab.

„June“, erklang seine leise Stimme. „Ich brauche dich.“ Es tutete. Er hatte aufgelegt.

Als Jason wieder erwachte, stellte er fest, dass er in seinem Bett lag. Fürchterliche Kopfschmerzen plagten ihn und er fühlte sich schrecklich erschöpft. Gerade wollte er sich aufsetzen, als er bemerkte, dass jemand neben ihm am Bett saß.

„Lilian?“

Als die Hexe seine Stimme hörte, hob sie den Kopf und wirkte schrecklich erleichtert.

Ihr Gesicht ist ja ganz nass. Hat sie geweint?

„Ich hab gedacht, du würdest sterben“, sagte sie leise und ihrer Stimme konnte man anhören, dass sie tatsächlich geweint hatte.

„Was ist passiert?“, fragte er sie. Er konnte sich nicht daran erinnern, wie er ins Bett gelangt war. Das letzte, woran er sich erinnern konnte war... Schmerz.

„Sie hat dir fast das Leben mit ausgesaugt. Wir konnten sie aber vertreiben.“

Mona.

„So schnell sterbe ich nicht“, murmelte Jason. Ihm fiel auf, dass er einen Druckverband am Arm hatte, der sich bereits rötlich verfärbt hatte. Oder doch?

„Mach so etwas nie wieder!“, verlangte Lilian, immer noch mit tränenerstickter Stimme.

„Hab ich nicht vor“, gab er kleinlaut zu. Dann stellte er die Frage, die ihm schon die ganze Zeit auf der Zunge brannte, seit er wieder bei Bewusstsein war.

„Warum bist du noch hier, Lilian?“ Er hatte eher Ryan an seinem Bett erwartet, nicht seine Klassenkameradin.

Sie funkelte ihn halb wütend, halb belustigt an.

„Du Trottel!“, entfuhr es ihr. „Hast du es noch immer nicht bemerkt? Ich bin hoffnungslos in dich verliebt!“
 


 

Fortsetzung folgt...

Das Geständnis

Kapitel 27

~

Das Geständnis
 

Mit großen Augen starrte Jason die junge Hexe vor ihm an.

Ich bin hoffnungslos in dich verliebt.

Diese Worten summten durch seinen Kopf. Vielleicht halluzinierte er ja auch schon. Nach dem Blutverlust wäre das wohl nicht mal überraschend. Doch nur ein Blick in Lilians ehrliche, hellbraune Augen überzeugte ihn vom Gegenteil.

Lilian war wirklich in ihn verliebt!

Noch während dieser Gedanke in Jasons Kopf Gestalt annahm, reagierte sein Körper bereits. Seine Hautfarbe wechselte schlagartig von kreidebleich zu knallrot. Mit seinen siebzehn Jahren hatte er noch nie eine richtige Freundin gehabt. Dementsprechend überrumpelt war er auch von Lilians freimütigem Geständnis.

Dass sie sogar einen Teil dazu beigetragen hatte, ahnte er dabei natürlich nicht. Lilian mochte zwar bisher zu schüchtern gewesen sein um Jason direkt anzusprechen, aber ihre Hexenkräfte hatte sie durchaus das ein oder andere mal darauf verwandt, einen Liebesbrief verschwinden zu lassen, der an Jason adressiert war.

Langsam machte sich eine unangenehme Stille zwischen ihren breit. Jason schluckte. „Danke für deine Zuneigung, aber ich...“ Zaghaft schaute er sie an – hilfesuchend beinah. „Tut mir leid, ich weiß nicht recht, wie man in so einer Situation reagiert. Das hat mir noch kein Mädchen gesagt.“ Er fuhr sich mit den Fingern durch seine Haare und wirkte dabei zutiefst verlegen. Dennoch schenkte er Lilian ein Lächeln, welches ihren Bauch kribbeln ließ.

Das war wieder der Jason, den Lilian kannte und liebte. In letzter Zeit war er immer so angespannt, doch mit diesem verschämten Gesichtsausdruck sah er wieder ganz wie der unbeschwerte Junge aus, der er doch eigentlich war.

Das war zumindest ein Trostpflaster dafür, dass Lilian keine richtige Antwort bekam. Sie war nicht davon ausgegangen, dass er ihre Liebe sofort erwiderte, aber ein ganz kleiner Teil in ihrem Herzen hatte das möglicherweise gehofft.

Unnötig schwer wollte sie es ihrem Schwarm jedoch nicht machen. „Das ist schon in Ordnung.“ Jetzt, wo sie es ihm gesagt hatte, fühlte sie sich sogar ein wenig erleichtert. „Versprich mir einfach über meine Worte nachzudenken.“

Jason nickte. „Das werde ich.“ Seine Wangen glühten noch immer vor Verlegenheit. „Ach und... Lilian?“

Fragend sah sie ihn an. „Ja?“

Jason legte seine Hand über ihre und mit einem mal wurden seine Gesichtszüge ganz weich. „Danke.“
 

June hatte alles stehen und liegen lassen um zu Ryan zu gelangen. Er neigte nicht dazu sich in irgendeiner Form dramatisch darzustellen, weswegen sie genau wusste, dass tatsächlich etwas Schlimmes vorgefallen sein musste.

Zum ersten Mal seit langem war June froh ein so kleines Auto zu fahren. Einen Mini Cooper. Das Ding mochte zwar aussehen wie ein besserer Einkaufswagen, hatte aber durchaus Vorzüge im dichten Londoner Stadtverkehr.

Ihr Herz raste, als sie nervös an einer Ampel hielt. Ihre Finger schlossen sich verkrampft um das Lenkrad. Was in aller Welt mochte passiert sein? Ryan hatte wenig gesagt und dabei doch so verzweifelt geklungen. Ich brauche dich. June schossen die Tränen in die Augen. Ärgerlich wischte sie sie weg. Jetzt war wirklich ein ganz schlechter Zeitpunkt um zu heulen.

Sie würde Ryan niemals im Stich lassen – und, wenn sie sich dafür mit einer ganzen Horde von Vampiren anlegen musste.
 

Unterdessen hatte Carol den alten Laptop der Parkers in Betrieb gesetzt. Nicht ohne jegliche Schwierigkeiten, denn der Akku erfüllte nur noch rein dekorative Zwecke.

Wäre sie eine ganz gewöhnliche Hexe gewesen, so hätte sie vermutlich mittels Magie mit ihrem Zirkel Kontakt aufgenommen. Doch da sie alles andere als eine gewöhnliche Hexe war und noch dazu eher eine Einzelgängerin, wählte sie andere Wege. Darüber hinaus hatte sie herausgefunden, dass die Kristallgoogle jene altmodische Kristallkugel in einigen Fällen um Längen schlug.

Carol hegte eine vage Vermutung bezüglich Ryans außerordentlicher Fähigkeiten. Sie kannte niemanden sonst, der Vampiren nur durch bloße Berührung derartigen Schaden zufügen konnte. Aber sie wusste, dass es solche Menschen geben musste, denn es gab immer zwei Seiten einer Medaille.

Wenn die Vampire Geschöpfe der Finsternis und des Mondes waren, so war Ryan ein Kind des Lichts. Carol zog urplötzlich die Augenbrauen zusammen. Kind des Lichts. An irgendetwas erinnerte sie das. Allerdings klingelte es an der Tür, bevor sie in der der Lage war diesen Gedanken zuende zu führen.

Carol erhob sich seufzend um zu öffnen. Es war zwar nicht ihre Wohnung, aber die anderen hingen eigenen Sorgen nach.

Als sie eine völlig atemlose, besorgte June auf der Türschwelle vorfand, schlich sich ein beinah nachsichtiges Lächeln auf ihre Lippen. „Er ist im Wohnzimmer“, sagte Carol nur und ließ sie vorbei.
 

Ryan saß gebeugt auf dem Sofa und hatte das Gesicht in seinen Händen vergraben.

