Zum Inhalt der Seite

Shards

At the End of Nightfall ... no one will be safe ... [Trailer online]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallihallo!
Aus dramaturgischen Gründen wollte ich beim letzten Kapitel kein Autorenkommentar dazu abgeben - wobei ich mittlerweile finde, es hätte schon eines hingehört^^ Dafür jetzt ein bisschen was zusätzlich: Zuerst einmal hoffe ich, dass die Überraschung mit T.K. gelungen ist :) Der Anfang vom letzten Kapitel, wie sie das Schloss verlassen haben, ist evtl. ein bisschen schnell gegangen, aber ich wollte mich nicht mehr so lange damit aufhalten :D Zu den Dunklen - siehe das Nachwort :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Tut mir leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe, ich hatte ziemlich viel um die Ohren, ab jetzt sollten die Kapitel aber wieder regelmäßig kommen :) Also viel Spaß! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Sooo ... ich hoffe erstmal, dass ihr ob der Kapitellänge nicht allzu erschrocken wart XD Ich hätte das Kapitel wohl in 5 Teile der Länge, wie ich sie am Anfang der FF hatte, aufsplitten können. Ich wollte die Schlacht aber wieder als Special-Chapter zu einem Lied schreiben; diesmal musste ich zwar den Songtext etwas abändern, damit er ins Konzept (und in die DigiWelt) passt, aber ich konnte den Verlauf der Schlacht wunderbar daran anlehnen. Das Lied ist Panzerkampf von Sabaton, und diese Band hat mich bei den Schlachtszenen in der zweiten Hälfte der FF sehr inspiriert. Und bis ich den ganzen Songtext abgearbeitet hatte, waren es auf einmal 15.000 Wörter. Das Kapitel ist aber, so hoffe ich, für euch entweder in solche Häppchen aufteilbar, dass man zwischendurch auch mal Pause machen kann, oder (im Idealfall) so ein Pageturner (oder hier auf animexx eher Pagescroller^^), dass man die Länge gar nicht merkt ;)
Genug der Vorreden, viel Spaß :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Gleich vorweg eine gute Nachricht - ich hab endlich mein Semester hinter mich gebracht :D Das heißt, ich habe wieder Zeit zu schreiben und regelmäßig hochzuladen, was mir in den letzten zwei Wochen ja leider nicht so gelungen ist. Die nächsten Kapitel werden also wieder wöchentlich herauskommen :)
Und nun viel Spaß! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Willkommen zum letzten Kapitel von Shards! Ich empfehle euch, den Original Soundtrack dazu zu hören, vor allem das Lied "Unsere DigiWelt"; ihr werdet schon herausfinden, wo das am besten passt ;)
Wünsche euch ein letztes Mal viel Spaß! Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Dragon Cave

Tokio, Japan

Sonntag, 29. Juli 2007

01:15 Uhr
 

Während der dumpfe Schmerz hinter seinen Augäpfeln immer weiter zunahm und seine Gedanken beständig träger wurden, hämmerte er unaufhörlich auf die Tasten ein. Vielleicht hätte er das Licht anknipsen sollen – in seinem bunkerartigen Zimmer war es selbst am Tag finster wie in einer Drachenhöhle.

Er schmunzelte. Was für ein Vergleich …

Das Problem war, dass er, einmal vor dem PC, nicht mehr davon loskam. Auch nicht, um den kurzen Weg zum Lichtschalter zurückzulegen. Die Uhr in der Taskleiste zeigte 1:15 an. Hinter sich hörte er ein herzhaftes Gähnen.

„Wie lange willst du denn noch spielen?“, drang eine hohe Stimme an sein Ohr.

Er warf Salamon, das es sich in dem ausgepolsterten Katzenkörbchen gemütlich gemacht hatte, keinen Blick zu. „Ob ich am Computer spiele oder mit dir, macht doch im Prinzip keinen Unterschied“, befand er grinsend. „Außerdem spiele ich nicht, ich surfe im Internet.“

„Wieso?“ Das welpenartige Digimon seufzte, als es sich gebührend streckte.

Er klickte einen weiteren Link an, der ein gewaltiges, geflügeltes Ungeheuer zeigte, das zwei Wolkenkratzer umkreiste. „Vor acht Jahren sind in der Realen Welt zum ersten Mal massenweise Digimon aufgetaucht. Die haben die ganze Welt in Atem gehalten.“ Er scrollte sich durch einen alten Bericht über den seltsamen Nebel, der damals aufgetaucht war, die Geisterwesen und den unheimlichen Vampir, der sie angeführt hatte. „Vielleicht finde ich in den Aufzeichnungen von damals was, das uns helfen kann.“

Salamon gähnte erneut und rollte sich in seinem Korb zusammen. „Wie du meinst. Ich bin müde, ich werde jetzt schlafen.“

Ja, müde … Das war er auch. Zumindest seine Augen, die schmerzten, als würden eine Million Nadeln darin stecken. Sie wollten ihm zufallen, gerade als er ein gestochen scharfes Bild geöffnet hatte, das einen kleinen gelben Dinosaurier und einen Jungen mit braunem Haar und einem Stirnband mit einer Brille daran zeigte.

Es half nichts, er brauchte eine kurze Pause. Seufzend stemmte er sich von seinem Sessel hoch und tappte durch das Zimmer, das nur vom grellen Flimmern des Bildschirms erhellt wurde. Er streckte die Hand nach dem Lichtschalter aus, betätigte ihn dann aber doch nicht. Wenn Salamon schlafen wollte …

Also seufzte er erneut und öffnete die Tür zum Nebenraum. Der Kühlschrank gab ein stetes Summen von sich. Auch hier brauchte er kein Licht. Blind tastete er auf der Anrichte nach der halb leeren Tasse Kaffee, der längst kalt war. Er hatte ihn gekocht, bevor ihn der Computer gefesselt hatte – vor vier Stunden. Hoffentlich wurde er durch ihn wieder richtig wach.

Mit der Tasse in der Hand wollte er sich auf den Rückweg machen, als er aus seinem Zimmer ein Geräusch hörte. Ein schrilles Jaulen, das nur von Salamon kommen konnte – und das ein anderes, grässliches, nasses Geräusch übertönte, das gleichzeitig erscholl …

„Salamon?“ Er stieß in der Dunkelheit den Abfalleimer um, als er in sein Zimmer zurück hastete. In der Tür erstarrte er. Die Kaffeetasse entglitt seinen Fingern und zerbrach klirrend am Boden. Er spürte kaum, wie die kalte, braune Brühe seine Hosenbeine besprenkelte.

Das kühle, blaue Licht des Bildschirms beleuchtete eine grauenhafte Szene: Salamon lag immer noch in seinem Korb, ließ aber ein leises Wimmern hören und krümmte sich. Quer über seinen Leib zogen sich drei tiefe, blutige Linien, als hätte eine riesige Kralle das Digimon aufgeschlitzt.

Er ließ alle Vorsicht fahren und stürzte zu seinem Digimon-Partner. „Salamon!“ Als er das kleine Wesen in den Arm nahm, sah er erst, wie tief die Wunden tatsächlich waren. „Was ist geschehen? Salamon!“

Das kleine Hundewesen öffnete wie unter großen Anstrengungen die Augen und bewegte sein Maul, aber er konnte kaum seine Worte verstehen. „Kouki … Pass auf … Hinter …“ Dann schloss es die Augen und löste sich in einen glitzernden Datensturm auf, der seine kleinen, funkelnden Partikel in alle Ecken des Raumes versprühte.

Kouki konnte nicht mehr atmen. Salamon, sein Freund, sein Partner, das Digimon, das ihn durch unzählige Abenteuer begleitet hatte …

Er sah den Schatten nicht, der plötzlich hinter ihm auftauchte. Er spürte ihn. Im nächsten Moment blitzte ein grässlicher Schmerz in seinem Brustkorb auf und wanderte in Wellen durch seinen ganzen Körper. Unendlich mühsam senkte er den Blick und sah den violett glühenden Stachel, der sich durch seine Brust gebohrt hatte. Etwas Warmes, Flüssiges kämpfte sich seinen Weg nach oben in seinen Mund. Bevor Kouki starb, entsann er sich, dass der Angreifer unmöglich durch die Tür gekommen sein konnte. Sein Blick fiel auf den Computerbildschirm, der immer noch das Bild des damaligen DigiRitters zeigte. Dann verschwand alles um Kouki herum in stickigem Schwarz, selbst der Schmerz.
 

Tokio, Japan

Sonntag, 29. Juli 2007

01:24 Uhr
 

Nur etwa zwanzig Kilometer entfernt schreckte Kari aus dem Schlaf. Mit pochendem Herzen lauschte sie in der Dunkelheit. War es ein Albtraum gewesen, der sie geweckt hatte? Ihr Zimmer schien ihr dunkler, als es sein sollte. Nein … Es war ein Teil ihrer Seele, der nicht mehr so hell strahlte wie üblich …

Sie wälzte sich herum und versuchte wieder einzuschlafen. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, aber sicher waren es nur die Nachwirkungen des Traums, die ihre Sinne verwirrten. Neben sich hörte sie tiefe, regelmäßige Atemzüge. Kari lächelte. Richtig, er war bei ihr. Ihre Hand tastete nach seiner, ihre Finger schlossen sich darum. Entspannt versuchte sie, in den Schlaf zurückzukehren.

Nur ein einsames Gefühl des Traums blieb in ihrem Unterbewusstsein … Als würde bald etwas passieren … Der Beginn von etwas Neuem … Und das Ende von allem, was war.
 

================================
 

Herzlich willkommen bei meiner ersten Digimon-FF hier! Ich weiß, viel gibt der Prolog wohl noch nicht her, und ich hab auch überlegt, ob ich ihn mit dem ersten Kapitel nicht zusammenlegen soll, aber da er allein doch mehr wie ein Prolog klingt, habe ich ihn so gelassen. Bevor ihr euch also eine Meinung bildet, schaltet lieber zum nächsten Kapitel weiter :)

Access Denied

Unbekannter Ort, DigiWelt

Unbekannte Zeit
 

Etwas eisig Kaltes lag schwer auf Kens Kopf und schien seine Gedanken zu lähmen. Seine Kleider waren schweißgetränkt und klebten ihm nass und kalt auf der Haut und ein dumpfer Schmerz fraß sich durch seinen linken Arm, der weit von ihm gestreckt lag.

Wo war er? Was war geschehen?

Ken zwang sich, die Augen zu öffnen, aber es dauerte eine Weile, bis sie sich an den flackernden Feuerschein gewöhnt hatten. Er sah eine uralte, rissige Decke, aus der dünne Wurzeln ragten … Befand er sich unter der Erde? Aus der gewölbten Form der Decke schloss er, dass es eine Höhle war … Und er lag eindeutig auf Stroh, das in seinen Rücken und Nacken piekste.

Mühsam setzte er sich auf. Seine Glieder waren bleischwer und seine Gelenke schmerzten selbst dann, wenn er sie nicht bewegte. Auf der Zunge schmeckte er bittere Galle und als er sich halbwegs aufgerichtet hatte, musste er schwer husten. Ein kleiner Beutel fiel von seiner Stirn auf den Boden und zwei halb geschmolzene Eisbrocken kollerten heraus.

Was ist hier los? Wo bin ich?

Etwas drang an sein benebeltes Hirn, ein Gedanke, eine fadendünne Erinnerung, etwas, von dem er nur wusste, dass es vielleicht gar nicht so schlecht war, dass er es vergessen hatte – dass er eine Schonzeit hatte, bevor er sich wieder erinnerte und der Wahrheit ins Auge sehen musste. Irgendetwas war geschehen, mit ihm und …

Wormmon!

Es durchzuckte ihn wie ein eisiger Blitz und prompt kamen seine Kopfschmerzen zurück. Wo war Wormmon?

Etwas knarrte. Er wandte den Kopf und entdeckte eine halbhohe, hölzerne Tür, die in die Höhle führte. Sie wurde geöffnet und eisiger Wind störte die behagliche Wärme. Ein Digimon kam mit einem Stapel Holz herein, gefolgt von einem zweiten, das eine Tasche voller eisgrauer, unansehnlicher Pilze trug. Ken hatte diese beiden Digimon persönlich noch nie gesehen, aber er wusste, wen er vor sich hatte: Frigimon und Moyamon, zwei Digimon, die es in Landschaften aus Eis und Schnee gab. Bevor letzteres die Tür zur Höhle wieder zuschlug, gewahrte Ken draußen einen rauen Blizzard, der über einem verschneiten Hügelhang tobte.

Er forschte genau nach, doch in seinen Erinnerungen gab es keinen Schnee. Wo war er? Welcher Teil seines Gedächtnisses fehlte?

„Du bist wach“, stellte Frigimon fest und stapelte das Brennholz an der Wand des Raumes, während es zwei Scheite in das prasselnde Feuer legte. Der Rauch, den es verursachte, wurde durch ein schmales, natürlich entstandenes Loch in der Decke nach oben gezogen. „Hast du noch Fieber?“ Frigimons Stimme klang weich und warm, aber als es seine gewaltige, weiße Pranke prüfend auf Kens Stirn legte, durchlief ihn ein eisiger Schauer.

„Immer noch heiß“, brummte der Schneebär.

Ken fragte sich, ob im Vergleich zu Frigimons Körpertemperatur nicht alles heiß war, was es berührte.

„Hier“, knurrte Moyamon und legte die Tasche mit den Pilzen neben Ken auf sein Strohlager. „Iss.“

„Danke“, murmelte Ken. Er hatte keinen Hunger, ganz im Gegenteil war ihm sogar übel und die Pilze sahen aus, als bestünden sie aus Stein oder Eis. Dennoch nahm er einen und knabberte daran. Er schmeckte gar nicht übel, konnte den bitteren Geschmack in seinem Mund allerdings nicht vertreiben. „Was ist mit mir geschehen?“, fragte er dann.

„Ich hatte gehofft, das könntest du uns sagen“, antwortete Frigimon, das sich so weit wie möglich vom Feuer entfernt hingesetzt hatte. „Wir haben dich im Schnee gefunden.“

„So eine Verletzung wie deine sieht man nicht alle Tage, Junge“, brummte Moyamon, ließ sich aufs Hinterteil plumpsen und schob sich gleich drei Pilze auf einmal in den Rachen. „Und Menschen übrigens auch nicht. Du kannst froh sein, dass wir nicht …“

„Das reicht“, unterbrach es Frigimon. „Er ist verletzt und harmlos!“

„Er ist vielleicht verletzt, aber er ist ein Mensch und folglich alles andere als harmlos!“

„Er macht einen netten Eindruck. Ich glaube nicht, dass …“

Kens Gedanken wurden sonderbar träge und es gelang ihm nicht mehr, den Digimon zuzuhören. Verletzt? Er? Sein Arm … Er versuchte ihn zu bewegen, wurde aber mit einem heftigen, stechenden Schmerz belohnt, der ihm Tränen in die Augen trieb. Vorsichtig drehte er den Kopf um ihn anzusehen.

Er sog scharf die Luft ein.

Sein Ärmel war bis zur Schulter abgerissen. Darunter war sein bloßer Arm zu sehen. Mehrere weiße, dünne Narben schlängelten sich von seiner Schulter bis zu seiner Hand durch seine Haut und schienen dabei ein eigenes Licht von sich zu geben.

Was ist los …? Was ist mit mir geschehen …?

Die Stimmen von Frigimon und Moyamon, die aufgeregt miteinander stritten, klangen immer gedämpfter, und Ken wurde so müde, dass er wie von alleine zurücksank und auf der Stelle in den Schlaf glitt. Vielleicht war es auch eine Ohnmacht.
 

Tokio, Japan

Dienstag, 31. Juli 2007

11:19 Uhr
 

Izzy saugte am Strohhalm seiner McDonalds-Cola. Der Becher war fast leer, und ein leises Schlürfen ertönte, kaum lauter als das summende Stimmengewirr im Büro. Er saß in einer dieser bienenwabenförmigen Einbauten, die den zwanzig Angestellten der Support-Abteilung in diesem Raum Platz boten. Er war der jüngste unter ihnen, aber schon am ersten Tag war ihm klargeworden, dass er den anderen in Computerkenntnissen weit voraus war. Soeben behandelte er ein gewichtiges Problem, das einer der User mit einem Programm hatte, das auf der Firmenwebsite eingebettet war.

