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Kaffee und Vanille 2

von

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Wahnsinn

Ich lese gerade ein Buch, das ich für mein Sportstudium durchgehen muss, während im Hintergrund der Krach von Valentins Band auf mich einwirkt.

Zuerst konnte ich mich bei dem Lärm nicht konzentrieren, aber mittlerweile kann ich es ausblenden.

Zudem sorgt Valentins melodische Stimme dafür, dass etwas in mir vollkommen gelassen und glücklich ist und ich somit mehr Leistungs- und Konzentrationsbereitschaft aufbringen kann.

Zugegeben, ich bin wirklich besessen von ihm. Und dass ich so lange dafür gebraucht habe, das zu verstehen, dass ist mir jetzt, im Nachhinein, nicht mehr begreiflich.

Schon alleine am Morgen aufzuwachen und seinen wundervollen Körper neben mir spüren zu können, raubt mir jedes Mal aufs Neue den Atem.

Er hat etwas an sich, dass man einfach lieben muss. Etwas, das einen ganz und gar verzaubert.

Wenn er einen Raum betritt, dann drehen sich alle darin nach ihm um. Und das nicht nur, weil er optisch auffällt, sondern vor allem, weil er eine so starke Präsenz ausstrahlt, der keiner entgehen kann. Diese umgibt ihn auch auf der Bühne, fast wie eine zweite Haut, und lässt ihn glänzen.

Ich lächle bitter, während ich darüber sinniere. Mit all dem Wissen… Wie dumm war es da nur von mir, anzunehmen, ich würde auf ewig der Einzige bleiben, der Valentin bemerkt?

Ich blicke auf und treffe dessen Blick. Er lächelt mir zu und ich erwidere es. Aber so schnell dieses Lächeln kommt, verfliegt es auch wieder, als mein Blick ein wenig nach rechts schwenkt und auf der Person hängen bleibt, die mich seit Tagen einen Groll hegen lässt.

Er spielt erst seit neuestem in der Band – ungefähr, seit Valentin beschlossen hat, nur noch zu singen und sie einen neuen Gitarristen auftreiben mussten - und nennt sich Sven Wie-auch-immer.

Sven… das klingt schon so schwul…

Er hat Val angesprochen, als wir gerade in der Cafeteria der Musikhochschule saßen und in Ruhe Kaffee getrunken haben. Ist einfach neben uns aufgetaucht und hat gefragt, ob er vorspielen dürfte.

Naiv, wie Valentin manchmal eben ist, hat er sofort zugesagt, begeistert, vielleicht jemanden gefunden zu haben, der den Gitarrenpart übernimmt. Er hat ihn nicht erkannt, aber ich habe das. Sven wurde von mir mit dem Namen Sweeney Todd betitelt. Der Kerl, der Valentin in einem Café angesprochen hatte, als wir noch nicht zusammen waren.

Schon damals war die Eifersucht in mir hochgestiegen, obwohl ich da noch nicht einmal ahnte, dass ich mich eventuell in Valentin verliebt haben könnte.

Nun aber weiß ich es und mein Hass auf Sweeney ist nur noch mehr gestiegen.

Ich dachte, ich würde ihn nie wieder sehen. Und plötzlich steht er vor mir und will in Valentins Band!

Nicht nur das, das Vorspiel lief natürlich auch noch super, was erklärt, warum er nun da oben auf der Bühne steht, Valentin irgendetwas erklärt und ihn dabei mit Blicken auszieht, ständig antatscht.

Ich schlage mein Buch mit einem lauten Knall zu, weil meine Konzentration dahin ist.

Als wir Sweeney das erste Mal trafen, da war er noch vergeben gewesen. Aber seit neuestem – genau genommen, seit er in Vals Band ist – ist er single und eindeutig scharf auf meinen Freund, der davon natürlich gar nichts mitbekommt.

Valentin ist manchmal einfach zu gut für diese Welt.

Ich stehe auf, latsche mit mürrischem Blick zur Bühne und sehe Valentin auffordernd an.

„Wir haben noch fünf Minuten,“ erklärt Sweeney - Sven - mir und grinst mich dabei so übertrieben freundlich an, dass ich ihm am liebsten auf die Schuhe kotzen würde.

„Ihr habt aber auch fünf Minuten eher angefangen,“ gebe ich zurück und packe meinen Freund am Handgelenk.

„Wir gehen, Valentin. Wir haben noch einiges zu erledigen!“
 

Endlich aus dem Musiksaal draußen, sieht Valentin mich vorwurfsvoll an. „Was sollte das denn jetzt?“, will er wissen und ich zucke mit den Schultern.

„Ich kann es nicht leiden, wenn er dir zu nahe kommt.“

„Er hat mir doch nur was erklärt, Josh,“ murrt er und ich bleibe stehen, wende mich ihm zu, sehe ihn an.

„Warum muss er dich dazu anfassen?“

Valentin seufzt und drückt sich an mich und automatisch schließen sich meine Arme um ihn.

„Bist du etwa eifersüchtig, Joshi?“, grinst er, das Gesicht an meiner Brust vergraben.

„Ich könnte Amok laufen, wenn ich euch zusammen sehe,“ gestehe ich, weil ich es nicht schaffe, Valentin anzulügen.

Er löst sich ein Stück von mir, streckt sich mir entgegen und haucht mir einen Kuss auf die Lippen. „Das musst du nicht sein. Ich will nur dich,“ lächelt er dann.

Ich muss ebenfalls lächeln und drücke ihm meinerseits einen Kuss auf.

„Ich weiß doch.“

Und ich weiß es ja auch, aber trotzdem… macht es mich einfach wahnsinnig!!!

Die Hiobsbotschaft

Ich weiß nicht recht, wie man sich gegenüber einem Jungen verhält.

Bei Mädchen ist das leichter. Da gibt es gewisse Regeln, die man einhalten sollte. Das altbekannte 'Ladies first' oder das man ihre Tüten beim Shopping trägt.

Mit Valentin ist das anders. Als ich ihm einmal anbot, seine Tüten zu tragen, hat er mich nur seltsam angesehen. Und würde ich ihm je die Türe mit den Worten 'Ladies first' aufhalten, würde er mich sicher erschlagen.

Aber klar... er ist ja auch kein Mädchen. Auch, wenn ich mal behaupten würde, er hat den weiblichen Part in unserer Beziehung inne. Er ist es immerhin, der gerne shoppen geht. Der Stunden im Bad verbringt. Der mich zwei Stunden am Telefon vollquasseln kann. Auch beim Sex hat er meistens - und mein Po dankt ihm das wirklich - den passiven Part inne.

Aber alles in allem ist er dennoch ein Junge. Und ich muss zugeben, dass das für mich ziemliches Neuland ist.

Ich meine... bis vor ein paar Wochen dachte ich, ich sei hetero. Und auch jetzt weiß ich noch nicht wirklich, ob ich nun schwul bin oder ‚nur’ bi.

Meine Gefühle für Teresa, damals, bevor ich Valentin kennenlernte, die waren echt. Aber verdammt... meine Gefühle für Valentin übersteigen alles je dagewesene.

Dabei dachte ich immer, wenn ich jemals schwul werden würde, dann weil sich mir ein dominanter Kerl aufzwingen würde, bis es mir endlich gefällt.

Nie hätte ich gedacht, ich könnte mich von selbst in einen Jungen verlieben, der den ganzen Tag mit einem Kaffee in der Hand herumrennt und mir mindestens dreimal am Tag den letzten Nerv raubt.

Nie hätte ich gedacht, dass mich Valentin mit seiner unglaublich chaotischen, aufgedrehten Art so sehr in seinen Bann ziehen würde.

Und jetzt… ja, jetzt liege ich hier mit ihm im Bett, den Arm fest um ihn geschlungen und schaue ihm zu, wie er schläft. Eigentlich überhaupt nicht spektakulär, aber ich könnte es dennoch den ganzen Tag tun.

Da gibt es so viel zu entdecken. Die schwarze Strähne, die ihn an der Nase kitzelt. Seine leicht geöffneten, schmalen Lippen. Seine hübschen langen Wimpern.

Ich grinse dümmlich vor mich hin und frage mich, was eigentlich los mit mir ist. Das ist immerhin ein Junge, den ich da gerade so anstarre.

Wobei ich nicht jeden Kerl so anglotzen würde. Aber Valentin ist immerhin mein Freund. Mein Freund!!!! Kaum zu fassen…

Ich vergrabe meine Nase an seiner Schulter und atme seinen Duft ein. Er riecht immer nach einer Mischung aus Kaffee und Valentin selbst. Dieser Duft ist so vertraut, so manches Mal so tröstlich… ich ziehe seinen Körper näher an mich heran.

Wie ist es nur dazu gekommen, dass ich mich so Hals über Kopf in ihn verliebt habe? Wobei es ‚Hals über Kopf’ nicht wirklich trifft. Ich hab schon ziemlich lange gebraucht, es zu bemerken. Aber es war ja auch alles so neu für mich. Ich hab davor nie einen anderen Jungen süß gefunden. Ich habe davor nie daran gedacht, einen anderen Jungen vor allem Übel auf der Welt zu beschützen. Ich habe vor allem nie an Sex mit einem anderen Jungen gedacht.

Und jetzt… Ach Gott, jetzt würde ich am liebsten über ihn herfallen und…

„Josh?“

Ich stutze und blicke ihn an. Seit wann ist er wach? Hat er etwa gemerkt, dass ich ihn angestarrt habe? Oh nein…

Ich wende den Blick ab, starre auf die Decke, kann das aber nicht lange durchhalten.

„Morgen,“ murmle ich deshalb und sehe ihn doch wieder an.

Er blickt aus großen braunen Augen zurück. „Alles klar bei dir?“

„Alles Bestens.“

Jetzt grinst er und haucht mir einen Kuss auf die Lippen und ich drücke ihn aufs Bett und intensiviere den Kuss um ein Vielfaches.

„Dir ist bewusst, dass wir uns fertig machen müssen?“ Er löst den Kuss und sieht mich fragend an. Ich seufze und nicke und finde es unfair. Ich will jetzt nicht zur Uni. Ich will jetzt mit ihm hier liegen und jeden Millimeter seines Körpers mit Küssen bedecken.

Plötzlich kichert er und nun ist es an mir, ihn fragend anzusehen.

„Hast du etwa 'ne Latte?“

Ich werde rot. „Natürlich nicht!“

„Jetzt lüg doch nicht,“ lacht er und küsst mich. „Du bist so süß.“

Dann steht er auf und lässt mich im Bett zurück, geht ins Bad. Ich frage mich währenddessen, was daran süß ist, dass ich mit einer Latte im Bett liege… Aber das ist Valentin. Den muss man nicht verstehen.

„Joshiiii,“ ruft er aus dem Bad, „Magst du Kaffee kochen?“

Und natürlich mag ich Kaffee kochen. Weil ich es mag, wenn ich ihm eine Tasse unter die Nase halten kann und seine Augen zu strahlen beginnen.

Also springe ich – Latte oder nicht – aus dem Bett und setzte einen Kaffee für ihn auf. Mit meiner neuen Kaffeemaschine, die er mir – nicht ohne Eigennutz – zum Geburtstag geschenkt hat.

Etwas später steht er dann frisch geduscht und top gestylt in der Küche, trinkt seinen ersten Kaffee und sieht mir nach, während ich mich auf ins Bad mache.

Ich gehe immer als Zweites, weil er so lange braucht und ich besser damit zurecht komme, mich zu beeilen, wenn die Zeit mal knapp ist. Obwohl ich nicht weiß, was er immer so lange treibt, dass es so lange dauert.

Okay. Er fummelt ewig an seinen Haaren herum, glättet sie, toupiert sie, glättet sie wieder… was weiß ich. Dabei sieht er schon so perfekt aus, wenn er noch gar nichts an ihnen gemacht hat.

Ich hingegen kämme meine braune Mähne, wühle einmal mit den Fingern darin herum und fertig ist meine Frisur, die den ganzen Tag sitzt.

Deshalb bin ich auch viel schneller wieder in der Küche und trinke nun auch meinen Kaffee, ehe wir uns gemeinsam auf den Weg zur Uni machen, zumindest das erste Stück. Denn wir sind nicht an der gleichen Hochschule. Valentin studiert nämlich Musik an der dafür vorgesehenen Uni, während ich auf der Sporthochschule bin. Wir haben uns nur kennengelernt, da wir zufällig die Zimmer nebeneinander im Wohnheim haben. Wobei wir uns diese mittlerweile mehr oder minder teilen. Ich glaube, seit wir zusammen sind, haben wir nicht eine Nacht getrennt voneinander verbracht. Und selbst wenn wir mal einen Tag für uns sind, so steht spätestens am Abend einer von uns vor des anderen Türe.

Aber wie dem auch sei, unsere Wege trennen sich und es beginnt ein anstrengender Tag mit Vorlesungen und allerlei Aktivitäten.

Ich habe im ersten Semester darum gekämpft, ein Teil des Basketballteams zu werden. Einfach, weil ich schon immer Basketball gespielt habe. Auf dem Gymnasium war ich sogar Vizekapitän.

Jetzt, Mitte des dritten Semesters, bietet sich mir eine unglaubliche Chance, die es zu nutzen gilt. Der jetzige Kapitän hat sich nämlich verletzt und da wir nie einen Vizekapitän bestimmt haben, ist die Stelle nun neu zu vergeben. Da ist ja wohl klar, dass ich alles daran setzen werde, sie für mich zu erobern.

Auch, wenn es genug Konkurrenz gibt. Und auch, wenn ich vielleicht nicht der beliebteste Spieler bin. Diese Tatsache beruht darauf, dass schon das Gerücht die Runde gemacht hat, ich sei schwul, als ich das noch gar nicht wirklich war.

Es war bei einem Vorspiel für die Auswahl der neuen Teammitglieder gewesen. Irgendjemand war plötzlich der Meinung gewesen, Valentin und ich wären ein Paar und ich muss zugeben, dass ich das Gerücht angeheizt habe, statt es richtig zu stellen.

Jetzt sind wir ja nun wirklich ein Paar und es stört mich ehrlich gesagt nicht, dass man mir des Öfteren etwas wie ‚Schwuchtel’ an den Kopf donnert. Denn beim Training und auch bei den Spielen behandelt man mich nicht anders und das ist das, was zählt. Eine Freundschaft möchte ich mit ihnen ja gar nicht aufbauen. Ich hab genug Freunde.

Wenn auch nicht hier in Köln, sondern in Hamm, meiner Heimatstadt.

Mein altes Team, um genau zu sein.

Ein Team, in dem sich keiner an einem Homosexuellen gestört hat. Zwar gab es auch eine Zeit, in der dies ein Thema war, das man besser nicht ansprach, aber das hat sich relativ schnell gegeben.

Damals, als Jona neu in unser Team kam. Seinerseits ein Emo, genau wie Valentin, und schon als Schwuchtel abgestempelt, ehe klar wurde, dass er tatsächlich schwul war, beziehungsweise natürlich immer noch ist.

Doch Jonas unglaubliches Talent – und ich meine das sehr ernst, denn Jona ist wirklich wahnsinnig gut – hat ihn relativ schnell zu einem festen Mitglied gemacht. Und mit dieser Wendung wurde auch seine sexuelle Ausrichtung irgendwann ohne Murren akzeptiert.

Und gab es noch einen stillen Skeptiker unter uns, so hat sich das spätestens geändert, als er mit Benni zusammen gekommen ist. Unserem damaligen Leader und meinem besten Freund.

War damals ein ziemlicher Schock, dass Benni plötzlich in einen Jungen verknallt war. Immerhin war er davor ewig lange mit Amelie, der größten Tussi unserer Schule, zusammen. Und wir alle dachten immer, er wäre glücklich mit ihr.

Aber das war er nicht; wer kann ihm das verdenken?

Und irgendwann waren Jona und er dann ein Paar.

Gut für mich, denn so hatte ich den optimalen Ansprechpartner, was Valentin betraf. Obwohl es eigentlich eher so war, dass Benni meine Gefühle durchschaut hat, während ich gar keine Ahnung von ihnen hatte.

Und so hat es auch keinen der anderen Jungs allzu sehr geschockt, dass ich plötzlich mit einem Jungen zusammen war.

Ich sinniere noch ein wenig über die damalige Zeit.

Denn jetzt ist alles ganz anders.

Mittlerweile sind wir alle mit der Schule fertig. Bis auf unser Küken, Chris, der erst dieses Jahr sein Abi macht.

Der Rest von uns studiert. Benni Medienwissenschaften in Dortmund, Lukas und Victor Wirtschaft in Düsseldorf und ich eben Sport hier in Köln.

Und Jona… ja, Jona… der hat das geschafft, von dem wir alle nur träumen. Einen Vertrag mit den Frankfurter Skyliners, einem der erfolgreichsten Teams der deutschen Basketballbundesliga.

Und nicht nur das. Der Wichser hat sogar eine Anfrage von Alba Berlin bekommen und diese ausgeschlagen, weil… ja, weil er – romantisch und kitschig, wie er auf seine Weise nun mal ist – näher bei seinem Freund bleiben wollte.

Lukas ist fast ausgerastet, als er erfahren hat, dass er das Angebot von Berlin nicht angenommen hat. Ich hingegen habe es verstanden.

Würde mich irgendwer nach Berlin einladen, so würde ich wohl sicher auch absagen und lieber nach Frankfurt gehen oder einfach im popeligen Hochschulteam bleiben. Niemals würde ich es ertragen, so weit weg von Valentin zu sein.

Mein Gott… ich bin schon wirklich weich geworden…
 

Meine Lesung ist zu Ende und ich verlasse den Saal und gehe in die Cafeteria.

Ich habe noch etwas Zeit, ehe es weiter geht und nutze diese, um eine Cola zu trinken und meine Notizen durchzugehen. Viele habe ich mir – wie ich zu meiner Schande gestehen muss – nicht gemacht, aber was soll’s.

Wenig später eile ich zu der Sporthalle, um mich für das Training umzuziehen.

Meistens bin ich alleine in der Umkleide. Keiner mag sich umziehen, wenn ich dabei stehe. Ich könnte sie ja anstarren.

Eine ähnliche Diskussion gab es damals bei Jona. Allerdings hat sich keiner beim Umziehen daran gestört. Nur Duschen musste er nach uns.

Nicht weiter schlimm. Es hat ihn nie gestört, nie verletzt. Ich hingegen nehme es schon persönlich, dass man mich sogar meidet, wenn es nur darum geht, ein T-Shirt aus- und ein Trikot anzuziehen.

Abgesehen davon finde ich keines meiner Teammitglieder wirklich attraktiv. Oder sagen wir es anders. Ich finde keinen Jungen, außer Valentin attraktiv. Nicht mal Benni oder Jona, obwohl beide wirklich hübsche Kerle sind.

Natürlich würde ich das nie jemandem so sagen. Nicht mal Valentin. Obwohl der sich darüber sicher freuen würde, wie ein Schnitzel.
 

Wenig später stehe ich mit dem Rest des Teams in der Halle und wärme mich auf. Ich liebe Basketball und das ist der Grund, warum ich trotz einiger Idioten im Team, noch immer spiele.

Basketball… Ich weiß nicht, was es ist, was mich an diesem Spiel fasziniert. Vielleicht die Tatsache, dass jede Sekunde ein Wendepunkt sein kann.

Es ist ein sehr schnelles, actionreiches Spiel, in der von einer, auf die andere Sekunde das Spiel gedreht werden kann.

Man kann zehn Sekunden vor Schluss hinten liegen, macht dann einen Korb von der Drei-Punkt-Linie und geht als Sieger vom Platz.

Als kleines Kind habe ich einmal mit meinem Opa Fußball angesehen. Ich fand es langweilig, weil kaum etwas passiert ist. Am Ende hat eine Mannschaft mit drei Toren geführt und es waren noch fünf Minuten zu spielen.

Klar, dass die andere Mannschaft dann ein kleines Wunder hätte vollbringen müssen, noch aufzuholen.

Beim Basketball kann man sich auf drei Punkte mehr als die andere Mannschaft gar nichts einbilden.

Wobei es natürlich auch hier langweilige Spiele gibt, bei dem eine Mannschaft mit zehn, zwanzig Punkten zurückliegt und keine Chance mehr auf den Sieg hat.

Aber dennoch hat mich mein erstes Basketballspiel, das ich je gesehen habe, mehr gefesselt, als mein erstes Fußballspiel.

Und auch heute ist es noch so…

Wir beginnen und ich schalte ab. Man kann nicht wirklich gut trainieren, wenn man nicht mit voller Konzentration bei der Sache ist.
 

Als ich zwei Stunden später die Halle verlasse, fühle ich mich erschöpft, aber glücklich. Ich habe ein gutes Training hingelegt und meine Chancen auf den Kapitänstitel weiter ausgebaut.

Ich habe ja bereits erwähnt, dass ein neuer gesucht wird. Was ich noch nicht erwähnt habe ist, dass ich trotz aller Widrigkeiten mit dem Team ein heißer Kandidatin bin. Zum einen, weil ich fair spiele und alle auch immer fair und rational behandle, Entscheidungen zum Wohle des Teams treffe, statt aufgrund persönlicher Angelegenheiten. Und zum anderen, weil ich bereits Erfahrung als Vizekapitän gesammelt habe. Wenn auch nur in einer Schulmannschaft.

Aber all das heißt nichts. Es kann dennoch an irgendetwas anderem scheitern.

Der Tag heute war nicht wirklich anstrengend. Eine Lesung und ein paar Stunden Training… ich habe mich schon gestresster gefühlt.

Deshalb bin ich auch noch ziemlich fit, als ich den Weg zum Wohnheim anschlage.

Leider habe ich Valentins Plan nicht im Kopf, deshalb weiß ich nicht, ob er schon zu Hause ist, oder nicht. Aber ich schätze, dass erfahre ich spätestens, wenn ich angekommen bin.

Ich verlasse gerade das Unigelände, als mein Handy klingelt. Ich muss gar nicht darauf blicken, um zu wissen, wer er ist. In letzter Zeit ruft Benni jeden Tag um diese Zeit an.

„Was willst du schon wieder?,“ melde ich mich.

„Darf ich meinen besten Freund nicht mal nach seinem Befinden fragen?“ Ich verdrehe die Augen.

„So wie gestern, vorgestern, vorvorgestern… du mutierst zu einem Stalker, Benni!“

„So darfst du mich erst nennen, wenn ich Kameras in deiner Wohnung installiert habe.“

Ich muss lachen. Nicht, dass ich ihm das nicht auch noch zutrauen würde.

„Hattest du heute Training?“

„Ja… und es war grausam wie immer.“ Ich verziehe den Mund. Er weiß natürlich um mein Problem mit dem Team. Für ihn ist das Ganze auch unverständlich, aber viel dagegen tun kann weder er noch ich.

„Aber solange sie sich sportlich fair verhalten, ist es mir eigentlich egal,“ kläre ich ihn deshalb auf.

„Wenn du erstmal Kapitän bist, ändert sich sicherlich einiges.“

Ich muss lachen. Im Gegensatz zu mir, der ich bange, glaubt Benni fest daran, dass ich diesen Posten übernehmen werde. Und ich bin dankbar für diese Unterstützung und Zuversicht.

„Wo wir beim Thema sind: Wie läuft es denn so bei euch Beiden?“, fragt er und ich seufze nun doch wieder genervt auf.

„Genau wie gestern, Benni.“

Das ist der Grund, warum er anruft. Um mir jeden Tag diese Frage zu stellen. Warum auch immer.

„Musst du das jetzt eigentlich jeden Tag fragen?“, murre ich deshalb und öffne die Türe des Wohnheims, nehme in großen Schritten die Stufen und öffne dann umständlich meine Wohnungstüre, in der anderen Hand immer noch mein Handy.

Benni labert derweil eine unehrlich klingende Entschuldigung und ich trete in meinen winzigen Flur. Sofort fällt mein Blick auf ein Paar ausgetretene Chucks, die unordentlich im Flur liegen. Unweigerlich muss ich grinsen.

„Dass er nie etwas aufräumen kann,“ beschwere ich mich lächelnd und bringe Benni damit dazu, aufzuhorchen. „Schimpfst du gerade über ihn?“, will er wissen und ich schüttle den Kopf, was er natürlich nicht sehen kann. Deshalb meine ich: „Nein… Das ist ja eines der Details, die ihn so perfekt machen.“

Am anderen Ende seufzt Benni schmachtend auf und ich merke, wie kitschig das gerade klang.

Ich weiß, dass er grinst, weil ich es an seiner Stimme höre, als er sagt: „Du klingst so verknallt, wie am ersten Tag.“

Damit hat er Recht. Könnte daran liegen, dass ich auch noch so verknallt bin, wie am ersten Tag. „Natürlich,“ erwidere ich deshalb, „Valentin ist ja auch das Beste, was mir je passiert ist. Klar, dass ich da noch wahnsinnig verrückt nach ihm bin.“

In der ganzen Wohnung riecht es nach frischem Kaffee und ich vermute Valentin in der Küche, aber als ich einen Blick in diese werfe, ist er da nicht.

Benni jedenfalls lacht nun. „Ich weiß ja, Josh,“ lenkt Benni ein, „Es ist nur so, dass Jona sich Sorgen macht. Er sagt, ich soll ein Auge auf dich werfen, weil du manchmal einfach auf dem Schlauch stehst.“

Er lacht wieder auf und auch ich muss schmunzeln. Natürlich. War ja klar, dass dieses ständige Gefrage nicht auf Bennis, sondern auf Jonas Mist gewachsen ist. Ich hätte es mir denken können.

Der Junge ist echt zu gut für diese Welt. Immer besorgt, um alles und jeden.

„Er hat ja auch nicht ganz unrecht… du standest ja schon damals auf dem Schlauch, während jeder andere gesehen hat, wie verknallt du bist.“

Dass er darauf immer noch rum reiten muss!

Ich trete ins Wohnzimmer und mein Blick fällt sofort auf den Coffee to go, der auf dem Couchtisch steht, und all meine Liebe und Zuneigung zu Valentin – und all seinen Eigenarten – überkommt mich mit einem Schlag.

Es ist nur Bennis Schuld, dass ich jetzt so sentimental bin.

Ich blicke jedenfalls zu meinem Freund, der völlig verrenkt auf dem Sofa liegt und schläft. Er ist auch der einzige Mensch, der mit gefühlten zwei Litern Kaffee intus noch schlafen kann. Sicher ist er bereits immun gegen Koffein, wenn das überhaupt möglich ist.

Im Hintergrund läuft noch der Fernseher, der wohl sein eigentliches Vorhaben dargestellte hat. Aber dieser ist es nicht, der mich von dem ablenkt, was Benni da gerade erzählt.

Es ist Valentin selbst, der nur mit einem Tanktop und den sündigsten, knappsten Shorts bedeckt ist, die ich je an ihm – oder überhaupt irgendwo – gesehen habe.

Ich schlucke.

„Joshua? Bist du noch dran? Hörst du mir zu?“

Ich reiße den Blick von Valentins langen nackten Beinen los und meine: „Ich ruf dich später zurück.“

Dann lege ich auf, ehe er auch nur die Chance hat, zu widersprechen. Ich werfe das Handy achtlos auf ein Sofakissen und trete an die Couch, lege meine Arme um Valentins Hüften und ziehe ihn zu mir. Mit geübtem Griff habe ich ihn dann auch schon auf meine Arme gehoben und er schreckt auf.

„Josh!“, meint er dann empört und blickt mich teils erschrocken, teils vorwurfsvoll an.

„Erschreck mich doch nicht so! Ich krieg noch einen Herzinfarkt. Willst du das? Dass ich…“ Ich grinse und küsse ihn, was seine Schimpftriade im Keim erstickt.

Er versucht gar nicht erst, sich zu wehren, sondern schlingt nur die Arme um meinen Hals, während ich ihn ins Schlafzimmer trage.

Ich werfe ihn aufs Bett, krabble auf ihn und küsse ihn erneut.

Dann setzen wir fort, was wir heute Morgen leider beenden mussten.
 

Eine ganze Zeit später streiche ich über Valentins nackten Rücken, während er – den Kopf auf meine Brust gebettet – vor sich hindöst.

Ich bin ziemlich erschöpft, aber vor allem bin ich unglaublich glücklich.

Sex mit Valentin ist einfach… woooow….

Er bewegt sich leicht und hebt den Kopf, blickt mich an. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, ihm einen Kuss auf die Lippen zu hauchen.

„Ich wollte da noch was mit dir besprechen, Josh.“

Er wendet den Blick ab, mustert unsicher die Decke. Etwas in mir verkrampft sich. Was, wenn er sein Studium abbricht und wegzieht? Was, wenn er mit Sven fremdgegangen ist? Was wenn er… wenn er Schluss macht!!!

„Was ist denn?“, frage ich heiser und klinge dabei wie eine sterbende Katze.

„Vorgestern war so ein Typ bei den Proben,“ beginnt er zu erzählen und ich keuche auf. Also ist er doch fremdgegangen? Oh Gott, wie reagiere ich darauf denn jetzt? Allein die Vorstellung ist so surreal und schrecklich, dass… whaaaa!!! Ich werde diesen Typen umbringen!

„Offenbar ein echt guter Produzent, auch wenn ich seinen Namen noch nie gehört habe.“

Ich halte in meinen Gedankengängen inne. Offenbar läuft das ganze doch nicht auf Sex mit einem anderen hinaus. Außer, er hat mit dem Produzenten geschlafen, um seine Karriere zu puschen. Aber das würde Valentin niemals tun.

Zwar träumt er davon, mit seiner Band mal groß rauszukommen, aber eigentlich genügt ihm sein Studium, mit dem er irgendwann einmal als Lehrer arbeiten kann, vollkommen.

Überhaupt ist Valentin nicht der Typ, der fremdgeht. Dafür ist er eine viel zu treue Seele.

„Er arbeitet wohl frei… Egal. Jedenfalls meinte der, wir sind ganz gut.“ Er malt mit seinem Finger Kreise auf meine Brust und ich entspanne mich. Also alles ganz harmlos, na wunderbar.

Er sieht mich nun wieder direkt an und ich streiche über seine Wange. „Ist doch toll, wenn er so was sagt.“

Er nickt und schüttelt im nächsten Moment den Kopf. „Ja, aber…“

Er bricht ab, aber ich lasse nicht locker. „Aber was?“, hake ich nach.

„Er fand uns wirklich richtig, richtig gut…“

Er fixiert einen Punkt neben meinem Gesicht.

„Und er möchte, dass wir mit ihm nach München kommen, um ein Demotape aufzunehmen.“

Ich starre ihn an.

„Ein… Demotape,“ wiederhole ich mit erstickter Stimme. „In München?“

Er nickt und sieht mich nun wieder ernst an. Ich kann seinen Blickkontakt kaum erwidern. Keine Ahnung, was ich mit dieser Hiobsbotschaft anfangen soll!

„In den nächsten Semesterferien.“

„Aber du wolltest doch wieder mit mir nach Hamm und…“ Ich breche ab. Was rede ich da für Scheiße? Das ist seine Chance! Wie kann ich ihm wegen so etwas Lächerlichem, wie gemeinsam verbrachten Ferien, im Weg stehen?

„Wir sind alle noch unsicher, ob wir es tun sollen. Aber es wäre nun mal eine richtig große Chance, die wir so schnell nicht wieder hätten.“

Er fängt an, auf seiner Unterlippe herumzukauen.

„Schon gut,“ meine ich. „Natürlich ist das wichtig. Das verstehe ich.“

Er sieht mich unglücklich an. „Ich hab mich so auf Ferien mit dir gefreut, Josh.“

Ich drücke ihm einen Kuss auf die Stirn.

„Ich mich auch. Aber so eine Chance darfst du dir nicht entgehen lassen.“

Er nickt, sieht aber nicht überzeugt aus.

„Mal sehen, was die anderen sagen. Alleine fahre ich nicht.“

Ich nicke und blicke an die Decke.

Und wie geht es dann weiter? Ein Demotape, vielleicht auch gleich ein Plattenvertrag…? Was ist, wenn er berühmt wird und sich von mir entfernt?

„Ich liebe dich, Josh.“

Ich ziehe ihn fest in meine Arme. Das wird nicht passieren. Das lasse ich nicht zu. Niemals… Und er wird das sicher auch nicht zulassen.

„Ich liebe dich auch, Valentin.“

Marzipanschnütchen und Schokokeksi

Ich kann mich nicht konzentrieren.

Meine Gedanken schweifen immer wieder zu Valentin ab. Ein Demotape. In München. Zusammen mit seiner Band.

Ich weiß gar nicht, was mich an der Sache am meisten stört. Dass er in den Ferien weit weg von mir ist, wo wir endlich mal Zeit für uns hätten, ohne all den Unistress, oder dass die Angst an mir nagt, dass es auf kurz oder lang unsere Beziehung zerstören könnte…

Oder liegt es einfach nur an der Vorstellung, dass er die Ferien dann folglich mit Sven verbringen wird?

Sven. Diesem widerlichen, anmaßenden, scheiß Emoverschnitt.

Ich balle die Hand zur Faust. Vielleicht sollte ich einfach mitfahren. Aber wie käme das denn? Als wäre ich abhängig davon, jede Minute mit Valentin zu verbringen. (Was ich ja eigentlich auch bin.) Oder als wäre ich ein eifersüchtiger Volltrottel. (Was ich ja eigentlich auch bin.)

Verdammt. Wie ich es auch drehe und wende, ich werde ihn ziehen lassen müssen. Mürrisch verziehe ich den Mund.

„So eine verdammte Scheiße!“

Wütend haue ich auf den Tisch und spüre dann die verwirrten Blicke meiner Kommilitonen und den strengen Blick meines Professors auf mir.

„Entschuldigung,“ nuschle ich, aber so schnell komme ich nicht davon und darf jetzt eine Frage beantworten, von der ich nicht mal weiß, wie sie lautet.

Als hätte ich gerade Nerven für solch unwichtigen Scheißdreck!!!
 

Nach der Uni habe ich mich einigermaßen beruhigt. Wie es auch kommt, ich bin sicher, Valentin und ich werden es irgendwie wuppen. Wir sind ja erwachsene Menschen, die mit solchen Problemen klarkommen sollten.

Entschlossen mache ich mich auf den Weg zur Musikhochschule, um Valentin von seinen Proben abzuholen.

Sie proben jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag.

Letzteres stört mich etwas, obwohl die Probe da schon am Vormittag ist und wir den ganzen restlichen Tag für uns haben.

Mittlerweile spielen sie in der Aula, statt in ihrem winzigen Musiksaal. Also höre ich sie schon, als ich ins Foyer trete.

Wenig später sitze ich vor der Bühne und warte darauf, dass sie fertig werden, nicht ohne Sven mit bösen Blicken zu erdolchen.

Irgendwann verklingt der letzte Ton und Valentin kommt zu mir herunter.

„Wie waren wir?“

„Wirklich gut,“ lächle ich und ziehe ihn in meine Arme. Nicht ganz ohne den Hintergedanken, Sven unsere Beziehung noch mal deutlich vor Augen zu führen.

„Ich hab mit den anderen gesprochen. Wegen dem Tape,“ murmelt er mir ins Ohr und unter normalen Umständen wäre ich sicher erschaudert. Jetzt aber bin ich zu angespannt, um etwas Angenehmes an dieser Sache zu finden.

„Sie wollen das Tape aufnehmen. Also liegt es jetzt an mir.“

Ich brumme nur zustimmend. Ich möchte ihm nicht im Weg stehen, bin sogar der Meinung, er sollte gehen. Auch, wenn ich das eigentlich nicht will.

Valentin sagt nichts mehr dazu, sondern krallt sich nur in mein Shirt.

Ich hauche ihm einen Kuss auf den Hals. „Lass uns gehen, ja?“

„Okay,“ willigt er ein und löst sich von mir, holt seine Tasche. Er ruft den anderen einen Abschiedsgruß zu, ehe wir gemeinsam zurück ins Wohnheim laufen.

„Deine Mutter wird enttäuscht sein, wenn ich nicht mitkomme, was?“ Er sieht mich fragend an und ich muss grinsen, obwohl das Thema eigentlich keinen Grund zum Grinsen lässt.

Aber er hat nun mal Recht. Meine Mutter ist sicher enttäuscht, wenn ich Valentin nicht anschleppe.

Als ich ihr sagte, ich wäre jetzt mit ihm zusammen, ist sie vor Schreck fast vom Stuhl gefallen. Dann meinte sie nur, sie hätte es schon gemerkt, als sie uns knutschend in der Küche vorfand. Dabei haben wir gar nicht geknutscht, sondern uns nur ein Kitzelduell geliefert. Zu einer Zeit, in der zwischen uns noch gar nichts gelaufen ist.

Als ich das klarstellte, musste ich merken, dass sie die ganze Zeit davon ausgegangen war, dass wir bereits zu dem Zeitpunkt ein Paar waren und ihr und Dad nur nicht gesagt haben.

Ziemlich heftig. Aber wenigstens hat sie meinem Vater nichts davon erzählt, sondern erst zusammen mit mir mit ihm geredet, als ich es offiziell machte.

Mein Vater war gar nicht begeistert. Mittlerweile hat er es akzeptiert, aber ich glaube, er denkt immer noch, dass es nur eine Phase ist. Verspätete Pubertät oder so.

Das ändert aber nichts daran, dass er Valentin irgendwie mag.

Ich schüttle kaum merklich den Kopf.

Natürlich mag er Valentin. Jeder mag Valentin. Valentin muss man einfach mögen!

Sieht man ja auch an meiner Mutter, die fast so versessen nach ihm ist, wie ich. Als wir die zweiten Semesterferien bei ihnen verbracht haben, hat sie ihm ständig sein Lieblingsessen gekocht und stundenlang mit ihm Kaffee getrunken und gequatscht.

Betrübt schließe ich die Augen. Diese Ferien wird es nicht so sein.

„Josh?“

Da bemerke ich, dass ich Valentin noch eine Antwort schulde.

„Das wird sie wohl, ja. Aber sie wird es schon verstehen.“

Er nickt und ich nicke ebenfalls. Genau so wird es sein.
 

„Dass du immer in diesem Ding herum laufen musst,“ murrt Valentin und zupft pikiert am Bändel meines Bademantels herum. Ich weiß gar nicht, was er hat. Ich finde ihn kuschelig weich und die Bärchen darauf sind doch niedlich.

Andererseits weiß ich natürlich, dass ich darin ziemlich lächerlich und kindisch aussehen muss. Aber ich mag den Bademantel trotzdem.

Außerdem gehört er zu einem Schlüsselerlebnis von Valentins und meiner Beziehung. Ihn hat er nämlich an dem Abend getragen, als ich ihm meine Liebe gestanden habe. Und ihn habe ich ihm ausgezogen, als wir daraufhin das erste Mal Sex hatten.

Ich streiche über einen Ärmel.

„Ich mag ihn.“

„Dein Geschmack ist scheußlich,“ lacht er und wendet sich ab. Er ist gerade dabei, eine Fertigpizza in den Ofen zu schieben.

Wir können Beide nicht wirklich kochen. Ich weiß gar nicht, wer sich von uns blöder anstellt.

Könnte irgendwann mal ein Problem werden, außer wir werden uns für immer von Fertigessen ernähren.

„Ziehst du dich heute noch um?“ Er sieht mich an. Offenbar ist das Thema ‚Bademantel’ für ihn noch nicht erledigt.

„Ich wollte den jetzt eigentlich anlassen…“

Er sieht mich leidend an.

„Na schön,“ stöhne ich und ziehe ihn aus.

„Hrrr…“, macht er und kratzt mir über die nackte Brust, was mir sofort eine Gänsehaut bereitet.

„Hör auf damit,“ lache ich und packe seine Hand, „Sonst wird das heute nichts mit Abendessen.“

Er befreit seine Hand aus meinem sanften Griff und schlingt die Arme um mich.

„Ich gebe mich auch mit dem Dessert zufrieden,“ haucht er mir anrüchig ins Ohr.

„Du bist so verdorben,“ lache ich, „Das denkt man gar nicht von dir.“

Er grinst ebenfalls und ich küsse ihn. Ich würde seinem Angebot sehr gerne nachkommen, aber mein Magen knurrt wie verrückt. Ich habe heute noch kaum was gegessen.

„Du wirst dich gedulden müssen, Schatz,“ lächle ich und er blinzelt mir irritiert entgegen. „Schatz?“, echot er.

Ich sehe ihn ebenso irritiert an.

„Seit wann gibst du mir denn Kosenamen?“, klärt er mich auf.

Ich zucke mit den Schultern. Gute Frage. Eigentlich nenne ich ihn nur bei seinem Namen, so wie er mich nur Josh nennt. Gut, ab und an sagt er ‚Joshi’, was auch nicht wirklich eine all zu kitschige Koseform ist.

Aber Wörter wie ‚Schatz’ fallen in der Tat nicht. Warum auch immer.

„Zu schnulzig?“, frage ich nun deshalb unsicher nach.

„Nein. Solange du mich nicht Hasenpups oder so nennst.“ Ich lache.

„Niemals, Marzipanschnütchen.“

Er grinst.

„Dann ist ja gut, Schokokeksi.“

Ich schnappe nach seinen Lippen und ziehe ihn näher zu mir.

„Warum auf einmal ‚Schatz’?“, fragt er dann.

„Vielleicht, damit du verstehst, dass du für mich das Wichtigste auf der Welt bist?“, überlege ich, was meinen Sinneswandel hervorgerufen haben könnte.

Bilde ich es mir ein oder wird er auf dieses Geständnis hin ein wenig rot?

Ich grinse.

„Du bist so süß, Valentin.“

„Sagst ausgerechnet du?“

Ich grinse und blicke auf die Pizza im Ofen. „Ich denke, ich hätte jetzt doch auch lieber das Dessert!“
 

Am nächsten Morgen bin ich ausgehungert und stopfe mir gierig die kalte Pizza in den Mund.

Nicht, dass es der gestrige Abend nicht wert gewesen wäre, auf Essen zu verzichten…

Ich werfe einen Blick ins Schlafzimmer, zu Valentin, der gemütlich in meinem Bett liegt – sich gänzlich ausgebreitet hat – und schläft.

Im Gegensatz zu ihm habe ich gegen Mittag eine Lesung. Er aber kann noch ein wenig schlafen.

Ich gehe ins Bad, nehme die Pizza einfach mit, und mache mich fertig. Ich überlege, noch einen Kaffee zu trinken, aber irgendwie bin ich am Ende zu spät dran, um noch groß zu frühstücken.

Also hauche ich Valentin einen Kuss auf die Wange und verlasse meine kleine Wohnung.

Wenig später bin ich an der Uni und habe nun doch noch Zeit, in der Cafeteria einen Kaffee zu trinken, ehe meine Lesung beginnt.

Jeden Tag das Gleiche… Wenigstens ist heute Mittwoch und somit der einzige Tag, an dem ich kein Training habe.

Perfekt, weil Valentin heute auch keine Bandprobe hat und wir so den ganzen verbleibenden Tag für uns haben.

Mit der Aussicht darauf gehe ich gut gelaunt in die Lesung und schaffe es sogar, zum ersten Mal in dieser Woche wirklich aufzupassen.
 

Als ich für heute Schluss habe, überlege ich, Valentin abzuholen.

Ich weiß, dass er noch nicht fertig sein kann und deswegen schlage ich den Weg zur Musikhochschule ein.

Dort angekommen, warte ich im Foyer. Hier muss er ja vorbeikommen, wenn er nach Hause will.

Tatsächlich entdecke ich ihn wenig später. Allerdings in Begleitung von Sven, der auf ihn einredet.

Sofort sinkt meine gute Laune, die ich den ganzen Tag mit mir herumgetragen habe.

Als sie mich entdecken, strahlt mir Valentin entgegen, während Sven nur mürrisch dreinblickt.

„Hey,“ lächle ich, als sie zu mir treten und küsse Valentin demonstrativ auf den Mund.

„Wenn ich gewusst hätte, dass du wartest, hätte ich mich beeilt,“ meint er und ich winke ab. „Warte ja noch nicht lange.“

Ich blicke zu Sven, der nicht begeistert aussieht. Natürlich nicht. Ich zerstöre ja gerade seinen Flirtversuch.

„Bist du sicher, dass du das Richtige tust, Valentin?“, wendet er sich nun an meinen Freund.

„Absolut,“ erwidert der nur und zieht an meinen Arm.

„Gehen wir?“

Ich nicke. Hauptsache, wir kommen so schnell wie möglich weg von Sven!

„Du machst einen Fehler!“, ruft Sven uns nach und ich wende mich fragend an Valentin, während wir das Unigelände verlassen: „Was hat er eben gemeint?“

Er antwortet nicht, also füge ich drängend hinzu: „Was du dir gut überlegen sollst…“

„Na ja,“ meint er und weicht meinem Blick aus, unwillig, zur Antwort. Aber ich werde nicht locker lassen und das weiß er auch.

„Was Bandinternes,“ erklärt er mir also vage und ich sehe ihm an, dass er lügt.

„Was Bandinternes oder eher was Persönliches?“, hake ich nach und er sieht mich verwirrt an.

„Hat er dich etwa um ein Date gebeten?“

„Nein,“ wehrt er sofort ab.

„Natürlich! Ich sehe doch, dass du lügst.“ Ehe er was sagen kann, grinse ich. „Und du hast ihn also abgewiesen?“

Vergnügt beuge ich mich zu ihm und küsse ihn kurz. „Dann ist ja gut.“

„Ja…“, meint er und schmiegt sich an meinen Arm.

Ich hab das Gefühl, da steckt noch mehr dahinter. Vielleicht ging es gar nicht um ein Date. Vielleicht hat er ihm eine Affäre angeboten. Oder gar eine Beziehung.

Aber eigentlich auch egal. Hauptsache, Valentin hat ihn abgewiesen!
 

Zu Hause huscht Valentin unter die Dusche und ich versuche mich am Aufwärmen einer Suppe.

Während ich noch umständlich eine Dose öffne, klingelt mein Handy und ich erblicke Bennis Nummer auf dem Display.

„Ja?“, nehme ich den Anruf entgegen und am anderen Ende schnaubt es.

„Du wolltest dich melden. Das war am Montag. Heute ist Mittwoch.“

„Oh scheiße! Dich hab ich ja total vergessen! Sorry.“

Verdammt. Und ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, etwas vergessen zu haben…

„Was war denn so wichtig, dass du deinen besten Freund abweisen musstest?“, will er wissen und ich grinse, als ich an den Grund dafür denken muss.

„Kannst du dir das nicht denken?“, frage ich nur und er kichert amüsiert.

„Joshi, du Hengst.“

„Idiot.“

„Was denn? Genieß es, ihn bei dir zu haben. Ich sehe Jona erst in den Ferien.“

Ich seufze auf. Ach ja… die Semesterferien, die ich gerade verdrängt habe…

„Was ist? Freust du dich nicht, uns in Frankfurt zu besuchen?“

Benni hat das Problem, dass Jona wegen seiner Profikarriere nicht nach Hamm kommen kann. Also fährt Benni nach Frankfurt, weshalb wir anderen ihn nicht zu Gesicht kriegen. Allerdings hatten wir beschlossen, ein, zwei Wochen zu ihnen nach Frankfurt zu fahren.

„Doch… Es ist nur… ich werde wohl alleine kommen,“ kläre ich ihn auf.

„Oh Gott, ihr habt euch getrennt. Du hirnloser Idiot! Wie konntest du dich von ihm trennen?!“

„Wir haben uns nicht getrennt!“, gehe ich dazwischen, ehe er sich komplett ereifern kann.

Dann erzähle ich ihm notgedrungen von Valentins Angebot.

„Und er nimmt es an?“, will Benni wissen.

„Davon gehe ich doch stark aus. Das ist seine Chance.“ Aber eigentlich weiß ich es nicht. Er hat nichts mehr davon gesagt.

„Er weiß es zwar noch nicht sicher, aber ich denke, es läuft darauf hinaus,“ füge ich also hinzu.

„Wir Zwei haben schon Pech. Mit Superstars zusammen zu sein ist echt kompliziert,“ kommentiert Benni das Ganze und versucht, witzig zu sein. Aber ich kann nur seufzen. Natürlich entgeht ihm das nicht.

„Dich stört das ziemlich, oder?“

„Es ist ja nicht nur, dass er dann die Ferien nicht mit mir verbringen kann. Es ist vor allem, dass er mit diesem Sven zusammen sein wird.“

Ich sehe über die Schulter, um sicher zu gehen, dass Valentin das nicht hört.

„Verstehe. Dieser ominöse Emo, der es auf ihn abgesehen hat.“

Klar habe ich Benni davon schon berichtet. Immerhin war das bisher meine Sorge Nummer Eins. Bisher… dann musste dieser beschissene Produzent ja so ein tolles Angebot machen…

„Ja… Am liebsten würde ich mitfahren, aber das wäre schon ziemlich affig…“

„Wäre es,“ stimmt Benni mir zu.

„Alles in Allem eine ziemlich große Scheiße!“, fasse ich zusammen und seufze.

„Aber es wird vielleicht nicht die ganzen Ferien dauern. Dann kann er danach ja nachkommen und wir machen uns ein paar schöne Tage in Frankfurt…“

Da hat Benni Recht. Das könnte passieren. Mein einziger Lichtblick, momentan.

„Ich muss jetzt aufhören, Valentin ist mit Duschen fertig.“

„Grüß ihn von mir.“

„Und du Jona.“

„Ach ja… von dem soll ich euch ausrichten, ihr sollt euch mal bei ihm melden.“

Dann beenden wir das Gespräch und ich blicke zu Valentin, der in die Küche tritt, in meinen Bademantel gehüllt. „Wer war das gerade?“

„Benni.“

Er nickt und ich grinse und deute auf seinen Aufzug. „An mir hasst du ihn, aber selbst trägst du ihn?“

Er lacht auf.

„Er ist halt kuschelig.“

„Frechheit!“

Ich deute auf die Suppe. „Das dauert noch. Wie wäre es, wenn wir in der Zeit mal bei Jona durchklingeln. Benni meint nämlich, der vermisst uns schon.“

Daraufhin lacht mein Emo nur und stimmt zu.
 

Mit Benni zu telefonieren, ist etwas anderes, als mit Jona zu kommunizieren.

Bei meinem besten Freund klinge ich einfach ständig durch, aber was Jona anbelangt, muss man fast schon einen Termin machen, so beschäftigt ist er.

Vor allem, weil er darauf besteht, dass wir skypen, damit er uns auch begutachten kann. Folglich ist es nicht viel mit kurz durchklingeln.

Also sitzen wir wenig später vor Valentins Laptop und grinsen Jona entgegen.

„Ihr meldet euch also auch mal wieder,“ stellt er fest.

„Ja… nachdem du dich schon bei Benni beschwert hast,“ lache ich. Daraufhin grinst er belustigt.

„Wie ist es in Frankfurt?“, will Valentin wissen und Jona strahlt. „Ihr glaubt gar nicht, wie geil das Training ist. Ganz anders, als wir es gewöhnt waren, Josh!“

Er erzählt mir ein bisschen davon, während Valentin nach unserer Suppe sieht und mit zwei Tellern zurückkommt.

„Aber genug von mir. Ich hab eine SMS von Benni bekommen. Valentin, du verdammtes Arschloch! Wie konntest du mir das mit dem Tape verschweigen?“

Ich möchte sterben. Warum finden das eigentlich alle toll, nur ich nicht? Kann es sein, dass ich einfach ein ganz schlechter, schlechter Freund bin?

„Toll, oder? Aber ich weiß noch nicht, ob ich das mache…“

„Bist du irre? Das ist die Chance!“

Ich seufze lautlos. Zumindest hoffe ich, dass Valentin es nicht gemerkt hat. Ich bin allerdings zuversichtlich, denn er bleibt unberührt.

„Ich weiß ja… Aber die ganzen Semesterferien in München verbringen…“ Er seufzt neben mir und zum ersten Mal kommt mir der Gedanke, dass es ihm vielleicht genauso wenig behagt, wie mir.

Wenigstens etwas. Die Tatsache beruhigt mich sogar ungemein. Dann leiden wir beide und das ist dann doch fair, oder?

„Na und? Das war immer dein Traum! So was Cooles…“ Jona strahlt von einem Ohr zum anderen, als beträfe es ihn selbst. Aber das ist typisch er. Wobei die Chemie zwischen Valentin und ihm von Anfang an gestimmt hat.

Wäre Jona nicht mit Leib und Seele Benni verfallen, wäre ich vielleicht sogar eifersüchtig geworden.

Aber jetzt sieht es einfach so aus, dass Jona für Valentin das ist, was Benni für mich ist. Bester Freund, Ratgeber und Kummerkasten.

„Und was sagst du dazu, Josh?“, will Jona wissen, obwohl ich glaube, dass Benni ihm sicher schon geschrieben hat, was ich davon halte.

Aber ich weiß schon, was er bezweckt. Er will, dass wir darüber reden und er als neutrale Person vermitteln kann.

Aber das braucht er gar nicht.

„Ich bin alles andere, als begeistert. Aber ich weiß, wie wichtig das für ihn ist und deswegen denke ich, dass er fahren sollte.“

Ich sehe Valentin an.

„Ich werde deshalb nicht böse sein oder so.“

Er lächelt schwach.

„Ich weiß doch.“

„Dann wäre das ja geklärt,“ freut Jona sich und steht dann auf, um etwas zu holen, dass er uns vor die Webcam hält.

„Mein Trikot. Jetzt bin ich ganz offiziell Mitglied! In der neuen Saison darf ich dann das erste Mal mit aufs Feld!“

„Wow, Glückwunsch!“, jubele ich und starre auf das Trikot.

Ein wenig Neid steigt in mir auf. Was hätten wir alle für so ein Trikot getan? Aber uns war natürlich allen klar, dass nur Jona wirklich Chancen darauf hatte.

Und dabei gab es eine Zeit, in der er nicht mal spielen wollte…

„Im Moment versuche ich, sie auf Chris anzusetzen,“ erklärt er uns dann und ich grinse. Das war so klar, dass er uns Küken mit auf die Profikarrierenschiene zerren will. Chris hätte es wohl auch als einziger von uns noch wirklich verdient.

„Dann streng dich an. Er wurde nämlich an meiner Schule aufgenommen.“

Das stimmt. Als er sich beworben hat, haben sie ihn sofort durch gewunken, wenn er nur sein Abi besteht.

Klar, dass ich ein gutes Wort für ihn eingelegt habe. Auch, wenn das sicher nicht all zu viel gewogen haben wird.

Zuerst waren Chris’ Eltern ja dagegen, aber mittlerweile hat er sie weich gekocht.

„Wenn er von uns die Zusage hat, bin ich gespannt, wie er sich entscheidet!“, meint Jona und das sind wir alle.

„So wie ich ihn kennengelernt habe, wird er nach einem Mittelweg suchen,“ überlegt Valentin.

„Was du auch tun solltest,“ werfe ich ein und sehe Jona streng an. „Dir ist klar, dass es mit einer Verletzung schnell vorbei sein kann?“

„Ich weiß.“ Jona seufzt. „Aber ich weiß nicht, was ich tun soll. Wenn ich studieren möchte, dann an deiner Schule. Und das geht mit meinem Vertrag für die Skyliners nicht mehr. Und was anderes… Wenn ich versage, dann werde ich eben Trainer!“

Ich grinse. So verrückt das klingt, wahrscheinlich würde der Plan sogar hinhauen.

„Na, wie dem auch sei. Ich mach jetzt Schluss. Ich muss noch einkaufen!“

Und so verabschieden wir uns und ich klappe den Laptop zu.

„Valentin… Es ist wirklich okay, wenn du das Angebot annimmst. Ich stehe voll hinter dir und ich freue mich auch für dich.“

„Ich weiß, Josh,“ meint er und steht auf, räumt unsere Teller weg, die wie während das Gesprächs leer gegessen haben.

„Die Frage ist auch nicht, ob du es willst, sondern ob ich es will.“

Überrascht sehe ich ihm nach, dann folge ich ihm in die Küche.

„Aber du wolltest immer berühmt werden!“

„Ja. Aber jetzt studiere ich schon im dritten Semester und freue mich darauf, irgendwann Musikunterricht zu geben.“

Er zuckt mit den Schultern.

„Aber-“

„Josh!“, unterbricht er mich. „Es ist mein Leben und ich muss es entscheiden. Nicht du. Ich akzeptiere deine Meinung, aber die endgültige Wahl treffe ich.“

Er sieht mich ernst an. Ja, wirklich richtig ernst. So hat er mich noch nie angesehen. Ich seufze.

„Du hast Recht. Tut mir Leid.“

„Schon gut.“ Er nickt nur und belässt es dabei.

Küchenaktivitäten und andere Katastrophen

Der nächste Morgen beginnt verhalten. Obwohl wir am Abend nicht mehr diskutiert haben, ist die Stimmung merklich gesunken.

Ich komme damit nicht wirklich klar. Zwar war es kein richtiger Streit, aber es fühlt sich so an. Und das einzige, was für mich wirklich zählt, ist Harmonie in unserer Beziehung.

Heute ist es andersherum, wie gestern. Heute muss Valentin früh aufstehen, während ich liegen bleiben kann.

Als er geht, ohne noch ein Wort zu mir zu sagen, kann ich aber nicht mehr schlafen.

Ist doch nicht alles so okay, wie wir zu tun versuchen? Habe ich mich zu sehr eingemischt? Aber warum redet er nicht einfach mit mir?

Er zweifelt offenbar nicht nur, weil ich nicht begeistert bin, sondern aus Gründen, die mir nicht so ganz klar sind.

Aber natürlich hat er Recht… Er muss die Entscheidung treffen. Ich sollte ihm da nicht reinreden.

Vielleicht sollte ich mich noch mal entschuldigen. In der Hoffnung, dass dann alles wieder in Ordnung kommt.

Ich stehe auf und ziehe mich an. Schlafen geht jetzt eh nicht mehr. Also kann ich auch an die Uni und dort warten.
 

Den Tag über überlege ich, wie ich mich am besten entschuldige, ohne dass es zu übertrieben wirkt. Ich habe ja nun auch nicht wirklich sonst was verbrochen…

Eigentlich versuche ich mich sogar für etwas zu entschuldigen, von dem ich gar nicht so recht weiß, was es genau ist.

Ich raufe mir die Haare, während der Professor sich den Mund fusselig redet. Mal wieder kriege ich nicht mit, was gesprochen wird. Wenn das so weiter geht, falle ich noch durch.

Ich hoffe, Valentin macht sich mindestens genauso viele Gedanken! Kann ja nicht sein, dass er mit der Situation jetzt zufrieden ist.

Ich schiele zu meinem Handy, das brav in meiner Tasche liegt. Ich könnte Benni anrufen und fragen, was zu tun ist. Aber am Ende sind er und Jona wieder aufgelöst, während wir uns schon wieder in den Armen liegen.

Vielleicht sollte ich ihm einfach einen Starbuckskaffee mitbringen, dann würde er schon wieder handzahm werden. Ich kenne ja meinen Valentin…

Aber seien wir ehrlich. Ich will mich entschuldigen und mir nicht seine Zuneigung erkaufen. Ich glaube, ein paar ehrliche Worte sind mehr, als genug.

Mit diesem Vorsatz mache ich mich auf den Weg nach Haus, kaum das die Lesung beendet ist. Die andere lasse ich einfach ausfallen. Ich kriege ja eh nichts mit.
 

Als ich die Türe aufschließe, riecht es nach Essen, was mich erstmal stutzen lässt. In meiner Aufgewühltheit habe ich gar nicht bedacht, dass Valentin um die Uhrzeit ja auch noch an der Uni ist. Aber offenbar hat es ihn ebenso wie mich früher nach Hause gezogen. Oder war er etwa gar nicht erst dort? Aber wo ist er dann am Morgen hin verschwunden?

Ich runzle die Stirn und streife mir meine Schuhe von den Füßen. Neugierig schiele ich dabei ins Wohnzimmer, erblicke aber niemanden.

Als ich mich gerade frage, ob der Geruch von Essen vielleicht von einem der Nachbarn zu uns zieht, höre ich es in der Küche klappern. Oh Gott… er wird doch nicht etwa…

Ich eile zur Küchentür, reiße diese auf und erstarre.

Die Küche ist ein einziges Schlachtfeld. Überall stehen Töpfe und Schüsseln, an der Wand sind Soßenspritzer und die Spüle ist komplett mit Geschirr vollgestellt. Auf dem Boden kullern Nudeln herum, die den Weg in den Topf nicht gefunden haben und mitten in all dem Chaos steht Valentin und grinst mich schief an.

„Du bist ja schon da.“

Ich starre ihn an, starre das an, was mal eine Küche dargestellt hat. Er hat es wirklich getan. Er hat versucht, zu kochen. Oh mein Gott!!!

Ich massiere mir die Schläfen und blicke Valentin an: „Was hast du hier angestellt?“

„Ich habe gekocht.“

Das hätte ich mir denken können. Aber vielleicht hätte ich die Frage einfach anders stellen sollen. Zum Beispiel: Warum stehen sämtliche Töpfe hier herum? Oder: Warum siehst du aus, als wärst du in einen Eimer mit Tomatenmark gefallen?

So sieht er nämlich aus. Sein Gesicht und seine Klamotten sind ebenso hübsch mit roter Soße dekoriert, wie die Wand bei der Küchenablage.

„Du hast noch nie gekocht,“ meine ich und bahne mir vorsichtig einen Weg zum Herd, blickte in einen Topf, dessen Inhalt fröhlich vor sich hinköchelt. Es sieht undefinierbar aus. Braune Soße mit Bröckchen…

„Was ist das?“, will ich wissen und krame nach einem sauberen Löffel.

„Spaghetti Bolognese.“

Mit viel Vorstellungskraft könnte es tatsächlich so sein, da hat er schon Recht. Aber das sage ich lieber nicht.

„Aha,“ stoße ich nur hervor und probiere das Ganze dann. Im ersten Moment schmeckt es eigentlich ganz gut, doch schon eine Sekunde später muss ich wie verrückt husten.

„Scharf,“ keuche ich. „Wie viel Pfeffer hast du da denn rein gemacht?“

Unsicher blickt er mich an, aber ich kann nicht wirklich etwas sagen, weil ich zu sehr mit Husten beschäftigt bin. Plötzlich meine ich, Enttäuschung in seinem Gesicht zu erkennen.

Er kommt zu mir und packt den Topf, trägt ihn zur Spüle.

„Was tust du da?“, würge ich hervor, während ich mich langsam von meinem Hustenanfall erhole.

„Ich kippe es weg.“

„Nicht doch!“ Ich springe neben ihn, packe seine Hände und zwinge ihn dann, den Topf wieder abzustellen. Abgesehen davon, dass am Ende sicher nur der Abfluss verstopft, schmeckt er ja eigentlich ganz gut.

Als der Topf sicher auf der Ablage steht, drehe ich Valentin zu mir und sehe ihn an. Er blickt traurig zurück.

„Valentin. Hey…“ Sanft wische ich ihm ein wenig Tomatenmark von der Wange und lächle ihn an.

„Es ist wirklich lecker. Wir strecken es noch etwas, damit die Schärfe nicht so durch kommt und dann passt es schon.“

Er nickt und schnieft, was sofort Panik in mir aufsteigen lässt. Ich komme absolut nicht damit klar, wenn Valentin weint. Vor allem, wenn ich mehr oder weniger die Ursache dafür bin.

„Ich wollte dir nur eine Freude machen,“ nuschelt er nun leise und ich sehe schon, wie seine Augen feucht werden.

„Das ist dir doch auch gelungen,“ versichere ich ihm schnell und küsse ihn zärtlich, ehe sich wirklich noch eine Träne einen Weg über seine Wange bahnen kann.

Eng presse ich ihn an mich und küsse sein Haar. „Ich freue mich sehr darüber, Valentin,“ versichere ich ihm nochmals und streiche sanft über seinen Rücken.

Das meine ich ganz ehrlich. Wenn er sich die Mühe macht, für mich zu kochen, dann kann ich gar nicht anders, als mich zu freuen. Ganz egal, wie viel Pfeffer er auch immer dafür verwendet hat.

„Ich war gestern echt blöd zu dir, Joshua,“ murmelt er plötzlich und vergräbt sein Gesicht an meiner Brust.

„Schon gut. Ich hab dich bedrängt, obwohl es wirklich alleine deine Entscheidung ist.“

Er hebt den Kopf und ich lächle ihn an.

„Ja, aber ich hätte nicht so reagieren sollen. Du wolltest mir ja nur helfen und ich bin auch froh, dass du mir deine Meinung gesagt hast. Aber das Thema ist im Moment so nervig, weil mich jeder darauf anspricht und jeder etwas dazu weiß, ohne zu fragen, was ich will und…“

Ich unterbreche ihn, in dem ich ihm einen sanften Kuss auf die Lippen hauche. Er versteht. Es ist jetzt unwichtig, vergessen.

„Sorry, dass die Küche so furchtbar aussieht,“ nuschelt er deshalb nur noch und ich schüttle den Kopf und schnappe erneut nach seinen Lippen, sauge sanft daran.

Nun lächelt auch er, was ich mehr spüre, als das ich es sehe.

„Lass uns essen, bevor es kalt wird,“ nuschelt er in den Kuss, aber wieder schüttle ich den Kopf.

„Nur noch kurz,“ murmle ich und vergrabe mein Gesicht an seiner Schulter. Er ahnt ja gar nicht, wie sehr ich unter unserem kleinen Streit gelitten habe. Und noch weniger ahnt er, wie froh ich bin, dass er beigelegt ist.

Wobei…, denke ich und streiche ihm sanft durchs Haar. Sicher weiß er es ganz genau, denn wenn er sich die Mühe macht, mir ein Abendessen zu kochen, dann muss er wohl genauso darunter gelitten haben, wie ich.
 

Wenig später ist die Soße gestreckt und wir sitzen im Wohnzimmer, schauen DVDs und essen die Spagetti Bolognese, die jetzt richtig, richtig lecker ist.

„Ich wusste einfach nicht, wie ich es wieder gut machen sollte. Heute morgen hatte ich keine Ahnung, ob du noch sauer auf mich bist und wie ich mich verhalten sollte,“ erklärt Valentin mir dann.

„Als ich dann auf dem Weg zur Uni war, bin ich am Supermarkt vorbeigekommen und hatte plötzlich eine Idee, wie ich dir eine Freude machen könnte. Also hab ich die Lesung sausen lassen und hab eingekauft.“

Ich grinse. Diese Spontanität ist typisch Valentin.

„Eigentlich wollte ich ein supertolles Abendessen zaubern, mit Kerzen und Wein und so… aber dann ist alles schief gegangen. Erst ist mir vor dem Supermarkt die Weinflasche runtergefallen, dann sind zu Hause die Nudeln umgekippt…“

Ich kann nicht anders, sondern muss lachen. „Oh Valentin… du bist eine einzige Katastrophe,“ lache ich und er verzieht den Mund. Ich beuge mich über den Tisch und küsse ihn.