„Ryan?“

Als er seinen Name hörte, blickte er langsam auf. Junes Fingerspitzen strichen sanft über seine Wange. Er hatte sie gar nicht kommen gehört. Schmerzhaft zog sich sein Herz zusammen. Bis dato hatte er es geschafft sich irgendwie am Riemen zu reißen, doch nun da er June sah, fiel seine Selbstbeherrschung in sich zusammen wie ein Kartenhaus.

Er umarmte sie wie ein Ertrinkender. „Sie hat ihn verletzt“, flüsterte er mit brüchiger Stimme. „Du hattest Recht. Ich hätte sie niemals hierher bringen dürfen. Es ist alles meine Schuld. Es wäre meine Aufgabe gewesen, Jason zu beschützen.“ Er wurde immer lauter.

Trotz ihrer aufsteigenden Sorge um Jason und ihrer Neugier darüber, was eigentlich geschehen war, legte sie einen Finger auf Ryans Lippen. Er musste jetzt nichts sagen. Damit tat er sich nur selber weh. Mitfühlend legte sie ihre Arme um ihn und streichelte über seinen Rücken.

Ein Schluchzen entrang sich Ryans Kehle. Mit zitternden Fingern klammerte er sich an ihrem Pullover fest.

Es brach June fast das Herz ihn schwach und verletzlich zu sehen. Doch war es wirklich ein Zeichen von Schwäche, wenn man seine Gefühle so unverblümt zeigen konnte?

Sie kannte den Ryan, der niemals den Mut verlor und der eigentlich für jeden ein Lächeln übrig hatte. Diese Seite an ihm war ihr jedoch nahezu unbekannt.

Ihre Finger kraulten beruhigend seinen Nacken, als könnte sie seine Ängste damit vertreiben. Er fühlte sich warm an und doch spürte sie sein Zittern ganz deutlich.

June wusste nicht, wie lange sie so dort saßen, bis Ryan sich beruhigt und das Zittern nachgelassen hatte. Sie schaute ihn an, woraufhin er versuchte ihrem Blick zu entkommen, weil er sich für seine Tränen schämte. Doch June legte ihm sanft aber bestimmt ihre Hände auf die Wangen.

„Es ist nicht deine Schuld“, sagte sie leise. „Ich kenne niemanden sonst auf dieser Welt, der sich so für seinen kleinen Bruder einsetzt, wie du. Deswegen würde ich auch niemals glauben, dass es deine Schuld war.“

Ryan hätte ewig in ihre milden, haselnussbraunen Augen sehen mögen – es war wie Balsam für die Seele. Jedoch gab es Dinge, die gesagt werden mussten. „Mona hat Jason gebissen und nun ist er verletzt und sie fort.“ Langsam begann er zu berichten, was sich in der Wohnung der Parkers abgespielt hatte.

Über die Tatsache, dass es Mona gewesen war, welche in ihre Wohnung eingestiegen war, schien June nicht sonderlich überrascht. Blass hingegen wurde sie, als Ryan von Jasons Verletzung erzählte. Der Junge war ihr ans Herz gewachsen, wie ein eigener kleiner Bruder. Jason hatte überlebt, aber das bedeute nicht, dass sie außer Gefahr waren – denn zwischen ihm und Mona bestand anscheinend über Generationen hinweg eine Verbindung. Für Letztere konnte die sonst so sanftmütige June keinerlei Mitleid aufbringen. Sollte sie sich doch zum Teufel scheren, schoss es June unversöhnlich durch den Kopf.

Ryan war fertig mit seinem Bericht. Jetzt fühlte er sich müde, zerschlagen, aber auch irgendwie erleichtert. June hatte seinen Worten ohne Vorurteil gelauscht und auch jetzt war sie ihm noch ganz nah. Auch, wenn es traurig aussah, brachte Ryan ein kleines Lächeln zustande. „Warum liegt dir eigentlich so viel an mir?“ Dass es so war, daran bestand kein Zweifel.

June beugte sich vor und küsste ihn hauchzart auf den Mundwinkel. „Das muss ich dir nicht erst erklären, oder?“
 

Mona rannte durch die Dunkelheit. Egal, wie sehr sie sich bemühte, sie war nicht in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Von Panik erfasst, lief sie immer weiter bis ein harter Schlag in den Nacken ihre Flucht abrupt beendete.

Unsanft ging Mona zu Boden und schlug sich die Knie auf. Vor ihren Augen tanzten bunte Punkte. Wut verdrängte für einen Moment lang die Verwirrung. Leise fluchend rieb sie sich den schmerzenden Nacken.

„Wie oft willst du deinen Geliebten eigentlich noch töten?“

Die Stimme ließ Monas Inneres gefrieren. Nicht nur, dass dies scheinbar ihre schlimmste Befürchtung bestätigte – nein, sie wusste nun auch, mit wem sie es zu tun hatte.

Sie hob zögerlich den Kopf und blickte in zwei kindliche und beängstigend schöne Antlitze.

Kaum einer unter den Vampiren bekam die Zwillinge Ninon und Noël je zu Gesicht und doch wusste jeder, wer sie waren. Meistens hielt Lionel sie von anderen fern, weil sie unberechenbar waren.

Obgleich war es nicht Angst, die sich in Mona ausbreitete sondern pure Verzweiflung. Hatte sie den Jungen wirklich getötet? David. Schon wieder. Ihre Hände, welche sie eben noch zu Fäusten geballt hatte, sanken nun schlaff hinab. Warum sich noch wehren? Damit würde sie das Endergebnis doch nur hinauszögern.

Ninon kicherte fröhlich. „Siehst du, Bruder. Sie gibt von allein auf.“ Ihre grünen Katzenaugen funkelten vor Boshaftigkeit. Dank ihrer mentalen Fähigkeiten war sie in der Lage gewesen genau zu verfolgen, was sich in dem Haus zugetragen hatte. Sie wusste auch, dass Jason noch lebte. Nur ergötzte sie sich lieber an Monas Elend als ihr die Wahrheit mitzuteilen. Die dunkelhaarige Vampirin war viel zu aufgebracht um selbst Realität von Täuschung zu unterscheiden.

Doch mit einem hatte Ninon nicht gerechnet. Nämlich damit, dass Mona sich nun wie ein Berserker auf sie stürzte.

Der Orden hatte Mona alles genommen, was sie einst geliebt hatte. Und nun war sie es selbst, die jegliche Hoffnung zerstörte.

Sie wusste es beim ersten Schritt. Dieser Kampf war aussichtslos. Aber vielleicht war ihr dadurch zumindest ein schnelles Ende vergönnt.
 

Wie ein aufgescheuchtes Huhn lief Carol durch die Wohnung. Vielleicht machte sie ein wenig zu viel Aufhebens darum, dass sie ein kleines Puzzelteil für ihr Rätsel gefunden hatte, aber sie fand Euphorie durchaus angebracht. Im Grunde genommen hatte sie die Antwort die ganze Zeit über gekannt und ärgerte sich jetzt darüber. Das Naheliegenste verlor man leicht aus den Augen.

„Ich weiß jetzt die Lösung.“

June und Ryan hoben beide den Kopf, als die Hexe unvermittelt im Wohnzimmer auftauchte.

Ryan hatte sich dank June mittlerweile beruhigt und seine Stimme klang gefasster. „Was für eine Lösung?“, fragte er misstrauisch.

Triumphierend grinste Carol ihn an. „Du“, sagte sie schlicht. „Du bist die Lösung.“

Ryan und June wechselten einen verwirrten Blick miteinander.

Diese Reaktion ließ Carol schmunzeln. Den beiden war vermutlich gar nicht bewusst, wie oft sie zur selben Zeit das gleiche taten.

„Geht es etwas genauer?“, hakte June nach.

„Natürlich.“ Carol nickte. „Erinnert ihr euch noch daran, was ich vorhin gesagt habe? Dass eine Wiedergeburt immer einem bestimmten Zweck dient?“ Sie wartete keine Antwort ab, sondern fuhr gleich fort. „Genauso kann es vorkommen, dass zwei Schicksale dadurch untrennbar mit einander verbunden sind.“

Ryan starrte sie an, als hätte sie gerade irgendeine lateinische Weisheit von sich gegeben.