Eigentlich studierte Izzy mit seinen achtzehn Jahren mittlerweile an einer technischen Fachhochschule. Während der Ferien hatte er jedoch beschlossen, ein Praktikum in dieser EDV-Firma zu machen.

Während ihm schon auf den ersten Blick klar wurde, wo sich der tückische Fehler befand, registrierte er ein heftig blinkendes Symbol in der Taskleiste seines Bildschirms. Innerhalb der Firma hatten sie ein hochmodernes Videokonferenzen-Programm, mit dem die Angestellten via Headset und Webcam miteinander sprechen konnten. Aber wer rief ihn jetzt, so knapp vor der Mittagspause, an?

Es musste wichtig sein, also klickte Izzy auf das Symbol und setzte sein eigenes Headset auf. Das Bild wurde schwarz, bis die Verbindung aufgebaut war, was ungewöhnlich lange dauerte. Izzy hob überrascht die Augenbrauen. Der Raum, der zum Vorschein kam, war kein Büro der Firma, sondern ein ganz gewöhnliches Kinderzimmer: Er sah ein ungeordnetes Bett neben einer robusten, hölzernen Tür, mit Postern von Fußballstars verklebte Wände, einen Teil eines Schreibtischs – und den Bewohner des Zimmers. Er sah in das Gesicht, das von der Webcam aufgezeichnet wurde, als säße er dem anderen genau gegenüber. Es war ein Junge, um die vierzehn vielleicht, mit langem blondem Haar, das er sich über ein Auge gegelt hatte. Sein gehetzter Blick zeugte von Erleichterung, als er seinerseits Izzy erkannte.

„Gott sei Dank“, stieß er hervor. Die Tonqualität war bodenlos schlecht und es gab auch immer wieder Bildstörungen. „Koshiro Izumi? Bist du das?“

„Ja? Wer bist du?“

„Gott sei Dank, Gott sei Dank, ich hab dich gefunden!“, wiederholte der andere. Trotz der schlechten Bildqualität sah Izzy Schweißperlen auf seinem Gesicht glänzen. „Ich hab nicht viel Zeit, du musst mir zuhören, bitte!“

„Wer bist du denn überhaupt?“, fragte Izzy mit wachsendem Unglauben. „Und wie kommst du an meine IP?“

Der andere atmete tief durch und sprudelte so schnell, dass er sich mehrmals verhaspelte, hervor: „Mein Name ist Jagari, ich hab zufällig in Erfahrung gebracht, dass du bei dieser Firma arbeitest, und mich in ihr Netzwerk gehackt.“ Izzy stieß einen bewundernden Pfiff aus. Sich in das hochgesicherte Firmennetzwerk einzuschleusen war eine Meisterleistung. „Koshiro, wir haben ein Problem, ein gewaltiges! Wir … ich schaffe das nicht alleine, ihr müsst hier übernehmen! Ohne euch ist die DigiWelt verloren!“

„Die DigiWelt?“, entfuhr es Izzy.

„Ruhe da drüben!“, herrschte ihn einer der anderen Angestellten an und er zuckte zusammen, aber ansonsten schien niemandem sein Gespräch mit dem illegalen Eindringling aufgefallen zu sein.

„Ja doch, ja doch!“ Jagari nickte so heftig, dass seine Frisur vor- und zurückschwappte. „Ich bin einer der neuen DigiRitter, die übernächste Generation nach euch. Wir waren zu sechst, und wir sind vor einem halben Jahr in die DigiWelt gebeamt worden, um die Macht der Dunkelheit am Erstarken zu hindern.“ Er erwartete offenbar, dass Izzy etwas dazu sagt, aber als das nicht geschah, fuhr er mit trauriger Miene fort: „Wir haben es geschafft, aber einer von uns ... Er wollte nicht mehr in die Reale Welt zurück, und …“ Ein jähes Poltern riss ihn aus dem Satz. Jagari zuckte zusammen und fuhr zur Tür herum. Selbst Izzy konnte sehen, dass das stabile Holz unter einem harten Schlag erbebte. „Oh, Scheiße, sie haben mich … Koshiro, ihr müsst das mit der DigiWelt wieder in Ordnung bringen!“ Jagari klang total aufgelöst.

„Was ist denn passiert?“, fragte Izzy so leise, wie es seine Anspannung zuließ. Dieser Junge war einer von ihnen, ein neuer DigiRitter – und offenbar hatte er lähmende Angst vor dem, was gerade in sein Zimmer wollte …

Jagari wischte sich in einer fahrigen Bewegung die Haare aus dem Gesicht, als das Bild abermals flackerte. „Wir sind zurückgekehrt, bis auf einen … und jetzt hat …“, das Bild flackerte und der Ton wurde kurz von einem knisternden Rauschen unterbrochen, “… einen nach dem anderen aufgespürt und lässt uns umbringen! Die anderen haben sie schon erwischt, ich bin der letzte! Mein Elecmon ist auch schon tot!“ Izzy rieselte ein Schauer über den Rücken.

„Wer? Jagari, reiß dich zusammen!“ Das war leicht gesagt. Er selbst konnte seine Aufregung kaum noch im Zaum halten. Jagari war weiß wie die sprichwörtliche Wand und seine Augen tellergroß und voll flackernder Angst. Erneut erbebte die Tür unter einem kraftvollen Schlag.

„Wir können die DigiWelt nicht mehr vor ihm retten! Wir haben versagt … Du und deine Freunde, ihr müsst übernehmen! Aber passt auf, vielleicht will … auch …wenn … wo ihr …“ Die Bildstörungen wurden immer stärker und der Ton setzte von Zeit zu Zeit aus, als schien irgendetwas mit Jagaris Computer nicht in Ordnung zu sein. Kurz war sein Gesicht ganz weg, dann erschien es wieder, aber nur mehr in Schwarzweiß und aus Izzys Kopfhörern drang fast nur noch Rauschen. Jagari schrie in sein Mikrofon hinein, das konnte er sehen, aber er hörte nur noch Wortfetzen.

„Es … aneo … ie Scherben … edmons Schwe … seine neu … giRitter … die Dunklen … ihr müsst … eide Welt … verloren …“

Dann war der Ton vollends weg.

Jagaris Mund bewegte sich immer noch, und Izzy war mittlerweile egal, ob ihn jemand von seinen Arbeitskollegen hörte oder nicht. „Jagari! Ich kann dich nicht mehr hören, Jagari!“, rief er.

Aber der Junge schien auch ihn nicht mehr hören zu können, denn er redete einfach weiter, und dann blieb auch das Bild immer wieder hängen. Ein heftiger Stoß brach die Tür zu Jagaris Zimmer auf und ließ sie an der Wand zerschellen. Izzy hatten den Eindruck einer menschenähnlichen, schattenhaften Gestalt, aber wegen des körnigen Schwarzweiß-Bildes konnte er nichts Genaues erkennen. Jagari fuhr herum, riss die Augen auf – und begann auf seine Tastatur zu hämmern. Keine Sekunde darauf, als der Schatten soeben einen Fuß in das Zimmer setzte, erlosch das Bild und das Conference-Programm schloss sich von selbst.

Während Izzy mit schweißnassem Gesicht und unter mühsam unterdrücktem Keuchen zu verstehen versuchte, was er da gerade gesehen hatte, wurden im Büro wütende Stimmen laut.

„Was zum Teufel soll das?“

„Ich kann nicht mehr drucken!“

„Wie kann das gehen?“

„Wir sind die Support-Abteilung, verdammt! Lasst euch was einfallen!“

„Es hat keinen Zweck, das Netzwerk ist tot! Die Rechner sind isoliert!“

Izzy erwachte aus seiner Erstarrung und klickte einen freigegebenen Ordner auf seinem Desktop an – den, in dem all seine Dateien abgespeichert waren. Mit geweiteten Augen starrte er auf die Meldung, die auf seinem Bildschirm erschien.

ACCESS DENIED
 

================================
 

So, das erste Kapitel steht :) Hat es zum Weiterlesen angeregt? Oder sollte ich es mit dem Prolog zusammenlegen? Und wie hat euch der Trailer gefallen? Bin natürlich immer für Feedback und Verbesserungsvorschläge dankbar :)

Das nächste Kapitel wird "Creator of Darkness‘ Fear" heißen. Bis dann!

Creator of Darkness' Fear

Madrid, Spanien

Dienstag, 31. Juli 2007

21:44 Uhr
 

Seine Finger flogen über die Saiten der Gitarre, als der letzte Höhepunkt des Abends anlief: Das letzte Solo vor dem Refrain des Songs. Die Menge jubelte auf, als das Spiel seiner Finger immer schneller und komplizierter wurde, ehe ein Trommelwirbel einsetzte und zum Kehrvers überleitete. Yami sang aus voller Kehle und sah, wie auch das Publikum einsetzte, aber gegen die dröhnenden Lautsprecher kam es natürlich nicht an. Seine Bandkollegen ließen den Song in einem dramatischen Trommelwirbel ausklingen, ehe es still wurde und das Licht auf der Bühne ausging. Die Menge jubelte und kreischte.

Der Auftritt von Creators of Darkness‘ Fear in Madrid war ein voller Erfolg geworden.
 

Auf dem Weg in die Umkleide wurden die vier Bandmitglieder – und vor allem wieder einmal Yami – von Fans belagert, die irgendwie die Security am Hintereingang der Konzerthalle ausgetrickst hatten. Der Großteil von ihnen war weiblich, und das war vor allem Yamis Schuld, wie er sich innerlich seufzend eingestand.

Er war vor etwas mehr als einem Jahr der Band beigetreten, weil er und seine alten Bandkollegen sich aus den Augen verloren und ihre Gruppe aufgelöst hatten. Damals hatte die Rock-Band Creators of Darkness geheißen, doch diesen Namen hatte Yami vehement abgelehnt. Aus persönlicher Erfahrung sozusagen, denn er fand, dass die drei Gründungsmitglieder die Dunkelheit viel zu leichtfertig benutzten, um cool zu wirken. Nach langem Hin und Her und vor allem, weil die Rocker einen gleichzeitigen Sänger und Gitarristen mit Yamis Fähigkeiten brauchten, weil ein großes Konzert anstand, hatten sie sich darauf geeinigt, sich in Creators of Darkness‘ Fear umzubenennen. Das bedeutete, dass sie nicht selbst dunkel waren, sondern der Dunkelheit Angst machten – in Yamis Augen waren sie somit die Guten, obwohl er den Gedanken fast lächerlich fand – und nebenbei immer noch einen richtig coolen Namen trugen. Das Konzert war mehr oder weniger erfolgreich vorübergegangen und Yami war mit dem düsteren, harten Stil immer noch nicht ganz einverstanden gewesen, als eines der Gründungsmitglieder sich mit ihm zerstritt und die Band verließ. Dessen Ersatzmann fuhr eher auf Yamis Schiene und so hatte sich nicht nur der Name, sondern auch der Stil der Band geändert: Kurzum, seit diesem Zeitpunkt fand ihre Musik großen Anklang bei einer breiteren Masse und vor allem bei Mädchen. Es war wohl zum Großteil diesem Umstand zu verdanken, dass sie jetzt sogar schon ihre erste Welttournee zur Hälfte hinter sich gebracht hatten.

Yami wurde aus seinen Gedanken gerissen, als ein jugendliches Mädchen mit zwei Zöpfen direkt in seinen Weg sprang und mit großen Augen seinen Namen kreischte und ihm Block und Stift hinhielt. Ruhig nahm er beides umgeben und schenkte seinem hysterischen Fan ein Autogramm.

Dieses Prozedere durfte er wiederholen, bis sie endlich ihren Umkleideraum erreicht hatten, vor dem ein bulliger Security postiert war und sie vor weiteren ungebetenen Gästen schützte. Nein, an weiblicher Aufmerksamkeit mangelte es Rock-Star Yami wahrlich nicht. Dass er in Wahrheit schon seit längerem vergeben war, scherte im Allgemeinen niemand und er hängte es auch nicht an die große Glocke. Am Ende würde seine Freundin ebenfalls von Fans belagert werden …

Als Yami sich aus der engen Lederjacke schälte und seine Alltagskleider aus dem Spind holte, glitt sein Blick durch das offene Oberlicht. Der Mond war fast voll und sah wie ein großes, ruhiges Auge auf ihn herab.

Ob auch sie ihn gerade beobachtete?

Sie war in Paris bei einem Tennis-Turnier, gar nicht so weit von Madrid entfernt, wenn er die Entfernung zu Japan als Vergleich hernahm. Und dennoch würden sie sich für weitere zwei Wochen nicht sehen.

„Yo, Mann, das war echt Weltklasse!“ Einer seiner Bandkollegen riss ihn aus seinen Gedanken, indem er ihm kräftig auf den Rücken patschte. „Der beste Auftritt bisher! Verdammt, Alter, wenn ich dran denke, dass wir vor einem halben Jahr noch nicht mal über Japan hinaus bekannt waren …“ Er schüttelte fassungslos den Kopf.

Yami gab ihm keine Antwort. Das Thermometer zeigte über fünfundzwanzig Grad Außentemperatur an, was für diese Jahreszeit kein Wunder war. Vom Auftritt im Scheinwerferlicht war ihm immer noch heiß, daher beschloss er, ohne T-Shirt zurück ins Hotel zu gehen. Er stopfte das Kleidungsstück zu der Lederkluft in seine Sporttasche und schulterte seine Gitarre, als sein Blick auf sein Handy fiel, das immer noch im Spind lag. Ein Symbol zeigte ihm, dass er einen entgangenen Anruf hatte. Etwa von ihr? Nein, sie wusste doch, dass er heute beschäftigt war … Stirnrunzelnd sah er sich die Nummer an.

„Ey, Yami, kommst du?“ Seine Kollegen waren bereits fertig mit dem Umziehen, hatten ihre Instrumente zusammengepackt und standen schon in der Tür zum Umkleideraum.

„Ich komme gleich. Geht ruhig schon mal vor, spätestens im Hotel treffen wir uns.“

Seine Kollegen sahen einander schulterzuckend an und gingen. Yami wollte sie nicht dabei haben, wenn er jetzt zurückrief – das Gespräch war sicher nicht für ihre Ohren bestimmt. Der Anrufer war Izzy gewesen – und die Anrufzeit vier Uhr dreißig morgens. Um diese Uhrzeit hatte er geschlafen – und zwar bis ungefähr Mittag – und danach hatte er sein Handy stumm geschaltet gelassen, um sich voll und ganz auf die Vorbereitungen für den Auftritt konzentrieren zu können. Und in der kurzen Zeit, die die Band genutzt hatte um sich umzuziehen, hatte er es einfach in den Spind gelegt, ohne nachzusehen, ob ein Anruf gekommen war.

Dann wurde es jetzt höchste Zeit. Der Anruf war bestimmt nicht um der alten Zeiten Willen gewesen … Die SMS, die Yami in seinem Posteingang fand, ließ ihn wissen, dass Izzy ihm eine Nachricht auf die Mailbox gesprochen hatte. Er schulterte Sporttasche und Gitarre und verließ mit einigem Abstand zu seinen Bandkollegen den Umkleideraum. In diesem Kellerloch hatte er keinen Empfang. Der Security war fort, er hatte wohl die Fans zurück nach draußen gescheucht, die ihnen bis in die Umkleide hatten folgen wollen. Yami erreichte den Hintereingang des Backstage-Bereichs und trat nach draußen in die laue Nachtluft. Das rötliche Backsteingebäude, in dem sie ihren Auftritt zelebriert hatten, verdiente die Bezeichnung Konzerthalle im Übrigen gar nicht, sie war ein alter, schmuckloser Bau, aber eben gut dafür geeignet, große Menschenmassen unterzubringen. Das Hotel, in dem sie untergebracht waren, war nur ein paar Blocks weiter, und wenn er durch die schmalen, schmutzigen Gassen ging, war er in fünf Minuten dort. Diese Zeit wollte Yami nutzen, um seinen alten Freund zurückzurufen. Er ging ein paar Schritte durch die nächtlichen, mit Kopfstein gepflasterten Gassen und rief zunächst die Mailbox an.