„Es gibt niemanden, der gleichzeitig so chaotisch und so wahnsinnig süß sein kann, wie du.“

„Ich bin nicht chaotisch,“ murrt er und ich grinse: „Stimmt. Du bist einfach nur wahnsinnig schusselig.“

Er lächelt. „Ist jetzt wieder alles gut, zwischen uns?“

„Das war es schon die ganze Zeit. Wir haben es nur irgendwie nicht gemerkt.“

Dann essen wir schweigend zu Ende und er räumt ab.

Ich seufze und blicke auf den Fernseher. Vom Film haben wir nicht wirklich etwas mitbekommen, also schalte ich ihn aus.

Ich bin unheimlich erleichtert, dass jetzt alles wieder gut ist. Und ich bin unheimlich gerührt, dass er sich solche Mühe gegeben hat, mir was zu kochen.

Ich stehe auf und folge ihm in die Küche, wo er versucht, noch einen Platz für die Teller zu finden.

„Sollen wir uns gleich ans aufräumen machen?“, fragt er und ich schüttle den Kopf und trete grinsend zu ihm.

„Ich bin dafür, dass wir unsere Versöhnung feiern.“

Als er mich fragend anblickt, drücke ich ihn gegen die Küchenzeile und presse ihm meine Lippen auf.

„Ich liebe dich, Valentin,“ hauche ich dagegen, ehe ich ihn fordernd küsse. Sofort schlingt er seine Arme um mich und presst seinen Körper gegen meinen. Meine Hände landen auf seinem Po und ich zupfe pikiert an seiner Jeans. „Du hast eindeutig zu viel an.“

„Das sollten wir schnell ändern,“ grinst er mir entgegen und wenig später haben wir das getan.

Ich schiebe die Töpfe vom Küchentisch und sie fallen mit lautem Scheppern zu Boden. Valentin sieht mich unsicher an, während ich ihn auf den Küchentisch hebe.

„Hier?“

Ich küsse seinen Hals.

„Bis zum Schlafzimmer kann ich leider nicht mehr warten.“

Daraufhin muss er lachen, was sich in ein Stöhnen verwandelt, als ich mich in ihn dränge.

Wir finden einen gemeinsamen Rhythmus und wenig später finden wir auch unseren gemeinsamen Höhepunkt.

Erschöpft klammere ich mich danach an Valentin und lehne mich verschwitzt und schwer atmend gegen ihn.

Er vergräbt seine Nase in meinem Haar.

„Glaubst du, die Küche räumt sich selbst auf, wenn wir nur lange genug warten?“

Ich lache. „Ganz sicher, Süßer. Aber wir sollten ihr vielleicht ein wenig unter die Arme greifen.“
 

Der Freitag kommt und mit ihm erneutes Basketballtraining. Man sieht mich schräg an, weil ich es gestern geschwänzt habe und natürlich fragt man nach dem Grund. Aber was soll ich sagen? Das ich lieber meinen Freund gevögelt habe, um es mal krass auszudrücken?!

Also meine ich nur, dass er mir nicht gut ging und höre mir an, dass sie mich hinter meinem Rücken ‚Weichei’ und ‚Tunte’ nennen. Ich verdrehe die Augen. Es macht wirklich keinen Spaß mehr.

Einmal mehr sehne ich mich danach, wieder mit Benni, Jona und den anderen auf dem Feld zu stehen. Wir waren ein solch tolles, eingespieltes Team. Zwar gab es auch bei uns Querschläger, aber alles in allem hat es Spaß gemacht, mit ihnen zu spielen. Ich war stolz darauf, Teil einer solch wundervollen Mannschaft gewesen zu sein.

Und jetzt… jetzt bin ich zwar stolz, dass ich es in die Unimannschaft geschafft habe. Aber mehr auch nicht.

Ich bin zum Beispiel nicht stolz, solche Teamkameraden zu haben, obwohl einige von ihnen es ohne Frage ziemlich drauf haben.

Seufzend beginne ich mit dem Aufwärmen und frage mich, ob Benni Recht hat. Wird sich etwas ändern, wenn ich die Position des Kapitäns inne habe?

Und wenn ja, was? Wird man mich respektieren? Vielleicht endet es in einer Katastrophe. Vielleicht wird man mich dann nicht ernst nehmen und meine Entscheidungen übergehen. Aber vielleicht mache ich mir auch nur zu viele Gedanken. Bisher hat man mich auch nur auf privater, nicht aber auf sportlicher Ebene zum Trottel erklärt.

Ich verziehe den Mund. Und warum das alles? Weil ich einen Jungen liebe… ist das denn wirklich so verwerflich?

Ich finde nicht, dass auch nur irgendetwas an meiner Beziehung zu Valentin falsch oder komisch ist. Im Gegenteil. Als ich einmal zu Benni gesagt habe, Valentin sei das Beste, was mir je passiert ist, habe ich das ernst gemeint. Ich könnte auf alles verzichten. Auf meinen Bademantel, auf meine Universitätskarriere, sogar auf Basketball. Aber niemals könnte ich auf ihn verzichten. In der kurzen Zeit – wobei es ja doch schon fast ein Jahr ist – in der wir nun zusammen sind, gab es keinen Tag, an dem ich nicht dankbar war, ihn an meiner Seite zu haben.

Ich seufze, weil meine Gedanken schon wieder so schnulzig werden und konzentriere mich ganz auf den Ball in meinen Händen.

Wenig später ist die Aufwärmphase vorüber und Ausdauer- und Krafttraining steht auf dem Programm.

Ich keuche. Vielleicht sollte ich doch lieber wieder öfter joggen gehen. Aber blöderweise finde ich dafür kaum Zeit.

Nach dem Training ruft uns der hiesige Sportlehrer und Trainer zusammen und sieht uns an.

„Nächste Woche entscheidet sich, wer neuer Kapitän wird. Ich möchte ganz ehrlich sein. Momentan haben wir die Auswahl auf Joshua und Tobias eingeschränkt.“

Tobias und ich wechseln einen Blick. Er ist unser momentaner Center, also der körperlich kräftigste Spieler auf dem Platz. Seine Aufgabe ist es, um es groß zu umreißen, Gegner zu blocken und Bälle, nahe dem Korb, für uns zu ergattern.

Er macht seine Sache wirklich gut, auch wenn ich das nicht gerne zugebe. Auch vom Charakter her ist er eigentlich ein ganz netter, der kaum ein schlechtes Wort über mich verliert. Das nehme ich als Maßstab. Denn wenn man aus der Reihe tanzt und nicht die ‚Schwuchtel’ angreift, dann muss man außer Reife auch wirklich Mut beweisen.

Ich denke, dass Positive an der Sache ist, dass es sicher angenehm wäre, Tobias als Kapitän zu haben.

Das Negative – und ich meine wirklich negativ, im Sinne von Katastrophe! – ist, dass er ein idealer Kandidat ist, was meine Chancen ziemlich einschränkt. Denn im Gegensatz zu mir hat Tobias den Vorteil, dass ihn alle mögen.

Ich seufze. Eigentlich kann ich mir die Position doch schon abschminken.

Deprimiert verlasse ich kurz darauf die Halle und ziehe mich schnell um, will gehen. In dem Moment legt sich eine Hand auf meine Schulter und ich blicke nach hinten.

„Ich wollte dir nur viel Glück wünschen.“

Überrascht sehe ich Tobias an. „Danke. Dir auch viel Glück.“

Er lächelt mich an und nickt zu den Anderen, die uns nicht beachten. „Egal, wer von uns es wird. Ich würde mich freuen, wenn wir gemeinsam ein wenig Ordnung in diesen Chaotenhaufen bringen könnten.“

Ich nicke und lächle und denke mir, dass er wirklich der perfekte Kapitän wäre.

Ich will gehen, aber er hält mich erneut auf.

„Joshua?“

Ich sehe ihn fragend an und er grinst verlegen und meint: „Ich finde es übrigens nicht schlimm, also das…“, er macht eine hilflose Handbewegung, „Das mit dir und dem Emo.“

Ich nehme ihm nicht übel, dass er Valentin auf sein Emodasein beschränkt. Im Gegenteil, ich weiß ja, dass es nett gemeint ist.

Und ich bezweifle auch, dass jemand weiß, wie mein Freund eigentlich heißt. Zwar haben sie ihn alle schon gesehen, war er ja nun schon öfter beim Training oder bei Spielen mit dabei. Aber so richtig interessiert hat sich keiner für ihn. Nur dafür, wie wir uns geküsst haben und wie man uns daraufhin mit irgendwelchen Schimpfwörtern betiteln konnte.

Ich lächle Tobias also dankbar an und verlasse dann die Umkleide.

Wären wir nicht Konkurrenten, könnte ich echt anfangen, ihn zu mögen. Aber so… hasse ich ihn einfach nur, weil er meine Chancen einfach mal so herunterschraubt.
 

„Du siehst angespannt aus,“ stellt Valentin fest, während er sich fertig macht, um zur Bandprobe zu gehen.

Es ist Samstagmorgen und ich gammle noch im Bett rum, während er schon putzmunter ist.

„Es ist wegen der Kapitänsache… nächste Woche entscheidet es sich und der Kerl, der mit mir im Rennen ist, ist einfach perfekt für die Rolle geeignet.“

Valentin mustert mich, während er sich in eine enge Röhrenjeans quetscht. Ich sehe ihm dabei zu. Ich mag es, wenn er solche Teile trägt. Darin sieht sein Po schön knackig aus.

Aber ich schweife ab.

„Jetzt habe ich Angst, dass ich keine Chance mehr habe. Im Gegensatz zu ihm bin ich nämlich unbeliebt.“

Er sieht mich an und zuckt mit den Schultern: „Ich finde, du gibst den perfekten Kapitän ab. Es geht doch nicht darum, beliebt zu sein, sondern darum, taktische Entscheidungen zu geben. Und das kannst du doch, wie kein Zweiter.“

Ich lächle und in der Beziehung hat er sogar Recht. „Trotzdem. Das Team wird wohl mitentscheiden und spätestens wenn das geschieht, kann ich einpacken.“

„Und wenn schon.“ Ich sehe ihn an. Und wenn schon? Hat er mir gerade nicht zugehört, weiß er nicht, wie wichtig das für mich ist?

Ehe ich etwas sagen kann, spricht er weiter: „Dann bist du eben Vizekapitän. Joshua… du denkst die ganze Zeit nur daran, Kapitän zu werden. Aber dass du es bereits jetzt eine Position erhalten hast, ist dir noch gar nicht aufgefallen.“

Ich stutze und muss einsehen, dass er Recht hat. Nur noch Tobias und ich sind in der Auswahl. Das heißt, dass ich im schlechtesten Fall immerhin Vizekapitän bin.

„Du hast Recht,“ gebe ich nun zu.

„Natürlich. Ich hab immer Recht.“

Er kommt zu mir, gibt mir einen Kuss und winkt dann.

„Bin in drei Stunden wieder da! Und wehe, es gibt dann nichts zu Essen!“
 

Das restliche Wochenende über bin ich entspannter und kann es sogar genießen.

Und als wir uns dann am Montag zum Training versammeln, da bin ich gar nicht so nervös, wie ich es ohne Valentins Aufmunterungen gewesen wäre.

„Ich bitte euch jetzt, den Namen auf den Zettel zu schreiben, von dem ihr wollt, dass er Teamkapitän wird. Wir sammeln dann die Zettel ein und der mit den meisten Stimmen gewinnt,“ erklärt unser Sportlehrer das einfache Prinzip von eigentlich jeder Wahl und verteilt Zettel und Stifte.

Ich möchte nicht so egoistisch sein, meinen Namen auf meinen Zettel zu schreiben, also gebe ich notgedrungen meine Stimme Tobias. So, wie ich ihn einschätze, wird er das gleiche denken und meinen Namen aufschreiben. Dann halten sich unsere Stimmen die Waage und die anderen können entscheiden.

Wenig später sind alle Zettel eingesammelt und unsere Lehrer zählt durch.

Ich kaue nervös auf meiner Lippe herum und wünsche mir, Valentin wäre hier. Aber der sitzt gerade in einer ‚sterbenslangweiligen Lesung über Mozart’ und… ja… langweilt sich.

„Gut, das Ergebnis ist bekannt,“ meint der Angemüller, wie er mit Namen übrigens heißt und sieht uns alle an, macht eine Kunstpause um Spannung aufzubauen.

Ich denke nur, dass ich ihm ins Gesicht springe, wenn er nicht gleich die Entscheidung verkündet.

Nicht, dass ich mir Hoffnungen auf die Position mache…

Ich rechne hastig aus. Wir sind fünfzehn Mannschaftsmitgleider und zwei Trainer, die ebenfalls ihre Stimme abgeben dürfen. Das macht siebzehn Mann. Tobais und meine Stimme fällt mehr oder weniger weg, das heißt, es gibt fünfzehn Stimmen, die entscheiden.

Ergo bedeutet das, um eine Mehrheit an Stimmen zu haben, müssten acht Mitglieder für einen Stimmen.

„Joshua hat sieben Stimmen…“

Ich seufze auf. Ich weiß ja nicht, ob Tobias auch schon gerechnet hat, aber mir ist klar, dass er jetzt schon gewonnen hat.

Resigniert lasse ich den Kopf hängen. Ich habe es ja gewusst…

„Und Tobias hat sechs Stimmen. Zwei haben ihre Stimme enthalten.“

Ich hebe den Kopf wieder und starre unseren Trainer an. Eine Verwechslung? Ein Weltwunder? Ein…

„Man, Joshua! Glückwunsch!“ Tobias wuchtet mir seine Pranke auf den Rücken, so dass ich fast vornüber falle.

„Ich wusste doch gleich, dass ich gegen dich keine Chance habe!“

„Ja aber… mich mag doch keiner und du bist beliebt und…“, stammle ich, total überfordert. Das kann doch gar nicht sein.

„Ja, schon. Aber du bist der von uns, der die taktisch klugen Entscheidungen trifft!“ Tobias lacht und zuckt die Schultern: „Als man unsere Namen vorgelesen hat, war mir sofort klar, dass ich gegen dich keine Chance haben werde.“

Ich starre ihn mit offenem Mund an, dann wird mir langsam klar, dass ich tatsächlich Kapitän bin.

Wahnsinn!

Ich bedanke mich kurz für die Wahl, dann jogge ich in die Umkleide, um Valentin anzurufen.

„Dir ist klar, dass man mir gerade die unglaublich langweilige Geschichte von Mozart eintrichtert? Ich dachte schon, die frisst mich gleich, als ich aufgestanden bin, um auf Toilette zu gehen,“ murrt Valentin am anderen Ende der Leitung, ohne sich lange mit einer Begrüßung aufzuhalten.

„Als wenn es dich nicht brennend interessiert, wie die Wahl gelaufen ist,“ grinse ich und als er nichts mehr sagt, weiß ich, dass dem so ist.

„Ich hab tatsächlich gewonnen! Ist das zu glauben?“

„Yeah! Glückwunsch!“, freut er sich.

„Aber war ja eigentlich klar, oder?“, fügt er dann hinzu, „Du triffst nun mal die taktisch klügeren Entscheidungen, nicht?“

Darauf weiß ich keine Antwort mehr. Wie kann es eigentlich sein, dass immer jeder bescheid zu wissen scheint – nur ich nicht?!

Das Phantom der Oper

Den Dienstag verbringe ich damit, dass erste Mal beim Training den Kapitän raushängen zu lassen. Was eigentlich nicht mehr von mir fordert, als bisher. In der Position als Point-Guard ist es eh meine Aufgabe, als Spielmacher zu fungieren, Bälle günstig zu passen oder zu erkennen, wann es sinnvoller ist, aus Distanz zu werfen.

Das heißt, dass ich eigentlich schon immer dafür zuständig war, Passfolgen und Tricks ins Spiel einzubauen und das Team an die Gegner anzupassen.

Und langsam begreife ich, was Valentin, Tobias und wohl auch alle anderen meinten. Ich habe schon als Kapitän fungiert, als ich noch gar nicht gewählt war.

Wahrscheinlich hat es mich nur irritiert, weil in meinem alten Team Benni, seines Zeichens Small-Forward, Kapitän war.

Etwas anderes, was ich vom Trainer erfahre ist, dass die zwei Stimmen, die sich enthalten waren, ihm und dem Cotrainer gehört haben. Sie meinten, sie wollten sehen, wie die Mannschaft entscheidet und haben deshalb keine Stimme abgegeben. Das bedeutet, dass tatsächlich die Mehrheit des Teams mich akzeptiert hat und ich nicht nur dank der Trainerstimmen gewonnen habe.

Zwar nur ein kleines Detail, für mich aber unglaublich wichtig.

Und noch etwas ist anders. Genau, wie Benni es vorausgesehen hat, sind heute alle irgendwie netter zu mir. Nicht, dass man sich groß mit mir unterhält. Aber bisher habe ich nicht eine Beleidigung an den Kopf geschmissen bekommen, was wirklich neuer Rekord ist.
 

Ich bin ziemlich vergnügt, als ich den Weg nach Hause antrete.

Ich habe Benni und Jona schon eingeweiht, dass ich neuer Kapitän bin und auch sie waren keineswegs verwundert. Mittlerweile glaube ich, sogar die Oma im Nachbarhaus wusste, dass ich Kapitän werde, ehe ich nur den blassesten Schimmer davon hatte.

Aber auch diese Erkenntnis kann meine Laune nicht mindern. Gerade fühle ich mich unglaublich gut. Und das hält auch noch so lange an, bis ich im Wohnheim ankomme.

Als ich vor meiner Türe zum stehen komme, fällt mir sofort die ohrenbetäubende Musik auf, die aus Valentins Wohnung zu stammen scheint. Er ist also schon hier.

Ohne zu zögern, krame ich nach dem Schlüssel seiner Wohnung – wir haben unsere Ersatzschlüssel getauscht – und öffne die Türe.

Drinnen ist es noch lauter, als im Flur, aber wundern tut mich das nicht. Wenn er Musik hört, dann richtig.

Manchmal wünschte ich mir zwar, er würde etwas harmonischeres hören, als diese seltsame Mischung aus harten Gitarrenriffs, Singsang und Geschreie, aber selbst damit habe ich mich schon so mehr oder minder angefreundet.

Mit was ich mich überhaupt nicht angefreundet habe, ist Sven. Aber genau den erblicke ich, als ich in Valentins Wohnzimmer trete, das wie immer aussieht, als hätte eine Bombe eingeschlagen.

Dieser komische Sweeney-Todd-Verschnitt blickt auf, als ich über einen Berg Klamotten steige und grinst mich dann an.

„Oh, hallo. Du bist ja schon zurück.“ Er brüllt über die Musik hinweg und auch ich muss lauter sprechen, damit er mich versteht.

„Was dagegen?“, erwidere ich jedenfalls grimmig und sehe mich um. „Wo ist Valentin?“

„Er zieht sich wohl gerade an.“

So provozierend, wie er das sagt, weiß ich sofort, dass ich mir keine Sorgen machen brauche. Er kann es gerne so darstellen, als hätten sie sich gerade in den Kissen gewälzt, ich weiß es einfach besser.

Also gehe ich nicht darauf ein, sondern wende ihm nur den Rücken zu und sammle eine CD vom Boden auf, ehe jemand darauf tritt. Im nächsten Moment tritt Valentin aus dem Schlafzimmer, in eine rote Jeans gehüllt, an der noch das Etikett hängt.

„Oh Josh!“, freut er sich, als er mich entdeckt. „Wir waren gerade shoppen. Guck mal, was ich gekauft habe!“

„Sitzt wie angegossen,“ kommentiert Sven das Ganze, ehe ich auch nur etwas dazu sagen kann.

„Warum wart ihr shoppen?“ Ich runzle die Stirn. Ich hasse es, wenn sie außerhalb der Bandprobe Zeit miteinander verbringen.

„Sven hat sich angeboten, als ich ihm gesagt habe, ich bräuchte eine neue Jeans und dass du vom Shoppen nie so begeistert bist,“ erklärt er mir flüchtig und ich nicke, ärgere mich aber. Klar hasse ich es, stundenlang mit Valentin Kaufhäuser zu durchkämmen. Aber ich hätte mich liebend gerne geopfert, wenn er nur nicht mit diesem blöden Kerl gegangen wäre.

„Also sind wir nach der Probe losgezogen,“ endet er und sieht mich fragend an: „Sehe ich gut aus?“

Als gäbe es auch nur einen Tag, an dem er nicht gut aussieht. Wenn man ihn in einen Müllsack hüllen würde, sähe er noch gut aus.

Ehe ich das sagen kann, kommt mir wieder Sven zuvor: „Umwerfend, Val! Dein Po sieht darin richtig geil aus.“

Ich verenge die Augen, während Valentin sich halb verrenkt, um einen Blick auf seinen anbetungswürdigen Knackarsch zu werfen.

Auf eben diesen knalle ich nun demonstrativ meine Hand und meine: „In der Tat. Du siehst wahnsinnig sexy aus.“

Daraufhin blickt er mich freudig an und küsst mich kurz. „Darin kannst du mich bald jederzeit bewundern.“

„Ich freue mich schon,“ grinse ich zurück und als er geht, um sich wieder umzuziehen, werfe ich Sven einen triumphierenden Blick zu.

Er ignoriert mich.

Wir schweigen, bis Valentin wieder zurück kommt, in eine Bluejeans gehüllt, die er heute Morgen bereits angezogen hatte.

„Danke noch mal, dass du mitgegangen bist,“ wendet er sich Sven zu und der steht notgedrungen auf. Valentins abschließender Tonfall war Aufforderung genug.

„Man sieht sich dann an der Uni,“ verabschiedet er sich von Valentin, wirft mir noch einen bösen Blick zu und geht dann endlich.

„Bist du sauer, dass ich mit ihm shoppen war?“ Valentin sieht mich fragend an und ich schüttle den Kopf.

„Aber so sehr ich shoppen auch hasse,“ meine ich dann, „so sehr genieße ich es, Zeit mit dir zu verbringen.“

Daraufhin lächelt er und küsst mich. „Ich weiß, dass du eifersüchtig auf Sven bist. Aber du musst mir glauben, dass ich die ganze Zeit nur überlegt habe, in was du mich attraktiv finden könntest.“

Ich ziehe ihn in meine Arme. „Ich finde dich in allem attraktiv, Valentin.“

Er küsst meine Brust, durch den Shirtstoff hindurch, und ich grinse und schiebe ihn Richtung seines Schlafzimmers.

„So toll die Jeans auch sind, die du so besitzt… ohne gefällst du mir noch besser,“ erläutere ich ihm mit anzüglichen Ton und er lacht und lässt sich auf sein Bett fallen, zieht mich mit sich.
 

Später am Nachmittag sitzen wir in Shorts in Valentins Küche und er kocht Kaffee. Die CD, die er abgespielt hat, ist zu Ende und er macht sich nicht die Mühe, eine neue einzulegen. Ich erzähle ihm gerade begeistert, wie das Training verlaufen ist, als mir etwas auffällt, was mein komplettes Weltbild mit einem Mal zerstört.

„Warum trinkst du Tee?“

Er scheint mir nicht antworten zu wollen, reicht mir nur die Tasse Kaffee, ehe er sich mit einem scheußlich riechenden Kräutertee neben mir niederlässt. Dann endlich meint er: „Ich hab da so ein Kratzen im Hals. Ich will nicht krank werden.“

Ich runzle die Stirn. Wie hat er es geschafft, sich bei den warmen Temperaturen zu erkälten?

„Ach deswegen rennst du mit einem Halstuch rum, obwohl wir solch tropische Temperaturen haben.“

„Die Temperaturen sind gar nicht tropisch,“ murrt er und richtet eben jenes Halstuch, dass mir erst jetzt wirklich auffällt, wo ich darauf achte.

„Und ja. Deswegen.“

Ich muss lächeln, kann ihn aber verstehen. Er ist immerhin Leadsänger seiner Band. Er kann es sich nicht leisten, erkältet zu klingen.

Mürrisch klatscht er sich einen Löffel Honig in den Tee und nimmt einen Schluck, verzieht das Gesicht.

„Abartig!“

Ich muss lachen und beschließe, dass ich extra für ihn Tee mit Kaffeegeschmack kaufen sollte – wenn es das überhaupt gibt.
 

Als am nächsten Morgen Valentins Handywecker losgeht – soll heißen, dass mir eine seiner furchtbaren Bands laut ins Ohr kreischt – fluche ich ungehalten und richte mich auf. Gerade, als ich den Wecker ausstellen will, bemerke ich, dass Valentin nicht mehr neben mir liegt.

„Valentin?“, meine ich fragend uns stehe auf, trete hinaus ins Wohnzimmer. „Schatz?“

Keine Antwort. Normalerweise würde ich ihn in der Küche erwarten, aber nichts deutet daraufhin, dass er Kaffee kocht.

„Marzipanschnütchen?“, versuche ich es erneut, nicht ohne einen Gewissen Grad an Belustigung in der Stimme, und trete ins Bad.

Dort finde ich ihn tatsächlich vor, allerdings blickt er mich aus verheulten Augen, durch den Spiegel hinweg, an.

„Valentin!“, keuche ich auf und stürze zu ihm. „Was ist denn los?“, frage ich besorgt und ziehe ihn in meine Arme.

Wie schon mal erwähnt, komme ich nicht damit klar, wenn er weint. Jetzt, da ich nicht mal den Grund dafür kenne, ist es noch schlimmer. Ich habe das Gefühl, noch nie in meinem Leben so überfordert gewesen zu sein, wie in diesem Moment. Ich streiche ihm beruhigend über den Rücken, während er schluchzt und mein Shirt durchnässt.

„Was ist passiert?“, frage ich erneut und er flüstert irgendetwas tonlos vor sich hin.

Ich rucke ein Stück von ihm weg und sehe ihn fragend an: „Was?“

„Ich hab gesagt, meine Stimme ist weg,“ krächzt er mir mühevoll entgegen und ich bemerke erst jetzt, dass er sich krank anhört.

Tränen quellen aus seinen Augen hervor und er sieht mich leidend an: „Jetzt kann ich mir auch gleich die Pulsadern aufschneiden,“ flüstert er heißer vor sich hin.

Dann schluchzt er wieder auf, was sich im nächsten Moment in einen heftigen Hustenanfall wandelt.

„Red keinen Unsinn,“ meine ich – von Minute zu Minute überforderter – und streiche ihm ein paar Tränen von der Wange.

„Doooch,“ heult er und bringt damit einen kurzen Moment einen richtigen Ton hervor, ehe ihm die Stimme wieder versagt und er nur krächzen kann: „Meine Stimme ist alles, was ich habe…“

Dann hustet er wieder und bringt letztlich gar keinen Ton mehr heraus.

Ich seufze. „Du bist erkältet. Da ist es normal, dass man mal keine Stimme hat. Wir gehen jetzt zum Arzt, dann wird alles wieder gut, ja?“

Er nickt nur und weint still weiter. Ich schiebe ihn zurück ins Schlafzimmer, drücke ihm ein Tempo in die Hand und suche ihm dann ein paar Klamotten hervor, während er depressiv auf dem Bett sitzen bleibt. Ich ziehe mich ebenfalls an, ehe ich ihn auffordernd ansehe und er aufsteht.

Eigentlich müsste ich langsam los zu meiner Lesung, aber diese werde ich ausfallen lassen. Auf keinen Fall lasse ich Valentin jetzt alleine.

Er ist immer noch komplett aufgelöst, als wir die Wohnung verlassen und uns auf den Weg zum Arzt machen.
 

Man möchte meinen, bei der Hitze würde beim Arzt wenig los sein, aber tatsächlich ist das Wartezimmer gerappelt voll. Ich melde Valentin an, der immer noch nicht sprechen kann und ziehe ihn dann in eben jenes Wartezimmer.

Dort kuschelt er sich gegen mich und ich streiche ihm beruhigend über den Arm.

„Das wird schon wieder,“ murmle ich und bemerke besorgt, dass er Fieber hat.

„Was hast du dir da nur eingefangen?“, murmle ich und hebe kurz den Blick. Ungefähr alle im Wartezimmer starren uns an.

Sicher fragen sie sich, in welcher Beziehung wir zueinander stehen.

Köln gilt doch als Stadt der Homosexuellen, oder? Warum sind sie dann eigentlich alle so sensationsgeil, wenn zwei Kerle kuscheln? Das müsste doch hier Alltag sein… oder so…

Ich drücke Valentin einen Kuss auf die Stirn und seufze.

„Du machst mir vielleicht Sorgen,“ murmle ich gegen seine Haare und er lächelt schwach.

„Tut mir leid,“ haucht er mir entgegen und ich lege ihm einen Finger auf die Lippen.

„Schon deine Stimme ein wenig.“

Wenig später sind wir dran und der Arzt untersucht Valentin, während er mich ein wenig pikiert mustert, weil ich mich nicht aus dem Behandlungszimmer habe vertreiben lassen.

Natürlich hätte Valentin das auch ohne mich geschafft. Aber für mein eigenes Wohlbefinden ist es nötig, dass ich keine Sekunde von seiner Seite weiche.

Außerdem kann er nicht sprechen, als muss ich dem Arzt ja schildern, was los ist. Ich sage ihm auch, dass er in einer Band singt und seine Stimme braucht.

Als die Untersuchung abgeschlossen ist, nickt der Arzt und sieht Valentin an.

„Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht,“ meint er und erzeugt damit Spannung, wie wir gerade gar nicht brauchen können.

„Sie haben eine Luftröhrenentzündung. Dass Sie heißer sind, liegt also nur daran, dass die Stimmbänder vom Husten gereizt sind und sich Schleim festgesetzt hat. Ich gebe ihnen jetzt Medikamente, die die Entzündung lindern und den Schleim lösen. Dann dürften Sie den bald abhusten und ihre Stimme wiedererlangen.“ Er sieht Valentin streng an: „Aber während Sie krank sind, sollten Sie ihre Stimme schonen und nicht singen, okay?“

Valentin nickt notgedrungen und ist sicher schon erleichtert, dass nichts an seinen Stimmbändern ist.

„Die schlechte Nachricht ist, dass sich eine Luftröhrenentzündung schneller schlimmer werden und auf die Lunge übergreifen kann. Eigentlich wäre es sinnvoller, Sie im Krankenhaus zu beobachten, aber so lange Ihr Fieber nicht steigt, können Sie auch nach Hause. Dann müssen Sie mir aber versprechen, brav im Bett zu bleiben und viel zu trinken.“

Wieder nickt Valentin, der beim Wort ‚Krankenhaus’ ziemlich zusammengezuckt ist.

Dann ist der Arzt mit seiner Belehrung am Ende, stellt ein Rezept aus und wir können gehen. Ich rufe ein Taxi, das uns zurück bringt und noch kurz an der Apotheke hält, um die Medikamente zu besorgen.
 

Wieder in Valentins Wohnung, kuscheln wir uns ins Bett und ich lege den Arm um ihn, küsse seine Schulter.

„Siehst du. Alles gut,“ meine ich, während er erschöpft die Augen schließt. Ich streichle über seinen Arm, bis er eingeschlafen ist.

Ich musste dem Arzt versprechen, regelmäßig die Temperatur zu messen, aber zum Glück bleibt sie erst mal gleich und geht irgendwann sogar runter.

Die Medikamente scheinen also zu wirken.

Valentin schläft fast den ganzen Tag und ich bleibe an seiner Seite. Zwar ist es auf Dauer langweilig, im Bett zu gammeln, aber irgendwann beschäftige ich mich mit einer Hausarbeit, die bald abgegeben werden muss.

Ich bin froh, dass mittwochs kein Training ist und ich ihn deshalb nicht für drei Stunden alleine lassen muss.

Irgendwann wacht er auf und versucht mir mit Gekrächze mitzuteilen, seinen Bandkollegen bescheid zu geben.

Also wühlte ich in seinem Handy nach der Nummer eines Bandmitglieds, muss aber erst Mal übelregen, wie die eigentlich heißen. Da ist Sven, der Idiot, den ich garantiert nicht anrufen werde, und dieser eingebildete Kerl namens Sebastian, den Valentin nicht leiden kann. Den ruf ich lieber auch nicht an.

Ich überlege hin und her, wie die anderen heißen, bis mir einfällt, dass der Bassist heißt, wie der damalige Ersatzspieler von Lukas. Ich suche also nach dem Namen ‚Leon’ und finde diesen auch.

„Ähm hi,“ melde ich mich dann, „Hier ist Joshua, der Freund von Valentin.“

Ich erkläre ihm flüchtig das Geschehen und er verspricht, den anderen Bescheid zu sagen, dass die Probe erst mal ausfällt.

Ich bedanke mich, dann lege ich auf und sehe zu Valentin, der bereits wieder schläft.

Er lässt es sich zwar nicht anmerken, aber ich sehe ihm an, dass er ziemlich unter der Sache leidet.

Sicher macht er sich immer noch Sorgen um seine Stimme. Ich hoffe, dass sich das bald gibt.
 

Am nächsten Tag ist es tatsächlich besser.

Er hat kein Fieber mehr und kann auch wieder sprechen. Zwar sagt er nur das Nötigste, um seine Stimme zu schonen, aber die Erleichterung ist ihm förmlich ins Gesicht geschrieben.

Nur Husten tut er noch am laufenden Band, aber auch das wird sich noch geben. Ich koche ihm Tee, den er mit verzogener Miene trinkt, ehe er mir versichert, dass ich zu meiner Lesung kann, ohne dass er derweil krepiert.

Dennoch etwas besorgt mache ich mich auf den Weg zur Uni und bringe Lesung und Training hinter mich.

Als ich wieder ins Wohnheim komme, kommt mir Sven entgegen und ich bin versucht, ihm die Tür an die Fresse zu knallen.

„Was machst du hier?“, frage ich recht unhöflich und sehe ihn feindselig an.

„Ich habe nur Valentin besucht.“ Er sieht mich gehässig an: „Ein bisschen Geselligkeit hat ihm sicher gut getan, wo du es doch nicht für nötig gehalten hast, bei ihm zu bleiben.“

Ich balle die Hand zur Faust und klammere mich an den letzten Funken Verstand, nicht einfach blind auf ihn einzuprügeln.

„Hast du gar nichts zu seiner Verteidigung zu sagen?“, fragt er und schiebe ihn unsanft weg. „Ich wüsste nicht, weshalb ich mich verteidigen sollte,“ erwidere ich nur und stapfe die Treppen hoch, öffne die Tür zur Wohnung.

„Du hattest ja Besuch,“ stelle ich fest, als ich eintrete und mir die Schuhe ausziehe.

„Ja, Sven war kurz da,“ ertönt es aus dem Schlafzimmer.

„Und? Ist er dir in den Arsch gekrabbelt, ja?“

„Josh? Alles klar?“

Ich seufze und fahre mir durch die Haare, laufe dann zu ihm ins andere Zimmer und küsste ihn kurz.

„Ja, alles klar. Ich kann es nur nicht leiden, wenn ich seine Fresse sehen muss.“

Valentin grinst und zieht mich näher, um mich noch mal zu küssen.

„Du bist mir auch lieber als er,“ lacht er, muss dann aber wieder husten. Ich schmiege mich mit ihm aufs Bett.

Hoffentlich ist er bald wieder ganz gesund.
 

Den Donnerstag verbringt Valentin noch im Bett, am Freitag beschließt er, dass ihm frische Luft gut tun wird und begleitet mich zur Uni.

„Versprich mir, dass du dich hinlegst, wenn du nach Hause kommst,“ bitte ich ihn und sehe ihn besorgt an. Er sieht immer noch geschwächt aus. Am liebsten würde ich ihn nach Hause tragen.

„Versprochen.“

Ich gebe ihm einen Abschiedskuss und trete dann in die Uni, während er sich auf den Rückweg macht.

Als ich am späten Nachmittag zurückkomme, halte ich irritiert inne, als ich ins Wohnzimmer trete und starre auf das Ding, das man da hinein gequetscht hat.

„Valentin… was ist das?“, frage ich verwirrt.

Er tritt aus der Küche und folgt meinem Blick.

„Ich würde sagen, das ist ein Schlagzeug.“ Darauf antworte ich gar nicht erst. Ich weiß selbst, dass es ein Schlagzeug ist, aber nicht, was es hier verloren hat. Genau danach frage ich ihn aber nun:

„Was genau tut ein Schlagzeug in meinem Wohnzimmer?“

„Ich habe es für dich ausgeliehen habe.“

Ich versuche, mir meine Fassungslosigkeit nicht anmerken zu lassen, scheitere aber kläglich, als ich mich, von der Situation überfordert, an ihn wende:

„Warum leihst du mir ein Schlagzeug aus?“

„Weil du mir das spielen beibringen wolltest,“ stellt er fest und ich runzle die Stirn.

„Wollte ich das?“, frage ich und weiß jetzt schon, dass nie etwas dergleichen behauptet habe.

„Ja,“ meint er aber felsenfest überzeugt.

„Sagt wer?“, frage ich skeptisch nach und er zuckt mit den Schultern.

„Sage ich.“

Ich ziehe scharf die Luft ein und massiere mir die Schläfen. Hätte ich ihm nur nie gesagt, dass ich Schlagzeug spielen kann.

„Ach so,“ meine ich unbeholfen, „Hm…“ Mir fehlen die Worte. Hätte ich gewusst, dass er auf dem Heimweg ein Schlagzeug ausleiht, hätte ich ihn zu Hause eingesperrt und einen Schrank für die Tür geschoben.

„Weißt du… jetzt, wo ich nicht singen kann, muss ich mich ja anders ablenken. Also lerne ich jetzt Schlagzeugspielen. Und danach könnte ich mit Geige anfangen,“ klärt er mich auf und ich werfe ihm einen ungläubigen Blick zu.

„Geige?“, wiederhole ich, völlig aus dem Konzept gebracht.

„Oder Orgel. Das wäre doch cool, nicht?“

„Or… gel…“ Ich seufze auf.

„Valentin… hör mal… Du weißt schon, dass du in spätestens zwei Wochen wieder singen kannst?“

Nun funkelt er mich grimmig an: „Und was, wenn nicht? Was, wenn die Stimmbänder doch angegriffen sind und ich nicht mehr so klinge, wie früher? Dann habe ich gar nichts mehr… dann muss ich mich mit Instrumenten behelfen!“

„Valentin," jammere ich. „Es ist nur eine Entzündung gewesen…“

„Nur?! Die wollten mich ins Krankenhaus stecken!“, herrscht er mich empört an.

„Aber das hatte doch nichts mit deinen Stimmbändern zu tun.“ Ich fahre mir frustriert durch die Haare. In was hat er sich da nur reingesteigert?

Er verschränkt trotzig die Arme vor der Brust: „Wo ist dein Problem, Joshua?“

„Mein Problem ist, dass du mir ein sauteures Schlagzeug gemietet hast!“ Ich blicke wieder auf das Teil, das unschuldig im Raum steht.

„Wenn es dir nur ums Geld geht, kannst du dich ja revanchieren und mir eine Geige kaufen!“

Ehe ich etwas dazu sagen kann, spinnt er schon weiter: „Oder eine Orgel. Aber die kann ich dann nicht in meiner Wohnung unterbringen...“

„Valentin!“, versuche ich auf andere Art mein Glück, „Was soll das denn? Nur mal angenommen, du könntest wirklich nicht mehr singen… Willst du dich dann mit einer Orgel im Keller verbarrikadieren und Phantom der Oper spielen, oder wie stellst du dir das vor?“

„Nun ja, das nun nicht gerade, aber…“, er bricht ab und seufzt. „Okay, das mit der Orgel ist wirklich übertrieben. Aber vielleicht Harfe.“

„Ja,“ zische ich und beginne, auf und ab zu laufen, „Die kannst du dann in deiner Gummizelle spielen.“

„Joshua! Würdest du mich bitte ernst nehmen?“

„Ich kann dich nicht ernst nehmen. Du bist verrückt geworden! Du steigerst dich in etwas hinein, das garantiert nicht eintreffen wird und redest davon, Geige und Harfe zu spielen! Schau dich an. Die Vorstellung von dir mit einer Harfe in der Hand ist dermaßen lächerlich, dass ich keine Worte mehr dafür finde!“

Er dreht sich beleidigt weg und tappt in die Küche. Ich seufze und folge ihm, bleibe im Türrahmen stehen.

„Ich hab einfach Angst, dass ich nicht mehr singen kann,“ erklärt er mir, ehe ich etwas sagen kann.

„Der Arzt hat doch gesagt, es ist alles okay, oder? Also steigere dich doch bitte nicht so in die Sache rein. Ich verstehe ja deine Angst, aber ich bin mir sicher, dass mit deiner Stimme alles in Ordnung ist.“

Er seufzt auf.

„Du hast ja Recht, aber…“ Er dreht sich zu mir und sieht mich hilflos an. „Ich weiß auch nicht… Obwohl das alles logisch klingt, habe ich dennoch Panik…“

Ich nicke und trete zu ihm, nehme ihn in den Arm.

„Das wird schon wieder.“ Er nickt.

„Versprich mir, dass ich morgen keine Harfe neben dem Bett vorfinde.“

Er schmunzelt. „Versprochen. Und das Schlagzeug?“

„Das bringen wir zurück, okay?“

Er nickt. „Na gut… aber bringst du es mir vorher bei?“

„Valentin!“

„Schon gut… wir bringen es sofort zurück…“

Ich muss lachen. „Manchmal frage ich mich echt, wie du immer auf solche Ideen kommst…“

Andy Sixx

Eine Woche später kriegt er vom Arzt grünes Licht, wieder singen zu dürfen. Weil er aber immer noch nicht ganz über seine Identitätskrise hinweg ist, beschließt er, noch zu warten.

Als wir am Sonntagabend in meiner Küche sitzen, beschließe ich, ihn darauf anzusprechen: „Hör mal. Ich finde, du musst es dich langsam trauen. Es wird nicht besser, wenn du es hinauszögerst. Im Gegenteil. Dir fallen nur noch mehr Gründe ein, zu warten.“

Er seufzt auf und nippt von seinem Kaffee, den er endlich wieder trinken kann. Den Rest des Kräutertees hat er übrigens in den Müll geworfen, mit den Worten, niemals wieder so etwas widerliches trinken zu wollen.

„Ich weiß,“ gibt er unwillig zu und seufzt. „Morgen… Ich denke, morgen mach ich es.“

„Warum nicht jetzt?“ Ich blinzle ihn herausfordernd an und er schüttelt heftig den Kopf.

„Nein, noch nicht. Heute schone ich meine Stimme noch.“

Ich seufze.

„Na schön…“, willige ich ein. Zwingen kann ich ihn ja nicht.
 

Am Montagmorgen frage ich ihn erneut, ob er es nicht versuchen möchte, aber wieder schüttelt er nur den Kopf. Ich seufze. Er hat sich da wirklich in einen Wahn gesteigert, den er nicht mehr loswird.

Viel Zeit, darüber nachzudenken, habe ich aber nicht. Ich verbringe den Tag an der Uni und gehe nach dem Training zu Valentins Hochschule. Ich weiß, dass er noch im Musiksaal vorbeisehen wollte und deshalb zieht es mich genau dahin.

Als ich eintrete, blickt er auf und lächelt mich an.

Er sitzt am Klavier, und klimpert ehrfürchtig. darauf herum.

Ich setzte mich neben ihn.

„Ich traue mich nicht. Ich habe immer noch Angst davor, dass es schrecklich klingen könnte…“, gesteht er mir.

Ich hauche ihm einen Kuss auf die Wange.

„Komm schon, Valentin. Von nichts kommt nichts. Ich bin ja hier.“ Ich weiß nicht, ob ihm das hilft, aber er nickt und spielt tatsächlich den ersten Ton.

„I know, I’m not there to hold you; Look up, see the sky that I do.”

Er blickt überrascht von sich selbst drein, dass er es sich tatsächlich getraut und ich nicke bekräftigend, damit er weitermacht.

„You make me the happiest of men. I am the happiest of men.”

Ich seufze erleichtert und er lächelt, während er weiter singt.

„And if God takes me before you; I just want you to know, I love you.”

Er klingt wie immer. Und an seinem glücklichen Gesicht sehe ich, dass nicht nur ich so denke.

„And you made me the strongest of all men. I’ll remain, the happiest of men.”

Lächelnd spielt er den letzten Ton.

„I miss you; Baby close your eyes. Let’s meet; in our dreams tonight...”*

Er endet und sieht mich dann fragend an.

„Und?“

„Wie immer.“

Glücklich fällt er mir um den Hals und ich spüre, wie er vor Erleichterung ein paar Tränen verdrückt und diese an meinem Hals entlanglaufen.

„Das heißt dann wohl, ich muss auf süße Harfenklänge verzichten,“ stelle ich betrübt fest und er boxt mich in die Seite.

„Hör auf, dich über mich lustig zu machen!“, faucht er und ich lache.

„Oh Gott… weißt du eigentlich, wie sehr ich dich verrückten Idioten liebe?“ Ich ziehe ihn wieder näher und küsse ihn.

„You make me the happiest of men,” flüstert er mir ins Ohr und ich würde ihm am liebsten hier auf dem Klavier flachlegen. Da das aber nicht geht, muss ich mich leider gedulden, bis wir zu Hause sind…
 

Am Mittwoch hat sich Valentin nach der Uni nicht bei mir gemeldet, sondern in seiner Wohnung vergraben. Irgendwann wird es mir langweilig und ich beschließe, meinem Lieblingsemo einen Besuch abzustatten.

„Hey,“ meine ich, als ich in sein Wohnzimmer trete. Dort sitzt er am Boden, mit einem Berg an Textblättern um sich herum.

„Komm her und hilf mir,“ fordert er mich auf, kaum hat er mich bemerkt.

„Wie könnte ich dieser liebevollen Bitte widerstehen?“, schnaube ich und lasse mich grinsend neben ihm nieder.

Er trägt seine neue Jeans, diese rote, und sieht wahnsinnig heiß aus. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, oder daran, dass ich wegen seiner Krankheit Sexentzug hatte, aber ich bin im Moment ständig wahnsinnig geil auf ihn.

Ich beginne, an seinem Hals zu knabbern, während er auf die Texte starrt.

„Was meinst du, welcher Song wäre für die Band geeignet?“

„Keine Ahnung,“ meine ich und lasse meine Hand unter sein Shirt wandern.

„Josh,“ murmelt er, „Ich muss bis morgen ein paar Songs gefunden haben.“

„Mach das nachher,“ bitte ich ihn und drücke ihn nach hinten, klettere über ihn. „Diese Jeans macht mich wahnsinnig,“ flüstere ich und küsse ihn, öffne jene Jeans dabei.

„Josh,“ lacht er und drückt mich weg. „Im Ernst. Lass mich erst die Songs raussuchen.“

Ich seufze und gebe auf.

„Wenn du mir hilfst, geht es schneller,“ zwinkert er mir so und so höre ich mir ungeduldig an, was er zu den Songs zu sagen hat.

Da mir die meisten nichts sagen, müssen wir ständig in sie hineinhören.

„Also… Den hier finde ich ja ganz toll,“ meine ich und deute auf einen Zettel. Ich meine den einzig ruhigen Song in seiner Auswahl, ‚Emily’ von ‚From first to last’.

„Ich auch,“ nickt er und legen diesen auf den Stapel der Songs, den seine Band einübt.

„Und den hier,“ bestimmt er und legt einen weiteren Zettel dazu.

„Was ist damit?“ Ich starre auf den Song. „Ich hab dir doch schon gesagt, was ich davon halte,“ meine ich. Es geht um ‚Knives and Pens’ von ‚Black Veil Brides’. Er findet den Song toll, ich hasse ihn. Er will ihn unbedingt spielen, ich finde, er sollte es lassen.

Eine ganze Weile kaut er auf seiner Lippe herum, dann entscheidet er sich doch dafür. „Sicher?“, frage ich und er nickt. „Ich liebe die Band. Ich krieg das schon hin. ‚Emily’ ist viel schwieriger und den hab ich ja auch gewählt.“

Keine Ahnung, ob nun der eine oder der andere Song schwerer ist und ob er selbst das wirklich so sieht, oder nur seinen Willen durchsetzten will… ist mir auch egal. Es interessiert mich nicht, was er für Songs mit seiner Band spielt. Mich interessiert nur, wie ich ihn so schnell wie möglich von diesen lästigen Klamotten befreien kann.

Kaum hat er gesagt, dass wir fertig sind, stürze ich mich gierig auf ihn und ziehe ihm das Shirt über den Kopf.

Meine Lippen wandern über seine Brust und er stöhnt auf. Als ich meine Hand gerade in seiner Hose verschwinden lassen will, klingelt es an der Tür und ich schreie frustriert auf.

„Du wirst da nicht hingehen!“, bestimmte ich und sehe ihn streng an.

Er kichert auf. „Ach Joshi…“ Dann schiebt er mich von sich und steht tatsächlich auf, zieht sich im Laufen wieder richtig an.

„Valentin. Dafür werde ich dich auf ewig hassen!“, rufe ich, als er in den Flur tritt.

„Wenn du die Tür aufmachst, dann verlasse ich dich! Ich meins ernst, ich…“

Er öffnet die Tür und ich verstumme.

„Hey, Sven,“ meint er im nächsten Moment und ich würde am liebsten Amok laufen. Wegen diesem Wichser mussten wir jetzt aufhören?

„Hey, Val. Ich war gerade in der Nähe und dachte, ich schau mal vorbei.“

Er tritt hinter Valentin ins Wohnzimmer und sieht mich an.

„Du bist ja auch da,“ stellt er unerfreut fest und mustert mich. Erst jetzt merke ich, dass ich immer noch mit deutlich sichtbarer Latte auf dem Boden hocke und stehe auf, wende mich ab.

„Offensichtlich,“ presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Willst du einen Kaffee?“, fragt Valentin und bittet Sven, sich zu setzten.

„Ja, bitte. Ich liebe Kaffee!“ Er hockt sich in eine Ecke des Sofas und ich mach es mir in der anderen bequem. Ich überlege, ob ich es schaffe, ihn mit einem Kissen zu ersticken, ehe Valentin zurück kommt und mich aufhalten kann.

Genervt verdrehe ich die Augen, als er kurz darauf eine Tasse entgegen nimmt und dabei möglichst begeistert dreinschaut. Ist ja wohl klar, dass er nur so tut, weil er weiß, dass Valentin Kaffee liebt.

„Ich hab ein paar neue Songs rausgesucht. Josh und ich haben gerade überlegt, welche drei wir denn einüben sollen,“ klärt Valentin Sven auf und der besieht sich augenblicklich die Songtexte, die Valentin ihm reicht, und deutet dann zielstrebig auf einen Song: „Der ist genial.“

Weil ich meine Neugierde nicht vergeben kann, blicke ich ebenfalls darauf und grummle leise. Ausgerechnet den, von dem ich abgeraten habe!

Auch Valentin tippt nun mit seinem Finger darauf: „Echt? Joshi meinte, der wäre nichts. Aber ich liebe den Song und wollte ihn unbedingt spielen.“

„Ich finde, er passt perfekt zu dir,“ schleimt Sven daraufhin und blickt mich triumphierend an: „Andy Sixx und du… ihr seid euch recht ähnlich.“

Wer zur Hölle ist denn nun wieder Andy Sixx? Okay, gut. Logischerweise der Sänger… aber… wer zur Hölle ist Andy Sixx? Und warum leuchten Valentins Augen jetzt wie zwei Glühwürmchen?

„Findest du?“, will er wissen und wird tatsächlich rot. What the fuck?

„Ich würde fast sagen, du bist sogar besser. Und du siehst besser aus, Val!“

Ich werfe Sven einen vernichtenden Blick zu. Dieses Gesülze kann sich ja keiner anhören. Und überhaupt: Val?!

„Danke, das ist nett von dir,“ kichert Valentin, wie so ein Schulmädchen und wirft mir einen kurzen Blick zu. Ich will gar nicht wissen, wie ich aussehe. Aber ich bin sicher, man merkt mir an, dass ich meine ganze Selbstbeherrschung brauche, um Sven nicht einfach niederzuschlagen.

„Dann würde ich sagen, spielen wir das morgen mal durch,“ meint er und sein Ton hat etwas an sich, was Sven sagt, dass er jetzt am besten abhaut.

Dieser trinkt seinen Kaffee aus. „Wie wäre es, wenn wir später noch proben? Dann sage ich den anderen bescheid, dann können wir gleich sehen, ob der Song zu dir passt.“

Ich balle die Hand zur Faust. Er sollte jetzt wirklich gehen.

„Okay,“ stimmt Valentin zu, bringt ihn dann noch zur Türe. Als Sven endlich von dannen gezogen ist, kommt mein Freund wieder zu mir zurück und setzt sich auf meinen Schoß.

Ich presse die Lippen aufeinander.

„Was hast du?“ Ich schnaube. Was ich habe? Kann er sich das nicht denken?

Unsanft schiebe ich ihn von mir runter und stehe auf, verschränke die Arme.

„Was sollte das gerade?“, frage ich und verenge die Augen.

„Was meinst du?“

Ich beginne, Sven nachzuäffen: „Ich liebe Kaffee, Val. Du bist so viel hübscher, Val. Lass uns ficken, Val…“ Ich sehe ihn aufgebracht an. „Warum nennt er dich überhaupt >Val<?“

„Joshua, was soll das denn jetzt?“ Er kommt zu mir und entwirrt meine Arme. „Er versucht nur, nett zu sein.“

„Nein! Er macht sich an dich ran und du machst nichts dagegen, weil du viel zu naiv mit deinen Mitmenschen umgehst!“

Nun ist er es, der die Augen verengt.

„Ja, er mag mich… Aber was daran findest du so schlimm?“

„WAS DARAN SCHLIMM IST!“, schreie ich auf und sehe ihn fassungslos an. Meint er das ernst? „Es tut mir ja Leid, dass ich es schlimm finde, wenn sich ein beschissenes Arschloch an meinen Freund ranschmeißt!“

Als er auf meinen Ausbruch nicht reagiert, komme ich mir blöd vor, hier so rum zu schreien und fahre in normalen Ton fort: „Ihr versteht euch gut, habt die gleichen Interessen, den gleichen Style… Ist doch klar, dass er das ausnutzt, um dich mir wegzuschnappen.“

Ich weiß nicht, was auf einmal mit mir los ist. Aber plötzlich bricht alles, was sich in mir angestaut hat, heraus.

„Das mag ja sein. Aber ich bin doch hier, Josh. Ich bin hier bei dir. Wo ich hingehöre. Wo ich sein will…“, meint er eindringlich, aber das besänftigt mich nicht. Diesmal nicht.

„Warum dann diese Show? Warum musst du dann so nett sein, statt ihn einfach die Meinung zu geigen?“

„Soll ich jetzt unfreundlich zu ihm sein, nur weil er mich mag? Wir spielen immerhin in einer Band!“

Ich schüttle den Kopf. Jetzt schiebt er einfach die Band vor, dann muss er sich nicht mit dem Problem auseinander setzten. Wirklich clever.

„Du verstehst es einfach nicht,“ resigniere ich und verlasse den Raum. Er braucht keine Sekunde, schon ist er mir nachgestürmt.

„Nein, ich versteh es auch nicht,“ schreit er – was mich kurz überrascht zu ihm blicken lässt –, „Ich verstehe nicht, warum du sauer auf mich bist! Ich liebe dich und er ändert daran nichts.“

Ich sage dazu nichts mehr, sondern öffne nur die Türe und trete in den Flur. Mit starrem Blick schließe ich meine Wohnung auf.

Ich weiß ja selbst nicht, warum genau ich sauer auf Valentin bin. Vielleicht habe ich mir einfach nur erhofft, er würde Sven klar sagen, dass er mich liebt und nichts von ihm will und ihm sagen, dass er aufhören soll, ihn zu umwerben.

Aber vielleicht verlange ich da ja auch zu viel, ich weiß es nicht…

Valentin tritt nun ebenfalls in den Wohnheimflur. „Oder vertraust du mir nicht?“

Das musste ja jetzt kommen. Jetzt dreht er also den Spieß um und macht mir Vorwürfe. Aber so nicht!

„Doch, ich vertraue dir!,“ meine ich, „Aber ihm nicht!“

Ich will in meine Wohnung und die Türe schließen, aber Valentin donnert seine Hand dagegen, stoppt diese, ehe sie sich schließen kann und wirft mich dabei fast um. Ich sehe ihn an.

„Hau jetzt nicht ab, wie ein kleines Kind! Lass uns reden!“

„Ich will jetzt nicht reden. Ich will meine Ruhe.“

Er öffnet den Mund, um zu protestieren, aber ich schiebe ihn mit aller Kraft weg und knalle ihm dann die Tür vor der Nase zu.

Wütend lehne ich mich dann dagegen und seufze auf. Okay… das war gerade eine erstklassige Szene, wirklich toll…

Frustriert trete ich gegen meine alte Kommode, ein Erbstück meiner Oma und breche von der Kante, die dank eines blöden Möbelpackers abgeschürft ist, noch ein Stück ab.

„VERDAMMT!“
 

Wenig später habe ich mich beruhigt und bereue es, ihn so angegangen zu sein. Ich hätte ihn nicht abservieren sollen, sondern hätte vernünftig mit ihm reden sollen, wie er es gefordert hat.

Also beschließe ich, meinen Fehler gutzumachen und trete hinaus in den Flur. Als ich gegen seine Türe klopfe, tut sich drinnen nichts und ich schließe notgedrungen auf.

Aber er ist nicht hier. Ich runzle die Stirn, bis mir wieder einfällt, dass Sven ja was von einer spontanen Bandprobe gelabert hat.

Da ich eh nichts zu tun habe und die Sache einfach nur klären will, mache ich mich also auf den Weg zur Hochschule.

Tatsächlich finde ich ihn mit den anderen Mitgliedern auf der Bühne in der Aula vor, wo sie proben.

Gerade spielen sie einen der neuen Songs, ‚Higinia’ von ‚Blessthefall’. Den Song kenne ich fast schon auswendig, so oft läuft er bei Valentin auf und ab.

Ich denke, dass das ein gutes Zeichen ist. Ein schlechtes wäre es gewesen, wenn sie diesen blöden Song gespielt hätten, den ich so doof und Sven so herrlich fand.

Ich trete ein Stück naher und blicke zu Valentin. Ich liebe es, ihn singen zu hören. Valentins Stimme verleiht jedem Song etwas besonders. Meist klingt es gar nicht wie ein Cover, sondern als hätte er dem Song neues Leben eingehaucht. Vielleicht kommt es mir nur so vor, weil ich ihn liebe, aber ich bin mir eigentlich sicher, dass ich das nicht alleine so sehe.

Außerdem spielen sie ja auch Songs, die Valentin selbst gespielt hat. Und diese klingen allesamt wunderschön. Viel schöner, als die anderer Bands.

Ich grinse und beobachte ihn. Ihn auf der Bühne zu erleben, ist einfach immer ein Erlebnis, weil er solch eine Präsenz ausstrahlt.

Wobei... mittlerweile wird das immer mehr zur Qual. Es hat mich nie gestört, wenn er mit Kevin – dem anderen Gitarristen – oder Leon – dem Bassisten - gesungen oder einen von ihnen angetanzt hat. Aber jetzt tut er das auch mit Sven und das stört mich unglaublich sehr, auch wenn ich weiß, dass es einfach nur zur Show gehört.

Valentin bemerkt mich nicht, dafür aber Sven, der mir gleich einen hochmütigen Blick zu wirft. Ich kann einfach nicht umhin, ihn mit jeder Faser meines Körpers zu hassen. Nicht nur, weil er scharf auf meinen Freund ist, sondern auch, weil er es so demonstrativ heraushängen lässt.

Während ich ihn noch wütend anstarre, tanzt Valentin ihn an und ich balle die Hand zur Faust, was Sven nicht entgeht. Er grinst mich an, dann packt er Valentins Kinn, dreht dessen Kopf zu sich und küsst ihn.

Ich erstarre und warte auf eine Reaktion von meinem Freund. Aber die… bleibt aus. Er steht einfach nur da, bis Sven sich löst und starrt ihn dann erschrocken an.

Warum hat er ihn nicht weggeschoben?

Das ist mein erster Gedanke und dem folgen viele weitere. Wut steigt in mir auf, wird aber sofort von nagender Angst abgelöst.

Warum hat er ihn nicht weggeschoben???

Ich schlucke, während die Anderen aufhören, zu spielen.

„Man, Sven! Was sollte das? Jetzt hast du das ganzen Song kaputt gemacht,“ empört sich Sebastian. Valentin mag den Drummer ja nicht, aber ich finde ihn gerade toll, weil er Sven angreift.

Wirklich freuen kann ich mich aber nicht.

Warum hat er ihn denn nur nicht weggeschoben?

Ich sehe, wie Valentin etwas sagt, verstehe aber nicht, was. Daraufhin blickt Sven zu mir und Valentin folgt seinem Blick und entdeckt mich.

Obwohl er so weit weg von mir steht, sehe ich dennoch, wie alle Farbe aus seinem Gesicht weicht und das bringt das Fass zum Überlaufen.

Offenbar fühlt er sich ertappt. Und was sagt mir das? Das er wohl keine Grund darin sah, Sven wegzuschieben.

Das ist zu viel für mich. Ich drehe mich auf dem Absatz um und verlasse die Aula.

„JOSH!“

Ich bin versucht, zu rennen. Aber wie lächerlich wäre das? Ich mach ja keine dramatische Szene, wie ein kleines Schulmädchen. Möglichst noch mit viel Tränen. Also laufe ich nur ruhigen Schrittes weiter.

„Joshua! Warte! Bitte!!!“

Ich hätte wissen müssen, dass er mir nachrennt. Und dass er mich einholt, hätte ich auch ahnen können, weil ich ja nicht rennen wollte.

Kaum ist er auf meiner Höhe, packt er mich am Arm.

„Bitte… Das war nicht… ich wollte nicht… du musst mir glauben, dass…“, stammelt er, ohne auch nur etwas Sinnvolles über die Lippen zu bringen.

Ich seufze auf.

„Die ganze Zeit erzählt du mir, da wäre nichts weiter und dass ich dir vertrauen soll. Und jetzt knutscht ihr auf der Bühne herum,“ meine ich wahnsinnig enttäuscht.

„Aber ich habe doch nicht gewollt, dass er das tut! Keine Ahnung, warum er das getan hat und –“

„Hör doch auf! Warum hast du ihn nicht einfach weggestoßen?“

„Du denkst doch nicht, ich hätte es gewollt, oder?“

Ich antworte nicht, sondern befreie mich aus seinem Griff, renne jetzt doch los. Ich hab keine Lust mehr, ihm zuzuhören.

Ich fühle mich schlecht und will mich entschuldigen und er knutscht schon mit dem Nächsten.

Er stürmt mir wieder nach.

„Joshua!“

Ich schüttle den Kopf. Warum kann er es nicht gut sein lassen. Ich will nicht mehr reden. Ich will nichts mehr von all seinen Lügen hören.

„Hau ab!“, fahre ich ihn deshalb an.

„Aber…“

Ich bleibe stehen und er rennt in mich rein. Wütend sehe ich ihn an.

„Ich meins ernst. Hau ab!“

Er öffnet den Mund um zu protestieren, aber ich lasse ich nicht zu Wort kommen: „Ich will dich nicht mehr sehen. Nie wieder.“

„Joshua…?“

„Ich hab keinen Bock mehr auf dich, okay? Du kotzt mich an.“

Er starrt mich an und ich laufe weiter. Hinter mir schnieft es.

„Josh?“

Ich schließe die Augen. Ich hasse es, wenn er weint.

Um dem zu entgehen, renne ich wieder los.

Natürlich folgt er mir auch diesmal wieder.

„Joshua!“

Ich beschleunige meine Schritte. Ich werde ihn abhängen. Über kurz oder lang. Ich bin trainierter und ausdauernder als er.

Er wird nicht lange Schritt halten können. Tatsächlich wird er langsamer, während ich das Tempo halte.

„Joshua! JOSHUA!“, kreischt er deshalb hysterisch. „JOSHUA BITTE! JOSHUAAA!“

Ich beeile mich, noch schneller wegzukommen und höre ihn entfernt schluchzen, bis auch das verklingt.

Ein ganzes Stück renne ich noch, dann lehne ich mich gegen eine Hanswand und schleiße die Augen, presse meinen Handrücken dagegen, um die Tränen zurückzuhalten.

Das war das einzig Richtige. Das einzig Richtige…

Ich keuche auf und fühle, wie die Tränen unter meiner Hand hervorquellen.

Das einzig Richtige…

Ich hasse ihn. Ich hasse ihn dafür, dass er mich angelogen hat. Dafür, dass er Sven nicht weggestoßen hat. Dass er ihn geküsst hat. Dass er so unschuldig tut.

Ich hasse es ihn so sehr… Aber warum muss ich ihn trotzdem noch lieben?
 


 

* Für alle, die den Song nicht erkannt haben und die er interessiert: Der Song heißt ‚With eyes wide shut’ von Blessthefall. (Er ist so wunderschön ;__;)

Unverhofft kommt oft

Der Ball trifft auf den Ring, dreht sich fast um eine ganze Runde, ehe er hineinfällt und wieder auf dem Boden aufschlägt.

Gemächlichen Schrittes laufe ich zu ihm, nehme ihn an mich. Wieder zurück an die Freiwurflinie. Prellen, werfen…

Im Hintergrund höre ich, wie sich die anderen aufwärmen, aber sie interessieren mich nicht wirklich. Garantiert unterhalten sie sich darüber, was sie gemeinsam unternommen haben, oder noch werden.

Ich habe nie zu ihrem Kreis gehört. Warum also sollten sie mich jetzt mit in das Gespräch einbringen? Warum sollte ich mich in das Gespräch einklinken?

Seit ich hier in Köln bin, gab es nur eine Person, zu der ich regelmäßig Kontakt hatte. Valentin.

Ich habe ihn am ersten Tag kennengelernt, dann ein Semester lang seine Launen ertragen, ohne mich um andere Freunde zu bemühen, und als wir dann zusammen waren, gab es sowieso nur noch Valentin. Ganz abgesehen davon, dass die meisten, mit denen ich mich hätte anfreunden können, mich als blöde Schwuchtel beschimpften.

Aber jetzt bin ich das ja eigentlich nicht mehr. Jetzt bin ich single und könnte mir genau genommen wieder eine Frau suchen. Eine normale Beziehung führen. So wie mit Teresa.

Teresa… ich war ziemlich blöd zu ihr. Vielleicht sollte ich sie anrufen. Wir könnten uns in den Semesterferien treffen. Sie wollte mich ja mal zurück. Ob das immer noch so ist?

Eigentlich ist die Preisfrage aber, ob ich Teresa noch zurück möchte… Blöderweise lässt sich diese Frage nur mit ‚nein’ beantworten.

Ich werfe noch einen Blick zu den anderen. Jetzt bin ich also ganz alleine. Kein Valentin mehr. Weder als fester Freund, noch als normaler Freund.

Und da ich auch keine anderen Freunde habe… wird meine Zeit in Köln wohl jetzt ein wenig einsam sein…

Aber was soll’s? Besser, als mit einem Kerl zusammen zu sein, der einen belügt und betrügt.

Der nächste Wurf. Der Ball prallt am Ring ab und ich fange ihn. Noch einmal. Diesmal ein klarer Treffer. Langsam komme ich wieder ins Spiel.

Basketball hat mich schon immer von meinen Sorgen abgelenkt. Konzentration verschafft Ablenkung!