June war schon einen Schritt weiter. „Redest du von Jason und Mona?“

„Nein“, winkte Carol ab. „Noch ein Versuch.“

Da dämmerte es June. Carol hatte es ja vor wenigen Sekunden selbst angedeutet. „Jason und Ryan“, stellte sie nicht ohne Überraschung fest.

Carols breites Lächeln war Antwort genug.

Ryan kratzte sich derweil am Hinterkopf. „Ich fürchte, das verstehe ich nicht ganz.“

„Die Geburt deines Bruders stand unter einem gefährlichen Stern. Vom Schicksal war es so bestimmt“, erwiderte Carol ruhig. „Aber dieses drohende Unheil hast du ausgeglichen. Dir war es vorherbestimmt deinen Bruder zu beschützen.“ Sie musterte ihn mit freundlichem Blick. „Aber hauptsächlich hat wohl etwas anderes dich geführt.“

„Und was?“, wollte Ryan wissen.

Carol tippte gegen seine Brust. „Dein eigenes Herz war es.“ Sie schmunzelte, was ihr ein leicht diabolisches Aussehen gab. „Doch jetzt brauchen wir etwas anderes von dir.“
 

Jason erwachte, konnte sich aber nur mit Mühe dazu zwingen die Augen zu öffnen. Sein Kopf fühlte sich schwer an, ebenso wie seine restlichen Glieder. Er musste wieder eingeschlafen sein. Als er sich aufsetzen wollte, hielt in etwas zurück. Überrascht blickte er zur Seite. Lilian war selbst auf dem Stuhl eingedöst, doch sie hielt noch immer seine Hand.

Schmunzelnd betrachtete er die schlummernde Hexe. Sie sah wirklich unheimlich niedlich aus. Und zum ersten mal in ihrer Nähe fühlte er ein angenehmes Flattern im Bauch.

Das dringliche Klopfen an der Tür ließ ihn hochfahren. Etwas verlegen zog er seine Hand zurück. „Ja?“

Auch Lilian hob verschlafen den Kopf und rieb sich über die Augen.

Carol betrat als erste den Raum. „Wie fühlst du dich jetzt?“, wandte sie sich an Jason.

Der Junge lächelte bitter. „Könnte schlimmer sein.“

Carols Blick fiel auf den Verband um Jasons Handgelenk. Als sie ohne weiteres einen silbernen Dolch aus ihrer Tasche zog, zuckten alle zusammen. Selbst Lilian war jetzt hellwach.

„Was soll das werden?“, fragte sie beinah feindselig.

Beschwichtigend hob Carol die freie Hand. „Keine Sorge. Ich habe nicht vor Jason mit einem Messer zu attackieren. Bei so vielen Beschützern würde mir das auch bestimmt nicht gut bekommen.“ Sie klang amüsiert.

Seufzend trat Ryan neben Carol und hielt ihr sein Handgelenk hin. „Ich glaube zwar immer noch nicht daran, aber bringen wir es endlich hinter uns.“

„Was hinter uns bringen?“ Jason blinzelte verwirrt. „Was geht hier vor?“

„Sieh einfach zu.“ Carol ließ die scharfe Klinge über Ryans Haut gleiten – so leicht, dass nur ein paar Bluttropfen flossen. Sie löste Jasons Verband ehe sie mit bestimmtem Griff Ryans Arm über Jasons Wunde führte, welche von dem Blut benetzt wurde.

Lilian sog scharf die Luft ein.

Jason zuckte zusammen und wollte seine Hand gerade wegziehen als er zu seiner Überraschung feststellen musste, dass die Verletzung sich zu schließen begann. „Was zum...?“ Mehr bekam er nicht heraus. Wie in aller Welt war so etwas möglich?

„Simple Lösung“, meldete sich Carol erneut zu Wort. „Wenn Vampirismus eine Krankheit wäre, dann wäre Ryan das Heilmittel.“

Unterdessen war June an Ryans Seite getreten und hatte ein Taschentuch auf seine Wunde gelegt, doch auch bei ihm setzte der Heilungsprozess bereits ein. Sanft drückte er June an sich. Um sich selbst oder sie zu beruhigen – das wusste er nicht.

Triumph flackerte in Carols Augen auf und etwas, das stark an Bewunderung erinnerte. „Du, mein Lieber, bist ein Vampirjäger“, meinte sie zu Ryan. „Und die Tätowierung auf deiner Brust beweist es.“
 

Ryan hatte lieber nicht danach gefragt, woher Carol von seiner Tätowierung wusste. Nachdem June ihm berichtet hatte, wie die Hexe nur mit ihrem Geist in Wohnungen eindrang, konnte er es sich in etwa denken.

Woher kam das Mal auf seiner linken Brust und warum hatte er sich ausgerechnet für diesen Drachen entschieden? Und warum mussten alle Antworten, die sie fanden immer zu neuen Fragen führen. Ryan raufte sich leise fluchend die Haare.

So fern lag des Rätsels Lösung gar nicht mal. Er musste sich nur endlich dazu überwinden einen Anruf zu tätigen. Doch nun stand er schon fünf Minuten in der Küche und starrte das Telefon an. Schließlich überwand er seine Bedenken und wählte endlich. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sich eine fröhliche Stimme am anderen Ende der Leitung meldete.

„Hi, Mum“, murmelte er etwas kleinlaut.

Im Gegensatz zu seinem Vater empfand Ryan für seine Mutter keinen Hass. Doch manchmal kam sie ihm eher wie eine entfernte Verwandte vor, die man ein paar mal im Jahr anrief um sein Gewissen zu erleichtern. Er schämte sich für diesen Gedanken.

Victoria Almond, genannt Vicky, war nicht gerade das, was man sich unter einer typischen Mutter vorstellte. Vielmehr war sie selbst wie ein großes Kind, das lieber Tagträumen nachhing anstatt sich mit der Realität auseinander zu setzen.

Vicky war Anfang 50 und unterrichtete Yoga. Nachdem sie sich von Ryans Vater hatte scheiden lassen, hatte sie einen Bogen um alles gemacht, was sich auch nur im Entferntesten nach Ehe anfühlte. Doch flatterhaft wie sie war, lebte sie nun schon seit nahezu sechs Jahren mit einem gutmütigen Geschichtsprofessor zusammen – unverheiratet natürlich.

„Ryan!“, rief Vicky erfreut aus. „Wie geht es dir?“

„Ganz gut, Mum“, antwortete Ryan möglichst knapp. Er hatte jetzt weder die Zeit noch die Nerven sich auf ein längeres Mutter-Sohn-Gespräch einzulassen. Vor seinem inneren Auge tauchte das Bild seiner lebhaften, rothaarigen Mutter auf. Vermutlich war sie nicht mal beleidigt, wenn er sich kurz fasste. Was ihr an Verantwortungsbewusstsein fehlte, wog sie mit ihrem unkomplizierten Wesen wieder auf.

„Es gibt etwas, das ich dich fragen möchte“, begann Ryan vorsichtig.

„Klar, schieß los“, erwiderte Vicky munter.

Ryan atmete einmal tief durch. „Erinnerst du dich an mein Tattoo?“

„Ja, der Drache. Furchtbares Ding. Wenn du alt bist wird es aussehen wie eine übergewichtige Echse.“

Mühsam unterdrückte Ryan ein erneutes Seufzen. „Ja, genau die, Mum. Weißt du noch, warum ich mir damals ausgerechnet dieses Motiv habe stechen lassen?“

Vicky lachte als könnte sie nicht fassen, dass er sich daran nicht mehr erinnerte. „Weil dein Großvater genau dasselbe hat.“
 

Rupert Almond lebte im vornehmen Londoner Stadtteil Kensington – unweit des Hyde Park. Ryan hatte nie verstanden, wie der alte Mann sich das leisten konnte, wo er doch Zeit seines Lebens als einfacher Landschaftsgärtner tätig war. Nicht unbedingt der Beruf, der Männer zu Millionären machte.

Der Hauch von Luxus, welcher hier durch die baumgesäumten Alleen wehte, hatte Ryan nie behagt, aber sein Großvater mochte es nun einmal gern grün.