„Ja, hallo, äh, hier ist Izzy“, tönte die Stimme des Rotschopfs etwas verzerrt an sein Ohr. „Es ist was passiert … Etwas, von dem ich selbst noch nicht genau weiß, was es ist, aber wir sollten uns so schnell wie möglich irgendwo treffen. Ruf mich zurück, sobald du kannst!“

Yami blieb stehen. Hatte Izzy nicht mitbekommen, dass er auf Tournee war? Wie stellte er sich so ein Treffen vor, wollten sie sich irgendwo zwischen Japan und Spanien auf einen Drink zusammensetzen? Yami überlegte. Was konnte denn so wichtig sein? Izzy hatte zwar recht gefasst geklungen, aber trotzdem … Er sah auf seine Armbanduhr. Es war fast zehn Uhr. In Japan wäre es demnach fünf Uhr morgens … Und soweit er wusste, hatte Izzy momentan einen anstrengenden Job. Sollte er ihn wirklich aus dem Bett klingeln?

Yami seufzte und sah nach oben. Die Wände der Häuser in der gerade mal zwei Meter breiten Gasse ragten wie finstere Steilwände in die Höhe. Jemand hatte Wäscheleinen von Fenster zu Fenster gespannt, auf denen Kleider hingen, die genausogut Fetzen hätten sein können. Er genoss das Gefühl, wie die warme Luft seinen nackten Oberkörper entlang strich. Es war fast völlig still, nur in der Ferne war der Lärm von städtischem Verkehr zu vernehmen.

Ob es um die DigiWelt ging?

Dieser Gedanke durchzuckte ihn wie ein Blitz. Warum hatte er nicht früher daran gedacht? Dann würde er keine Zeit verlieren, geregelte Schlafenszeit hin oder her. Er schaltete die Tastensperre aus, die sich wieder aktiviert hatte, öffnete sein Kontaktbuch …

„He, Blondi!“

Yami fuhr herum. Zwei bullige Kerle waren hinter ihm in der Gasse aufgetaucht und lehnten sich übertrieben lässig an die Hauswände. Sie hatten beide Kappen aufgesetzt, allerdings mit dem Schirm nach hinten, und weite ärmellose T-Shirts an, die ihre Muskeln betonten. Den Hosenboden hatten sie in den Kniekehlen und um ihre Hälse baumelten schwere Goldketten. „Ja, genau du!“, rief der eine auf Englisch und zeigte mit dem Finger, auf dem ein protziger Ring steckte, auf ihn. „Hey! Deine Musik is‘ Scheiße!“

Yami wich einen Schritt zurück. Die beiden hatten südländische Haut- und Haarfarbe und der, der gesprochen hatte, einen markanten spanischen Akzent. Was wollten die beiden von ihm? Ärger, so wie es aussah.

Er war nicht an Ärger interessiert. Ganz in der Nähe war vielleicht noch die Konzertsecurity, aber das hier war schließlich nicht mehr ihr Aufgabenbereich und außerdem war er in ein paar Minuten sowieso im Hotel. „Was wollt ihr?“, fragte er dennoch auf Englisch.

Die beiden antworteten nicht, sondern grinsten ihn nur an. Der eine hatte eine goldene Zahnspange, wie Yami im Mondlicht erkannte.

„Yamato Ishida“, ertönte eine andere Stimme hinter ihm. Yami fuhr herum und gewahrte eine dritte Gestalt, die ihm den Weg versperrte. Er war also umzingelt. Der Fremde kam gemächlichen Schrittes näher. Da er den Mond im Rücken hatte, lag sein Gesicht im Schatten, aber Yami konnte sehen, dass er einen fast bodenlangen dunklen Mantel trug. „Auch bekannt als Matt, auch bekannt als Yami. Du bist es zweifellos.“

Yami verzog die Lippen. Obwohl er der Dunkelheit mit dem neuen Bandnamen eigentlich den Kampf hatte ansagen wollen, so wie er es vor acht und fünf Jahren als DigiRitter tatsächlich getan hatte, hatten ihm seine Fans diesen Spitznamen vermacht. Zu ähnlich klang Yami, Dunkelheit, seinem echten Namen Yamato. Er hatte es hingenommen und seitdem war es sein neuer Künstlername.

Dass der Fremde seinen wahren Namen kannte, war nicht verwunderlich. Nachdem Creators of Darkness‘ Fear weltbekannt geworden waren, konnte man ihn ganz bequem sogar auf Wikipedia nachlesen. Allerdings hatte der Typ ihn auf Japanisch angesprochen – und es war dieser Umstand und sein unheimliches Auftreten, was Matt klar machte, dass das hier kein weiterer Fan war, der im Ausland lebte und einen Star aus seiner eigenen Nation persönlich kennen lernen wollte.

Dennoch gab er sich cool. „Die Autogrammstunde ist schon vorbei“, rief er dem Fremden entgegen. „Verzieht euch.“

In dem dunklen Gesicht wurde ein schmaler Lichtstreif sichtbar. Ein blitzendes Grinsen. „Ich denke eher nicht.“ Der Fremde machte eine rasche Kopfbewegung und Matt hätte das plumpe Poltern auf dem Kopfsteinpflaster nicht hören müssen um zu wissen, dass die beiden Spanier sich auf ihn stürzen wollten.

Als ihre Schritte ganz nah waren, ließ er sich zu Boden fallen. Was er kaum gehofft hatte, geschah: Die zwei griffen ins Leere, stolperten über ihre eigenen, eingeengten Beine und stürzten ächzend genau auf den dritten zu. Der Japaner ließ ein verächtliches Zischen hören und trat einen genau bemessenen Schritt zur Seite, damit sie ihn nicht mit zu Boden rissen.

Matt sprang auf und rannte los, zurück zur Konzerthalle. Vielleicht hätte sich jemand wie Tai den Angreifern gestellt, aber Matt kannte seine Grenzen, und gleichzeitig mit drei Typen fertig zu werden, von denen zwei die Statur von mittleren Bodybuildern hatten, überstieg diese bei weitem. Seine einzige Hoffnung bestand darin, ihnen entweder zu entkommen oder noch einen der Security anzutreffen, der mit einem Taser und Pfefferspray ausgestattet war.

Tut mir leid, Izzy, du musst noch eine Weile warten …

Etwas packte den Gurt seiner Gitarre, den er immer noch über die Schulter trug, und riss ihn daran grob zurück. Sämtliche Luft wurde aus seiner Lunge gepresst. Er stürzte schwer auf den Rücken und hörte, wie mit einem peitschenden Schnalzen eine Gitarrensaite riss. Matt rutschte ächzend einen halben Meter über den Pflasterboden und schürfte sich die Ellbogen auf. Über sich sah er die schattenhafte Gestalt des Japaners verächtlich auf ihn hinabsehen. Der Kerl war schnell, musste sich Matt mit zusammengebissenen Zähnen eingestehen. Er selbst war nicht gerade unsportlich, und ihn so schnell einzuholen …

Jetzt, da der Mond ihn frontal beleuchtete, konnte Matt erstmals das Gesicht des Fremden sehen. Er trug einen schwarzen Mantel mit Kapuze, unter der noch schwärzeres Haar hervorragte. Eisblaue, unnachgiebige Augen starrten ihn an. Auf der Stirn prangte eine blutrote, verschlungene Tätowierung. Matt stutzte. Er hatte damit gerechnet, einen erwachsenen Mann vor sich zu haben, aber obwohl seine Größe und Statur seiner eigenen ähnelten – der Fremde war lediglich noch schlanker, ausgezehrter, was beinahe zierlich wirkte – war das Gesicht nicht das eines Erwachsenen, sah man von den kalten Augen ab.

Der Fremde beantwortete seine unausgesprochene Frage, als hätte er seine Gedanken gelesen. „Und du willst drei Jahre älter sein als ich? Tz.“

Matt machte den Mund auf um etwas zu sagen, doch eine kräftige Pranke krallte sich in seinen Nacken und riss ihn grob in die Höhe. Das braun gebrannte Gesicht eines der spanischen Hip-Hopper tauchte breit grinsend vor ihm auf – und mit brutaler Wucht rammte ihm der Mann die Faust ins Gesicht.

Tausend Sterne explodierten in einer Schmerzwolke vor seinen Augen. Matt sog scharf die Luft durch die Zähne ein. Er schmeckte einen metallischen Geschmack im Mund und spürte, wie ihm das Blut aus der Nase schoss und übers Gesicht lief. Sein Blickfeld war für einen Moment verschwommen, als ihn ein weiterer Schlag in die Magengrube traf. Diesmal blieb ihm vollständig die Luft weg. Der Griff um seinen Nacken lockerte sich und Matt brach in die Knie und hielt sich nach vorne gekrümmt den Bauch. Übelkeit schwappte in ihm hoch.

Der Tritt kam unerwartet schnell und wäre er besser gezielt gewesen, hätte er ihm die Nase gebrochen. Einer der Spanier stieß ihm das Knie ins Gesicht, was ihn nach hinten schleuderte. Nun spürte er auch, wie ihm warmes Blut aus der Platzwunde an der Stirn in seine Augen lief.

Durch einen Nebel aus Schmerz und Blut sah er verschwommen, wie der Junge sich über ihn beugte. „Na?“, fragte er gespielt mitleidig. „Ohne dein Digimon bist du nicht gerade stark, was?“

Inmitten des pochenden Schmerzes gefror etwas in Matt zu Eis. Woher kannte er Gabumon? Wer war dieser Typ?

Seine zähen Gedanken wurden unterbrochen, als er ein schwaches Summen hörte. Der Gesichtsausdruck des Fremden veränderte sich; es sah aus, als würde er plötzlich zu Stein werden. Er holte ein winziges Handy aus seiner Hosentasche und als er bei dieser Bewegung seinen Mantel zurückstrich, erkannte Matt ein zweites Gerät, das er am Gürtel hängen hatte. War das … Nein, unmöglich …

„Ansatsu“, meldete sich der Fremde und lauschte eine halbe Minute lang. „Verstanden.“ Er klappte sein Handy zusammen und steckte es wieder ein. „Kann ich mich darauf verlassen, dass ihr das hier erledigt?“, fragte er seine spanische Kumpane auf Englisch. „Ich muss nach Paris. Wir haben das nächste Ziel entdeckt.“

Paris? Sora! Matt versuchte sich aufzubäumen, aber einer der Spanier verpasste ihm einen Kinnhaken, der ihn wieder zusammensacken ließ. „Klar, amigo. Überlass ihn uns.“

Der Fremde sah Matt noch einen Moment zweifelnd an. „Aber lasst euch nicht zu lange Zeit. Am Ende wird er bewusstlos und ihr Idioten glaubt, er ist schon tot, und lasst ihn liegen.“

„Wird nicht passieren, amigo“, grunzte der andere hämisch.

Ohne ein weiteres Wort drehte sich der Japaner um und ging mit raschen Schritten und wehendem Mantel davon.

„Was zum Teufel wollt ihr eigentlich von mir?“, nuschelte Matt mit dem Mund voller Blut. Tot? Hatte er eben tot gesagt?!

Die beiden grinsten ihn nur teuflisch an. Der mit der Zahnspange griff in seine Hosentasche und holte einen golden blitzenden Schlagring heraus und steckte ihn auf seine Hand. „Fertig, Blondi?“

Es war das überhebliche Grinsen seiner Zahnbrackets, die in Matt einen gewissen Trotz erweckten. Verdammt noch mal, wo war sein Kampfgeist geblieben? Er hatte Fieslinge wie Myotismon, Piedmon und Apocalymon besiegt, und die hatten immerhin die Zerstörung der ganzen Welt im Sinn gehabt! Was waren denn zwei Schlägertypen gegen die Grausamkeiten, die sich diese Digimon für die DigiRitter hatten einfallen lassen?

Die Veränderung in Matts Blick schien auch der Spanier nicht übersehen zu haben, denn er wirkte plötzlich verunsichert und zögerte, ehe er auf ihn zutrat – und dieses Zögern nutzte Matt, um sich zu sammeln und ihm so wuchtig mit dem Fuß in den Bauch zu treten, dass er ächzend zurücktaumelte. Sein Kollege schrie irgendetwas auf Spanisch und wollte sich auf ihn stürzen, aber Matt sprang blitzschnell auf, riss sich in einer Drehung die Gitarre vom Rücken und schmetterte ihm den blauen Solidbody gegen die Schläfe. Der Hieb war so kraftvoll und unerwartet gewesen, dass der Schläger im Fallen einmal um seine Achse wirbelte und mit verdrehten Augen liegen blieb.

Der Zahnspangentyp richtete sich soeben schnaufend wieder auf und trat wankend auf Matt zu. „Mierda, hijo de puta! Ich bring dich um, maldita!“

„Das haben die Meister der Dunkelheit auch zu mir gesagt, und es ist ihnen nicht gelungen“, gab Matt zurück und bemühte sich um eine lässige Pose – so gut das mit seinem blutüberströmten Gesicht ging. Er ging nicht davon aus, dass der Hip-Hopper wusste, wer die Meister der Dunkelheit waren, aber er wollte den Typen provozieren.

Der Mann fluchte noch einmal in seiner Muttersprache und griff abermals in seine Tasche – nur dass er diesmal ein blankes Messer hervorholte. Das Gesicht zu einer grimmigen Fratze verzerrt stürmte er mit einem lauten Kampfgeheul los.

Jetzt war Schluss mit lustig. Matt ließ seine Gitarre fallen, die ohnehin nur noch zu einer ramponierten Fanreliquie taugte, und rannte.

Zu dem Blut, das ihm in die Augen lief, gesellte sich brennender Schweiß und die schwüle Luft ließ ihn schon nach wenigen Metern keuchen. Die Schritte seines massigen Verfolgers schienen das Pflaster erbeben zu lassen. Leere Fensterlöcher, verbogene Regenrinnen und die eine oder andere schäbige Tür schossen an ihm vorbei. Er wagte einen Blick über die Schulter. Der Spanier war zurückgefallen – aber Matt machte sich nichts vor. Er konnte ihn nicht abhängen. In letzter Zeit hatte er zu viel um die Ohren gehabt, um Sport zu betreiben, und er spürte, wie er bereits Seitenstechen bekam. Es war die schiere Todesangst, die seine Schmerzen weit genug zurückdränge, damit er überhaupt noch laufen konnte. Spätestens das Messer hatte ihm klar gemacht, dass das hier kein einfacher Raubüberfall war.

Es war ein glatter Mordanschlag.

Verflucht, was war überhaupt los?

Mehr stolpernd als rennend und nach Luft ringend erreichte er das Ende der Gasse – die in eine sterbensleere, kaum nennenswert größere Straße mündete. Matt sprang um die Ecke. Aus, er konnte nicht mehr. Der Schläger würde ihn kriegen …

Kraftlos sank er an der kühlen Mauer zu Boden. Es war vorbei. Aber wenn er schon nicht mehr fliehen konnte, würde er um sein Leben kämpfen. Das Schnaufen wie von einer Dampflok kam immer näher. Matts Hand glitt eher zufällig über das Kopfsteinpflaster – und er stutzte. Da war ein lockerer Stein! Mit schweißnassen Fingern versuchte er ihn aus dem Boden zu ziehen. Es war gar nicht so einfach … Er wackelte zwar, aber auf der Unterseite schien er fest zu sitzen. Matt warf einen Blick über die Schulter und erwartete schon, direkt in das feiste Gesicht seines Verfolgers zu sehen, aber noch schenkte ihm das Schicksal ein paar Atemzüge. Die Schritte und das Schnaufen waren mittlerweile so nah, dass es kaum noch lange dauern konnte.

Er musste es schaffen! Er musste den Typen überwältigen, herausfinden, warum zum Teufel diese Kerle überhaupt hinter ihm her waren und vor allem – er musste Sora warnen! Mit der schieren Kraft der Verzweiflung gelang es ihm, den quaderförmigen Stein aus dem Boden zu reißen. Er wog mindestens fünf Kilo und war gut zwei Handbreit lang. Seine eigene Anstrengung hatte Matt zurücktaumeln lassen. Die Mauerkante war nur ein paar Zentimetwer neben ihn. Er hörte die Schritte, sie waren ganz nah …

Matt packte den Stein mit beiden Händen, wirbelte ihn mit ausgestreckten Armen herum – und traf den Gangster mitten ins Gesicht. Dessen Beine schienen weiterrennen zu wollen, er kippte ohne einen Laut hintenüber und knallte hart aufs Pflaster. Matt ließ keuchend den Stein fallen. Er hörte nicht, wie er zu Boden polterte, nur das Blut, das durch seine Ohren rauschte. Seine Knie wurden mit einem Mal butterweich. Zitternd atmete er tief aus.