Ich werfe noch einige Körbe, ehe Tobias zu mir tritt.

„Wir wollen dann anfangen?“

Er redet vom Training. Aber ich habe keine Lust auf Training. Ich will nur hier stehen und depressiv Körbe werfen. Sieht er das denn nicht?

„Ich fühl mich nicht so,“ meine ich.

Er runzelt die Stirn. „Wirst du krank?“

Ich grinse freudlos. Im Moment wäre ich lieber krank, als in meiner jetzigen Situation.

„Nein. Heute ist nur so gar nicht mein Tag…“

Ich seufze und er mustert mich kritisch. Sicher denkt er sich, dass jeder mal einen schlechten Tag hat und trotzdem beim Training alles geben muss. Aber er sagt nichts, sondern geht nur zu den anderen zurück.

Ich werfe einen Blick zu ihnen. Ob ich hätte mittrainieren sollen? So schließe ich mich ja selbst von ihnen aus, dabei wäre ein Jemand zum reden gerade wirklich angenehm.

Ich werfe noch ein paar weitere Körbe, ehe ich ihn bemerke.

Ich spüre seine Anwesenheit, ohne zu ihm blicken zu müssen, noch ehe er etwas sagen kann oder ich den Geruch von Kaffee in die Nase bekomme. Als hätte ich einen inneren Radar, reagiert mein Körper darauf, dass er in der Nähe ist.

Ziemlich blöde Sache, weil ich doch beschlossen habe, ihn zu vergessen. Ganz zu vergessen, seine unnötige Existenz auszublenden…

Einen kurzen Moment bin ich versucht, ihn zu ignorieren. Aber seine Anwesenheit ist zu penetrant, als dass man sie ignorieren könnte.

„Was willst du hier?“, frage ich also kühl, ohne ihn anzusehen. Besser, ich sage etwas, bevor er anfängt, sich einzuschießen.

Ich hab nämlich das Gefühl, dass er ziemlich viel zu sagen hat.

„Bitte lass uns noch mal darüber reden, Josh.“

Ich verziehe den Mund. Natürlich… Als gäbe es da noch was zu reden. Als würde ich mir noch mal freiwillig seine Lügen reinziehen.

„Ich will nicht mit dir reden.“

Ich werfe, aber der Ball geht komplett daneben, berührt nicht mal den Korb. Verdammt!

Er stört meine Konzentration, meine innere Ruhe. Er soll gehen. Er soll gehen!!!

„Das kann es doch jetzt nicht gewesen sein…“

Eine Standardansage. In jedem schmalzigen Film sagt das der Protagonist, der gerade verlassen wird.

Aber doch. Es kann es gewesen sein. Es wird es gewesen sein. Weil ich keine Lust mehr auf eine Fortsetzung dieser ganzen scheiß Show habe.

„Jede Beziehung geht einmal zu Ende, >Val<,“ meine ich und sehe ihn noch immer nicht an. Ich will nicht wissen, was ich sehen würde, würde ich ihn ansehen.

„Ey, was macht der Emo hier?“, ertönt in dem Moment Ricks Stimme. Rick – das ist nur sein Spitzname, aber ich habe keine Ahnung, wie er wirklich heißt, weil ich mich ja nie für meine Teamkollegen interessiert habe – ist ein ziemlicher Idiot. Einer derjenigen, der es nicht lassen kann, mich immer noch zu beschimpfen, wenn auch nicht mehr ganz so extrem, wie einmal zuvor. Ich habe mir vorgenommen, ihn dafür zu quälen. Mit Extratraining oder zumindest zusätzlichen Liegestützen und Sit-ups.

„Joshua! Du weiß doch, dass wir keine Störungen gebrauchen können,“ ruft mir nun Tobias zu. Als wenn Valentin sie stört, wenn er mit mir redet. Ich trainiere ja eh nicht mit. Andererseits stört er wirklich. Er stört – wie schon mal erwähnt – meinen Seelenfrieden.

„Du solltest gehen,“ meine ich, aber Valentin denkt gar nicht daran. Natürlich nicht. er hat sich noch nie um das geschert, was andere zu ihm sagen. Schon gar nicht, wenn es sich um Dinge gehandelt hat, die ihm nicht in den Kram gepasst haben.

Warum sollte es dann jetzt anders sein?

„Aber ich liebe dich!“

Ich schnaube. Ich habe gesehen, wie sehr er mich liebt…

„Oooch,“ höre ich Rick den anderen zurufen, „Habt ihr gehört? Er liebt ihn. Ist das nicht rührend?“

Vielleicht ist es kein guter Ort, das zu diskutieren. Ob ich nun mit ihm rede, oder ihn ignoriere, sei dahingestellt. So oder so ist das kein geeigneter Ort. Nicht mit diesen Idioten als Zuhörern.

Aber wenn ich ihm das jetzt sage, dann willige ich ja notgedrungen ein, noch einmal woanders ein Gespräch zu führen und das ist es, was ich unter keinen Umständen will.

Nie wieder will ich mit ihm reden.

Habe ich es gestern Abend geschafft, ihm aus dem Weg zu gehen, werde ich es nun auch die restlichen Tage schaffen, bis endlich diese scheiß Semesterferien anfangen. Noch zwei beknackte Wochen, man. Das muss doch möglich sein!

„Joshua?“ Ach ja. Er wartet ja auf Antwort.

„Ich liebe dich aber nicht mehr.“

Er zieht scharf die Luft ein und ich muss gestehen, dass es in meiner Brust sticht, als ramme man mir ein Messer komplett ins Herz.

Aber besser, ich sage es so. Dann versteht er es wenigstens und nervt nicht mehr. So habe ich es damals auch Teresa beigebracht. Und sie hat es ja auch akzeptiert.

„Machst du gerade Schluss, Joshi?“, brüllt Rick zu uns, „Hast du genug von deiner Tunte?“

Ich balle die Hand zur Faust, zwinge mich dann aber, meine Finger zu entspannen. Wenn er Valentin beleidigt, ist das nicht länger mein Problem. Es geht mich nichts mehr an. Valentin geht mich nichts mehr an.

„Joshua…“

Was hat er eigentlich davon, ständig meinen Namen zu sagen? Denkt er, ich würde ihn deshalb zurücknehmen? Weil er meinen Namen aussprechen kann?

„Geh jetzt.“ Ich habe keine Lust mehr. Abgesehen davon, dass ich mich gerade zum Gespött des ganzen Teams mache – und das als Kapitän -, habe ich auch einfach keine Lust mehr auf den Scheiß.

„Aber…“

Ich schreie frustriert auf. Dieser Junge!!! Kann er nicht einmal tun, was man von ihm verlangt? Kann er nicht einmal aufhören, derart stur zu sein?

„Geh!“

Ich weiß, dass er mit sich hadert. Unschlüssig scharrt er mit seinem Fuß über den Hallenboden und die Gummisohle seiner neuen Schuhe ergibt ein quietschendes Geräusch.

Dann schnieft er auf und ich spüre, wie sich ein weiteres Messer in meine Brust bohrt. Ich hasse es, wenn er weint. Ich hasse es, wenn er wegen mir weint.

Endlich dreht er sich um und flieht aus der Halle. Dramatischer Abgang. Typisch Valentin.

„Jetzt hast du ihn zum heulen gebracht, Joshi!“, ruft Rick mir zu und wendet sich dann Valentin zu. „Ey, Emo! Gehst du dich jetzt ritzen?“

Besagter Emo ignoriert ihn, während ich meinen Ball schnappe und ebenfalls Richtung Ausgang laufe.

„Ey… Rick,“ meine ich, als ich auf seiner Höhe bin. Als er zu mir blickt, donnere ich ihm den Ball mit voller Wucht in seine beschissene Fresse. „Halt dein dreckiges Maul,“ meine ich, während er aufjault.

Dann verlasse ich die Halle, ziehe mich hastig um.

Wenig später stehe ich auf offener Straße, blicke mich um und fühle mich irgendwie verloren.

Kein Valentin. Und die letzten Sympathiepunkte meines Teams habe ich mit der Aktion sicher gerade verspielt. Ich seufze auf. Im Moment läuft es doch wirklich super, nicht?
 

Zu Hause möchte ich nicht bleiben, also durchkämme ich die Stadt nach einem Basketballplatz und werde in einem Park fündig.

Bisher habe ich nur auf dem Unigelände gespielt. Aber wenn ich was jetzt nicht möchte, dann Rick oder einem der anderen über den Weg laufen.

Hier kann ich in Ruhe Körbe werfen und brauche auch keine Angst haben, dass Valentin noch mal auftaucht, weil er reden möchte.

Ich werfe fast eine Stunde stur Körbe, als mein Handy zu klingeln beginnt. Als ich auf das Display blicke, ist es Valentins Nummer, die mir entgegenblinkt.

Dieser sture Mistkerl!

Ich schalte das Handy aus, habe jetzt aber keine Lust mehr, zu spielen. Also mache ich mich langsam auf den Weg nach Hause.

Im Wohnheim angekommen, blicke ich mich frustriert in meiner Wohnung um. Überall sein beschissener Kram!

Klamotten im Schlafzimmer, CDs und DVDs im Wohnzimmer, Kajalstifte und Haarspray im Bad.

Ich habe mich oft gefragt, warum er nicht einfach gleich bei mir einzieht!

Mürrisch werfe ich alles, was ihm gehört oder mich an ihn erinnert, in einen großen Umzugskarton, den ich seit meinem Einzug im Flur verstaue, und wuchte diesen dann in den Flur.

Ich klingle und während ich darauf warte, dass Valentin mir öffnet, fummle ich seinen Ersatzschlüssel von meinem Schlüsselbund.

Dann öffnet sich die Tür und Valentin sieht mich aus verheulten Augen an. Als er mich erkennt, hellt sich sein Blick auf, aber ich lasse ihm keine Zeit, sich groß Hoffnungen zu machen.

Unwirsch drücke ich ihm den Karton in die Hand und werfe den Schlüssel hinein.

„Mein Zeug kannst du mir ja vor die Tür stellen,“ meine ich, mache auf dem Absatz kehrt und verkrieche mich wieder in meiner Wohnung.

Ich weiß nicht, was mit ihm ist. Vielleicht ist er erstarrt oder sonst was. Jedenfalls dauert es fast fünf Minuten, bis ich höre, wie sich seine Wohnungstüre schließt.
 

Als ich am nächsten Tag beim Training erscheine, erwarte ich schon fast, dass man mich bestraft oder gleich rauswirft.

Zumindest denke ich, wird man mir die Position als Kapitän wieder entziehen, weil man als Kapitän nicht ein solch unsportliches Verhalten an den Tag legen kann.

Wobei das eigentlich unfair wäre. Denn Ricks Verhalten war auch alles andere, als sportlich oder fair.

Doch als ich in die Umkleide trete, grinst mich Tobias wohlwollend an und ich blicke fragend drein.

„Das mit Rick gestern… das war echt cool!“

Ich ziehe die Brauen hoch. „War es das?“

„Endlich hat es ihm mal wer gezeigt,“ freut er sich und nickt bekräftigend, ehe er die Umkleide verlässt.

Überrascht lasse ich meine Sporttasche auf eine der Bänke fallen und seufze. Aha… Ob Rick das genauso sieht?
 

Rick sieht das offenbar gar nicht so, denn er taucht nicht zum Training auf. Als ich mich beim Trainer erkundige, sieht der mich nur mit warnendem Blick an und hält mir eine Predigt darüber, dass man Konflikte so nicht klärt. Dann sagt er mir, Rick sei für die nächsten Trainingseinheiten entschuldigt.

Erst habe ich Angst, ich hätte ihm die Nase gebrochen. Aber dann erfahre ich von den anderen, dass es ihm gut geht und es sich offenbar nur um verletzten Stolz handelt.

Komischer Kerl.

Erinnert mich ein wenig an Mike, aus unserem damaligen Schulteam. Der hat damals ziemliche Unruhe ins Team gebracht, als Jona ihm den Stammplatz streitig gemacht hat.

Am Ende ist er ausgestiegen.

Jetzt ist er mit Bennis Exfreundin Amelie zusammen, die wohl schon seit Jonas Auftauchen mit ihm gemeinsame Sache gemacht hat, um den Emo loszuwerden.

Vielleicht hat man in einer Beziehung einen Riecher dafür, wer einem gefährlich werden könnte.

Scheint so, denn Amelie und auch ich lagen richtig.

Plötzlich fühle ich mich mit Amelie verbunden, was eigentlich lächerlich ist, weil ich sie nicht leiden kann und schon immer fand, dass sie eine blöde, eingebildete Tussi ist.
 

Jedenfalls verläuft das Training überraschend gut.

Danach tritt Tobias zu mir und sieht mich seltsam an. Ein wenig unsicher, ein wenig fragend, ein wenig wohlwollend. „Ist alles klar bei dir? Wegen der Sache gestern.“

Automatisch ziehe ich den Kopf ein.

Ich finde es wirklich nett von ihm, dass er mit mir darüber reden möchte. Vor allem, weil ich mich nach jemandem sehne, mit dem ich darüber reden kann! Aber mittlerweile ist mir klar, dass das nicht jemand x-beliebiges sein.

Dafür in Frage kommt nur einer, auch wenn ich ein wenig Angst davor habe, ihn anzurufen und es deshalb vor mir herschiebe.

„Ja, alles soweit okay. Danke.“

Ich packe meinen Kram zusammen und hoffe, dass Tobias geht, aber das tut er nicht.

„Hör mal… so eine Trennung ist immer schwer. Auch wenn es von einem Jungen ist.“

Ich weiß nicht, was er mir damit jetzt wieder sagen will. Dass eine Beziehung zwischen zwei Kerlen nicht allzu ernst zu nehmen ist, folglich auch nicht die Trennung… Entzückend…

Andererseits will ich keinen Streit mit ihm. Letztlich meint er es ja nur gut, dass er mit mir darüber reden will.

„Ich komm klar,“ winke ich erneut ab, dann verlasse ich fluchtartig die Umkleide.

Ich kann das jetzt nicht gebrauchen.
 

Das Wochenende verbringe ich alleine zu Hause, sehe mir alte Filme an und verspeise Tonnen von Eis.

Ich glaube, dass ich wirklich langsam zum Weib werde. Machen das Weiber nicht so, wenn sie Liebeskummer haben? Sich alte Filme ansehen und Tonnen Eis verspeisen?

Vielleicht bin doch wirklich schwul. So richtig. So ganz und gar.

Aber selbst wenn dem so wäre, heißt das ja nicht, dass nur Valentin dafür in Frage kommt, mein Gegenpart zu sein!

Außerdem muss man mir doch zugute halten, dass es alte Actionfilme sind, keine alten Schnulzen.

Irgendwann sind die alten Filme aufgebraucht und ich schwenke auf Harry Potter um.

Während das Intro läuft, denke ich, ist diese Bewältigungsstrategie gar nicht so übel. Nur verstehe ich nicht, warum Frauen sich Liebesfilme reinziehen und dann heulen, wenn die Heldin ihren Prinzen für sich gewinnt.

Das wühlt doch nur auf und reibt einem schön unter die Nase, dass man selbst gerade keinen Prinzen mehr hat.

Da sind Filme, wo anderen der Kopf weggeschossen wird, doch irgendwie cooler. Da kann man abschalten, wird nicht ständig schmerzlichst an irgendwas erinnert und wenn einer stirbt, kann man sich vorstellen, dass es der Trottel ist, der einen sitzen gelassen hat.

So fühle ich mich übrigens.

Als hätte man mich sitzengelassen. Ich meine… ich habe zwar Schluss gemacht, aber Valentin hatte Schuld daran.

Ich bin also das Opfer, auch wenn er sich in dieser Rolle gerade richtig gut gefällt.

Was er jetzt wohl tut? Sicher das Gleiche, wie ich. Nur glotzt er Liebesfilme. Weil er eine dumme Schwuchtel ist. Genau…

Ich seufze. Nicht mal in Gedanken kann ich ihn beleidigen, ohne mich dabei schlecht zu fühlen.

Ich seufze frustriert auf. Warum denke ich überhaupt an ihn? Ich will ihn doch vergessen!

Ich vertreibe ihn aus meinen Gedanken und konzentriere mich auf den Film, der seltsamerweise schon beachtlich fortgeschritten ist. Um was geht es eigentlich?
 

Die kommende Woche lenke ich mich damit ab, zu trainieren und mich vor Valentin zu verstecken, der mir irgendwie überall auflauert, um mit mir zu reden.

Das heißt, dass ich – ganz im Verfolgungswahn – erst um die Ecke blicke, um zu checken, dass die Luft rein ist, ehe ich zum Beispiel in die Aula oder die Cafeteria trete.

Ansonsten versuche ich, niemals zu den Zeiten nach Hause zu kehren, um die ich normalerweise dort aufschlagen müsste.

Gehe also nach dem Training noch in den Park oder einkaufen, damit er nicht an der Türe wartet.

Irgendwie ist das kindisch, ja nahezu lächerlich.

Aber um ehrlich zu sein, habe ich einfach Angst, dass ich nachgebe, wenn er mich nur noch einmal erwischt und zutextet.

Denn so sehr ich es zu Anfang auch verdrängen wollte. Ich vermisse ihn wahnsinnig.

Ich vermisse den Geruch von Kaffee, ich vermisse die Unordnung in den Zimmern, ich vermisse seine nervige Musik, ich vermisse den Sex und vor allem vermisse ich es, ihn nahe bei mir zu wissen, mit ihm zu reden.
 

Am Donnerstag bin ich noch nicht ganz zu Hause, als plötzlich mein Handy klingelt. Nach fast einer Woche habe ich es das erste Mal wieder eingeschaltet und gleich 45 Anrufe von Valentin gezählt.

Jetzt ist es aber nicht Valentin, sondern Benni. Während ich die schwere Eingangstüre zum Wohnheim aufwuchte, nehme ich ab.

„Ja?“

„Du meldest dich auch nicht, was?“ Na super. Noch einer, der mir Vorwürfe macht. Als würde es nicht schon reichen, dass ich mir vorgestern von Valentin nachrufen lassen musste, dass ich alles kaputt mache.

Als wäre ich es gewesen, der alles kaputt gemacht hat!

„Sorry. Viel um die Ohren.“ Eigentlich gar nicht wahr. Ich habe gar nichts zu tun. Gar nichts!!! Außer natürlich, mich selbst zu bemitleiden…

Ich öffne meine Wohnungstüre, lasse meine Tasche fallen und laufe zielstrebig ins Wohnzimmer. Dann mache ich es mir auf meinem Lieblingssessel bequem und höre mir geduldig Bennis Geschimpfe an, ehe er mich wieder zu Wort kommen lässt:

„Also? Wie geht es meinem besten Freund so?“

„Ging schon besser,“ antworte ich ehrlich und weiß schon, auf was das jetzt hinaus laufen wird.

„Bist du krank?“

Ich verneine

„Was dann?“

Ach Gott, dieser Typ ist auch so verdammt hartnäckig. Irgendwie sind das alle, die ich so kenne.

Aber gut. Beißen wir eben in den sauren Apfel. Ewig kann ich es eh nicht vor ihnen geheim halten.

„Ich hab mit Valentin Schluss gemacht.“

Stille. Dann meint er: „Ich glaube, ich hab da was falsch verstanden…“

„Du hast schon richtig gehört,“ fahre ich ihn unwirsch an. Soll ich es ihm noch auf 'ne Postkarte malen und zuschicken?

„Jona wird ausrasten!“

Ich schnaube. Das ist alles, was ihm dazu einfällt?

„Jona ist mir ehrlich gesagt gerade egal,“ werfe ich ein und er schweigt wieder. Ich seufze.

„Benni?“

„Dass du ein bisschen blöd bist, weiß ich ja schon länger. Aber so blöd kannst doch nicht mal du sein!“

Na danke auch. Und ich dachte immer, er wäre mein bester Freund und würde hinter allem stehen, was ich so tue…

„Ich hatte schon meine Gründe,“ fauche ich also beleidigt und er schnaubt noch mal: „Welche denn?“

„Ich hab keine Lust, darüber zu reden.“ Die habe ich wirklich nicht. Weder mit Valentin, noch mit Benni, noch mit sonst wem.

„Du wirst mir ja wohl sagen können-“

Ich lege auf.

Ich werde ihm jetzt gar nichts sagen! Er ruft noch ein paar Mal an, aber ich ignoriere es.

Irgendwann gibt er auf.
 

Das Wochenende verbringe ich, wie das davor.

Dann bricht die letzte Woche an. Was heißt, dass ich bald weg von hier bin. Endlich!

Sie verläuft wie die letzte Woche auch, nur etwas gelassener, als die zuvor, denn jetzt ist die Ziellinie schon vor mir aufgetaucht.

Am Donnerstag, nach der Uni, schleiche ich zum Training, bringe es hinter mich und krieche dann schon fast nach Hause.

Ich fühle mich erschöpft. Nicht nur vom Training, sondern vor allem von der ganzen Trennung.

Valentin hat schon einige Tage keine Anstalten mehr gemacht, mit mir zu reden. Vielleicht hat er es endlich begriffen.

Diese Hoffnung wird kaputt gemacht, als am späten Abend jemand gegen meine Türe klopft.

Vielleicht bringt er mir ja auch nur mein Zeug zurück, was er immer noch bei sich gebunkert hat. Sicher denkt er, dass ich es irgendwann holen werde und er mich dann zuquasseln kann. Aber da hat er sich getäuscht! Soll er es doch behalten!

Da ich schon geduscht habe und nur in Shorts bin, wickle ich mich in meinen Bademantel und laufe zur Türe, an der es schon wieder klopft.

Ich hoffe, er hat einen guten Grund, mich zu stören. Auf unsinnige Diskussionen habe ich jetzt keine Lust.

Unwillig reiße ich die Türe auf und starre die Person davor dann entgeistert an.

„BIST DU EIGENTLICH KOMPLETT BESCHEUERT?!“

Überrascht öffne ich den Mund.

„Jo… Jona?“

Emo-Solidarität

Fassungslos starre ich Jona an.

„Was machst du hier?“

Im Ernst! Was macht er hier? Müsste er nicht in Frankfurt sein, trainieren? Kann er da einfach so weg? Und warum hat er sich nicht angekündigt? Und was soll die ganze Aktion überhaupt?

„Was ich hier mache? Glaubst du, ich lasse zu, dass du Valentin einfach abservierst.“

Ich sehe ihn empört an. Ist das jetzt Emo-Solidarität oder sind sie mittlerweile so gut befreundet, dass er das jetzt gerade Ernst meint?

„Entschuldige mal. Ich hatte schon eine Grund, das zu tun.“

Fairerweise kann er das nicht ahnen, weil ich den Grund ja Benni nicht gesagt habe. Oder weiß er es gar nicht, sondern von diesem Mistkerl in der Nachbarwohnung, der sich nicht mehr anders zu helfen wusste?

„Der da wäre?“

Offenbar war doch Benni der Überbringer der frohen Botschaft, sonst hätte Valentin die Story schon längst weitergetratscht.

Wunder mich ehrlich gesagt, dass er sich nicht an Jona gewandt hat.

„Er hat-“, beginne ich zu erklären, aber Jona unterbricht mich, in dem er die Hand hebt.

„Was immer er getan hat – du bist Schuld!“

Dann drängt er sich mit seiner Reisetasche an mir vorbei und ich sehe ihm wütend nach.

Unsanft knalle ich die Türe zu und stürme ihm nach.

„Ich bin also Schuld, dass er einen anderen geküsst hat?!“, fahre ich Jona an und er sieht überrascht zu mir.

„Er hat was ?!“

Ich sehe ihn betrübt an. „Er hat mit einem Kerl aus seiner Band geknutscht.“

„Etwa diesem Sven?“

Ich nicke und Jona seufzt.

„Freiwillig?“

Ich zucke mit den Schultern.

„Du weißt es nicht genau und machst trotzdem Schluss?“ Und schon attackiert er mich wieder. „Wie kannst du jemanden wie Valentin sitzen lassen, ohne ernsthaften Grund?“

„Jona… er hat ihn nicht weg geschoben, also wird es ihm schon gefallen haben, okay?“

Er verzieht den Mund. Offenbar glaubt er mir nicht.

„Ich werde mit ihm reden.“

„Nein!“ Ich verstelle ihm den Weg und presse mich mit dem Rücken gegen die Türe.

„Jetzt sowieso nicht mehr. Ich bin müde. Ich will schlafen.“

Mit den Worten verschwindet er mit einigen Habseligkeiten im Bad und lässt mich dumm drein schauend zurück.

Hastig suche ich mein Handy und wähle Bennis Nummer.

„Wie konntest du es Jona erzählen?“, fauche ich, kaum nimmt er ab.

„Er ist immerhin mein Freund.“

„Ja! Und jetzt tyrannisiert er mich.“

„Tut er das?“ Wie er das sagt. Als wäre ihm das gleichgültig. Wahrscheinlich denkt er, ich habe es verdient.

Ich blinzle. Moment mal… Heißt das, er weiß es noch gar nicht.

„Dir ist schon klar, dass dein toller Freund gerade in meinem Badezimmer steht?!“

„Er tut was ?!“

Und schon ist er hellhörig.

„Er ist hier. Um die Sache selbst zu klären, weil er der Meinung ist, dass es alles meine Schuld ist.“

„Da hat er ja auch Recht.“ Auf einmal lacht Benni amüsiert auf. Wenigstens einer kann sich daran erfreuen.

Grimmig lege ich auf und in dem Moment kommt Jona zurück.

„Und? Hast du dich beschwert.“

Widerwillig nicke ich und er grinst, fragt nicht weiter nach. Offenbar ist er sich seiner Sache ziemlich sicher. Vielleicht erkennt er aber auch an meiner enttäuschen Miene, dass Benni auf seiner Seite ist.
 

Ich blicke betrübt in meine Kaffeetasse, während wir schweigend frühstücken. Eigentlich sollte ich mich auf den Weg zur Uni machen, aber ich habe das Gefühl, dass Jona mich eh nicht gehen lassen würde.

Er will das in der Woche geklärt haben, natürlich... immerhin sind dann Ferien und dann klärt es sich eh nicht mehr.

Die Frage ist aber eigentlich nicht, was Jona will, sondern was Valentin und ich wollen. Vor allem ich. Was Valentin will, kann mir eigentlich egal sein.

Blöderweise muss ich mir aber eingestehen, dass ein kleiner Teil von mir wirklich hofft, dass es mit Jonas Hilfe noch einmal gut wird.

Und das ist wirklich ärgerlich. Als würde ich mir selbst in den Rücken fallen.

Ich seufze und Jona blickt auf.

„Sag mir nicht, dass du nicht unter der Trennung leidest.“

Um nicht antworten zu müssen, nehme ich einen großen Schluck Kaffee. Aber wirklich helfen tut das nicht, denn er verschafft mir nur ein paar Sekunden.

„Ist das nicht normal?“

Jona schüttelt den Kopf. „Warum tust du euch das an?“

„Warum tut er mir das an.“

Erneutes Seufzen von meinem Gesprächspartner.

Als hätte ich es mir ausgesucht! Als hätte ich mir ausgesucht, dass Valentin einen anderen küsst und ich mich deshalb betrogen fühle.

„Es ist ja nicht nur, dass der Kuss. Selbst, wenn er es nicht wollte… ich habe ihm so oft gesagt, dass er mit Sven reden soll, aber er wollte ja nicht hören…“

Jona blickt mich an, sicher hocherfreut, dass ich mit Reden beginne. Dann kann die Therapie ja beginnen…

„Was hätte er ihm denn deiner Meinung nach sagen sollen?“

„Das er nichts von ihm will. Das er ihn in Ruhe lassen soll. Irgend so was.“

„Hätte das viel gebracht?“

„Wohl nicht. Aber er hätte es wenigstens versucht…“

Ist dieser Wunsch affig? Ich weiß es nicht. Aber ich denke eigentlich, dass es nicht zu viel verlangt war, dass diese Forderungen nachvollziehbar waren.

„Ich werde jetzt gehen und mit ihm reden,“ beschließt Jona jedenfalls und steht auf.

„Denkst du, er ist jetzt in der Uni,“ fragt er dann aber unsicher nach. An der Uni… wo ich auch sein sollte. Eigentlich…

„Wohl nicht.“

„Werde ich ja sehen…“ Und dann zieht er von dannen und ich bleibe alleine zurück.
 

Wir waren eine Woche zusammen, als wir gemeinsam in der Innenstadt waren, um neue Schuhe zu kaufen. Ich weiß noch genau, dass ich welche für das Training gebraucht habe, während Valentin nach neuen Vans schauen wollte.

Als wir den Laden verlassen haben, habe ich ihn angeboten, seine Tüte zu tragen. Er hat mich aus großen Augen angesehen und ist rot geworden. Keine Ahnung, warum. Dann hat er schüchtern gemeint, es würde ich ihm schon reichen, wenn ich seine Hand halten könnte.

Daraufhin bin ich auch rot geworden. Unfreiwillig, aber unvermeidlich.

Bisher hatten wir unsere Beziehung nur auf unsere vier Wände beschränkt gehabt, hatten noch nicht einmal Benni oder Jona davon erzählt.

Nun verlangter von mir, mich mit ihm Händchen haltend in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Ich hatte schon ein wenig Schiss davor, diesen Schritt zu gehen. Aber obwohl ich Angst hatte, habe ich seine Hand fest mit meiner umschlossen und bin dann gänzlich in seinen strahlenden Augen versunken.

Es hat mich kaum Überwindung gekostet, weil er mir wichtiger war, als all das, was die Leute denken könnten.

Und um ihn das zu zeigen, habe ich ihn dann auch noch geküsst. Vor all den Menschen, von denen uns letztlich kaum jemand beachtet hat.

Aber das war es gar nicht, was diesen Moment ausmachte. Es war die Tatsache, dass ich für ihn über meinen Schatten gesprungen bin. Etwas gewagt habe, um ihn nicht von mir zu stoßen.

Jetzt denke ich, verlangt die Situation mir wieder etwas Ähnliches ab, wie die damalige.

Mir wird klar, dass ich nicht davor weglaufen kann, es zu klären. Wenn Jona jetzt zurückkommt, wird es nur zwei Möglichkeit geben:

Entweder, hat Valentin den Kuss mit Sven genossen – dann ist es endgültig vorbei -, oder aber, er hat nicht das Geringste dabei gespürt.

In diesem Fall… ja in diesem Fall muss ich über meinen Schatten springen und unsere Beziehung retten.

Weil ich es dann verbockt habe, nicht er.

Aber so sehr ich es mir vielleicht insgeheim wünsche, ich gehe davon aus, dass es einzig und alleine Valentins Schuld ist.

Denn hätte er den Kuss nicht minimal genossen, hätte er ihn sicher weg geschoben.
 

Es klopft an der Türe und ich lasse Jona ein.

„Ich habe mit ihm geredet,“ verkündet er mir, als hätte ich es mir nicht denken können. Er war ja lange genug weg. Wäre Valentin nicht da gewesen, wäre er ja zurückgekommen.

„Und?“, frage ich also und ignoriere, dass ich ungeduldig klinge. Wer kann mir das aber verübeln? Ich will endlich mit der Sache abschließen und das kann ich nur so.

Als wenn ich das nicht wüsste. Ungeduldig sehe ich ihn an.

„Er war ziemlich aufgelöst.“

Typisch Valentin. Drückt auf die Tränendrüse, um schön Mitleid zu erheischen.

„Aha,“ meine ich nur kühl und wende mich von Jona ab. Er soll nicht sehen, dass ich nervös bin. Denn so sauer ich auch bin. Ich frage mich dennoch, ob es nicht noch eine minimale Chance für uns gibt…

„Und er packt.“

Ich ziehe scharf die Luft ein. Da habe ich meine Antwort ja schon.

„Ach so. Damit er mit seinem neuen Lover zu dieser scheiß Aufnahme fahren kann, ja?“

Gut. Schön. Fein.

Hat er mich also für diese hässliche Fresse abserviert. Was sollten dann noch seine dämlichen Bemühungen, unsere Beziehung zu retten, wenn er jetzt doch diesen Sven nimmt?

„Dir ist bewusst, dass er nicht fahren wollte?“

Ich zucke zusammen, bin aber ansonsten bemüht, mir nichts anmerken zu lassen. Nein. Das war mir nicht bewusst.

Ich schlucke schwer.

„Dachte ich mir,“ ertappt Jona mich trotz meines Tarnversuchs und seufzt, erklärt es mir dann ganz: „Er wollte nicht fahren, damit er die Ferien mit dir verbringen kann, Josh. Er hat gesagt, er hat lange überlegt, ob es nicht einfach nur dämlich ist, solche eine Chance sausen zu lassen, wäre dann aber zu der Entscheidung gelangt, dass es das wert ist, wenn er nur die Ferien mit dir zusammen sein kann.“

Ich schließe die Augen.

Sind das etwa Tränen? Was soll das? Warum werde ich jetzt so rührselig?

Jona entgeht das sicher nicht. Denn er setzt dem Ganzen noch einen drauf: „Er liebt dich, Joshua.“

Plötzlich bin ich wieder sauer. Dieses ganze Hin und Her, dass ist doch alles scheiße.

„Wenn er mich so liebt… warum hat er dann mit einem anderen geknutscht.“

„Josh. Du weißt selbst, dass Sven ihn geküsst hat, nicht er Sven. Und er meinte, er war im ersten Moment einfach zu geschockt gewesen und ehe er ernsthaft etwas hätte tun können, war es schon wieder vorbei.“

Ich schüttle den Kopf. So war es nicht. So kann es nicht gewesen sein. Denn wäre es so, dann…

Ich sehe zu Jona.

„Hat er denn wirklich ausgesehen, als hätte es ihm gefallen?“

Ich schluchze auf. Unter anderen Umständen wäre es mir peinlich, aber das hier ist nur Jona. Er kann das ruhig sehen.

„Nein.“

„Und denkst du nicht, Sven hat das mit Absicht gemacht? Um euch auseinander zu bringen?“

„Wahrscheinlich schon.“

„Valentin denkt das auch. Und er sagt, er würde alles tun, um dich davon zu überzeugen.“

Ich beiße mir auf die Lippen.

„Du liebst ihn doch, Josh, oder?“

Ich nicke.

Natürlich liebe ich ihn. Nur ihn. So sehr, wie noch nie einen Menschen zuvor.

Wie konnte ich so blöd sein, so dumm?

Ich hätte ihn fast verloren, ich…

„Ich muss zu ihm!“

„Dafür ist es zu spät.“

Ich starre Jona verwirrt an.

„Was soll das denn jetzt heißen?“ Hat er jetzt doch schon einen anderen? Hat er Sven eine Chance gegeben?

„Er ist schon auf dem Weg zum Bahnhof, Josh.“ Jona blickt auf seine Uhr. „Wahrscheinlich ist er schon dort. Sie fahren in zwanzig Minuten.“

Ich reiße die Augen auf.

„Aber er kann jetzt nicht fahren. Ich muss mit ihm reden!“

Jona zuckt mit den Achseln. „Dann solltest du dich beeilen!“
 

So schnell wie jetzt, bin ich noch nie in meinem Leben gerannt.

Die Häuser ziehen vorbei, während meine Füße hart auf den Asphalt aufschlagen.

Hier und da remple ich ein paar Passanten an und entschuldige mich notdürftig, ohne extra anzuhalten.

Es ist nicht sonderlich weit, bis zum Bahnhof. Aber die ganze Strecke zu rennen, so unter Zeitdruck, lässt sie einem ewig lang vorkommen.

Jona folgt mir, wenn auch wesentlich langsamer. Für ihn geht es ja auch nicht darum, um das Wichtigste zu kämpfen, was man im Leben hat.

Dann endlich erreiche ich den Bahnhof und sehe mich hastig um.

Wo finden die Aufnahmen statt?

Plötzlich weiß ich gar nichts mehr und lasse den Blick nur hin und her schweifen.

München! Natürlich. München!

Ich bahne mir einen Weg durch die Menschenmassen. Was machen die alle hier? Haben die nichts Besseres zu tun, als mich daran zu hindern, Valentin zurück zu gewinnen?

Aber klar…

Heute ist Freitag. Viele Stundenten fahren heute schon nach Hause. Vor allem, die, die von weiter weg kommen.

Ebenso viele Pendler und alle die, die einige Stationen mit dem Zug von der Arbeit nach Hause fahren müssen.

Ich raufe mir frustriert die Haare, während ich mich zum Bahngleis durchkämpfe.

Noch fünf Minuten bis zur Abfahrt.

Dann erblicke ich endlich den ICE Richtung München und eile zum Bahnsteig.

Auch hier ist die Hölle los. Müssen denn wirklich so viele Kölner heute nach München fahren?

Es ist ziemlich schwierig, jemanden in der Menge zu finden.

Was mache ich, wenn er schon im Zug ist? Ich kann ja nicht einsteigen. Am Ende fährt der blöde Zug noch los und ich bin noch drin.

Ich versuche, Valentin anzurufen, während ich den Steig absuche.

Aber entweder ist sein Handy aus, oder er hört es nicht. Jedenfalls geht noch einigen Malen Klingeln die Mailbox ran.

„Scheiße!“, fluche ich laut und stecke das Handy weg.

Es ist zu spät, wird es mir klar. Er ist schon drin.

Sven hat sein Ziel erreicht. Er hat uns auseinander gebracht und kann sich jetzt ungestört an Valentin ran machen.

Vielleicht habe ich nach den Ferien noch Chancen, aber wahrscheinlich eher nicht.

Ich seufze und möchte gerade aufgeben, als ich sie entdecke.

Zumindest entdecke ich Sven, aber das reicht mir erst Mal.

So sehr ich ihn auch hasse. Gerade bin ich unglaublich glücklich, ihn zu sehen.

Ich laufe ein Stück näher heran und dann endlich sehe ich auch den Rest der Band, samt Valentin.

Sie verstauen gerade die Kisten von Sebastians Schlagzeug im Gang des Zuges. Ihre Instrumente müssen sie nämlich seltsamerweise selbst mitbringen.

Valentin meinte, ihm wäre das nur Recht. Man hätte wohl so was wie einen persönlichen Bezug zu seiner Gitarre und dann klänge das wohl besser.

Na ja… Musiker… die muss man nicht verstehen.

Ich werfe fast eine Oma um, als ich näher komme, so sehr bin ich in Gedanken.

Das Schlagzeug ist fast verstaut, Sven hievt Sebastian gerade die letzte Kiste zu.

Die anderen Instrumente sind wohl schon im Zug, denn ich sehe keine.

Gut, dass sie die mitnehmen müssen. Sie sind wohl der einzige Grund, warum sie noch nicht eingestiegen sind.

Ich fixiere Valentin mit meinem Blick. Er steht daneben, in der Hand – natürlich – einen Coffee to go.

Sven steigt ein und mir wird klar, dass ich jetzt handeln muss.

„Valentin!“

Er hört mich nicht, denn in dem Moment geht die Lautsprecherdurchsage los, dass die letzten Fahrgäste nun bitte einsteigen sollen.

Na super.

„VALENTIN!“

Endlich sieht er zu mir, reißt überrascht die Augen auf.

„JOSH!“

Dann drückt er Sven seinen Kaffee in die Hand und rennt zu mir, während ich noch mit den Koffern der Oma kämpfe, die ich fast umgeworfen habe, und die mich nun quält, in dem sie mich nicht vorbeilässt.

Letztlich springe ich über den Koffer und renne das Stück zu Valentin.

Knapp vor mir bleibt er stehen und sieht mich an.

„Was machst du hier?“

„Ich konnte dich doch nicht einfach so fahren lassen…“

Ich seufze und hebe die Hand, streiche über seine Wange.

„Es tut mir Leid. Ich war ein Idiot, ich… hab dir so weh getan, obwohl du gar nichts dafür konntest…“

Leidend sehe ich ihn an.

„Valentin…“

Er blickt zu Boden, doch dann lächelt er.

„Du glaubst mir also endlich?“

Ich nicke. „Es tut mir Leid. Ich hätte dir vertrauen sollen. Es war nur… ich….“

Der Schaffner gibt das Zeichen, die Türen zu schließen und einer von Valentins Bandmitgliedern – ich glaube, Kevin – schiebt eine Reisetasche in die Türe, um diese an eben jenem zu hindern.

Folglich kann der Zug nicht abfahren.

„Ich muss gehen,“ meint Valentin aber nun und ich nicke.

„Lass mich dir nur sagen: Es war alles meine Schuld, weil ich ein riesiges Arschloch bin. Und ich würde mich freuen, wenn du mir eine Chance gibst, es zu klären, wenn du zurückkommst. Weil ich dich immer noch liebe und… ich will dich einfach wieder haben, Valentin.“

„Valentin!“, ruft nun auch Kevin, weil der Schaffner nun nachschaut, was da stört.

„Ach Josh,“ meint mein Lieblingsemo und streckt sich, haucht mir einen Kuss auf die Lippen. Ich sehe ihn überrascht an.

„Eigentlich sollte ich dich quälen und zappeln lassen, bis ich wieder komme. Aber die Wahrheit ist, dass ich dazu viel zu weich und kitschig bin.“ Er nimmt meine Hand und sieht mich ernst an: „Du kriegst deine zweite Chance.“

Ich strahle ihn an. „Wirklich?“ Er nickt.

Im Hintergrund schimpft der Schaffner mit Kevin, aber das ist egal. Ich falle Valentin um den Hals und küsse ihn stürmisch, fordernd. Eng schließen sich meine Arme um seinen schlanken Körper.

„Aber das ist deine letzte. Wenn du mich noch mal sitzen lässt, dann bin ich weg.“

Ich nicke und küsse ihn noch mal. „Niemals wieder werde ich diesen Fehler begehen.“

„Valentin!“, ruft Kevin und notgedrungen lösen wir uns von einander.

„Ciao, Schokokeksi.“

„Ciao, Marzipanschütchen.“

Wir kichern dämlich, dann rennt Valentin zurück und steigt ein. Kevin nimmt die Tasche weg, der Schaffner herrscht sie an, dann steigt auch er ein. Die Türen schließen sich und der Zug fährt ab.

Ich sehe ihm nach, wie er wegfährt, und im nächsten Moment kommt Jona keuchend neben mir zum stehen.

„Deine Kondition lässt zu wünschen übrig. Und du willst Profisportler sein?“

„Halts Maul! Sag mir lieber, wie es gelaufen ist.“

Ich strahle ihn an und ich denke, dass sagt mehr, als tausend Worte.
 

„Sag es noch mal,“ fordert Jona am nächsten Vormittag. Wir haben ausgeschlafen, was gegessen und sind nun auf den Weg zum Bahnhof.

Eigentlich wollte ich schon früher fahren, aber das Jonas Zug erst so spät geht, habe ich gewartet.

„Ich habe es doch schon gesagt,“ fauche ich nur.

„Ich will es aber noch mal hören.“

Er grinst mich an und ich seufze.

„Danke Jona. Das haben wir alles nur dir zu verdanken! Du bist echt der Beste!“, leiere ich herunter und er sieht mich amüsiert an.

Wenig später stehen wir an seinem Bahngleis und er umarmt mich kurz.

„Grüß die anderen von mir,“ bittet er mich und ich nicke.

„Und du Benni. Und pass mir gut auf ihn auf.“

Wir lösen uns voneinander und ich reiche ihm noch seine Tasche in den Zug. Kurz darauf fährt er ab.

Danach habe ich noch etwas Zeit und kaufe mir noch einen Kaffee, laufe gemächlich zum Gleis. Im nächsten Moment vibriert mein Handy und ich öffne die SMS von Valentin. Offenbar machen sie schon um diese Zeit München unsicher und finden es ziemlich cool.

Ich grinse und war noch nie so glücklich, eine SMS von ihm bekommen zu haben.

Ich habe mich schon ziemlich blöd angestellt, denke ich, während der Zug einfährt und ich einsteige.

Das ganze Theater hätten wir uns auch sparen können. Dann hätten wir noch zwei Wochen miteinander verbringen können. So aber müssen wir uns bis zum Ende der Semesterferien gedulden, ehe wir uns wieder sehen.

Das macht die Ferien gleich unsympathisch.

Irgendwie hoffe ich plötzlich, dass die Uni bald wieder anfängt.
 

Gegen Mittag komme ich in Hamm an.

Im Gegensatz zu Köln, wo es geregnet hat, scheint hier die Sonne.

Ich blicke mich um und entdecke Chris, dir mir zuwinkt.

Mittlerweile hat es Tradition, dass nicht meine Eltern, sondern meine Freunde mich abholen. Diesmal ist Chris aber alleine.

„Na, Kleiner? Sind die anderen noch nicht da?“, frage ich, während ich ihn kurz umarme.

„Nö. Müssten aber auch gleich kommen.“ Ich nicke und dann warten wir gemeinsam. Wenig später tauchen auch Lukas und Victor auf. Natürlich im gleichen Zug, da sie ja auch in der gleichen Stadt studieren.

Zu Viert machen wir uns auf den Weg, scherzen und lachen. Und so sehr ich Valentin auch vermisse, so überzeugt bin ich plötzlich davon, dass die Ferien auch ohne ihn auszuhalten sein werden.

Liebestoller Superheld

Gegen Mittag komme ich in Hamm an. Lange ist es her, denke ich und trete auf das vertraute Bahngleis. Es ist schön in Köln. Nicht zuletzt wegen Valentin. Aber irgendwie ist es auch immer wieder schön, nach Hause zu kommen.

Vor allem, weil hier Menschen auf mich warten, die ich wirklich vermisst habe.

„Joshua!“

Ich grinse, als ich Chris erkenne, der mir begeistert zu winkt. Es ist Tradition geworden, dass mich meine Freunde abholen. Als Jona noch hier gewohnt hat, waren es er und Benni. Jetzt, wo Benni die Ferien bei Jona in Frankfurt verbringt, sind es Chris und die anderen, die diese Rolle übernehmen.

Zu ihnen laufe ich jetzt auch und grinse sie an.

„Na. Alles klar?“, grinst Lukas und wuchtet mir eine Hand auf den Rücken. Ich hab das Gefühl, er ist noch größer geworden. Dabei müsste er schon längst aus der Wachstumsphase raus sein.

„Alles Bestens. Und bei euch?“

„Alles super,“ antwortet Victor für sie alle drei und Chris sieht mich fragend an: „Wo hast du Valentin gelassen?“

Ich seufze und erzähle ihnen von dem Demotape. Dass es nicht zu ihnen durchgedrungen ist, verstehe ich gar nicht. Sonst plaudert Jona doch auch alles aus.

„Man, ist das cool,“ meint Vic und Chris stimmt zu: „Dann wird er ja doch berühmt.“

Während sie davon schwärmen, bald einen Superstar zu kennen, verziehe ich nur den Mund. Es ist wirklich nicht so, dass ich es Valentin nicht gönnen würde. Aber verdammt… ich will es einfach nicht. Was will er denn dann noch mit mir? Ich bin doch dann nur im Weg.

„Was guckst du jetzt so? Vermisst du ihn so sehr?“ Lukas legt mir einen Arm um die Schultern und führt mich zum Wagen.

„Los, komm. Wo du da bist, können wir endlich ein richtiges Match austragen.“

Ich reiße mich zusammen und versuche, diese Gedanken zu verdrängen. Ich sollte die Ferien genießen.

Und ich bin sicher, dass ich das auch werde, wenn ich mir nur ein wenig Mühe gebe.
 

Wenig später stehen wir im Park auf unseren Lieblingsplatz und spielen fleißig Basketball. Chris und ich gegen Lukas und Vic.

Es ist nicht ganz das gleiche, wenn Jona und Benni nicht mitspielen. Aber Spaß macht es trotzdem.

Ich muss daran denken, wie wir in den letzten Sommerferien jeden Tag hier waren. Jona hat es sich zur Aufgabe gemacht, Valentin den Sport näher zu bringen, weil ich seiner Meinung nach versagt habe.

Tatsache war aber, dass Valentin versagt hat. Er kann zwar relativ gut Körbe werfen, aber es ist einfach amüsant zu sehen, dass er auf dem Feld herumstolpert und einfach keinen Ball bekommt.

Irgendwann haben wir ihn unter dem gegnerischen Korb platziert und nur noch angespielt, wenn wir schon durch waren.

Natürlich hat er uns das nicht übel genommen. Und natürlich hat es uns nichts ausgemacht. Letztlich hat es sogar Spaß gemacht, da es das ganze aufgelockert hat.

Schade, dass er nicht hier ist.

Ich seufze. Ich vermisse ihn jetzt schon!
 

Irgendwann am Abend komme ich nach Hause, wo meine Mutter schon auf mich wartet.

Ich halte mich nicht lange auf, begrüße sie nur und esse etwas mit ihr und meinem Vater, kaum kommt der nach Hause.

Sie habe ich schon informiert, dass Valentin nicht mitkommen kann, also fragt man mich zumindest hier nicht ständig nach ihm aus.

Ich weiß, dass ihnen beiden einiges auf der Zunge brennt.

Meine Mutter interessiert es sicher brennend, was Valentin in München so treibt, aber sie fragt nicht, weil sie weiß, dass es mich bedrücken würde, darüber zu reden.

Und mein Vater… ich habe das Gefühl, dass es ihn schon gegen den Strich geht, dass Valentin und ich überhaupt noch zusammen sind.

Aber er sagt nichts. Und darüber bin ich froh. Ich will mich nicht mehr dafür rechtfertigen müssen, einen Jungen zu lieben.

Er muss es akzeptieren und dafür braucht er mich nicht.

Nach dem Essen stehe ich auf und gehe in mein Zimmer. Mein Bett kommt mir seltsam leer vor, so ohne Valentin.

Wann habe ich das letzte Mal alleine darin geschlafen?

Aber jetzt ist noch gar nicht an Schlafen zu denken. Im Gegenteil. Jetzt beginnt der schönste Moment des ganzen Tages.

Ich schalte meinen Laptop an und warte. So anstrengend es immer war, einen Termin mit Jona zu finden, um zu skypen, so leicht ist es jetzt mit Valentin, der seine gesamte Freizeit vor dem Laptop verbringt und auf mich wartet.

Kurz darauf ist die Verbindung hergestellt und Valentin grinst mir entgegen.

„Hey du.“

„Hey.“ Ich strahle ihn an. Warum kann man nicht durch den Laptop krabbeln und am anderen Ende herauskommen? Das wäre doch viel praktischer.

Ich seufze und Valentin grinst.

„Warum so depressiv?“

„Weil ich dich vermisse.“ Oh, wie ich ihn vermisse…

Er lacht. „Ich dich auch.“

Ich grinse vergnügt, während er kurz verschwindet und dann wieder auftaucht. „Guck mal,“ meint er und wedelt mit einem T-Shirt vor der Webcam herum. Es ist schwarz mit weißen Sternen.

„Hab ich mir heute gekauft. Man kann hier toll shoppen, weißt du.“

Ich seufze.

„Warst du schon wieder mit Sven unterwegs?“

Ich hasse mich dafür, ständig davon anzufangen. Aber nur, weil wir uns wieder vertragen haben, heißt das ja nicht, dass ich Sven vergessen habe! Oder Sven Valentin…

Er sieht mich belustigt an. Schon seltsam genug. Ich dachte, er würde jetzt verärgert sein.

„Nein, ich war mit Sebastian in der Stadt. Der ist übrigens durch und durch hetero. Also keine Sorge.“

„Seit wann verstehst du dich mit Sebastian?“ Ich ziehe die Brauen hoch.

„Seit wir hier sind. Ich gehe Sven aus dem Weg und der hängt dafür viel mit Kevin ab. Da bleibt nur noch Sebastian.“

„Und dieser andere?“

„Leon?“

„Ja, genau.“

„Der ist wie du. Der hasst shoppen.“

Ich lache und in dem Moment klopft es und meine Mum kommt ins Zimmer.

Als sie sieht, dass wir skypen, winkt sie Valentin ganz begeistert zu. Dann nimmt sie meine Dreckwäsche an sich, die ich mitgebracht habe, und verschwindet wieder. Eigentlich wasche ich meine Wäsche ja selbst. Sonst bräuchte ich echt viele Klamotten, wenn es ein halbes Jahr halten sollte… Aber dank Jona habe ich keine Zeit gefunden, vor der Abreise noch mal zu waschen.

„Was habt ihr heute so getrieben?“, will er dann wissen.

„Was fragst du noch?“

„Ja okay… was habt ihr heute noch so getrieben, außer Basketball,“ formt er seine Frage um.

„Nichts.“

Daraufhin lacht er und ich falle mit ein. Kurz darauf wird er ernst.

„Hör mal Joshi… Wegen Sven.“ Er sieht mich ernst an und ich verkrampfe mich ein wenig. Dieser Junge ist für mich ein einziges rotes Tuch.

„Ja?“

„Ich hab ihm gesagt, dass ich nichts von ihm will und er solche Aktionen in Zukunft lassen soll.“

Ich seufze. „Das hast du doch schon mal und es hat nichts gebracht.“

Valentin zieht die Brauen hoch. „Das habe ich nicht.“

„Doch… weißt du nicht mehr. Als ich dich mal abgeholt habe, da hat er dich doch auch zugequasselt und du hast nein gesagt. Auch, wenn nicht so deutlich, wie ich es mir erhofft hätte…“

Er runzelt die Stirn, dann scheint es ihm einzufallen.

„Das hast du dir zusammen gereimt,“ stellt er dann fest. „Ich hab dir doch gesagt, es ging da um was Bandinternes.“

Nun ist es an mir, die Stirn zu runzeln.

„Ich dachte, das war gelogen.“

Er schüttelt den Kopf. „An dem Tag habe ich ihnen gesagt, dass ich nicht mit nach München komme. Und er wollte es mir ausreden.“

Mir klappt der Mund auf. „Solange stand dein Entschluss schon? Warum hast du nie was gesagt?“

Er zuckt mit den Schultern. „Weil er es geschafft hat, mich zumindest zu verunsichern. Aber letztlich wollte ich dann doch nicht mit. Bis du dann…“

Er bricht ab, aber ich weiß, was er sagen wollte. Bis ich Schluss gemacht habe.

„Es tut mir Leid, Valentin. Das alles tut mir so Leid.“

„Jetzt hör doch auf damit.“ Er grinst mich wieder an. „Das ist doch schon längst geklärt.“

Ich nicke.

„Ich muss jetzt aufhören. Wir wollen in einen Club. Da spielt eine geile Band.“ Er strahlt und ich nicke.

Valentin wirft mir noch eine Kusshand zu, dann beenden wir das Gespräch.
 

Den Rest der Ferien verbringen wir zumeist im Park. Ab und an gehen wir auch mal in einen Club oder ins Kino. Aber natürlich haben wir es einfach vermisst, zusammen Basketball zu spielen. Früher haben wir ja fast jeden Tag in der Woche zusammen gespielt.

„Sag mal, Chris… hat Jona schon was gesagt?“

Während wir eine Pause machen und gemeinsam in einer Eisdiele einen großen Becher verdrücken, stellt Victor diese Frage.

Angesprochner schüttelt den Kopf. „Nein…“

Er sieht nicht unbedingt enttäuscht aus. Aber auch nicht so, als wäre er glücklich darüber. Jona hatte nie vor, etwas anderes zu machen. Chris aber war klar, dass er irgendwann die Wahl zwischen einer normalen Karriere und einer Karriere als Profi entscheiden muss. Wenn er denn ein Angebot bekommt.

„Aber das ist eigentlich egal.“ Er sieht uns grinsend an. „Ich habe eine Anfrage von Göttingen.“

„Das ist nicht dein Ernst!,“ ruft Vic aus. „Warum hast du nichts gesagt?“

„Weil es nicht so sicher ist, wie das von Jona. Sie suchen ein paar Nachwuchsspieler. Aber ich habe keine Chance, schon richtig ernsthaft zu spielen.“ Er seufzt. „Ich bin kein Überflieger, wie Jona. Aber es reicht mir so. Ich kann dann nebenher studieren. Die Uni dort ist ganz gut. Ich könnte Mathe belegen. Dafür ist sie ziemlich berühmt. Oder Jura. Vielleicht sogar Medizin. Mir stehen alle Möglichkeiten offen, versteht ihr.“

„Und nebenher spielst du noch Basketball bei einer guten Mannschaft.“

„Es ist kein Vergleich zu Jonas Angebot. Aber das habe ich nicht erwartet. Ich bin ein guter Spielmacher.“ Er stopft sich einen Löffel Eis in den Mund, „Aber gute Spielmacher gibt es viele. Es kommt auf das spezielle Talent an…“

„Ich finde, du hast mehr Talent, als wir drei zusammen,“ muntere ich ihn auf.

„Absolut,“ nickt Lukas.

Jetzt grinst Chris. „Das heißt nur, dass ihr schlecht seid. Nicht, dass ich gut bin.“

Darauf hin müssen wir alle lachen.

„Und was tust du, wenn Frankfurt auch anfragt?“

„Dann hoffe ich, dass es ein ähnliches Angebot ist, wie von Göttingen. Die Uni in Frankfurt wäre auch eine Überlegung wert. Also wenn das Angebot ähnlich ist… Tja, dann nehme ich Frankfurt. Dann bin ich wenigstens nicht ganz alleine. Und hey… wenn Jona und ich immer noch so gut zusammen arbeiten, wie zu Schulzeiten, könnte ich da größere Chancen haben.“

„Wir drücken dir die Daumen, Kleiner,“ grinst Lukas.
 

Die letzte Ferienwoche verbringen wir bei Benni und Jona.

Das heißt für uns, etwas früher aufstehen und dann ab zum Bahnhof. Wenig später sitzen wir im Zug, der uns von Hamm nach Frankfurt bringt.

Ich bin hibbelig. Nicht nur, weil ich gleich meine besten Freunde wiedersehe, sondern vor allem, weil die Ferien endlich vorbei sind.

Nicht, dass ich sie nicht genossen hätte. Aber endlich… endlich sehe ich Valentin wieder.

Noch eine Woche, dann fahre ich hoch nach Köln und am nächsten Tag kommt dann Valentin ebenfalls zurück.

Und so sehr ich es auch genossen habe, zu Hause zu sein… Irgendwie freue ich mich darauf, wieder in meine eigenen vier Wände zu kommen. Oder sagen wir es anders. Ich habe nicht vor, diese noch länger als meine vier Wände zu bezeichnen. Ich will, dass es ganz fest unsere vier Wände werden. Valentin wohnt eh schon fast bei mir. Ich will, dass er ganz zu mir kommt.

Während ich darüber sinniere, kommen wir an und werden – kaum, dass wir ausgestiegen sind – von Benni und Jona förmlich angesprungen.

„Na, du Irrer,“ grinst Benni und drückt mich fest an sich. Ich grinse schwach zurück. „Halt es mir bitte nicht auch noch vor,“ flehe ich. Als nämlich Lukas und die anderen davon erfahren haben, dass Valentin und ich kurzzeitig getrennt waren, haben sie mir eine ähnliche Predigt gehalten, wie Jona.

„Nein, nein. Ich weiß ja, dass Jona das ausführlich getan hat,“ lacht Benni und grinst. Dann winkt er uns mit sich.

Wir quetschen uns in Bennis Auto – einen kleinen Ford Fiesta. In den passen wir gerade so rein, wenn auch im Kofferraum kein Staubkorn mehr Platz hat.

Wenig später kommen wir bei dem Hotel an, bei dem Lukas, Vic und Chris günstig untergestiegen sind. Ich hingegen werde bei Jona und Benni wohnen.

Zu denen fahren wir auch, kaum dass wir die anderen abgeliefert haben. Sie wollen erst einchecken. Wir treffen uns dann am Abend wieder.

Jonas Wohnung ist ungefähr so, wie die von Valentin und mir. Nur ordentlicher, wenn ich das anmerken darf.

Es ist eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung in einem alten Hochhaus. Kein Studentenwohnheim, dafür nahe an der Halle, wo Jona trainiert.

Die Möbel sind noch ziemlich zusammengewürfelt, aber er wohnt ja auch noch nicht lange hier.

Dennoch ist es unverkennbar seine Wohnung. In seinem Schlafzimmer steht ein Wäschekorb mit Unmengen von Trikots und Trainingsklamotten darin.

Sein DVD-Regal steht voller Aufnahmen von Basketballspielen, die er analysiert.

An der Wand über der Couch hängt ein großes Skyliner-Banner, neben Postern von komischen Bands, die auch in Valentins Musikarsenal vorkommen.

„Man würde meinen, hier wohnt ein fanatischer Fan,“ lache ich und er streckt mir die Zunge raus.

„Als wenn es bei dir anders aussieht.“ Ich grinse. Er hat ja Recht. Ich hab auch ein Basketballposter im Wohnzimmer. Eines, dass Valentin ständig mürrisch anstarrt, weil es seiner Meinung nach die Atmosphäre von einem Junggesellenzimmer ausstrahlt.

Und da wir eine imaginäre Ehe führen, geht das natürlich gar nicht. Dass er seine Wohnung aber in seinem Wahn mit ‚My chemical romance’ Postern zugekleistert hat, ist natürlich was anderes. Mich hat fast der Schlag getroffen, als ich irgendwann bei ihm auf der Matte stand und plötzlich überall diese Gesichter antreffen konnte.

Am Ende hat er sie dann wieder abgenommen, weil er sich beobachtet gefühlt hat. Versteh ihn einer.

„Also… Wie sieht es aus? Ziehen wir uns um und holen die anderen ab? Dann zeig ich euch meinen Lieblingsclub.“

Gesagt, getan.

Dann lassen wir den Abend gemeinsam ausklingen.
 

Nach der ersten Nacht auf Jonas unglaublich unbequemer Couch, bin ich froh, dass endlich der Wecker klingelt.

Heute haben wir viel vor. Jona will uns die Halle zeigen und uns einen kleinen Einblick ins Training geben. Außerdem ist das die Chance, Chris seinem Trainer vorzustellen.

Danach wollen wir selbst spielen.

Also machen wir uns fertig und fahren dann los.

Nach der Führung bin ich dankbar, ein paar neue Ideen bekommen zu haben, die ich im Training mit meinem Team anwenden kann. Das ist gar kein Vergleich zu dem, was ich bisher so drauf hatte.

Jona hat Chris den Verantwortlichen vorgestellt und ihnen gesagt, dass auch Göttingen angefragt hat.

Die aber haben dennoch abgesagt. Nicht, weil Chris schlecht ist, sondern weil sie momentan niemand neues brauchen.

Wahrscheinlich denken sie, dass wenn Chris wirklich so gut ist, sie ihn auch noch zu sich holen können, wenn er in Göttingen gereift ist.

Das bedeutet für den Kleinen, dass er den Vertrag ruhigen Gewissens unterschreiben kann.

„Es behagt mir zwar nicht, jetzt alleine nach Göttingen zu gehen… aber was soll’s.“

Jona klopft ihm auf den Rücken. „Mach dir nichts draus. Am Anfang ist es komisch, aber du gewöhnst dich bald ein.“

„Zum Glück hab ich die Zusage der Uni schon bekommen. Sonst hätte ich jetzt so kurzfristig ein Problem gehabt,“ sinniert er, während wir in den Wagen steigen.

Dann fährt uns Jona zum Stadtpark, wo wir toll spielen können.

Ich bin ziemlich gut drauf und mache ein paar richtig tolle Körbe.

Unser Team – bestehend aus Chris, Lukas und mir – geht in Führung.

„Das war megageil,“ erklärt Lukas mir nach dem guten Korb und ich grinse: „Bin halt gut drauf, weil ich Valentin bald wiedersehe.“

Daraufhin verdreht er die Augen. „Hoffnungslos verfallen,“ murmelt er.

Ich muss grinsen.

Wenig später hat unser Team gewonnen.

„Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen,“ meint Jona und stemmt die Hände in die Hüften. „Eigentlich dürftet ihr keine Chance gegen mich haben.“

„Josh mutiert zum liebestollen Superhelden,“ grinst Lukas, „Da hat keiner eine Chance.“

Während alle lachen, ziehe ich eine Schnute. Was kann ich dafür, dass ich dem Wiedersehen so dermaßen entgegen fiebere, dass ich vor Aufregung fast platze?

Jona hingegen wendet sich ab, eine SMS zu tippen und wir überlegen gerade, wo wir was essen gehen könnten.

„Nichts gibt es,“ ruft der Emo da aber schon und kommt zu uns zurück. „Ein Match müssen wir schon noch machen. Ich will Revanche.“

Und so kommen wir nicht um hin, wenigstens noch ein Viertel zu spielen.

Kaum ist das beendet, hebt Jona plötzlich vergnügt die Hand und winkt jemandem breit lächelnd zu.

„Was tust du da?“, fragt Benni seinen Freund und besagter Freund zuckt mit den Schultern. „Winken.“

Benni will auf die tolle Antwort was erwidern, aber Jona wendet sich mir zu. „Du hast Besuch, Joshi.“

Ich sehe ihn verwirrt an, drehe mich dann um und keuche auf.

„Valentin!“

Besagter Emo winkt uns zu und befreit sich von seinem ganzen Gepäck, das er offenbar mit sich herumgeschleppt hat.

Ich hingegen löse mich aus meiner Starre, von der ich bis eben befallen war, und renne zu ihm.

„Valentin!“

„Joshi,“ grinst er und ich falle ihm um den Hals, ehe er groß was anderes tun oder sagen kann.

Fest drücke ich ihn an mich und küsse ihn. Meine Hände krallen sich in sein Shirt und ich atme den vertrauen Geruch von Kaffee ein, den sich so vermisst habe.

„Was machst du hier?“, frage ich völlig verwirrt.

„Dich überraschen. Oder was glaubst du?“ Er kichert und eigentlich hätte ich mir die Antwort denken können.

„Ich bin extra eher gefahren. Auch, um die anderen noch mal zu sehen. Aber natürlich vor allem wegen dir.“

Ich antworte nicht, sondern küsse ihn und bin plötzlich so glücklich, dass ich heulen könnte.

„Ich hab Jona gebeten, nichts zu sagen.“

Jona war also eingeweiht. Eigentlich auch klar. Immerhin muss Valentin irgendwo unterkommen.

Ich nicke und vergrabe mein Gesicht an eben dessen Schulter.

„Wie war es in München? Habt ihr einen Plattenvertrag bekommen?“

Ich löse mich von ihm und sehe ihn fragend an. Er blickt verwirrt zurück. „Josh. Wir waren nur bei einem Kerl, der ein kleines Tonstudio hat. Jetzt haben wir ein Tape, dass wir den Plattenfirmen schicken können, wenn wir wollen.“ Er grinst mich an. „Niemand hat je was von einem Plattenvertrag gesagt.“

Ich starre ihn an und er lacht. „Sag ja nicht, du hast dir das zusammen gesponnen?“

Ich werde rot. „Ich dachte…“

Aber er kann sich denken, was ich dachte. Und ich komme mir total blöd vor. Dann war meine ganze Angst völlig umsonst?

„Du denkst immer viel zu viel,“ meint nun auch Valentin, „Und man sieht ja, was dabei dann rauskommt.“

Ich blase empört die Backen auf, aber dann küsst er mich und ich kann nicht länger beleidigt sein.

„Ey! Genug jetzt! Wir wollen auch Hallo sagen!“, brüllt plötzlich Jona und im nächsten Moment schiebt man mich weg und mein Freund wird beschlagnahmt.