„Ryan.“

Junes Stimme holte ihn aus dem Reich der Träume zurück. Doch anstatt ihn zur Eile zu treiben, hielt sie ihm einfach nur die Hand hin.

Ryan schmunzelte, als er seine Finger mit ihren verschränkte und weiter dem Weg folgte. Solange sie bei ihm war, kam er sich nicht ganz so verloren vor. Die letzten Stunden hatten so ziemlich alles in seinem Leben infrage gestellt, was er über sich selbst zu wissen glaubte.

Dass nun ausgerechnet sein knurriger Großvater der Schlüssel sein sollte, erschien ihm auch nicht verrückter als alles andere. Obwohl – dass ein Mann, der mit Rosen so sanft sprach als wären sie seine Kinder, Vampire jagen sollte, war doch ein wenig absonderlich.

Mit leicht irritiertem Blick schlängelte sich Ryan um ein Denkmal von Prinz Albert herum. Fast kam es ihm so vor als würde man alle zwei Meter über eins dieser Abbilder stolpern.

Dann endlich hatten sie ihr Ziel erreicht. Das Stadthaus sah von außen nicht sonderlich beeindruckend aus, doch der Garten war geradezu imposant. Gott sei Dank hassten Ryans Großeltern Nippes, weswegen man hier zumindest keine Engelskulpturen fand. Eine Schrulligkeit erwartete jeden Besucher allerdings doch bevor er die Schwelle übertrat. Während vor Millionen von Türen eine Willkommens-Fußmatte lag, gab es hier eine mit der Aufschrift: Fortes fortuna adiuvat.

June zog eine Augenbraue hoch. „Den Tapferen hilft das Glück?“

Ryan nickte. „Ja, Opa mochte diesen ganzen lateinischen Kram schon immer“, erinnerte er sich und klingelte dann.

Es öffnete ihnen ein nicht überdurchschnittlich großer Mann mit etwas wirrem, grauen Haar. Trotz seines Alters wirkte er noch erstaunlich fit. Der Eindruck wurde abgerundet von der braunen, wettergegerbten Haut eines Gärtners.

Als Rupert seinen Enkel erkannte, trat ein lustiges Funkeln in seine Augen, doch es war June, die er zuerst begrüßte. „Herzchen, dich habe ich ja ewig nicht mehr gesehen.“ Fröhlich umarmte er die junge Frau. „Du musst die Geduld eines Engels haben, wenn du noch immer mit meinem Enkel zusammen bist.“

June lachte. „Ja, das muss wohl so sein. Hallo, Rupert. Es ist schön Sie wieder zu sehen.“

Ryans Wangen begannen zu glühen. Rupert hatte nie erfahren, dass sie sich getrennt hatten und June stritt gerade nicht ab, dass sie zusammen waren.

Bevor Ryans Herz sich allerdings auf direktem Wege zu Wolke Nummer sieben begeben konnte, begrüßte sein Großvater ihn mit einem gutmütigen Schlag auf die Schulter. „Na, dann kommt mal rein. Ihr kommt gerade rechtzeitig. Emily hat frische Scones gebacken.“

Emily, Ryans schwerhörige Großmutter, konnte mitunter ein echter Hausdrachen sein, war aber eine ausgezeichnete Köchin. Im Haus roch es angenehm nach Gebäck, duftendem Tee und Rosen.

Ryan fühlte sich sogleich heimelig, was dazu beitrug, dass er sich etwas entspannte. Möglicherweise war es doch keine so üble Idee gewesen, herzukommen.
 

Mit den beiden alten Leuten hatte Ryan nicht so leichtes Spiel, wie mit seiner Mutter. Offenbar genossen es die zwei mal wieder junge Menschen im Haus zu haben. Rupert beklagte sich darüber, dass all ihre gleichaltrigen Freunde so furchtbar langweilig geworden waren. Rollator-Rennen gehörten wohl nicht zu seinen liebsten Freizeitaktivitäten.

Flirten war da schon was anderes. Rupert nutzte schamlos aus, dass seine Frau sich in der Küche zu schaffen machte und schäkerte derweil ein wenig mit June.

Ryans Laune sank. Musste der Alte das unbedingt mit seiner June machen? Fast wäre er dem kindischen Impuls gefolgt seinen Großvater an Emily zu verraten. Aber es hatte wirklich Vorteile, dass sie gerade nicht im Zimmer war, denn so konnte Ryan endlich zu dem Punkt kommen, der ihn hierher geführt hatte.

Ryan öffnete sein Hemd ein Stück weit, bis die Drachentätowierung aufblitzte, die sich seine Brust hinaufschlängelte. „Du trägst dasselbe Bild auf deiner Haut – oder, Großvater?“

„Ja, die Tätowierung habe ich auch.“ Rupert blickte gemächlich auf. Irgendwie schien er zu ahnen, was als nächstes kam. Mit einem leisen Seufzen erhob er sich und klopfte seine Hose aus, obwohl daran gar kein Staub haftete. „Tja, dann gehen wir wohl mal in mein Arbeitszimmer.“

Erst wunderte sich Ryan, woher sein Großvater so genau wusste, was sie von ihm wollten, aber dann dämmerte es ihm. Wenn es stimmte, was Carol behauptete, war das im Grunde genommen sogar logisch. Ein Vampirjäger, der nicht bemerkte, was die Vampire in der Stadt trieben, wurde bestimmt keine 70 Jahre alt.
 

Fortsetzung folgt... (irgendwann mal XD)

Familie

Kapitel 28

~

Familie
 

„Lady Ashara? Lionel wartet vor der Tür.“

Die Vampirin hob sacht den Kopf, dann nickte sie. „Danke, Rick. Bring ihn rein.“

Der farbige Vampir verneigte sich, dann machte er auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum, um ihren Befehl auszuführen.

Sie seufzte. Asha war schon immer der Meinung gewesen, dass Lionel viel zu sanftmütig war für seinen Posten. Vielleicht hätte sie ihn schon längst entlassen sollen, dann wäre es möglicherweise gar nicht erst zu all dem gekommen. Aber viele der Vampire niederen Ranges hörten auf ihn und er war sonst immer sehr loyal gewesen – Fähigkeiten, die sie an ihm eigentlich schätzte.

Die Obere erhob sich langsam von ihrem Schreibtisch und trat zu der Glastür, die zum Balkon führte, um sich den Vollmond anzusehen. Das volle Licht des hellen Mondes beleuchtete ihr bleiches Gesicht, doch ihre hellblauen Augen nahmen ihn kaum wahr. Sie war zu versunken in die Geschehnisse der letzten Nacht.
 

„Nicht doch, Ninon. Verletz ihre Hände nicht. Sie spielt viel zu begnadet Klavier, um ihr die Finger zu brechen.“

Die kleine Vampirin ließ tatsächlich ab von ihrer Beute, als sie erkannte, wer da mit ihr sprach. „Lady Ashara. Welch eine Freude, Euch zu sehen.“

„Die Freude ist ganz meinerseits, Schätzchen. Aber sie dir an, was du mit Mona angerichtet hast. Welch ein Trauerspiel. Ein Glück, das sie noch lebt.“ Sonst würde es ja auch gar keinen Spaß machen, sie zu quälen, nicht wahr?

Noël hatte ebenfalls von der dunkelhaarigen Vampirin abgelassen, als Asha aufgetaucht war. Niemand würde je wagen, sich gegen die Obere zu stellen, nicht einmal er.

„Sie hat selbst Schuld“, murrte er.

„Ja, das hat sie, gewiss. Aber ich brauche sie noch.“ Immerhin habe ich sie erschaffen.

Mona war noch bei Bewusstsein, aber schwer verletzt. Die Zwillinge hatten ganze Arbeit geleistet, die Klavierspielerin beinahe zu töten.

Asha klappte ihr Handy auf und wählte eine Taste. „Rick, Schätzchen, ich brauche ein Säuberungskommando. Und jemanden, der Mona in die Kammer bringt.“ Sie klappte das Handy wieder zu, ohne auf eine Antwort von ihrem Diener zu warten. Rick würde wissen, was zu tun ist, auch ohne, dass sie ihr Anliegen näher erklärte. Deshalb mochte sie ihn ja so.