Der Spanier war nur bewusstlos, zumindest hob und senkte sich sein Brustkorb. Matt warf einen Blick in die Gasse hinein. Seine Gitarre und sein Handy lagen noch dort irgendwo, neben dem Fleischberg, den der andere Angreifer darstellte.

Das war auch so etwas, das von ihnen beiden wohl nur Tai getan hätte, dachte er und musste ob der Ironie schmunzeln. Er, Matt, würde beides dort liegen lassen. Bei seinem Glück wachte der zweite Gangster just in dem Moment auf, an dem er sein Handy auflas.

Ohne mehr Zeit zu verlieren machte er sich, immer noch mit klopfendem Herzen, auf den Weg ins Hotel. Dort war er hoffentlich einigermaßen sicher. Mit einem Taschentuch wischte er sich das Blut aus dem Gesicht und erschrak, wie viel es war. Aber so wie es aussah, würde er wenigstens keine verräterische Tropfspur hinter sich herziehen.

Izzys Nummer wusste er leider nicht auswendig. Sehr wohl aber die von Sora – und die galt es so schnell wie möglich vom Hoteltelefon aus zu wählen. Er hatte sich wehren können, aber es war knapp gewesen, zu knapp, und je länger er darüber nachdachte, desto mehr wurde ihm bewusst, dass er jetzt eigentlich auch mit eingeschlagenem Schädel tot in der Gasse liegen könnte.

Matt schluckte. Zum Glück brauchte der Japaner, der den Anruf erhalten hatte, mindestens ein paar Stunden, um von Madrid zu Sora nach Paris zu gelangen, egal, in welches Transportmittel er stieg. Er hatte also wenigstens genügend Zeit, sie zu warnen.
 

=================================
 

Puh, also hier haben wir das erste richtige Action-Kapitel. Hoffe, es war spannend und hat euch gefallen :)

Ich war selbst überrascht, wie viel Spaß ich dabei hatte, einen Ausschnitt aus Matts neuem Leben zu bringen, auch wenn es weiß Gott nichts Außergewöhnliches war. Dafür hab ich mich bemüht, das Umschwenken zwischen Alltag und Gefahr so unerwartet und schnell zu machen, wie es ging, und ich hoffe, das hat eine gewisse Wirkung erzielt^^

Übrigens, wer hat gleich von Anfang an gewusst, dass Yami Matt ist? Das würde mich interessieren^^

Freue mich wie immer über Kommis und danke den Leuten, die mir bei den letzten Kapiteln geschrieben haben :)

Im nächsten Kapitel geht es um ... Tja, wen wohl?^^ Uploadtermin sollte wieder ca. in einer Woche sein.

Baptized in Fire

Paris, Frankreich

Dienstag, 31. Juli 2007

22:03 Uhr
 

Gedankenverloren rührte Sora mit dem kleinen Früchtespieß in ihrem Cocktail herum. Sie hatte den Kopf auf eine Hand gestützt und ließ – wieder einmal – die Seele baumeln.

Auf das La Liberté, einem schmucken, modernen Lokal in einem Außenbezirk von Paris, passte die Bezeichnung klein, aber fein, als wäre sie eigens dafür erfunden worden, um dieses Etablissement zu beschreiben. Sora war seit ihrer Ankunft in Paris vor etwa einer Woche fast jeden zweiten Abend hier, und fast immer war sie beinahe die einzige Besucherin. Dabei war das Lokal gar nicht so unangenehm: Die Theke, die Fensterbretter und sogar die Töpfe der zahlreichen, menschengroßen Zimmerpflanzen waren mit gedämpften blauen und grünen Neonlichtern bestückt, die sie wie Linien durchzogen und das Lokal in angenehmes, ruhiges Dämmerlicht tauchten. Der einzelne Barkeeper, ein hagerer Mann mittleren Alters mit dünnem, eingeringeltem schwarzem Schnauzbart und stets schwarzweißem Frack, polierte Gläser mit derselben Gemächlichkeit, mit der er Cocktails mixte und manchmal auch mit seinen Gästen plauderte. Er sprach nur Französisch, aber bisher hatte Sora noch jeden Drink bekommen, den sie bestellt hatte, und sich auch, was andere Dinge anging, verständigen können.

Eine Wand des La Liberté bestand bis auf einige Betonverstrebungen komplett aus getöntem Glas, durch das man nach draußen auf die Straße sehen konnte, die selbst zu dieser Stunde noch belebt war. Das dunkle Glas schirmte das aufdringliche Licht der Straßenlaternen zum Großteil ab. Die Atmosphäre war ebenfalls eine ruhige; aus einer Jukebox kam leise Musik.

Kurz gesagt, das La Liberté war der beste Ort, um nach einem anstrengenden Tag abzuschalten, und genau deswegen hatte Sora es wieder einmal ausgewählt, um hier gemütlich einen Drink zu nehmen.

Was nichts daran änderte, dass sie hier einsam war.

Auf große Menschenansammlungen konnte sie ihn ihrem momentanen Gemütszustand zwar verzichten; die Stille des Lokals war ihr lieber als ein weiteres Zusammentreffen mit einem französischen Don Juan, der nicht nur sie, sondern auch sich selbst unwiderstehlich fand und nicht kapieren wollte, dass sie bereits vergeben war. Aber …

Sora seufzte. Dass Matt ihr fehlte, war auch ein Grund für ihre anhaltende Melancholie. Und dass es noch mindestens zwei Wochen dauern würde, bis sie sich wiedersahen, machte es nicht besser.

Sie sah aus den Augenwinkeln, wie ein anderer Gast sich auf den Barhocker neben ihr setzte und einen doppelten Cherry bestellte. Sora stutzte. Diese Stimme … Sie wandte den Kopf.

„Mimi!“, rief sie erfreut.

Das hübsche, immer noch kindlich wirkende Gesicht ihrer Freundin grinste ihr entgegen. Mit einem Satz war Sora auf den Füßen und die beiden umarmten sich stürmisch. „Dass ich dich hier treffe!“, rief Sora lachend aus, als sie sich wieder setzten und anstießen. „Wie kommst du denn hier her?“

„Och, weißt du, mir war langweilig in den USA – also hab ich mir gesagt, mach doch eine Weltreise“, meinte Mimi leichthin und lachte.

„Es ist eine Ewigkeit her … Woher hast du gewusst, dass ich hier bin?“ Sora kam aus dem Staunen immer noch nicht raus.

„Intuition?“, meinte Mimi und zwinkerte verschwörerisch. „Ich hab einfach die Stadionleute gefragt. Ich war bei deinem Spiel heute.“

„Oh.“ Dann war sie also extra nach Paris gereist, um Soras Niederlage zu sehen.

Mimi wusste, woran sie dachte, und winkte ab. „Hey, du warst super. Es war immerhin das Viertelfinale, oder? Du hast eine Menge Spiele gewinnen müssen, um so weit zu kommen.“

„Eben darum ist es so schade …“ Was redete sie da? So wichtig war ihr der Sieg auch wieder nicht gewesen … Jetzt konnte sie wenigstens in den nächsten Tagen auschecken und wieder nach Japan zurückreisen. Ohne Matt … Sie seufzte erneut.

„Jetzt lass dich mal ansehen“, verlangte Mimi. Sie musterte ihre wie gewöhnlich relativ kurzen Haare und das schlichte, blassgelbe Abendkleid, das sie trug. „Du hast dich gar nicht viel verändert, weißt du das?“

Sora rang sich ein Lächeln ab. „Du aber auch nicht.“ Hatte Mimi früher alle möglichen Kleider, Frisuren und Haarfarben durchprobiert, so war sie in den letzten Jahren etwas seriöser geworden und trug ihr brünettes Haar wie früher. Wahrscheinlich war sie immer noch verwöhnt und bequem wie eine Diva, aber äußerlich merkte man das nur noch an der teuren Halskette, die sie trug. Sora hatte gehört, dass sie kurze Zeit in Amerika einen Freund hatte, nun aber wieder single war. Ansonsten trug sie Alltagskleidung; ein sommerliches, blütenweißes Top und gleichfarbige knielange Safarihosen. Wie in alten Zeiten hatte sie einen Sommerhut im Nacken hängen. Der Anblick ließ Sora ein wenig nostalgisch werden. Früher waren sie als DigiRitter unzertrennlich gewesen … Ach, vermutlich war sie nach der Niederlage heute einfach ein wenig wehmütig.

„Ich hab übrigens eine Überraschung für dich“, sagte Mimi mit gesenkter Stimme und deutete auf den Rollkoffer, den sie an die Bar gelehnt hatte. Mit einer flinken Handbewegung öffnete sie den Reißverschluss und kaum dass der Koffer offen war, zwängte sich eine exotische Blüte an die frische Luft, gefolgt von einem pflanzengrünen Kopf, der Sora anlächelte.

„Palmon!“, rief Sora überrascht aus und Mimi legte rasch einen Finger an die Lippen. Es war noch ein Gast in das La Liberté gekommen, hatte sich ein paar Sitze neben Mimi an die Bar gesetzt und einen Bourbon bestellt. Zum Glück stand der Koffer zwischen Mimi und Sora und konnte von ihm in diesem Dämmerlicht kaum gesehen werden. „Wie ist das möglich?“, fragte Sora, während sie das grinsende Digimon aus großen Augen anstarrte.

Mimi strahlte. „Ich weiß auch nicht, es war in etwa vor einem halben Jahr. Ich bin in mein Zimmer gegangen, der Computer war an und Palmon saß auf dem Sessel …“ Sora schüttelte fassungslos den Kopf und ertappte sich dabei, Palmons Blütenblätter berühren zu wollen, um sich zu vergewissern, dass sie nicht träumte. Das Digimon hatte sich überhaupt nicht verändert – natürlich nicht. Und sie hatte Piyomon jetzt seit viereinhalb Jahren nicht gesehen …

„Entschuldigung?“, drang eine Stimme an ihr Ohr. Sora fuhr zusammen und blickte auf. Palmon verschwand blitzschnell wieder im Koffer, aber der andere Gast dürfte es nicht bemerkt haben. Der junge Mann sah nur nachdenklich abwechselnd in Mimis und Soras Gesicht. „Die Tennisspielerin Sora Takenouchi?“

„Das bin ich“, sagte Sora verwundert. In dieser Bar hatte sie noch niemand wegen ihrer Tenniskünste angesprochen, noch dazu in ihrer Muttersprache.

„Sehr schön. Ich hatte leider keine Zeit, zu dem Match heute zu kommen, aber …“ Ihr Fan drängte sich zwischen sie und Mimi und hielt ihr einen brandneuen Tennisball vor die Nase. „Würden Sie mir hier drauf unterschreiben, damit ich meine Sammlung erweitern kann?“

Sora sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Äh, sicher …“ Sie tastete nach ihrer Handtasche. „Ich fürchte nur, ich habe momentan keinen Stift.“

„Kein Problem, nehmen Sie meinen.“ Der junge Mann zog unter seinem grauschwarzen Mantel eine teure Markenfüllfeder hervor und zog die Kappe ab, worunter eine unglaublich schmale, blitzende Klinge zum Vorschein kam.

Es ging so schnell, dass Soras und Mimis Reaktionen viel zu spät kamen. Die Klinge zog einen leuchtenden Schein nach sich, als die Hand des Mannes vorschnellte.

Giftig grüne Pflanzenranken peitschten aus dem geöffneten Koffer hervor, der immer noch zwischen den Mädchen stand, und wickelten sich kraftvoll um das Handgelenk des Attentäters. Palmon hatte als einziges rechtzeitig reagiert. Die hauchdünne Messerklinge, die in dem Füllfederkörper eingebaut war, kam fünf Zentimeter vor Soras Kehle zum Halt.

Alles Blut wich aus Mimis Gesicht, und auch Sora selbst brauchte einen Moment um zu verstehen, was da gerade passiert war. Der Gesichtsausdruck des Fremden hatte sich verändert; seine Augen waren nun hart, eiskalt, und er hatte abfällig die Mundwinkel verzogen.

Mit einem lauten Kreischen sprang Mimi von ihrem Hocker auf und auch Sora stolperte zurück, weg von dem Messer. Dabei stieß sie versehentlich mit dem Fuß gegen den Koffer, in dem sich Palmon versteckte. Das schwere Gepäckstück fiel polternd um. Palmon ließ ein dumpfes Ächzen hören und der Attentäter hatte seine Hand plötzlich wieder frei, als die Ranken von ihm abfielen. „Rufen Sie die Polizei!“, schrie Mimi dem Barkeeper auf Französisch zu. Der Mann war käsebleich geworden und erwachte erst durch den Zuruf aus seiner Erstarrung. Er griff in seine Tasche, zog ein altmodisches Handy hervor – der Attentäter wirbelte herum und schleuderte das Messer. Gurgelnd sank der Barkeeper zu Boden, als die tödliche Klinge seinen Kehlkopf durchbohrte. Sora schlug die Hand vor den Mund.

„Du hättest auch im Sitzen auf den Tod warten können. Mir ist noch nie jemand entkommen“, sagte der Mörder kalt und so schnell, dass er sich im Dämmerlicht der Neonstreifen in einen Schatten verwandelte, stürzte er sich auf Sora. Auf seiner vorgestreckten linken Hand prangte ein eiserner Aufsatz, aus dem drei lange, grauschwarze Krallen ragten. Sora sprang geistesgegenwärtig zur Seite und riss dabei einen Barhocker um, kam aus dem Gleichgewicht und stürzte. Die Klauen zogen tiefe Furchen über die Tischplatte der Bar. Die Augen des Fremden glühten regelrecht in der Dunkelheit und funkelten Sora wie Eiskristalle an.

„Palmon! Du musst etwas tun!“, schrie Mimi entsetzt.

„Aber dann sieht man mich …“

„Ist doch völlig egal, tu was!“

Palmon krabbelte umständlich aus dem umgefallenen Koffer. Der Attentäter wollte sich mit erhobener Krallenhand auf Sora stürzen, als das Digimon erneut seine Rankenfinger vorschnellen ließ. „Giftiger Efeu!“ Wie Seile umwickelten sie den Oberkörper des Angreifers. Der Schwarzgewandete wirbelte herum und zerhackte die Schlingen ohne Mühe mit seinen Krallen.

„Du bist also ihr Digimon?“, fragte er leise. „Oder …“ Sein Blick fiel auf Mimi und plötzlich zuckten seine Mundwinkel. „Oder seid ihr alle beide DigiRitter? Dann ist heute ja mein Glückstag.“

„Das werden wir noch sehen“, fauchte Palmon. Etwas an Mimis Tasche begann zu glühen. Sora glaubte zu ahnen, dass es ihr DigiVice war. Palmon wurde von goldenem Licht eingehüllt, als es digitierte. Sora schluckte und kroch so weit es ging zurück. Gut möglich, dass es in dem Lokal jetzt eng wurde …
 

Unter den Fußgängern, die zu dieser Stunde noch auf der Straße waren, brach in Sekundenschnelle Panik aus. Die komplette Glasfront des Lokals La Liberté zersplitterte, Scherben regneten auf den Bürgersteig. Eine schlanke, schwarze Gestalt sauste durch die Öffnung, rollte sich auf dem scherbenübersäten Boden ab und sprang wieder auf die Beine, und keine Sekunde später bückte sich ein riesiger, lebendiger Kaktus mit roten Boxhandschuhen unter die Fensterkante hindurch und setzte dem Schwarzgekleideten nach.

Mimi und Sora, die vor Schreck immer noch ein wenig wackelig auf den Beinen war, folgten ihm nach draußen, blieben aber vorsichtshalber hinter den relativ dünnen, nadelgespickten Beinen von Togemon.

„Hast du eine Ahnung, wer das ist?“, fragte Mimi zaghaft.

Sora schüttelte stumm den Kopf.

Jeden Menschen hätte das riesige Pflanzendigimon in die Flucht geschlagen – das zeigte allein die Panik, die der Kaktus in dieser Straße der Fußgängerzone auslöste: Wer nicht neugierig und leichtsinnig genug war, hinter der nächsten Häuserecke auf Togemon zu spähen, rannte, als ginge es um sein Leben.

Nicht so der Fremde. Es schien, als würde ihn Togemon nicht einmal im Ansatz beeindrucken. Der Kaktus trampelte ihm nach und ließ seine Fäuste spielen. Der Attentäter rollte sich elegant zur Seite ab, als die Boxerhand so hart in den Boden schlug, dass die Pflastersteine Risse bekamen und Steinstaub aufwirbelte. Sofort setzte ihm Togemon weiter nach, aber der Fremde wich erneut aus, federte aus der Hocke auf die Spitze des abstrakten Springbrunnens, der die Mitte der Straße zierte, und sprang von dort weiter auf die rotweiß gestreifte Markise eines Geschäfts, während Togemons Faust die Skulptur in Stücke sprengte.