Wenig später stehen wir auf dem Basketballplatz und Vic spielt Schiedsrichter.

„Eines musst du mir aber noch verraten,“ meine ich zu Valentin. Er sieht mich fragend an.

„Werdet ihr das Tape wegschicken?“

Er schüttelt den Kopf. „Wohl nicht. Ich weiß nicht… unser Sänger ist so ein blöder Idiot… Der will lieber bei seinem Freund bleiben, statt berühmt zu werden. Lächerlich, oder?“

„Absolut lächerlich. Er verpasst seine Chance.“

„Ja, das ist ihm auch klar. Aber dafür tun sich ihm ja viele andere Chancen auf.“ Er zwinkert mir zu, dann schnappt er sich den Ball und ich starre ihm nach, während er sich einen Zweikampf mit Benni liefert (und kläglich verliert).

„Jemanden wie ihn kriegst du nie wieder,“ meint Jona plötzlich neben mir und ich nicke. „Ich weiß.“

Genau deshalb bin ich ja auch so froh, ihn zu haben.
 

Am Abend bin ich der glücklichste Mensch der Welt, einfach, weil ich neben Valentin liegen kann, der in meinen Armen liegt, sich eng an mich geschmiegt hat.

Sanft streiche ich über seinen Rücken. Ich bin ziemlich müde, aber ich werde es nicht leid, seinen Körper zu berühren. Wir haben uns so lange nicht gesehen. Wir sollten einen Sex-Marathon veranstalten. Die ganze Nacht durch.

Ich grinse und spüre, wie er meine Brust küsst.

Ich erschaudere, aber bevor wir meinen Plan in die Tat umsetzten, würde ich gerne noch etwas wissen.

„Wenn wir zurückkommen… wie geht es dann weiter?“

Er sieht mich fragend an.

„Na ja… Ich weiß zwar, dass ich es sicher bereuen werde, wenn meine Wohnung erst Mal ins Chaos gestürzt ist, aber da du eh schon fast bei mir wohnst, könnten wir es doch auch ganz offiziell machen.“

„Du willst, dass ich bei dir einziehe?“

Ich nicke.

„Und mein ganzer Kram?“

„Na ja…“ Das könnte natürlich ein Problem sein, da er fast doppelt so viele Sachen hat, wie ich.

„Dann musst du eben Sachen aussortieren. Das geht schon,“ beschließt er und ich sehe ihn empört an.

Er grinst. „War doch nur Spaß. Ich kann meine Wohnung ja als Abstellraum nutzen.“

Ich nicke.

„Dann habe ich ja doch Platz für die Orgel…“

Da lasse ich unkommentiert. Aber vielleicht kann ich mit den anderen zusammenlegen und Valentin ein Klavier zum Geburtstag kaufen. Damit er endlich wieder ein eigenes hat, nachdem sein eigenes Klavier eigentlich seinen Eltern gehört und deshalb noch in Bonn – wo er herkommt – steht.

Außerdem ist das alle mal besser, als wenn er wirklich noch eine Orgel anschleppt.

Während ich so darüber nachdenke, grinst er mich an.

„Na schön, dann räumen wir in Köln gleich meine Sachen in deine Wohnung.“ Ich nicke und küsse ihn.

Und dann wenden wir uns meinem tollen Plan für die restliche Nacht zu.

Dallas

Wieder in Köln zu sein, hat etwas Entspannendes an sich. Obwohl wir eigentlich total im Stress sind. Die Uni hat begonnen und wir richten uns gerade gemeinsam ein.

Das heißt, dass wir Möbel verrücken und Valentins Kram zusammenpacken.

Seine Wohnung behalten wir. Als Abstellraum und Rückzugsort.

Wenn wir irgendwann fertig sind und Geld verdienen, können wir ja dann eine größere Wohnung kaufen und dort gemeinsam einziehen.

Ich grinse, während wir Valentins Couch in mein Wohnzimmer rucken. Meine steht im Flur. Er hat darauf bestanden, dass wir seine nutzen. Die ist noch neu und zugegebenermaßen auch bequemer.

Solange ich meinen geliebten Sessel behalten darf, war mir das auch eigentlich egal.

Wenig später haben die Sofas ihre neuen Plätze gefunden und Valentin strahlt mich begeistert an.

„Jetzt haben wir so weit alles hier.“

Ich nicke und hauche ihm einen Kuss auf die Stirn.

„Ich war noch nie so glücklich,“ lächle ich verklärt und er reckt sich ein wenig, um mich richtig zu küssen.

„Geht mir genauso.“
 

Als ich am ersten Tag in die Uni trete, kommt Tobias zielstrebig auf mich zu und zupft mich am Ärmel, obwohl ich ihm bereits meine Aufmerksamkeit schenke.

„Was gibt’s?“, frage ich also, damit er zufrieden ist und er winkt mich mit sich. Ich folge ihm und im Laufen erklärt er mir dann folgendes: „Die Wagenknecht hat mich vorhin abgefangen und mir gesagt, ich soll in ihr Büro kommen. Und dich gleich mitbringen.“

Ich ziehe die Brauen hoch.

Die Wagenknecht ist Konrektorin und hat sich die letzte Zeit um unseren Basketballclub gekümmert. Sicher will sie mit uns sprechen, weil wir eine Trainingsreise beantragt haben.

Unser Trainer hatte schon gemeint, dass es wohl nicht im Budget der Schule liegt, uns dieses Trainingscamp in den nächsten Ferien zu finanzieren.

Als wir nun also an die Türe klopfen, mache ich mir keine großen Hoffnungen mehr, dass es klappt. Wenn sie es bewilligt hätte, hätte sie uns nicht extra kommen lassen müssen.

Es ertönt ein ‚Herein’ und Tobias öffnet die Türe und tritt ein. Ich folge ihm auf dem Fuße.

„Sie wollten uns sprechen,“ meine ich, als Tobias keine Anstalten macht, etwas zu sagen.

„Ja,“ meint sie gedehnt und steht auf – bisher saß sie hinter einem alten Schreibtisch aus massiver Eiche.

„Es geht um ein Programm, das man unserer Schule vorgeschlagen hat.“

Ich ziehe die Brauen hoch. Ob sie ein Programm gefunden hat, das man Anstelle des Trainingscamps machen könnte und das vielleicht billiger ist?

„Inwiefern?“, fragt nun Tobias, ehe ich es tun kann.

„Es ist ein Austauschprogramm zwischen zwei Schulen. Je nachdem, in welchem Club sich die Studenten befinden, wird eine Schule mit einem hohem Niveau in dem jeweiligen Bereich gewählt, so dass der Student in diesem Bereich besonders gefördert wird.“

Sie sieht uns an und in meinem Kopf schwirren Fragezeichen.

Ein Austauschprogramm. Das heißt, wir kommen an eine andere Schule und die Schüler dort zu uns?

„Der ganze Club?“ Ich ziehe die Brauen hoch.

„Natürlich nicht. Nur je zwei Auserwählte, die mit besonderen Leistungen hervorstechen. Was den Basketballclub angeht, also ihr.“

Tobias und ich wechseln einen Blick. Da müssen wir uns ja echt geschmeichelt fühlen, dass man uns ausgewählt hat.

„Und… wann?“, fragt Tobias und sie legt uns ein Formular vor die Nase. „Es beginnt nächste Woche und geht das ganze Semester über. Für Anreise und Unterkunft ist natürlich gesorgt.“

„Nächste Woche,“ echoe ich entsetzt und werfe einen flüchtigen Blick auf das Formular.

„Ja, es ist eine ganz spontane Sache, aber sehr empfehlenswert.“

Ich nicke, bin aber nicht überzeugt.

Tobias hingegen ist Feuer und Flamme.

„Wo ist denn die Schule?“, stellt er die alles entscheidende Frage und auch ich horche auf.

Die führenden Städte im Basketball sind in der Bundesliga Frankfurt, Berlin und natürlich der Meister, Bamberg.

Sie alle wären reizvoll. Aber am liebsten wäre mir ja Frankfurt. Das wäre nicht zu weit weg und Jona wäre dort.

Von Bamberg und Berlin müsste ich Valentin natürlich erstmal überzeugen. Und mich selbst vielleicht auch…

„Nun, wir reden von der Southern Methodist University.“ Sie blickt uns an und wir wechseln wieder einen Blick.

„Der… was?“, frage ich dann verwirrt.

„Der Southern Methodist University in Dallas,“ wiederholt sie und ich starre sie an.

„In Dallas?“, wiederholt Tobias neben mir und ich weiß jetzt schon, dass das gewaltig Ärger geben wird.
 

„Valentin…“

Ich sehe ihn an, während er auf unserer Couch liegt und irgendeine Biographie liest. „Ja?“, fragt er, ohne aufzusehen.

Ich schlucke. „Magst du kurz das Buch weglegen?“, will ich wissen und er hebt den Finger und bedeutet mir damit, ruhig zu sein.

„Warte kurz… Der Absatz ist verdammt spannend.“

Ich fahre mir entnervt durch die Haare. „Valentin… es ist echt dringend.“ Ist es wirklich. Wenn ich teilnehmen will, muss ich mich morgen entschieden haben.

„Red ruhig weiter, ich höre zu.“

Ich schüttle den Kopf, was er natürlich nicht bemerkt. „Leg es jetzt weg!“, fauche ich letztlich und er sieht auf, mich an.

Ich sehe, wie eine Braue in die Höhe zieht – das kann ich gar nicht, bei ihm hingegen sieht es total elegant aus – und dann das Buch zuklappt.

„Was ist denn so wichtig?“

Ich laufe unruhig auf und ab, während er mich gespannt mustert. „Es gibt da ein Austauschprogramm… und ich muss mich entscheiden, ob ich da mitmache. Und zwar bis morgen.“

Er sieht mich verwirrt an. „Austauschprogramm?“

Also erkläre ich ihm die ganze Sache und er nickt langsam. „Ist doch cool. Ich meine, wenn die da total was drauf haben, kann das doch nur hilfreich sein. Wo ist es denn? In Frankfurt? Das wäre geil, dann wärst du bei Jona.“

Ich seufze schwer und halte ihm das Formular hin.

„Was ist?“, fragt er, während er es entgegen nimmt.

„Es geht nicht um die Uni in Frankfurt. Sondern um die in Dallas.“

Er starrt mich an. Und ganz langsam scheint er zu realisieren, was ich da von ihm möchte.

„Dallas?“, echot er.

Ich nicke und spreche hastig weiter: „Weißt du, da gibt es die Mavericks. Das Team, wo Nowitzki mitspielt. Wäre das nicht geil, wenn wir den vielleicht sogar treffen könnten? Und in den USA ist Basketball einer der führenden Sportarten. Die sind dort so viel besser, als die hier. Diese Chance wäre unglaublich groß und-“

„Welche Chance?“, fällt er mir ins Wort und ich sehe ihn an.

„Was meinst du?“, frage ich verwirrt.

„Was nützt dir so ein scheiß Programm, wenn du nur Lehrer werden willst?“

Ich beiße mir auf die Lippen. „Das ist die Chance, vielleicht nicht nur Lehrer zu werden.“

„Und willst du überhaupt noch Profi werden?“

Ich zucke mit den Achseln. „Hab nie darüber nachgedacht. Ich meine… für mich war die Sache gegessen, aber jetzt…“

Er nickt. „Und wie lange?“

Ich seufze. „Das ganze Semester.“

„Niemals!“ Ich ziehe scharf die Luft ein.

„Valentin…“, versuche ich noch einmal mein Glück, aber ehe ich etwas anderes sagen, unterbricht er mich auch schon: „Hast du schon mal überlegt, was du für einen Aufstand gemacht hast, als ich nach München wollte? Nur die Ferien über? Du willst jetzt ein halbes Jahr nach Dallas. NACH DALLAS!“

„Aber es ist meine Chance!“, entgegne ich und plötzlich wird mir klar, was es für eine verdammt große Chance ist. Mit dem Training in den USA könnte ich hier in der Bundesliga einsteigen.

„Und München war meine Chance!“ Ich blicke zu ihm.

„Ich hab es dir nie verboten. Im Gegenteil. Ich hab dir meine Unterstützung zugesichert. Du warst es, der nicht wollte.“ Ich sehe ihn wütend an. So, wie er es dreht, ist es nicht fair.

„Ja, wegen dir. Wegen uns. Weil mir unsere Beziehung was bedeutet!“, erwidert er und verschränkt die Arme.

„Und mir bedeutet sie jetzt nichts?“, frage ich genervt. Will er das damit sagen?

Er schnaubt.

„Bitte… geh nach Dallas, wenn es dir so wichtig ist. Aber dann verlang nicht eine Sekunde mehr, dass ich das Tape im Schrank lasse.“

Ich beiße mir auf die Lippen und mir ist klar, dass er mir keine Entscheidung lässt. Entweder Dallas und das Tape oder kein Dallas und kein Tape.

„Aber damit… könnte alles kaputt gehen,“ erwidere ich leise.

„Und das ist meine Schuld?“

Ich schüttle den Kopf.

„Valentin… ich will doch gar kein halbes Jahr gehen. Aber diese Chance…“

„Ich weiß,“ erwidert er plötzlich wieder ganz ruhig und kommt zu mir. Ich ziehe ihn in meine Arme.

„Ich weiß nicht, was ich tun soll,“ flüstere ich gegen seinen Haarschopf.

„Am liebsten würde ich gehen und dich mitnehmen.“

„Aber ist es denn so wichtig? Ist es denn wirklich so unglaublich wichtig?“

Ich schüttle den Kopf. „Ich weiß es nicht.“
 

Valentin ist im Bad und duscht, als ich Benni anrufe.

Ich habe noch immer keine Entscheidung getroffen. Weil ich das Gefühl habe, egal was ich tue, es ist falsch.

„Dass du dich mal von selbst meldest,“ meint Benni erstaunt, als er abhebt.

„Ich hab ein Problem,“ falle ich sofort mit der Türe ins Haus, ehe er weiter darauf rum reiten kann, dass ich mich kaum melde.

„Hast du dich schon wieder getrennt?“

„Nein.“

Ich seufze.

Dann erzähle ich ihm von dem Programm und davon, dass ich keine Ahnung habe, was ich tun soll.

„Ich will dahin. Aber ich will Valentin nicht alleine lassen.“

„Was sagt er denn dazu?“

Ich erzähle ihm von unserem Streit und nun ist es er, der seufzt.

„Und jetzt soll ich für dich entscheiden?“

„Nein. Sag mir nur, was du tun würdest.“

„Ich würde nicht gehen, weil der Sport nicht mehr Teil meines beruflichen Lebens ist. Aber wenn es um Jona ginge, würde ich ihn gehen lassen.“

„Ja, aber Jona ist Profi.“

„Ja… und du willst Profi werden.“

„Nein.“ Ich schüttle den Kopf, nur für mich selbst. „Eigentlich will ich es gar nicht.“

„Aber?“

„Aber ich weiß, dass ich es bereue, wenn ich es nicht tue.“ Ich beiße mir auf die Lippen, „Und dennoch kann ich es vor Valentin nicht vertreten.“

„Das musst du auch nicht.“ Ich zucke zusammen und drehe mich um. Da steht besagter Emo und blickt mich an.

„Ich muss aufhören“, meine ich zu Benni und klappe mein Handy zu, ehe ich mich ganz Valentin zuwende.

„Weißt du… ich denke, wenn man mir jetzt einen Plattenvertrag anbieten würde… nicht hier in Köln, sondern in Berlin oder München… Dann würde ich wohl nicht unterschreiben.“

Ich sehe ihn an.

„Aber man bietet dir ja keinen Profivertrag an.“

Ich nicke. Da hat er Recht. Es geht nur um ein Auslandssemester.

„Man bietet dir nur das an, was man mir mit dem Demotape angeboten hat. Eine Chance, aus der man selbst sehen muss, was man tut.“

Ich nicke.

„Es war unfair von mir, ein Tape aufzunehmen und dir aber nicht zu erlauben, nach Dallas zu gehen.“

„Aber Valentin. Es geht nicht nur um einen Monat.“

„Ich weiß. Aber… Ich möchte mir nicht vorhalten, dir diese Chance genommen zu haben.“

Ich lächle schwach.

„Hast du keine Angst, dass unsere Beziehung daran kaputt gehen könnte?“

Er schüttelt den Kopf.

„Nein… eigentlich nicht. Ich meine… wenn die Beziehung das nicht übersteht, dann… sollte sie wohl gar nicht bestehen.“

Ich schüttle den Kopf und trete zu ihm. „Nein, ich fahre nicht. Ich kann das nicht. Ich will nicht ohne dich sein und…“

„Joshua…“

Er sieht mich an und versucht sich an einem misslungenen Lächeln. „Ich mein das ganz ernst.“

Ich nicke. „Ich weiß.“

„Jetzt unterschreib diesen Wisch schon. Wenn… wenn es für uns gar nicht mehr anders geht, dann kannst du ja immer noch abbrechen.“

Ich nicke.

„Ja… das kann ich.“

Ich trete zum Wohnzimmertisch, auf dem der Zettel liegt und setze meine Unterschrift darauf. Im nächsten Moment schlingen sich zwei Arme um mich.

Ich schließe die Augen und spüre, wie mein Rücken nass wird.

„Hör schon auf zu weinen,“ murmle ich leise.

„Ich sollte mich für dich freuen, aber ich kann es nicht,“ flüstert er und ich löse mich von ihm und nehme ihn dann meinerseits in den Arm.

„Das macht nichts. Ich hab mich auch nicht für dich gefreut.“

Nun muss er lachen. „Na Danke auch.“

Sanft streiche ich über seine Wange.

„Valentin. Dafür werde ich dir ewig dankbar sein. Das weißt du, oder?“

Er grinst schwach: „Ich weiß. Und das musst du auch. Ich werde es dir nämlich für immer vorhalten.“

Nun muss ich lachen und küsse ihn.
 

„Meine Freundin war gar nicht begeistert,“ klärt mich Tobias auf, als wir am nächsten Morgen vor dem Büro auf die Wagenknecht warten.

„Valentin auch nicht.“

Er sieht mich überrascht an. „Der Emo? Seid ihr wieder zusammen?“

Ich nicke lächelnd.

Er nickt ebenfalls. „Das ist schön für dich.“

Ich weiß nicht, ob er das wirklich so meint oder ob er nur nett sein will. Ist mir aber eigentlich auch egal.

„Also… daraus schließe ich, dass du mitgehst?“ Er sieht mich fragend an und ich nicke. „Und du anscheinend auch,“ stelle ich dann fest und er stimmt zu.

In dem Moment kommt unsere Konrektorin und wir übergeben ihr die Zettel. Sie besieht sich beide, dann nickt sie wohlwollend.

„Dann sehe ich euch wohl dieses Semester nicht mehr, Jungs,“ lächelt sie und wir nicken und verabschieden uns.

„Tja… Dann auf nach Dallas,“ meine ich, als wir aus ihrem Büro treten.

„Glaubst du, wir können Nowitzki sehen?“, fragt Tobias mich und ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber wehe, wenn nicht.“

Daraufhin lacht Tobias und auch ich muss lachen.

Letztlich seufze ich aber. Worauf hab ich mich da nur eingelassen?
 

„Danke, dass ihr gekommen seid,“ meine ich zu Benni und Jona, die zusammen mit Valentin und mir am Kölner Flughafen stehen.

Heute ist also Tag der Abreise. Jetzt, wo es losgeht, bin ich wieder hin- und hergerissen. Einerseits freue ich mich, andererseits will ich gar nicht weg.

„Man, Alter. Du fährst ein halbes Jahr weg. Klar kommen wir dann vorbei!“, grinst Benni mich an und ich lächle und presse Valentin enger an mich.

Er ist ziemlich still und ich schätze mal, wenn man ihn jetzt anspricht, bricht er in Tränen aus. Also sage ich lieber nichts.

Während wir warten, kommt Tobias in Begleitung seiner Freundin und seiner Eltern zu uns. Meine Eltern sind nicht hier. Sie haben uns aber unter der Woche zwei Tage besucht und sich persönlich verabschiedet. Jetzt aber sind sie schon wieder in Hamm.

Ich lächle Tobias kurz zu und er nickt zur Begrüßung und redet dann auf seine Freundin ein.

Sie sieht ziemlich fertig aus. Garantiert war sie bis zuletzt dagegen. Ich streiche Valentin durchs Haar und würde ihm gerne so viel sagen. Aber ich weiß einfach nicht, wie ich es in Worte fassen soll.

Dann wird auch schon unser Flug aufgerufen und ich höre ein ersticktes Keuchen von Valentin.

„Also dann,“ meint Jona und zieht Valentin von mir weg, damit ich mich auch von den anderen verabschieden kann.

Ich umarme Benni und er meint: „Stell bloß nichts an, da drüben.“

„Ich reiß mich schon zusammen.“

Ich seufze. „Tust du mir einen Gefallen?“ Ich sehe Benni an und er nickt. „Pass ein wenig auf ihn auf. Ruf ab und an mal an und… sei einfach da, wenn ich es nicht sein kann.“

Er nickt. „Natürlich.“

Ich lächle und wende mich Jona zu. Er umarmt mich kurz. „Pass auf dich auf, ja?“

Ich nicke. „Natürlich.“

Dann wende ich mich wieder Valentin zu und er drückt sich an mich.

„Bleib hier,“ flüstert er und ich hebe sein Kinn an und küsse ihn.

„Ich melde mich jeden Tag, okay?“ Er nickt. „Und ich denke jede Minute an dich, ja?“

Er nickt wieder.

„Ich liebe dich, Joshi.“

„Ich liebe dich auch.“

Und dann muss ich los. Gemeinsam mit Tobias trete ich zur Personenkontrolle und wir wechseln einen Blick.

Aber wir sagen nichts. Weil es gerade nichts zu sagen gibt.
 

Der Flug nach Dallas dauert einfach ewig. Neben mir sitzt eine alte Oma, die die ganze Zeit strickt und mich ständig mit ihrem Ellenbogen anrempelt, so dass ich kaum schlafen kann.

Irgendwann schläft sie über das Stricken hinweg ein und beginnt zu schnarchen, so dass ich nicht mal da zur Ruhe finde.

Tobias hingegen sitzt neben einem kleinen Jungen, der Flugangst hat und weint, bis seine Mutter ihn beruhigen kann. Irgendwann ist er so erschöpft, dass er schläft, bis wir landen.

Ich könnte sterben, als wir letztlich in Dallas aus dem Flughafengebäude treten und uns ein Taxi nehmen, das uns zu unserer Unterkunft fährt.

Eine Art Studentenwohnheim, in dem wir uns ein Doppelzimmer teilen müssen. Keine Chance, Tobias zu entkommen oder sich sonst wie zurückzuziehen.

„Denkst du, wir passen hier hin?“, fragt er und ich schüttle den Kopf. „Sehen wir aus, als würden wir hier hinpassen?“

Er grinst und ich lache ebenfalls.

„Ich hab immer davon geträumt, ein Auslandssemester zu mache. Und jetzt ist es das schlimmste, was mir je passiert ist.“

Ich sehe ihn an und er spricht weiter: „Sie hat vorhin Schluss gemacht.“

Erstaunt sehe ich ihn an. Das ist echt heftig!

„Das tut mir Leid, Tobias.“

„Schon gut… Weißt du… ich denke, wenn unsere Beziehung das nicht aushält, dann ist sie eh nicht für die Ewigkeit…“

Ich nicke und muss plötzlich lächeln. Genau das gleiche hat Valentin auch gesagt.

Ich hoffe nur, im Gegensatz zu der Beziehung von Tobias, wird unsere Beziehung dies aushalten.

Er scheint meine Gedanken zu erraten, denn er blickt mich an: „Keine Ahnung, wie das mit einem anderen Kerl ist… aber als ich euch gesehen habe, da hatte ich irgendwie das Gefühl, ihr wärt euch näher, als Lisa und ich es je waren.“

Ich sehe ihn an und kann gar nicht sagen, wie sehr es mich tröstet. Um ihn auch ein wenig zu trösten, meine ich: „Dann war Lisa wohl nicht die Richtige.“

Er nickt. „Was heißt, dass ich positiv in die Zukunft blicken sollte… wo die Richtige wartet.“

Er lächelt und ich nicke und beginne, meine Sachen auszuräumen.

„Dabei dachte ich immer, dass ich Lisa heiraten würde,“ sinniert er weiter.

Ich sehe kurz zu ihm. „Tja… das habe ich bei meiner Ex-Freundin auch kurz geglaubt. Aber letztlich hat unsere Beziehung kaum vier Monate gehalten.“

„Lisa und ich waren fünf Monate zusammen.“ Er zuckt mit den Schultern. „Aber was soll’s. Heirate ich eben die nächste.“

Ich muss lachen und er sieht mich an. „Du und der Emo… wie lange seid ihr jetzt schon zusammen?“

„Ein bisschen mehr als ein Jahr.“

Tobias nickt.

„Und… Denkst du, du wirst ihn irgendwann heiraten?“

Ich sehe ihn an. „Also… ähm…“

Jetzt muss er lachen. „Entschuldige. Aber ich weiß ja nicht, wie ernst es zwischen euch ist.“

Ich winke ab. Bisher habe ich gar nicht in Erwägung gezogen, Valentin als Lebenspartner eintragen zu lassen. Uns war nur klar, dass wir unser Leben zusammen verbringen wollen. Aber nicht, wie genau.

„Keine Ahnung,“ meine ich also ehrlich, „Aber Ehe hin oder her… Ich denke schon, dass Valentin der Richtige ist.“

Nun seufzt Tobias dramatisch. „Das ist ja echt süß.“

Ich strecke ihm die Zunge raus und er lacht.

Andy vs. Adonis

Es ist schon seltsam, einen weiblichen Körper an sich gepresst zu fühlen. Seltsam und irgendwie… eklig.

Ich erschaudere und drücke das Mädchen, dass sich als Brooke vorgestellt hat, etwas von mir weg. Sie strahlt mich an und ich möchte einfach nur noch weglaufen.

„What’s your name?,“ fragt sie mich und ich sehe Tobias hilfesuchend an.

„Sie will wissen, wie du heißt,“ meint er und ich verdrehe die Augen. „Das hab ich schon verstanden. Aber muss sie so an mir kleben?“

Er lacht und Brooke fragt noch einmal, wie ich heiße. „Joshua,“ antworte ich notgedrungen und Tobias grinst sich einen ab.

„Do you have a girlfriend?“

Wie sie schon spricht. Als wäre ich geistig zurückgeblieben. Ich sollte ihr sagen, dass ich ganz gut Englisch spreche und sie mit mir nicht so langsam und deutlich sprechen braucht. Aber ich lasse es lieber. Ich will es mir ja nicht am ersten Tag verscherzen.

„No, I don’t,“ murre ich und löse mich von ihr – sie hat sich bei mir eingehakt – „But a boyfriend.“

„Oh,“ meint sie daraufhin und lässt mich nun freiwillig los, schaut mich aus großen Augen an. Und dann brüllt sie durch die gesamte Universität: „You are gay!!!“

Und da jetzt jeder weiß, dass ich schwul bin, muss ich es wenigstens nicht noch öfter klarstellen.

Ich seufze und nicke und Tobias lacht und erstickt hoffentlich daran.

„That’s cute,“ flötet Brooke und wendet sich dann trotz meiner offensichtlichen Cuteness – oder wie auch immer das heißt – Tobias zu. „What about you?“

„I’m not gay and I am single!“, strahlt er mit äußert schlechter Aussprache und Brooke grinst begeistert. Die hat ihre Meinung ja schnell geändert!

Jetzt hängt sie jedenfalls an Tobias' Arm, während sie uns zu unserer ersten Vorlesung begleitet.

Ich weiß nicht, wer uns dieses Weib auf den Hals gehetzt hat, aber offenbar soll sie uns an den ersten Tagen ein wenig Unterstützung geben.

Jetzt, da sie nicht mehr an mir hängt, sondern an Tobias – der das übrigens total super findet -, ist sie eigentlich ganz erträglich.

Sie ist ein wenig so ein Typ, wie es Bennis Freundin Amelie war. Selbstsicher und immer präsent. Dabei ist sie aber süßer und – hoffentlich – nicht so intrigant, wie es Amelie damals gewesen war.

Sie führt uns durch die Gänge, zielstrebig zu unserem Hörsaal und setzt sich dann neben uns. Offensichtlich ist diese Lesung auch für sie interessant.

Man hat uns einen Plan mit Lesungen gegeben, die für uns interessant sind und momentan geht es um Sportmedizin, wenn ich den Kerl da vor uns richtig verstehe. Ich weiß nicht so genau, was Tobias und ich hier tun. Wir studieren beide Sport auf Lehramt und ich weiß nicht mal, ob es den Studiengang ‚Sport’ als solchen an dieser Uni gibt. Wahrscheinlich wird uns dieses Jahr studientechnisch nicht weiterhelfen, sondern nur aus sportlicher Sicht.

Als mir das klar wird, wird mir doch ein wenig flau im Magen und plötzlich frage ich mich, ob es das richtige war, hier her zu kommen.

Ich werfe einen Blick auf Tobias, der von der Sportmedizin regelrecht begeistert ist – oder liegt es an Brooke? Jedenfalls strahlt er ziemlich und ich seufze.

Wieder einmal wird mir klar, wie wenig ich mich bisher für meine Teammitglieder interessiert habe. Nie habe ich überlegt, was sie für Wünsche und Ziele und Träume haben und ob sie noch die Möglichkeit haben, sie zu realisieren.

Deshalb weiß ich auch nicht, ob Tobias jemals daran gedacht hat, Profi zu werden – und wenn ja, wie stark dieser Drang war.

Über diese Überlegung hinweg verpasse ich fast meine gesamte erste Lesung.

Als wir letztlich zusammen mit Brooke den Saal verlassen und sie uns zur Cafeteria führt, beschließe ich, meiner Unwissenheit ein Ende zu machen: „Warum hast du das Angebot angenommen?“, wende ich mich an Tobias.

„Weil ich mir die Chance nicht entgehen lassen wollte,“ erwidert er, aber soweit war ich auch schon.

„Aber warum? Was erhoffst du dir?“

Er wirft mir einen Blick zu und vernachlässigt dafür Brooke, der bisher seine Aufmerksamkeit gehörte.

„Na, das was wir uns alle erhoffen. Profi zu werden. Oder warum bist du hier?“

Ich seufze und sehe ihn an.

„Keine Ahnung…“

Er runzelt die Stirn. „Keine Ahnung?“

Ich seufze und zucke mit den Achseln. „Ich werde nie Profi.“ Ich sehe zu ihm. „Und du auch nicht.“

Ich hoffe, er nimmt mir das nicht übel und haut mir auch keine rein. Vorsichtshalber ducke ich mich schon einmal, aber tatsächlich tut er das nicht, sondern sieht mich nur ziemlich ernst an: „Warum denkst du das?“

„Weil ich einen Profi kenne und die Unterschiede sehe.“

Ha! Und damit habe ich nun die vollkommene Aufmerksamkeit auf mir. Er lässt Brooke einfach stehen und hängt sich an meinen Arm, sieht mich aus großen Augen an. „Du kennst einen Profi? Wen?“

Ich seufze. Okay… ich hätte meinen Mund halten sollen. Aber zu spät.

„Er war in meinem alten Schulteam. Ähm… und jetzt spielt er in der Bundesliga.“

Tobias löst sich wieder von mir. Ich weiß nicht so genau, warum. Ob er enttäuscht ist, weil er mit einem großen Namen gerechnet hat? Oder will er nur nicht als Schwuchtel gelten?

„Achso,“ meint er nun und ich habe meine Antwort. Es ist Ersteres: „Und ich dachte, du kennst jemanden, der richtig gut ist. Wo spielt er denn? Hat Hamm eine Bundesligamannschaft?“

Ich sehe ihn erstaunt an. Er weiß, dass ich aus Hamm komme? Ich weiß nicht mal, wo genau er in Köln wohnt. Und schon gar nicht, wo seine Heimat ist.

„Nein,“ winke ich nur ab und nehme mir fest vor, ihn das irgendwann mal zu fragen. Außerdem würde ich gerne wissen, woher er seine Information über mich bezogen hat.

„Er spielt in Frankfurt.“

Ich habe den Namen noch gar nicht zu Ende gesprochen, da hängt er schon wieder an meinem Arm: „BEI DEN SKYLINERS?“, brüllt er noch hundert Mal lauter, wie zuvor Brooke und ich zucke tatsächlich vor Schreck zusammen und nicke dann.

„Warte! Scheiße! Joshua! Dieser neue Shooter? Dieses Ausnahmetalent?“ Er kriegt sich gar nicht mehr ein, sondern stammelt begeistert vor sich hin.

Ich starre ihn an. So begeistert habe ich ihn noch nie gesehen! Ich glaube, das liegt auch daran, dass er Frankfurt-Fan ist, denn es wurde eigentlich kaum von dem neuen Shooter der Skyliners berichtet. Er muss also gut über Frankfurt informiert sein.

„Ja,“ meine ich gedehnt, „Das ist Jona.“

„Krass…“

Er strahlt mich begeistert an und ich seufze. „Jedenfalls… er ist besser, als wir es je sein werden,“ ende ich kläglich. Ich glaube nicht, dass meine Ansage jetzt noch Wirkung hat. Er ist zu sehr von seiner Begeisterung abgelenkt. Und wenn er Jona als Ausnahmetalent bezeichnet, dann denkt er wohl, als normales Durchschnittstalent hat er doch noch eine Chance.

Er sinniert noch vor sich hin, wie krass das Ganze ist und ich denke, ich könnte ruhig auch ein wenig angeben und ihm klar machen, dass ich es ernst gemeint habe.

„Unser Team war wirklich gut. Ein anderer ist jetzt in einem Trainingsprogramm in Göttingen.“

Ich habe erneut seine Aufmerksamkeit.

„Echt?“

Ich nicke. „Ja. Und er ist nicht mal im Team, sondern nur in einem Trainingsprogramm. Und er ist schon so viel besser, als wir. Wie rechnest du dir dann Chancen für uns aus?“

„Ganz einfach,“ erwidert Tobias daraufhin und macht eine ausschweifende Handbewegung, „wir haben das hier.“

Ja, das haben wir in der Tat.

Aber ob das reichen wird?
 

„Er hat mich fast gefressen, als ich ihm erzählt habe, dass ich einen Spieler der Skyliners kenne.“

Jona lacht und ich strecke mich auf dem Bett aus.

„Er ist halt Fan von uns!“

Ich schnaube. „Eindeutig.“

Eigentlich hat Jona darauf bestanden, mit mir zu skypen. Blöderweise gibt es hier kein W-Lan und deshalb auch kein Skype, bis Tobias Internet für uns von einem der anderen Studenten anzapfen darf.

Deswegen darf ich jetzt jeden einzeln anrufen. Jetzt ist Jona dran, Benni habe ich schon hinter mich gebracht. Valentin rufe ich erst später an. Bei uns ist es nämlich jetzt zwanzig Uhr, was heißt, dass bei ihnen jetzt erst dreizehn Uhr* ist. Und Valentin ist erst ab Zwei zu erreichen.

Ich sehe an die Decke, während Jona amüsiert kichert.

„Na ja… jedenfalls bin ich gerade nicht so sicher, ob es gut war, hierher zu kommen. Ich fürchte fast, ich verpasse hier mehr Stoff, als dass ich etwas dazu gewinne.“

„Daran hättest du vorher denken sollen,“ erinnert mich Jona und ich seufze. „Ja… Ich weiß.“

Ich zupfe an meiner Bettdecke und frage dann: „Wie geht es Valentin?“

„Er hat es verkraftet,“ meint Jona und lächelt sicher. Er hat sich rührend um ihn gekümmert, das hat Benni mir schon erzählt. Fast könnte ich eifersüchtig werden, aber natürlich werden Jona und Valentin nicht miteinander durchbrennen. Also… davon gehe ich zumindest aus.

„Gut…“

„Du kannst immer noch abbrechen,“ stellt Jona fest und ich richte mich auf. „Nein. Noch nicht. Erstmal sehen, wie es hier läuft.“

„Klar.“

In dem Moment kommt Tobias ins Zimmer und strahlt schon wieder. Ich weiß nicht, was man dem heute ins Frühstück hat.

„Ich hab W-Lan für uns besorgt,“ erklärt er mir und wedelt mit seinem Laptop herum. „Brooke hat mich ihren Router anzapfen lassen!“

Ich nicke und Jona meint am anderen Ende: „Dann können wir ja nächstes Mal skypen!“

„Wenn du dir das zumuten möchtest,“ lächle ich und blicke zu Tobias. Ob er Jona überhaupt erkennen würde, wenn er ihn sieht?

Er bemerkt meinen Blick und sieht mich an. „Wer ist es denn? Dein Hase?“

Ich verdrehe die Augen. Keine Ahnung, warum er Valentin ‚meinen Hasen’ nennen muss, aber irgendwie hat er heute Morgen Gefallen daran gefunden.

„Nein,“ meine ich und Jona kichert wieder. „Hase?“

„Ich nenne ihn bestimmt nicht so,“ murre ich und er lacht und meint dann: „Sag mir, wie euer Training so abläuft. Und wenn ihr jemals Nowitzki sehen solltet – hol mir so ein scheiß Autogramm.“

„Wer weiß. Vielleicht spielst du irgendwann an seiner Seite!“, werfe ich ein und Tobias wirft seinen Kopf zu mir.

Ich meine das so, wie ich es sage. Es sieht aus, als wenn er seinen Kopf um hundertachtzig Grad gedreht hat und mir entgegen werfen möchte, so wie er ihn zu mir streckt.

„Redest du etwa mit diesem Jona?“, fragt er und wendet nun auch den restlichen Körper meiner Wenigkeit zu.

Ich überlege, einfach zu lügen, aber was würde das bringen? Ich sage ja nicht zu meinem ‚Hasen’, dass er bald mit wem-auch-immer an der Seite spielen könnte.

„Ja,“ murre ich also gequält und er quiekt auf, wie ein Schweinchen.

„DU BIST SO COOL! ICH STEH VOLL HINTER DIR MAN!“, brüllt er dann laut durch das Zimmer und Jona lacht laut los.

„Sag ihm, ich freu mich über jeden Fan!“

„Er freut sich,“ richte ich Tobias aus und er grinst schon wieder wie auf Drogen.

„Jedenfalls muss ich, glaube ich, ganz schnell an die Waschmaschine,“ meint Jona dann und ich lache.

„Ja… rette dich,“ meine ich und wir verabschieden uns. Als ich auflege, schüttelt Tobias nur ungläubig den Kopf. „Krass, Alter.“

Ich zucke nur mit den Schultern und lasse dann auch meinen Laptop hochfahren, damit er den Router von Brooke suchen kann.

Tobias gibt dann den Schlüssel ein, wenig später bin ich wieder im World Wide Web.

Ich schreibe Valentin eine SMS, dass wir auch skypen können und eine Stunde später kann ich meinen Freund live und in Farbe bewundern.

„Hey,“ lächelt er mich an und ich strahle zurück.

„Wie war euer erster Tag?“

Ich erzähle ihm ein wenig von meinem Tag, von Brooke und davon, dass ich langsam Zweifel bekomme, ob es meiner Karriere nicht eher schadet, hier zu sein.

„Aber ich verstehe das nicht, Joshi.“ Er lehnt sich auf meinem Sessel zurück, den er offenbar als neuen Lieblingsplatz auserkoren hat.

„Ich dachte, die Schule hat das Programm gewählt, weil es euch in allen Bereichen weiterbringt.“

Ich zucke mit den Schultern.

„Vielleicht… ist es ja auch so. Mal abwarten.“

Er nickt und strahlt plötzlich von einem Ohr zum anderen.

„Ich fahre übrigens in drei Wochen mit Jona nach Stuttgart!“

Ich sehe Valentin überrascht an. „Warum?“

„Konzert von den ‚Black Veil Brides’,“ klärt er mich überglücklich auf und beginnt, auf und ab zu hibbeln, so dass ständig das Bild schlecht wird, weil er mit dem Laptop wackelt.

Ich warte, bis er sich einigermaßen beruhig hat, dann wage ich mich an meine nächste Frage heran: „Wen?“

„Ach Joshi!!!“, stöhnt er auf und ich glaube langsam, nur von verrückten Fans umgeben zu sein.

„Du weißt schon. Die Band, von denen du das Lied nicht mochtest, das Sven aber mochte und wegen dem wir Streit hatten.“

Ja, wie konnte ich das nur vergessen? „Ach, die scheiß Band,“ murre ich und er sieht mich empört an. Sicher springt er gleich durch den Laptop und sticht mich ab.

„Joshi! Die sind genial!“

Ich nicke und notiere mir im Hinterkopf, dass die Band, die ich hasse, genial ist.

„Wir wollen Benni überreden, dass er auch mitgeht. Und dich hätten wir auch mitgenommen, wenn du hier wärst.“

Gott sei Dank bin ich hier in den USA! Das sage ich Valentin aber nicht, sondern grinse nur. „Freu dich nur, dass du nicht hier bist,“ ertappt er mich, nimmt es mir aber nicht übel. Stattdessen strahlt er nur noch breiter: „Dann sehe ich Andy Sixx.“

Ich verdrehe die Augen. Den habe ich ja ganz verdrängt.

„Hat Sven nicht gesagt, du bist viel geiler als dieser Andy?“

„Ach das hat er doch nur gesagt.“ Er grinst vergnügt und bekommt plötzlich glasige Augen: „Man… mit dem hätte ich so gerne Sex.“

Mir klappt der Mund auf und nun bin ich es, der fast durch den PC springt: „Wie kannst du sowas in meiner Anwesenheit sagen?“

„Ach Joshua! Als wenn der mit mir Sex haben würde! Das wäre ja, als wenn dieser Nowitzki mit dir Sex hätte.“

In dem Moment fängt Tobias laut zu lachen an. Ich habe ganz vergessen, dass er immer noch hinter mir auf seinem Bett rumgammelt. „Stellst du dir das vor, Josh?“

„Nein,“ fauche ich und sehe Valentin böse an: „Wie kommst du nur immer auf so lächerliche Vergleiche?!“

„Keine Ahnung. Ich dachte, du findest den toll.“

„Ja, auf dem Feld. Aber nicht im Bett.“

Valentin lacht vergnügt. „Na ja.. man kann nicht alles haben.“

Ich greife mir Tobias Laptop und google diesen Andy, während Valentin noch ein wenig von ihm schwärmt. Kurz darauf strahlt mir Andy mit seiner Visage entgegen.

„Also ich sehe ja wohl echt besser aus,“ meine ich mürrisch und mein ‚Hase’ wackelt wieder vergnügt hin und her.

„Hast du ihn jetzt echt gegoogelt? Du bist so süß.“

Ich grinse ebenfalls: „Süßer als Andy?“

„Wenn ich gewusst hätte, wie sehr es deinem Ego schadet, hätte ich ihn nicht erwähnt.“ Wieder lacht Tobias. Er und Valentin würden sich sicher super verstehen.

„Na ja, wie dem auch sei… ich freue mich total. Ich finde die Band inspirierend!“

Ich lächle ebenfalls und wir kommen vom Thema ab. Kaum sind wir fertig, zücke ich mein Handy.

„Was gibt es denn noch?“, fragt Benni überrascht und ich fackle nicht lange, sondern platze sofort heraus: „Du wirst mit auf dieses Konzert gehen. Und wenn dieser Andy Sixx auf die Bühne kommt, dann knallst du ihn ab!“

Er lacht vergnügt. „Lass mich raten. Dein Freund ist genauso irre wie meiner und hätte gerne Sex mit ihm?“

„Ja…“, murre ich gequält.

„Dabei ist er so hässlich,“ bemerkt Benni.

„Und singen kann er auch nicht,“ stimme ich mit ein.

„Voll die Niete!“

„Echt wahr. Braucht kein Mensch.“

Ich nicke bekräftigend und sicher macht Benni das gleiche. Wir seufzen. Man kann sich echt viel einreden, wenn man nur will.

„Ich wollte eh mit. Ein wenig auf Jona aufpassen.“

Ich grinse. Benni ist zur Glucke mutiert, seit dem er mit Jona zusammen ist. Aber mir ist das nur ganz Recht.

„Dann pass auch auf Valentin auf.“

„Darauf, dass ihm nichts passiert oder darauf, dass er nicht mit Andy durchbrennt?“

„Wenn möglich… auf beides.“

Benni lacht und dann legen wir auf.

„Mal im Ernst… dieser Emo, den du da gegoogelt hast, der hat was,“ meint Tobias in dem Moment und ich donnere den Laptop zu.

„Hässlich und untalentiert,“ kläre ich ihn auf und er grinst wissend. „Klar… kein Vergleich zu einem Adonis, wie du es bist.“
 

Die Woche verspricht doch besser zu werden, als zuvor gedacht.

Brooke weicht uns nicht mehr von der Seite, was zum einen an ihrer Aufgabe und zum anderen an Tobias liegt. Keine Ahnung, ob das jetzt was festeres ist oder nur eine Affäre, jedenfalls sind sie schon richtig unzertrennlich.

Da ich neben Brooke nur Tobias kenne, halte ich mich auch an jenen und finde so tatsächlich Freunde.

Oder sagen wir Bekannte, denn Freunde werden das ganz sicher nicht. Dafür bin ich weder lang genug da, noch lege ich besonders viel wert darauf, Freunde am anderen Ende der Welt zu haben.

Die Lesungen sind eigentlich auch ganz gut. Wir lernen zwar sehr viel über Sportmedizin, aber durchaus auch viel anderes, was uns in Deutschland helfen sollte.

In der zweiten Woche haben wir uns schon etwas eingelebt und einer der Lehrer verkündet uns, dass wir nun auch am Basketballtraining der Schulmannschaft teilnehmen können.

Dem fiebere ich schon seit unserem ersten Tag entgegen, weil es so ziemlich das Einzige ist, das mir ein Gefühl von ‚zu Hause’ vermitteln könnte.

Tatsächlich ist es kein Vergleich zu dem schon fast luschenhaften Training bei uns in Köln oder damals in Hamm.

Wir trainieren fast drei Stunden, zuerst ewig Ausdauer und Kraft, später irgendwann spielen wir.

Ich glaube, gleich zusammen zu klappen, als wir am Ende des Tages in unser Zimmer schwanken.

„Alter… Sind die irre hier,“ brummt Tobias und ich sehe ihn an. „Gewöhn dich dran. Wenn du Profi bist, musst du das auch so durchziehen.“

Er schüttelt den Kopf: „Vielleicht will ich doch kein Profi werden.“

Daraufhin lachen wir, hören aber kurz darauf wieder auf, weil unsere Bauchmuskeln sich anfühlen, als würden sie reißen.

Erschöpft lasse ich mich auf mein Bett fallen und möchte sterben. Das jetzt ein halbes Jahr… dann könnte ich Jona tatsächlich Konkurrenz machen!
 

Eine weitere Woche später dürfen wir mit dem restlichen Basketball zu einem Spiel der NBA, was für uns eigentlich das Highlight des Aufenthaltes hier darstellt, ganz egal, was jetzt noch kommen mag.

Wir starren uns begeistert an, während die Jungs unten auf dem Feld ihr Bestes geben.

„Das ist Wahnsinn! Kein Vergleich zu unserer Bundesliga,“ brüllt mir Tobias über den Lärm der tosenden Fans zu.

„Wem sagst du das?“, brülle ich zurück und kann mein Glück kaum fassen. Ich hab eine Kamera mitgenommen, um da einiges zu filmen. Aber das Spiel ist dermaßen schnell und auf hohem Niveau, dass ich eigentlich alle Szenen filmen müsste.

Dennoch denke ich, habe ich einige guten Szenen drauf, die ich dann Jona und Benni zeigen kann, wenn ich zurück bin.

Nach dem Spiel weigern wir uns, wieder in den Bus zu steigen, bis wir ein Autogramm von Nowitzki haben.

Ich frage mich, ob Valentin sich nächste Woche auch weigern wird, in Bennis Auto zu steigen, ehe er ein Autogramm von diesem Andy Sixx hat. Hoffentlich weiß Benni sich dann zu helfen und fesselt ihn.

Ich grinse vor mich hin. Ein gefesselter Valentin würde mich jetzt auch erfreuen.

„Was hast du?“ Tobias stupst mich an und ich blicke fragend zu ihm.

„Du siehst aus, als wärst du total geil,“ grinst er und deutet zu Nowitzki, der gerade kommt und den ich erst jetzt bemerke.

„Hast doch so deine Fantasien, was?“

Ich verdrehe die Augen. „Eigentlich nicht,“ zische ich. Dann holen wir uns unsere Autogramme – ich denke sogar an das für Jona – und steigen dann zufrieden in den Bus.

„Jetzt bin ich der glücklichste Mensch auf der Welt,“ verkündet Tobias und ich grinse belustigt.
 

Die nächste Woche beginnt damit, dass das Training unserer neuen Mannschaft verschärft wird, was Tobias und mir natürlich total viel Freude bereitet.

Wer findet es nicht cool, nicht mehr nur halbtot sondern ganz und gar vom Leben geschieden zurück ins Zimmer zu kriechen?

Dazu kommt, dass die Lesungen in der Uni uns zu schaffen machen. Sich in das Thema Sportmedizin einzuarbeiten, ist wirklich heftig, wenn man noch genug anderes zu tun hat.

Brooke ist nun auch nur noch privat bei uns, nicht mehr, um uns alles zu zeigen. Das brauchen wir auch nicht mehr, denn mittlerweile kennen wir uns aus.

Am Sonntag kriege ich eine SMS von Valentin, dass Benni bei ihm angekommen ist und grinse.

Aber irgendwie bin ich nervös. Es ist wie eine unterschwellige Ahnung, dass etwas nicht so ganz in Ordnung ist. Total lächerlich eigentlich. Ich meine… ich sollte mich freuen, dass Valentin so glücklich und aufgeregt ist. Stattdessen bin ich total nervös. Wahrscheinlich habe unterbewusst doch Angst, er würde wirklich mit Andy Sixx durchbrennen.

Ich schnaube und bin empört über meine offensichtliche, unbegründete Eifersucht.

Ich ertappe mich dabei, wie ich ständig auf die Uhr gucke und denke ‚jetzt müssten sie bei Jona sein’ und ‚jetzt müssten sie schon fast in Stuttgart sein’. Irgendwann kriege ich eine SMS, dass sie angekommen sind und das Konzert hoffentlich bald los geht. Dann höre ich gar nichts mehr von ihnen. Darüber bin ich auch froh. Ich möchte nicht nachts um zwei Uhr oder später wissen, wie das Konzert war.

Umso erzürnter bin ich, als eine Stunde, bevor ich sowieso aufstehen müsste, das Telefon klingelt. Bei denen muss es doch noch mitten in der Nacht sein! Warum muss Valentin denn dann noch anrufen? Um mir zu sagen, dass er doch mit Andy Sixx durchbrennt? Ich schnaube und Tobias regt sich.

„Alter, ist das dein Handy?“, nuschelt er und ich mache nur ein brummiges Geräusch und hebe ab.

„Was?“, frage ich unfreundlich.

„Josh? Ich bins, Benni.“ Ich runzle die Stirn. Was will der denn? „Was ist?“, frage ich erneut.

„Du hör mal… also…“

„Was? Ist Valentin mit Andy durchgebrannt, ja?“ Ich grinse belustigt und Tobias stöhnt. Offenbar ist er nicht damit einverstanden, dass ich jetzt so ein Gespräch führe. Ich eigentlich auch nicht. Ich will eigentlich nur noch etwas schlafen.

„Nein, natürlich nicht.“

Ich runzle die Stirn. „Na dann. Ist Valentin bei dir? Kann ich ihn sprechen?“

„Deswegen ruf ich an,“ meint Benni und irgendetwas an seinem Tonfall macht mir plötzlich unglaubliche Angst. So etwas habe ich noch nie gefühlt. Das meine ich ganz ehrlich. Es ist, als würde sich mein Hals schmerzhaft zuschnüren.

„Was ist denn los?“, frage ich und klinge dabei so hoch und quietschig, dass ich jeder Maus Konkurrenz machen könnte. Ich schlucke, um den harten Kloß in meinem Hals zum Verschwinden zu bringen.

„Tut mir Leid, Josh…“

Und in dem Moment setzt meine Atmung aus. Ich spüre, wie mein Herz fast aus meiner Brust springt, als ich wirklich hysterisch ins Telefon kreische: „Was ist denn? Benni? Was ist denn?“

Aber er sagt nichts mehr. Stattdessen höre ich, wie das Telefon weiter gereicht wird und nun ertönt Jonas Stimme: „Joshua? Valentin hatte einen Unfall.“
 


 

* Ich hab nachgeguckt. Von den Zeitzonen her, müssten sieben Stunden zwischen Deutschland und Texas liegen. Wer mich eines besseren belehren kann, der tue das oder nehme es so hin.

Glück im Unglück?

„Was ist denn los?“, fragt Tobias, während ich auflege und dann in rasend schnellem Tempo meine Klamotten in meine Reisetasche stopfe.

Ich ignoriere ihn. Mein Kopf ist voll mit anderen Dingen und doch so unsagbar leer, dass es mir gar nicht möglich ist, ihm zu antworten. Ich weiß ja nicht mal, was genau ich eigentlich tue.

„Josh?“, fragt Tobias aufgrund meiner mangelnden Gesprächsbereitschaft und ich werfe ihm einen Blick zu, rede aber nicht mit ihm. Er runzelt die Stirn. Das sehe ich noch, ehe ich mich wieder meinem Kleiderschrank zuwende, aus welchem ich meine Klamotten nur so herausreiße, dass das ein oder andere ein wirklich gefährliches Geräusch von reißendem Stoff von sich gibt.

Ich versuche, mich zusammenzureißen und schnell, aber kleidungsschonend mein Zeug zu packen, nicht, dass ich am Ende noch eine komplette Garnitur neuer Anziehsachen brauche.

Tobias sagt etwas, was komplett untergeht, da ich nun ohne Sinn und Verstand mein ganzes Hab und Gut in meinen Koffer werfe.

Da ich nichts zerbrechliches mit mir führe, sehe ich keinen Grund darin, meine Eile zu zügeln.

Es geht eine ganze Zeit lang gut, dann aber fällt mir ein Haufen CDs aus der Hand und diejenigen, welche in Hüllen gepackten waren, springen aus diesen heraus und verteilen sich über dem Teppich. Ich keuche auf und halte in meinem Tun inne. Eine ganze Weile starre ich die CDs an, von dieser kleinen Katastrophe mehr oder minder wachgerüttelt. Tobias schnieft. Ich blicke zu ihm und brauche einige Sekunden, bis ich checke, dass das Geräusch nicht von ihm, sondern von mir kam. Von mir, der ich gerade im Zimmer stehe und heule.

Ich wische mir die Tränen von den Wangen und blicke – mit garantiert geröteten Augen – erwartungsvoll zu Tobias.

Der sieht nur aus großen Augen zurück, ehe er seufzt und die Bettdecke von seinen Beinen schiebt.

Langsam steht er auf und kommt auf mich zu, nimmt mich hilflos in den Arm.

„Was ist los?“, fragt er noch einmal und tätschelt mir ziemlich unbeholfen den Rücken. Er scheint nicht gut darin zu sein, Menschen zu trösten. Andererseits ist mir seine Anteilnahme schon Trost genug.

„Valentin hatte einen Unfall,“ kläre ich ihn also stockend auf und klinge ziemlich heißer, vom ganzen Heulen.

Ich höre ihn erschrocken aufkeuchen. „Ist es schlimm?“, will er wissen und ich muss zugeben, dass ich keine Ahnung habe.

Jona hat mir nicht sehr viel gesagt. Aber nach den Worten ‚Valentin hatte einen Unfall’ habe ich sowieso abgeschaltet.

„Keine Ahnung,“ meine ich also und löse mich dann von ihm, packe weiter zusammen. Ein paar mal schniefe ich noch, versuche aber, mich zusammenzureißen. Heulen kann ich immer noch, wenn ich endlich wieder in Deutschland bin.

Das ist übrigens der Grund, warum ich so eilig zusammenpacke. Ich will sofort zurück und zu Valentin.

Tobias sieht mir zu, als ich auf die Knie gehe, doch ehe ich fortfahren kann, die CDs einzuräumen, geht er ebenfalls in die Knie und packt meine Hände.

„Nimm doch jetzt nicht alles mit,“ meint er und schiebt die CDs aus meiner Griffweite. Ich schüttle den Kopf: „Ich muss. Ich komme nicht mehr zurück. Es war ein Fehler, ihn überhaupt alleine zu lassen.“

Nie wieder würde ich es jetzt noch fertig bringen, Valentin alleine zu lassen. Ich weiß ja nicht mal… nicht mal… ob er es überhaupt überlebt.

Und all das ist meine Schuld. Wäre ich in Deutschland geblieben, dann wäre ich mit auf das Konzert, dann hätte ich ihn beschützen können, dann… wäre jetzt alles okay…

„Selbst wenn,“ beharrt Tobais auf seiner Meinung und sieht mich eindringlich an, „Nimm jetzt nur das nötigste und hau ab. Ich pack den Rest zusammen und schick es nach, okay?“

Dankbar sehe ich ihn an und nicke. Dann packe ich das Wichtigste zusammen und rufe mir ein Taxi.

„Hey… du weißt, dass es nicht deine Schuld ist, oder?“, fragt Tobias, während wir auf besagtes Taxi warten. Ich nicke, obwohl ich immer noch der Meinung bin, dass es natürlich alles meine Schuld ist.

Dann fährt unten das Taxi vor und ich schnappe meinen großen Rucksack und stehe auf. „Das wird schon wieder,“ gibt Tobias mir mitfühlend auf den Weg – jetzt hat er endlich den Ton gefunden, den man als tröstlich empfinden kann.
 

Außerhalb des Wohnheims ist es ziemlich kühl. Wir haben ja auch mitten in der Nacht. Nervös fummle ich an meinem Rucksack herum, während ich einsteige und dem Taxifahrer meinen Zielort – also den Flughafen – nenne.

Die Fahrt dauert ewig. Ich hab keine Ahnung, wo all die Menschen hinwollen, die um diese nachtschlafende Uhrzeit noch unterwegs sind, aber die Highways sind alle voll davon. Ich schwanke zwischen Ungeduld und Angst hin und her und lege einen ziemlich brummeligen Ton an den Tag, als ich den Taxifahrer bitte, irgendwo lang zu fahren, wo man schneller von der Stelle kommt.

Ich weiß nicht, ob es letztlich an dem Ton liegt oder daran, dass es einfach nirgendwo wirklich ein Durchkommen gibt, aber wir bleiben auf dem Highway, bis das Schild zum Flughafen erscheint. Endlich dort, werfe ich ihm mehr Geld zu, als eigentlich nötig und springe dann aus dem Taxi, ohne mich noch länger aufzuhalten.

Ich stoße einige Passanten aus dem Weg, als ich das Gebäude stürme und sicher haben einige Angst, ich wäre ein Terrorist oder Amokläufer oder was weiß ich, weil ich mich so beeile und dazu eine so wild entschlossene Miene an den Tag lege.

Die Schlange vor dem Schalter ist ewig lang und ganz dreist drängle ich mich einfach vor, was mir einige erzürnte Rufe und Beschimpfungen einbringt. Ich murmle etwas von einem Notfall, was ja auch nicht gelogen ist, und nenne der Lady am Schalter dann meinen Zielort.

Ich weiß nicht, ob es vom Rennen oder der Aufregung kommt, oder ob man die Heizung hier einfach zu hoch aufgeschraubt hat, jedenfalls ist mir total warm. Ich schwitze mir einen ab, während die Frau in ihrem Computer herumklickt und fast hineinkriecht, während sie den nächstmöglichen Flug für mich sucht, dann nennt sie mir eine Uhrzeit und überreicht mir ein Ticket.

Keine Ahnung, ob ich das Ganze jetzt Glück im Unglück nennen soll oder nicht, jedenfalls geht in zwei Stunden ein Flug nach Frankfurt.

Was mir sehr entgegenkommt. Wenn es keinem mehr gegeben hätte, hätte ich irgendwie von einer anderen Stadt aus einen Inlandflug nach Frankfurt nehmen müssen. Oder sonst irgendetwas tun müssen, um endlich, endlich zu Valentin zu kommen.

Ich nehme ihr das Ticket ab und mache den anderen – ziemlich ungeduldigen – Leuten platz. Dann schrubbe ich zur Gepäckabgabe, denn meinen großen Rucksack werde ich kaum als Handgepäck ausgeben könne. Gut, dass ich noch einen kleinen Rucksack eingepackt habe, in den ich meine Papiere und meine Wertsachen stopfen kann.
 

Die Zeit vergeht überhaupt nicht. Ich hätte nie gedacht, dass zwei Stunden so unglaublich lang sein könnten.

Meine Zeit verbringe ich damit, mir Kaffee einzuverleiben, was zu einem erneuten Tränenausbruch führt, weil der Kaffee mich natürlich an Valentin erinnert.

Danach sinniere ich ewig lange darüber, ob er es auch schafft und ob alles gut geht, bis ich es gar nicht mehr aushalte und die anderen anrufe.

Ich bin mir zwar sicher, dass sie nicht sehr viel schlauer sein werden, als ich – ich meine, sie ist nur Freunde. Ihnen gibt man sicher keine Auskunft.

Aber dennoch habe ich dann wenigstens etwas zu tun. Ich rufe also Jona an. Bennis Nummer ziehe ich gar nicht in Erwägung. Man hat ja gesehen, dass Benni die Sache überfordert. Jona hingegen ist es, der den kühlen Kopf behält, so sensibel er auch ist.

Als er sich meldet, bestätigt sich meine Vermutung ziemlich schnell. Er hat keine Ahnung, was los ist und niemand will ihn oder Benni aufklären.

Nicht einmal, wie es ihm geht, kann er mir sagen.

Das ist alles ziemlich frustrierend. Hier zu warten und nicht zu Valentin zu können ist das eine. Aber nicht mal zu wissen, wie es um ihn steht, ist noch mal etwas ganz anderes. Eine Erfahrung, auf die ich gut und gerne hätte verzichten können.

Ich will gerade auflegen, als mir etwas einfällt. „Was ist mit seinen Eltern?“

Kurz ist es still am anderen Ende. Sicher beißt Jona sich gerade auf die Lippen, was garantiert kein gutes Zeichen ist.

„Sie haben sie angerufen,“ verkündet er mir dann. „Und sie sind auch schon auf dem Weg.“

Ich seufze frustriert und weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. Ihnen wird man Auskunft geben, aber ob diese Auskunft dann an mich weitergereicht wird… das ist noch mal eine ganz andere Sache.

Da Jona mich über alles aufgeklärt hat, was er bisher weiß, gibt es nicht mehr viel zu reden und wir beenden das Gespräch.

Auf meine Frage, was genau passiert ist, will er keine Antwort geben. Ich weiß nicht, warum. Ich weiß nur, dass er mich damit abgespeist hat, es mir später zu sagen.

Mürrisch verziehe ich den Mund.

Meine Angst wird momentan von der Wut auf die Ärzte überschattet, obwohl die nur ihrer Pflicht nachgehen, uns nicht zu sagen.

Dennoch ärgert es mich maßlos. Wenigstens geht über diesen Ärger die Zeit schneller um und endlich wird mein Flug aufgerufen und es kann losgehen.
 

Am liebsten würde ich aussteigen und das Flugzeug anschieben, als es ewig langsam auf die Startbahn rollt. Wahrscheinlich hat es jetzt schon mehr Tempo, als ein Auto je aufbringen könnte, aber das ist mir egal. Und würden wir jetzt schon mit 500 Sachen über die Bahn rasen, es wäre mir noch zu langsam.

Ich will endlich in Frankfurt sein. Ich hab die Schnauze so voll. Die ganze Reise kommt mir so unglaublich lange vor… das nervt!

Mürrisch blicke ich aus dem Fenster, ohne wirklich etwas zu sehen, und merke erst, dass ich wieder heule, als mir die erste Tränen auf den Handrücken tropft. Ich erblicke mein Spiegelbild im Fenster und stelle fest, dass ich ziemlich fertig aussehe. Zum ersten Mal ist es mir scheißegal, wie genau ich aussehe.

Neben mir sitzt eine Frau Anfang dreißig. Sie ist Deutsche und erkundigt sich einfühlsam, ob alles okay ist. Ich murmle nur etwas vor mich hin, was sie aufklären soll – ob es seine Pflicht erfüllt, sei mal dahingestellt – und schniefe unglücklich.

Sie tätschelt mitfühlend meinen Arm und reicht mir alle drei Minuten ein neues Taschentuch, was ich jedes Mal dankend annehme. Keine Ahnung, ob die Frau eine Taschentuchfabrik in ihrer Tasche versteckt hat oder woher sie die alle bezieht, aber den gesamten Flug über hat sie ausreichenden Tempos für mich übrig.

Warum sie sich so aufopfernd um mich kümmert, weiß ich auch nicht. Immerhin ist sie doch eine völlig Fremde. Aber vielleicht kommt auch ihr Mutterinstinkt durch oder sie hat einfach ein zu großes Herz.

Jedenfalls bin ich ihr wirklich dankbar, dass sie so für mich da ist. Die Angst um Valentin wird so zwar nicht weniger, aber wenigstens werde ich darüber nicht verrückt, solange sie mir gut zu redet.

Die Zeit im Flugzeug vergeht genauso langsam, wie am Flughafen – nämlich so gut wie gar nicht.

Als wir nach gefühlten fünf Tagen endlich landen, wünscht mir meine Sitznachbarin alles Gute und ich bedanke mich noch einmal höflich bei ihr.

Dann endlich bin ich aus dem Flugzeug raus und warte ungeduldig auf mein Gepäck. Wären da nicht einige wichtige Dinge drin, hätte ich es einfach zurückgelassen.

Wenigstens steht ein Taxi bereit, als ich das Gebäude – mit Gepäck – verlasse und ich kann mich sofort zum Krankenhaus bringen lassen, in welchem Valentin behandelt wird.

Mittlerweile habe ich sämtliches Zeitgefühl verloren. Nicht nur, weil es sich länger angefühlt hat, als es letztlich gedauert hat, sondern auch, weil ich mit dem Zeitumrechnen gerade wahnsinnig überfordert bin.

Als ich in die Eingangshalle des Krankenhauses trete, erblicke ich sofort Benni und Jona, die schon auf mich gewartet haben. Ich stürme zu ihnen.

„Und?“, frage ich sofort, ohne mich mit all zu viel Begrüßung aufzuhalten. Aber sie zucken beide synchron die Schultern.

„Seine Eltern sind gerade erst nach oben,“ klärt Jona mich auf und macht mir damit deutlich, dass sie noch immer keinen Plan haben.

Ich nicke frustriert und blicke Benni an. „Du wolltest auf ihn aufpassen,“ rutscht es mir heraus und plötzlich überkommt mich eine ziemliche Wut auf ihn. Er hat mir versprochen, auf ihn aufzupassen!

Ehe ich meiner Wut wirklich Luft machen kann, tut Benni etwas völlig anderes, als ich es bei einer solchen Beschuldigung wohl gemacht hätte.