„Wo ist ihr Umhang?“, fragte sie die beiden jungen Vampire.

„Sie hatte ihn nicht bei sich“, antwortete Ninon.

„Ein Jammer. Wer weiß, wo sie ihn gelassen hat? Das Ding ist wertvoll, wir brauchen es auf jeden Fall zurück. Aber nun, Kinder, geht wieder spielen, seid so gut. Ich rufe euch, wenn ich euch wieder brauche, ja?“

Sowohl Noël als auch Ninon nickten lächelnd und verschwanden.
 

Als Lionel ihr Büro betrat, drehte sich Asha zu ihm um. Ihr glattes, langes, dunkelbraunes Haar umspielte ihr fein geschnittenes Gesicht, in welchem sich ein freundliches Lächeln zeigte. Ein falsches Lächeln. Eins von der Art, vor denen man Angst haben sollte.

„Ihr habt nach mir gerufen, Mylady?“

„Gewiss. Und du wirst auch sicher wissen, warum, nicht wahr, Lionel?“

Sie konnte hören, wie der Vampir schluckte. Das erfüllte sie mit einer gewissen Genugtuung.

„Wegen Mona.“

Ashas Lächeln wurde breiter, als sie mit ruhiger Stimme weitersprach. „Richtig. Ich musste ihr viel von meinem Blut geben, damit sie mir nicht wegstirbt. So wird sie zwar zu einer willenlosen Puppe, aber immerhin lebt sie. Aber sag mir, Lionel, wie konnte es überhaupt so weit kommen? Wie konntest du sie entwischen lassen? Du weißt, dass sie nicht freiwillig bei uns ist.“

„Ich bitte um Verzeihung, Mylady. Sie hat sich zuvor immer gut benommen, deshalb habe ich ihr mehr Freiheiten gestattet.“ In seiner Stimme klang Furcht mit.

„Ist das so? Oder lag es eher daran, dass Eve dich gebeten hat, ihr mehr Freiheiten zu lassen?“

Wieder ein Schlucken seitens Lionel. Ah, wir kommen der Wahrheit schon näher. Interessant.

Asha ließ dem anderen Vampir keine Zeit zu einer Antwort. „Lionel, ich enthebe dich mit sofortiger Wirkung aus deinem Amt, bis du wieder Herr deiner eigenen Sinne bist. Eve verdreht dir zu sehr den Kopf, fürchte ich.“

„Aber...“ Ihm stockte der Atem, den er bis eben unbewusst angehalten hatte. Natürlich brauchten Vampire gar nicht zu atmen, aber es war eine Angewohnheit, die sich nur schwer ablegen ließ.

„Widersprichst du mir?“ Die Stimme der Oberen klang scharf. Gefährlich.

„... nein, Mylady...“

„Gut. Es wäre ein Jammer, wenn ich gezwungen wäre, dich zu züchtigen. Folge mir.“

Lionel sah seine Herrin, die so etwas wie seine Vorgesetzte war, fragend an. Was hatte sie mit ihm vor?

Als sie vor einer Kammer im Schloss ankamen, wusste er, was. Er konnte das Klavier hören. Mona spielt.

Ein vor der Tür postierter Vampir öffnete die Tür der Kammer und die Musik wurde sogleich lauter und wohlklingender.

Mona saß an einem Klavier und spielte, ohne auch nur ein einziges Mal die falsche Taste zu drücken. Sie trug ein dunkles Samtkleid, wie es genau ihre Mode war und ihr Haar war zu einem Zopf gebunden. Lionel konnte erkennen, dass sie Bissmale am Hals hatte. Und nicht nur am Hals, auch ihre Arme schienen damit übersäht zu sein. Aber am Erschreckensten waren ihre Augen. Sie hatten nicht mehr das Feuer, das sie zuvor besaßen, sondern blickten willenlos auf ihre Hände herab. Mona schien nicht zu bemerken, dass jemand ihre Kammer betreten hatte.

„Sieh sie dir an, Lionel. Das ist nicht die Hexe, die sie einmal war. Das ist nur noch eine klavierspielende, leere Hülle einer Hexe. Aber so kann ich sie nicht gebrauchen.“

„Was können wir dagegen tun?“, wagte Lionel zu fragen.

„Oh, das ist ganz einfach. Bring mir Eve.“
 

Jason war noch immer ziemlich fertig, obwohl sich seine Bisswunde oberflächlich komplett geschlossen hatte. Er wollte nichts lieber, als noch ein bisschen schlafen, als sein Bruder, June und Carol endlich sein Zimmer wieder verlassen hatten. Und als sein Blick auf Lilian fiel, die sich wieder auf den Stuhl neben seinem Bett gesetzt hatte, bemerkte er, dass auch sie dunkle Ringe unter den Augen hatte und noch viel Schlaf gebrauchen konnte.

„Leg du dich ins Bett und schlaf ein bisschen“, sagte er. „Ich leg mich aufs Sofa.“

Die Hexe sah ihn an, als wäre er vollkommen verrückt. „Nein, das geht nicht. Ich werde dich nicht aus deinem Bett vertreiben“, lehnte sie sofort ab.

Jason hatte keine Lust auf lange Diskussionen, dafür war er viel zu müde – und vermutlich hatte sich ein Teil seines Verstandes bereits verflüchtigt.

„Dann leg dich doch zu mir.“ Er konnte sie doch nicht einfach auf dem unbequemen Schreibtischstuhl lassen.

Lilian glaubte, sich verhört zu haben. Das muss ein Traum sein, dachte sie. Sowas ist nur im Traum möglich.

Ihr fielen die Augen bereits halb wieder zu, weshalb sie keinen weiteren Widerstand leistete, sondern einfach nur tat, wie geheißen. Sie kuschelte sich neben ihn in das schmale Bett und noch bevor sie sich richtig zugedeckt hatte, waren sie beide bereits eingeschlafen.

„Wollen wir heiraten, Mona?“

David freute sich sehr. Er würde Vater werden! Man konnte seiner Freundin die Schwangerschaft bereits ein wenig ansehen.

„Ich täte nichts lieber als das“, antwortete sie. „Aber ich bin die Seherin. Der Zirkel wird es nicht gern sehen. Und meine Eltern auch nicht.“ Ihr Blick war ein wenig traurig, als sie dies sagte. Ihre haselnussbraunen Augen füllten sich bereits mit Tränen.

„Nur, weil ich aus einer Familie von Bauern stamme? Sind die Hexen so viel besser als wir Bauern?“

„Nein. Du trägst kein Hexenblut in dir. Das ist der Grund. Es wird meine Hexenlinie verdünnen. Die Seherin sollte stets in eine andere Linie einheiraten.“

„Aber dafür ist es doch eh bereits zu spät!“, rief er, auf ihren Bauch deutend.

Sie nickte, und eine Träne rollte ihr über die Wange.

Und nun wusste er, warum sie so verzweifelt war.
 

Der Traum hallte in ihrem Kopf noch nach, als Lilian wieder erwachte. Was war das denn? fragte sie sich. Eine Vision?

Erst dann fiel ihr auf, dass Jason sie ansah, ihr direkt in die Augen schaute.

Sie lagen dicht aneinander in seinem Bett, beinahe Nase an Nase.

Lilian wurde auf der Stelle knallrot.

Jason lächelte, bekam aber eine ähnliche Gesichtsfarbe.

Beide wussten nichts zu sagen, bis Lilian der Traum wieder einfiel.

„Ich habe Seltsames geträumt“, murmelte sie.

„Du auch?“, fragte er. So langsam normalisierte sich seine Gesichtsfarbe wieder.

„Ja. Von Mona und... David“, antwortete sie.

Jason war schlagartig hellwach. „Du hast auch von Mona und David geträumt?“

Die Augenbrauen der Hexe verzogen sich fragend. „Wie, ich auch?“

„Ich habe davon geträumt, wie sie seinen Heiratsantrag mehr oder weniger ablehnt“, erklärte Jason.