Sora verfolgte seinen Bewegungen mit weit aufgerissenen Augen. Er schien angesichts des riesigen Digimons, gegen das er absolut nichts ausrichten konnte, ganz cool zu bleiben und beschränkte sich darauf, auszuweichen und sich wahrscheinlich eine Strategie zu überlegen … Sie studierte aufmerksam seine Bewegungen. Sie waren schnell und kraftvoll, aber keineswegs übernatürlich; er war ein gewöhnlicher Mensch, durchtrainiert und ausdauernd, mit großen akrobatischen Fähigkeiten.

Togemon wurde des Herumspielens überdrüssig. „Nadelfeuer!“, rief es und ein Hagel aus spitzen Dornen löste sich aus seinem Körper und schoss auf den Attentäter zu.

„Togemon!“, rief Mimi entsetzt. Er war trotz allem nur ein Mensch, kein Digimon … Aber immerhin hatte er versucht sie zu töten, machte sie sich bewusst. Außerdem war das Nadelfeuer bereits eröffnet.

Der Attentäter schlitzte mit seiner unheimlichen Kralle den Markisenstoff auf – er zerfetzte ihn regelrecht – und glitt durch den Schnitt nach unten. Der Nadelregen war weit genug gestreut, um ihn auch dort zu treffen, doch der Schwarzgekleidete sprang auf einen Tisch, trat kraftvoll die Kante hinunter, glitt gleichzeitig hinter ihn und zog ihn an der anderen Kante nach oben, sodass der Tisch zu einem provisorischen Schutzschild aufkippte. Die Nadeln prasselten wirkungslos dagegen, einige blieben in der dicken Holzplatte sogar stecken, aber keine konnte den Attentäter auch nur ankratzen.

„Er ist zu schnell für Togemon“, murmelte Sora, die von Sekunde zu Sekunde weniger glauben konnte, was sie da sah. Ein Mensch, der gegen ein Digimon kämpfte? Unmöglich!

„Togemon!“, rief Mimi. „Du musst noch einmal digitieren, dann schaffst du es!“

Togemon wandte sich um. „Bist du sicher, Mimi?“

„Aber Mimi!“, rief Sora. „Wenn es zu Lilymon digitiert … Es ist viel zu stark für einen …“ Sie verstummte, als sie den zornigen Gesichtsausdruck ihrer Freundin sah.

„Na und? Er wollte dich töten, Sora!“ Ein grünes Leuchten durchdrang den Stoff von Mimis Top. Das Symbol der Aufrichtigkeit glühte in ihrer Brust und das Licht griff auf Togemon über. Während der Kaktus zusammensank und ins Nichts schrumpfte, erblühte auf seinem Kopf eine Blume und gab Palmons Ultraform frei: Schnell wie ein Kolibri und anmutig wie eine Fee flatterte Lilymon in die Lüfte.

„Wollen mal sehen, wie du mir jetzt entkommen willst! Blumenkanone!“ Die Hände des Kobolddigimons verschmolzen zu einer Blüte, die sich entfaltete und einen leuchtenden Schuss abgab, der den Tisch traf und zerschmetterte, sodass die Trümmer quer durch die ganze Straße rollten.

Der Attentäter war nicht mehr da – dafür war die Tür des Geschäftes eingetreten worden. Die Zeit, die Togemon für die Digitation gebraucht hatte, hatte er genutzt, um hinter seinem Schild unbemerkt in das Gebäude einzubrechen. „Ist er geflohen?“, fragte Sora hoffnungsvoll.

Glas splitterte, als das Fenster direkt neben Lilymon zu Bruch ging. Mit vorgestreckten Krallen sauste der Schwarzgewandete auf das Digimon zu, das ihn gerade noch rechtzeitig bemerkte. Lilymons schnelle Flügel surrten, als es auswich, fünf, sechs Meter in die Luft schoss und sofort noch eine Kanonenladung auf den Angreifer schleuderte.

Dieser kam in einer eleganten Rolle wieder auf die Füße und rannte weiter – doch Lilymon hatte gut gezielt. Die Blumenkanone erwischte ihn mitten im Laufen – alles, was er tun konnte, war, sich mit dem Krallenhandschuh zu schützen, der sich sofort in einen funkelnden Datensturm auflöste. Der Fremde wurde von den Füßen gerissen und schlitterte über das Pflaster, kam in einer fließenden Bewegung wieder auf die Beine und führte seinen Spurt zu Ende, der ihn in ein kleines Seitengässchen führte.

„Sag mir, dass ich träume“, murmelte Mimi ungläubig.

Auch Sora schüttelte fassungslos den Kopf. „Er nimmt es tatsächlich mit Lilymon auf …“

Der dunkle Attentäter sprang auf einen in der Gasse stehenden Müllcontainer, dann gegen die Wand, stieß sich sofort wieder ab und gleich nochmal an der gegenüberliegenden Wand und landete schließlich im ersten Stock des Gebäudes auf einem schmalen Fenstersims und hielt sich mit der Hand an der Regenrinne fest. Eine Blumenkanone sauste haarscharf an ihm vorbei und explodierte an der anderen Hausmauer. Die Druckwelle ließ den Kapuzenmantel des Fremden flattern und zerzauste sein rabenschwarzes Haar, und in diesem Moment sah Sora etwas an seinem Gürtel grün aufleuchten.

Der junge Mann hob den rechten Arm. Wie aus dem Nichts tauchte ein schwarzer Handschuh auf seiner Hand auf, aus dem ein violett glühender, unterarmlanger Stachel wuchs. Der Attentäter stieß sich vom Fensterbrett ab. Er stach nach Lilymon, das gerade noch ausweichen konnte, doch die Attacke durchbohrte einen seiner Flügel und ließ es mit einem Aufschrei zu Boden trudeln.

Aber Lilymon war nicht das eigentliche Ziel des Assassinen gewesen. Bevor Sora wusste, wie ihr geschah – der Kampf der beiden hatte sie so gebannt –, sah sie ihn mit wehendem Mantel wie ein Raubvogel auf sich zustürzen.

Es war Mimis Geistesgegenwart zu verdanken, dass sie überlebte. Ihre Freundin stieß einen spitzen Schrei aus, als sie die Gefahr erkannte, packte Sora am Arm und riss sie zur Seite. Ein glühender Schmerz brannte sich in ihren Oberarm, als der violette Stachel durch ihre Schulter schlitzte und die Wucht des Anpralls sie, Mimi und den Angreifer gleichermaßen zu Boden stürzen ließ.

Tränen stiegen in Soras Augen, als sie den prickelnden Schmerz spürte, der sich ihren Arm hinunterfraß. Sie wollte vorsichtshalber gar nicht nachsehen, wie tief die Wunde war … Der Attentäter ließ ihr auch keine Zeit dazu. Er hatte es irgendwie fertiggebracht, sich bei diesem Sprung nicht beide Beine zu brechen und war schon wieder auf den Füßen. Der Stachelhandschuh war verschwunden. Er umkreiste die Mädchen, offenbar noch am Überlegen, wie sein nächster Angriff aussehen sollte – als Lilymon zwischen ihn und sein Opfer sprang. „Du hast wohl nie genug?“, fragte es.

Der Fremde hob die Hände, als würde er einen unsichtbaren Gegenstand halten, und ließ sie dann wieder sinken. Durch ihren Tränenschleier meinte Sora, ein rotes Blinken an seinem Gürtel zu sehen, aber vielleicht täuschte sie sich. „Schon aufgebraucht? Naja, es war ja auch ein langer Tag“, sagte er. In der Ferne ertönte Sirenengeheul – Polizeiwagen, die auf dem Weg hierher waren. Natürlich, der Kampf war nicht unbemerkt geblieben. Der Attentäter horchte. „Immer zur ungünstigsten Zeit“, murmelte er. Er wirbelte auf dem Absatz herum, Lilymon spannte sich an, doch er lief nur zu dem zerstörten Fenster im Erdgeschoss des Geschäftes und schwang sich durch den scherbenbesetzten Fensterrahmen.

„Lass ihn nicht entkommen! Lilymon!“

Das Digimon flatterte ungeschickt mit seinem kaputten Flügel auf die Stelle zu.

„Alles in Ordnung?“, fragte Mimi und starrte auf Soras Verletzung, wagte aber nicht, sie zu berühren. „Aua, das sieht schlimm aus …“

Sora musste all ihre Nervenstärke zusammennehmen um die Ursache des brennenden Schmerzes in Augenschein zu nehmen. Es war nicht annähernd so schlimm, wie es sich anfühlte – auch, wenn es nicht gerade eine Schramme war. Der Stachel hatte sie nur gestreift und eine flache, lange Wunde in ihre Schulter gerissen, die jedoch heftig blutete. Ihr einfaches Sommerkleid hatte bereits unansehnliche, rote Flecken abbekommen, aber wahrscheinlich musste man die Verletzung nicht einmal nähen.

„Mimi!“, ertönte Lilymons Stimme aus dem Ladeninneren.

„Ja?“

„Er ist fort.“

„Was meinst du mit fort?“ Mimi und Sora folgten dem Digimon in das verlassene Geschäft. Eine eingetretene Tür an der Hinterseite des Raumes führte in ein winziges Büro. Es war ebenfalls leer, aber der uralte Röhrenbildschirm des Computers, der auf dem Schreibtisch stand, flimmerte hell.
 

================================
 

So, Actionkapitel Nr. 2! Ich hoffe, dass, obwohl das Attentat doch recht vorhersehbar war, der Wechsel zwischen Alltag und Kampf auch hier wieder überraschend gekommen ist - oder wart ihr gleich am Anfang bei diesem "Fan" misstrauisch? Ansonsten hoffe ich, dass es wieder schön spannend war und man dem Kampfverlauf gut folgen konnte ;) Ich hab mich bemüht, Soras Skrupel, gegen einen Menschen zu kämpfen, herauszuarbeiten, und auch, den mysteriösen Attentäter nicht als Übermensch erscheinen zu lassen. Hoffe, es ist mir gelungen^^

Danke übrigens für die Kommis beim letzten Kapitel! Ihr seid super :D

Detective Work

Tokio, Japan

Mittwoch, 1. August 2007

07:00 Uhr
 

Tai gähnte. So früh aufzustehen, obwohl Ferien waren, lag ihm ganz und gar nicht. Ein Jahr lernen wäre seiner Ansicht nach schon schlimm genug, könnte man bis Mittag schlafen, aber dann nicht einmal in der Freizeit ordentlich ausschlafen zu können …

Seine Schwester Kari kam in die Küche und richtete sich ihre Portion Frühstückmüsli her. Wie sie das frühe Aufstehen so einfach wegsteckte, ohne auch nur müde zu wirken, war ihm ein Rätsel. Er wollte schon etwas dazu sagen, ließ es dann aber bleiben, als sie den Fernseher einschaltete.

Eine blonde Nachrichtensprecherin berichtete eben von einem Mordfall in West-Shinjuku. „Es handelt sich bei dem Opfer um einen vierzehnjährigen Mittelschüler, der ermordet in der Wohnung seiner Eltern aufgefunden wurde. Der Junge dürfte um die Mittagszeit alleine zuhause gewesen sein und am Computer gespielt haben, als der Täter ihn angegriffen hat. Die Hintergründe der Tat sind noch unklar. Bislang wurde die Tatwaffe, vermutlich ein Messer, noch nicht gefunden. Die Polizei geht von einem Profi aus, da der Tod durch einen einzigen Stich ins Herz eingetreten ist.“

Kari schüttelte den Kopf. „Er war noch ein Kind …“

„Wer zum Teufel tut so was nur?“, brummte Tai, aber es klang abgestumpft. Meldungen wie diese kamen schließlich oft im Fernsehen, und die Frage nach dem Warum war meistens einfach nicht zu erklären.

„Dieser grausame Mord ist nur einer in einer Reihe von insgesamt vier Kindermorden, die in den letzten Tagen in Tokio verübt wurden. Experten gehen von einem psychopatischen Serienmörder aus.“

„Soll ich umschalten?“, fragte Tai trocken.

Kari schüttelte nur den Kopf. Also zuckte er mit den Schultern und biss in seinen Toast. Nun kam sowieso eine andere Meldung.

Es dauerte nicht lange, bis Tais Handy lautstark klingelte. Mit vollem Mund hob er ab. „Izzy, was gibt’s?“

„Wo zum Teufel bleibt ihr? Ihr wolltet schon längst bei mir sein!“, ertönte die aufgebrachte Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Ich hab dir gesagt, dass wir erst frühstücken, bevor wir zu dir fahren, und wir frühstücken noch“, mampfte Tai.

„Verdammt noch mal, Tai, das ist wichtig, geht das nicht in deinen Schädel?!“

„Ist ja schon gut, wir kommen ja schon.“ Tai legte auf und schluckte erst mal hinunter. „Er ist so nervös in letzter Zeit, so kenne ich ihn gar nicht.“

„Es wird wirklich etwas Wichtiges sein“, meinte Kari unbehaglich. „Immerhin hat er sich extra bei seiner Firma krankgemeldet und versucht, uns alle zusammenzutrommeln.“

Und das Dumme war, dass sie Recht hatte. Tai nahm die Fernbedienung und schaltete den Apparat aus.
 

Izzy wartete ungeduldig, bis die beiden in seinem Zimmer auf eilig herbeigeschafften Bürostühlen Platz genommen hatten. Er schämte sich fast selbst dafür, so ungeduldig zu sein, aber es ging einfach alles zu langsam: Gestern, seit seiner Mittagspause – obwohl diese offiziell wegen des Netzwerkproblems für die Supportabteilung ausgefallen war – hatte er versucht, alle DigiRitter ihrer und Davis‘ Generation anzurufen. Das Ergebnis war ernüchternd gewesen: In den Jahren hatten sie sich immer mehr aus den Augen verloren und das bekam er nun zu spüren.

„Und? Stand der Dinge?“, fragte Tai.

Izzys Augenbrauen sanken ein wenig. „Stand der Dinge: Entmutigend. Soll ich dir sagen, wen ich gestern erreicht habe? Außer euch hat mich nur T.K. zurückgerufen. Er sollte in den nächsten Minuten hier sein. Von ihm hab ich erfahren, dass Matt immer noch auf Tournee ist. Da also schon mal Fehlanzeige. Sora ist auch nicht im Land, und ich hab ihre momentane Nummer nicht.“

„Ich hätte sie dir geben können“, meinte Tai, aber Izzy winkte ab.

„Es war dann im Endeffekt auch schon egal. Dachte ich mir zumindest, nachdem ich auch noch die anderen durchprobiert hatte.“ Er seufzte und wirkte nicht mehr genervt, sondern einfach nur erschöpft. „Von Mimi hab ich an die fünf Handynummern, aber sie hat bei keiner abgehoben. Wahrscheinlich fehlt mir gerade die, die sie momentan hat. Ich hab ihr dann noch eine Mail geschrieben, aber bis sie die liest …“ Er hob die Schultern.

„Was ist mit Joe?“, fragte Kari.

Izzy schnaubte. „Der muss lernen, sagt er. Wenn alle hier wären, würde er auch kommen, aber bis dahin hat er wichtige Sachen zu erledigen. Ich hab ihm dann gesagt, es eilt nicht, weil ich sowieso erst die Hälfte erreicht habe. Tja, Yolei ist bei ihrem Onkel in Korea auf Urlaub, Cody hat mich noch nicht zurückgerufen, Davis hat heute ein wichtiges Fußballmatch in Hokkaido … Tja, und Ken …“

Er sprach nicht weiter und auch Tai und Kari senkten betroffen den Blick. Das Unglück der DigiWelt hatten sie damals abgewehrt, aber Kens persönliches Unglück hatte ihn weiter verfolgt. Vor etwas mehr als einem halben Jahr waren beide seine Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Vor allem Davis und Yolei hatten versucht, Ken in dieser schweren Zeit beizustehen, aber er war immer abweisender geworden. Kurz darauf war er dann einfach verschwunden gewesen – er hatte weder auf Anrufe noch auf E-Mails reagiert. Polizeilich galt er als vermisst.