Er nimmt mich in den Arm und streicht mir beruhigend über den Rücken. Im Gegensatz zu den vorsichtigen Annäherungen von Tobais, ist das gerade richtig tröstlich.

„Ich hätte ihn nicht retten können,“ murmelt er und wie er es formuliert, klingt es so, als wäre Valentin schon tot. Aber das ist er nicht. Und er darf es auch nicht werden.

Jona legt mitfühlend eine Hand auf meine Schulter.

„Wie ist es passiert?,“ frage ich noch einmal. Ich muss es endlich wissen.

Benni und Jona wechseln einen Blick. Keine Ahnung, ob sie sich gerade ohne Wort verständigen, jedenfalls ist kurz Stille, ehe Jona das Wort ergreift.

„Wir waren bei mir und er und Benni wollten über Nacht hier in Frankfurt bleiben. Weil wir so Hunger hatten, sind wir in die Stadt und haben geschaut, ob noch irgendwo was offen hat. Und dann… keine Ahnung…“

Jona bricht ab und sieht – so weit ich das in meiner Position erkennend kann – zu Benni. Der jedoch schweigt und so muss Jona die Story zu Ende führen.

„Wir standen an einer Kreuzung und er hat was erzählt und einen Schritt zurück gemacht. Jedenfalls war der Bordstein da zu Ende und er ist quasi direkt vor ein Auto gestolpert.“

Ich schließe die Augen und versuche, mir nicht vorzustellen, was Jona mir da gerade erzählt. Es gelingt mir nur halb und ich verdränge die Bilder hastig, ehe sie mich in die Knie zwingen. So fühlt es ich nämlich an. Als würde das Gewicht der Angst und Sorge mich nach unten drücken wollen.

Ich klammere mich an Benni, der mich noch immer tröstend im Arm hält.

Ich will so viel sagen, so viel fragen. Aber kein Wort verlässt meine Lippen. Letztlich meint Jona: „Lass uns hoch gehen und seine Eltern fragen.“

Ich habe keine Kraft zu widersprechen. Zwar habe ich keine Lust, jetzt mit diesen Menschen zu reden, aber andererseits habe ich auch keine Wahl.

Valentin ist wichtiger als mein Stolz.

Also machen wir uns auf den Weg in den Flur, in welchem das Behandlungszimmer von Valentin liegt.
 

Valentins Eltern sind die Wucht. Schon alleine ihr Blick, als sie mich und die anderen beiden erkennen, spricht für sich. Er ist voller Abscheu und Feindseligkeit, dass es mir schon wieder reicht.

Dennoch muss ich über meinen Schatten springen. Sofort stapfe ich auf sie zu und strecke ihnen meine Hand entgegen und bemühe mich, freundlich zu klingen, als ich meine: „Hallo. Ich bin Josh. Valentins Freund.“

Natürlich haben sie mich bereits erkannt. Sicher hat Valentin ihnen Fotos von mir gezeigt, ehe der Kontakt ganz abgebrochen ist. Doch selbst wenn nicht, muss man nur Eins und Eins zusammenzählen, um zu wissen, wer ich bin.

Beide starren mich nun an. Mich und meine Hand, die keiner ergreifen möchte. Ich bin zu besorgt, um mich darüber groß zu ärgern.

Nicht nur das. Mittlerweile hat eine seltsame Ruhe und Entschlossenheit von mir Besitz ergriffen. Ich bekomme meine Informationen über Valentin schon – komme, was wolle.

„Wie geht es ihm denn?“, frage ich, weil sie von selbst nicht sagen. Ihr Blick spricht allerdings mehr, als tausend Worte. Wir sind uns noch nie persönlich begegnet, aber natürlich ist das kein Grund, mich nicht trotzdem zu hassen. Immerhin bin ich ja die Schwuchtel, die mit ihrem schwuchteligen, missratenen Sohn zusammen ist.

Jedenfalls wird meine Frage komplett ignoriert. Sein Vater wendet sich einfach ab und seine Mutter wirft mir einen angewiderten Blick zu und faucht nur: „Ich denke nicht, dass Sie das was angeht.“

Ich sehe ihnen hasserfüllt nach, aber ehe ich etwas sagen kann, empört sich Jona, der plötzlich neben mir steht:

„Sie können ihm doch nicht vorenthalten, was mit seinem Freund ist!“

Valentins Vater ignoriert uns immer noch, während seine Mutter nun Jona anblickt.

Für ihn hat sie nicht mal mehr Worte übrig. Sie rümpft nur die Nase und wendet sich ab. Natürlich tut sie das. Jona ist genau die Sorte Mensch, die sie am meisten verabscheut. Die Sorte Mensch, zu der leider auch ihr Sohn gehört. Was übrigens der Grund ist, warum Valentin den Kontakt letztlich abgebrochen hat.

Keine Ahnung, was seine Eltern an seinem Style je so gestört hat, dass sie ihn nicht mehr wie ihren Sohn, sondern wie einen schwererziehbaren Verrückten angesehen haben.

Jedenfalls war der Zustand schon immer schwer an der Grenze und als letztlich klar wurde, dass Valentin nun einen festen Freund hat, sind sie ziemlich ausgerastet, so dass keiner der beiden Parteien noch etwas von der anderen hören wollte.

Ich schüttle eine wenig den Kopf und sehe zu Jona, der noch immer die Klamotten vom Konzert trägt, sprich ein enges schwarzes Bandshirt und schwärze, löchrige Röhrenjeans, dazu wild abstehende Haare und dick mit Kajal umrandete Augen.

Natürlich lassen sie sich nicht dazu herab, auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln.

Ich verenge die Augen.

„Ich habe ein Recht darauf, zu erfahren, was mit meinem Freund ist,“ fahre ich Valentins Mutter an und packe unsanft ihren Arm, um sie davon abzuhalten, wegzulaufen.

„Sagen sie mir, was mit Valentin ist!“

„Joshua!“ Benni zieht mich zurück, ehe mir Valentins Vater eine reinhauen kann, weil ich seine Frau belästige.

„Ich will wissen, was mit Valentin ist,“ brülle ich daraufhin nur durch den gesamten Flur, dass mich einige andere besorgte Wartende irritiert ansehen.

Ich versuche, mich aus Bennis Griff zu befreien, aber er hält mich viel zu fest. Meine Wut schlägt in Überforderung und Sorge um und ich stoppe darin, wild um mich zu schlagen und heule einfach drauf los.

Eng presse ich mich an Benni, der mich zu den Sitzbänken führt und mich unsanft darauf drückt.

Valentins Eltern werfen mir nur noch einen weiteren abschätzigen Blick zu. Jetzt bin ich nicht mehr nur die Schwuchtel, sondern die gemeingefährliche Schwuchtel. Toll…
 

Es dauert ewig, bis ein Arzt zu uns kommt. Oder eher, zu Valentins bescheuerten Eltern. Er redet auf sie ein und wir horchen auf und versuchen, jedes Wort zu verstehen. Das gelingt uns leider nicht, aber was ich höre, ist genug und gefällt mir nicht besonders.

Sie reden von einer Operation – die ja gut verlaufen zu sein scheint – und davon, dass sie ihn jetzt auf die Intensivstation bringen.

Ich beiße mir auf die Lippen und kralle mich in Bennis Oberteil fest. Dieser – also Benni – steht noch immer vor mir, um mich aufzuhalten, sollte ich wieder auf Valentins Eltern losgehen wollen.

Nicht, dass ich momentan Anstalten dazu mache…

Kurz nachdem der Arzt bei uns war, kommt eine Schwester, um Valentins Eltern auf besagte Intensivstation zu bringen und wir folgen ihnen einfach. Zwar passt ihnen allen das gar nicht, aber das ist uns relativ egal.

Als wir ankommen, meint Valentins Mutter tatsächlich zum zuständigen Personal, dass ich unter keinen Umstanden zu Valentin gelassen werden dürfe.

Schon wieder viel zu viel für mich: „Er ist mein Freund! Sie müssen mich zu ihm lassen! Ich will wissen, was mit ihm ist!!!“

„Joshua,“ bittet Jona mich und versucht krampfhaft, mich zu berühren, in dem er mir fest eine Hand auf den Arm legt. Benni hingegen packt mich fest bei den Hüften, dass ich nicht wieder auf jemanden losgehe.

Ich versuche, sie beide loszuwerden, aber gemeinsam sind sie zu stark für mich.

„Nur weil Sie es nicht verstehen, können Sie mich nicht von ihm fernhalten!!! Er braucht mich!!!“, brülle ich ihnen nach, als sie bereits die Intensivstation betreten haben. Man würdig mich keines Blickes mehr, nur die zuständige Schwester sieht mich noch einmal undefinierbar an, ehe sie mir den Rücken zudreht. Eine andere Schwester ermahnt mich, leise zu sein.

Ich sehe sie vernichtend an und lasse mich dann in dem kleinen Vorraum auf einen Stuhl fallen.

Ich bin so frustriert und besorgt, dass ich losheulen könnte. Meine Wut allerdings hält mich davon ab. Insofern, dass ich wütend gegen ein kleines Tischchen trete, auf dem Prospekte und Flyer ausliegen.

Er wackelt verdächtig, hält aber letztlich stand.

„Wir sollten gehen und uns ausruhen. Man lässt uns ja heute eh nicht mehr zu ihm,“ meint Benni nach einer halben Stunde, nach der Valentins Eltern immer noch nicht zurück sind. Ich schüttle vehement den Kopf. „Ich bleibe hier!“

„Joshua, das bringt doch nichts,“ redet nun auch Jona mit Engelszungen auf mich ein.

Aber auch er hat keine Chance.

„Mir egal. Ich bleibe hier.“

Letztlich geben sie auf und ziehen notgedrungen ohne mich ab. Ich hingegen hole mir einen Kaffee und nehme dann die Position im Vorraum wieder ein, schlage die Zeit tot.

Irgendwann döse ich weg und in genau dem Moment kommen Valentins Eltern wieder zurück. Sie sehen mich noch einmal wütend an, ehe sie davon stapfen, nicht ohne noch einmal deutlich zu machen, mich ja nicht zu Valentin zu lassen.

Ich bin zu müde, um mich groß zu wehren und denke, dass ich mir die letzte Chance wohl damit verspielen würde, würde ich ihnen einfach den Kaffee ins Gesicht schütten.

Kaum sind sie weg, seufze ich und könnte losheulen.

Ich brauche einige Zeit, bis ich merke, dass die Schwester noch bei mir steht und mich anblickt. Ich erwidere den Blick.

„Kommen Sie schon,“ winkt sie plötzlich und tritt wieder in die Intensivstation. Ich rühre mich nicht, sondern starre sie nun an. Sie sieht noch einmal auffordernd zu mir. „Oder wollen Sie nicht mehr?“

„Doch!“

Ich springe auf und renne ihr nach. Ich muss einen blöden Kittel anziehen, ehe sie mich durch die Gänge führt.

Während sie das tut, schweigen wir. Erst, als wir vor der Abgrenzung stehen, hinter der Valentin liegt, wende ich mich leise an sie: „Warum?“

Sie lächelt nur und meint: „Weil ich so ein Verhalten unmöglich finde.“

Ich nicke und kann nicht viel damit anfangen. Letztlich seufzt sie und fügt hinzu: „Mein Sohn ist auch schwul. Deswegen fühle ich mich persönlich angegriffen, wenn jemand so offensichtlich dagegen ist.“

Ich nicke und bedanke mich, aber sie winkt ab. Dann hält mich nichts mehr zurück und ich trete hinter den blöden Vorhang und zu Valentin ans Bett.

Am liebsten würde ich losheulen, als mein Blick auf ihn fällt. Er sieht so blass und unendlich schwach aus. Sanft ergreife ich seine Hand und lasse mich auf einem kleinen Hocker neben ihm nieder.

Ich traue mich gar nicht, ihn allzu stark zu mustern, tue es aber doch. Letztlich kann ich die Tränen kaum zurückhalten, während mir das blöde Beatmungsgerät und die Infusionen auffallen.

Die nette Schwester steht immer noch bei mir und ich sehe fragend zu ihr nach oben. „Wir haben ihn nach der OP in ein künstliches Koma versetzt. Damit sich sein Körper erholen kann. In ein paar Tagen wecken wir ihn dann wieder auf.“

Ich nicke und würde am liebsten sterben. Das klingt alles so schrecklich, ich weiß gar nicht, wie ich mit all den Informationen umgehen soll, ohne nicht verrückt zu werden.

Vorsichtig streiche ich über seinen Handrücken und muss aufpassen, nicht an die Infusionsnadel zu kommen.

Ich weiß nicht, wie viel man mir zu sagen bereit ist, aber ich muss einfach fragen: „Wie schlimm ist es?“

„Er hat eine Gehirnerschütterung und gebrochene Rippen.“

Ich nicke und frage dann: „Warum die OP?“

Sie scheint willig zu sein, mir alles genau zu erklären, denn sie spricht sofort weiter: „Weil eine Rippe beinahe die Lunge durchstochen hätte. Sie mussten diese richten, ehe sie schaden anrichtet oder falsch zusammenwächst.“

Ich beiße mir auf die Lippen, während sie mir erläutert, dass er Glück im Unglück hatte.

Ich seufze noch einmal und streiche über seine Wange.

„Hey, mein Süßer,“ flüstere ich dann leise. „Ich bin bei dir und passe auf dich auf, ja?“ Keine Ahnung, ob er mich hört. Aber ich muss mit ihm reden, für den Fall, dass er es tut. „Du musst wieder gesund werden, okay?“

Für Valentin bleibe ich stark und halte die Tränen zurück. Ich bleibe lange bei ihm. Irgendwann rät mir die Schwester dann, zu gehen und mich hinzulegen.

Ich komme ihrer stummen Aufforderung nach, weil ich so unendlich dankbar bin, überhaupt hier gewesen zu sein.

Also stehe ich auf, verabschiede mich von Valentin und verlasse dann die Station.

„Wenn seine Eltern weg sind, können Sie gerne wieder zu ihm,“ verspricht mir eine andere Schwester – offenbar schon die nächste Schicht – ehe ich gehe. Sicher hat die nette Dame ein gutes Wort für mich bei den anderen eingelegt.

Darüber bin ich unglaublich dankbar. Mit diesem Gefühl und dem Gefühl, jetzt beruhigter Schlafen gehen zu können, trete ich in den Aufzug und fahre nach unten.

Ich komme gerade im Foyer an, als mir Benni und Jona entgegen kommen. Sie sehen nicht aus, als hätten sie viel geschlafen.

„Warst du die ganze Nacht hier?“ fragt Jona mich, obwohl er sich die Antwort denken konnte. Ich würde mir ja kein Hotelzimmer nehmen, wenn ich einfach nur zu ihm fahren müsste. Dennoch nicke ich und füge sofort hinzu, ehe er schimpfen kann: „Aber jetzt würde ich gerne etwas schlafen.“

Sie verstehen und nicken und begleiten mich wieder nach Hause.

Als wir das Krankenhaus verlassen, meine ich: „Ich durfte zu ihm.“

Sofort halten Beide in ihrer Bewegung inne und sehe mich erwartungsvoll an. „Und?“, fragen sie wie aus einem Mund.

Also erkläre ich ihnen kurz, was die Schwester mir gesagt hat und sie nicken erleichtert.

„Das wird schon wieder, Joshua,“ versichert Benni mir und ich nicke und hoffe, er hat Recht.

Dann steigen wir in Bennis Ford und er fährt uns zu Jona nach Hause.

Ungewissheit

Sanft streiche ich Valentin durchs Haar, muss dabei aber aufpassen, dass ich nicht aus Versehen an den Schlauch dieser komischen Nasensonde komme.

Ich hab die Schwester gefragt, ob diese nötig ist und sie bejahte dies. Sie hat mir auch einen Grund genannt, aber so wirklich zugehört habe ich nicht. Irgendwas hatte sie davon, dass er so reinen Sauerstoff bekommen würde und das besser für ihn wäre.

Wie auch immer…

Ich würde ihn am liebsten küssen, aber irgendetwas hält mich davon ab. Vielleicht mag ich ihn einfach nicht überfallen, während er so hilflos ist. Hätte ja auch wenig Romantisches an sich, wenn ihn abknutsche, während er im Koma liegt.

Andererseits bedeutet das ja nicht, dass er es deshalb nicht will. Dennoch. Ich finde es unpassend und lasse es. Schon alleine, damit uns nicht jeder dabei beobachten kann, da wir uns ja noch auf der Intensivstation befinden und alles überwacht wird.

Keine Chance, hier lange Privatsphäre zu wahren. Vor allem, da neben Valentin ein Patient liegt, der es sicher nicht mehr lange macht. Okay, die Wortwahl ist vielleicht nicht die netteste, aber anders kann ich es wirklich nicht sagen.

Es ist ein Opa, der nach einer Herzoperation ins Koma gefallen ist und dem es seit dem von Tag zu Tag schlechter geht.

Es besucht ihn nur seine Frau. Wenn sie nicht hier ist, rede ich ab und an mit ihm. Er tut mir Leid. Genau wie sie, die sie allein sein wird, wenn er stirbt.

Ich seufze und blicke Valentin an.

Sanft drücke ich seine Hand und kann nicht umhin zu denken, dass mir unter noch schlimmeren Umständen das Gleiche Schicksal bevorgestanden hätte.

Ich muss hart Schlucken, um den Kloß zum Verschwinden zu bringen, der sich bei dem Gedanken in meinem Hals bildet.

Sanft hebe ich Valentins Hand an – die, an der keine Schläuche befestigt sind, übrigens – und küsse seinen Handrücken.

Eine ganze Zeit lasse ich seine Hand noch an meinen Lippen und starre ihn an. Dabei kommt mir der unsinnige Gedanke, dass er sicher die Krise kriegen würde, würde er sich in so einem abgefrackten – so würde er sich ausdrücken – Zustand sehen können.

Kein Make-up, ein Haaransatz und ein hässlicher Krankenhauskittel. Wo mir die Frage aufkommt, was mit seinen Klamotten geschehen ist.

„Haben deine Eltern die Sachen mitgenommen?“, murmle ich gegen sein Hand und blicke mich kurz fragend im Zimmer um.

Ein glücklicher Zufall lässt in dem Moment eine Schwester nach dem Opa neben uns sehen und ich frage sie. Ein noch glücklicherer Zufall hat dafür gesorgt, dass sie mir die Klamotten in einem Beutel in die Hand drückt. Gott sei Dank haben Valentins Eltern die Sachen nicht mitgenommen, sonst lägen die schon auf der Altkleidersammlung – er würde so ausrasten…

Ich löse mich schweren Herzens von Valentins Hand und durchforste den Beutel kurz. Aber ich will es jetzt nicht rausholen – da könnten ja Bakterien dran sein, die dann herumschwirren oder so… -, also kann ich nicht wirklich was erkennen.

Ich werde es zu Hause genauer unter die Lupe nehmen und dann in Jonas Waschmaschine hauen.

Irgendwann holt mich die Müdigkeit ein. Also verabschiede ich mich von Valentin, in dem ich ihm einen Kuss auf die Wange hauche und verlasse dann die Station.

Ich nehme den Bus nach Hause, was eigentlich ziemlich blöd ist. Da dieser überall anhält, dauert die Fahrt zu Jonas Viertel ewig.

Wenigstens ist die Haltestelle nahe seiner Wohnung, also habe ich es dann nicht mehr so weit zu laufen.

Fast verpasse ich besagte Haltestelle aber, da ich eindöse.

Diese Nachtschichten im Krankenhaus zerren ziemlich an meinem Schlaf-Wach-Rhythmus, aber sie sind nötig. Denn Valentins Eltern halten sich den ganzen Tag bei ihm auf, so dass ich keine Chance habe, am Tag zu ihm zu kommen.

Ich verziehe mein Gesicht zu einer bitteren Grimasse. Sicher sind sie besorgt um ihn – das will ich gar nicht abstreiten -, aber ich bin mir ebenso sicher, dass sie kein gutes Wort für ihn übrig haben, wenn er erstmal erwacht.

Wenn er erwacht…

Nein, so etwas sollte ich gar nicht denken. Es ist nur ein künstliches Koma. Zwar erwachen auch daraus einige Patienten nicht, aber das ist die Ausnahme. Valentin wacht auf! Er muss einfach!
 

„Joshi,“ begrüßt mich Jona, als ich mit seinem Ersatzschlüssel die Wohnung aufschließe. Ich runzle die Stirn und blicke auf meine Armbanduhr. Es ist sieben Uhr morgens. Heilige Scheiße… war ich so lange bei Valentin?

„Warum bist du wach?“, frage ich Jona dennoch, weil auch sieben Uhr morgens ziemlich früh ist.

„Training,“ zuckt er mit den Achseln und ich nicke. Ich vergesse immer wieder, dass er seinem normalen Alltag nachgeht, während ich meine Pflichten komplett ignoriere.

Im Gegensatz zu Benni, dessen Koffer gepackt im Flur steht. Er reist heute ab. Er meint, er hätte schon zu viel verpasst und müsse endlich zurück an die Universität.

Das blöde ist, dass ich das auch müsste. Aber ich bringe es nicht über mich, zurück nach Köln zu fahren, so lange Valentin hier liegt.

Mir egal, ob ich alles verpasse. Mir sogar egal, ob ich das Semester wiederholen muss – ich glaube, es wäre mir sogar egal, würde ich von der Uni fliegen!

Hauptsache, ich bin bei Valentin, Hauptsache, ihm geht es bald wieder gut.

Jona überlässt mir großartig sein Bett, ehe er zum Training geht. Also habe ich nichts mehr weiter zu tun, als mich von ihm und vor allem von Benni zu verabschieden, ehe ich in das große Bett falle und müde die Augen schließen kann.
 

Ich wache auf, als mich helle Sonnenstrahlen an der Nase kitzeln, um es mal poetisch zu sagen. In Wahrheit blendet die Sonne mir so penetrant ins Gesicht, dass an Schlaf einfach nicht mehr zu denken ist. Ich öffne die Augen und stelle mürrisch fast, dass ich gerade mal sechs Stunden geschlafen habe.

Nicht gerade wenig, aber sicher nicht genug.

Am liebsten würde ich sofort wieder ins Krankenhaus gehen, aber das ist jetzt noch nicht möglich. Ich würde nur wieder auf diese Irren stoßen, die mich als Abschaum bezeichnen und mir sagen, dass ich ihren Sohn nicht zu nahe kommen soll.

Also kann ich es auch gemütlich angehen lassen, trete deshalb in die Küche und schenke mir einen Kaffee ein. Der ist noch von Jona und da dieser schon stundenlang weg ist, hat der Kaffee auch die Temperatur, die man da erwarten kann – gar keine. Zumindest keine angenehme. Er ist kalt und schmeckt eklig.

Ich trinke ihn dennoch in großen Zügen, um wach zu werden, aber so wirklich helfen tut er nicht.

Ein wenig ein schlechtes Gewissen habe ich ja doch. Die Uni ruft förmlich nach mir und ich tue so, als wäre ich taub.

Natürlich bin ich nicht ganz unvorbereitet. Tobias war so lieb, einem seiner Kumpels – der so ziemlich die gleichen Kurse hat, wie ich – zu sagen, dass er für mich mitschreiben soll. Ich darf mir dann also die Notizen von ihm holen und werde dann den ein oder anderen Tag damit beschäftigt sein, mir die neuen Infos alle einzuprägen.

Aber ich bin dankbar, dass Tobias das organisiert hat. Ich hätte so spontan niemanden gewusst, den ich hätte fragen können. Den einzigen, den ich gefragt hätte, wäre Tobias gewesen, aber das hätte mir jetzt, da er noch in Dallas ist, nicht wirklich was gebracht.

Ich ziehe eine Schnute, während ich auf den kläglichen Rest Kaffee in meiner Tasse starre.

Irgendwann kommt Jona zurück, während ich noch immer auf dem Küchenstuhl sitze und den Kaffeeklecks bewundere.

„Bist du gerade erst aufgestanden?“, fragt er mich und ich blicke auf die Uhr. „Vor zwei Stunden,“ erwidere ich dann und er zieht die Brauen hoch, sagt aber nichts.

Ich sehe ihm zu, wie er zwei Pizzas in den Ofen schiebt. Danach dreht er sich zu mir um. „Hör mal… Ihm geht’s bald wieder besser. Du solltest dich nicht so hängen lassen.“

Tue ich das? Mich hängen lassen? Zugegeben, jegliche Motivation, jeglicher Ansporn, ist von mir gewichen.

Ich könnte tatsächlich bis sechs Uhr hier sitzen, ehe ich mich auf den Weg ins Krankenhaus mache.

Aber ist das nicht normal? Das man so drauf ist, wenn der Freund im Koma liegt?

„Schon klar,“ brummle ich also nur verschlafen vor mich hin und Jona seufzte.

„Was ist los?“

Ich sehe ihn nun direkt an und runzle die Stirn. Was soll los sein, außer den Tatsachen, die offensichtlich sind.

Aufgrund meines fragenden Blickes seufzt er erneut.

„Josh… warum lässt du dich so hängen?,“ setzt er nach.

Ich zucke mit den Schultern.

„Er wurde angefahren… Reicht das nicht?“

Jona sieht mich lange prüfend an, dann nickt er. „Doch… Aber ihm geht es doch schon besser.“

Es herrscht eine Weile schweigen und ich vertiefe mich in die Gedanken an den Unfall.

Aber wenn Jona schon in Gesprächslaune ist, will ich mal nicht so sein.

„Wieso musste das alles passieren? Wieso bin ich nicht einfach hier geblieben? Dann hätte ich mit auf das Konzert gehen können. Dann hätte ich ihn vielleicht halten können… aber ich… ich musste gehen, wo er mich doch gebraucht hätte.“

Ich fummle am Henkel der Tasche herum und Jona zieht scharf die Luft ein.

„Was spinnst du dir da zusammen?“

Ich zucke mit den Schultern.

„Wäre ich hier geblieben…“

„…wäre es auch nicht anders gekommen,“ beendet Jona meinen Satz, aber das stimmt nicht.

„Vielleicht hätten wir Händchen gehalten oder so… Dann hätte ich ihn halten können und…“

„Josh!“ Jona stemmt die Hände in die Hüften.

„Es ist doch nicht deine Schuld.“

Ich weiß es ja auch. Aber dennoch. Wäre ich hier geblieben… ich seufze.

„Lass uns ins Krankenhaus fahren,“ meint Jona. Sicher, um mich auf andere Gedanken zu bringen.
 

Wir kommen viel zu früh an. Valentins Eltern stehen noch im Wartesaal der Intensivstation und diskutieren mit einem Arzt.

Ich schnappe auf, dass es darum geht, Valentin verlegen zu lassen. Nach Bonn. Aber der Arzt rät ab, solange er noch im Koma liegt. Und wenn er erwacht, dann soll er das wohl selbst entscheiden.

Ich schnaube. Das wäre ja noch schöner, verlege man ihn jetzt nach Bonn. Wenn überhaupt sollten sie ihn nach Köln verlegen – da wohnt er schließlich.

Wie gesagt, der Arzt rät ab, und seine Eltern wenden sich nun zum Gehen, als sie mich erkennen. „Sie können noch so hartnäckig sein. Wir werden Sie nicht zu ihm lassen,“ meint seine Mutter zu mir und ich tue so, als würde mich das wahnsinnig aufregen.

Wenn die wüsste, wie sinnlos ihr Gelaber ist und das ich Valentin täglich sehen kann…

Na ja…

Sie gehen und die Schwester bittet mich, in einer Stunde zu kommen, damit Valentin wenigstens etwas Ruhe findet.

Also gehen Jona und ich in die Cafeteria und trinken unseren nächsten Kaffee.

Ich empöre mich noch ein wenig über die wahnwitzige Idee, Valentin zu verlegen, obwohl das Thema ja schon längst wieder vom Tisch ist.

Gleichzeitig fühle ich eine innere Ohnmacht in mir ansteigen. Seien wir ehrlich. Seine Eltern könnten jederzeit durchsetzten, ihn nach Bonn verlegen zu lassen. Ich könnte nichts tun. Und wäre die Schwester nicht so nett – ich hätte keine Chance darauf, Valentin zu sehen.

Das alles stimmt mich traurig und ich kann nur hoffen, dass er bald aufgeweckt wird, damit das Theater ein Ende hat.

Müde – nicht, weil ich nicht genug geschlafen hätte, sondern weil mich alles so aufregt - lasse ich meinen Kopf auf meine, auf dem Tisch verschränkten, Arme fallen und schließe die Augen.

„Ich habe keinerlei Rechte, Jona,“ meine ich irgendwann und es dauert einige Zeit, ehe er antwortet.

„Ja… ich weiß.“

Ich hebe den Kopf und er meint: „Ich bin froh, dass Bennis Eltern mich mögen und meine ihn. Wäre uns das passiert – wir hätten es viel leichter, als ihr.“

„Wäre einer von uns ein Mädchen… es wäre es sicher leichter…“

Aber ich will kein Mädchen. Ich will Valentin, so wie er ist.

Und ihm geht es mit mir doch genauso. Warum akzeptieren das seine Eltern nicht.

„Josh… Ihr solltet euch mal überlegen, was genau ihr tun könnt, damit ihr vielleicht doch… ein Recht habt…. Also…“

ich höre mir Jonas Gestammel einige Zeit an, ehe ich die Brauen hochziehe und ihn fragend anblicke.

„Was meinst du?“, will ich wissen und er macht eine umschweifende Handbewegung.

Plötzlich wird mir klar, von was er spricht und ich werde rot: „Bist du verrückt. Wir können uns doch nicht verloben oder so…“

„Warum denn nicht?“

Ich sehe ihn entgeistert an. „Wir kennen uns noch gar nicht so lange und… Wie kitschig wäre das denn bitte?“

Nun muss er lachen. „Man Josh. Valentin steht auf Kitsch.“

Ich muss grinsen. Ja. Das tut er allerdings.

„Trotzdem… so lange sind wir ja auch noch nicht zusammen und… wir haben nicht mal die Uni beendet und…“

Jona zuckt mit den Schultern. „War nur ein Vorschlag. Dann solltet ihr aber wenigstens seine Eltern auf eure Seite holen. Und deine Eltern vielleicht auch.“

Ich sehe ihn an. Mir ist noch gar nicht in den Sinn gekommen, dass meine Eltern sich ähnlich verhalten können – weil sie das auch nicht tun würden. Meine Mutter liebt Valentin abgöttisch.

Und mein Dad vertritt vielleicht eine ähnliche Meinung wie Valentins Eltern, würde sich uns aber nie in den Weg stellen.

Es geht also nur um seine Eltern und gegen die setzte ich mich schon irgendwie zu Wehr… denke ich…

„Die Stunde ist um. Lass uns gehen.“

Ich nicke und stehe auf, folge Jona nach oben. Es ist lieb, dass er mich immer begleitet, obwohl sie ihn nicht zu Valentin lassen.

Meistens geht er aber, ehe ich zurückkomme. Aber wenigstens leistet er mir Gesellschaft, bis ich die Station betreten darf.
 

Als ich heute in das Abteil komme, in dem Valentin liegt, fällt mir als erstes das leere Bett neben ihm auf und ich muss hart schlucken.

Fast entweicht mir ein Keuchen, aber stattdessen merke ich nur, wie meine Augen feucht werden.

Ich wende hastig den Blick ab, obwohl Valentins kläglicher Anblick jetzt nicht unbedingt aufheiternd wirkt.

„Hey, Marzipanschnütchen,“ begrüße ich ihn leise und meine Stimme klingt seltsam belegt. Dass mir der Tod des Opas so nahe gehen würde, hätte ich nie gedacht.

Sanft streiche ich über Valentins Wange und danke Gott dafür, dass er ihn beschützt hat. Keine Ahnung, ob es Gott wirklich gibt. Ich war nie wirklich Anhänger einer Religion. Aber vielleicht gibt es ja doch jemanden, der Valentin eine zweite Chance geben wollte.

Ich kann gar nicht sagen, wie glücklich ich darüber bin. Vor allem jetzt, wo der Tod so greifbar in unsere Nähe gerückt ist.

Ich blicke noch einmal auf das leere Bett neben uns und erschaudere.

Hastig wende ich den Blick ab, richte ihn wieder auf Valentin und lächle traurig.

„Du wirst bald wieder gesund… Und dann… dann machen wir deine Eltern fertig, ja? So richtig. Und dann suchen wir eine Lösung, damit dieses Problem kein zweites Mal geschehen kann.“

Gibt es nicht so etwas in der Art? Eine Patientenverfügung oder etwas Ähnliches. Damit ich das Recht habe, ihn zu sehen, egal, was seine Eltern sagen.

„Wenn nicht, dann heiraten wir doch. Als dein Lebenspartner werde ich schon zu dir dürfen, nicht? Und hey… dann kriegst du auch einen ganz kitschigen Antrag. Von mir aus sogar mit Kerzen und Rosen und ekliger Schmalzmusik – oder willst du lieber My chemical romance?“

Ich sinniere darüber nach, ob wir dann mit ‚My chemical Romance’ Shirts vor dem Standesbeamten stehen müssten, damit Valentin glücklich ist.

Gott… für ihn würde ich sogar eines von diesem furchtbaren Andy Sixx tragen.

Ich schmunzle. „Ich glaube, wir lassen das doch lieber… Aber wir schauen, dass wir es irgendwie hinbekommen, ja?“

Notfalls bringe ich seine Eltern eben um. Auch damit hätte ich nicht wirklich ein Problem.

Im Gegenteil…

„Siehst du… jetzt habe ich schon Mordgedanken… dabei sollte ich momentan nur an dich denken und daran, dass du bald wieder gesund wirst. Aber das tue ich ja auch.“

Ich komme mir ziemlich blöd vor, wie ich da mit ihm rede und so dumme Sachen sage. Wenn er auch nur annähernd etwas davon mitbekommt, kann ich ihm nie wieder unter die Augen treten. Das wäre ja total peinlich.

Ich wechsle lieber das Thema:

„Weißt du, dass Tobias es organisiert hat, dass ich die Aufzeichnungen von der Uni bekomme… ich werde ziemlich büffeln müssen, um das alles aufzuholen, aber dir wird es ähnlich gehen“

Es war sehr leicht, jemanden zu finden, der für Valentin mitschreibt. All seine Bandmitglieder wären bereit gewesen.

Jetzt macht es Sebastian, der die gleichen Kurse hat.

Aber sicher bekommt Valentin eine Sonderbehandlung. Immerhin war er ja krank – wohingegen ich unentschuldigt fehle und hoffentlich nicht so viele Lesungen verpasse, dass ich nicht mal an der Prüfung teilnehmen darf…

Wobei… ich habe mir ja auch ein ärztliches Attest schreiben lassen – auch wenn ich dafür sehr lange diskutieren musste, ehe ich eines bekam – mir hat ja nie was gefehlt.

Ich bin also zumindest einige Tag entschuldigt. Schon mal etwas.
 

Drei Tage später erzählt mir die Schwester, man wolle Valentin heute aufwecken.

Es ist, als hätte man mit diesem Satz einen Schalter in mir umgelegt. Von jetzt auf nachher werde ich total hibbelig und möchte nur noch zu ihm und zusehen, wie er aufwacht.

Aber genau dieser Wunsch wird niemals in Erfüllung gehen. Denn seine Eltern beanspruchen dieses Recht für sich und für mich hießt es wieder einmal: Draußen bleiben!

Aber nur, weil ich nicht auf Station darf, heißt das ja nicht, dass ich mich nicht im Krankenhaus aufhalte.

Nervös laufe ich in der Lobby auf und ab – einen Kaffee in der Hand – während Jona auf einer der Bänke dort sitzt und mich beobachtet.

„Josh, setz dich doch mal… davon wird es auch nicht besser.“

Aber ich kann mich nicht setzten. Ich bin zu aufgewühlt, um ruhig halten zu können. Die Ärzte meinten, es könnte eine ganze Weile dauern, ehe er aufwacht.

Und da ich nicht mal weiß, wann genau man die nötigen Schritte – welche man auch immer dafür ausführen muss – eingeleitet hat, kann ich gar nicht abschätzen, wie lang es dauert.

Was mich noch nervöser macht.

Was, wenn er gar nicht mehr aufwacht? Was, wenn etwas schief geht? Oder wenn bleibende Schäden zurückgeblieben sind, von denen wir noch gar nichts ahnen? Vielleicht eine Amnesie? Hoffentlich erinnert er sich noch an mich, sonst… oh Gott… ich glaube, ich würde sterben, wenn er nicht mehr wüsste, wer ich bin.

Ich sehe angsterfüllt zu Jona und dieser seufzt und steht auf, kommt auf mich zu.

„Josh…“ Er sagt nichts mehr weiter, nimmt mich nur in den Arm.

Ich möchte am liebsten Heulen.

Diese Ungewissheit, die da Besitzt von mir ergreift, ist fast so schlimm wie die, die mich während meiner Rückreise ergriffen hatte.

Aber sie haben mir ja alle versichert, dass alles so weit in Ordnung ist.

Sicher geht alles gut und er wacht auf und kennt mich und… keine Ahnung, was ich mir erhoffe.

Ich glaube, ich würde schon vor Freude heulen, wenn er nur meinen Namen sagen würde.

Das wäre sicher schon mehr, als ich ertragen könnte.

Und dennoch… so sehr ich mir diese glücklichen Momente auch ausmale, die Angst bleibt.

„Was, wenn er nicht aufwacht?“

Ich sehe Jona fragend an und er schüttelt den Kopf: „So was darfst du nicht mal denken. Er wird aufwachen!“

Ja… er wird aufwachen…

Weil ich nicht überzeugt aussehe, versucht Jona, mich zum lachen zu bringen, und fügt hinzu: „Ey, er wacht auf, ja? Er hat kein Autogramm von Andy bekommen… So was läppisches, wie ein Koma… kann ihn nicht davon abhalten, es sich nicht noch zu holen.“

Zum Ende des Satzes hin wird er leiser und letztlich drückt er sich an mich und ich spüre, wie mein T-Shirt nass wird.

Unbeholfen fahre ich Jona über das Haar und werde mir klar, wie unfair es war, ihn so voll zu jammern, wo Valentin doch sein bester Freund ist.

Er musste immer stark für mich sein, obwohl er selbst sicher genug Ängste und Sorgen um Valentin hatte…

„Er wacht auf,“ bin ich es nun, der jemanden aufheitert und Jona nickt und weint und lacht leise – alles gleichzeitig.

Irgendwann beruhigt er sich wieder – zum Glück, ehe er mich noch ‚ansteckt’. Wo ich mich doch gerade gefangen habe.

Gerade rechtzeitig, denn wenig später kommen Valentins Eltern in die Lobby.

Ich sehe sie fragend an, obwohl ich nicht glaube, dass sie mir etwas verraten werden. Ich rechne eigentlich damit, dass sie einfach an uns vorbei laufen und uns unseren Schicksal überlassen.

Zu meiner großen Überraschung kommen sie direkt auf mich zu und ich kann mich nicht davon abhalten, ein banges „Und?“ über die Lippen zu pressen.

„Er will Sie sehen,“ schnaubt Valentins Mutter.

„War nicht von abzuhalten,“ fügt sein Vater kurz angebunden hinzu.

Dann lassen sie uns stehen und ich glaube, meine Beine knicken ein, vor Erleichterung.

Ich strahle Jona und er drängt mich, endlich hochzugehen. Das lasse ich mir natürlich nicht zweimal sagen und ich fliege fast zur Intensivstation, so wahnsinnig toll fühle ich mich gerade.

Wenig später stehe ich vor der Türe und die nette Schwester, die mich am ersten Tag zu ihm gelassen hat, ist es, die mich nun hineinlässt.

Sie lächelt ganz glücklich – ich glaube, unser Fall trifft sie auf einer ganz anderen, viel persönlicheren Ebene, als all die anderen Fälle hier im Krankenhaus.

Kurz vor meinem Ziel bleibe ich unschlüssig stehen. Ich weiß gar nicht, was ich jetzt zu ihm sagen, wie mich verhalten soll…

„Das wird schon,“ meint die Schwerster, als könnte sie meine Gedanken lesen und ich nehme mir zum ersten Mal Zeit, den Namen auf ihrem Schildchen zu lesen. Daniela.

Ich lächle Daniela also dankbar und entschlossen an und dann überwinde ich die letzen Meter und trete hinter den Vorhang, der die einzelnen Abteile voneinander trennt.

Von Schläuchen und Schmetterlingsinvasionen

Ich habe wackelige Knie, als ich zu Valentin trete und ihn anblicke. Erst denke ich, er schläft, aber dann öffnet er langsam die Augen und blickt mich an. Dieser Blick aus seinen schönen braunen Augen lässt mich bereits erschaudern und ich glaube, noch nie etwas Schöneres gesehen zu haben, wie Valentin, der jetzt lächelt.

„Josh,“ meint er leise und seine Stimme klingt noch ein wenig rau und kratzig. „Valentin,“ lächle ich und lasse mich neben ihn auf das Bett sinken. Sanft greife ich nach seiner Hand.

„Ich habe mir solche Sorgen gemacht,“ bricht es aus mir heraus und plötzlich habe ich das dringende Bedürfnis, los zu heulen. Einfach, weil ich so glücklich bin. Ich drücke seine Hand fester und er erwidert den Druck leicht.

„Tut mir Leid,“ murmelt er daraufhin und ich schüttle den Kopf. „Das muss es doch nicht.“

Er lächelt wieder schwach und ich kann nicht länger an mich halten und beuge mich über ihn. Zu sehr sehne ich mich nach seinen Lippen, dass ich noch länger still halten könnte. Also hauche ich ihm hauchzart einen Kuss auf diese und spüre ihn sanft erwidern.

Ich löse mich von ihm, bleibe aber über ihn gebeugt. All das ist so herrlich, dass ich es kaum beschreiben kann.

„Tut mir Leid, dass meine Eltern dich nicht zu mir gelassen haben,“ murmelt er und ich schüttle den Kopf.

„Schon okay… Sie sind… Sie… dafür kannst du ja auch nichts.“

Er versucht sich an einem schiefen Grinsen und hebt seinen Arm, um ihn in meinen Nacken zu legen.

Ich komme der Aufforderung gerne nach und küsse ihn erneut.

„Wie bist du dann zu mir gekommen?“, fragt er dann unvermittelt und ich sehe ihn überrascht an.

„Du weißt, dass ich hier war?“

„Ich hab es gespürt… irgendwie.“

„Eine Schwester hat mich rein gelassen,“ kläre ich ihn auf. „Aber sag es keinem,“ zwinkere ich ihm dann zu und kann nicht umhin, ihn nicht noch ein weiteres Mal zu küssen. Am liebsten würde ich mich auf ihn stürzen und abknutschen, bis man mich wegzieht.

Aber das tue ich natürlich nicht.

„Wann musst du zurück?“

Ich sehe ihn fragend an, ehe ich verstehe, was er will.

„Gar nicht. Ich hab das Auslandssemester abgebrochen. Ich mach es hier zu Ende.“

Erstaunt sieht er mich an. „Sicher?“

Ich nicke und hebe seine Hand an, küsse seine Fingerspitzen. „Ich will nie wieder von dir getrennt sein,“ nuschle ich gegen diese.

Daraufhin lächelt er wieder und ich lasse seine Hand los, um mich neben seinem Kopf abstützen zu können, um ihn noch einmal einen zärtlichen Kuss auf die Lippen hauchen zu können.

Ich spüre, wie er einen ganz leichten Druck auf meinen Nacken ausübt und komme der Aufforderung nach, den Kuss auch ein wenig auszudehnen.

Erst, als sich hinter uns jemand laut räuspert, lösen wir uns schweren Herzens voneinander.

„Ich störe nur ungern, aber Sie brauchen Schlaf.“

Ich blicke – wie hieß sie gleich wieder? Daniela? – Daniela an und nicke dann. Einen letzten Kuss bekommt Valentin noch von mir, dann löse ich mich.

„Schlaf gut,“ flüstere ich ihm entgegen und mache mich dann langsam auf den Weg.

„Morgen könnt ihr euch ja wieder sehen,“ lächelt Daniela und ich nicke. Ja. Morgen und immer. Und keiner kann sich uns mehr in den Weg stellen.
 

In der Lobby wartet noch immer Jona auf mich. Fragend sieht er mich an und ich lächle.

„Ihm geht es… gut.“ Okay. Eigentlich ist gut nicht das richtige Wort, um seinen Zustand zu beschreiben. Aber ich denke mal, Jona weiß schon, was ich sagen will. Was soll ich auch sonst sagen? ‚Den Umständen entsprechend’… das klingt irgendwie schlimmer, als es sollte.

„Ich konnte nicht lange bleiben, er soll viel schlafen,“ füge ich noch hinzu, weil von meinem Gegenüber keine Reaktion kommt. Erst jetzt nickt er und seufzt erleichtert.

Ich denke, dass Jona morgen unbedingt zu Valentin sollte. Ich glaube, das wird ihm sehr gut tun und Valentin wird sich sicher auch freuen.

Jetzt aber machen wir uns erst einmal auf den Weg nach Hause, wo Jona sofort Benni anruft, um ihm die guten Neuigkeiten mitzuteilen.

Ich bin ähnlich beschäftigt, ich muss nämlich meine Mutter anrufen.

Natürlich habe ich sie auf den Laufenden gehalten. Jetzt wird sie sicher erleichtert sein, zu hören, dass es ihm wieder besser geht.

Nach unseren Telefonaten, setzten wir uns zusammen auf den Balkon. Über uns funkeln die Sterne und ich blicke eine Weile empor, ehe ich mich Jona zuwende.

„Könntest du dir ein Leben ohne Benni vorstellen?“, frage ich und er schüttelt bestimmt den Kopf, sieht mich dann lange an.

„Weißt du… ich fand ihn vom ersten Tag an toll,“ erzählt er mir dann, „Aber ich dachte natürlich, er wäre mit Amelie glücklich. Und dann fand ich ihn auch ziemlich unsympathisch und penetrant, als er mir den Posten im Team aufschwärzen wollte.“

Ich muss lachen. Es war so ein Drama gewesen, Jona ins Team zu bekommen. Er hat sich ziemlich quer gestellt.

„Aber dann war er sehr nett und hat mir beigestanden und das fand ich halt wahnsinnig toll…“ Und schon gerät der gute Jona ins schwärmen.

„Ich wollte mich anstrengen, um ihm zu beweisen, dass ich es wert bin. Und natürlich auch, um Mike eins reinzuwürgen.“

Mike… er hat Jona das Leben ganz schön schwer gemacht – eigentlich uns allen.

„Letztlich habe ich gemerkt, dass da was zwischen uns ist und dann irgendwann… hat er mich geküsst. Und obwohl Benni ja zu dem Zeitpunkt noch alles nicht wahrhaben wollte, habe ich schon an ein Happy End geglaubt. Komisch, oder?“

Ich grinse. „Gar nicht.“

„Also hast du dich schon in ihn verliebt, als ihr euch das erste Mal getroffen habt?“, hake ich dann nach und er zuckt mit den Schultern.

„Ich weiß nicht… Verliebt nicht, aber… so was in der Art. So richtig gefunkt hat es glaube ich, als er sich so lieb um mich gekümmert hat, als ich verletzt war.“

Er grinst dümmlich vor sich hin und ich kann nicht anders, als ebenfalls zu grinsen. „Ihr seit süß.“

Er streckt mir die Zunge raus. „Und wenigstens wussten wir, was Sache ist… im Gegensatz zu dir.“

Jetzt hält er mir das wieder vor.

Als könnte ich ahnen, dass ich plötzlich Gefühle für einen Jungen entwickelt haben könnte.

„Wenn du jetzt zurück denkst, Josh… wann glaubst du, hast du dich in ihn verliebt?“

Daraufhin muss ich wirklich nachdenken. Dass ich verliebt bin, habe ich erst nach unseren Semesterferien gemerkt, aber da stand ich ja schon auf ihn.

Eigentlich fand ich Valentin schon immer toll.

„Am ersten Tag dachte ich, er ist verrückt. Er hat die Gepäckträger angefaucht und so. Dann am nächsten Tag, hat er seine Einkäufe im Flur verstreut… das fand ich süß. Wir sind ins Gespräch gekommen und ich fand seine Zukunftspläne toll und imponierend.

Und dann… weiß nicht… war es plötzlich so, dass ich ihm gefallen wollte. Ich wollte ihm wohl einfach auch imponieren.

Und dann kam das erste Spiel. Er hat mir die Daumen gedrückt und ich fand es toll, dass er hier war, um mich zu unterstützen… Er hatte zwar keine Ahnung, aber wie er mitgefiebert hat…“

Ich grinse. „Irgendwie… weiß nicht… fand ich ihn einfach wahnsinnig süß und habe gehofft, ihm ginge es mit mir vielleicht ähnlich.“

„Und nach und nach… wurden die Gefühle stärker und letztlich…“

„Und letztlich hat sich alles in mir danach gesehnt, ihn bei mir zu haben, ihn zu berühren, ihn…“ Ich breche ab, aber Jona weiß sicher, was ich meine.

Tatsächlich lacht er. „Ach Josh… du bist süß.“
 

Sie verlegen Valentin auf die normale Station. Was mich ziemlich freut. So was ist doch immer ein gutes Zeichen. Jedenfalls kann ich erst zu ihm, als sein kleiner Umzug von statten gegangen ist.

„Hallo,“ grinse ich ihn an und küsse ihn sanft.

„Hey,“ meint er noch ein wenig matt, aber doch schon fitter, als gestern.

„Alles klar?“

Er rümpft die Nase. „Überhaupt nicht. Ich darf nicht aufstehen. Und dann wollten die mir echt so einen Schlauch da…. Du weißt schon…“

Er macht eine komische Handbewegung, mit der ich eigentlich nichts anzufangen weiß, ehe er weiter wettert: „Also hab ich mich geweigert und jetzt…“, er sieht mich empört an, „darf ich in so eine komische Flasche pinkeln.“

Ich starre ihn einige Sekunden an, dann kann ich nicht anders, als laut loszulachen.

„Josh!“, quengelt er und ich schüttle den Kopf und versuche, einige Worte zu finden.

„Schatz… wenn das deine einzigen Probleme sind, dann werden sie dich morgen sicher entlassen.“

Er bläst die Backen auf und ich pieke dagegen und küsse ihn dann.

„Also… Abgesehen von dieser furchtbaren Sache mit der Flasche… alles klar?“

„Ich hab Schmerzen…“

Ich streiche ihm durchs Haar. „Kriegst du keine Medikamente?“

Er zuckt angestrengt mit den Schultern. „Doch… aber trotzdem. Vorhin war auch so eine Tante da, die mir gezeigt hat, wie ich Atmen soll, damit es nicht so weh tut…“ er verzieht den Mund. „Aber dann musste ich mich aufregen, weil die Tussi mit diesem Schlauch kam und dann… hatte ich Kopfschmerzen. Und die gehen auch vom Atmen nicht weg.“

Ich muss grinsen und finde ihn wahnsinnig süß. Sanft hauche ich ihm einen Kuss gegen seine Stirn und lächle: „Deswegen haben sie gesagt, du sollst dich nicht aufregen.“

„Aber der Schlauch…“

Ich lege ihn meinen Zeigefinger auf die Lippen und er verstummt. „Der ist ja jetzt ganz weit weg, okay?“

Das Ding muss ihn ja richtig traumatisiert haben. Hoffentlich bleibt die Schwester ihm mit dem Killerschlauch weit weg.

Ich küsse ihn und sehe mich dann um. Noch ist das Bett neben ihm leer, aber ich glaube nicht, dass es lange so bleibt.

„Soll ich Jona sagen, dass er dir Klamotten mitbringt, wenn er nach dem Training vorbeikommt?“, frage ich und er nickt.

„Gut. Dann sag ich ihm das nachher noch.“

Ich lächle und helfe ihm dann, sich ein wenig aufzusetzen. Dennoch verzieht er das Gesicht.

„Verstehst du jetzt, warum du dich nicht bewegen sollst?“, frage ich und er sieht mich vorwurfsvoll an.

„Fang du nicht auch noch an.“

Ich lächle und schüttle den Kopf. „Ich mache mir nur Sorgen,“ kläre ich ihn auf und streiche über seine Wange.

„Josh?“, meint Valentin irgendwann und sieht aus, als wenn ihn wirklich etwas beschäftigt. Ich sehe ihn erwartungsvoll an.

„Was ist mit der Uni? Musst du nicht zurück und…“

Ich schüttle den Kopf und erkläre ihm, wie ich bisher verfahren bin. „Es wird anstrengend, aber ich hoffe, ich schaffe es.“

Er verzieht den Mund. „Ich will nicht, dass du wegen mir das Semester wiederholen musst!“

Ich beginne, wieder über seine Wange zu streichen und blicke ihm in die hübschen Augen. „Aber daran bist du nicht Schuld. Ich werde es schon hinkriegen. Und wenn nicht, dann bin ich alleine Schuld, ja?“

Er sieht nicht überzeugt aus.

„Valentin… du bist so viel wichtiger, als dieses scheiß Studium, okay?“

Er lächelt schwach.

„Schlaf jetzt ein bisschen. Ich rufe derweil Jona an, ja?“

Er nickt und ich küsse ihn noch mal, ehe ich das Krankenzimmer verlasse. Dann sage ich Jona erst mal, dass er ein bisschen was von Valentins Kram mitbringen soll.
 

Am Nachmittag esse ich was in der Cafeteria, während Jona bei Valentin ist. Ich war zwar nicht live dabei, aber ich glaube, Valentin wird sich wahnsinnig gefreut haben, den hässlichen Krankenhauskittel gegen ein paar Klamotten tauschen zu können, die ihm mehr zusagen.

Mittlerweile sind wir unter den Schwestern Gesprächsthema Nummer Eins. Keine Ahnung, was die haben, jedenfalls reden sie immer ganz begeistert von ‚dem süßen schwulen Pärchen’. Irgendwie ganz erheiternd, wenn auch ziemlich suspekt.

Aber vielleicht bin ich auch einfach selbst schuld. Ich benehme mich, wie eine Glucke und helfe Valentin wo es geht.

Vielleicht mehr als nötig, aber das ist mir egal. Ich will nicht, dass er Schmerzen hat.

Wenn ich schon nicht da war, um ihn zu beschützen, weil ich wenigstens jetzt alles tun, um ihm zu helfen.

Als ich nach dem Essen wieder aufs Zimmer komme, erlebe ich einen ganz anderen Valentin.

Er hat sich irgendwie umgezogen – sicher mit Jonas Hilfe – und strahlt mich nun förmlich an.

„Da fühlt man sich gleich wohler,“ gibt er mir bekannt und ich lächle und setzte mich neben ihn aufs Bett.

„Jetzt siehst du wieder aus, wie mein kleiner Freak,“ lächle ich und er streckt mir die Zunge raus.

„Der Arzt war vorhin da,“ klärt er mich dann auf, „Wenn alles gut geht, kann ich morgen oder übermorgen aufstehen und ein wenig rumlaufen und so…“

Ich nicke und lächle. Wenn das mal keine guten Neuigkeiten sind…

Kurz darauf verabschiedet sich Jona, ich hingegen bleibe noch bei meinem Freund. Am liebsten würde ich hier übernachten, aber ich fürchte, das würde man mir nicht gestatten.

Aber die Zeit, bis ich gehen muss, nutze ich natürlich aus. Und zwar mit kuscheln. Ich streiche ihm gerade sanft durchs Haar, als plötzlich mein personifizierter Alptraum in Form seiner Eltern hereingeplatzt kommt.

Die habe ich ja ganz vergessen!

„Wir fahren morgen früh zurück nach Bonn,“ klärt Valentins Mutter ihn auf und mustert mich dabei, wie ein ekliges Insekt. Ich ignoriere sie und wickle eine Strähne von ihm auf meinen Finger.

„Okay,“ meint Valentin kurz angebunden und scheint nicht wirklich abgeneigt, sie endlich loszuhaben.

Sein Vater wirft uns einen genervten Blick zu. „Du lässt dich ja eh nicht belehren.“

„Nö,“ stimmt Valentin gut gelaunt zu und gibt mir einen Kuss, was in mir seltsamer Weise die totale Schmetterlingsinvasion auslöst.

Sie verabschieden sich nicht weiter, sondern nicken ihm nur zu und gehen wieder. Ich sehe ihnen nach, während Valentin seufzt.

„Endlich sind sie weg.“

Ich kann nicht glauben, dass es von mir kommt, aber tatsächlich bin ich es, der sagt: „Ihr solltet euch mal hinsetzten und reden.“

Er verzieht das Gesicht. „Ich verzichte.“

Ich zucke mit den Schultern. Wenn er es nicht klären will – ich bezweifle ja eh, dass seine Eltern mit sich reden lassen würden -, werde ich ihn nicht zwingen.

Am liebsten würde ich jetzt noch hier bleiben, aber leider wird es auch für mich Zeit, zu gehen. Also umfasse ich sein Gesicht mit den Händen und küsse ihn sanft.

„Bis morgen,“ flüstere ich gegen seine Lippen und küsse ihn noch mal.

„Bis morgen,“ murmelt er und dann löse ich mich schweren Herzens und mache mich auf zu Jona.
 

Am nächsten Tag darf er tatsächlich das erste Mal aufstehen. Ein Physiotherapeut läuft mit ihm hin und her und er darf auch wieder ins Bad, insofern eine Schwester mit ihm mitläuft.

Nach seiner ersten Tour ins Bad, sitzt er allerdings unglücklich in seinem Bett und ich runzle die Stirn.

„Was ist denn?“, frage ich nach einiger Zeit des Schweigens.

„Ich weiß nicht… vielleicht stört es mich ja, dass du nicht gesagt hast, dass ich einfach dämlich aussehe…“, giftet er zurück und ich ziehe die Brauen hoch.

„Valentin…“

„Ich meins Ernst. Guck mich an!“ Er wedelt mit seinen Händen herum und zählt dann auf: „Mein Nagellack ist abgesplittert. Ich hab kein Make-up hier. Ich hab einen Haaransatz. Ich darf so blöde Stützstrümpfe tragen. Und schau mal, wie blass ich bin.“

Unglücklich sieht er mich an.

„Ich sehe scheiße aus!“, bestimmt er und ich seufze. „Ich finde, du siehst toll aus.“

Bockig verschränkt er die Arme. „Das sagst du nur so.“

Ich schüttle den Kopf. „Nein, ich meins ernst. Du bist wunderschön, Valentin.“

Er wird ein wenig rot, was mich zum Lächeln. „Ich liebe dich,“ hauche ich ihm ins Ohr und er erschaudert.

Sanft beuge ich mich über ihn und küsse ihn. Seine Lippen, seinen Hals.

„Du weißt gar nicht, wie schön du bist.“

„Joshi,“ murmelt er nahe meinem Ohr und ich atme seinen Geruch ein – keine Ahnung, wie er das schafft, aber nach Kaffee riecht er immer noch – und sauge sanft an seinem Hals.

Unter mir bebt sein Körper und ich werde mir bewusst, dass ich halb auf ihm liege und wie verführerisch er sich anfühlt, wie aufreizend er sein Becken gegen meines drückt.

Ich keuche auf und halte in meinem Tun inne.

„Josh?“

„Ich… glaub nicht, dass ich mich noch lange beherrschen kann,“ meine ich und spüre, wie seine Lippen sich einen Weg über meinen Hals bahnen. Sofort bekomme ich Gänsehaut. Plötzlich wird mir bewusst, wie lange ich auf Sex verzichten musste.

Nicht nur jetzt, wo er im Krankenhaus liegt. Ja schon davor, in den USA.

Und oh Gott…. Ich will ihn!

Ich versuche, mich nicht mehr zu bewegen. Aber dafür bewegt sich Valentin. Und ich spüre seine Hände, seine Lippen, seinen Körper…

Viel zu viel. Keuchend atme ich aus und er hält in seinem Tun inne.

„Sorry. Ich wollte nicht, dass du jetzt…,“ murmelt er, bricht dann aber ab. Aber ich weiß schon, was er meint. Er meint meine Latte, die ihm garantiert nicht verborgen blieb. Er hört auf, mich so aufreizend zu berühren, nicht aber, zumindest mit den Fingerspitzen über meinen Rücken zu streichen. Ich sammle mich und richte mich dann ein wenig auf.

Er sieht mich an und ich küsse ihn. Länger, als nötig. Intensiver, als nötig. Sanft schiebe ich meine Zunge zwischen seine Lippen und sorge damit dafür, dass meine Erektion wieder anschwillt. Aber es ist mir egal.

Ich frage mich, wie lange ich mich noch beherrschen kann, ehe ich einfach über ihn herfalle.

Hoffentlich wird er bald entlassen und-

„So… Dann messen wir mal den Blutdruck.“

Ich reiße mich abrupt von Valentin los und blicke die breit grinsende Schwester an, die da vor uns steht.

Mir wird bewusst, dass sie mein kleines Problem sehen wird, sobald ich mich von ihm löse und beiße mir auf die Lippen. Na super.

Weil ich so langsam bin, habe ich nun auch noch ihren Blick auf mir, und mit hochrotem Kopf stehe ich auf.

Sie blickt dezent weg, meint aber dann zu Valentin: „Wollen wir gleich messen oder wollen Sie erst mal wieder runterkommen.“

Er öffnet den Mund, um etwas zu sagen, bekommt aber kein Wort raus. Daraufhin lacht die Schwester und schiebt ihm das Blutdruckmessgerät über den Arm.

„Wenn der Puls zu schnell ist, wissen wir ja, weshalb,“ zwinkert sie uns zu.

Wenig später zeiht sie verrichteter Dinge ab und wir blicken uns an.

„Wir verschieben das lieber auf zu Hause, oder?“, meine ich und er grinst.
 

„Ich will nach Hause,“ murrt er, während er das undefinierbare Essen, dass man ihm vorgesetzt hat, verschlingt.

Ich bin froh, nicht tauschen zu müssen. Es sieht seltsam aus.

„Wenn wir zu Hause sind, dann koch ich dir, was immer du willst,“ beschließe ich und er grinst.

„Mir würde schon eine Pizza reichen. Hauptsache, irgendetwas, was nicht schmeckt, wie das hier.“

Ich grinse. „Dann bestell ich eine Familienpizza – ganz für dich alleine.“

Er lacht.

„Jetzt will ich nu noch mehr nach Hause,“ murmelt er dann. „Pizza… Haare färben… Man…“

Ich grinse. „Du kommst einfach nicht über deinen Ansatz hinweg, oder?“

Ich küsse seinen Haarschopf und mir fällt auf, dass ich bisher keine Ahnung hatte, was Valentin für eine wirkliche Haarfarbe hat. Bisher hat er immer sofort seine Haare neu gefärbt, ehe ich auch nur eine Spur eines Ansatzes erkennen konnte.

Nun erkenne ich zum ersten Mal die hellbraunen Haare.

Sicher würde er damit süß aussehen. Aber er würde wohl auch mit einem Wischmopp auf dem Kopf noch süß aussehen…

Er gähnt und lässt sich nach hinten fallen, mit Essen ist er bereits fertig.

„Darüber werde ich nie hinweg kommen,“ nuschelt er schläfrig.

Ich muss lächeln und streiche durch sein Haar.

Vorsichtig lege ich mich neben ihn, etwas, was ich tue, seit er sich wieder bewegen darf und nicht mehr ganz so schonend liegen muss.

Ich bringe mich in eine bequeme Position, ehe ich Valentin zu mir ziehe, seinen Kopf auf meiner Brust bette.

Er krallt seine Hand in mein Shirt und ich sehe ihm zu, wie er einschläft. Einige Zeit sehe ich ihm zu, wie er gleichmäßig ein und ausatmet, dann zerre ich ihn näher zu mir, ziehe seine Beine über meine und schlinge den Arm um ihn. So verknotet bin ich versucht, einzuschlafen.

Die Betonung liegt aber auf versucht, weil wenig später eine Schwester kommt, um das Geschirr abzuräumen.

Als sie unsere Position bemerkt, lächelt sie.

„Ihr Freund darf morgen nach Hause,“ erklärt sie mir dann und ich horche auf. „Echt?“

Sie nickt und ich beginne, zu strahlen.

Endlich, denke ich und würde ihn am liebsten aufwecken, um ihn die guten Neuigkeiten mitzuteilen, aber dann lasse ich es doch.

Er soll schlafen, damit er morgen fitt ist.

Garnier

Als Valentin wieder erwacht, verkünde ich ihm sogleich die tolle Neuigkeit und er strahlt wie ein Honigkuchenpferdchen.

„Endlich. Viel länger hätte ich es hier nicht mehr ausgehalten,“ stöhnt er auf und ich lächle.

Wenig später kommt auch nochmal ein Arzt zu uns, der ihm strikte Verhaltensregeln auferlegt, sprich: Bettruhe, keine Aufregung und die nächste Zeit keine körperlichen Anstrengungen.

Keine Ahnung, ob Sex da auch mit reinfällt, aber ich traue mich nicht, zu fragen.

Während der Arzt von dannen zieht, puste ich Valentin eine Strähne aus dem Gesicht. Ich werde schon ganz vorsichtig sein. Sex hin oder her… ich möchte natürlich nicht, dass es für ihn zu anstrengend wird. Lieber verzichte ich noch länger darauf.

Auch, wenn es mir sehr schwer fällt…

Ich drücke ihn eng an mich.

„Dann muss ich mal schauen, dass ich ein Auto besorgen kann oder so…“, fällt es mir dann ein, als ich versuche, mich von den Gedanken abzulenken, was ich so gerne alles mit meinem Schatz anstellen würde.

Dieser nickt und ich gerate ins Grübeln. Ich kann ihn schlecht in seinem Zustand mit dem Zug nach Hause fahren lassen. Also muss ein Auto her.

Ich sollte gehen und Jona fragen, ob er eine Mietwagenfirma kennt. Hoffentlich mit Sitz in Köln, wo ich das Auto wieder abgeben kann.

Also verabschiede ich mich von Valentin und mache mich an meine neue Aufgabe.

Gegen Nachmittag finde ich tatsächlich eine Firma, die das hat, was ich suche und ich bekomme ein kleines Auto für relativ wenig Geld.

Ausreichend, um meinen ‚Hasen’ nach Köln zu bringen.

Am Abend rufe ich ihn an und erzähle ihm, dass ich ein Auto gefunden habe. Er nimmt das zwar zur Kenntnis, hat aber wenig Sinn dafür. Stattdessen diktiert er mir, was ich ihm morgen für Klamotten mitbringen soll.

Ich muss lächeln.

Er ist eigentlich schon wieder ganz der alte.
 

Am nächsten Tag sitzt Valentin bereits ungeduldig auf dem Bett, als ich mit seinem ganzen Kram bei ihm aufschlage.

Neben mir steht Jona, der mitgekommen ist, um sich zu verabschieden.

Ohne uns wirklich zu begrüßen, springt Valentin auf und schnappt sich seinen geheiligten Rucksack, in welchem all die Klamotten vergraben sind, die er für seinen – ursprünglich nur drei Tage andauernden Trip – gebraucht hätte.

Ich wechsle einen belustigten Blick mit Jona, während Valentin im Bad verschwindet und sich umzieht.