„Oh.“ Lilian richtete sich auf und strich sich ihre langen Haare zurück. „Dann haben wir wohl das gleiche geträumt.“

„Wie kann das sein?“ Auch er setzte sich hin und ignorierte die pochenden Kopfschmerzen dabei.

„Ich bin die Seherin. Vielleicht habe ich dich einfach an einer Vision teilhaben lassen“, überlegte sie. Sie wusste gar nicht, ob das möglich war, aber anders konnte sie es sich auch nicht erklären, dass sie beide zeitgleich denselben Traum träumten.

„Aber ich habe schon zuvor solche Träume gehabt. Von Mona“, gab er zu bedenken.

Lilian sah den jungen Fußballer an, der ihr so nah war und in den sie schon so lange verliebt war. „Du bist eine Wiedergeburt von David, oder? Das hat doch Mona gesagt?!“

Jason nickte. „Ja, das hat sie gesagt.“

„Und diese Carol meinte doch, eine Wiedergeburt habe immer einen bestimmten Grund“, erinnerte sich Lilian. Sie kletterte aus dem Bett und strich ihren knielangen Rock glatt.

Sie trägt gar keine Schuluniform, bemerkte Jason. Er hatte sie bisher immer nur in ihrer Schuluniform gesehen, aber nun trug sie diesen schwarzen Rock und eine hellblaue Bluse und er fand, dass sie gut darin aussah. Wieder breitete sich Röte auf seinem Gesicht aus, als er an ihr Geständnis dachte und verdrängte diese Gedanken schnell wieder.

Lilian sprach ohne Unterbrechung weiter. „Vielleicht war David ja einer deiner Vorfahren.“

„Das könnte sein“, stimmte er ihr zu. „Allerdings kenne ich niemanden aus meiner Familie außer Ryan oder meinen Vater.“ Den letzten Satz sprach er sehr leise.

Das erinnerte Lilian daran, dass sie ihn noch etwas fragen wollte zu dem, was sich zuvor abgespielt hatte.

„Was ist eigentlich mit deinem Vater? Ryan war sehr wütend, als du ihn erwähnt hast.“

Sie fragte sich ohnehin schon länger, warum ihr Schwarm überhaupt mit seinem Bruder zusammenwohnte, statt mit seinen Eltern, aber ihre Frage bereute sie fast sofort, als sie seinen Blick bemerkte. Jetzt sieht er genauso verletzlich aus, wie Mona in dem Traum.

„Ah, sorry, es stand mir nicht zu, danach zu fragen“, versuchte sie, die Situation zu retten.

„Nein, schon gut. Du hast mir dein größtes Geheimnis anvertraut. Also kann ich dir nun vielleicht auch meines verraten.“ Ein freudloses Lächeln umspielte seine Lippen.

Die Hexe fühlte sich schrecklich, setzte sich aber wieder auf Jasons Schreibtischstuhl, als er andeutete, dass er ihr alles erzählen würde.

„Wusstest du, dass Ryan und ich nur Halbbrüder sind?“, fragte er sie, während er sich normal aufs Bett setzte, um sie besser ansehen zu können.

„Nein“, sagte sie, überrascht von diesem Wissen. Die Brüder waren sich äußerlich so ähnlich, dass sie niemals darauf gekommen wäre.

„Wir haben denselben Vater, aber unterschiedliche Mütter. Leider durfte ich meine Mom nicht kennen lernen, sie starb, als ich noch ein Baby war.“

Sofort keimte Mitleid in Lilian auf, als sie dies hörte. Ohne Mutter zu sein, war sicher schrecklich.

„Sie war die Sekretärin meines Vaters und als Ryans Mutter von der Affäre erfahren hat, hat sie sich sofort von ihm getrennt. Wir sind dann beide bei unserem Vater geblieben. Der ist allerdings ein hoffnungsloser Säufer und ein Mistkerl! Ich weiß nicht mal, wie ich vorhin auf ihn gekommen bin. Vielleicht, weil er so reich ist.“

Auch dies war eine Überraschung für Lilian. Die Brüder wirkten nicht so, als wären sie sonderlich reich, auch wenn Jason die gleiche Privatschule wie sie besuchte.

„Ryan hat mich immer beschützt und sich immer um mich gekümmert. Vater hat uns oft geschlagen, deshalb hasst Ryan ihn so. Er ist so schnell ausgezogen, wie es ihm möglich war und natürlich hat er mich mitgenommen. Er hätte mich niemals allein bei dem Säufer gelassen. Seitdem haben wir nichts mehr von ihm gehört.“

„Du liebst deinen großen Bruder sehr, nicht wahr?“ Man konnte es ihm sehr anhören, wenn er von Ryan sprach.

„Natürlich. Er ist meine einzige Familie. Er und June. Es ist ein Jammer, dass die beiden sich getrennt haben.“

„Eh? Die beiden sind nicht zusammen? Sie sehen aus wie ein Pärchen!“, fand Lilian.

„Sie waren eins und ich arbeite daran, die beiden wieder zu verkuppeln“, meinte Jason. Der Gedanke an June tröstete ihn stets. Sie war toll.

„Warum hat euch Ryans Mutter nicht einfach aufgenommen?“, fragte Lilian nun nach. Sie fand es seltsam, dass sie ihren Sohn einfach zurückgelassen hatte.

„Ich weiß es nicht so genau. Ryan meint immer, sie sei nicht in der Lage, sich um irgendwas anderes zu kümmern, als um sich selbst – und selbst das kriegt sie kaum gebacken. Und ich glaube, sie mag mich nicht. Bestimmt erinnere ich sie an die Affäre ihres Ex-Mannes.“

„Bist du dir da sicher? Du bist vielleicht nicht mit ihr blutsverwandt, aber immerhin ist ihr Sohn dein Bruder, oder nicht?“ Lilian verstand allmählich, warum Jason von seiner Familie als Geheimnis sprach. Es musste sich furchtbar anfühlen, keine richtige Familie zu haben. Auf einmal kam ihr ihre eigene Familie gar nicht mehr so schrecklich vor.

„Ich bin sicher. Vicky konnte meinem Vater nie verzeihen. Aber ihr Vater ist noch schlimmer. Als Ryan mich einmal mit zu seinen Großeltern genommen hat, hat mich Mr. Almond direkt wieder rausgeworfen und beschimpft. Und ich kann es ihm nicht mal verübeln.“

Lilian hatte genug gehört. Sie stand ganz plötzlich auf und umarmte den sitzenden Jason, der viel zu verblüfft war, um zu reagieren.

Sie drückte ihn sanft an sich und strich ihm über die kurzen Haare, als könnte sie seine seelischen Wunden, an denen er offensichtlich litt, damit lindern.

Natürlich lief er dabei wieder rot an, aber gleichzeitig fühlte es sich auch irgendwie schön an.

Er stellte fest, dass er Lilian wirklich mochte. Sie war unkompliziert und ehrlich.

Dieses Mal umspielte ein aufrichtiges Lächeln seine Lippen – bis ihm bewusst wurde, dass sein Kopf auf der gleichen Höhe war wie ihre Brüste. Diese Tatsache verdoppelte gleich seine Röte, dann schob er sie vorsichtig von sich. Ganz schön weich, diese Dinger, konnte er sich nicht verkneifen zu denken. Und größer, als ich dachte.

„Was ....was David betrifft, sollten wir Nachforschungen anstellen, ob er tatsächlich ein Vorfahre von dir ist“, sagte Lilian, um auf ein anderes Thema zu lenken. Auch ihr Gesicht war wieder rot. „Dazu könnten wir morgen nach der Schule mal die Ämter abklappern.“

„Ja, das sollten wir machen. Dann finde ich vielleicht auch endlich heraus, was es mit diesen Träumen auf sich hat“, stimmte er ihr zu.

An die Schule hatte Jason länger nicht mehr gedacht, aber Lilian hatte Recht – sie mussten endlich mal wieder hingehen. Sie hatten jetzt beide länger gefehlt. Der Fußballclub würde ihn schon schmerzlich vermissen und er wagte auch gar nicht darüber nachzudenken, wie viele Klausuren er verpasst hatte. Hoffentlich konnte er seinen guten Notenschnitt noch halten!