„Soweit der Stand der Dinge“, brach Izzy das unangenehme Schweigen. „Aber das größte Problem, nein, die größte Gefahr ist: Gestern habe ich noch gedacht, es würde nicht eilen und wir könnten warten, bis wir alle wieder einmal in Tokio versammelt sind. Aber das hat sich jetzt geändert.“

Tai nickte. Izzy hatte so etwas schon am Telefon erwähnt. Da sie schon immer recht gut befreundet gewesen waren und er außerdem noch Ferien hatte, war er von dem Rotschopf als erstes angerufen worden und hatte auch sofort abgehoben.

Es klopfte und gleich darauf kam T.K. herein. Er trug einen Jogginganzug und wirkte verschlafen, hatte aber eine ernste Miene aufgesetzt. „Hallo. Tut mir leid, dass ich so spät komme.“ Er nickte Tai zu und gab Kari einen flüchtigen Kuss auf die Wange. „Geht es dir gut?“, fragte er plötzlich, als er sich Izzy zuwandte. „Du wirkst irgendwie … krank.“

Tai stutzte und besah sich Izzy genauer. Jetzt, wo er es sagte: Der Computerfreak hatte tatsächlich tiefe Ringe unter den Augen und war blasser als üblich. „Es geht schon, danke“, winkte Izzy ab. „Es waren zwei anstrengende Tage für mich, das ist alles. Gestern das mit der Firma … und dann meine Recherchen über die neuen DigiRitter …“

„Wie war denn das gestern eigentlich? Wisst ihr, wer das Netzwerk gestört hat?“, fragte Tai, als T.K. sich einen Hocker schnappte und sich neben Kari setzte.

Izzy wurde nachdenklich. „Außer mir weiß es keiner“, sagte er. „Es gibt mir auch keiner die Schuld, aber … Ich hab dir von diesem Jagari erzählt, Tai.“

Tai nickte. „Willst du damit sagen …?“

„Ja. Er war es. Er hat unser Firmennetzwerk gecrasht, und zwar gründlich.“

Tai hob ungläubig die Augenbrauen. „Aber stand er nicht auf unserer Seite? Wieso sollte er das tun?“

„Das kann ich dir sagen. Als er mit mir gesprochen hat, wollte jemand – oder etwas – bei seiner Tür herein. Er saß in der Enge und hat mir so viel es ging mitgeteilt, bevor er …“ Izzy brach ab und begann neu. „Tai, Kari, das ist das Problem, vor dem wir stehen. Wir müssen uns damit abfinden, dass offenbar jemand die DigiRitter umbringt.“

Schweigen trat ein. T.K. nickte. Tai fragte sich, ob er schon mehr darüber wusste als sie.

„Laut Jagari gibt es in der DigiWelt noch einen DigiRitter, der dort Probleme verursacht oder etwas in der Art. Jagari hat gewusst, dass er nicht mehr lange Zeit hat, und sich an uns gewendet, damit wir dieses Problem lösen. Aber er hat befürchtet, dass der Feind herausfinden würde, dass er mit mir Kontakt hatte. Damit wäre ich als ehemaliger DigiRitter ebenfalls in Gefahr – und der Feind müsste nur ein wenig in Schularchiven und sonstigen Dingen stöbern und würde auch eine Verbindung zu euch allen aufdecken. Also hat Jagari, als er sich in unser Netzwerk gehackt hat, einen Virus mitgebracht, der dort alle Verbindungen zerstört und Chaos verursacht hat.“

„Aber warum muss er da so viel Schaden anrichten?“, fragte Tai zweifelnd. „Hätte es nicht gereicht, wenn er mit einem eigenen Computer offline geht?“

Izzy schüttelte den Kopf. „Ich könnte dir jetzt einen Vortrag über IP-Adressaufzeichnungen, Routerprotokolle, Datenverschlüsselung und noch einige andere Dinge halten, aber ich mach’s kurz: Wenn der Feind sich so gut mit Computern auskennt wie ich oder Jagari, weiß er zweifellos, dass er mit meiner Firma Kontakt hatte. Da Jagari aber unser Netzwerk lahmgelegt hat, kommt der Mörder da nicht ran und weiß somit nicht, mit wem genau er geredet hat.“ Izzy seufzte ergeben. „Soweit die Theorie.“

„Ja“, meinte T.K. bitter. „Ganz dürfte sein Plan wohl nicht aufgegangen sein.“

„Was meinst du damit?“, fragte Tai, aber T.K. schüttelte nur den Kopf und ließ Izzy weitererzählen.

Seine Tonlage hatte sich verändert, als der Computerfreak sagte: „Matt hat mich heute Morgen angerufen. Er wurde angegriffen, in Madrid, scheinbar grundlos.“

„Ist das wahr?“ Tai und Kari rissen die Augen auf.

„Das ist noch nicht alles. Matt hat mir noch mehr erzählt: Kaum zehn Minuten später hat derselbe Attentäter in Paris Sora und Mimi angegriffen. Sora wurde sogar verletzt.“

„Sora wurde …“ Tai sprang auf. „Warum hast du das nicht gleich gesagt?!“ Er wirkte auf einmal, als würde er Izzy gleich an die Gurgel springen.

„Beruhige dich“, murmelte T.K. „Es ist nichts Ernstes.“

„Bist du sicher, dass es derselbe Attentäter war?“, fragte Kari unsicher.

„Hundertprozentig nicht. Er müsste immerhin mehr als tausend Kilometer in zehn Minuten zurückgelegt haben. Allerdings ist er nach dem Angriff auch spurlos verschwunden.“ Izzy machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. „Sora und Mimi sind momentan mit dem Zug auf dem Weg zu Matt. Mimi hat Palmon dabei, sie sind also wenigstens geschützt. Sobald sie bei ihm sind, fliegen sie alle drei zurück nach Japan.“

„Moment – wenn jemand Matt und Sora in Madrid gefunden hat …“ Tai hatte sich noch immer nicht gesetzt.

„Ja, Tai. Dann sind wir in noch größerer Gefahr“, sagte Izzy und wirkte plötzlich etwas beklommen.

„Und das alles, obwohl wir keine Ahnung haben, worum es geht“, meinte T.K. bitter.

Izzy drehte sich auf seinem Sessel herum und wandte sich seinem Computer zu. Neben dem modernen Flachbildschirm standen auch noch zwei Laptops auf dem Schreibtisch. Izzy hatte immer die neueste – und teuerste – Ausstattung. „Das ist genau unser Problem. Ich fasse zusammen: Ein offenbar wahnsinnig gewordener DigiRitter bedroht die DigiWelt und steckt wahrscheinlich auch hinter den Attentaten. Das ist alles, was wir wissen, und es ist auf jeden Fall zu wenig, um eine Gegenmaßnahme zu treffen und uns zu schützen.“ Er machte nebeneinander ein paar Fenster auf dem Bildschirm auf. „Ich hab mich schon ein wenig schlau gemacht, was Jagari angeht. Er ist leider wirklich tot, sie haben’s heute Morgen in den Nachrichten gesagt.“

Er war das?“, fragte Tai ungläubig. „Jagari?“

Izzy nickte, ohne ihn anzusehen. „Sein voller Name ist Jagari Morino. Ich habe sogar schon rausgefunden, wo er wohnt, und außerdem noch die Namen und Adressen seiner Freunde, von denen ich vermute, dass sie die neuen DigiRitter sind ... oder viel eher waren.“

„Wie hast du das geschafft?“, fragte T.K. anerkennend.

Ohne eine Miene zu verziehen, sagte Izzy: „Eine kleine illegale Aktivität hier und da ist manchmal ganz nützlich.“ Er öffnete das Bild eines Stadtplans, auf dem Jagaris Wohnung eingezeichnet war.

„Und was hast du jetzt vor?“, fragte Kari.

„Bis wir nicht alle wieder versammelt sind, können wir wenig tun. Und selbst, wenn wir wieder alle vereint sind …“ Sie wussten alle, was er meinte. Seit sie MaloMyotismon besiegt hatten, hatten ihre DigiVices es nicht mehr geschafft, eine Verbindung zur DigiWelt aufzubauen, weder die der alten, noch die der jüngeren DigiRitter. „Was wir aber tun können, ist, so viele Informationen wie möglich zu sammeln. Als Jagari mit mir via Computer gesprochen hat, hab ich nur die Hälfte verstanden. Vielleicht stoßen wir bei ihm daheim auf Hinweise, was er mir noch hat sagen wollen.“

„Bei ihm daheim? Aber wie sollen wir das machen?“, fragte Kari unsicher.

„Wir müssen uns eben etwas ausdenken. Es geht immerhin um die DigiWelt – und um unsere Leben“, sagte T.K. entschlossen.
 

„Du meinst, das klappt?“, fragte Tai zweifelnd.

„Warum nicht?“

„Ich weiß nicht … Ich find’s ein wenig taktlos.“

Izzy rollte die Augen. „Hör mal, das Schicksal der DigiWelt steht auf dem Spiel und wir befinden uns vielleicht in Lebensgefahr, und du …“

„Schon gut, ich hab’s nicht so gemeint“, sagte Tai schnell.

Izzy sah ihn noch eine Weile missmutig an, dann drehte er sich zu der Haustür um. „Ich läute jetzt an“, verkündete er und drückte den Klingelknopf.

Sie musste länger als eine Minute warten, bis ihnen von einer untersetzten Frau mit lockigen Haaren geöffnet wurde.

Tai erschrak. Er hatte in seinem kurzen Leben schon viel erlebt, aber noch nie hatte er eine Frau gesehen, die derart zerstört wirkte. Ihre Augen waren leer, rot und verquollen und tiefe Falten hatten sich in ihr Gesicht gegraben. Sie ging ein wenig gebückt, als läge ihr eine schwere Last auf dem Rücken. Tai konnte es sich nicht vorstellen, was die Sache für sie bedeutete. Für ihn und die anderen war Jagari ein Mitstreiter gegen die Macht der Dunkelheit in der DigiWelt gewesen und sie hatten ihn nicht einmal persönlich gekannt. Für diese Frau war er ihr Sohn gewesen – Izzys Nachforschungen zufolge ihr einziger.

„Ja?“, fragte sie mit zittriger Stimme.

Tai räusperte sich. Sie hatten vereinbart, dass er redete, auch wenn er dazu absolut keine Lust verspürte. „Entschuldigen Sie bitte die Störung. Sind Sie Jagaris Mutter?“

Die Frau schluckte, ehe sie antwortete. „Ja, bitte?“

„Ich bin Taichi, das sind meine Schwester Hikari, Koshiro und Takeru. Wir sind … Freunde von Jagari.“ Er stockte.

„Wir wollen Ihnen unser Beileid aussprechen“, sprang T.K. ein.

Abermals schluckte die Frau, als müsste sie gegen die Tränen ankämpfen. „Danke. Jagari hat mir nie etwas von euch erzählt.“ Tai wollte schon etwas entgegnen, als sie sagte: „Aber das muss ja nichts heißen. Er war schon immer sehr verschlossen. Saß fast die ganze Zeit am Computer …“

„Bitte, wir würden auch gerne wissen, warum das mit Jagari … passiert ist“, sagte Kari. „Es war auch ein großer Schock für uns. Dürften wir uns vielleicht sein Zimmer ansehen?“

Die Frau rang sichtlich mit sich. Einen Moment befürchteten die DigiRitter, sie würde die Fremden einfach abweisen, aber dann sah man ihr regelrecht an, dass es ihr egal war. „Kommt herein.“

Sie führte sie direkt in das Zimmer am Ende des kurzen Ganges; das Haus war nicht sehr groß. Aus der Küche drang ein eigentümlicher Geruch und so laute Radiomusik, als hätte sich Jagaris Mutter damit betäuben wollen.

Als sie die Tür öffnete, lag das Zimmer im Halbdunkel vor ihnen. Polizei und Spurensicherung waren schon wieder abgezogen, und man sah deutlich, dass noch niemand hier gewesen war, um aufzuräumen, und auch als die DigiRitter es betraten, blieb die Frau im Türrahmen stehen, als hätte sie Angst davor, einzutreten.

Vor allem Izzy sah sich gründlich um. Es wirkte wie ein ganz normales Teenager-Zimmer und es war dasselbe, das er über das Chatfenster gesehen hatte. Allerdings … „Ich dachte, Jagari hätte hier einen Computer gehabt?“, sagte er.

Jagaris Mutter nickte langsam. „Den hat die Polizei mitgenommen. Wegen der Spurensicherung … Er war komplett in Stücke gehauen …“ Die letzten Worte waren so leise und erstickt, dass man sie fast nicht verstand.

In Stücke gehauen? Izzy tauschte einen Blick mit Tai. Dieser nickte. Nicht nur, dass der Attentäter trotzdem irgendwie von ihnen erfahren hatte, er hatte auch noch alles zerstört, was ihnen weiterhelfen hätte können.

„Wer tut nur so etwas?“, wimmerte Jagaris Mutter, als Schweigen einkehrte. „Jagari war so ein lieber Junge. Er hat nie jemandem etwas getan. Die meiste Zeit war er nur in seinem Zimmer und hat am Computer gearbeitet. Vor einem halben Jahr in etwa hat er neue Freunde kennen gelernt. Übers Internet, hat er gesagt. Vielleicht sind sie ja schuld … Ich weiß es nicht.“

Das ist vielleicht gar nicht mal so falsch, dachte Izzy bitter und sah zu, wie die Frau ihre leeren Augen auf den Dielenboden richtete. Plötzlich war es den DigiRittern unangenehm, hier zu sein. „Hat er viel mit diesen Freunden unternommen?“, fragte T.K. auf einmal.

Die Augen der Frau richteten sich auf ihn, als würde sie diese Frage überraschen. „Oh ja. Er ist oft nach der Schule mit ihnen zusammen ins Kino gegangen oder zum Fußball spielen, er hat sich auch manchmal in seinem Zimmer eingeschlossen, damit sie in Ruhe übers Internet Spiele spielen oder chatten konnten … Und einmal haben sie sogar einen mehrtätigen Ausflug in die Berge unternommen.“

Diesmal nickten sich T.K. und Kari zu. Das waren genau die Ausreden für einen kürzeren bis längeren Trip in die DigiWelt.

Jagaris Mutter seufzte. „Mein armer Junge … Dabei hatte ich mich so gefreut, weil er früher nur mit seinen Computern gearbeitet hat …“

Es war Izzy, dem es auffiel. „Sagten Sie Computern?“

Die Frau sah ihn verwirrt an. „Ja, Computer. Er wusste alles über sie“, meinte sie.

„Heißt das, er hatte mehr als den einen?“, hakte Izzy nach.

„Selbst wenn, was …“, begann Tai, aber Izzy schüttelte den Kopf.

„Wie sieht es aus?“

Die Frau musterte ihn einen Moment, dann lächelte sie. „Du hast genau den gleichen Ausdruck in den Augen, den mein Jagari immer hatte, wenn es um Computer ging.“

„Frau Morino, hatte Ihr Sohn noch einen Computer? Es ist wichtig.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Unten im Keller … Ein altes Ding. Wir wollten es wegschmeißen.“

„Dürfte ich es sehen?“ Izzy blieb hartnäckig.

Jagaris Mutter musterte ihn zweifelnd.

„Vielleicht hat Jagari uns darauf eine Nachricht hinterlassen“, sagte der Computerfreak hastig. Tai gab ihm einen unmerklichen Stoß gegen das Schulterblatt, aber das Argument schien die Frau – warum auch immer – zu überzeugen.

„Kommt mit“, sagte sie und schlurfte mit hängenden Schultern los.
 

Der Keller war vollgerammelt mit allem möglichen Plunder. Alte Fahrräder staubten hier genauso vor sich hin wie Familienalben, alte Radios und – ein alter Blechkasten, der der PC war, von dem Frau Morino gesprochen hatte.

Izzy kniete sich neben dem Gehäuse nieder. Es waren Fingerabdrücke im Staub zu sehen. Am meisten überraschte ihn jedoch das Kabel, das aus der Hinterseite des Computers lief und in der Wand verschwand. „Er hat Strom“, sagte Izzy und deutete auf das grün leuchtende LED auf der Vorderseite. „Und er ist eingeschaltet.“

„Ich lasse euch hier allein. Das Zeug ist ohnehin wertlos“, meinte Jagaris Mutter und stieg die schmale Treppe wieder hoch. Offenbar hatte sie den Hoffnungsschimmer, Jagari könnte eine Nachricht hinterlassen haben, ebenso schnell fallen gelassen, wie sie ihn gefasst hatte.