Die Entlassungspapiere liegen auf seinem Bett und ich werfe einen kurzen Blick darauf, ehe ich sie beiseite schiebe und mich auf dem Bett niederlasse. Jona hockt sich neben mich.

Valentin braucht eine ganze Weile im Bad, ehe er frisch gestriegelt herausgepoltert kommt. Gepoltert, weil er es so eilig hat, hier endlich wegzukommen.

Ich sehe ihn an und muss grinsen.

Jetzt sieht er wieder aus, wie mein Valentin. Schwarz lackierte Fingernägel, schwarz umrandete Augen… Um seinen Ansatz zu verstecken, hat er sich eine schwarze Wollmütze drüber gezogen. Außerdem werde ich das Gefühl nicht los, dass er irgendetwas draufgeschmiert hat, um nicht mehr ganz so blass und fahl zu wirken.

Er grinst mich an. „Können wir?“

Ich lege den Kopf schief: „Bettruhe heißt nicht, dass du jetzt da runter rennst,“ murre ich, weil er mir viel zu agil erscheint, dafür, dass man ihm Ruhe verordnet hat.

„Ich muss aber irgendwie runter kommen, Joshua,“ entgegnet er und ich schiele ihn schief an und werfe dann einen hilfesuchenden Blick auf Jona.

„Ähm…“, macht der aber nur wenig hilfreich, also weiß ich auch nicht weiter. „Wir laufen langsam, okay?“

Valentin verzieht das Gesicht, sagt aber nichts.

Als wir in den Flur treten, kommt eine Schwester auf uns zu und verabschiedet sich.

„Sie hätten auch einen Rollstuhl haben können,“ klärt sie uns dann auf und Valentin faucht: „Es geht schon.“

Ich grinse belustigt.

„Vielleicht ja doch. Du sollst dich schließlich schonen,“ necke ich ihn und er sieht mich bitterböse an. Ich lache amüsiert, dann stütze ich ihn.

Eingestehen wird er es sich nicht, aber die Bettruhe hat Spuren hinterlassen. Obwohl er sich beschwert, wie langsam das Tempo ist, merke ich trotzdem, dass er sich mehr, als im normalen Zustand, an mir abstützt.

Ich bin aber so nett, ihn nicht darauf hinzuweisen. Ein bisschen hänge ich dann doch an unserer Beziehung.

Irgendwann sind wir dann endlich an unserem Auto und Jona nimmt Valentin ganz lange in den Arm, ehe er auch mich kurz verabschiedet.

„Kommt gut nach Hause,“ winkt er uns nach, während wir einsteigen.

Letztlich starte ich den Motor und dann geht es endlich nach Hause.
 

Valentin schläft und ich nutze die Gelegenheit, ihn von der Seite zu mustern. So sehr er sich auch Mühe gegeben hat, sehe ich dennoch die Augenringe und den blassen Teint, wenn ich genau hingucke.

Ich beiße mir auf die Lippen. All das hätte nie passieren dürfen.

Ein wenig runzle ich die Stirn, während ich überlege, was mich an dem Anblick noch so stört.

Erst, als wir von der Autobahn abfahren, merke ich, was es ist. Er hat abgenommen. Seine Hose sitzt zwar noch sehr eng, aber das T-Shirt sieht irgendwie schlabberig an ihm aus.

Und das, wo es sich doch sonst so sündig an ihn geschmiegt hat.

Ich beschließe, ihm wirklich eine Familienpizza zu bestellen, damit er wieder zu seiner alten Form zurückfindet.

Nicht, dass er jetzt nicht mehr attraktiv aussehen würde. Ich mustere ihn noch einmal kurz und muss mir eingestehen, dass ich viel zu lange auf Sex habe verzichten müssen. Am liebsten würde ich jetzt im Auto über ihn herfallen.

Aber ich weiß ja, dass an Sex noch gar nicht zu denken ist.

Super…

Die Sache wird irgendwie schlimmer und schlimmer, statt besser.

„Was guckst du so?“

Ich zucke – zu meiner Schande – zusammen und bemerke erst jetzt, dass Valentin wach ist.

„Ich muss dich einfach anschauen.“

Er grinst. „Aha.“

Dann blickt er aus dem Fenster. „Wir sind ja schon fast da,“ stellt er fest und ich nicke. Sind wir in der Tat. Noch fünf Minuten, dann sind wir endlich beim Wohnheim.

„Du könntest an der Drogerie halten, dann kann ich Farbe kaufen.“

Ich spüre seinen flehenden Blick auf mir und sehe ihn entgeistert an: „Du sollst sofort ins Bett! Du färbst deine Haare erst, wenn du wieder aufstehen darfst.“

„Ich darf aufstehen. Ich soll mich nur schonen.“

„Und solange färbst du deine Haare nicht!“

Er bläst die Backen auf und sucht krampfhaft nach einem Argument, wird aber nicht fündig. Ich kann förmlich sehen, wie sich die Rädchen in seinem Kopf drehen.

Letztlich verschränkt er mürrisch die Arme und spricht kein Wort mehr mit mir.

Ich grinse belustigt, was ihn nur noch mehr ärgert.

„Valentin,“ grinse ich und tue ihm den Gefallen, doch noch einen Abstecher zur Drogerie zu machen.

„Du bleibst sitzen, ich hole die Farbe. Und du verwendest sie erst, wenn du gesund bist.“

Er antwortet nicht, macht aber keine Anstalten, auszusteigen. Also jogge ich zum Eingang und schrubbe dann mürrisch durch die Drogerie. Zwei Minuten Schweigen und er hat mich schon weichgekocht. Was ist eigentlich los mit mir?

Ich bleibe vor dem Regal stehen und starre auf die enorme Auswahl an Färbemitteln. What the fuck!

Ganz ehrlich… woher soll ich wissen, welches jetzt Valentin zusagt. Ich habe nicht damit gerechnet, dass es so viel Auswahl gibt. Seufzend schnappe ich mir eine Packung und starre darauf.

Das einzige, was ich mittlerweile weiß, ist, was der Unterschied zwischen Tönung und richtiger Farbe ist und dass ich nicht mit einer Tönung ankommen sollte, wenn ich überleben will.

Also stelle ich das Teil – das sich als Tönung herausstellt – wieder ins Regal und suche weiter. Letztlich finde ich etwas, was Valentin zusagen könnte und eile zur Kasse.

Da trifft mich der nächste Schlag, als ich den Preis höre. Ich habe irgendwie mit zwei Euro gerechnet, nicht mit fast acht.

Aber hilft ja nichts. Ich zahle und laufe dann wieder zum Auto, wo mich Valentin breit grinsend begrüßt.

„Hast aber lang gebraucht.“

Darauf gehe ich gar nicht erst ein. Mir ist schon klar, dass er das in zwei Minuten geschafft hätte, während ich fast zehn Minuten gebraucht habe. Aber er weiß ja auch genau, was er nehmen muss.

Ich parke aus und dann fahren wir das letzte Stück nach Hause.

Während wir an einer Ampel halten, inspiziert er meinen Einkauf.

„Das ist die falsche, Josh,“ wirft er mir dann an den Kopf und ich kann nicht umhin, scharf die Luft einzuziehen.

„Ich nehme immer die von Garnier und du hast welche von Schwarzkopf gekauft.*“

„Gibt’s da einen Unterschied?“, frage ich und er nickt heftig. „Mit der von Garnier glänzen meine Haare mehr,“ klärt er mich auf und ich schnaube, während er darüber sinniert, dass er dann eine Spülung verwenden muss.

Ich verdrehe die Augen, muss mir aber gleichzeitig das Lachen verkneifen.

Dann kommen wir endlich an und Valentin schleicht die Stufen hoch und schließt zielstrebig meine Wohnung auf.

Schleicht übrigens, weil man ihm genau ansieht, dass er sich scheiße fühlt.

Zufrieden folge ich ihm mit dem Gepäck und stelle das erstmal im Flur ab. Er zieht seine Jacke aus und macht sich sofort auf ins Bett.

Darüber bin ich sehr froh, denn ich finde, es wird dringend Zeit, dass er sich hinlegt.

Ich hingegen stopfe seine Klamotten in die Waschmaschine – was bin ich fürsorglich – und mache uns was zu Essen. Also… ich schiebe eine Fertiglasagne in den Ofen.
 

„Nicht schon wieder dieses Ding!“ Das ist das erste, was er sagt, als ich wenig später in mein – oder unser – Schlafzimmer trete, um ihn aufzuwecken und zum Essen zu rufen.

Letzteres erledigt sich von selbst, weil er wach ist.

„Es gibt Essen,“ kläre ich ihn also auf und trete neben ihn, seinen Ausruf ignorierend.

Er aber macht keine Anstalten aufzustehen, sondern zerrt mich am Bändel meines Bademantels zu sich.

„So wenig ich auch drauf stehe, dass du das Teil anhast… so sehr stehe ich drauf, es dir auszuziehen,“ haucht er mir anrüchig ins Ohr und ich erschaudere.

„Valentin,“ versuche ich ihn aufzuhalten, ehe er mich wirklich scharf macht, aber zu spät. Im nächsten Moment finde ich mich unter ihm wieder und er hockt auf mir und blickt mich an. Ich sehe ihm zu, wie er sich von seinem Shirt befreit und sich dann zu mir beugt.

Gierige hebe ich ihm meinen Kopf entgegen, bis ich endlich seine Lippen spüren kann. Das Essen ist sofort vergessen, während meine Hände sich einen Weg über seine Seite bahnen.

Ich sterbe fast, als er anfängt, seine Hüften zu bewegen und sich sein Unterlieb gegen meinen reibt.

Ich hab eindeutig viel zu lange darauf verzichten müssen!

Valentin löst sich von mir und seine Lippen finden sich an meinem Hals wieder, den er ausgiebig liebkost. Ich kriege eine Gänsehaut und kann ein Aufseufzen nicht verkneifen.

Sein Mund wandert weiter, über meine Brust und ich brauche meine gesamte Willenskraft, ihn nicht aufs Bett zu werfen und einfach zu nehmen.

Stattdessen streichen meine Hände nur sanft über seinen Rücken, bis zu seinem Po und umfassen diesen.

Valentin stöhnt auf und verursacht damit ein Beben durch meinen gesamten Körper.

Nun will ich doch nicht mehr warten, hebe ihn von mir runter und krabble auf ihn.

Aber als ich seine Hüften ein Stück anhebe, um ihn von seinen Shorts zu befreien, zieht er scharf die Luft ein.

Ich lasse von ihm ab und blicke ihn an.

„Was ist?“

„Nichts,“ keucht er, aber ich sehe ihm an, dass er irgendwas hat.

„Valentin,“ dränge ich ihn und er greift nach meinen Armen.

„Tut nur etwas weh… geht gleich wieder.“

Ich lege den Kopf schief und mustere ihn, dann seufze ich und helfe ihm, sich aufzurichten.

„Schon gut,“ murmle ich und vergrabe derweil mein Gesicht in seiner Halsbeuge.

„Wir warten einfach noch ein wenig, ja?“

„Aber…“, will er protestieren, aber ich schüttle bestimmt den Kopf und küsse ihn.

„Außerdem wird ja sonst das Essen kalt. Und Essen hast du wirklich nötig."

Er zieht eine Schnute. Natürlich passt es ihm nicht. Mir ja auch nicht. Aber ich will vor allem nicht, dass er Schmerzen hat. Da warte ich lieber noch ein wenig brav ab.

Ich helfe ihm auf und wickle ihn in meinen Bademantel – ich finde ihn ja zu süß, wenn er ihn trägt -, dann helfe ich ihm in die Küche.
 

Ich sehe ihm zu, wie er sich gierig die Lasange in den Mund schiebt. Ich habe ihm mein Stück zur Hälfte überlassen, weil er gar nicht satt zu kriegen ist.

Schon nach dem ersten Bissen hat mir er offenbart, dass es das Beste ist, was er seit Wochen zu Essen bekommt.

Glaub ich ihm aufs Wort. Krankenhausessen ist ja wirklich nicht auf Dauer zu ertragen.

„Valentin?“, meine ich nach einiger Zeit und als ich seine Aufmerksamkeit habe, mache ich eine umfassende Handbewegung und teile ihm mit, was mir seit ein paar Tagen im Kopf rum geht und was sich nach und nach darin manifestiert hat: „Jona hat gemeint, dass wir irgendwas tun sollten, für den Fall, dass sowas Ähnliches noch einmal passiert.“

Er sieht mich an und legt die Gabel weg.

„Was meinst du?“

„Eine Patientenverfügung, um genau zu sein.“

Er legt den Kopf schief, dann nickt er. „Okay.“

„Wirklich?“, rutscht es mir raus und er zieht die Brauen hoch. „Joshi… Wie sollen wir uns denn anders behelfen? Ohne das Teil werden dich meine Eltern nie zu mir lassen… Ich meine… deine Eltern mögen mich, da ist das kein Problem. Aber wenn mir nochmal was passieren sollte…“

Er bricht ab und lächelt mich an und ich lächle zurück. „Okay… dann machen wir das.“

„Dann wäre das ja geklärt.“ Er isst weiter und wir schweigen, bis er irgendwann fragt: „Und wie geht es jetzt weiter?“

Ehe ich genauer nachfragen kann, was er meint, klärt er mich schon auf: „Kannst du jetzt einfach so hier weiter studieren? Und bist du sicher, du kannst den Stoff aufholen?“

„Ja, kann ich. Was den Stoff angeht… ich hoffe es…“ Ich seufze. Ich habe mir nicht viele Gedanken darum gemacht, wie es erstmal weiter geht, wenn Valentin wieder zu Hause ist. Für mich war nur wichtig, dass er eben wieder nach Hause kommt.

„Das war das Ganze nicht wert,“ murmelt Valentin undeutlich zwischen zwei Bissen Lasagne und ich ziehe die Brauen hoch.

„Was meinst du?“

„Du hättest weiter studieren sollen, statt bei mir zu hocken.“

Ich schüttle energisch den Kopf: „Sowas darfst du nicht sagen!“

„Aber es ist doch so,“ er schiebt den geleerten Teller weg, „Wegen mir hast du so viel verpasst, dass du vielleicht das Semester wiederholen musst…“

„Valentin!“ Plötzlich stehe ich ihm gegenüber, keine Ahnung, wann ich aufgestanden bin. „Denkst du, ich hätte mich auch nur eine Sekunde konzentrieren können, wäre ich ohne dich nach Köln zurückgekommen?“

„Siehst du, ich bin dir nur im Weg gewesen.“ Er steht ebenfalls auf und klammert er sich an den Tisch, während er mich ebenso überzeugt anfunkelt, wie ich ihn.

„Was willst du damit sagen?“

„Dass ich dich hätte wegschicken müssen – notfalls auch mit den nötigen Mitteln und Wegen.“

Ich mustere ihn, bis mir klar wird, auf was er hinaus will und schüttle nochmals den Kopf, laufe zu ihm und ziehe ihn sanft in meine Arme. Zart streiche ich über seine Haare und küsse dessen Ansatz.

„Valentin… Was ist ein wiederholtes Semester, gegen die Angst, mein Leben ohne dich verbringen zu müssen? Denkst du, ich hätte auch nur eine Sekunde zuhören können, ohne nicht an dich zu denken? Und denkst du, es wäre anders gewesen, hättest du dich von mir getrennt?“

„Aber ich wusste, was es für Konsequenzen für dich hat – und habe nicht eine Sekunde lang daran gedacht, dich nach Hause zu schicken. Ich bin ein schlechter Freund, Josh.“

Ich muss kichern, obwohl ich weiß, dass die Situation nicht lustig ist und Valentin das ganze sehr ernst meint. Dementsprechend fällt auch seine Reaktion aus, denn er knurrt leise. „Ich mein es ernst, Joshua!“

„Ich weiß,“ murmle ich in sein Haar und muss schon wieder kichern. „Aber ich finde nicht, dass du ein schlechter Freund bist. Ich finde, du bist ganz wundervoll.“ Ich neige den Kopf nach rechts und küsse seinen Hals.

„Aber ich hätte an dich denken müssen, statt an-“

Ich halte ihm den Zeigefinger gegen die Lippen und mache zusätzlich „Schschscht…“

Dann hebe ich sein Kinn und küsse ihn. Er schmeckt nach Lasange, was mich zum Lächeln bringt.

Sanft umgreife ich seine Hüften mit einem Arm und schnappe mir mit der freien Hand die seine.

„Du solltest dich hinlegen,“ meine ich und hebe jene Hand an, um sie zu küssen und darüber hinweg in die Augen zu blicken.

Er blickt zurück und will etwas sagen, aber ich schüttle den Kopf und küsse ihn, schiebe ihn langsam rückwärts ins Schlafzimmer.

Wenig später sind wir dort und ich drücke ihn aufs Bett, krabble über ihn und küsse ihn.

„Joshi…“, murmelt er gegen meine Lippen und ich löse mich von ihm, nur um mich wenig später an seinem Ohrläppchen zu vergreifen.

„Nicht…“

Ich seufze. „Schon gut,“ lenke ich dann aber ein, kann jedoch nicht umhin, enttäuscht zu klingen, obwohl ich genau das nicht will.

Ein bisschen löse ich mich von Valentin und blicke ihn an. Ich hoffe, dass ich nicht enttäuscht aussehe, weiß aber, dass es doch so ist, als ich einen dunklen Schatten über sein Gesicht huschen sehe.

Ich will ihm sagen, dass es schon okay ist, aber er ist schneller. Ehe ich auch nur den Mund aufmachen oder atmen kann, ist seine Hand plötzlich in meiner Hose, in meinen Shorts, und umfasst mein Glied. Ich stöhne auf.

„Nicht,“ bin es diesmal ich, der abwehren will, aber er hört nicht auf. Und ich brauche nur ein paar Sekunden, ehe sämtliche Zweifel von mir abfallen und ich mich in seine Hand füge.

Ich habe so lange auf Sex verzichtet und… okay, ich muss gestehen, dass meine eigene Hand mir auch gute Dienste leistet – allerdings nicht solche wundervolle, wie die Valentins. Schon allein das Wissen, dass er es ist… schon allein die Tatsache, dass ich nicht weiß, was er als nächstes tut…

Mein Hirn schaltet sich ab, bis ich in Valentins Hand komme. Schwer atmend lasse ich mich auf ihn sinken – trotz allem noch um Vorsicht bedacht – und atme gegen seinen Hals, was ihn zum Erschaudern bringt.

Sanft schiebe ich meine Arme um seinen Körper - auch wenn das bedeutet, dass sie mir sicher gleich einschlafen – und presse ihn eng an mich, spüre dabei seine Erregung.

„Valentin,“ flüstere ich leise.

„Schon okay,“ murmelt er ebenso leise zurück, weiß offenbar genau, was mich beschäftigt. Aber ich finde nicht, dass es okay ist.

Ich ziehe eine Hand unter ihm hervor und lasse sie in seine Shorts wandern. Er stöhnt auf. Aber in dem Moment, in dem er tief einatmet, kommt ein leises Keuchen über seine Lippen, dass nicht seiner Lust zu zu schreiben ist.

Hastig lasse ich ihn los und richte mich auf. Er sieht mich an.

„Lass es gut sein,“ murmelt er leise und ich nicke, bette meinen Kopf dann wieder an seiner Schulter.

„Ich liebe dich,“ nuschle ich dagegen und fühle, wie mich eine bleierne Müdigkeit überkommt. Valentin beginnt, mir durch die Haare zu streicheln und irgendwann bin ich eingeschlafen.
 

Am nächsten Morgen ist das erste, das ich fühle, Valentins Körper unter mir. Und ich kann nicht beschreiben, wie unglaublich wundervoll sich das anfühlt. Es ist wie damals, als wir unsere erste Nacht miteinander verbracht hatten.

Diese Freude darüber, dass Valentin jetzt mir gehörte, war unbeschreiblich. Und das Wissen, dass ich ihn jetzt wiederbekommen habe, dass er hier bei mir ist und alles wieder gut wird, ist noch viel unbeschreiblicher.

Bei der Vorstellung, wie es noch vor einigen Tagen aussah, schnürt sich mir der Hals zu. Kaum zu fassen, was ich für eine Angst hatte.

Ich umklammere ihn fester, ziehe ihn näher.

„Josh?“

Langsam hebe ich den Kopf und sehe ihn an. Er lächelt. „Du musst an die Uni.“

Ich seufze auf. Das hatte ich ja komplett verdrängt.

„Vielleicht bleibe ich heute noch bei dir…“

„Josh!“

Natürlich. Wie konnte ich die gestrige Situation nur vergessen? So gerne ich auch bei ihm bleiben würde… mir ist klar, dass er sich dann nur noch mehr Vorwürfe machen würde. Und das möchte ich nicht. Also stehe ich notgedrungen auf und gehe ins Bad.

Wenig später stehe ich fertig im Schlafzimmer und gebe ihm einen Kuss auf die Stirn, ehe ich gehe.

Garantiert steht mir jetzt erst Mal ein langes, langes Gespräch bevor und ich weiß jetzt schon, dass es nicht angenehm verlaufen wird.

Aber ich habe auch nicht erwartet, dass man an der Uni begeistert sein wird, wenn ich Hals über Kopf zurück nach Deutschland komme und dann zwei Wochen nicht zu den Lesungen erscheine, ja fast schon spurlos verschwunden bin.

Dementsprechend gelaunt, trete ich wenig später in das Büro von Frau Wagenknecht, der guten Dame, die für meinen Dallas-Aufenthalt verantwortlich war.

„Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?“, fragt sie mich, ehe ich auch nur grüßen konnte und ich seufze auf, erkläre ihr dann die gegebenen Umstände.

„Und da mussten sie dann zwei Wochen in Frankfurt ausharren?“

„Es war nicht klar, ob mein Freund durchkommt… wie hätte ich da weggehen sollen?“ Ich verstecke nicht, dass mich ihre Vorwürfe nerven und verärgern. Was soll diese Frage auch? Versteht sie das nicht?

Aber natürlich versteht sie es. Nur sieht sie auch die Seite, die ich so erfolgreich ausgeblendet hatte.

„Wie wollen Sie zwei Wochen nachholen?“, fragt sie und ich erkläre ihr, dass man mir sämtliche Aufzeichnungen geben kann.

„Gut, dann haben ihre Kommilitonen für Sie mitgeschrieben – aber denken Sie, dass Sie den Stoff von zwei – ja fast drei Wochen – aufholen können? Ganz ohne Erläuterungen?“

Ich zucke mit den Schultern, weil ich ehrlich keine Ahnung habe. „Sie könnten es mich wenigstens probieren lassen… mehr als durchfallen kann ich auch nicht.“

Und damit habe ich natürlich Recht, was sie nach einiger Zeit des Überlegens feststellt. Daraufhin nickt sie.

„Versuchen Sie es… Wenn Sie denken, dass Sie so erfolgreich sein können.“

Ich nicke, weil ich das wirklich denke. Ich muss mich nur reinhängen. Dann passt das schon. Das versichere ich ihr auch noch mal.

„Gut,“ nickt sie, „Dann beweisen Sie mir wenigstens, dass die Zeit in Dallas nicht umsonst war, in dem Sie ihre Position im Team wieder aufnehmen und das Training anpassen.“
 

* Das hab ich mir mehr oder minder ausgedacht. Ich persönlich nehme immer Schwarzkopf – keine Ahnung, ob Garnier schlechter oder besser ist oder ob es sich gleich bleibt! Seht es also bitte nicht als Schleichwerbung an. xD

Das Auto, zwei Verrückte und ich

Rick hasst mich. Ich weiß, dass er mich hasst, weil er es mir vor genau drei Sekunden ins Gesicht gesagt hat.

Ich starre ihn nun an und weiß nicht so wirklich, wie mit dieser Information umgehen.

Ich meine… ihm war doch klar, dass man ihm die Position als Trainer nehmen würde, würde einer von uns Beiden – sprich Tobias oder ich – zurückkehren. Aber wahrscheinlich hat er nicht damit gerechnet, dass dieser unwahrscheinliche Fall eintreten würde – wer hätte das schon?

Dennoch… seine Reaktion finde ich reichlich übertrieben. Und zum Glück sehe nicht nur ich das so.

„Also… du musst Joshua schon verstehen – immerhin ging es um seinen Freund,“ ergreift Sascha für mich Partei. Sascha kann mit drei Worten beschreiben: Groß, fett und Russe. Was für mich den Vorteil hat, dass Rick da ein wenig Angst hat, was dagegen einzuwenden. Dafür bin ich Sascha schon mal dankbar – und natürlich auch dafür, dass er für mich Partei ergreift.

„Wie geht es deinem Valentin denn?“, wendet sich besagter Russe nun an mich und ich nicke und meine, es geht ihm schon wieder ganz gut.

„Wegen so ner scheiß Schwuchtel…“, wendet sich Rick nun brummelnd ab und der Rest des Satzes geht unter, weil er sich mehr oder minder die Mühe macht, leise vor sich hin zu schimpfen.

Ich seufze und blicke die Anderen an.

„Schön, dass du wieder hier bist, Josh,“ meint nun Andreas und ich lächle schwach. „Wir sind alle schon gespannt, was du uns für unser Training erzählen kannst,“ fügt Daniel hinzu und ich nicke und nehme meine neue, alte Aufgabe in Angriff.

Irgendwie ist es seltsam, wieder Trainer zu sein. Immerhin habe ich nun wochenlang einfach gemacht, was man mir sagt. Nun bin ich es, der dafür verantwortlich ist, dass alles seinen Gang geht. Aber da ich diese Aufgabe vorher schon so lange innehatte, finde ich schnell wieder hinein und vor allem beginnt es auch gleich wieder Spaß zu machen. Vielleicht sollte ich einfach Trainer werden. Das wäre doch eine gute Idee…

Aber leider kann ich mich nicht lange mit meiner Idee beschäftigen, denn das Training ruft und fordert meine gesamte Konzentration. Ich will die Jungs nicht gleich überfordern und deshalb verschärfe ich das Training für den Anfang nur minimal, mache ein paar längere Ausdauer- und Krafteinheiten und lasse sie ein paar schwerere Übungen durchführen, als sie es bisher gewohnt haben. Sie beschweren sich nicht, aber ich fürchte, dass mir dieses Glück nicht lange gegönnt bleibt. Jetzt sind sie noch motiviert, aber irgendwann werden sie sich sicher beschweren, wie heftig mein Training ist. Dabei werden sie sicher noch viel anderes über sich ergehen lassen müssen, wenn Tobias erst Mal zurück ist.

Wie auch immer… Irgendwann ist das Training zu Ende und ich verlasse die Halle als Letzter und trete unter die Dusche. Ich beeile mich, weil ich eigentlich nur noch zu Valentin zurück möchte. Ich hoffe, er hat sich brav im Bett aufgehalten, statt irgendwelche Ausflüge sonst wo hin zu unternehmen. Ich fürchte ja fast, er würde vor der Halle stehen um mich abzuholen, aber zum Glück ist dem nicht so.

Ich laufe also nach Hause und finde ihn im Wohnzimmer vor. Dort sitzt er mit einer Decke vor dem Fernseher und sieht mich an aus großen Augen an, wie ein Hund. Man könnte ja sprichwörtlich sagen, er sähe aus, als könnte er kein Wässerchen trügen, aber ich sehe sofort, dass er genau das gemacht hat.

„Hast du etwa Haare gefärbt?“, frage ich, ohne mich lange vorher mit ihm zu unterhalten.

„Mir war langweilig,“ kommt es prompt als Antwort.

„Valentin, du solltest im Bett bleiben und dich nicht überanstrengen!“ Ich stemme die Hände in die Hüften.

„Ich hab nur Haare gefärbt, keinen Marathonlauf absolviert.“ Er verzieht den Mund zu einer Schnute und ich seufze und löse meine strenge Haltung, krabble zu ihm aufs Sofa.

Sanft küsse ich sein Haar, dass noch nach diesem Färbemittel und reichlich anderen Haarprodukten riecht.

„Bist du jetzt zufrieden?“, frage ich immer noch ein wenig verärgert, aber vor allem belustigt und er nickt nur als Antwort. Ich hebe sein Kinn an und küsse ihn. „Dann ist ja gut,“ murmle ich gegen seine Lippen.

„Wie war die Uni?“, fragt er nach einiger Zeit, die wir ausgeharrt und gekuschelt haben. Also erzähle ich ihm ein wenig vom Training und auch von Ricks Aussetzer.

„Er ist ein richtiger Idiot,“ murrt mein Hase – so langsam gewöhne ich mich echt an Tobias Kosenamen – und richtet sich ein wenig auf. Bis eben lehnte er an mich.

„Wohl wahr.“ Ich denke an die anderen Male, an denen mir Rick unangenehm aufgefallen ist. Allen voran der schmerzlichen Szene, als Valentin nach unserer Trennung zu mir in die Halle kam und Rick alles noch schlimmer gemacht hat.

„Aber du setzt dich schon durch,“ versichert Valentin mir oder auch sich selbst, kuschelt sich dann wieder eng an mich und lächelt leicht.

Ich schlinge die Arme fest um ihn.

„Garantiert,“ stimme ich zu und glaube wirklich daran, alles in den Griff zu bekommen.
 

Es ist der erste Tag der Woche und der erste Tag, an dem Valentin von unserem Hausarzt das okay bekommen hat, wieder an die Uni zu gehen. Und natürlich hat mein kleiner Wirbelsturm nur darauf gewartet, wieder zu wüten.

Deswegen wundert es mich auch nicht, dass er schon wach und fertig gestylt ist, als mein Wecker klingelt.

„Du kannst es auch gar nicht erwarten, oder?“, frage ich und schüttle belustigt den Kopf, während er nur den Kopf schüttelt und in der Küche verschwindet, um Kaffee zu kochen. Ich mühe mich aus dem Bett und gehe duschen. Als ich wenig später in die Küche trete, wartet Valentin schon mit einer Tasse voll dem heißen Gebräu auf mich.

„Endlich sehe ich mal wieder was anderes, als immer nur die vier Wände hier,“ meint er begeistert und seine Augen strahlen regelrecht. Ich lächle und küsse ihn.

„Und morgen Bandprobe,“ freut er sich und ich mustere ihn. „Bandprobe,“ echoe ich dann und zähle eins und eins zusammen.

„Wenn du wieder singen kannst, kannst du ja auch ganz andere Dinge wieder tun,“ meine ich anzüglich und er sieht mich kurz verwirrt an, ehe er grinst. „In der Tat,“ flüstert er nur und streicht aufreizend über meinen Oberschenkel, als er an mir vorbeiläuft, um sich eine Sweatshirtjacke zu holen.

Plötzlich habe ich das Bedürfnis, die Uni Uni sein zu lassen und mit ihm im Bett zu verschwinden. Aber Valentin wäre nicht Valentin, wenn er mich nicht durchschauen würde. Er küsst mich und meint: „Bis heute Abend.“ Dann ist er auch schon verschwunden.

Ich sehe ihm irritiert nach und nehme dann einen großen Schluck Kaffee. Hoffentlich ist bald Abend.
 

Natürlich vergeht der Tag extra langsam, wenn man hofft, dass er schnell vergeht. Vor allem das Training zieht sich unglaublich lange hin, so dass ich mir wünschte, gar nicht hingegangen zu sein. Aber natürlich kann ich als Kapitän und momentaner Leiter des Trainings nicht einfach so wegbleiben. Schon gar nicht, wenn ich bedenke, welches Ansehen ich im Moment bei der Konrektorin genieße, die mich die nächste Zeit sicher noch mit Argusaugen beobachten wird.

Fast muss ich gestehen, dass ich die Semesterprüfungen herbeisehne, um ihr zu zeigen, dass ich es doch drauf habe. Und das, obwohl ich nicht wirklich Zeit finde, all den Stoff nachzuholen – ich kriege langsam doch echt Angst! – und obwohl ich weiß, dass ich den Stress einer nahenden Prüfung jetzt nicht auch noch gebrauchen kann.

Als ich endlich nach Hause kann, renne ich fast. Ich weiß, dass ich mich total dämliche benehme. Wie ein Schwanzgesteuerter Volltrottel. Aber verdammt… unter den gegebenen Umständen kann ich mich wirklich mit diesem Titel anfreunden.

Wenig später stehe ich vor unserer Wohnung und schließe auf.

Valentin ist im Wohnzimmer und grinst mich an, als ich zu ihm trete. Ich muss grinsen, als ich bemerke, dass er meinen Bademantel trägt.

„Hi,“ meine ich atemlos und er winkt mir flüchtig zu. „Hey. Ich hab schon geduscht und essen gemacht und…“ Ich lasse ihn nicht ausreden, sondern trete zu ihm und küsse ihn. Warum noch lange aufhalten?

Schon als sich unsere Lippen treffen, erbebt mein Körper unter Freude. Als ich dann aus den Augenwinkel auch noch wahrnehme, wie der Bademantel von seiner Schulter löst, kann ich wirklich nicht mehr länger an mich halten und schiebe ihn aufs Sofa.

Und dann endlich… endlich habe ich Valentin wieder für mich.
 

Die nächsten Wochen sind wie im Himmel. Sex mit Valentin, zwischendrin lernen, Basketballtraining und ja… Sex mit Valentin.

Eigentlich bin ich gerade so zufrieden mit meinem Leben, dass es wirklich nicht anders werden soll. Aber natürlich kommt es immer anders, als man denkt oder gar möchte.

So ist es natürlich auch bei mir und deshalb passieren gleich zwei Katastrophen auf einmal, als ich endlich denke, alles ist gut.

Katastrophe 1: Ich muss feststellen, dass ich den Stoff immer noch nicht richtig aufgeholt habe und deswegen auch Probleme habe, den neuen Stoff zu lernen.

Katastrophe 2: Ein Brief meiner Eltern, die uns – also sprich Valentin und mich – zu ihrer silbernen Hochzeit einladen. Kaum zu glauben, dass meine Eltern schon so lange zusammen sind.

Jedenfalls stellt mich diese scheiß Hochzeit vor ein kleines, großes Problem. Ich schiele zu Valentin, der neben mir auf der Couch sitzt und lernt und den Brief noch gar nicht weiter bemerkt, geschweigedenn ihm irgendeine Beachtung geschenkt hat. Ich fackle nicht lange, sondern schiebe ihm diesen vor die Nase und er blickt auf. „Was ist das?“, will er wissen, kann sich die Frage aber selbst beantworten, als er anfängt, zu lesen.

„Deine Eltern sind schon 25 Jahre verheiratet?“, fragt er erstaunt und ich nicke und blicke grimmig drein.

„Weißt du, was das heißt?“, frage ich und er scheint es wirklich nicht zu wissen. „Wenn wir da auftauchen, dann muss ich mich vor meiner ganzen Familie outen.“

Einen kurzen Moment ist es still um uns, dann verkrampft er sich ein wenig und blickt auf den Brief.

Erst denke ich, dass er sauer ist. Das er denkt, dass ich nicht zu ihm stehen möchte – was gar nicht der Fall ist! Wirklich! Ich habe einfach nur ein wenig Angst vor der Reaktion -, aber dann meint er: „Das solltest du lassen.“

Ich ziehe die Brauen hoch. „Was?“

„Schau meine Familie an. Die Reaktion ist nicht immer so, wie man sie sich erhofft… ich will nicht, dass du wegen mir nicht mehr mit deiner Familie sprichst.“

Ich seufze auf. „Valentin… wenn sie das nicht akzeptieren, will ich sie gar nicht zu meiner Familie zählen.“

Und plötzlich bin ich es, der sich stark fühlt. Plötzlich habe ich gar keine Angst mehr, sondern pure Entschlossenheit brennt in mir. Irgendwie seltsam. Kurz denke ich, dass Valentin vielleicht genau das mit seinem Satz erreichen wollte, aber ich werde eines besseren belehrt. Er meint das, was er gesagt hat, wirklich so.

„Valentin?“, frage ich leise und er seufzt. „Na schön,“ gibt er dann nach, weil ihm eh nichts anderes übrig bleibt, als einzuwilligen.

Ich nicke und überlege, wie meine Semesterferien zu Hause wohl aussehen, wenn ausgerechnet an der Silbernern Hochzeit meiner Eltern der ganze Familienfrieden schief hängt.

Weil ich nicht weiter darüber nachdenken möchte, beschließe ich, mich wieder auf meinen Prüfungsstoff zu konzentrieren, was mich aber in Anbetracht der Tatsachen, nur noch mehr deprimiert.

Ich verziehe den Mund und seufze synchron mit Valentin. „Ich freu mich jetzt schon, wenn das neue Semester endlich beginnt und der ganze Stress um ist,“ murmelt mein Freund und ich kann nur zustimmen. Recht hat er!
 

Leider kommt es eben nie, so wie man es sich wünscht. Und so beginnen die Prüfungen, und danach das große Zweifeln und Bangen. Ich habe das Gefühl, am Ende doch ganz gut vorbereitet gewesen zu sein. Zumindest müsstet ich das Ganze relativ ausreichend nachgeholt haben. Ich hatte auch keine Angst, irgendetwas nicht zu wissen – was im Nachhinein auch okay war, weil ich tatsächlich auf alles eine Antwort geben konnte.

Auch Valentin hat – seinem Gefühl nach – gut abgeschnitten und so ist zumindest die erste Hürde gemeistert. Wenn ich allerdings daran denke, was jetzt noch auf uns zukommt, wird mir langsam bewusst, dass dies die kleinere Hürde war.

Ich weiß, dass Valentin Angst davor hat, dass ich meinen ganzen Verwandten von ihm erzähle. Natürlich, meine Eltern haben es akzeptiert, aber selbst mein Vater hofft immer noch darauf, dass ich irgendwann zum Einsehen komme, dass eine Beziehung mit einem Jungen nicht die Erfüllung all meiner Wünsche ist.

Aber nur weil meine Eltern es mehr oder minder gut aufgefasst haben, heißt das leider nicht, dass es auch der Rest meiner – recht großen – Familie tun wird. Und ich verstehe natürlich auch Valentins Bedenken, der mit seiner Familie nur schlechte Erfahrungen gemacht hat, als raus kam, dass er nun fest mit mir zusammen ist.

Ich weiß heute noch, wie er ewig am Telefon hing und seine Eltern bat, sich noch mal zusammen zu setzten und zu reden. Aber da seine Eltern ihn – wegen seines äußeren Erscheinungsbildes – eh für missraten hielten, blieben sie relativ stur, was man heute ja noch bemerkt.

Seine Mutter jedenfalls hat gesagt, er solle sich bei ihnen nicht mehr blicken lassen und sein Vater ging sogar soweit zu sagen, dass er keinen schwulen Sohn habe und wenn dieser schwul sein wollte, hieße das eben, dass er keinen Sohn mehr habe.

Ich hab damals damit gerechnet, dass es Valentin wahnsinnig runter ziehen würde, aber er blieb relativ locker, als hätte er das bereits geahnt. Allerdings wusste ich auch, dass er viel in sich hineinfraß, statt es herauszulassen, was auch jetzt noch ab und an aus ihm heraus kommt.

Sicher hat er Angst, dass es mir ähnlich ergehen könnte und natürlich will er nichts weniger, als das.

Das heißt, dass neben meiner Angst, auf die Reaktion meiner Familie, auch noch die Angst hinzu kommt, wie sich das Ganze auf Valentins Psyche auswirkt.

Mit diesem Hintergrund sinkt meine Motivation, nach Hause zurück zu kehren, auf Null. Da kann auch die Aussicht nicht helfen, dass ich die Jungs dann wieder sehen werde. Und auch die Tatsache, dass Benni ebenfalls zur Silbernen Hochzeit eingeladen ist – als mein bester Freund gehört er ja fast schon zu Familie – und auch kommen wird, uns beistehen wird.

Ich weiß nicht, ob Bennis gesamte Familie von seiner Lebensweise bescheid weiß, weil wir darüber irgendwie nie geredet haben. Aber ich weiß, dass alle die, die es wissen, keine Probleme damit haben. Was mich einerseits ermutigt und hoffen lässt, andererseits deprimiert. So viel Glück kann gar nicht jedem vergönnt sein!

Dank all dieser Gedanken sinkt meine Laune nur weiter, während ich im Schlafzimmer stehe und meine Sachen in eine Reisetasche stopfe. Ich werfe einen Blick auf Valentin, der immer noch überlegt, was er überhaupt mitnehmen will. Er sieht entspannt aus, weshalb ich ein wenig gehemmt bin, meine Gedanken anzusprechen. Ich möchte ihn nicht wieder darauf bringen.

Aber Valentin wäre ja nicht Valentin, wenn er nicht von selbst darauf kommen würde, dass ich nicht begeistert aussehe.

„Du machst dir ziemlich Gedanken, was?“, fragt er und ich nicke.

„Josh, wir brauchen es nicht offiziell vor allen zugeben,“ meint er und legt ein T-Shirt weg, dass er gerade einpacken wollte.

„Aber ich möchte es,“ murmle ich leise und er seufzt.

„Josh, sie werden vielleicht…“

„Ich weiß,“ unterbreche ich ihn und trete zu ihm, küsse ihn. „Aber ich möchte zu dir stehen. Irgendwann werden sie es eh herausbekommen.“ Früher oder später ganz sicher… Ich komme ja auch in ein Alter, in dem viele mich fragen, wann ich die Richtige finde und heirate. Und was soll ich dann sagen? Dann lieber gleich.

Valentin blickt zu Boden und ich küsse ihn nochmals. „Im Ernst… ich liebe dich viel zu sehr, um mich vor ihnen beherrschen zu können,“ versuche ich die Stimmung zu locker und kralle meine Hände beherzt in seinen Po. Tatsächlich muss er daraufhin grinsen.

„Übertreib es aber nicht,“ bittet er mich und ich küsse ihn. Nicht nur flüchtig diesmal, sondern intensiv und leidenschaftlich. „Dann übertreib ich es eben jetzt,“ murmle ich und meine Hände finden ihren Weg unter sein Shirt.

Er grinst und ich weiß, dass ihm meine Übertreibung ziemlich gefallen wird.
 

Wir fahren eigentlich recht spät, müssen also nicht früh aufstehen. Dennoch fühlen wir uns wie gerädert, als wir am nächsten Morgen aus dem Bett steigen und uns langsam fertig machen.

Die Nacht war nicht wirklich erholsam, mit all den Gedanken, die wir uns – im Bezug auf das bevorstehende Aufeinandertreffen mit meiner Familie – gemacht haben.

Da hilft nicht einmal der Kaffee etwas, den Valentin uns kocht, ehe wir nacheinander ins Bad schleichen und uns irgendwie herrichten.

Mürrisch blicke ich den Spiegel und kann nicht aufhören, Panik zu schieben, während ich meine Haare irgendwie richte.

Ich weiß, es wird eine Katastrophe. Das ist nicht nur die Unruhe in mir, die mir das sagt. Das ist einfach das Gefühl, dass man immer hat, wenn man weiß, dass der Tag scheiße wird. Am liebsten würde ich wieder im Bett verschwinden – vorzugsweise natürlich noch mit Valentin –, aber natürlich geht das nicht. Und so sehr ich mich auch damit ablenken möchte – ich kann nicht mal an Sex denken! Ich bin viel zu nervös für Sex. Frustriert lege ich den Kamm weg und seufze. Meine Haare sehen aus wie hingekackt, aber was soll’s. Neben Valentins geordnetem Chaos auf seinem Kopf werden meine Haare kaum auffallen. Abgesehen davon glaube ich, wird am Ende des Tages kein Hahn mehr nach meinen scheiß Haaren krähen.

Ob das gut, oder eher schlecht ist, sei mal dahin gestellt.

Als ich aus dem Bad trete, ist Valentin schon im Schlafzimmer und zieht sich an. Oder versucht es zumindest, weil er irgendwie nicht damit klar kommt, eine Mischung aus Anzug und Emostyle zu kreieren.

„Kann ich das so tragen?“, fragt er und ich starre auf seine Klamotten. Schwarze Röhrenjeans, mindest drei seiner Nietengürtel, ein graues Bandshirt, darüber einen schwarzen Blazer und einen grauen Palischal. Zur Krönung schwarz lackierte Nägel.

„Ist das dein Ernst?“, rutscht es mir heraus, ehe ich mich stoppen kann und er verzieht missmutig das Gesicht und zeiht den Blazer wieder aus.

„Dann sag mir mal bitte, was ich sonst tragen soll!“

Ich verdrehe die Augen. „Du wirst doch wohl was festlichen in deinem Schrank haben!“, maule ich und öffne seinen Kleiderschrank – oder den (wesentlich größeren) Teil meines Schrankes, den ich ihm überlassen musste – und erstarre. Manche Dinge soll man einfach lieber sein lassen!

Ich blicke auf das Chaos, das mir beinahe entgegen fällt und stöhne dann auf.

„Was ist das denn?“, stöhne ich entsetzt und er schnaubt. „Habs nicht geschafft, aufzuräumen.“

Ich schüttle den Kopf. Ich glaube, er hat nicht mal Notwendigkeit dafür gesehen, ja…

Mürrisch wühle ich mich durch seinen Schrank, was ihn tatsächlich den Kommentar abringt, dass ich ihm nichts durcheinander bringen soll.

„Valentin!“, fauche ich ungehalten und wirble zu ihm herum. „Es ist bereits alles durcheinander!“

„Das Ganze hat System, ja?“, murrte er und verschränkt trotzig die Arme. Ich lächle belustigt auf und zerre dann unsicher ein weißes T-shirt und einen dunkelrosa Pullunder heraus. Dann stutze ich und blicke auf die Farbe. What the fuck!

Ich sehe zu Valentin, der das ganze ungerührt verfolgt.

„Das Ding ist schon ziemlich schwul,“ meine ich und wedle mit dem Pulli herum. Er zuckt die Schultern, murmelt „Ist schon alt“ und reißt mir das Zeug aus der Hand.

„Darf ich mich dann anziehen?“

Ich beiße mir unglücklich auf die Lippen. „Das?“, frage ich und deute auf die Klamotten, woraufhin er zischend die Luft einzieht. „Das hast du doch gerade herausgesucht!“

Ich zucke mit den Schultern.

„In deinem Schrank ist es irgendwie schwer, etwas zu finden, was nicht ganz so… schwul aussieht.“

Er wirft mir den Pulli ins Gesicht und wühlt dann selbst weiter.

„Geh zum Bäcker und hol mir nen Kaffee für die Fahrt. Bis dahin bin ich angezogen,“ befiehlt er und weil ich keine Lust habe, mit ihm zu diskutieren, leiste ich folge.
 

Als ich wiederkomme, steht Valentin in der Küche und trinkt den Kaffee leer, den er heute Morgen gekocht hat. Und obwohl er das Gebräu noch an den Lippen hat, starrt er beinahe gierig auf den Becher in meiner Hand.

Ich hingegen starre Valentin an und pfeife dann anerkennend. „Geht doch,“ meine ich und blicke auf seinen Aufzug. Ein weißes Shirt, darüber ein helles, gelb-grün kariertes Hemd und eine graue Strickjacke. Sehr ordentlich – zumindest für ihn.

„Ist das mein Hemd?“, meine ich dann aber und bringe ich dazu, die Tasse wütend in die Spüle zu knallen.

Beschwichtigend hebe ich die Hände. „Nicht wild,“ wehre ich ab und verschränkt die Arme. „Sonst trage ich auch Sachen von dir,“ erklärt er mir trotzig – offenbar findet er die Aussage alles Andere, als ‚nicht wild’.

Ich beiße mir auf die Lippen. „Ja… nach dem Sex.“

„Sonst auch,“ murrt er und verschränkt wieder die Arme. Er hat seine Nägel ablackiert, was ich ihm wirklich anrechne. Vor allem, weil er sich sonst mit Händen und Füßen dagegen wehrt.

Davon beschwichtigt, trete ich zu ihm und küsse ihn. „Ich will nur nicht, dass jemand merkt, dass du mein Hemd trägst,“ kläre ich ihn auf und das beschwichtigt dann wiederum ihn.

Er schlingt die Arme um mich und murmelt ein: „Sie kriegen es auch anders mit, Joshi,“ gegen die Brust. Damit hat er Recht. Sie kriegen es mit, weil ich es ihnen sagen werde. Hallo, flaues Gefühl im Magen.

Aber jetzt habe ich keine Zeit für Nervosität. Wir müssen zum Bahnhof, sonst kommen wir noch zu spät.
 

Stunden später – die irgendwie sehr schnell umgingen – kommen wir am Bahnhof in Hamm an. Und diesmal ist es nicht einer meiner Kumpels, die mich abholen, sondern meine Oma, die uns gleich zur Familienfeier kutschieren wird. Juhuuu…

„Joshua,“ begrüßt sie mich und schenkt Valentin ein nettes Lächeln, ehe sie ihm seinen Koffer abnimmt, mit den Worten ‚Wo du doch so zierlich bist’. Das sie eine alte gebrechliche Oma ist, scheint sie dabei nicht zu stören, denn sie überhört Valentins Proteste und wuchtet den Koffer selbst ins Auto. Ich hingegen darf mich selbst abmühen.

„Also… das ist dein Nachbar, von dem deine Mutter so schwärmt?“, fragt sie mich dann, als hätte sie sich das jetzt nicht denken können.

„Und wie kommt es, dass du jedes Mal mit zu Joshua kommst?“, fragt meine Oma Valentin – offenbar lässt sie das höfliche siezen gleich von Anfang an weg.

„Naja…“, murmelt Valentin und sieht unsicher zu mir. „Familiäre Probleme,“ kläre ich sie auf und zerre Valentin dann zum Auto.

Wir nehmen Beide auf der Rückbank Platz, was meine Oma zum Stirnrunzeln bringt. Aber sie sagt nichts.

„Ist das eigentlich das Hemd, dass ich dir mal zu Weihnachten geschenkt habe?“, fragt sie dann, meint aber unglücklicher Weise nicht meines, sondern das, das Valentin trägt. Ich hab’s geahnt.

„Ja. Joshi hat es mir gegeben, weil ich nichts Festliches habe,“ klärt Valentin sie auf und sie echot: „Joshi?“

„So nennt er mich gerne mal… um mich zu ärgern,“ stammle ich und blicke meinen Hasen warnend an. Er grinst nur zurück und ich glaube, ich begreife, was er tut. Er versucht, meiner Oma eine Ahnung zu geben, damit es sie nicht mehr ganz so überrascht. Super…

„Tante Inge hat schon nach dir gefragt, Joshua,“ kläre meine Oma mich auf, während wir zu der Kirche fahren, in der meine Eltern unbedingt eine kleine Andacht zu ihren Ehren wollten.

Tante Inge ist eigentlich gar nicht meine Tante. Sie ist nur irgendeine alte Dame, die über fünf Ecken mit uns verwandt ist und nur deshalb zu Festen eingeladen wird, weil sie sich so gut mit meiner Oma versteht.

Blöderweise will sie mich seit jeher mit ihrer Enkelin Anna verkuppeln. Und genau das Thema greift nun auch meine Oma auf.

„Anna hat sich wirklich gemacht. Ein hübsches Mädchen. Groß, schlank und blond. Sie würde dir gefallen.“

„Glaub ich nicht,“ murmle ich und sehe zu Valentin, der allen Ernstes grinst. Na Danke auch.

„Warum? Magst du keine Blondinen?“, fragt meine Oma mich und ich selbst frage mich, ob sie wirklich denkt, ich sei so oberflächlich, dass ich mir um die Haarfarbe Gedanken mache.

Ich sehe wieder zu Valentin. Ob ich es einfach sagen soll? Jetzt und hier? Aber dann kriegt sie noch nen Herzkasper. Was in Anbetracht dessen, dass sie gerade Auto fährt, nicht so günstig wäre.

„Nein,“ meine ich also, „Ich mag mehr Schwarzhaarige.“

Daraufhin nickt meine Oma – übrigens heißt sie Rosalinde, wird aber nur Rosa genannt – begeistert und Valentin wird rot. Oh man… Zwei Verrückte in einem Auto und ich mittendrin!

Dann kommen wir endlich an und ich flüchte fast aus dem Auto, noch ehe meine Oma einparken kann.

Ich blicke mich suchend nach meiner Mutter um, bis ich sie sehe, wie sie schnurstracks auf mich zustürmt. Dann stürmt sie allerdings an mir vorbei und ich sehe ihr irritiert nach und finde sie bei Valentin wieder, den sie fast zerquetscht.

„Oh, Gott sei Dank, dir geht es besser!“, kreischt sie und ich fürchte, dass er zwar den Unfall überlebt hat, jetzt aber wegen ihr sterben wird.

Überhaupt… Was ist mit mir?

Ich räuspere mich und sie winkt mir zu. „Hey Joshua!“

Mürrisch verziehe ich das Gesicht. Wer war noch mal der leibliche Sohn? Aber andererseits freue ich mich, dass sie sich so viel Sorgen um meinen Freund gemacht hat. Das sie ihn so lieb aufgenommen hat, macht mir nur Mut, dass auch der Rest der Familie das tun wird.

Meine Oma beobachtet das verwirrt und meine Mutter klärt sie auf, während sie auch endlich mich umarmt.

„Kein Wunder, dass du so abgemagert bist,“ meint Rosa daraufhin zu Valentin und kneift ihn in die Wange. „Im Krakenhaus geben sie einem ja nichts Gescheites zu Essen!“

Ich verdrehe die Augen und sehe mich nach meinem Vater um, bis sich unsere Blicke treffen. Er nickt mir zu. Nett…

Die weiblichen Angehörigen meiner Familie reden noch immer auf Valentin ein und irgendwie bin ich plötzlich eifersüchtig. Nicht, weil er meine Familie in Beschlag nimmt, sondern weil meine Familie ihn in Beschlag nimmt.

Ich will ihn für mich. Vielleicht ist das der Grund, warum ich zu ihnen trete und meine: „Wollen wir noch mal aufs Klo, ehe es losgeht?“

Valentin nickt: „Dann kann ich meinen Kajal nachziehen.“

Daraufhin tritt eine seltsame Stille ein und Valentin schlägt sich die Hand vor den Mund. Mum und ich blicken zu Rosa, die Valentin seltsam mustert und dann nickt. „Heutzutage ist wirklich alles anders, dass sich sogar schon Männer schminken. Aber du musst zugeben, Joshua,“ sie wendet sich dann mir zu, „Wenn allen Männern Schminke so stehen würde, wie ihm, dann wäre das sicher schon eingebürgerter.“

Ich nicke. „Ich brauch es trotzdem nicht,“ meine ich während meine Oma Valentins Augen mustert und anerkennend nickt. „Sieht gut aus,“ meint sie begeistert und ich packe Valentins Arm und ziehe ihn mit mir, ehe es noch ein komplettes Desaster wird.

„Sorry,“ murmelt er und bereut es wirklich. Aber es stört mich eigentlich nicht. Soll sie denken, was sie will.

„Joshua?“, fragt Valentin, während ich ihn wortlos ins Klo schiebe. Kaum ist die Tür hinter uns zu, küsse ich ihn. Er sieht mich verwirrt an. „Das habe ich vermisst,“ kläre ich ihn auf und er grinst. Der Rest ist vergessen.

Gemeinsames Nicken

Als wir wenig später in die Kirche treten, sind die meisten meiner Verwandten schon da und ich renne fast Onkel Erwin um, den Bruder meines Vaters.

„Joshua!“, meint er und klopft mir wohlwollend auf den Rücken. „Schön, dich zu sehen.“

Ich nicke ihm zu und versuche mich an einem Lächeln. Ich mag ihn nicht besonders.

Er blickt zu Valentin.

„Und wer ist das?“, fragt er lauernd. „Mein Nachbar,“ kläre ich ihn auf.

„Und was macht er hier?“

Ich verdrehe die Augen. „Mum hat ihn ins Herz geschlossen und eingeladen,“ meine ich abwehrend und er macht ein ungläubig klingendes ‚Aha’. Ich schlucke, aber in dem Moment wird die Situation von Benni unterbrochen, der mir eine Hand auf die Schulter legt und somit meine Aufmerksamkeit an sich reißt.

„Hey!“, meint er und ich umarme ihn stürmisch. „Hey!“

„Grüße von Jona,“ meint er, während er auch Valentin begrüßt und dann Erwin nachblickt, der sich verzogen hat.

„Läuft nicht gut, oder?“, fragt er und ich zucke mit den Schultern und blicke zu Valentin, der das Ganze stillschweigend über sich hat ergehen lassen.

„Du musst nicht,“ meint er und ich schüttle den Kopf. „Ich will aber.“

„Dann mach es richtig. Mach es vor allen. Und zwar schnell,“ meint Benni nun wieder und ich nicke und blicke mich dann.

„Aber nicht hier.“

„Warum nicht? Angst vor Gottes Strafe?“, grinst mein bester Freund ich verziehe den Mund. „Wir haben einige Gläubige in der Familie – glaubst du, ich will, dass die mich hier mit brennenden Fackeln verfolgen?“

„Du guckst zu viele Filme, Joshua,“ meint Benni nur lachend und winkt uns dann mit sich. Zu Dritt rutschen wir in die Sitzreihe, in der auch meine Oma und Tante Inge sitzen, die mich auch gleich freudig begrüßt und mir ein Bild von Anna zeigt.

Die – also Anna – ist übrigens voll hässlich. Schon traurig, was alte Leute alles unter schön verstehen. Aber was erwarte ich auch von Menschen, die alles mit Blümchenmuster dekorieren?
 

Nach der Kirche stehen Valentin, Benni und ich etwas abseits vor der Kirche, während meine Eltern mit dem Pfarrer reden und alle anderen Verwandten freudig plappern.

„Du und Anna – ein Traumpaar,“ zieht mich Valentin auf und ich grinse und schnappe nach seiner Hand.

In dem Moment ertönt eine Stimme hinter uns, die verlauten lässt: „Das finde ich auch!“

Ich blicke entsetzt meine Oma an, die sich angeschlichen hat und lasse Valentin wieder los. So schnell dieser Anflug von Panik aufgekommen ist, so schnell vergeht er aber wieder und ich trete einfach näher an meinen Freund heran und zupfe eine imaginäre Fussel von seiner Strickjacke.

„Was meinst du, Josh?“

Sie sieht mich erwartungsvoll an und ich zucke mit den Schultern und meine: „Nicht mein Typ.“

Sie nickt und murmelt etwas davon, dass ich ja auf Schwarzhaarige stehe, das wisse sie.

Ich nicke und lasse meine Hand an Valentins Arm herunterstreifen, berühre dabei kurz seinen Handrücken, ehe wir uns trennen. Rosa scheint dies nicht zu bemerken, oder nicht zu verstehen, denn sie sagt nichts, sondern unterhält sich mit Benni. Der Chameur beginnt natürlich sofort, ihr Komplimente zu machen. Ich verdrehe die Augen und bringe Valentin damit zum kichern.

„Lassen wir es einfach,“ meint er und ich schüttle den Kopf und in dem Moment kommt meine Mutter zu uns.

Ich sehe sie an und sie blickt fragend zurück.

„Mum,“ meine ich leise – so dass Rosa es nicht hört – „Glaubst du, der Zeitpunkt passt?“

Sie braucht nicht fragen, was ich meine, sondern nickt nur. „Einen passenden gibt es nicht, Joshua. Zumindest nicht so einen, wie du es dir erhoffst.“

Ich nicke, weil sie damit Recht hat, und packe – aus einem Impuls heraus – Valentins Hüften, sehe ihn fragend an. „Okay?“ Er nickt und meint leise: „Okay.“

In dem Moment spüre ich Rosas Blick auf mir und lasse Valentin doch wieder los. Sie sieht uns dennoch prüfend an und meint noch einmal: „Schwarzhaarige.“ Und in dem Moment weiß ich, dass sie es weiß und sie weiß, dass ich weiß, dass sie es weiß und wir blicken uns an und nicken und dann meint sie: „Kommt. Fahren wir los. Ich kriege nämlich langsam Hunger!“
 

Ich bin bereit. Ich spüre, dass ich bereit bin, seit Rosa nur genickt hat, statt etwas Böses zu sagen. Auch, wenn sie die Fahrt über ein wenig schweigsam und nachdenklich war.

Aber ich habe die Kraft, jetzt in den Saal voller Menschen zu treten, die mich kennen, seit ich in die Windeln scheiße und nie auch nur eine wage Vorstellung davon hatten, dass ich einen Kerl bumse.

Ich sehe zu diesem Kerl – den ich wirklich sehr gerne bumse - und seufze. Denn im Gegensatz zu mir ist dieser Kerl nämlich ganz und gar nicht bereit. Was erklärt, warum er hysterisch mit seinem Kajal kämpft, der ihn in Bächen über seine Wange läuft.

„Valentin,“ meine ich noch einmal und umschlinge seine Hüften fester. „Schau doch, wie meine Oma es aufgenommen hat. Es wird schon alles gut.“

Er schüttelt heftig den Kopf und wischt erneut über seine Augen, macht damit alles noch schlimmer. Ich seufze.

„Nicht jeder reagiert so, wie deine Eltern,“ versichere ich ihm, aber er kreischt: „Wer sagt mir, dass es nicht so ist?“

Ich seufze.

„Rosa…“

„Sie ist alt und senil!“, faucht er und ich muss grinsen. „Nur ein wenig,“ meine ich und er schnieft.

„Valentin,“ meine ich und drehe ihn in meinem Griff, küsse ihm eine salzige Träne von der Wange.

„Es ist alles okay, ja?“ Aber das überzeugt ihn nicht. Ich hauche ihm einen Kuss auf die Lippen. „Ich krieg das hin, ja?“

Er schüttelt den Kopf und ich seufze. „Marzipanschnütchen,“ meine ich lächelnd und bringt ihn damit wenigstens kurz zum Lachen.

„Alles wird gut.“

Er beißt sich auf die Lippen und in dem Moment kommt Benni mit einer Packung Taschentücher ins Klo gestürmt. In dem befinden wir uns übrigens. Valentin legt die kratzigen Papierhandtücher weg und nimmt die Tempos an sich, schnäuzt dann die Nase.

Ich helfe ihm, seine Augen von der Schminke zu befreien und dann lasse ich Benni auf ihn einreden, während er sich seinen Kajal nachzieht.

Bennis Coming-out verlief ganz anders, als Valentins. Nämlich mit einigermaßen positiven Reaktionen von allen Seiten.

Das macht Valentin zumindest etwas Mut, wenn er auch meint: „Ich will nicht, dass sie dich meinetwegen hassen.“

„Wenn sie mich wegen so was hassen, dann scheiß ich auf sie,“ meine ich und schnappe seine Hand. „Und jetzt gehen wir da rein!“

Ehe er protestieren kann, schleife ich ihn aus dem Klo und Benni folgt uns.

Im Flur, vor der Tür zum Festsaal, bleiben wir stehen. „Bereit?“, fragt Benni und ich nicke und auch Valentin nickt nach einigen Sekunden zaghaft.

Mein bester Freund lächelt uns noch einmal aufmuntert zu, ehe er die Türe öffnet und eintritt. Wir folgen ihm und ich schließe die Türe und blicke dann Valentin an.

Er sieht aus, als ob er gleich schreiend wegläuft. Um das zu verhindern und um es endlich offiziell zu machen, nehme ich seine Hand fest in meine und führe ihn zu unserem Platz.

Ich weiß, dass wir alle Blicke auf uns haben. Und ich weiß, dass das Getuschel, dass kurz darauf im Raum ausbricht, uns gilt. Valentin ist schon wieder kurz davor, loszuheulen und plötzlich bekomme ich doch wieder Panik. Scheiße. Scheiße!

Der Stuhl fühlt sich kalt an und unbequem, als ich mich setze. Überhaupt scheint das einzig Warme in diesem Raum Valentins Hand zu sein. Ich blicke zu Benni, der irgendwo anders sitzt – bei den Freunden der Familie – und er nickt uns aufmunternd zu.

Keiner spricht mich an und ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. Meine Mutter beschließt, dass sie die Situation irgendwie auflockern muss und steht auf, bedankt sich noch mal, dass alle gekommen sind und wünscht Guten Appetit.

Danach geht das Fest weiter – mehr oder minder. Garantiert diskutieren fast alle bis wirklich alle über uns und garantiert bedeuten die komischen, erstickenden Geräusche neben mir nichts Gutes. Ich sehe zu Valentin, der halb hyperventilierend auf seinem Stuhl hockt.

„Alles Gut,“ meine ich leise zu ihm und in dem Moment taucht meine Patin hinter mir auf und strahlt mich an.

„Oh mein Gott, Joshi!“, ruft sie und ich starre sie an, während sie Valentin anstarrt. „Da hast du dir aber was Süßes gesucht!“

„Ähm,“ mache ich hilflos, während sie ihm die Hand unter die Nase hält. „Ich bin Tanja, Joshuas Patin.“

Valentin ergreift sie unsicher und sie grinst wieder begeistert. Bisher dachte ich immer, dass meine Patin normal im Kopf ist. Aber offenbar ist sie nicht ganz so zurechnungsfähig, wie angenommen.

„Valentin,“ krächzt eben jener und sie winkt uns begeistert zu, ehe sie wieder zu ihrem Platz eilt, weil das Essen serviert wird.

Valentin sieht mich an und ich grinse. „Siehst du?“, frage ich und er nickt langsam.

Jetzt wesentlich entspannter, kann ich sogar das Essen genießen.

Allerdings weiß ich auch, dass die jetzige Harmonie irgendwie nur die Ruhe vor dem Sturm ist. Es muss einfach so sein. Hier sind fast einhundert Leute im Raum. Und auch wenn die meisten es gut aufnehmen – ich kann nicht erwarten, dass es alle tun. Und genau so ist es auch.

„Dann ist es jetzt also ein anderer Junge geworden?“, fragt Rosa mich, während wir essen, und ich nicke und sie nickt ebenfalls. Irgendwie können wir das verdammt gut – dieses gemeinsame Nicken.

„Nun… dann soll es wohl so sein, was?“, meint sie nervös lächelnd und ich nicke wieder. Diesmal nickt sie nicht.

„Und du bist dir sicher, dass es das Richtig ist?“, fragt sie nur und ich weiß nicht mehr, ob sie es nun akzeptiert oder nicht. Die Frage beantwortet sie sich aber von selbst, als ich auf ihre Frage hin nicke und sie wieder nickt und meint: „Dann ist es gut.“

Wieder entspannter, nippe ich von meiner Cola und spucke diese quer über den Tisch, als sie fragt: „Und wie funktioniert dann der Sex?“

„Oma!“, meine ich entsetzt, weil seltsamerweise die halbe Tafel zu mir blickt und auf Antwort wartet.

„Na ja… Ich meine… er ist ja nun keine Frau.“

Sie grinst mich an und steckt sich ein Stück Braten in den Mund. Ich laufe rot an. „Ja… Nein… also… ist er nicht, aber…“

Was soll ich sagen? Das er trotzdem ein Loch hat?

„Mutter,“ meint in dem Moment Erwin und sieht mich dabei angeekelt an. „Ich möchte so Etwas nicht beim Essen besprechen.“

Die Art, wie er ‚so Etwas’ sagt, oder überhaupt, wie er es sagt, lässt mich die Augen verengen. Als er das merkt, blickt er mich feindselig an und dann angewidert zu Valentin.