Als er an die Noten dachte, fiel ihm auf, dass auch Lilian eigentlich eine sehr fleißige und gute Schülerin war. Sie konnten öfter mal zusammen lernen, überlegte er. Dann könnten wir uns auch öfter sehen.

„Aber jetzt würde ich gern erst mal etwas essen“, sagte er und zur Unterstreichung dieser Worte knurrte sein Magen.
 

Carol war wieder nach Hause gegangen, nachdem Ryan endlich mit seiner Mutter telefoniert hatte. Für die moderne Hexe war es auch langsam Zeit gewesen. Der Morgen graute bereits und sie war müde.

Nun war sie froh, wieder in ihrer eigenen Wohnung zu sein, auch wenn sich in dieser noch immer diverse Umzugskartons stapelten.

Sie lächelte, als sie daran zurückdachte, wie sie sich verabschiedet hatte. Ryan und June hatten auch gleich mit ihr die Wohnung verlassen wollen und so hatten sie noch einmal nach dem verletzten Jungen gesehen. Ryans Blick war köstlich gewesen, als er feststellen musste, dass sein kleiner Bruder zusammen mit der Seherin im selben Bett lag und sie beide tief und fest schliefen.

Carol hatte sich bereits ihr Nachthemd ausgezogen und wollte nun ein bisschen Schlaf nachholen. Sie ging noch einmal durch ihre Wohnung, um das Licht auszumachen, als ihr Blick auf ihren Küchentisch fiel, auf den sie einen kleinen Laptop und einen schwarzen Umhang abgelegt hatte. „Ich bin schon gespannt, was ihr für Geheimnisse in euch bergt“, murmelte sie grinsend, strich noch einmal über den Laptop und verließ dann schließlich die Küche.

Sie war sich sicher, dass Ryan und Jason nicht einmal auffallen würden, dass sie Monas Habseligkeiten einfach mitgenommen hatte. Dank ihres kleinen Blendzaubers hatten June und Ryan nicht einmal gesehen, wie sie die Sachen mitgenommen hatte.

Die Hexe stieg diabolisch lächelnd in ihr Bett.
 

Ruperts Arbeitszimmer erwies sich als Vickys ehemaliges Kinderzimmer. Offenbar hatte noch nie jemand darin renoviert, denn noch immer hing eine mit Rosen bedruckte Tapete an der Wand, die genau zu Ryans Mutter passte. Auch ihr Bett stand noch immer in dem Raum, der Rest jedoch wollte so gar nicht zu der Tapete passen – an den Wänden hingen Jägertrophäen und Gewehre. Ein großer Sekretär aus der Kollektion „Eiche rustikal“ stand an der einen Wand und war geschlossen. Auf diesen steuerte Rupert nun zu und steckte einen kleinen Schlüssel in ein Fach, das verschlossen war.

„Ich ahnte, dass es eines Tages so weit sein würde“, sagte er. „Ryan, du warst schon immer ein großer Beschützer.“ Dabei dachte Rupert natürlich an dessen kleinen Bruder, den er nicht sonderlich leiden konnte, war er doch der Grund gewesen, warum seine Tochter eine zeitlang furchtbar unglücklich gewesen war. Einmal hatte er ihn aus lauter Wut heraus sogar aus dem Haus geworfen, was er noch heute bitterlich bereute, denn Ryan hatte ihm dafür sofort ordentlich den Marsch geblasen. Und das mit zarten 19 Jahren! Das hatte Rupert ganz schön imponiert, er hätte nie gedacht, dass sein Enkel mal das Wort gegen ihn erheben würde.

Wenn er nun so recht darüber nachdachte, hatte er Jason seitdem nicht mehr gesehen. Ryan hatte ihn nie wieder mitgebracht. Dafür aber seine überaus reizende Freundin June.

Er öffnete das Fach und holte eine Pistole hervor.

„Das ist eine SIG P220, sie kann neun Schuss abgeben. Hier.“

Rupert reichte seinem Enkel die Waffe, die dieser sehr vorsichtig in die Hand nahm und eher wenig begeistert musterte.

„Ich habe spezielle Kugeln für das Ding. Allerdings wirst du erst mal einen Waffenschein machen müssen, bevor du sie benutzen darfst. Der MI5 sieht es nicht gerne, wenn diese Waffen ohne Schein benutzt werden. Vielleicht willst du ja Sportschütze oder Jäger werden.“

„Die Kugeln sind aus Silber, nehme ich an?“, fragte Ryan. Er hätte nicht damit gerechnet, dass sein Opa ihm eine Schusswaffe in die Hand drücken würde. Er hatte eher mit ein paar Antworten gerechnet.

„Natürlich. Wie sollte man sonst einen Vampir zur Strecke bringen? Die Zeiten des Holzpflocks sind jedenfalls schon lange vorbei.“

June hatte eine ganz andere Frage. „MI5? Die Regierung weiß, dass Vampire existieren?“

„Natürlich, Herzchen. Es gibt jede Menge Vampirjäger und Hexen, die in der Regierung oder beim MI5 sitzen und alles vertuschen, was mit ihnen oder den Vampiren zu tun hat. Man will ja immerhin auch keine Massenpanik. Dem Vampirproblem wird man dadurch aber leider nicht Herr. Von denen sitzen auch zu viele in hohen Stühlen.“

„Hast du schon viele Vampire vernichtet, Großvater?“

„Wäre ich sonst noch am Leben? Ich habe jeden einzelnen umgebracht, der mir in die Quere kam. Der letzte ist allerdings schon etwas her, ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste. Und nun liegt es auch an dir, diesen Monstern den Gar aus zu machen.“

Ryan dachte an Mona und fand die Bezeichnung Monster für sie sogar ganz passend, immerhin hatte sie seinen Bruder verletzt. Er würde ihr das nie verzeihen, da mochte sie noch so gute Gründe für diese Tat haben! Die Tatsache, dass Jason ihr sein Blut freiwillig angeboten hatte, ignorierte er einfach. Es rechtfertige Monas Verhalten keineswegs.

„Wie kommt es eigentlich, dass Ryan in der Lage ist, die Vampire mit bloßer Berührung zu Verbrennen?“, fragte June. Diese Frage brannte ihr schon die ganze Zeit auf der Zunge.

„Was? Du hattest bereits Kontakt zu ihnen? Damit bist du weiter, als ich gedacht habe!“, rief Rupert überrascht aus. Dann räusperte er sich und beantwortete die Frage von June.

„Vor einigen Jahrhunderten haben die Hexen einen Blutbann gewirkt, der dafür sorgt, dass wir gegen einige der vampirischen Fähigkeiten immun sind. So können sie uns zum Beispiel nicht so leicht hypnotisieren. Und sie können eine Berührung nicht ertragen. Wie das ganze Funktioniert, weiß ich nicht, dass müsst ihr eine Hexe fragen. Offenbar kennt ihr schon eine, sonst hättet ihr bereits gefragt, ob es denn Hexen wirklich gibt.“

Vor Ryans geistigem Auge tauchte sofort das Bild von Lilian und Jason auf, die beide friedlich zusammen im Bett lagen und schlummerten. Er wurde leicht rot, als er daran dachte, dass sein Bruder nun offenbar eine Freundin hatte. „Ja, wir kennen in der Tat eine“, nickte er.

„Ich finde es erstaunlich, dass diese Magie auch jetzt noch aktiv ist, wenn sie schon vor Jahrhunderten gewirkt wurde“, staunte June, fasziniert, dass so etwas möglich war.