Izzy packte seinen Laptop aus und verband ihn mit dem Computergehäuse, um einen Bildschirm zu haben, dann schloss er eine Maus an den Uralt-PC an. Er brauchte nicht einmal ein Passwort, um sich einzuloggen. Auf dem blankblauen Desktop lag nur ein Ordner, in dem an die zwanzig Videodateien gespeichert waren. „Haha!“, rief Izzy aus. „Ich wusste es!“

Kari und T.K. schauten ihm neugierig über die Schulter. Tai machte sich nicht die Mühe, auf den Bildschirm zu sehen. „Was denn?“, fragte er gelangweilt.

„Der Computer hier ist zwar alt, aber er hat anscheinend WLAN. Vielleicht hat Jagari ihn umgebaut. Er hat wohl gewusst, was ihm blüht, und benutzt ihn als eine Art RAID-System. Er hat die beiden Computer über ein Adhoc-Netzwerk verbunden, unser Gespräch gescreencuttet und ein Backup davon auf den hier überspielt.“

„Hä?“, machte Tai. Er kannte sich zwar ein wenig mit Computern aus, aber Izzys Fachchinesisch war wesentlich einfacher zu entschlüsseln, wenn man es sich einfach nochmal für Normalsterbliche erklären ließ.

Izzy seufzte ungeduldig. „Er hat mit seiner Webcam das Gespräch mit mir aufgezeichnet. Wahrscheinlich hat er gewusst, dass es Bild- und Tonstörungen gibt. Außerdem hat er das Aufnahmeprogramm so umgeschrieben, dass es alle zehn Sekunden kurz unterbricht und das Folgende in eine neue Videodatei schreibt, während es die alte auf diesen PC hier im Keller kopiert. Was wir hier sehen“, er scrollte durch die Dateienliste, „ist das, was seine Webcam aufgenommen hat, in Zehn-Sekunden-Videos unterteilt. Der Attentäter hat zwar den Computer in seinem Zimmer zerstört, aber von der Datensicherung hier unten hat er sicher nicht mal gewusst. Genial!“

„Deine Augen leuchten wirklich, weißt du das?“, fragte Tai.

Izzy hörte gar nicht zu. Er zückte einen USB-Stick, schloss ihn an und kopierte die Videos darauf. „Das reicht fürs erste. Daheim schneide ich sie zusammen, damit wir das ganze Video sehen.“
 

==================================
 

So, eher ein storylastiges Kapitel. Nicht besonders spannend, aber ich hoffe, dass die Nachforschungen trotzdem nicht langweilig waren, und ich will auch keine reine Action-FF hieraus machen. Ich finde, man sieht ganz gut, wie verstreut die DigiRitter nach den Jahren wirklich sind.

Das nächste Kapitel wird DigiWar heißen und begibt sich wieder auf Kens Spuren. Bis dann!

DigiWar

Unbekannter Ort, DigiWelt

Unbekannte Zeit
 

Das Knallen der Tür, die jemand zuschlug, riss Ken aus seinem Schlaf. Er wusste instinktiv, dass viel Zeit vergangen war, vielleicht ein ganzer Tag, vielleicht sogar mehrere. Dennoch fühlte er sich nicht ausgeruht; ganz im Gegenteil brodelte eine Übelkeit in ihm hoch, als hätte sie nur darauf gewartet, dass er endlich aufwachte, um ihn anfallen zu können. Er lag immer noch in dieser Höhle … in die Moyamon soeben raschen Schritts hereingestapft kam, und allein die hektische Art, wie sich das Digimon den Schnee aus dem Pelz schüttelte, machte ihm klar, dass etwas nicht in Ordnung war.

„Wir haben ein Problem“, knurrte Moyamon. „Die Scherben sind da.“

Wie klirrendes Eis hallten seine Worte in der Höhle wider. Frigimon saß unweit des Feuers, das zu einem Gluthaufen geschrumpft war. Dementsprechend kühl war es auch geworden.

„Die was?“, murmelte Ken schlaftrunken.

„Wir sollten machen, dass wir fortkommen. Sonst kommen wir nie wieder fort“, sagte Moyamon unheilschwanger, ohne auf seine Frage einzugehen. „Der Kampf geht in ein paar Minuten los.“

„Dann verlieren wir keine Zeit“, sagte Frigimon und richtete sich geradezu absurd langsam und schwerfällig auf. Es stapfte zu Ken. „Kannst du schon aufstehen?“

Ken horchte in sich hinein. Er fühlte sich zwar fiebrig und so schlecht wie schon lange nicht mehr, aber seine Beine würden ihn hoffentlich tragen. Indem er sich an einem Wurzelstrang festhielt, zog er sich in die Höhe. Sein linker Arm fühlte sich taub an und als er versuchte ihn zu bewegen, ging es nicht.

Wie erwartet waren seine Beine kräftig genug, um seinen Körper zu stützen. Womit er allerdings nicht gerechnet hatte, war das irre Schwindelgefühl, das ihn fast wieder zu Boden drückte. Nur mit Mühe konnte er verhindern, dass er stürzte, und sackte dafür mit einem Knie auf sein Strohlager zurück. Moyamon grunze ungeduldig.

„Komm, ich helfe dir.“ Frigimon hielt ihm seine eisige, schaufelartige Pranke hin.

„Nicht nötig, es geht schon, danke“, murmelte Ken halbherzig, als er an die Eiseskälte von Frigimons massigem Leib dachte, und versuchte erneut aufzustehen.

„Verdient hast du’s nicht“, murrte Moyamon. „Also lass dir helfen, damit wir heute noch aus dieser verfluchten Höhle rauskommen!“ Ken wurde den Verdacht nicht los, dass ihn das Digimon nicht nur nicht ausstehen konnte, sondern fast hasste. Dennoch ergriff er nach kurzem Zögern Frigimons Hand und ließ sich von ihm Huckepack nehmen. Die Kälte prickelte an seiner Haut entlang, aber wenigstens spürte er sie auch in seinem verletzten Arm. Mit dem Gefühl, einen tatsächlichen Schneemann zu umarmen, wurde er aus der Höhle getragen. Sowohl das Essen als auch das restliche Feuerholz ließen die Digimon zurück.

Erstmals sah Ken richtig, was außerhalb der Höhle lag. Nicht, dass es viel zu sehen gegeben hätte.

Vor ihnen lag ein verschneites Feld, das sanft abfiel. In der Ferne gab es noch ähnliche, geschwungene Hügel. Der Blizzard war zum Erliegen gekommen, aber dicke, weiche Flocken rieselten immer noch verträumt aus dem grauen Himmel. Auf den fernen Hügeln glaubte Ken etwas zu sehen, einen Schatten, der sich bewegte, auseinander floss und sich wieder zu einer wogenden Masse vereinte.

„Da sind sie“, brummte Moyamon.

„Beeilen wir uns.“ Frigimon drehte sich herum und riss Kens Blickfeld somit von dem Schatten fort.

„Was ist denn los?“, fragte der DigiRitter, als sie mit langsamen Schritten in dem selbst für Frigimon knietiefen Schnee den Hügel weiter erklommen.

„Es wird hier gleich eine Schlacht geben, das ist los“, grunzte Moyamon ärgerlich.

„Eine Schlacht?“

„Woher kommst du eigentlich, Junge? Hast du je von einem Krieg ohne Schlachten gehört?“, schnauzte ihn das Yeti-Digimon an.

„Lass ihn“, sagte Frigimon beruhigend. In versöhnlichem Ton fuhr er, an Ken gewandt, fort: „Die Scherben werden gegen die Tankmon kämpfen. Wir sollten weit weg sein, wenn der Kampf beginnt.“

„Was sind die Scherben?“

„Du weißt doch wohl, was Scherben sind!“, grunzte Moyamon.

Ken wollte etwas erwidern, als sich auf der anderen Seite des verschneiten Feldes große, eckige Gestalten aus dem Schneevorhang schälten und in einer streng geometrischen Linie auf die brodelnde Schwarze Masse zubewegten.

„Die Tankmon sind da“, sagte Frigimon. Sie hatten die Spitze des Hügels erreicht und bewegten sich ein wenig auf der anderen Seite hinunter, gerade so, dass sie das Feld noch im Auge behalten konnten.

Moyamon schien nervös zu werden, denn es trampelte unruhig auf der frischen Schneedecke herum. „Wollen wir noch lange hier bleiben?“

„Hier oben sehen sie uns nicht“, beschwichtigte ihn Frigimon. „Vielleicht bleibt unsere Höhle heil, dann brauchen wir gar nicht fortzugehen. Außerdem will ich den Kampf sehen.“

„Du bist wohl völlig verrückt geworden? Selbst ein Schneekopf wie du kann doch nicht so dämlich sein!“, zeterte Moyamon.

Ken hörte ihm gar nicht zu. Er wusste zwar immer noch nicht, was los war, starrte aber gebannt auf die Tankmon-Armee, die in einigen Kilometern Luftlinie durch den Vorhang des fallenden Schnees kaum zu erkennen waren.

Er hätte seine Zeit als DigimonKaiser liebend gerne vergessen, aber das konnte er nicht. Doch er hatte damit abgeschlossen – und er war längst kein Allroundtalent mehr wie damals, als er die Saat der Finsternis in sich getragen hatte. Trotzdem hatte er damals die Namen aller Digimon, die in seinem Reich unter seinem Joch hatten leben müssen, gekannt und wusste sie auch heute noch. Er wusste, dass Tankmon grüne, panzerähnliche Digimon waren, deren Nasen und Finger in Kanonenrohre ausliefen.

Ken drehte den Kopf. Die schwarze Masse war jetzt nahe genug, um auch sie zu identifizieren: Es war eindeutig eine große Gruppe Digimon, vielleicht fünfzig, vielleicht sogar mehr. Soweit er erkennen konnte, waren es ausschließlich Ogremon, zwischen deren Füßen noch einige Gazimon wuselten. „Sind diese Ogremon eure Scherben?“, fragte Ken.

Als befürchtete Frigimon, die Digimon könnten sie hören, senkte es seine Stimme. „Ja. Unter anderem. Sie nennen sich so, weil sie die Scherben der einstigen Macht der Dunkelheit sind. Die Reste der Albtraumsoldaten.“

„Albtraumsoldaten?“

„Piedmons Widerlinge“, knurrte Moyamon.

Frigimon fuhr fort: „Als die DigiRitter Piedmon im Himmelstor versiegelt haben, sind einige von ihnen auch davon eingesaugt worden. Die anderen haben sich in alle Winde zerstreut. Aber seit kurzem arbeiten sie daran, eine Armee aufzustellen.“

Ken hörte ihnen interessiert zu, während er das Feld nicht aus den Augen ließ. Jetzt drang Kriegsgeheul an sein Ohr; die Ogremon stürmten mit erhobenen Knochenkeulen auf ihre gepanzerten Gegner zu. Während sie wild und ungeordnet angriffen, waren die Tankmon kalt und berechnend. Sie bildeten eine schnurgerade Linie, richteten zugleich ihre Kanonen aus und schossen.

Mehrere Ogremon wurden von den Geschossen von den Füßen gerissen, als diese vor ihnen im Schnee explodierten. Andere wurden frontal getroffen und davongeschleudert, ehe sie sich sterbend in Datenwirbel auflösten.

„Warum kämpfen sie gegeneinander?“, fragte Ken mit mildem Entsetzen, doch weder Frigimon noch Moyamon antworteten.

Die Tankmon mähten gut die Hälfte der Ogremon und Gazimon nieder, aber so präzise sie auch waren, sie waren zahlenmäßig weit unterlegen. Als der erste Albtraumsoldat sie erreicht hatte, wendete sich das Blatt. Die Panzerdigimon, auf Fernkampf spezialisiert, konnten wenig gegen die Keulen tun, die ihre Rüstung eindellten. Einige Gazimon legten eine der Maschinen mit kleinen Stromstößen lahm, und manche Ogremon warfen die Tankmon einfach um. Es war ein lautes Scheppern und Knurren bis auf den Hügel zu hören.

Für Ken gab es keinen Zweifel mehr am Ausgleich des Kampfes. Die Übermacht der Ogremon war erdrückend. Wenn das tatsächlich alles böse Digimon waren, und wenn selbst die nur Bruchstücke der einstigen Macht der Dunkelheit waren …

Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als gute drei Kilometer hinter der Linie der Tankmon, gerade noch sichtbar für Ken, zeitgleich zwei Schneestürme auszubrechen schienen. Ken kniff die Augen zusammen. Es waren keine Stürme … Dort brach die Erde auf und spie zwei Digimon aus.

Ken hielt den Atem an. Die beiden Digimon waren riesig, höher als ein Kirchturm, grün, und sahen aus wie Roboter mit Hundeköpfen. Zwei MegaGargomon auf einmal!

Die gigantischen Maschinen fackelten nicht lange. Der Kampf vor ihnen kam beinahe zum Erliegen, als die Ogremon inmitten der Tankmon-Trümmer die Digimon erblickten. Dann klappten überall im Körper der MegaGargomon Metallplatten zur Seite und gaben Dutzende, wenn nicht Hunderte Kanonenrohre frei. Mit einem tosenden Rattern füllten sie die Luft mit digitalem Blei.

Die erste Reihe der Ogremon fiel innerhalb einer Sekunde und kurz darauf wurde auch der Rest der Scherben von dem Kugelgewitter regelrecht zerfetzt. Tankmon explodierten und verwandelten sich in Feuerbälle, bis vor Rauch und aufgewirbeltem Schnee nichts mehr zu sehen war. Dann erst stellten die MegaGargomon ihr Dauerfeuer ein.

Als der Kampfesnebel sich legte, offenbarte er ein grausiges Bild. Die Ogremon waren allesamt fort, aufgelöst in Daten, nur ihre Keulen lagen verkohlt und zersprungen im Schnee herum, der von ihrem Blut rot besprenkelt war. Auch kein einziges Tankmon war mehr zu sehen; nur noch rauchende Trümmerhaufen. Ken schluckte. Er hatte eigentlich angenommen, dass die Maschinendigimon auf derselben Seite standen. Dem war wohl nicht so – oder taten sie es tatsächlich und die MegaGargomon hatten ihre schwächeren Verbündeten einfach so geopfert?

„Gehen wir“, brummte Moyamon. Auch es wirkte schockiert. „Ich will nicht wie die enden. Höhle hin oder her.“

Frigimon nickte und drehte sich abrupt um, sodass das Schlachtfeld und die MegaGargomon aus Kens Blickfeld verschwand. „Wir können ja später noch einmal hierher kommen. Lasst und erst mal im Wald Zuflucht suchen.“

Als sie den Hügel auf der Rückseite hinabstiegen und auf den fernen graubraunen Streifen, der ein Wald sein mochte, zuhielten, fragte Ken: „Ich verstehe es immer noch nicht. Was genau war hier gerade los?“

„Das“, knurrte Moyamon, „solltest du eigentlich am besten wissen. Schließlich seid an der ganzen Misere, in der die DigiWelt momentan steckt, ihr Menschen schuld.“
 

Tokio, Japan

Mittwoch, 1. August 2007

13:15 Uhr
 

Izzy brauchte überraschend lange. Er und T.K. fuhren zu Tai und Kari mit. Während die anderen beiden im Computerzimmer verschwanden und weiterhin versuchten, die restlichen DigiRitter zu erreichen und das Video zusammenzusetzen, ließen sich Kari und T.K. auf der Couch im Wohnzimmer vor dem Fernseher nieder, der allerdings ausgeschaltet war.

„Was denkst du?“, brach Kari nach einer Weile das Schweigen.

T.K. antwortete nicht sofort. „Ich mache mir Sorgen“, sagte er.

Sie nickte. Das konnte sie ihm ansehen. „Ich weiß. Nur Mut, wir werden es schon irgendwie regeln. Wie immer.“

„Das meine ich aber nicht.“ Er sah sie an und wirkte dabei gleichzeitig ein wenig wütend und verzweifelt. „Kari, was ist, wenn das niemals ein Ende hat? Wir haben schon zweimal für die DigiWelt gekämpft und waren immer wieder in Lebensgefahr, und nun geht es erneut los? Es ist hoffnungslos.“ Er schüttelte den Kopf und wirkte nun plötzlich traurig.

Kari rutschte zu ihm, nahm ihn in die Arme und legte den Kopf an seine Brust. Nach einer Weile meinte sie: „Es sieht dir gar nicht ähnlich, die Hoffnung aufzugeben.“

T.K. seufzte.