„Warum nimmst du dir nicht gleich ein Mädchen, wenn du eh auf Kerle stehst, die aussehen, wie Tunten?“

Ich kann gar nicht so schnell erfassen, was geschieht, als auch schon alles in Chaos stürzt. Valentin stürmt auf und davon, meine Oma kreischt empört Erwin an und ich stehe plötzlich und habe alle Blicke auf mir.

Warum das so ist, merke ich erst, als mir bewusst wird, dass ich Erwin meine Cola ins Gesicht gekippt habe.

„Joshua!“, höre ich meine Mutter rufen und blicke zu ihr und dann zu Benni und Tanja – die irgendwie nebeneinander saßen – und nun beide aufspringen und Valentin nachlaufen. Ich weiß gar nicht, was ich zuerst tun soll.

„Schuldigung,“ murmle ich in Richtung meiner Mutter, stelle dann das Glas ab und renne dann auch aus dem Raum, werfe dabei fast eine Kellnerin um, die mit einem Tablett hereinbalanciert.

Ich finde Valentin im Flur, auf einer Couch, zwischen Tanja und Benni. Letzterer hat ihn im Arm, während Erste ihn über den Rücken streichelt.

Ich schiebe sie Beide weg und sie sind so taktvoll, uns alleine zu lassen, während ich Valentin eng an mich ziehe.

„Es tut mir Leid,“ meine ich und bin überrascht, wo die Tränen in meinen Augen herkommen.

„Das muss es nicht. Mir tut es Leid,“ murmelt er und ich versuche, ihn fragend anzusehen, was nicht geht, weil er sein Gesicht an meine Brust gepresst hat.

„Was tut dir Leid?“, frage ich.

„Das ich dir so viel Ärger mache.“ Ich schüttle den Kopf. „Valentin… Red doch keinen Unsinn. Mir tut es Leid, dass er so etwas gesagt hat.“

„Dafür kannst du nichts.“

„Doch. Ich hätte auf dich hören sollen. Ich hätte es lassen sollen. Ich…“

Valentin löst sich von mir. Seine Augen sind wieder verschmiert und ich stelle fest, dass ich zwei schwarze Flecken auf meinem weißen Hemd habe, was mir total egal ist.

„Nein, Joshi. Ich bin Schuld, dass dich jetzt alle hassen und…“

Ich küsse ihn sanft, ehe er weiter sprechen kann. „Hör auf, dir die Schuld zu geben!“

Er krallt sich in mein Hemd und ich ziehe ihn wieder an mich.

„Es tut mir Leid, dass er dich beleidigt hat,“ meine ich noch einmal und er schüttelt den Kopf. „Doch!“, meine ich brummig, „Das darf er nicht, dass…“

Und plötzlich spüre ich wieder diese Wut in mir hochsteigen, die mich vorhin zu meiner blinden Aktion gebracht hat.

Auf einmal möchte ich noch viel mehr tun, als ihn nur Cola ins Gesicht schütten. Ich möchte ihn packen und schlagen, bis er sich kaum mehr regen kann.

Wie kann er es wagen, meinen Freund zu beleidigen?

„Joshua.“

Ich blicke auf und in das Gesicht meiner Mutter. Wo kommt sie auf einmal her?

„Es tut mir Leid, dass ich deine Feier gesprengt habe,“ meine ich zu ihr.

Sie schüttelt den Kopf.

„Kommt wieder rein. Bitte,“ meint sie und blickt zu Valentin, streichelt ihm sanft über die Wange. „Kommt.“

Ich weiß nicht, was das bringen soll. Aber weil ihre Stimme so sanft ist, stehen wir auf und folgen ihr.

Im Saal sind alle um normale Konversation bemüht, während mein Vater mit Erwin, Rosa und Tanja in einer Ecke steht und diskutiert.

Meine Mutter begleitet Valentin zu seinem Platz zurück, wo sich auch gleich Benni um ihn kümmert, während ich zu der ‚geselligen’ Runde marschiere.

„Du solltest dich entschuldigen,“ meint mein Vater zu mir, kaum dass ich bei ihnen stehe. Ich sehe ihn an, dann Erwin, dann meine ich: „Nein.“

„Joshua!“

„Frank!“ Das ist Tanja, die nun die Hände in die Hüften stemmt. Mein Vater aber ignoriert sie und sieht mich an. Ich ignoriere ihn auch und blicke zu Erwin: „Mir egal, ob du es toll findest oder eklig oder sonst wie… Ich will, dass du es respektierst. Und ich will, dass du nie wieder meinen Freund beleidigst.“

„Joshau!“, meint mein Vater wieder, aber zu meiner Überraschung ist es meine Oma, die nun meint: „Es reicht!“

Sie sieht ihre Jungs an und meint: „Denk, was du willst, Erwin. Aber unterlass derartige Äußerungen,“ sie wendet sich wieder meinem Vater zu: „Und du solltest toleranter werden. Er ist dein Sohn und er weiß, was er tut. Fang endlich an, dass zu akzeptieren.“

Während wir sie alle mit großen Augen anstarren, kommt meine Mutter wieder zu uns.

„Da fragt jemand nach dir,“ meint sie zu mir und zupft auffordernd an meinem Ärmel. Ich blicke zu meinem Freund habe plötzlich das Bedürfnis, ihn in den Arm zu nehmen und ihn vor der ganzen Welt zu beschützen, die manchmal so gemein zu ihm ist.

Wie konnte ich ihm nur so eine Situation zumuten? Statt ihn zu beschützen, habe ich ihn mit mir ins Unheil gezerrt.

Plötzlich fühle ich mich unglaublich schlecht und fürchte fast, dass ich Valentin jetzt nicht trösten kann, sondern selbst Trost brauche.

Nun leise ich jedenfalls meiner Mutter Folge und eile zu ihm, werfe mich förmlich auf meinen Platz und ergreife seine Hände.

Er sieht mich an und ich lächle und küsse seine Stirn. „Und?“, wispert er leise und ich nicke und ziehe ihn in eine feste Umarmung. Sein Körper fühlt sich seltsam steif an, während er auf Antwort wartet.

„Alles geklärt,“ meine ich deshalb schnell und er entspannt sich ein wenig.

Sanft streiche ich über seinen Rücken und trotz meiner inneren Aufgewühltheit und Valentins hysterischen Anfall habe ich plötzlich Bock auf Sex.

Als ich das Valentin ins Ohr flüstere, muss er lachen. „Du bist unmöglich,“ murmelt er und ich zucke mit den Schultern.

„Ich will dir nur zeigen, dass du das Wichtigste für mich bist,“ murmle ich und er wird rot und haucht mir dann einen Kuss auf die Lippen. „Das weiß ich auch so,“ nuschelt er und wir baden ein wenig in dem Kitsch, der uns umgibt, bis meine Oma zu uns zurück kehrt und uns wohlwollend anlächelt.

Ich sollte mich bei ihr bedanken, dass sie so hinter uns stand. Aber ich kriege kaum ein Wort heraus. Viel zu benebelt bin ich von Valentins Anwesenheit und Nähe.

Erwin und seine Frau Angelika – die übrigens nichts zu dem Thema gesagt hat, weil sie noch nie eine eigene Meinung hatte – tauschen Plätze mit Tanja und Benni.

Dadurch lockert sich die Stimmung schon aufgrund der veränderten Sitzordnung.

Keine Ahnung, ob Erwin nun am anderen Ende des Raumes über mich lästert oder sich anhören darf, wie dumm er ist – es interessiert mich auch nicht.

Ich blicke zu den Menschen, die mir in meiner Familie immer am wichtigsten waren. Meine Oma – die als einzige von meinen Großeltern noch lebt –, die immer für mich da war. Meine Patin, die eigentlich nur die beste Freundin meiner Mutter ist, mir aber immer näher stand, als manch anderer Mensch in meiner Familie.

Und Benni, der gar nicht zu meiner Familie gehört, aber dennoch so viel mehr für mich getan hat, als alle Anderen zusammen.

„Inge war ganz traurig,“ klärt mich Rosa nun auf und ich vermute, dass Inge wirklich dachte, Anna hätte Chancen bei mir. Ich seufze. „Du kannst ihr sagen, dass ich Anna auch nicht gewollt hätte, wenn ich nicht Valentin hätte,“ meine ich zu Rosa und sie lacht auf einmal los.

Ich sehe sie fragend an und sie zwinkert mir zu: „Sie ist auch viel zu unansehnlich für dich.“

Ich starre meine Oma noch ein wenig an, weil ich kaum glauben kann, dass das gerade aus ihrem Mund kam. „Aber du hast doch immer davon angefangen und…“

Und da lacht sie wieder. „Doch nur, weil ich Angst hatte, mein Enkel findet nie jemanden.“

Daraufhin weiß ich nichts mehr zu erwidern. Rosa lacht noch eine ganze Weile, ehe sie sich in ein sehr intensives Gespräch mit Tanja verwickelt, bei dem sie Beide aussehen, als diskutieren sie gerade über das Fortbestehen der Weltbevölkerung.

Ich blicke zu Benni, der bisher schweigend an seinem Bier genippt hat und meinen Blick nun erwidert.

„Sag es schon,“ fordert er mich auf, aber ich weiß gar nicht, was er will. „Was sagen?“, frage ich deshalb nach und komme mir ziemlich dämlich vor, weil ich keine Ahnung habe, von was er spricht, während es für ihn glasklar ist.

„Das ich mich geirrt habe. Das nicht immer alles so gut laufen kann, wie mein Coming-out damals.“

Ich runzle die Stirn. „Gibst du dir jetzt die Schuld dafür?“, will ich wissen und er zuckt die Schultern. „Alter… Als hätte ich es allen gesagt, wenn ich es nicht selbst gewollt hätte.“

Er scheint nicht überzeugt und ich seufze.

„Sagt mal… es ist mein Coming-out gewesen und ich sollte mich schlecht fühlen, weil nicht meine gesamte Familie es toll aufgenommen hat. Ich sollte mich schlecht fühlen, weil ich euch da mit rein gezogen habe… Wie kommt es dann, dass ihr euch alle noch viel schlechter fühlt, wie ich?“

Benni zuckt mit den Schultern und auch Valentin antwortet nicht.

„Es ist weder deine Schuld,“ meine ich zu Benni, „weil ich selbst diesen Schritt gegangen bin, auch wenn du mich aufgemunter hast,“ ich blicke zu Valentin, „Und es ist auch nicht deine Schuld, nur weil du die ‚Frechheit’ besessen hast, in meinem Leben aufzutauchen.“

Beide schauen mich an wie Eichhörnchen, wenn es blitzt und ich seufzte genervt auf. „Das reicht! Noch ein Wort und ich hetzte euch Jona auf den Hals!“

Die Drohung scheint zu wirken, denn sofort sind sie Beide darum bemüht, vollkommen normal mit mir umzugehen. Ich muss grinsen. Irgendwie hätte ich meine Ankündigung ja gerne wahr gemacht.

Jona hätte ihnen schon erzählt, wie dämliche ihre Schlussfolgerungen sind. In einem-die-Leviten-lesen ist er ja bekanntlich wahnsinnig gut.

„Vielleicht sollten wir uns überhaupt mal bei ihm melden,“ schlägt Benni nun von sich aus vor, „Ihn dürfte das Ganze ja brennend interessieren.“

Valentin nickt. „Sicher ärgert er sich schwarz, dass er nicht dabei gewesen ist.“

Ich muss grinsen. „Überlegt mal. Dann wären hier gleich zwei schwule Pärchen gewesen.“

„Da wäre Erwin sicher auf und davon gerannt,“ lacht Benni.

„Kommt, gehen wir anrufen!“, beschließe ich und wir stehen auf und verlassen zu Dritt den Raum.
 

„Hallo Schatz!“, ruft Benni, als wir wenig später vor dem Restaurant stehen und Jona endlich ans Telefon gegangen ist.

„Habt ihrs überlebt?“

Ich frage mich, woher der Junge eigentlich überhaupt schon wieder Bescheid weiß. Aber zugegeben. Pläne, Gedanken und sonstige Ideen können einfach nicht vor Jona geheim gehalten werden, wenn Benni oder Valentin sie spitz kriegen. Irgendeiner erzählt es Jona immer. In diesem Fall tippe ich sogar darauf, dass Beide ihm ihr Herz ausgeschüttet haben.

„Ja, haben wir. Bis auf eine kleine Eskalation lief es ganz gut.“

Ich beiße mir auf die Lippen, um nicht ‚bisher’ zu sagen. Bisher lief alles ganz gut. Bisher gab es nur Erwins Aussetzer. Aber bisher hat mir auch noch nicht jeder seine Meinung dazu gesagt.

Benni und Jona plappern noch eine ganze Weile, aber ich hab dafür keinen Nerv mehr und wende mich lieber Valentin zu, der schon den ganzen Abend schweigsam ist.

Er sieht mich aufmerksam an und ich ziehe ihn in meine Arme.

„Wenn du dich aufhörst, dir Gedanken zu machen, muss ich dich anders ablenken,“ murmele ich gegen seinen Hals und bedecke diesen mit Küssen.

„Jetzt und hier?“, fragt er belustigt und ich werfe Benni einen Blick zu. „Er wird uns sicher nicht stören.“

Valentin lacht und seine Hände klatschen auf meinen Po. Oh weh… Das sollte er nicht tun.

„Ganz, wie du willst,“ murmelt er und ich erschaudere und bin mir sicher, dass dieser anfängliche Spaß in eine Richtung geht, die nicht mehr jugendfrei ist.

„Was?“, lacht Valentin in dem Moment, in dem ich versuche, auf Abstand zu gehen, „Jetzt doch nicht mehr?“

Ich packe seine Hände, die nach meinen Hüften greifen.

„Noch nicht. Aber später,“ grinse ich verheißungsvoll und er grinst und küsst mich.

Neben uns räuspert sich Benni. „Nehmt euch halt ein Zimmer.“

„Später,“ entgegen wir gleichzeitig und ich schnappe nach Valentins Lippen.

„Ich glaube, die sind beschäftigt,“ hören wir Benni zu Jona sagen, der etwas erwidert, was wir nicht verstehen. Ist auch egal.

Ich beschäftigte mich noch ein wenig mit Valentins Lippen. Was besseres fällt mir momentan auch nicht ein.

Irgendwann lösen wir uns dann und Benni fragt mürrisch, ob wir wieder mit reingehen. Wir nicken bedächtig.

Hoffentlich können wir bald gehen!

Marsmänncheninvasion

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Marsmänncheninvasion [zensiert]

Valentins Hände sind überall. Ich kann gar nichts mehr tun, außer ihm schwer ins Ohr zu keuchen und zu versuchen, nicht einfach den Verstand zu verlieren.

Weil ich nicht länger warten kann, packe ich seine Hüften und mit einem protestierenden Aufschrei seinerseits befördere ich ihn von mir herunter, auf die Matratze meines Bettes.

Wenig später bin ich dann endlich auf ihm, in ihm und könnte sterben, vor Glückseligkeit. Wahnsinn… Wahnsinn…
 

Er ist ein wenig schweigsam, während wir im Bett liegen und ich meinen Arm dicht um ihn geschlungen habe.

Sicher geht ihm immer noch der Abend durch den Kopf. Mir ja auch, wenn er auch irgendwie weit entfernt scheint. Könnte daran liegen, dass ich vom Sex noch so betäubt und mit Glückshormon überhäuft bin.

Zufrieden küsse ich Valentins Schulter und würde ihn am liebsten noch einmal nehmen. Weil er aber so gar nicht reagiert, muss ich diese Überlegung beiseite schieben. Statt dessen drehe ich ihn auf den Rücken und beuge mich über ihn.

„Alles klar?“

Er nickt und lächelt mich an. „Was soll nicht klar sein?“

Ich zucke mit den Schultern und küsse ihn. „Du mist so schweigsam, teilnahmslos…“ Meine Lippen finden seinen Hals und ich beschäftige mich ausgiebig damit.

„Bin müde.“

Ich seufze auf und löse mich von ihm. „Soll mir das dezent sagen, dass es keine zweite Runde gibt?“, frage ich und er nickt. Ich verziehe den Mund, sage aber nichts dazu, sondern lege mich nur wieder neben ihn und schließe ihn in die Arme. Der Tag war ja auch anstrengend. Klar, dass er da jetzt nicht noch einen Sex-Marathon hinlegen will… Dennoch. Ich beiße mir auf die Lippen und frage mich, was dieses Gefühl in mir ist, wie ich es definieren kann.

Enttäuschung vielleicht? Ich nicke. Wahrscheinlich ist es so, ja.

Oder doch nicht? Unsicher horche ich in mich hinein, aber das ist nur eine vage Ahnung, dieses Gefühls, die ich nicht deuten kann.
 

Ich bin müde, als ich am nächsten Morgen aufwache. Was daran liegen könnte, dass Valentins Verhalten mich die ganze Nacht wach gehalten hat, obwohl es doch eigentlich gar nichts Besonderes war.

Er war eben müden und ich nicht. Gut, dass hat dazu geführt, dass er das erste Mal, seit wir zusammen sind, Sex verweigert hat. Aber… mein Gott… wenn er doch müde war.

Ich drehe mich auf die Seite und beobachte ihn beim Schlafen, denn er tut das noch tief und fest.

Sanft streiche ich über seine Wange und küsse seine Schläfe, so dass er gezwungen ist, langsam die Augen zu öffnen.

„Guten Morgen, Hase,“ grinse ich und er verzieht den Mund zu einem hübschen Schnütchen. Ich grinse und frage mich, wann ich eigentlich angefangen habe, so weich und schnulzig zu werden.

„Morgen,“ lächelt er mich an und dieses Lächeln sagt mir, dass alles in Ordnung ist Zufrieden ziehe ich ihn in meine Arme und schalte mich selbst für meine Blödheit, wunder was für Schrott in ein simples ‚Ich bin müde’ zu interpretieren.

„Was machen wir heute?“, frage ich ihn, während ich ihm gedankenverloren durchs Haar streiche.

„Die Anderen treffen, oder?“, fragt er und natürlich hat er Recht. Ich freue mich total, Chris und die Anderen wieder zu sehen.

„Und ich fürchte, ich weiß auch schon, worauf dieses Treffen hinaus laufen wird.“

Er seufzt und ich lache. Oh ja… ich weiß es auch: Basketball!!!!

„Vielleicht können wir abends in einen Club oder so?“, frage ich ihn, weil er sicher sehr leiden wird, wenn wir den ganzen Tag Basketball spielen und er nicht mal Jona zum quatschen hat.

„In einen, in dem eine tolle Band spielt?“, fragt er sofort hoffnungsvoll und dreht sich so, dass er eine Hand frei hat, mit der er Kreise auf meiner Brust malen kann.

Ich nicke: „Natürlich.“

Er strahlt und küsst die Stelle, die er zuvor noch mit Schnörkeln verziert hat. Ich spüre seinen warmen Atem an mir entlang streifen und will ihn gerade bitten, weiter zu machen, da steht er auf.

Ich sehe ihn an. Wie kann er mich scharf machen und dann weggehen? Mit der Aktion gar nicht einverstanden, packe ich sein Handgelenk und ziehe ihn zurück, was ihn zu einem leichten Aufkeuchen bringt.

Dann sitzt er wieder auf dem Bett und ich richte mich auf und halte ihn fest, küsse ihn. Fordernd lasse ich meine Hand zielsicher zwischen seine Beine gleiten und er keucht in den Kuss.

„Wir müssen los, die Anderen warten doch um zehn Uhr auf uns,“ murmelt er, während ich in meiner Tätigkeit fortfahre.

„Na und? Lass sie warten.“

„Joshi…“

Und dann steht er auf und läuft davon. Ich starre ihm nach. „Valentin?“

„Komm schon, wir haben keine Zeit.“

Als hätte ihn das je gestört, wenn wir zu spät kommen. Ich blicke auf die Bettdecke und seufze. Das unangenehme Gefühl, irgendetwas übersehen, verpasst zu haben, ist sofort wieder da.

„Fuck…“

„Joshi!“, ertönt es aus dem Flur und ich stehe auf und folge ihm ins Bad. Schon erhoffe ich mir zumindest eine gemeinsam Dusche, aber Pustkuchen. Kaum bin ich im Bad, wuselt Valentin davon und ruft irgendetwas davon, dass er sich schon anzieht.

Ich starre ihm nach, dann in den Spiegel.

„Es ist alles okay,“ versichere ich mir selbst, schüttle aber gleich wieder den Kopf. „Verdammt… Was ist hier los?“, fluche ich dann ungehalten und greife wütend nach der Zahnbürste.

Ob er wohl ein schlechtes Gewissen hat, wegen gestern. Ob er mir deshalb ausweicht. Aber er weicht mir ja nicht aus. Er weicht nur dem Sex aus. Ob er… ich lasse die Zahnbürste sinken.

Oh mein Gott… und was ist, wenn er den Sex plötzlich schlimm findet? Ich starre an mir herunter. Hilfe! Was, wenn ich es nicht mehr drauf habe? Wenn er keinen Spaß mehr hat?!!! Hab ich zu sehr an mich gedacht?

Ich versuche, mich an gestern zu erinnern. Das Vorspielt bestand aus Liebkosungen von Valentin. Danach habe ich ihn genommen. Oh Gott… vielleicht war er noch nicht so weit. Aber er ist gekommen.

Sogar noch vor mir… Vielleicht gings ihm zu schnell? Vielleicht…?!

„JOSHI! Beeil dich doch mal!“
 

„Wie, ihr habt keinen Sex?“, fragt Benni und starrt mich an, als wäre ich eines dieser verdammten Marsmännchen.

„Gestern habt ihr ausgesehen, als habt ihr gleich auf der Straße Sex.“

Ich seufze. „Wir hatten ja auch Sex, gestern. Aber… seitdem nicht mehr.“

Nun hält er mich erst Recht nicht mehr für ganz dicht. „Wie oft brauchst du es denn, damit du glücklich bist? Fünf Mal am Tag?“

Ich schüttle den Kopf so wild, dass meine Haare mir ins Gesicht klatschen, und versuche dann, ihm zu erklären, was an der Situation so komisch war.

„Warte… Die Sache ist, dass er mal keine Lust hatte, weil er müde war. Und heute morgen, weil ihr offenbar spät dran wart – und da bildest du dir ein, du wärst nicht mehr gut im Bett?“

„Vielleicht hab ich ihm weh getan oder es ging ihm zu schnell oder…“

Benni stöhnt auf und ich komme mir reichlich doof vor.

„Ich hatte halt das Gefühl, dass er es als Ausrede benutzt,“ versuche ich es anders. Benni zieht die Brauen hoch und wirft einen Blick zu Valentin, der mit den anderen Basketball spielt – oder es zumindest tapfer versucht.

„Warum fragst du ihn nicht einfach?“, will er wissen und ich verziehe den Mund. „Wie dumm kommt das denn? Und was soll ich fragen? Warum willst du keinen Sex? Und dann sagt er, dass er es will, aber dass es nicht geht, weil… sonst die Nudeln anbrennen oder so…“

„Oder er sagt dir, was ihn stört.“ Benni sieht mich drängend an, aber ich meine nur: „Ha! Jetzt glaubst du auch, dass ihn etwas stört!“

Er seufzt genervt auf. „Nein. Ich gehe nur gerade von deiner Denkweise aus.“

Ich schüttle den Kopf und von dem ganzen Geschüttel kommt mir eine tolle Idee: „Ruf Jona an und frag ihn, ob Valentin ihm was erzählt hat!“

Die Idee ist so genial, ich bin ganz stolz auf mich. Benni hingegen zeigt mir den Vogel. „Erstens kannst du ihn auch selbst anrufen und fragen und zweites solltes du ihn und mir da rauslassen.“

Er steht auf und läuft in Richtung der Anderen. „Red einfach mal mit ihm.“
 

Aber ich bringe es nicht fertig, mit ihm zu reden.

Deshalb schweige ich, während wir uns umziehen, um uns gleich darauf mit den anderen in dem Club zu treffen, den Valentin schon ausgesucht hat.

Ich schaue ihm zu, wie er sich umzieht und würde gerne über ihn herfallen. Aber absurder Weise traue ich mich nicht, dass zu Versuchen, weil ich Angst habe, er blockt ab.

Umso erleichterter bin ich, als er meinen Blick bemerkt und von selbst auf mich zukommt.

Ich sehe ihn an und er holt sich einen Kuss von mir ab. „Alles klar? Du bist schweigsam,“ murmelt er in diesen.

Ich nicke. „Ich dachte nur gerade daran, wie schön es wäre, dich zu vernaschen.“

Er seufzt und seine Hände streichen über meine Seite. „Und ich dachte gerade, wie schön es wäre, dich zu vernaschen,“ murmelt er verführerisch gegen meine Lippen und ich schnappe nach diesen.

„Ist das eine Herausforderung?“, frage ich und meine Hände streifen über seinen Po, was ihn dazu veranlasst, dasselbe bei mir zu tun.

„Vielleicht.“

Ich küsse ihn noch mal. „Als wenn du eine Chance gegen mich hättest,“ necke ich ihn und in dem Moment löst er sich von mir.

Ich sehe ihn verdattert an. Was ist denn jetzt wieder los?

Auf meinen fragenden Blick hin, zuckt er mit den Schultern. „Die Anderen warten.“

Die Anderen warten! Zwei Mal die gleiche Ausrede!

Ehe ich etwas sagen kann, verschwindet er im Bad, um sich zu schminken. Ich starre auf dem Fleck, auf dem er gerade noch rumgehopst ist und frage mich, was eigentlich los ist.

So langsam, aber sicher, habe ich keine Lust mehr.

Und genau deshalb gelingt es mir nun doch, zu fragen. „Was ist los, Valentin?“, will ich wissen, kaum dass er wieder in den Raum tritt.

Er sieht mich fragend an.

„Warum weichst du dem Sex aus?“

Nun ist er es, der mich anstarrt, als wäre ich ein Marsmännchen. Ich weiß gar nicht, was das soll. So undeutlich drücke ich mich doch nicht aus und so unbegründet sind meine Fragen und Festestellungen auch nicht, als dass er nicht verstehen kann, was ich meine.

Er schüttelt nun jedenfalls den Kopf. „Tu ich nicht.“

Aber irgendetwas an seiner Stimme sagt mir eindeutig, dass er es wohl tut! Deshalb sage ich: „Doch! Tust du!“

„Wir hatten gestern Abend Sex, Josh.“

Ich will protestieren, aber er ist schon wieder im Flur.

„Jetzt komm doch mal in die Gänge!“
 

Der Club ist scheiße, weil gerade alles scheiße ist. Valentin und Chris verschwinden auf der Tanzfläche und ich frage mich, seit wann Chris auf solch scheiß Musik steht und wieso ich mir über solche absurden Fragen Gedanken mache.

„Habt ihr geredet?“, will Benni wissen und Lukas und Vic sehen mich fragend an. „Um was geht’s?“, fordert Vic eingeweiht zu werden und ich seufze und zucke mit den Schultern. „Wenn ich das wüsste, wäre ich weiter,“ gebe ich zu und blicke auf meine Hände. Wir haben uns an einem Tisch niedergelassen und uns was zu trinken geholt. Nun umklammere ich mein Bier und schiele zu dem unberührten Gin Tonic, den Valentin wollte, und der nun neben mir steht.

„Josh ist der Meinung, Valentin weicht dem Sex aus,“ klärt Benni die Jungs auf, weil ich keine Anstalten zu mache.

Ich sollte sauer sein. Was geht er damit hausieren? Aber dann ist es mir doch egal. Sollen sie es doch wissen. Vielleicht ahnen sie ja gar etwas, was mir bisher verborgen geblieben ist.

Aber stattdessen sehen sie mich nur genauso an, wie zuvor schon Benni und Valentin: Wie Marsmännchen.

Was soll das werden? Eine Invasion?

„Wieso sollte er? Ich dachte, ihr seit glücklich?“, fragt Vic nun überrascht und ich zucke mit den Schultern.

„Vielleicht hast du abgebaut im Bett,“ neckt Lukas mich und ich zeige ihm den Mittelfinger.

„Vielleicht bildest du es dir aber auch einfach ein!“ Das ist Benni, der davon felsenfest überzeugt ist.

Ich murre und blicke zu Valentin, der mit Chris tanzt. Ich wünschte mir, Jona würde auch nur so ein Programm machen, bei dem er normal studiert und folglich auch normal Semesterferien hätte. Dann könnte er jetzt hier sein und mir helfen.

Ich sehe flehend zu Benni, der sofort weiß, was ich will, noch ehe ich fragen kann. „Klär das selbst, was soll Jona schon machen?“

Ich seufze frustriert auf.

„Ich habe ihn ja schon gefragt. Aber er hat abgestritten. Da komme ich nicht weiter.“

„Warum wartest du nicht erst Mal eine Situation ab, in der es keine Ausreden gibt und schaust, wie er da reagiert. Vielleicht wollte er uns wirklich nur nicht warten lassen,“ schlägt Vic mir nun vor und ich muss zugeben, dass die Idee alles andere als verkehrt ist.

Ehe ich aber groß etwas dazu sagen kann, taucht Chris neben mir auf und erschreckt mich fast zu Tode, weil ich so in Gedanken vertieft war.

„Wo ist Valentin?“, frage ich, weil der nämlich nicht dabei ist.

„Tanzt noch,“ erwidert der Jüngste in unserer Runde und ich runzle die Stirn und sehe mich suchend um. Leider finde ich ihn aber nicht.

„Warum?“, meine ich deshalb. Chris guckt mich an, als wäre die Frage total komisch – um nicht zu sagen, dass er wie gewisse Planetenbewohner guckt, auch wenn das eine sehr zutreffende Beschreibung wäre – und trinkt dann einen großen Schluck seiner Cola.

„Weil er noch Lust hat?“, fragt er dann zurück, als wäre das sonnenklar. Na ja… ist es auch. Wenn man nicht gerade mit Sexunlust des Partners beschäftigt wäre und jedes ungewöhnliche Verhalten als potentielle Gefahr deuten müsste.

Wir unterhalten uns eine Weile und ich versuche, meine Probleme auszublenden. Dann aber muss ich feststellen, dass Valentin einfach keine Anstalten macht, zu uns zurück zu kommen und ich sage mich los und suche ihn.
 

Eigentlich ist er nicht zu übersehen. Er ist der, der so wahnsinnig sexy tanzt, dass es einem ganz anders werden kann. Das Problem an der Sache ist, dass er nicht alleine ist. Sondern mit einem Mädchen tanzt, dass ihn dermaßen anhimmelt, dass einem echt schlecht werden kann.

Was will die denn von ihm?

Ich schrubbe mit mürrischem Blick näher an die Beiden heran und reiße die Augen auf, als ihre Hände auf seinem Arsch landen.

WHAT! THE! FUCK!!!!!!!

Ehe ich etwas tun kann, wuchte sich eine Hand auf meine Schulter und ich blicke mich um und erkenne Lukas hinter mir.

„Was tut er da?“, fragt er mich und nickt in Richtung Valentin. Ich zucke mit den Schultern und beobachte weiterhin den Paarungstanz zwischen ihm und der Tusse.

„Fakt ist, dass der Spaß jetzt ein Ende hat,“ maule ich wild entschlossen und Lukas zieht die Brauen hoch. Erst denke ich, er tut das, weil er meine Reaktion nicht nachvollziehen kann. Dann aber meint er: „Fragst du dich gar nicht, warum er das tut?“

Ich schlucke und blicke zu ihm.

„Das kann ich mich fragen, wenn er von dieser notgeilen Fickbarbie in Sicherheit ist!“

Ich löse mich von Lukas und stürme zu Valentin, packe unsanft sein Handgelenk und ziehe ihn zu mir.

„Was soll das?“, werde ich sogleich angezischt und er reißt sich los und funkelt mich an.

„Das Gleiche könnte ich dich fragen!“, zische ich zurück.

„Ich tanze nur!“

„Du tanzt, als legst du sie gleich auf der Tanzfläche flach! Oder sie dich. Oder wie auch immer.“

"Du weißt genau, dass ich dich nie betrügen würde!", empört er sich.

"Dann benimm dich nicht wie ein rolliger Kater!"

Er will etwas erwidern. Ich sehe, dass es ihm förmlich auf der Zunge liegt, bereit, mir ins Gesicht zu springen. Aber er schluckt seine Wörter hinunter und stürmt nur an mir vorbei.

Ich folge ihm auf dem Fuße, bis wir den Club verlassen haben. Kalte Luft schläft mir entgegen und ich atme tief eine, ehe ich meine: „Seit gestern Abend bist du total komisch! Was ist los? Warum bist du auf einmal so?“

Er antwortet nicht und mein Geduldsfaden reißt. Unsanft packe ich seine Oberarme und ziehe ihn zu mir: „Verdammt! Weißt du, wie sich das anfühlt, wenn du so obsessiv mit einer Tussi tanzt?“

Plötzlich schlägt die Wut in pure Verlustangst um. So sehr Valentin auch an meine Seite passt, so sehr muss ich doch fürchten, dass er mich irgendwann verlässt. Für einen anderen Jungen, für ein anderes Mädchen… man weiß es doch nicht.

Offensichtlich wird ihm klar, dass ich gerade ziemlich verletzt und angsterfüllt bin, denn er meint: „Ich hab doch gerade schon gesagt, dass ich dich nicht betrügen würde. Weil ich dich liebe."

"Was soll das dann alles?", frage ich ein wenig hilflos.

Darauf antwortet er nicht. Er meint nur: "Lass uns heim gehen.“

Und so gehen wir, ohne den anderen Bescheid zu sagen.
 

Wenn ich geglaubt habe, die Sache war mit dem Ausbruch erledigt, dann täusche ich mich gewaltig. Die Stimmung zwischen uns ist unterkühlt, als wir ins Bett gehen und schweigend nebeneinander liegen.

„Sag mir doch bitte, was ich falsch gemacht habe,“ bitte ich ihn und er blickt mich an und ich glaube, ein wenig Reue in seinem Blick zu spüren. Ob es ihm Leid tut, dass er mich so im Ungewissen lässt und mich damit dermaßen aufwühlt?

Ich erwarte, dass er etwas sagt oder tut, aber statt dessen richtet er sich nur auf und rollt sich auf mich. Ich spüre seine Lippen auf meinen und komme nicht umhin, er erschrocken Aufzukeuchen. Was soll das denn jetzt werden? Ich komme nicht dazu, die Frage laut zu stellen, weil seine Hände bereits überall sind.

Daraus schließe ich einfach, dass er mir zeigen will, dass doch alles in Ordnung ist und ich es mir nur eingebildet habe.

Also nehme ich einfach hin, was er tut und stöhne und keuche, als gäbe es kein Morgen. Irgendwann sind wir Beide nackt und bereit, zum nächsten Teil zu kommen. Aber als ich versuche, ihn zu drehen, packt er energisch meine Hände und pinnt sie über meinem Kopf fest, küsst mich dann nur fordernd. Ich spüre, wie sich seine Beine zwischen meine drängen und diese auseinander drücken und in dem Moment weiß ich, was er vorhat.

Ehe ich groß etwas tun kann, ist Valentin in mir und… mein Gott… So ungewohnt es auch ist… so schön ist es doch auch, sich ihm völlig hinzugeben.

Das scheint er übrigens auch zu denken, denn er kommt relativ schnell und lässt sich dann keuchend auf mich fallen.

Schwer spüre ich seinen verschwitzen Körper auf mir.

Nun muss ich meine Schlussfolgerung nochmals überdenken und im nächsten Moment wird mir klar, was das Ganze sollte.

„Das ist alles?“, rutscht es mir heraus und er hebt müde den Kopf und sieht mich an. Als ich ihn diesmal von mir rolle und mich über ihn beuge, wehrt er sich nicht und hält mich nicht auf.

Ich sehe ihn an. „Es ging nur darum, dass du mal wieder oben liegen wolltest?“

Er zuckt mit den Achseln.

„Das ist nicht dein Ernst! Und deswegen dieses Verstecken und dieses Drama mit dieser Tusse?!“

Er öffnet den Mund und will etwas sagen, lässt es dann aber. Also habe ich Recht!

„Warum hast du nicht einfach was gesagt?“, frage ich ungläubig.

„Weil ich dachte, dass du es nicht verstehst und…“

„Mein Gott, Valentin!“, falle ich ihm ins Wort. „Du weißt doch, dass ich alles tun würde, um dich glücklich zu machen.“

Er blickt an einen undefinierbaren Punkt an der Zimmerdecke. „Du benimmst dich manchmal so, als wäre ich nicht dein Freund, sondern deine Freundin… Aber ich bin auch nur ein Mann… manchmal… muss ich mich auch mal austoben.“

Ich grinse und seufze gleichzeitig.

„Dann sag mir das das nächste Mal einfach.“ Ich küsse ihn kurz und er lässt es geschehen.

Natürlich hat er Recht. Ich habe das Gefühl, zwei Jahre reichen nicht, um mir darüber klar zu werden, dass ich mit einem Jungen zusammen bin und dass Jungs anders ticken, als Mädchen und auch anders behandelt werden wollen.

Ich bin einfach von ausgegangen, dass Valentin das Mädchen in unserer Beziehung mimt und habe dabei vergessen, dass es so einfach nicht ist.

„Willst du jetzt immer oben liegen?“, frage ich ihn und mich gleichzeitig selbst, ob ich das wirklich so prickelnd finden würde. Einmal, ja. Zweimal… von mir aus. Dreimal… na ja…

„Nein. Nur ab und zu.“

Ich nicke und kann damit leben.

Aber glücklich bin ich nicht. Wieso ist es mir nicht aufgefallen, wo ich doch immer das Beste für ihn will?

Ich kenne ihn in und auswendig. Ich weiß alles über ihn. Ich weiß, was ihm gefällt, und was nicht. Weiß, dass er es am liebsten von vorne hat, weil er mir da in die Augen gucken kann. Ich weiß, dass sein Hals und seine Seiten wahnsinnig sensibel sind. Ich weiß, dass er es nicht leiden kann, wenn ich seinen Bauchnabel mit der Zunge liebkose. Ich weiß, dass er total in Fahrt kommt, wenn wir seine schreckliche Musik dabei hören. Ich weiß das alles. Ich weiß alles, was man nur wissen kann - nur nicht, was er sich wünscht? Warum habe ich nicht gemerkt, wie sehr ihm ein Rollenwechsel gefallen würde? Weil ich es selbst hasse, unten zu liegen und es deshalb ausgeblendet habe? War ich so egoistisch? So ein schlechter Freund?

Ich seufze und das bringt ihn dazu, sich aufzurichten.

„Hör auf, dir Gedanken zu machen,“ bittet er mich.

Ich sehe ihn an und empfange seine Lippen. „Vergessen wir es einfach?“

Ich nicke und stimme zu, aber so wirklich glücklich bin ich nicht. Ich werde demnächst viel mehr auf ihn eingehen müssen. Viel, viel mehr! Ich werde... ihm alles geben, was er nur will! Am besten, ich fange gleich damit an!

Ich suche seinen Blick und eine ganze Weilse sehen wir uns nur in die Augen, dann breitet sich ein anzügliches Lächeln auf meinem Gesicht aus: „Und jetzt?“

Er sieht fragend zurück.

„Aktiv oder passiv?“

Ehe er versteht, was ich meine falle ich schon über ihn her. Irgendwann stoppe ich und warte auf Antwort, aber als er fordernd die Beine spreizt, habe ich meine Antwort auch schon und komme diesem Wunsch sofort nach.

Vom Training und dem Poltergeist

Das nächste Semester beginnt ziemlich chillig, was ich gar nicht erwartet hätte. Wahrscheinlich habe ich mich so auf die Prüfungen und den damit verbundenen Stress konzentriert, dass ich schon gar nicht mehr daran geglaubt habe, dass es auch ohne geht. Aber tatsächlich ist es so. Unser Alltag geht einfach weiter. Valentin hat weiterhin seine Bandproben, ich weiterhin mein Basketballtraining. Dazwischen Lesungen und viele gemeinsame Stunden, die wir zu nutzen wissen.

Fast habe ich Angst, es könnte langweilig werden. Weil eben alles so einfach ist und so alltäglich. Aber wenn ich daran geglaubt habe, dass es mit Valentin jemals langweilig oder alltäglich werden könnte, dann habe ich mich ziemlich getäuscht…
 

„Es ist schön, dass du wieder hier bist,“ begrüße ich Tobias bei unserem ersten Training. Er lächelt begeistert und haut mir mit voller Wucht auf die Schulter, so dass ich fast vorn über fliege. Tobias nimmt davon wenig Notiz, begrüßt nur alle anderen aus dem Team. Wir sind heute nur zu Sechst, was ungewöhnlich ist. Gerade beim ersten Training nach den Ferien kann man eigentlich damit rechnen, dass alle erholt bereitstehen.

Aber wenigstens sind die Stammspieler alle hier. So können wir zumindest in unserer gewohnten Formation Pässe üben.

Sascha ist der einzige, der neben uns noch hier ist. Er ist unser zweiter Center, kann Tobias auch das Wasser reichen. Ich glaube, dass kann jeder hier. Wir sind nicht mehr in einer kleinen Schulmannschaft, sondern hier, wo einfach jeder sein Bestes gibt, wo jeder wie ein Profi spielen möchte.

Manchmal muss ich mir das neu ins Gedächtnis rufen. Vor allem dann, wenn ich solche Leute wie Rick um mich herum habe.

Mittlerweile habe ich mich über unseren Power-Forward informiert. Er heißt eigentlich Richard, will aber nur Rick genannt werden. Auch nicht Richie oder so… nur Rick. Keine Ahnung, wie er darauf kommt, aber mir soll es Recht sein. Ich versuche sowieso, gar nicht mit ihm zu reden.

Das er unser Power-Forward ist, passt hingegen wie Faust aufs Auge. Ich war immer Vic gewöhnt, der mit fester Entschlossenheit zur Sache gegangen ist, aber dabei doch nur kraftvoll und nie brutal war. Rick hingegen macht seinem Ruf alle Ehre. Als Power-Forward sollte man eben durchsetzungsstark und kräftig sein – was er ist. Und was er ausnutzt. Es ist anstrengend, weil er so ständig vom Platz geschmissen wird, weil er zu viele Fouls macht.

Ich habe schon überlegt, ihm eine andere Position zu geben. Eine, in der er nicht nur blocken muss, wo er mehr offensiv, statt defensiv spielt. Aber irgendwie findet sich da keine passende. So undurchdacht er auf dieser Position ist, so sehr passt sie doch auch zu ihm.

Frustriert wende ich mich von ihm ab. Er ist mir ein Dorn im Auge. Er und seine Position. Es bereitet mir viel Kopfzerbrechen, keine Lösung zu finden. Andererseits glaube ich manchmal, dass es nur meine persönliche Abneigung ist, wegen der ich so viel nachdenke und ihn am liebsten rausschmeißen würde.

Deshalb bin ich wohl auch erleichtert, dass ich nun nicht mehr alleine Kapitän bin, dass Tobias wieder hier ist. Tobias, der uns auch ganz viel Neues aus Amerika zeigen kann – Neues, dass ich gar nicht mehr erleben konnte.

Neidisch bin ich deshalb nicht. Ich finde meine Entscheidung, zu Valentin zu fahren, immer noch richtig. Eine Karriere als Profi – das habe ich mir mittlerweile aus dem Kopf geschlagen. Man kann auch gut sein, ohne zu den Besten zu gehören.

Etwas, was ich Valentin auch oft ans Herz lege, wenn der über seine Musikerkarriere nachsinnt. Was ich Valentin dabei nie sage ist, dass ich finde, dass er besser ist, als diejenigen, die man als Beste handelt. Dass er ein ganz Großer werden könnte.

Nein, dass sage ich nicht. Nicht, weil ich Angst hätte, dass er mich dann verlässt, sondern um es ihm nicht noch schwerer zu machen. Denn ich glaube, er weiß es selbst und hat seine Entscheidung bereits für sich getroffen.

„Hey, Josh! Was denkst du so angestrengt nach?“, Tobias sieht mich Stirn runzelnd an, „Wir haben bereits angefangen!“

Ich blinzle überrascht und bemerke erst jetzt, dass die Anderen sich bereits aufwärmen, während ich noch starr vor mich hin blickend im Raum stehe. Hastig setzte ich mich in Bewegung.

In der Halle Runden zu joggen ist eine dämliche Aufgabe, die aber dennoch sein muss, um warm zu werden. Wenigstens kann ich so im Laufen mit Tobias die Trainingsplanänderungen noch einmal kurz besprechen.

Wir haben uns bereits einmal getroffen und darüber geredet. Eigentlich ist auch alles klar. Aber ein paar Fragen habe ich dennoch, denn ich war nicht die ganze Zeit mit in Dallas, weiß bei einigen Dingen ja doch nicht, wie genau sie funktionieren sollen, worauf man achten soll. Aber Tobias wird das schon machen.

Nach dem Aufwärmen üben wir Pässe.

Ich bilde mit Daniel ein Zweiterteam. Daniel ist unser Shooting-Guard und er macht seine Sache ganz gut. Er trifft ziemlich oft, stiehlt dem Gegner auch oft den Ball. Und dennoch vergleiche ich ihn viel zu oft mit Jona, treibe ihn zu Höchstleistungen an, zu denen er gar nicht fähig ist. Ich weiß, dass es unfair ist. Ich weiß, dass ich verwöhnt bin. Aber was soll ich tun. Ich kann nicht aufhören, dass Team hier mit meinen Freunden zu vergleichen. Nicht, dass diese unbedingt besser waren. Im Gegenteil. Eigentlich habe ich hier eine hochwertigere Mannschaft (Abgesehen von Daniel, der natürlich keinem Spieler wie Jona das Wasser reichen kann). Aber der Zusammenhalt, diese Freundschaft, die sich im Spiel ausgewirkt hat… Das habe ich hier nicht mehr und ich fürchte, dass werde ich hier auch nie mehr haben.

Ich bin froh, als wir endlich aufhören, hin und her zu rennen und uns dabei Pässe zu zuspielen. Stattdessen werfen wir nun nacheinander Körbe, ehe wir ein kleines Spiel wagen wollen. Das Körbewerfen tut gut. Das war es, was ich schon immer am Basketball geliebt habe. Dieses stetige Werfen, die Konzentration dabei… Dabei kann man nachdenken. Es ist toll.

Allerdings hält unsere Konzentration nicht lange an, denn während wir gerade alle nacheinander werfen, tritt jemand in die Halle und blickt sich unsicher um.

Gleich in den ersten Tagen haben Tobias und ich die Neuen gecastet, zusammen mit unserem Trainer, der mehr als Mentor, denn als Trainer fungiert. Jedenfalls haben wir nicht wirklich viele neue Talente entdecke, aber ein guter Spieler war dann doch dabei, der es sofort in unsere Mannschaft geschafft hat. Alle anderen werden bei jenem Lehrer, der für uns zuständig ist, noch geschliffen, wie rohe Diamanten.

Louis jedenfalls heißt der Neue und er kommt zu spät, was man ihm nachsieht, wenn man ihn anschaut. Er hat einen treuherzigen Blick drauf und ist klein und zierlich. Wenn man ihn so sieht, würde man fast glauben, er wäre noch in der Schule, nicht aber hier an der Uni.

Wer ihn aber unterschätzt, hat das Spiel so gut wie verloren, denn er ist klein, wendig und ziemlich gut. Er spielt auf der Position, auf der auch ich spiele. Sozusagen mein Ersatz… Ich mache mir keine großen Sorgen darum, dass er mir den Platz wegschnappen könnte. Freilich, Louis ist gut. Aber er ist nicht so gut, wie ich. Und er wird es nicht sein. Dafür sorge ich schon, in dem ich hart an mir arbeite.

Da Louis sich erst noch aufwärmen muss, gehen wir anderen doch noch einmal zum Muskeltraining über und ich seufze, während ich mich in ein kleines Gespräch mit Andreas verstricken lasse.

Andreas ist unser Small-Forward. Die Position, die immer Benni innehatte und irgendwie die Einzige, die ich nie vergleiche. Ich sage nie, dass Andreas schlechter oder besser ist, wie Benni. Zu Anfangs war ich mir nicht so sicher, warum ich das tue. Weil ich Angst hatte, jemanden zu finden, der besser ist. Oder weil ich Angst hatte, dass ich mir dann auch noch Benni herwünschen würde.

Letztlich wurde mir aber bewusst, weshalb ich das nicht tue: Weil es zu sehr schmerzt. Immer mehr vermisse ich meine Freunde, unser frühes Team. Ich fühle mich hier nicht so wohl, wie in meinem alten Team. Und wenn ich an Benni denke, in diesem Zusammenhang, wird das Gefühl am stärksten, schlimmsten.

Deshalb denke ich nie an Benni, wenn ich mit Andreas zusammen bin. Weil ich sonst keine Lust mehr hätte, in diesem Team hier zu verweilen.

Ich habe schon oft mit Valentin darüber gesprochen und er versteht es Recht gut. Er sagt, dass wäre so, als wenn er plötzlich mit einer anderen Band spielen müsste, mit der er sich teilweise gar nicht versteht. Er sagt, er würde dann sicher keinen Takt halten können und wäre nicht so eingespielt und harmonisch.

Und damit hat er Recht. Genau das ist es, was mich in diesem starken, aber herzlosen Team manchmal stört.

Der Einzige, mit dem ich wirklich auskomme, ist Tobias. Bei dem Center muss ich nicht ständig an Lukas denken, weil er diesen würdig ersetzt. Auf allen Ebenen. Müsste ich hingegen mit Sascha als Center dauerhaft auskommen, so wie es im letzten Semster, während Tobias Abwesenheit, der Fall war, so wäre dies schon schwieriger.

Über diese trüben Gedanken hinweg, kommt mir manchmal der Gedanke, einfach aufzuhören.

Wenn ich Valentin davon erzähle, dass sagt er mir immer mit strenger Miene: „Aber das ist es, was dir Spaß macht. Das ist das, was du bist. Hör auf zu jammern und kämpfe lieber!“

Und da hat er irgendwie Recht. Also kämpfe ich, in dem ich im Spiel einfach immer mein Bestes gebe – und zumindest darin sind sich ja beide Teams komplett gleich: Sie alle geben immer ihr Bestes!
 

Als ich nach dem Spiel nach Hause komme, ist Valentin schon längst dort. Er hatte keine Bandprobe, ist deshalb hier und scheint mal wieder in eine Biografie irgendeines Künstlers versunken. Oder besser gesagt, er war darin versunken. Nun liegt er nämlich ausgestreckt auf der Couch, den Arm hängt schlaff an der Seite herunter, in der Hand hält er noch das Buch. Der andere Arm liegt auf seinem Bauch. Er schnarcht nicht, aber ich höre ihn tief ein- und ausatmen.

Ich muss lächeln und trete näher. Leise gehe ich vor ihm in die Hocke und streiche ihm vorsichtig eine verirrte Strähne aus dem Gesicht. Ich will ihn nicht wecken. Auch, wenn es verführerisch wäre, mit ihm in die Kissen zu hüpfen.

Aber ich habe Hunger. Das Training hat mich ausgelaugt, ich muss jetzt was essen. Unbedingt. Also begnüge ich mich damit, ihm einen Kuss auf die Stirn zu hauchen und mich dann leise wieder zu verziehen.

Ich bin in der Küche, als ich es höre. Es ist ein leises Poltern.

Ich runzle die Stirn und stecke den Kopf aus der Tür, blicke durch den kleinen Flur ins Wohnzimmer. Erst denke ich, Valentin ist das Buch aus der Hand gefallen, aber er liegt noch immer schlafend dort, das Buch in der Hand.

Ist wohl etwas anderes umgefallen. Wäre ja nicht das erste Mal, dass Valentin etwas in den Schrank gestellt hat, wackelig und unaufgeräumt, so dass es letztlich darin umgefallen ist.

Ich wende mich also wieder dem Versuch zu, Nudeln mit Gemüse anzubraten und es irgendwie chinesisch zu würzen. Gerade, als die Nudeln aufkochen, poltert es wieder.

Entnervt laufe ich ins Wohnzimmer, aber ich sehe einfach nichts.

Um ganz sicher zu gehen, schleiche ich auch noch in unser Schlafzimmer, knipse das Licht an und sehe mich um. Nichts.

„Verdammt… wollt ihr mich verarschen?“, murmle ich vor mich hin, als plötzlich ein lautes Zischen ertönt. Ich fahre erschrocken zusammen, bis ich bemerke, dass es das Nudelwasser ist, das überkocht. Hastig sprinte ich in die Küche und rette, was es noch zu retten gibt.

Genervt ausatmend, mache ich mich dann danach, den Ofen zu reinigen, während die matschigen Nudeln mit dem Gemüse in einer Pfanne braten.

Fast hätte ich es nicht gehört, aber dann ist da doch wieder dieses Poltern. Es scheint aus Richtung Wohnzimmer oder Schlafzimmer zu kommen, aber ich blicke dennoch ins Bad.

Langsam komme ich mir paranoid vor, aber dann ertönt es wieder und so langsam verliere ich die Geduld.

Ich frage mich, ob es aus einer anderen Wohnung kommen kann, aber eigentlich sind die Wände dick genug.

Ich trete ins Wohnzimmer. „Valentin?“, frage ich leise, aber der schläft tief und fest und ich weiß nicht, ob ich ihn wecken soll, oder nicht.

Eigentlich kann es ja nichts Schlimmes sein. Einen Einbrecher hätte ich ja schon längst gesehen.

Also gehe ich wieder in die Küche und versuche, dass leise Poltern zu ignorieren, dass ab und an ertönt. Als ich gerade über dem würzen bin, habe ich plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden.

„Bist du also endlich aufgewacht,“ frage ich, erhalte aber keine Antwort. Als ich mich umdrehe, sehe ich einen Schatten im Flur davon huschen und fahre zusammen.

„Valentin!“

Ich renne ins Wohnzimmer und Angesprochener murrt nur und schlägt sich die Hand über die Augen.

„Musst du so einen Krach machen?“, schnurrt er, ehe er tatsächlich wieder einschläft. Ich will ihm sagen, dass hier etwas in der Wohnung ist, aber irgendwie… ist hier nichts in der Wohnung.

Ich werde wahnsinnig, ist meine schlichte Erkenntnis. Entweder das, oder wir haben uns einen Poltergeist eingefangen.

Ich seufze und da ist es wieder. Ein Schatten im Flur. Langsam schleiche ich mich an, aber sehe nichts. Die Badtür ist verschlossen, als muss es – was immer es ist – in der Küche sein. Diese betrete ich nun vorsichtig und sehe mich um.

Doch da ist nichts. Nur ein zischendes Geräusch meiner Nudeln, die gerade ankokeln, ist zu hören.

Ich gehe zum Herd, rühre noch einmal und stelle diesen aus, die Pfanne auf eine kühle Herdplatte.

Und im nächsten Moment schreie ich laut auf, als etwas mein Bein streift und trete instinktiv danach, bekomme auch etwas Weiches zu fassen.

Dieses weiche Etwas faucht auf und ich spüre einen heißen Schmerz an meinem Bein, jaule nochmals und will erneut danach treten, als Valentin plötzlich neben mir steht: „BIST DU BEKLOPTT! DU MACHST IHM ANGST!“

Aus großen Augen sehe ich zu meinen Freund, der geflogen sein muss, so schnell wie er hier war.

„Was?“, frage ich völlig verständnislos und sehe ihm zu, wie er irgendetwas vom Boden aufsammelt.

„Du machst ihm Angst,“ erklärt er mir erneut und deutet auf ein pelziges Etwas in seinen Armen.

Ich starre es an, es starrt aus gelb-grünen Augen zurück und faucht.

„Was ist das?“, rutscht es mir heraus und Valentin verdreht die Augen.

„Als ich das letzte Mal hingeschaut habe, war es ein Kater.“

Ich sehe das plüschige Ding an. Valentin krault es hinter dem Ohr und es beginnt zu schnurren. Es ist ein ganz hässliches Vieh. Schwarz mit weißer Schnauze. Offenbar ein räudiges Straßentier, denn das Fell glänzt nicht besonders, ist nahezu verstrubbelt, und ihm fehlt das halbe Ohr.

„Lass ihn los, sonst holst du dir noch ne Krankheit,“ meine ich besorgt zu Valentin, der nur den Kopf schüttelt. „Er ist gesund, keine Bange. Ich war schon beim Tierarzt mit ihm.“

Ich seufze.

„Magst du mir sagen, warum du eine Straßenkatze hier her gebracht hast?“

„Ich hab ihn gefunden. Er war ganz verängstigt. Ein Hund wollte ihn angreifen. Kannst du dir das vorstellen? Ich hab ihn also mitgenommen.“

„Und dabei riskiert, von einem Hund gebissen zu werden?“

„Ich musste ihm doch helfen.“

Ich verziehe den Mund. „Können wir ihn jetzt wieder aussetzen?“

„JOSHI!“, empört sich mein Freund daraufhin und presst das Vieh an sich, dass es sicher gleich erstickt – womit das Problem wenigstens gelöst wäre.

„Wir können ihn doch nicht aussetzen.“

Ich schließe die Augen und balle die Hände zu Fäusten, um mich zu beruhigen.

„Besteht für mich auch nur die mindestes Chance, dass wir das Vieh in ein Tierheim bringen?“, frage ich dann und Valentin hält mir das Ding direkt vors Gesicht. Ich weiche zurück, ehe es mich kratzen und entstellen kann.

„Guck doch wie er guckt.“ Ich gucke also, wie er guckt und seufze. Damit ist die Frage eindeutig beantwortet.

„Ich hasse Katzen,“ murre ich und Valentin drückt sich an mich. „Ich wollte schon immer eine Katze. Weißt du, ich durfte nie ein Haustier haben…“

„Schon gut,“ seufze ich, „Schon gut…“

Mein Freund strahlt und lässt das Tier laufen. Es kringelt sich aber nur an Valentins Beinen entlang und das nervt mich ziemlich. Das sind die Beine von meinem Freund… da hat es nicht dran rum zu schwänzeln…

Ich muss über mich selbst grinsen. Eifersüchtig auf eine Katze…

Valentin kuschelt sich an mich, schafft es aber irgendwie, mit dem Fuß den Kater zu streicheln.

„Er braucht noch einen Namen,“ murmelt er.

„So hässlich, wie er ist, könnten wir ihn Missgeburt nennen.“

„Joshiiiii,“ quengelt Valentin und ich seufze. „Schlag du einen vor.“

„Wir könnten ihn ja Andy nennen,“ grinst er und ich verdrehe die Augen.

„Missgeburt. Sag ich ja,“ grinse ich und erhalte einen Knuff von Valentin. „Das sollte ein Spaß sein, aber jetzt…“

Der Emo geht in die Knie und streicht… ‚Andy’…. über das eklige Fell.

„Bist du sicher, dass das Vieh gesund ist?“, frage ich und nehme mir vor, es auch noch mal zum Tierarzt zu schicken, ehe wir noch alle drauf gehen.
 

Genau eine Woche später wird mein Training vom nervigen Klingeln meines Handys unterbrochen. Die Jungs sehen mich tadelnd an, während ich zur Bank laufe und das Handy aus meinen Rucksack ziehe.

„Ja?“, frage ich ein wenig genervt, aber schon wieder besänftigt, weil ich Valentins Nummer sofort erkannt habe.

„Er ist weg.“ Ich raffe erst gar nicht, was los ist. Nur langsam verstehe ich, dass Valentin geweint haben muss, weil er so verschnupft klingt.

„Wer ist weg?“, frage ich begriffsstutzig und Valentin schluchzt nun doch wieder auf.

„Andy!“

Ich kann nicht sagen, dass ich wirklich traurig deshalb bin, aber ich lasse mir nichts anmerken, sage auch zu, als Valentin mich bittet, sofort zu kommen.

Ich verlasse also frühzeitig das Training und mache mich auf zum Wohnheim.

Die Woche mit der Katze war furchtbar.

Während Valentin der Meinung war, dass das Tier total lieb und brav ist, habe ich mich jeden Tag ärgern müssen.

Tatsächlich hat es zu Anfangs bei uns im Bett geschlafen, dass ich die ersten Tage nicht mal Sex hatte. Und dann hat Valentin angefangen, mich zu betatschen und wir hatten Sex, während das Tier zugeguckt hat. Den Emo schien das gar nicht zu stören, aber ich kam mir irgendwie beobachtet vor. Und Andy hat sicher den Schock seines Lebens bekommen.

Am Ende hat das Teil mir dann den Arsch zerkratzt, weil es mich plötzlich angesprungen hat. Keine Ahnung, was mit dem Vieh los ist. Vielleicht hält es Valentin ja für ein Weibchen – sein Weibchen…

Jedenfalls hasst mich die Katze. Und lässt mich das auch spüren.

Das Ding war es auch, dass mein eines Trikot zerrissen hat, weil es unbedingt damit spielen musste. Da habe ich ein neues bestellen müssen – und das kommt teuer. Valentin wollte mir zwar das Geld geben, aber ich habe dann doch abgelehnt.

Doch dafür ist mein Hass auf das Katzentier umso mehr gewachsen. Das es jetzt weg ist… nicht wirklich tragisch…
 

„Wahrscheinlich hat er das Leben auf der Straße vermisst. Er war immer frei, jetzt war er hier eingesperrt… Das war wohl zu viel auf seine alten Tage…“, tröste ich Valentin, aber der schüttelt den Kopf.

„Hier ist doch sein Essen. Wenn er noch am Leben wäre, dann käme er zumindest zum Essen. Wie konnte ich nur heute morgen die Türe so lange auflassen?“

Er schnieft und ich streiche beruhigend über seinen Rücken.

„Jetzt warte doch erst Mal ab, vielleicht kommt er ja in den nächsten Tagen noch vorbei,“ meine ich und küsse sein Haar. Er nickt und schnäuzt seine süße Nase.

„Und wenn nicht?“, keucht er letztlich und ich seufze und drücke ihn fester an mich. „Wenn nicht, dann… behalten wir ihn in guter Erinnerung und hoffen, dass er dort, wo auch immer er jetzt ist, glücklich ist.“

Das scheint mir ein Klischee-Spruch zu sein, aber er wirkt. Valentin nickt und vergräbt seine Hase an meinem Shirt, rotzt es wahrscheinlich voll.

Aber das stört mich nicht. Ich streichle weiter über seinen Rücken und hoffe, dass Andy wegbleibt. Nicht, dass ich will, dass er tot ist. Aber… er braucht auch nicht mehr hier her kommen.

Und tatsächlich tut er das auch nicht. Und nach einer Woche ohne Andy glaubt Valentin auch nicht mehr daran und hakt die Sache langsam ab.

Ich erzähle Valentin nicht, dass einer unserer Nachbarn eine tote Katze zwei Straßen weiter gesehen hat, die aussah wie Andy. Dass sein Katerchen wohl von einem Auto überfahren wurde… das muss ich ihm nicht sagen. Das würde er nie verkraften.

Allerdings geht mir dafür seine Aussage nicht mehr aus dem Kopf: „Ich durfte nie ein Haustier haben…“

Irgendwie finde ich das schade, weil ihm offenbar viel daran liegt.

Also tue ich das, was ich am besten kann, wenn ich nicht weiter weiß: Ich rufe Benni an.

„Wenn er ein Tier will und du ihm den Wunsch erfüllen willst, kannst du das nur tun, in dem du ihm ein Tier schenkst,“ haut der mir die volle Packung Logik um die Ohren.

„Aber ich mag keine Katzen! Man hat ja an ‚Andy’ gesehen, wie furchtbar die sind!“

„Andy?“ Benni lacht laut los und ich verdrehe die Augen, schweige dazu.

„Wenn du ein kleines Babykätzchen holst, dann kannst du das ja… erziehen.“ Er lacht wieder.

„Dann habe ich auch noch für so ein Vieh Verantwortung… und wenn das dann auch wieder überfahren wird, dann flippt Valentin aus!“

Benni lacht erneut auf. Wenigstens er kann sich amüsieren.

„Ich finde das nicht witzig,“ fauche ich und er grinst: „Ich schon.“

Ich verdrehe die Augen.

„Du hast doch nur Angst, dass die Katze dein Häschen für sich beschlagnahmt…“

Ich antworte nicht darauf. Nicht, weil es mir zu blöd ist, sondern weil er Recht hat. Peinlich…

„Wusste ich es doch… Man Joshi… das ist ein Haustier… Kein zweiter Sven!“

„Du hast ja Recht!“, lenke ich ein.

Als ich auflege, kann ich nur noch seufzen.

Bis eben saß ich in der Küche, nun stehe ich auf und will ins Wohnzimmer, renne aber fast gegen Valentin.

„Du bist schon da?“ Was ist mit seiner Bandprobe?

Er nickt und grinst mich an und ich fürchte, dass er mein Gespräch mitgehört hat.

„Was hältst du davon, wenn wir eine Babykatze holen?“, frage ich also notgedrungen und zur Antwort bekomme ich einen Kuss.

Katzenjammer

Selbst, wenn man Katzen nicht süß findet, so muss man bei diesen Babykatzen doch ins Schmachten geraten. Wie sie einen aus großen, treuherzigen Augen ansehen… unbeschreiblich niedlich.

Valentin ist ganz hin und weg und begutachtet mit der Besitzerin jede Katze fachmännisch. „Dieser hier ist ein wahrer Schmusekater. Den ganzen Tag will er nur kuscheln,“ erklärt sie uns und hebt ein Tier hoch, dass komplett weiß ist und nur einen schwarzen Fleck auf der Nase hat. Alle die Tiere sind schwarz-weiß. Genau wie Andy. Überhaupt haben sie einige Ähnlichkeit mit Andy, nur, dass keine ein kaputtes Ohr hat und alle gepflegter aussehen. Und süßer. Was aber an ihrem Alter liegen könnte…

„Und diese hier… ja die ist total aufgedreht. Ein richtiger Wirbelwind!“, ruft sie begeistert und zeigt auf eine Katze, die gerade eine Decke in der Mangel hat. Ich weiß ja nicht, ob sie schon die Krallen hat, das Teil zu zerfetzen, aber ein Riss ist deutlich erkennbar. Reizend…

Ich begutachte die Tiere für mich alleine, während Valentin sich für jede Katze eine Story anhören darf und finde ein Tier, dass irgendwie verkümmert aussieht. Also… es ist noch kleiner, als die anderen Babykatzen und sieht aus wie ein Häufchen Elend. Ich hebe es hoch und blicke es an. Erschreckender Weise hat es viel Ähnlichkeit mit Andy. Schon alleine die Musterung, oder Fellfarbe oder wie man dazu sagen möchte, sieht Andys zum Verwechseln ähnlich.

Es blickt mich aus traurigen Augen an und will sicher sagen: „Nimm mich, sonst nimmt mich keiner!“

Hastig setze ich sie wieder ab, aber da kreischt die Besitzerin schon ein lautes ‚Oh’ und packt das arme Tier unsanft, zerrt es zu sich: „Und das hier ist der kleine Merlin. Er ist der jüngste und noch ein wenig schwach auf dein Beinen. Seine Geschwister meiden ihn, aber ich bin sicher, dass er es mal zum tollsten Kater der Welt schaffen wird!“

Sie streichelt liebevoll über seinen Kopf, was das alles schon wieder rührselig werden lässt.

Ich will ihren Glauben nicht kritisieren, kann mir aber kaum vorstellen, dass ‚der kleine Merlin’ es wirklich mal zu einem geachteten Stubentiger schaffen könnte!