„Nun ja“, sagte Rupert, „leider wird die Magie von Generation zu Generation schwächer, da das Blut dünner wird. Aber das Problem haben die Hexen selbst ja leider auch. Leider werden wohl nur Frauen zu Hexen, ein Jammer, das macht ihr Problem umso größer.“

„Du weißt ja echt eine ganze Menge über diese Sachen, Großvater“, meinte Ryan. Er war wirklich erstaunt, wie wenig er Rupert tatsächlich kannte. „Besonders über Hexen.“

„Nun, ich kannte mal eine ganz gut. Leider ist sie voriges Jahr gestorben. War auch nicht mehr die Jüngste, die gute Melissa Jones.“

Ryan sah June an und lächelte. So langsam ergaben die Ereignisse der letzten Zeit Sinn und er fühlte sich nicht mehr ganz so verloren. Er wollte noch mehr herausfinden und als er June zurücklächeln sah, wusste er, dass sie ihm dabei helfen würde.
 

Fortsetzung folgt...



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Kommentare zu dieser Fanfic (38)
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Von:  Taroru
2013-04-24T18:03:24+00:00 24.04.2013 20:03
wow, endlich was zum lesen :-D
das einzige ist... gott.... man kann doch nicht einfach an so einer stelle aufhören! ich will doch sofort weiter lesen! :-p

im ersten moment war ich auch ziemlich verwirrt, mit diesem springen der schauplätze, aber als ich es noch mal gelesen hatte, war alles wieder gut, ich konnte doch wieder zu ordnen wer nun wie wo zusammenhing :-D
ich hoffe es geht bald weiter, ich mag nämlich nicht warten sondern wissen, was nun ist. und wie sich das alles überhaupt noch entwickeln wird.
Von:  Taroru
2012-06-28T20:02:03+00:00 28.06.2012 22:02
also ich muss ja sagen, das warten hat sich echt gelohnt *lach*
und ich mag carol immer mehr *lach* sie ist echt herrlich ^^
ich muss sagen, den charas wurde richtig leben eingehaucht ^^ gefällt mir ausgesprochen gut, nach wie vor XD
aber das letzte, das in klammern... das geht so nicht, das geht nun wirklich nicht! nichts da irgendwann mal... sondern bald, das hoffe ich jedenfalls :p
ich will doch wissen, wie es weiter geht, was es mit dem tattoo auf sich hat und überhaupt wie sich alles weiter entwickeln wird. auch mit mona und so weiter und sofort :p
es ist echt zu viel, was ich wissen mag, das kann ich hier nicht alles aufzählen *lach*

ich hoffe das es sehr bald weiter geht ^^
Von:  Taroru
2011-10-19T19:10:28+00:00 19.10.2011 21:10
*vom stuhl gefallen ist*
o.o
ich bin echt erschlagen.... das ist schon wieder eine wendung, mit der man gar nicht rechnen konnte XD
junge junge junge.... ich konnte gar nicht aufhören zu lesen o.o
vorallem die darstellung der situation, sachlich, einfach.... und so was von spannend >.< gott... ich konnte die athmosphäre praktisch spüren o.o
und überhaupt... es ist einfach so verdammt realistisch geschrieben, das ich jedes wort glaube, vampire, hexen... (ich glaube tatsächlich das es dinge auf erden gibt die man nicht erklären kann, da gehört das dazu >.>)
die reaktionen der einzelnen sind sehr gut geschrieben, ich kann sie alle jeden einzelnen sehr gut verstehen. ich bin jedenfalls hin und weg und hoffe das ich sehr bald weiter lesen kann ;p
Von:  Taroru
2011-08-15T18:08:41+00:00 15.08.2011 20:08
und weiter? o.o
das war eindeutig zu kurz *lach*
dafür wieder umwerfend geschrieben ^^ ich mag die charas immer mehr *lach*
auch die beziehung unter den hexeen zum beispiel, finde ich sehr gut dargestellt. man merkt das sie anders sind, das wirkt aber nicht so übermenschlich, sondern einfach normal XD
und das finde ich gut ^^

ich bin gespannt wie es weiter geht ;p und hab noch so einige fragen, die beantwortet werden müssen ;p
Von:  Taroru
2011-07-13T21:44:38+00:00 13.07.2011 23:44
waaahhhh *vom stuhl fall*
das ist ja nocht kürzer >.<
da bin ich ja mit lesen viel zu schnell fertig >.<
vorallem, wenn es sich so gut weg liest >.<
menno *noch mal liest*


also *lach* XD
ich finds gut geschrieben ^^ wirklich ^^
vor allem hat man hier auch noch mal so einen realitäts anteil XD sprich, ich finde es realistisch geschrieben ^^ ich finde die handlungen so nachvollziehbar ^^ es ist einfach verdammt lebendig geschrieben XD
so macht das lesen spaß ;p
auch wenn ich viel zu schnell bin und die kappis verschlinge *lach* XD
Von:  Taroru
2011-07-13T21:39:26+00:00 13.07.2011 23:39
boa o.o
ich weiß gar nicht was ich sagen soll o.o
außer das das kappi verdammt kurz ist >.<

*lach* aber hier kommt es schon wieder zu einer unerwarteten wendung XD
ich bin ja gespannt was carol so alles weiß und wie sie überhaupt so ist XD

vom lesefluss bin ich noch immer sehr angetan ^^ ist nach wie vor flüssig geschrieben ^^ hat echt spaß gemacht zu lesen ;p
Von:  Taroru
2011-01-15T15:42:16+00:00 15.01.2011 16:42
>.<
super geschrieben *.*
wirklich.... die kommen mir alle so menschlich vor >.< (sollen sie ja auch *lach*) ich finde die reaktionen super.... gut, das mona so reagieren würde, war wirklich überraschend! aber es ist auch sehr passend, und musste einfach kommen ^^ das lässt sie wirklich lebendig wirken ^^ das ist großartig ^^
auch die reaktionen zwischen lil und ihrer freundin sind super, ich kann mir das sehr gut vorstellen, auch die gedanken usw.
das kommt alles wirklich sehr lebendig rüber ^^
*noch immer begeistert ist*
Von:  Taroru
2010-12-25T22:28:15+00:00 25.12.2010 23:28
ich bin sprachlos o.O
ich weiß echt nicht was ich sagen soll! ich bin überwälltigt... ich meine... ich habe gerade in den einem kappi so viel über june und ryan erfahren.... ohne das direkt über sie erzählt wurde, einfach durch die art und weiße, wie sie auf einander reagieren, wie sie mit einander umgehen.... und wie es halt geschrieben ist!

mit dem lesen an sich, war ich wieder viel zu schnell fertig *lach* aber es war wieder super geschrieben ^^ ich bin gespannt wie es weiter geht ;p
und was mir auch besonders gefallen hat ist ja, das der humor nicht auf der strecke bleibt ;p was zum lachen hatte ich ja trotzdem XD laplop XD *lach*
ich danke euch ^^
Von:  Taroru
2010-11-27T14:31:00+00:00 27.11.2010 15:31
>.< wir könnt ihr nur an so einer stelle aufhören!
das geht doch nicht, nein nein nein.....
es ist so super geschrieben XD monas flucht war klasse *lach* irgendwie wirklich überraschend, aber es passt zu ihr ^^ bin echt begeistert XD
und lilian... gott ich kann sie verstehen XD ich würde auch erstmal zweifeln, an mir selbst und so ^^
und wie geht das jetzt weiter? wie ist das mit mona? und warum lilian (ihr da mal zustimm, warum) ?? und und und und?
ich werde mich wohl in geduld üben müssen ;p
Von:  Taroru
2010-11-21T22:23:03+00:00 21.11.2010 23:23
>.< *rumhibbel* yey *strahl*
es ging weiter XD danke schön! ^^ *breitgrins*
es hat unheimlich viel spaß gemacht XD es hat zwar 'unheimlich' lange gedauert bis es weiter ging, aber ich habe mich so eben noch mal ins geschribsel verliebt XD
ich liebe diese dialoge und auch die gedanken gänge *strahl*
es ist einfach total flüßig geschrieben und reißt einem einfach mit ^^
ich hab das kappi schon wieder so sehr verschlungen, das es viel zu schnell vorbei war *lach*
aber es wird auch gerade wieder verdammt spannend >.<
gerade mit mona... und auch mit lilian... und und und.... ach ich kann das alles gar nicht in worte fassen *lach*
und die neue nachbahrin macht mich auch neugierig o.O
schreibt ganz schnell weiter ja? *ganz lieb guck* ^^


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