Das sage ich aber nicht, weil mein skeptischer Blick schon Bände spricht und die Frau mich bereits missbilligend betrachtet.

„Den nehmen wir!“, ruft in dem Moment Valentin und ich dachte schon, sie hätte ihm die nächste Katze auf den Arm gehievt, als mir klar wird, dass er von Merlin spricht.

Ich starre ihn an und auch die Frau kann es kaum glauben.

„Wirklich?“, fragt sie und ist plötzlich ganz aus dem Häuschen. „Ja, wenn ihr Merlin echt eine Chance geben wollt, dann gebe ich euch sogar einen Sonderpreis!“, ruft sie begeistert und ich wette mein ganzes angespartes Vermögen darauf, dass sie geglaubt hat, das Vieh nie los zu werden.

„Valentin?“, frage ich panisch, aber der hebt das Kätzchen nur hoch und redet liebevoll auf es ein: „Ja, du bist ein feiner großer Kater…“

Ich verdrehe die Augen.

Sein ‚feiner großer Kater’ sieht aus, als wenn er den nächsten Morgen nicht erlebt, aber das stört Valentin nicht. Er streichelt über das Fell und schaut mich glücklich an.

„Ist er nicht süß?“, fragt er und ich verkneife mir einen Kommentar und bezahle lieber die Frau, die uns schnell loswerden will, ehe wir es uns anders überlegen.

„Dann mach es mal gut, Merlin,“ schnurrt sie und streichelt ihn noch einmal. Sicher macht sie drei Kreuze am Kalender, wenn wir das Tier endlich mitgenommen haben.

Wir verlassen ihre altmodisch eingerichtete Wohnung, in der es nach Katzenpisse gestunken hat, und laufen zu dem Auto, dass ich gemietet habe, um in den Vorort von Köln zu kommen. Zwar hätten wir auch die Bahn nehmen können, aber Valentin war der Meinung, dass dies nun wirklich keine geeignete Transportmöglichkeit für ein Kätzchen gewesen wäre.

Deshalb das Auto.
 

Merlin schläft, als wir zu Hause ankommen. (Vielleicht ist er auch tot, so genau kann man das nicht sagen.) Valentin jedenfalls nimm ihn vorsichtig aus dem Karton – wir haben noch kein Tragekörbchen – und legt ihn auf die Decken, auf denen Andy immer gehaust hat. Das beunruhigt mich. Vielleicht ist da drin noch eine Herde an Viren und Bakterien, die Merlin noch schneller hinraffen werden, als sowieso schon nötig… auch, wenn wir die Decke drei Mal in der Kochwäsche hatten.

Der Kater schläft immer noch und Valentin sieht mich begeistert an und plötzlich wechselt der Ausdruck in seinen Augen und ich weiß, was es bedeutet.

„Es ist toll von dir, dass wir ein neues Kätzchen geholt habe,“ schnurrt er und ich schnurre auch, weil ich weiß, dass ich dafür jetzt ausgiebigste entschädigt werde. Ich packe sein Handgelenk und ziehe ihn zu mir, küsse ihn.

„Ich freue mich, wenn du dich freust,“ murmle ich und küsse ihn und er schlingt die Arme um meinen Hals.

Okay, scheiß auf das Gefühlsgedusel… Ich schnappe ihn mir, hebe ihn hoch und trage ihn begeistert ins Schlafzimmer. Die Tür schließe ich, ehe Merlin genauso ein Spanner wird wie Andy, und dann nehme ich mir, was mir eindeutig zu steht, nach all dem Katzenjammer!
 

Ich spüre einen Blick auf mir und sehe stirnrunzelnd über die Schulter. Die anderen ziehen sich ebenfalls um und jeder ist mit sich selbst beschäftigt. In der Umkleide stinkt es unangenehm nach Schweiß und muffeligen Socken, was auch von dem heißen Dampf, der aus den Duschen kommt, nur minimal gedämpft wird.

Ich bin schon fast fertig, habe auch schon geduscht. Stinken tue ich wahrscheinlich trotzdem noch, also werde ich es noch mal wiederholen müssen, wenn ich zu Hause bin.

Wieder dieser Blick. Irgendwer beobachtet mich doch!

Heute sind wir übrigens vollständig. Auch die anderen, die neulich gefehlt haben, sind wieder da. Alle hatten sie eine andere Ausrede, und Tobias und ich das Problem, die Wahrheiten und die Lügen zu unterscheiden. Nicht, dass auf ein geschwänztes Training mehr Strafe gestanden hätte, als ein paar Runden mehr in der Halle zu drehen. Dennoch!

Seufzend packe ich meine Klamotten in meinen Rucksack und in dem Moment spüre ich wieder diesen Blick! Langsam entnervt, wende ich mich um und zucke erschrocken zusammen, weiche einen Schritt zurück.

„Rick!“, fauche ich, weil ich mich wirklich erschrocken habe.

„Kannst du mir was erklären?“, fragt er und ich fürchte, dass es nichts Gutes sein wird. Ich sehe ihn an und er mustert mich von oben bis unten.

„Wieso stehst du auf Jungs?“

Ich starre ihn an und langsam werde ich wütend. „Was soll das?“, gifte ich und schiebe ihn weg, packe mein Zeug und will die Umkleide verlassen.

„Jetzt warte gefälligst mal,“ murrt er und folgt mir.

„Ich will es wirklich verstehen. Warum stehst du auf Schwänze?“

Genervt wirble ich zu ihm herum, während ich Tobias alarmierten Blick auf uns fühle.

„Hör auf, ihn zu provozieren!“, ruft in dem Moment Andreas, der es nicht leiden kann, wenn es Streit gibt.

„Rick!“, meint auch Tobias mit warnendem Tonfall.

„Was denn?“, wendet sich Angesprochener an diese und sieht dann wieder mich. „Ich will nur wissen, wieso er auf diesen kleinen Emo steht. Was ist an ihm so toll?“, fragt er nun wieder mich direkt und verzieht das Gesicht: „Du bummst doch genau genommen einen Jungen, der aussieht wie ein Mädchen, nicht? Wieso? Warum nimmst du dir keinen richtigen Kerl?“

„Es reicht! Wie wäre es, wenn du noch ein paar Runden in der Halle joggst, um wieder klar zu kommen?“, donnert Tobias, während ich Rick nur wütend ansehen kann.

Dieser ignoriert meinen Blick und auch Tobias und tritt dicht an mir heran.

„Verrätst du es mir?“, will e wissen und ich schnaube nur und verlasse den Raum.

„Warum antwortest du nicht, Joshi? Hast du keine Antwort?“

Belustigt grinsend schüttle ich den Kopf und mache, dass ich nach Hause komme. Ich will mich nicht von ihm provozieren lassen. Er macht das gleiche, was damals Mike mit Benni und Jona abgezogen hat – und darauf habe ich keinen Bock!

Keine Ahnung, warum es ihm so viel Spaß macht, darauf herumzureiten, dass ich schwul bin und Valentin mein Freund. Was stört er sich überhaupt an Valentin? Er hat mit ihm doch gar nichts zu tun!

Zu Hause empfängt mich jedenfalls Merlin, der begeistert um mein Bein streicht. Nicht, weil er mich mag, sondern weil ich der nette Typ bin, der ihn nachmittags Fresschen gibt.

Ich klatsche also herzlos das eklig riechende Zeug aus der Packung in seinen Napf und stelle es ihm hin. Sofort vergräbt er sein Gesicht darin und sieht dabei weder elegant noch stolz aus, was man von einer Katze ja erwarten könnte.

Seufzend lehne ich mich an die Küchenanrichte und sehe Merlin beim Essen zu, lasse mir das Geschehen noch mal durch den Kopf gehen.

„Was würdest du tun, Merlin, wenn dich ein anderer Kater nerven würde, nur weil du eine hübsche Lady begehrst?“, frage ich und grinse belustigt, weil ich Valentin in meiner Metapher zu einer Lady mache.

Er sieht kurz auf und guckt mich an, als wäre ich nicht ganz dicht. Natürlich hat er Recht. Er wird in dieser Wohnung nie eine Lady kennen lernen und schon gar keinen Kampfkater, der ihn diese streitig macht.

Cleveres Vieh, muss man ihm lassen.

„Aber nehmen wir an, es wäre so. Was würdest du tun?“, rede ich weiter auf ihn ein und er isst nur gemütlich sein Meistermenü.

„Ignorieren also… ja… das ist man manchmal leichter gesagt, als getan,“ seufze ich. Heute konnte ich es noch, aber ich weiß, wenn ich nicht bald Konter gebe, dann eskaliert die Sache nur.

Mike konnte man schließlich auch nicht freie Hand lassen – obwohl alles Gegenarbeiten ihn wiederum nur provoziert hat.

„Manche Menschen sind richtige Arschlöcher,“ kläre ich Merlin auf, „Schreib dir das hinter die Ohren.“

Er hat fertig gegessen und läuft einfach davon, um es sich auf der Couch gemütlich zu machen, auf der er gar nichts zu suchen hat.

Ich mache mir nicht die Mühe, ihn runterzuschubsen, weil seine Erziehung Valentins Aufgabe ist –das war der Deal, dass so ein Tier wieder angeschafften werden durfte: Joshua hat keine Arbeit!

Außerdem ist es mir zu blöd, dass wir immer solche Sonderfälle an Katzen hier haben, die man erst Mal zurechtweisen muss, damit sie hören. Und vielleicht habe ich auch ein wenig Angst, dass der Kater mir wie Andy den Arsch zerkratzt, wenn ich ihm zu nahe komme.

Ganz abgesehen davon sag ich mich mit einem viel größeren Problem konfrontiert: Rick. Wie würde ich es nur schaffen, diesen Volltrottel davon abzubringen, ständig auf meiner Beziehung zu Valentin herum zu reiten?

Wahrscheinlich gar nicht. Aber zumindest musste ich ihm Einhalt gebieten.

Mike hat damals erst Ruhe gegeben, als er mit Amelie zusammen gekommen war und das Team verlassen hat. Aber ich kann Rick schlecht kicken, nur weil er mich nervt. Und die Mühe, ihn zu verkuppeln, mache ich mir sicher nicht.

Mürrisch sammle ich Merlins Napf auf und spüle ich aus. Das Tier hat einen Hunger – unglaublich!

„Joshi?“, ertönt im nächsten Moment Valentins Stimme aus dem Flur und nach einigem Gepoltert steht er in der Küche und strahle mich an. Ich strahle zurück.

„Hey,“ murmle ich und schlinge die Arme um ihn, vergrabe meine Nase an seinem Hals.

„Was ist los?“, fragt er. Er schein Radar dafür zu haben, wenn es mir mal nicht so gut geht.

„Training war anstrengend,“ lüge ich deshalb und ziehe ihn noch fester in meine Umarmung. Sicher breche ich ihm gleich das Rückrat.

„Hat Merlin schon gegessen?“, fragt er und ich brumme zustimmend und küsse seinen Hals. Bestimmt grinst er jetzt. Seine Hände kraulen meinen Rücken.

„Was ist wirklich los?“, fragt er dann und ich seufze. „Stress,“ nuschle ich nur und löse mich von ihm, küsse ihn richtig.

Er sieht mich besorgt an und ich schmelze dahin, weil er so niedlich ist.

Mein Gott, denke ich und streiche ihm eine Strähne aus dem Gesicht, wenn Rick dich jetzt sehen könnte, Valentin, dann wüsste er, warum es du sein musst und kein Anderer!

Ich eskortiere ihn Richtung Schlafzimmer und trete dabei fast auf Merlin, der gekommen ist, um Valentin zu begrüßen. Unsanft schiebe ich das Tier mit dem Fuß weg und schließe die Türe, ehe es uns folgen kann.

Dann werfe ich Val aufs Bett und krabble über ihn.

„Wie wäre es, wenn ich dich am Donnerstag wieder vom Training abhole und wir uns einen schönen Tag machen?“, fragt dieser und ich nicke und küsse mich an seinem Hals entlang.

Daraufhin schweigt er und schließt genießerisch die Augen.
 

Das Training am nächsten Tag, wird wie das letzte. Rick ist in der gegnerischen Mannschaft aufgeteilt und foult mich. In den Pausen provoziert er mich.

Und als wir fertig sind, fragt er mich wieder seine dämlichen Fragen, ehe er endlich duschen geht und ich mit den anderen alleine in der Umkleide zurück bleibe.

„Was geht bei dem ab?“, fragt Daniel ungläubig und sieht mich fragend an: „Hast du ihm was getan?“

„Natürlich nicht,“ fauche ich und er hebt abwehrend die Hände.

„Er ist einfach ein Idiot,“ mischt sich Andreas ein und Louis nickt zustimmend. Er ist noch unsicher, ob er als Neuer was gegen Rick sagen darf, aber er kann auch nicht verbergen, dass er ihn jetzt schon nicht leiden kann.

„Joshua,“ meint Tobias und legt mir die Hand auf die Schulter, „du solltest noch mal mit ihm reden.“

An der Art und Weise, wie er mich ansieht und meine Schulter drückt, weiß ich, was er meint und nicke langsam.

„Manchmal ist eines auf die Fresse das einzige, was hilft!“, pflichtet Sascha Tobias bei, der den Blick natürlich auch gedeutet hat.

Tobias verdreht die Augen, als Daniel aufstöhnt und ruft: „Das könnt ihr aber nicht machen.“

„Ich glaube, Joshua muss was machen, ehe er es ist, der was auf die Fresse kriegt,“ erwidert Tobias und das scheint Daniel einzuleuchten.

Und da er damit Recht hat, muss ich wohl tun, was ich so wohl so tun muss.

Ich warte auf Rick, während die anderen Duschen. Als wir endlich alleine in der Umkleide sind, sehe ich meine Stunde kommen.

„Was soll das?“, kreischt Rick, als ich ihn unsanft packe und gegen einen der Spinde donnere. „Ich weiß nicht, wo dein Problem ist, aber ich rate dir, mit deinen Spielchen aufzuhören,“ fauche ich und ungehalten.

„Sonst was?“

„Sonst kriegst du richtig Ärger.“

Er lächelt belustigt. „Und du glaubst, ich habe Angst vor so einer Schwuchtel wie dir?“

„Wenn du es drauf ankommen lasst willst,“ meine ich nur und donnere ihn nochmals gegen den Spind. „Ich warn dich, Rick. Lass mich in Ruhe. Und lass vor allem Valentin in Ruhe.“

Sein Blick wird höhnisch: „Du hast meine Frage immer noch nicht beantwortet… warum so eine Tunte und keinen echten Kerl?“

„Weil er der tollste Mensch ist, den ich kenne.“

Rick verzieht das Gesicht. „Du bist widerlich, Joshua.“

Ich halte einen Moment inne, dann spucke ich ihm ins Gesicht und er sieht mich einfach nur erschrocken an, weil er damit sicher nicht gerechnet hat: „Und du bist erbärmlich.“

Dann lasse ich ihn los und ziehe von dannen. Duschen kann ich auch zu Hause.

„Das wirst du büßen,“ blökt er mir nach und ich verdrehe die Augen.
 

Am Donnerstag ist das Training entspannend, weil Rick eher geht. Keine Ahnung, warum. Er sagt was von einem Termin, aber ob man das glauben kann? Sicher hat er nach meiner Aktion gestern einfach keinen Bock mehr.

Ich jedenfalls freue ich mich auf darauf, dass Valentin mich abholen wird, wie nun fast jeden Donnerstag. Er kommt nach der Bandprobe, wartet dann auf mich, und danach unternehmen wir etwas. Heute wollen wir ins Kino.

Wegen dieser Aussicht beeile ich mich nach dem Training auch extra, dusche schnell und ziehe mich auch relativ zügig an.

Umso größer ist die Enttäuschung, als ich vor die Halle trete und Valentin nicht da ist.

Ich runzle die Stirn, suche nach meinem Handy und rufe ihn an. Es klingelt einmal, dann geht bereits die Mailbox ran. Offenbar ist sein Handy aus, oder der Akku leer.

Ob sie noch proben?

Ich beschließe, zur Musikhochschule zu laufen, aber tatsächlich ist der Proberaum bereits leer – oder fast leer.

Sebastian steht noch dort.

„Hey,“ meine ich und er sieht mich überrascht an.

„Wenn du Val suchst – der wollte dich abholen!“

„Er war nicht vor der Halle,“ meine ich und er runzelt die Stirn, ehe er die Schultern zuckt. „Vielleicht ist ne lange Schlange im Starbucks,“ witzelt er und ich muss ebenfalls grinsen.

Mein nächster Weg führt zu eben jenem Starbucks, bei dem er immer Halt macht, ehe er zu mir kommt, aber auch dort ist er nicht.

Dann wusle ich noch mal zur Sporthalle, aber er ist immer noch nicht da. Ich fürchte, wir haben uns verpasst. Ich hätte erst im Starbucks nachschauen sollen! Sicher hat er hier gewartet, bis Tobias ihm gesagt hat, dass ich schon gegangen bin.

Also gehe ich nach Hause und öffne die Türe.

„Valentin?“, rufe ich in die kleine Wohnung und ein „Ja“ wird zurück gehaucht.

„Tut mir Leid. Ich dachte, du bist noch bei den Proben und bin zur Uni gelaufen… Warst du noch im Starbucks? Hast du lange gewartet?“

Ich trete ins Wohnzimmer.

Er hockt auf der Couch und starrt auf den Fernseher, der allerdings nicht an ist. Merlin hockt auf seinem Schoß und lässt sich streicheln. Ich bewundere seinen Rücken – also Valentins, nicht Merlins -, weil er sich nicht umdreht und seufze: „Bist du sauer?“

„Nein.“

„Wirklich?“

„Ich hab nicht warten müssen. Ich bin schon viel eher wieder nach Hause. Tut mir Leid, dass du mich gesucht hast. Wollte anrufen, aber der Akku war leer…“

Ich runzle die Stirn.

„Wieso bist du nach Hause? Was ist mit Kino?“

Ich zwinge meine Beine, sich zu bewegen und gehe neben ihm in die Knie. Er wendet sich ab und ich seufze: „Was ist los?“

„Nichts!“

„Schau mich an!“

„Nein!“

Ich stöhne frustriert auf und packe sein Kinn. „Valentin, sieh mich an!“, meine ich und zwinge ihn, den Kopf zu drehen.

Im nächsten Moment reiße ich die Augen auf. „Was zur Hölle… Wer war das?!“, schreie ich ungehalten und er zuckt zusammen. Merlin faucht auf und kratzt über meine andere Hand, die auf Valentins Knie liegt, ehe er davon saust.

Ich starre meinen Freund an, der kurz davor ist, in Tränen auszubrechen. „Das ist nichts weiter, Joshua,“ versucht er, mich zu beruhigen, aber das kann er seine Oma erzählen.

Ich starre auf das blaue Auge und den großen Kratzer an seiner Wange.

„Sag mir, wer das war!“, fahre ich ihn an. „Ich… hab mich nur gestoßen…“, würgt er hervor.

„VALENTIN!“

Er beißt sich auf die Lippe und die erste Träne kullert über seine Wange.

Dann nuschelt er etwas ganz leise vor sich hin.

„Was?“, frage ich und versuche, einfühlsam zu klingen. Jetzt weint er und das soll er nicht. Andererseits bin ich wahnsinnig wütend.

„Es war Rick,“ presst er hervor.

Ungläubig sehe ich ihn an. „Im Ernst?“

Er nickt. „Warum sollte er?“, frage ich ihn und beantworte mir meine Frage selbst. Aus Rache wegen meiner letzten Aktion… Aber warum muss er dafür Valentin bestrafen.

Über meine Gedanken bekomme ich gar nicht mit, dass dieser was sagt und sehe ihn fragend an: „Was?“

„Ich hab gesagt, er hat das getan, weil er auf dich steht.“

Ich starre ihn an, dann muss ich lachen, auch wenn die Situation nicht lustig ist.

„Red keinen Unsinn,“ meine ich und er verengt seine Augen. Zumindest das eine. Das andere schwillt nur langsam an.

„Das ist kein Unsinn. Er hat es mir gesagt. Er hat gesagt, ich soll mich verpissen und dass ich dich nicht verdient hätte. Und er hat gesagt, er würde besser zu dir passen.“

Ich sehe ihn an und weiß nicht, was sagen.

Hastig löse ich mich von ihm und stehe auf. Rick steht also auf mich. Und deswegen muss er so etwas tun? Ich blicke zu Valentin.

„Diese verdammte Arschloch!“

Wütend verschwinde ich in der Küche und hole einen Packen Eis aus dem Kühlschrank, den ich Valentin reiche, damit er es sich ans Auge halten kann.

„Wenn ich ihn morgen sehe, bring ich ihn um!“, beschließe ich und bin bereit, genau das zu tun.

„Joshua,“ meint Valentin leise und ich sehe zu ihm, beobachte, wie er umständlich aufsteht und zu mir watschelt.

Meine Augen verengen sich, während er die Arme um mich schlingt und gegen meine Brust flüstert: „Vielleicht solltest du ihm nur klar machen, dass du nicht von ihm willst und… er ist sicher unsicher, weil er wohl bemerkt hat, dass er schwul ist und…“

Ich schüttle den Kopf. „Jetzt nimm ihn nicht in Schutz, nachdem er so was mit dir gemacht hat.“

Statt die Umarmung zu erwidern, packe ich seine Hüften und schiebe ihn von mir. Er sieht mich erschrocken an, ehe ihm aufgeht, was ich vorhabe, weil ich sein T-Shirt packe.

„Ich meins Ernst! Er braucht bestimmt nur Hilfe,“ quiekt er und dreht sich hastig um, will zum Couch flüchten. Ich aber umfasse seine Taille und zerre ihn zurück, rupfe ihm dann das T-Shirt über den Kopf, ziehe scharf die Luft ein.

„Du musst ins Krankenhaus,“ beschließe ich, als ich den riesigen blauen Fleck an seinen Rippen sehe.

„Red keinen Unsinn!“

„Was, wenn was gebrochen ist?“

„Ist es nicht.“

„Ich bring dich jetzt ins Krankenhaus,“ beharre ich darauf und er kämpft sich los.

„Hör auf. Die wollen doch wissen, wie es passiert ist. Und dann kommt am Ende noch die Polizei oder so und dann haben wir mehr Ärger, als es die Sache wert ist.“

„Die Sache wert ist,“ echo ich, „Valentin! Der Kerl verdient nichts anderes!“

Er sieht betrübt zu Boden und ich seufze und trete zu ihm, küsse ihn sanft. Ganz vorsichtig streiche ich über seinen Rücken.

„Wenn es schlimmer wird, gehen wir sofort!“, lenke ich ein und er nickt.

Erschöpft berge ich mein Gesicht in seinem Haar und presse ihn an mich.

„Dafür wird er büßen, dass verspreche ich dir.“

Kampfemo

„JOSHUA! VERDAMMT!”, brüllt Tobias entsetzt, aber ich ignoriere ihn. Viel zu gut fühlt es sich an, meine Faust in Ricks hässliches Gesicht zu rammen. Ich spüre förmlich, wie unter meinem nächsten Schlag der Knochen bricht und hoffe, dass seine Nase ganz krumm und hässlich zusammenwächst.

„HÖR AUF!“, blökt Tobias erneut und versucht, mich zu packen, aber ich stoße ihn unsanft weg und ramme mein Knie in Ricks Bauch. Dieser geht in die Knie, was ich dafür nutze, ihm das Knie auch noch gegen das Kinn zu rammen.

Ich bin nun wirklich kein gewalttätiger Mensch, aber das hier… das ist einfach nur gut.

Ich würde gerne noch viel länger und viel heftiger auf ihn einprügeln, aber im nächsten Moment packen mich zwei Hände unter den Achseln und zerren mich mit unglaublicher Kraft weg. Ich werde gegen einen Körper gepresst, in den ich zweimal gepasst hätte und mir wird klar, dass es Sascha sein muss, der mich gefasst hat.

„Verdammt, was sollte das werden?“, schreit Tobias entsetzt und blickt auf Rick, der jammernd am Boden liegt und sich krümmt.

Ich antworte nicht, sondern starre hasserfüllt auf Rick. Der Versuch, mich loszumachen, scheitert kläglich, was mir gleich hätte klar sein müssen. Sascha hält mich beharrlich fest und ich komme nicht gegen dieses Kraftpaket von Russen an.

„Joshua!“, schreit Tobias erneut und ich wende mich ihm endlich zu.

Er sieht mich fassungslos an: „Was zur Hölle sollte das werden?“, fragt er und ich seufze und bin nicht sicher, ob er es verstehen wird. Andererseits geht die Sache für mich sicher übel aus, da kann er wenigstens den Grund wissen: „Er hat Valentin angegriffen,“ erkläre ich ihm und er runzelt die Stirn.

„Verdammt…!“, ich versuche, mich zu beherrschen, aber es gelingt mir nur minder: „Du solltest ihn sehen. Er hat ihn total zugerichtet. Er kann kaum laufen!“

Endlich dämmert Tobias, was es mit der Situation auf sich hat und er sieht Rick an: „Ist das wahr?“

Statt einer Antwort, ertönt nur ein Jammern.

„Natürlich ist das wahr!“, schreie ich ungehalten.

„Schon gut.“ Tobias winkt ab und blickt mich an. „Du kommst mit und ihr… tut was, dass er aufhört, zu jammern,“ meint er an mich und dann an den Rest gewandt.

Er zerrt mich mit in die Umkleide und sieht mich erschöpft an.

„Bist du irre?!“

„Er hat ihn verprügelt. Das zu tun, war das einzig Richtige,“ murmle ich.

Seufzend massiert sich Tobias seine Nasenwurzel und sieht mich dann an: „Ich verstehe, wie wütend du bist und ich verstehe auch, wie nah dir das geht. Aber… ausgerechnet noch an der Uni. Denkst du, wir können das verheimlichen? Joshua… du gefährdest dein ganzes Studium!“

Betrübt blickte ich zu Boden. „Wenn Rick dich anzeigt, dann…“

„Zeigt Valentin ihn an!“, unterbreche ich ihn.

„Und das ist dann die Lösung?“ Er sieht mich seufzend an.

„Was willst du jetzt tun?“, frage ich, weil ich es langsam mit der Angst zu tun kriege.

Du gefährdest dein ganzes Studium.

Was, wenn sie mich wirklich rausschmeißen?

„Nichts. Das heißt… ich hoffe, die anderen schweigen und ich werde auch schweigen. Wir sagen es keinem und hoffen darauf, dass Rick das auch nicht tut. Ich sage ihm, dass es ihm nur Ärger bringt, etwas zu sagen, weil er Valentin attackiert hat. Und dann ist er hoffentlich so vernünftig, ein paar Tage zu Hause zu bleiben und dann zu kommen und zu sagen, irgendjemand hätte ich verprügelt.“

Ich nicke.

„Danke, Tobias.“

„So leicht ist es aber nicht, Joshua,“ meint er und ich fürchte schon, er verwirft den Plan wieder, aber was dann kommt, ist… nun ja… natürlich nicht zu schlimm, wie von der Uni zu fliegen, aber wesentlich schlimmer, als ich es zu Anfang geglaubt hätte: „In Anbetracht der Tatsache, dass du dich so vor dem Team hast gehen lassen, muss ich dir sagen, dass es besser ist, wenn du das Amt als Kapitän nieder legst.“

Ich will protestieren, aber er unterbricht mich: „Und das ist noch milde, denn nach der Aktion müsste ich dich eigentlich raus werfen.“

„Tobias,“ meine ich flehend, aber er schüttelt den Kopf: „Tut mir Leid, Joshua.“

Betrübt blicke ich zu Boden und kann es nicht fassen. Mein Rang… alles, wofür ich so lange gekämpft habe.

„Außerdem ist es besser, wenn du die nächsten Spiele auf der Bank sitzt… Louis ist mittlerweile gut genug, dich zu ersetzen.“

„DAS KANSNT DU NICHT MACHEN!“, brülle ich und sehe plötzlich meine ganze Position bedroht. „Ich bin der bessere Spieler.“

Und im Basketball ist es nun mal so, dass ein paar Spiele auf der Bank bedeuten könnten, dass jemand anderes Erfahrungen macht, die ihn auf lange Sicht zum besseren Spieler machen…

„Das hättest du dir vorher überlegen müssen,“ meint Tobias.

„VERDAMMT ER HAT IHN WEH GETAN! WAS HÄTTEST DU DENN GEMACHT?“, kreische ich und Tobias seufzt und reibt sich erneut über die Nasenwurzel.

„Ich versteh dich doch, Joshua. Besser, als du glaubst. Aber das reicht nicht. Als Kapitän muss ich handeln, nachdem es alle mitbekommen haben.“

„Vizekapitän,“ werfe ich ein, weil ich nicht glauben will, dass er mich gerade von meinem Amt gekickt hat.

„Nicht mehr,“ wirft er nur ein und sieht mich traurig an. „Ich wünschte, es wäre anders gekommen.“

Dann lässt er mich stehen und packe wütend einen Rucksack und schleudere ihn gegen die Wand.

„VERDAMMT!“
 

Ich habe keine Lust mehr, weiter am Training teilzunehmen. Also ziehe ich mich wieder um und will gerade gehen, als Rick in die Umkleide stürmt. Ich versteife mich. Sein Gesicht sieht aus, als wäre ein LKW drüber gefahren, aber sonst scheint er noch ganz gut in Schuss zu sein.

Er blickt mich hasserfüllt an, sagt aber nichts.

Auch ich schweige, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. Am liebsten würde ich mich wieder auf ihn stürzen, aber meine blinde Wut ist vor rüber, weshalb ich so viel Vernunft aufbringen kann, das nicht zu tun.

Als ich gehen will, ergreift er das Wort: „Ich hab das nur gemacht, weil ich finde, dass ich besser zu dir passe, als er.“

„Sollte das romantisch sein, oder was? Er ist doch viel schwächer, als du. Er hatte doch gar keine Chance, sich zu wehren.“

Ich sehe ihn kopfschüttelnd an.

„Wieso setzt du dich so sehr für ihn ein?“ Er sieht wirklich traurig aus, was mich verstört.

„Weil ich ihn liebe,“ antworte ich und er nickt.

„Verstehe schon…“

Ich will gehen, aber wieder sagt er etwas: „War schön, mit dir zu spielen, Joshua.“

Irritiert wende ich mich ihm zu. „Was?“

„Sie haben mich aus dem Team geworfen.“ Erschrocken sehe ich ihn an. „Weil alles von mir aus ging. Die Provokationen, mein Angriff auf Valentin… ihnen ist klar, dass du nur deshalb so ausgerastet bist… und deswegen haben sie mich geschmissen.“

Ich beiße mir auf die Lippen. Und was ist das? Ist da unter meiner Wut noch ein Funken Mitleid?

„Als ich gemerkt hab, wie toll ich dich finde, war ich ziemlich wütend auf mich. Ich meine… ich und schwul? Aber dann war ich nur noch wütend auf deinen ach so perfekten Freund. Weil er alles verkörperte, was mir fehlte. Ich meine, er ist geoutet, erfolgreich… und dann noch mit dir zusammen.“

„Hör mal,“ meine ich leise, „Du findest schon wen.“ Selbst in meinen Ohren klingt das nach einem schwachen Trost.

„Aber ich will dich.“

Das aus seinem Mund zu hören ist mehr als suspekt.

„Joshua, ich…“

„Sag es nicht!“, unterbreche ich ihn panisch.

„…liebe dich.“

Ich blicke an die Decke und schüttle den Kopf: „Gut… wen du mich wirklich liebst, dann lass mich mit Valentin glücklich werden,“ meine ich und wende mich ab.

„War eine Ehre mit dir zu spielen, Rick,“ sage ich leise und meine es auch so. Er war ein guter Spieler.

Dann stapfe ich davon und frage mich, was das gerade für eine bizarre Situation war. Alles, was ich mir nun wünsche ist, niemals wieder auf Rick zu treffen.
 

Mein Leben scheint vorbei. Zumindest kommt es mir so vor, als ich heulend auf der Couch liege, den Kopf auf Valentins Schoß, und mir über das Haar streichen lasse.

„Du hättest das nicht tun sollen,“ sagt er, aber er ich schüttle den Kopf. Ich würde es immer wieder tun. Das ist mir klar und das ist ihm klar. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass es eh egal ist.

Und mein Gott… man hat mich meiner Position beraubt. Und meines Kapitänsamtes.

„Wenigstens bist du noch im Team,“ flüstert Valentin leise und seine Finger streichen zärtlich eine Träne von meiner Wange.

Ich glaube, ich habe das letzte Mal geweint, als Valentin und ich Schluss gemacht hatten. Und jetzt heule ich, wegen so was – im Vergleich dazu – Läppischen.

„Was nützt mir das noch?“, frage ich und schließe die Augen.

Louis hat meine Position eingenommen. Meine Stammposition, die ich ewig innehatte.

Mein ganzes Leben habe ich nur als Point-Guard gespielt und nun wird Louis mich überholen und dann gibt es keinen Platz mehr im Team.

Ich werde wieder Ersatz sein, wie damals für Chris. Nur, dass ich für Chris gerne Ersatz war.

Ich schließe die Augen.

Dennoch… ich war so stolz, nicht mehr die zweite Geige zu spielen, nachdem ich in meinem Alten Team schon immer nur für Chris oder Victor eingesprungen bin und-

Ich richte mich abrupt auf, was Valentin erschrocken die Hand wegziehen lässt.

„Was ist?“, fragt er und ich springe auf und hüpfe begeistert herum.

„VIC!“

Entsetzt starrt er mich an und auch Merlin hebt den Kopf und denkt sich sicher: Dieser Mensch ist nicht ganz dicht!

„Was ist mit Vic?“, fragt Valentin und ich könnte vor Begeisterung jubbeln, während mein Freund sicher denkt, nun ist es endgültig vorbei mit meiner Zurechnungsfähigkeit.

„Ich war früher Ersatz für Vic,“ meine ich zu Valentin und er nickt: „Ich weiß.“

„Und Vic war…?“, frage ich und sehe Valentin erwartungsvoll an. Aber natürlich weiß er die Bezeichnung für Victors ehemalige Position nicht.

„Power-Forward,“ kläre ich ihn auf.

Valentin nickt und hat gar keine Ahnung, was ich ihm sagen will.

„Und Rick war…?“

„Auch Power-Forward?“

„JA! Und das heißt, ich kann Ricks Position spielen, nachdem Louis unbedingt meine Position besetzen musste. Weil nämlich Ricks Ersatz ein kleiner schmächtiger Kerl ist, der nur theoretisch was auf dem Kasten hat, sich aber auf dem Spielfeld nie durchsetzen kann!“

Als Power-Forward muss man immerhin kräftig und durchsetzungsstark sein. Zwar bin ich nicht unbedingt kräftig genug, um gegen einen Center wie Sascha anzukommen, sollte unsere gegnerische Mannschaft so etwas besitzen… aber immerhin bin ich kräftiger, als Ricks Ersatz.

„Du wirst schon sehen, Valentin,“ meine ich fest entschlossen und wäre ich eine Comicfigur würde nun das Feuer in meinen Augen auflodern, „Ich hole mir einen Stammplatz im Team schon zurück!“

Koste es, was es wolle…
 

„Du hast es also wirklich geschafft, dass Tobias dich auf meiner Position spielen lässt.“

Drei Wochen sind vergangen und heute war mein erstes Spiel als Power-Forward. Ich habe mich beim Training wirklich reinhauen müssen, abgesehen davon, dass ich Tobias vorschlagen musste, mich mal als Power-Forward trainieren zu lassen.

Aber all die Mühe in den letzten Wochen hat sich gelohnt. Ich bin wieder Stammspieler. Und diesmal wird mir keine die Position streitig machen.

„Naja…“, ich zucke mit den Achseln und blicke ihn an, „Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel…“

Rick schüttelt den Kopf.

„Freut mich, wenn es wenigstens ein was Gutes hatte…“ Er sieht mich an und die Liebe, die in seinem Blick liegt, macht mir Angst.

Die Vorstellung, dass Rick in mich verliebt ist, ist immer noch mehr als gruselig.

„Da ist dein Kleiner,“ meint er in dem Moment und nickt hinter mich. „Man sieht sich.“ Er klopft mir auf die Schulter und ich hebe die Hand zum Gruß. Dann zieht er von dannen und ich wende mich lächelnd Valentin zu.

Er war natürlich als Zuschauer bei unserem Spiel anwesend und hat auf mich gewartet.

„Hey,“ meine ich, aber als ich seinen harten Blick bemerke, erstirbt mein Lächeln.

„Was ist?“

„Was ist?“, äfft er mich nach und deutet auf Rick, der schon außer Hörweite ist. „Was sollte das denn gerade?“

Ich blicke auf Rick, dann zu ihm: „Wir haben uns nur unterhalten…“

„Nur unterhalten? Joshua! Der Kerl hat mich verprügelt und du plauderst nett mit ihm!“, empört er sich.

„Er hat seine Abreibung ja wohl bekommen,“ wehre ich mich und Valentin schüttelt den Kopf: „Das heißt doch nicht, dass du dich jetzt mit ihm anfreunden kannst!“

„Ich freunde mich doch nicht mit ihm an, ich… bin nur nett. Immerhin ist er in mich verliebt und…“

Valentin unterbricht mich.

„Schön! Darf ich dich daran erinnern, was du für eine Szene gemacht hast, als du erfahren hast, dass Sven in mich verliebt ist?“

„Das war berechtigt, er hat dich geküsst.“

„Ja. Aber wenigstens hat er dich nicht verprügelt!“ Und dann dreht sich der Emo auf dem Absatz um und stapft davon.

„Valentin,“ meine ich gequält. Ich hasse es, mit ihm zu streiten.

„Du hast ja Recht. Aber Rick hat eingesehen, dass er keine Chance bei mir hat. Das ist was anderes.“

„Das ist gar nichts anderes!“

„Ist es wohl!“, beharre ich auf mein Recht.

„Nein! Sicher macht er das nur, weil er sich noch immer Chancen reinräumt!“, eröffnet er mir dann trotzig.

„Ich bitte dicht, dass ist paranoid!“

„Als du das von Sven behauptet hast, dachte ich auch, dass wäre nur deine Paranoia!“

„Du machst mich wahninnig!“, fauche ich, weil es mir zu blöd wird. „Rick ist nicht so intrigant wie Sven!“

„Bitte!“ Er verschränkt die Arme, für mich das Zeichen, dass er nicht mehr diskutieren wird. Also laufe ich schweigend neben ihm her, weil es mir ebenfalls zu blöd ist, zu diskutieren. Den Rest des Tages ignorieren wir uns.

Ich meine, natürlich hat er Recht.

Ich tue genau das, was ich ihm vorgehalten habe. Andererseits habe ich nur einmal mit Rick geredet, während Valentin jeden Tag mit Sven verbracht hat.

Und Rick hat eingesehen, dass seine Aktion blöd war, wohingegen sich Sven nie bei mir entschuldigt hat, wenn er auch mittlerweile den nötigen Abstand zu Valentin hält.

Ich denke also, dass wir die Situation gar nicht vergleichen können und deshalb finde ich Valentins Reaktion übertrieben.

Er sieht das Ganze natürlich völlig anders und ich kann nachvollziehen, dass es ihm stinkt, dass ich mit Rick rede, nachdem er ihn verletzt hat.

Andererseits hat Rick dafür auch genug eingesteckt. Eine gebrochene Nase, ein ausgeschlagener Zahn (da drauf bin ich irgendwie stolz, was echt jämmerlich ist) und einen Rauswurf.

Also warum sollte ich auf ihn noch weiter herumtrampeln, wo er dass alles doch nur aus Liebe zu mir getan hat?

Natürlich würde ich mich niemals mit Rick anfreunden, aber zumindest normal mit ihm umgehen kann ich ja wohl.

Und wenn Valentin das nicht einsieht, ist das sein Pech!
 

Drei Tage reden wir nicht miteinander und er schläft freiwillig auf der Couch.

Erst nach diesen Tagen, nähern wir uns wieder an, was so aussieht, das Valentin nachts heulend ins Schlafzimmer kommt und zu mir unter die Decke krabbelt.

Die Versöhnung ist ziemlich kitschig, dass muss ich zugeben. Er entschuldigt sich, ich entschuldige mich. Er räumt mir ein, normal mit Rick zu reden, ich räume ein, ihm aus dem Weg zu gehen. Dann beteuern wir uns gegenseitig hundert Mal, dass wir uns lieben und irgendwann haben wir hemmungslosen Sex und wälzen uns bis zum Morgengrauen in den Kissen.

Was in all dem Chaos völlig untergegangen ist, ist der darauf folgende Samstagabend und was damit verbunden ist.

Valentins Band hat es nämlich geschafft, einen Gig in einem kleinen, aber angesagten Club zu bekommen, worauf er mächtig stolz ist.

Natürlich ist er das. Nach unserer Abmachung, er würde das Tape nicht an Plattenfirmen schicken, ist er froh, wenn er mal auf anderem Wege auf die Bühne kommt.

Und ich bin natürlich auch sehr stolz auf meinen talentierten Freund.

Zu dem freudigen Anlass reisen übers Wochenende auch Benni und Jona an, um Valentin Glück zu wünschen.

Ich finde das echt rührend von ihnen und freue mich außerdem, sie mal wieder zu sehen. Von unserem letzten Streit wissen sie nichts und wir wollen sie damit auch nicht nerven. Was sie in letzter Zeit alles für uns getan haben, ist eh schon mehr als genug und außerdem ist ja alles wieder in Ordnung gekommen.

An jenem besagten Abend stehen wir alle in unserer Wohnung und machen uns fertig. Valentin ist ziemlich hibbelig und geht auch schon vor uns los, um mit seinen Jungs aufzubauen.

Wir anderen treffen eine Stunde später ein.

Der Club ist gerammelt voll, was mich nervöser zu machen scheint, als Valentin.

„Man denkt, du stehst auf der Bühne,“ lacht Benni und ich werde rot. „Ich bin eben aufgeregt,“ nuschle ich.

„Ist er nicht süß?“, amüsiert sich Jona daraufhin und zeihe eine beleidigte Schnute, ehe die Band endlich anfängt, zu spielen.

Stolz blicke ich zu Valentin empor und ich weiß nicht, woran es plötzlich liegt, aber auf einmal überfällt mich eine Welle aus Kitsch und ich werde sentimental.

Der Streit wegen Rick hat all die Wunden wieder aufgerissen, die der Ärger mit Sven uns zugefügt hat. Und ich weiß, dass es nicht nur mir so geht.

Dann noch der Unfall, bei dem ich glaubte, Valentin zu verlieren… Nicht zu letzt auch diese verkorkste Familienfeier oder mein Ausflug nach Dallas… Ich weiß, wie viele Beziehungen an so viel Ärger, wie wir ihn die letzten Wochen und Monaten hatten, kaputt gegangen sind. Ich weiß, dass ich dankbar sein sollte, dass es Valentin und mich zusammengeschweißt hat, statt uns zu trennen.

Und eben weil ich das weiß, wird mir plötzlich klar, dass er der einzige Richtige für mich ist. Ansonsten wären wir nicht mehr zusammen.

Und mit dieser Erkenntnis sind auf einmal all die Zweifel von mir abgefallen, die schon immer mit mir herum trage.

Ob ich wirklich schwul bin. Ob ich wirklich für immer mit Valentin glücklich werden kann…

Ich weiß auf einmal, dass es so ist.

„Was ist los? Du bist so ruhig?“ Jona zupft mich am Arm und ich blicke ihn an.

„Josh?“

„Ich liebe ihn,“ kläre ich ihn auf.

„Ich weiß,“ meint dieser und ich schüttle den Kopf. „Nein, ich meine… Ich liebe ihn! Verstehst du?“

Jona sieht mich irritiert an, dann nickt er plötzlich. Offenbar erinnert er sich an das Gespräch, dass ich einmal mit ihm geführt habe, als Valentin seinen Unfall hatte. Nun grinst er: „Ja, ich glaube, ich verstehe.“

„Ich aber nicht,“ wirft Benni ein, der das Ganze verwirrt verfolgt hat.

„Ach Schatz… du verstehst so Manches nicht,“ lacht Jona und küsst ihn sanft.

Ich sehe zur Bühne und lächle.

„Hey, Josh!“ Eine Hand landet auf meiner Schulter und ich drehe mich erschrocken um. Tatsächlich ist es nur Rick, der mich anlächelt.

„Wusste ich doch, ich würde dich hier antreffe,“ grinst er und nickt zu Valentin auf die Bühne, „als ich hörte, dass er hier spielt!“

„Bist du nur wegen mir hergekommen?“, frage ich irritiert und Rick nickt.

„Ich hol uns was zu trinken, ja?“, fragt er und wartet gar nicht auf eine Antwort, sondern zieht von dannen.

„Wer ist das?“, fragt Benni und ich stelle ihn als ehemaligen Teamkollegen vor, dessen Position ich nun eingenommen habe. Davon habe ich ihm noch nichts erzählt, weil ich sonst alles hätte erklären müssen.

Tatsächlich fragt Benni nun nach und ich winke ab und verspreche ihm, es irgendwann später zu erklären. Damit gibt er sich zum Glück zufrieden.

Valentins Band darf nur eine gewisse Anzahl an Songs spielen, weil nach ihnen noch eine bekanntere Band spielt. Erst, als sie das letzte Lied beginnen, kommt Rick zurück. „Sorry, war viel los an der Bar,“ klärt er mich auf und reicht mir einen Gin Tonic.

Ich nehme ihn dankend an und blicke zu Valentin. Auch er hört zu, bis sie geendet haben.

„YEAY!“, ruft Jona neben mir und stürmt zur Bühne, um Valentin abzufangen und zu bejubbeln. Benni, Rick und ich bleiben zurück.

„Hör mal,“ fängt Rick an, „Ich weiß, dass du Valentin liebst und alles…“

Ich sehe ihn an und auch Benni wendet sich nun verwirrt an uns Beide. „Aber… bevor ich dich in Ruhe lasse…“

Und dann beugt er sich vor und küsst mich. Und plötzlich weiß ich, was Valentin mir zu erklären versucht. Ich bin viel zu geschockt, ihn weg zu schieben, weil ich damit gar nicht gerechnet habe. Und ehe ich etwas tun, mich bewegen kann, ist es auch schon wieder vorbei und er löst sich von mir.

„What the fuck,“ bricht es aus Benni heraus und er hat Recht! WHAT THE FUCK!!!

Ich starre Rick ungläubig an, ehe mein nächster Blick zu Valentin schweift. Natürlich hat er es gesehen. Und er sieht wirklich, wirklich wütend aus.

Panik ergreift mich. Er hat es vorhergesagt. Und ich habe ihn paranoid genannt. Nun ist genau das geschehen, was ich ihn damals bei Sven vorgehalten habe. Und wenn er nun so reagiert, wie ich reagiert habe…

Die Situation ist bizarr. Das Ganze ist wie ein Déjà-vu, nur mit Rollentausch.

Ich beobachte, wie Jona Valentin beruhigend eine Hand auf den Arm legt, dieser diese aber weg schlägt und zu uns stürmt.

Oh Gott… wenn er jetzt Schuss macht, dann sterbe ich!

Aber er macht nicht Schluss. Das einzige, was er macht, ist Rick unsanft wegzustoßen. Und verdammt… obwohl Rick drei Mal so breit und zwei Mal so groß ist, wie Valetnin, stolpert er nach hinten und donnert gegen einen der Tische.

„Lass gefälligst deine Drecksfinger von meinem Freund!“, kreischt mein Hase ihn an und Rick sieht aus, als wüsste er gar nicht, was ihm geschieht.

„Valentin?“, frage ich entsetzt, aber er ignoriert mich und stürzt sich allen Ernstes auf Rick. Das wird er nicht überleben!

„VALENTIN!“

Ich will ihn wegziehen, aber ausgerechnet Benni hält mich auf. „Was?!“, ich sehe ungläubig zu ihm und er zuckt mit den Achseln. „Ich will das sehen!“

Ich schüttle den Kopf und blicke auf meinen Kampfemo, der auf Rick einschlägt. Letztlich passiert das, was klar war und ich schon befürchtet hatte. Rick packt ihn, wuchtete ihn zu Boden und kugelt sich auf ihn. Sicher ist er jetzt zerquetscht.

Panisch starre ich auf das Geschehen und nun lässt mich auch Benni los, dass wir Valentin retten kann. Als hätten wir da jetzt noch eine Chance.

Als ich gerade zu den Beiden stürze, kreischt Rick auf, was sich echt anhört, wie eine Kreissäge und löst sich von Valentin.

Dieser nutzt die Chance und rollt sich wieder auf ihn, um weiter zu machen. Aber diesmal bin ich zur Stelle und reiße ihn von Rick runter.

Der ganze Club glotzt uns an.

Entsetzt blicke ich zu Valentin. „Bist du komplett bescheuert?“, frage ich entsetzt und er zuckt die Schultern.

„Irgendjemand muss ihm ja klar machen, dass er dich in Ruhe lassen soll.“

Seine Lippen sind blutig und ich brauche eine Weile, bis ich checke, dass es nicht sein Blut ist. Und tatsächlich entdecke ich an Ricks Arm eine Fleischwunde, da, wo Valentin ihn offenbar ein Stück… na ja… abgebissen hat. Erklärt zumindest Ricks Rückzug.

Obwohl das ziemlich eklig ist, finde ich, ist es das süßeste, was er je für mich getan hat.

„Gehen wir, bevor man dich rausschmeißt,“ meine ich und zerre ihn mit nach draußen.

„Du hattest Recht,“ sage ich, als und die kalte Abendluft entgegenschlägt und er blickt mich überrascht an.

„Was?“

„Du hattest Recht. Es war wie bei Sven und dir… und ich wollte es nicht sehen.“

„Ich hab doch immer Recht, Joshi,“ grinst er und mir ist klar, dass wir das Ganze jetzt einfach vergessen können. Endlich.

Ich nehme ihn in die Arme.

„Eigentlich wollte ich mir mit dir einen ganz schönen Abend machen. Wir hätten uns nach dem Gig gefeiter, uns abgesetzt, ausgiebig gevögelt und ja…“

Valentin kichert.

„Das können wir immer noch alles machen.“

Ich nicke.

„Außerdem wollte ich dir noch was sagen,“ meine ich und er sieht mich an.

„Ich liebe dich,“ meine ich und er lächelt.

„Ich dich auch.“

„Und ich will mein Leben mit dir verbringen. Mein ganzes Leben.“

„Und das fällt dir erst jetzt auf?“

Ich lache und küsse ihn.

„Versprich mir, dass du mich niemals mehr alleine lässt, Joshua,“ flüstert er dann und drückt seine Nase gegen meine Brust.

Ich küsse sein Haar.

„Ich verspreche es.“

Garfield

Nach all den Geschehnissen ist es komisch zu sagen, dass unser Leben ganz normal weiter geht. Aber interessanter Weise tut es genau das.

Wir gehen weiter zur Uni, streiten uns, weil Valentin Chaos stiftet oder Merlin auf den Boden pinkelt.

Und wir versöhnen uns, was in heißem Sex endet, der sich nicht nur auf das Bett beschränkt, was wiederum Merlin verstört.

Übrigens haben wir herausgefunden, dass Merlin schwul ist. Zumindest sitzt er immer vor dem Fernseher und schmachtet Garfield an.

Was er ausgerechnet an dieser pummligen Katze findet, weiß ich nicht.

Auch sonst läuft unser Leben wieder in geregelten Bahnen.

Rick lässt mich in Ruhe, Valentins Kontakt zu Sven beschränkt sich auf die Bandprobe.

Jona und Benni sind immer noch zusammen und glücklich und werden es wohl auch immer sein.

Ich habe Valentin noch nicht gesagt, dass ich ihn irgendwann auch heiraten möchte, aber der Entschluss steht fest, seit jenem Abend im Club. Der einzige, der bisher davon weiß, ist Jona. Aber der hält zum Glück dicht, was ihm sicher schwer fällt.

Und wo wir bei Hochzeiten sind: Victor wird seine Freundin heiraten! Sie planen schon die Hochzeit und wir sind natürlich alle eingeladen. Lukas wird sein Trauzeuge, auch wenn Vic beleidigt ist, weil Lukas abgelehnt hat, eine Doppelhochzeit auf die Beine zu stellen. Offenbar ist er noch nicht bereit, den gleichen Schritt mit seiner Freundin zu tun – wo sie doch nichts außer Sex verbindet, dass jetzt allerdings schon fünf oder sechs Jahre.

Und Chris… ja Chris ist glücklich mit seiner Uni und seinem Team. Und er hat endlich, endlich eine Freundin gefunden. Wir witzeln immer, dass er auch schwul ist, weil seine Freundin aussieht wie ein Kerl, mit ihren kurzen Haaren und dem schmalen Körperbau. Hätte sie nicht den deutlichen Ansatz von Brüsten… na ja… Dafür hat sie das hübscheste Gesicht, was ich je bei einem Mädchen gesehen habe und macht Chris wirklich glücklich.

Und so sind wir alle glücklich.

Vor allem ich. Denn auch wenn der Alltag unser Leben anderen gegenüber eintönig erschienen lässt, kann ich euch versichern, dass dem nicht so ist, was schon an Kleinigkeiten liegt, die sich wohl nie ändern lassen:

So wird Valentin mich immer mit seiner schrecklichen Musik terrorisieren, die eigentlich gar nicht so schlimm ist. Und ich werde immer meinen Bärchenbademantel tragen, nur um ihn in den Wahnsinn zu treiben, obwohl er ihn ja ganz süß findet.

Er wird immer über Leichen gehen, um an eine Tasse Kaffee zu kommen und ich werde meine Leidenschaft immer dem Basketball widmen, um irgendwann wieder Kapitän zu sein…

Nein, denke ich, manche Dinge können sich einfach nicht ändern. Aber das ist auch gut so, weil sie unser Leben so perfekt machen!

Ich blicke zu Valentin, der mit Merlin neben mir auf der Couch hockt und Garfield guckt. Etwas unwirsch schiebe ich Merlin beiseite und beuge mich zu Valentin, um ihn zu küssen.

Und während der Kuss ausartet und er sich auf mich rollt, so dass ich seinen herrlichen Körper an mir spüre, weiß ich, dass sich vor allem nie etwas daran ändern wird, dass ich mein Leben mit diesem verrückten, chaotischen, aufgedrehten und wundervollen Jungen verbringen möchte, den ich so sehr liebe. Und was mich am glücklichsten macht ist, dass ich weiß, dass es ihm mit mir genauso geht.



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Von:  atori
2012-12-03T00:05:10+00:00 03.12.2012 01:05
....Ich mag Jona und Valentin!! Sie teilen meine Besessenheit zu der Musik und Andy!!! God damn!! Ich finde das ist schon ne geile Sau xD aber irgendwie ist mein Freund da eher Josh und Bennis Meinung...kann ich ja mal so gar nicht nach vollziehen! >.>*
*narf* aber nächstes Jahr muss er sich die Jungs von BVB auch anschauen weil er mich nicht allein gehen lassen will...nicht das ich mit Andy durchbrenne, gegebenenfalls wäre schon sein Nachname leicht abschrecken 'Biersack'...

Boah nun aber schnell weiter lesen, will wissen ob es Valentin halbwegs gut gehtq_q
Von:  atori
2012-12-02T22:10:00+00:00 02.12.2012 23:10
....Ich mag Jona und Valentin!! Sie teilen meine Besessenheit zu der Musik und Andy!!! God damn!! Ich finde das ist schon ne geile Sau xD aber irgendwie ist mein Freund da eher Josh und Bennis Meinung...kann ich ja mal so gar nicht nach vollziehen! >.>*
*narf* aber nächstes Jahr muss er sich die Jungs von BVB auch anschauen weil er mich nicht allein gehen lassen will...nicht das ich mit Andy durchbrenne, gegebenenfalls wäre schon sein Nachname leicht abschrecken 'Biersack'...

Boah nun aber schnell weiter lesen, will wissen ob es Valentin halbwegs gut gehtq_q
Von:  Shunya
2012-10-17T00:52:21+00:00 17.10.2012 02:52
Hah! Sag ich doch. Die Omi ist cool, die hat es längst geahnt. XD lol
Ah~ ich bin so hibbelig. >o<
Und Val ist so süß, da heult er erst mal rum, versaut sich sein Make Up und Benni und Joshi müssen ihm erst Mut zureden. So niedlich. ;D
Puh~ na ja, das Schwierigste haben sie ja schon mal geschafft, sich gemeinsam der Familie zu präsentieren. Ich würde mich in so einer Situation auch eher wie Val fühlen. XD lol
Die Patin ist auch cool. So schön locker und begeistert. XD
Und Oma Rosa wieder. Hahahaha~ die ist wirklich klasse!!! ;P
Boah! Das war echt fies!!! ó.ó ;A;
Wie kann dieser Arsch so etwas vor Valentin sagen, überhaupt, das geht ja mal gar nicht!!! <.<
Val tut mir so Leid, dass hat er echt nicht verdient. Q.Q
Hach~ ich kann Joshi so gut verstehen. Eine Cola ist da einfach zu wenig. ó.ó
Pah, da würde ich mich auch nicht entschuldigen, für was denn bitte? Dieser Erwin hats doch verdient!
Yay, Omi Rosa regelt das schon! :D
Joshi und Val sind auch so niedlich. XD Da turteln sie einfach zwischen all den Leuten herum und sind in ihrer eigenen kleinen Welt. *O*
Und Joshi hat bock auf Sex, passt ja so gar nicht zur Situation, aber ist so genial! *lachflash* XD lol
Hahahaha~ ja, Jona hätte noch gefehlt. Ich habe ihn auch ein bisschen vermisst. XD
Die sollen sich alle mal nicht so schlecht fühlen. Mal abgesehen von dem Ausrutscher lief doch alles bestens. :3
XD Gute Idee, die sollten sich mal ein Zimmer nehmen.
Wirklich geniales Kapitel, ich habe mich so gefreut, dass es einigermaßen gut über die Bühne gelaufen ist. :D
Und es war mal wieder erfrischend ein Coming Out der anderen Art zu lesen. So mit einem großen Familienfest kam mir bis jetzt noc nicht unter. *O*
Von:  Shunya
2012-10-15T23:19:37+00:00 16.10.2012 01:19
Wow, was für ein Anfang, armer Joshi kaum ist er zurück, macht Rick ihn so blöd an. <.<
Wenigstens nimmt das Team ihn wieder gut auf. Find ich schön, wenn man bedenkt wie viele Probleme er hatte, als rauskam, dass er mit Val zusammen war. O.o
Ich finde das echt süß, wie viele Sorgen Joshi sich um Val macht. *~*
Hahaha~ in Addiction war Mike noch der Miesmacher und diesmal ist es dieser Rick. Ganz zu schweigen von Sven. Das wird wohl nie besser. XD lol
Soso, Val hat eine interessante Art sich zu schonen. XD
Ach, ich kann ihn aber auch gut verstehen. :D
Urgh~ wie kann Val sich nur so auf die Uni freuen. XD lol
Ich wäre da eher wie Joshi und hätte bis zur letzten Sekunde das Bett gehütet. ;P
War ja so was von klar, dass Joshi wieder auf mehr hofft. Da hats wohl einer bitter nötig, was? ^.~
Natürlich vergeht der Tag extra langsam, wenn man hofft, dass er schnell vergeht. <- das kenne ich nur zu gut. T_T
Hahhaha~ Joshi konnte es ja wirklich nicht abwarten. Hast du echt gut beschrieben. :D
Armer Joshi, gleich 2 Probleme auf einmal. O.o
Hoffentlich packt er das, vor allem bei seinen Eltern. Das stelle ich mir schwierig vor. >.<
Aber ich finde es süß, wie Joshi auf einmal so entschlossen ist. Mal sehen, ob er das auch wirklich durchziehen wird. ;D
Oje, ich weiß schon, warum ich nicht studiere. Mit den Prüfungen stelle ich mir echt anstrengend vor. ó.ó
Tja, die Qual der Wahl. XD Ist doch eh egal, was Val trägt, hauptsache schwarz. *~*
Oh je, mein Kleiderschrank sieht leider auch nicht besser aus. Ich stopfe auch immer alles rein. XD lol
Ein braver Val. Kann man sich kaum in den Klamotten vorstellen, aber das er Joshis Hemd trägt, finde ich eigentlich ziemlich süß. *O*
Hahaha~ die Oma finde ich cool. :D
Klingt wie ein Verhör, da weiß die Omi doch schon eh bald, dass sie ein Paar sind. ;P
Oh, das ist so genial! Da übergeht seine Mum ihn einfach und zieht Val vor. Wie niedlich!!! >.<
Oha, am Ende war es ja wieder ziemlich knapp. O.o
Obwohl es sollte doch eh rauskommen und mich würde es nicht wundern, wenn die Omi schon etwas ahnt. XD
So ein tolles Kapitel. Da ist mal wieder ordentlich was los. :D
Von:  Shunya
2012-08-08T00:19:13+00:00 08.08.2012 02:19
Eeeeeeeeeendlich komme ich mal dazu weiterzulesen. >.<
Val und Joshi haben mir schon richtig gefehlt, aber ich war in letzter Zeit total lese faul und meine Motivation war auch nicht gerade die Beste. Der innere Schweinehund ist übermächtig! ó.ó
Hahaha das passt ja wirklich! Die erste Frage ist, ob Sex auch dazu fällt. Typisch Joshi~ ;P
Wirklich süß, Val scheint ja schon auf dem Weg der Besserung zu sein, wenn er Joshi schon so herumkommandieren kann. :D
Jonaaaaaaaa! :3 ← mag ihn immer noch total gern. XD lol
Val ist so niedlich, wie er sich wieder heraus putzt und schnellstmöglich einfach nur weg will. Da hats aber einer eilig. Kann ich aber gut verstehen, meine Mum wurde letztes Jahr operiert und ist auch nur kurze Zeit danach noch im Kh geblieben, dann hat sie auch nichts mehr gehalten und sie wollte einfach nur noch heim. XD
All das hätte nie passieren dürfen. ← mag sein, aber es ist passiert. Da kann Joshi jetzt leider auch nichts mehr dran ändern. Q.Q
So was kann man ja auch schlecht vorhersehen. Es kann immer zu jeder Zeit etwas passieren. ;P
Ich stelle mir grad vor, wie Val die Backen aufbläst wie ein kleiner Hamster. *O*
Da muss er wohl durch und sicht erst mal schonen. XD lol
Ich habe mir auch eine zeitlang regelmäßig die Haare gefärbt, aber irgendwie ist es mir dann doch zu lästig geworden und ich mag meine normale Haarfarbe auch ganz gern, von daher ist das nicht weiter dramatisch. ^.~
Joshi tut mir wirklich Leid. Er hätte besser mal fragen sollen, was Val immer benutzt bzw. sollte er das als sein Freund nicht eigentlich wissen? ;P
Wow, die Haare glänzen dann mehr. Nein, was für ein Unterschied. *lachflash* XD lol
Hahaha~ joa, so in etwa mach ich auch essen. XD
Wow, da habens die beiden aber diesmal echt nötig, aber irgendwie kann ich sie ja auch verstehen. ;D
Joshi ist wirklich eine Glucke, wenn ich das nächste Mal krank bin, soll er doch bitte vorbeischauen. Bwhahahahah XD
Puh~ wenigstens hat Val Appetit, dann setzt er auch wieder einige Kilos an. Hab mir schon Sorgen gemacht, es könnte schlimmer werden. >.<
Val ist so süß~ >.<
Da macht er sich solche Sorgen um Joshi. Okay, ist klar, dass es schade ist und er nicht in Dallas weiter machen kann, aber jetzt kann er wenigstens wieder in Vals Nähe sein. Die beiden ziehen das Pech echt magisch an. ;P
Hahaha~ und wehe Joshi beschwert sich jetzt noch mal, dass er zu wenig Sex hat. Da hat Val ihm extra einen runter geholt. XD lol
Val. Q.Q Hoffentlich geht’s ihm bald wieder besser!!! >.<
Ah~ mal sehen wie Joshi sich jetzt schlagen wird. Ist ja wirklich doof, dass er den ganzen Stoff nachholen muss. O.o“
Das Kapitel war irgendwie ein Wechselbad der Gefühle diesmal. Ein ständiges auf und ab, mal hab ich gelacht und dann hab ich mir gleich wieder Sorgen gemacht. XD lol
Wirklich ein klasse Kapitel! :3
Von:  Artraya
2012-03-28T15:42:37+00:00 28.03.2012 17:42
Oh mein Gott!
ich könnte so heulen TT.TT
es ist vorbei... *sniff*
wirklich schade...die zwei sind mir so ans Herz gewachsen... :)
Der Epilog ist zwar leider etwas kurz, aber das hast du mit deiner Schreibweise wieder wett gemacht :)
er ist dir wiklich super gelungen :)
ganz ganz dickes Lob!
Und da ich so ein Fan von dir bin und ich (denke ich zumindest) alle deiner Fanfics auf Favorit habe, werde ich mich gleich an deine neue Geschichte hängen, die sicher genauso toll wird :)
ich freue mcih imme etwas Neues von dir zu lesen ;)
viele liebe Grüße, Ritsu~ ---{--{-@
Von:  KleineBine
2012-03-27T19:32:21+00:00 27.03.2012 21:32
Das Ende ist dir perfekt gelungen *schleim*
Schade das es vorbei ist.


LG Bine
Von:  _haiiro_
2012-03-27T17:55:56+00:00 27.03.2012 19:55
Wüüäää .____:
Schon vorbei...und jetzt? :(
Ich fands sehr schön <3
Von:  RockFee
2012-03-26T19:39:02+00:00 26.03.2012 21:39
Ein sehr harmonisches Ende. Das tut gut, nach all den Aufregungen.
Wie heißt es so schön: Ende gut, Alles gut.

Mir haben die Geschichten um Josh und Valentin, Benni und Jona und ihren Freunden total gut gefallen.
Danke dir dafür.

lg
Von:  -ladylike-
2012-03-26T19:31:31+00:00 26.03.2012 21:31
Noooooooooooiiiin, es ist vorboooooooiiiii!!!
(ja, ich weiß, dass das jz mehr als sehr perfektes deutsch war, aber ich kann nicht anders, als so einen dramatisch-tief-stimme-slow-motion-effekt-gefühl herzustellen, wenn du weißt was ich meine.)
Wirklich traurig ... Aaaaber, man kann Geschichten mehr als einmal lesen und vergessen wird man Val und Josh ohnehin nie. Betonung auf NIE :D

Sehr schöne Geschichte, ich bin froh, sie gefunden und gelesen zu haben.
Und ein tolles Ende.

Also dass Merlin schwul ist, ist kein Wunder, oder? xD
Der ist schon verstört genug von seinem Umfeld und bei einem solchen Pärchen als Familie kann man doch wohl gar nciht anders :)

Wie eben schon erwähnt, finde ich, das hier ist ein tolles Ende. Sehr harmonisch. Einzig und allein die Hochzeit würde mich jetzt noch interessieren, ansonsten ist alles in Butter :)

Ganz lieben Gruß,
lady

(OMG, das war mein letzter Kommi zu dieser Geschichte ... *snüf*)



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