„Nur Mut. Wir haben es zweimal geschafft, ein drittes Mal wird es auch irgendwie gehen.“

„Genau das ist es ja!“ Er war kurz versucht, sich aus ihrer Umarmung zu lösen, aber stattdessen erwiderte er sie und fügte leise hinzu: „Es ist immer nur irgendwie. Und das ist kein Garant, dass wir es schaffen. Sollten wir nicht irgendwann einmal die Verantwortung auf neue Generationen ablegen können? Ich will nicht mehr kämpfen, Kari. Ich will mich langsam auf mein Leben konzentrieren, auf die Zukunft … Auf unsere Zukunft.“

Kari erwiderte nichts. Sie wusste, was er meinte. In den letzten Jahren waren sie sich immer näher gekommen und ein festes Paar geworden – und er hatte Angst, dass dieser Friede jetzt durch eine neue Bedrohung in der DigiWelt gefährdet werden würde.

„Diesmal ist es anders“, sagte sie schließlich hob den Kopf, um ihm fest in die Augen zu sehen und von ihrer Sicherheit zu überzeugen. „Es ist nicht die Macht der Dunkelheit, die die DigiWelt bedroht, soweit ich das verstanden habe. Und das wäre schließlich das Schlimmste, was passieren könnte.“

T.K. seufzte. Er war nicht überzeugt.

„Warten wir erst einmal ab, was Izzy ans Tageslicht bringt“, schlug Kari vor. „Alles Weitere wird sich zeigen.“ Sie hob sanft sein Kinn an. „Lächle wieder. Wir sind schließlich zusammen – und wenn wir demnächst Patamon und Gatomon wiedersehen, werden wir wieder Spaß haben wie früher. Und unsere Beziehung bleibt spannend“, meinte sie augenzwinkernd.

Er seufzte ein weiteres Mal, aber diesmal klang es erleichtert. „Du bist wunderbar“, flüsterte er. „Du bist mein Licht. Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde.“

„Du bist aber nicht ohne mich, also musst du auch nicht die Hoffnung aufgeben.“

„Hoffnung, ja“, überlegte er. „Stimmt ja, das war mein Wappen.“

„Es ist immer noch dein Wappen. Und dein Wappen spiegelt dein Herz wider“, sagte sie. Ihre Lippen berührten sich beinahe.

„Aber Hoffnung … Es ist trotzdem nichts Greifbares. Es ist eben nur … hoffen. Nichts genau wissen.“ Er wusste selbst nicht, warum er das sagte. Er wollte, dass Kari all seine Zweifel tilgte.

„Aber mit der Hoffnung fängt alles an“, sagte sie und drückte ihre Lippen auf die seinen.

Sie küssten sich verträumt, aber nicht lange, denn dann drang Izzys Stimme durch die Tür des Computerzimmers. „Kari? T.K.? Kommt ihr? Ich hab das Video zusammengesetzt!“
 

======================
 

Das ist kürzer geworden, als es sollte ... Das nächste wird hoffentlich wieder länger :)

Hoffe, es hat euch trotzdem gefallen ... und ich weiß, ich bin fies, dass ich nur Fragen aufwerfe und (noch) nicht beantworte^^

Wie auch immer, das nächste Kapitel spielt dann teilweise auch wieder in Europa. Danke für die Kommis bei den letzten Kapiteln, über welche zu dem hier freue ich mich natürlich auch immer ;)

Backlash

Tokio, Japan

Mittwoch, 1. August 2007

13:28 Uhr
 

Die Bild- und Tonqualität ließ trotz allem immer noch zu wünschen übrig. Jagaris gehetztes Gesicht war aber gut zu erkennen. T.K. fragte sich, ob der Junge vielleicht krank war, mit seinen eingefallenen Wangen und den dunklen Ringen unter den Augen.

Schweigsam und aufmerksam lauschten sie dem Gespräch; auch Izzys Stimme war aufgezeichnet worden.

„Gott sei Dank. Koshiro Izumi? Bist du das?“

„Ja? Wer bist du?“

„Gott sei Dank, Gott sei Dank, ich hab dich gefunden! Ich hab nicht viel Zeit, du musst mir zuhören, bitte!“

„Wer bist du denn überhaupt? Und wie kommst du an meine IP?“

„Mein Name ist Jagari, ich hab zufällig in Erfahrung gebracht, dass du bei dieser Firma arbeitest, und mich ihn ihr Netzwerk gehackt. Koshiro, wir haben ein Problem, ein gewaltiges! Wir … ich schaffe das nicht alleine, ihr müsst hier übernehmen! Ohne euch ist die DigiWelt verloren!“

„Die DigiWelt?“

„Ja doch, ja doch! Ich bin einer der neuen DigiRitter, die übernächste Generation nach euch. Wir waren zu sechst, und wir sind vor einem halben Jahr in die DigiWelt gebeamt worden, um die Macht der Dunkelheit am Erstarken zu hindern. Wir haben es geschafft, aber einer von uns ... Er wollte nicht mehr in die reale Welt zurück, und …“

Das Klopfen an der Tür war nicht hörbar, aber Kari zuckte zusammen, als sie sah, wie das Holz erbebte.

„Oh, Scheiße, sie haben mich … Koshiro, ihr müsst das mit der DigiWelt wieder in Ordnung bringen!“

„Er hat schreckliche Angst“, flüsterte Kari, die Hand vor den Mund gelegt. T.K. sah mit versteinertem Gesicht zu.

„Passt auf, jetzt kommt die Stelle, wo das erste Mal der Ton ausgefallen ist“, sagte Izzy.

„Was ist denn passiert?“

„Wir sind zurückgekehrt, bis auf einen, und jetzt hat Taneo einen nach dem anderen aufgespürt und lässt uns umbringen! Die anderen haben sie schon erwischt, ich bin der letzte! Mein Elecmon ist auch schon tot!“

„Wer? Jagari, reiß dich zusammen!“

„Wir können die DigiWelt vor ihm nicht mehr retten! Wir haben versagt … Du und deine Freunde, ihr müsst übernehmen! Aber passt auf, vielleicht will Taneo auch euch töten, wenn er herausfindet, wer und wo ihr seid!“

Das Bild flackerte auch jetzt und wurde immer wieder von körnigem Rauschen durchsetzt; es schien tatsächlich an Jagaris Computer gelegen zu sein. Wenigstens der Ton war noch vorhanden. Man hörte Jagari, wenn auch undeutlich.

„Es ist furchtbar! Ich weiß nicht, wie, aber Taneo hat die Scherben befreit! Er will Piedmons Schwerter haben, und seine neuen DigiRitter versetzen die DigiWelt in Angst und Schrecken. Sie nennen sich die Dunklen und machen Jagd auf uns! Ihr müsst sie aufhalten, sonst sind beide Welten verloren! Ihr müsst so schnell es geht in die DigiWelt! Ich weiß nicht, was er plant, ich hätte das nie von ihm gedacht …“

Es war schwer, ihn zu verstehen, weil jetzt Izzy dazwischen brüllte.

„Sie stürzen die DigiWelt in einen Krieg. Ich glaube, Taneos Stützpunkt liegt irgendwo im Bluray-Gebirge. Aber ihr müsst euch in Acht nehmen, die Dunklen …“

Er wurde mitten aus dem Satz gerissen und das Bild kehrte zurück, in Schwarzweiß, wie Izzy es in Erinnerung hatte. Eine schattenhafte Gestalt trat ein und Jagari tippte mit fahrigen Bewegungen auf der Tastatur herum, um die Verbindung zu Izzy zu unterbrechen und sein Firmennetzwerk lahmzulegen.

Und während sein eigener Computer weiter das Blickfeld der Webcam aufzeichnete, sahen die DigiRitter erstmals, was danach passiert war. Schnell wie ein Pfeil schoss der Fremde hinter Jagari. Der Junge sprang aus seinem Sessel und schleuderte ihm etwas entgegen, das wie ein Heftordner aussah, aber der Schatten schien es kaum zu spüren. Er war ein gutes Stück größer als Jagari, packte sein Opfer grob und stieß es gegen die Schreibtischkante. Etwas wie ein langer Stachel blitzte in seiner Hand auf und bohrte sich kurz darauf in seine Brust.

Kari stieß einen spitzen Schrei aus. T.K. keuchte entsetzt auf. Tai starrte nur fassungslos auf den Bildschirm. Der Mörder stieß die Leiche achtlos zu Boden, beugte sich über Jagaris PC. Sein Gesicht wurde körnig in der Webcam sichtbar. Er war noch ziemlich jung, aber seine Miene war unbewegt wie die einer Statue. Man sah, wie er gekonnt mit Maus und Tastatur arbeitete und dabei nur die Augen bewegte, Zeilen auf dem Monitor folgend. Er holte ein Handy hervor und telefonierte, während er weiter hektisch mit der Maus herumfuhr.

„Was tut er da?“, fragte Tai.

„Alles über mich herausfinden“, sagte Izzy tonlos. „Er hat mitgekriegt, dass Jagari mit jemandem gechattet hat.“

Der Attentäter brauchte nicht einmal zehn Minuten, dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Seine Mundwinkel sanken nach unten und er bewegte die Lippen in einem stummen Fluch. Er steckte sein Handy ein, schob eine Diskette in das Laufwerk, tat noch ein paar Klicks, und schließlich fuhr er den PC hinunter und die Aufzeichnung endete.

„Und danach hat er den Computer sicherheitshalber noch zertrümmert“, fügte Tai hinzu. „Wer ist dieser Kerl?“

„Vielleicht dieser Taneo, vor dem uns Jagari gewarnt hat?“, schlug Kari vor.

Izzy tippte mit den Fingerspitzen gegeneinander. „Die Lage ist noch schlimmer, als ich befürchtet habe“, sagte er. „Ich weiß nicht, was diese Scherben sind, oder diese neuen DigiRitter, von denen Jagari gesprochen hat. Aber in der DigiWelt geschieht etwas – und wir können nichts dagegen tun!“ Seit sie MaloMyotismon besiegt hatten, hatten selbst die D3-DigiVices das Tor zur DigiWelt nicht mehr öffnen können. Zugang zur DigiWelt hatten nur noch die DigiRitter der allerneusten Generation.

Und die waren nun alle tot.

„Das ist ein Desaster“, murmelte Tai.
 

Madrid, Spanien

Mittwoch, 2. August 2007

7:00 Uhr
 

Das schrille Piepsen des Weckers riss Matt aus dem Schlaf. Er drehte sich unwillig herum und streckte die Hand aus, um dem Quälgeist einen Schlag zu verpassen, und berührte dabei etwas Weiches, Warmes. Matt musste lächeln. Er setzte sich halb auf, langte über Sora hinweg und drückte den Wecker endlich ab.

Durch die Ritzen der Jalousien fielen gleißend weiße Lichtstreifen. Sora hatte sich neben ihm in der Decke eingerollt und wandte ihm den Rücken zu. Gestern Abend waren sie und Mimi mit dem Zug in Madrid angekommen, nachdem sie quasi den ganzen Tag unterwegs gewesen waren. Und so war aus dem kleinen Vier-Personen-Apartment ein Sechs-Personen-Apartment geworden, in dem auch noch ein Digimon lebte, von der Rest von Creators of Darkness‘ Fear nichts wusste. Matt hatte seinen Kollegen nicht viel erzählt, nur, dass Sora und Mimi seine Freundinnen wären und es sich um einen Notfall handelte, und damit hatten sie sich zufrieden geben müssen, wenn auch widerwillig. Kaum angekommen, hatten sich Sora und Mimi zu Bett begeben und seitdem geschlafen.

Matt stand vorsichtig auf, gab Sora einen flüchtigen Kuss auf die Wange und schlich behutsam zur Tür, um sie nicht zu wecken. So leise es ging drehte er den Knauf und gelangte in das Hauptzimmer, in dem sich die Einbauküche befand. Er war der erste, der wach war. Der Schlagzeuger seiner Band, Gekimaru, schnarchte auf der unbequemen Couch vor dem Fernseher. Matt erinnerte sich mit einem Schmunzeln daran, wie Mimi ihn am vergangenen Abend um den Finger gewickelt hatte, um sein Bett zu bekommen.

Nachdem er frischen Kaffe und Toast gemacht hatte, ging er in sein Zimmer zurück.

Sora war aufgewacht und blinzelte ihn verschlafen an, während sie sich vorsichtig im Bett aufrichtete und die Jalousien sie mit Lichtpunkten übersäten. Matt brachte ihr rasch das Tablett mit dem Frühstück und stellte es ihr auf den Schoß, um sie am Aufstehen zu hindern. „Wie geht es dir?“, fragte er.

Sora bewegte behutsam ihren Arm und lächelte, obwohl er schmerzen musste. „Besser.“ Sie und Mimi hatten die Wunde sofort versorgen lassen und sie hatte bald darauf aufgehört zu bluten. Tennis spielen konnte sie für eine Weile wohl trotzdem nicht; aber das war ihr geringstes Problem. Auch Palmon hatte sich schnell erholt.

Matt lächelte zurück, als er draußen im Wohnzimmer jemanden gegen die Eingangstür pochen hörte, laut und energisch. Er überlegte, ob er nachsehen gehen sollte, wer so früh am Morgen etwas von ihnen wollte, als jemand öffnete. „Was’n los?“, murmelte Gekimarus verschlafene Stimme, gerade laut genug, dass Matt sie hörte.

Die Antwort hörte er dafür umso deutlicher. Eine tiefe Stimme mit spanischem Akzent grollte auf Englisch: „Yo, ich will zu Yami.“

Matts Alarmglocken schrillten. Er wirbelte herum und riss die angelehnte Tür zum Wohnzimmer vollends auf.

„Kein Problem, Mann, er ist da drin“, sagte Gekimaru gleichgültig.

„Geki, nicht!“, rief Matt, aber die Warnung kam zu spät.

Gekimaru hatte dem Spanier bereits geöffnet, der den Schlagzeuger kurzerhand zur Seite stieß und sich auf Matt stürzte. Der Kerl bot einen schrecklichen Anblick: Quer über die Stirn trug er einen dicken Verband, der sogar ein Auge bedeckte, seine Nase sah gebrochen aus und war blutverkrustet und als er den Mund vorfreudig grinsend öffnete, sah Matt den einen oder anderen abgebrochenen Zahn.

Es war reine Geistesgegenwart, die Matt rettete. Er sah etwas in der Hand des Spaniers aufblitzen und warf sich zur Seite. Mit einem schabenden Geräusch bohrte sich die Klinge des Messers neben ihn in den Türrahmen. Damit der Kerl Sora nicht bemerkte, schlug Matt die Tür zu und wich in die Mitte des Raumes zurück, nach einer Waffe suchend. Gekimaru rappelte sich stöhnend und verwirrt wieder auf – ehe sein Gesicht einen geschockten Ausdruck annahm. „Scheiße nochmal, was ist denn los?“

„Pass auf“, sagte Matt atemlos.

Der Schläger riss das Messer spielerisch aus der Wand, wirbelte knurrend herum und stürzte sich erneut auf Matt, der gerade noch rechtzeitig die Hände hochriss. Er bekam die dicken Handgelenkte des Angreifers zu fassen und versuchte, ihn von sich wegzudrücken. Matt biss die Zähne zusammen, als die blitzblank geschliffene Messerklinge über seinen Unterarm ritzte. „Was machst du jetzt, Blondi, hä?“, grinste der Spanier. Matts Arme begannen zu zittern, als der Kraftprotz das Messer weiter und weiter auf ihn zudrückte. Lange würde er ihn nicht halten können, an Körperkraft war ihm der Schläger weit überlegen …

Krachend zerbarst der Schirm der Tischlampe, als Gekimaru sie dem Spanier mit voller Wucht über den Schädel zog. „Hey! Lass Yami los, verdammt!“

Das Muskelpaket grunzte nur unwillig. Matt schaffte es, seine Hände weit genug von sich fortzudrücken, um sich mit einem Satz außer Reichweite zu bringen. Dabei übersah er den niedrigen Couchtisch, der direkt hinter ihm stand. Er stolperte und fiel hart auf den Boden.

Mit zuckenden Mundwinkeln baute sich der Angreifer über ihm auf und packte das Messer mit beiden Händen. „Gute Nacht, Bubi!“, höhnte er. Gekimaru packte seinen gewaltigen Brustkorb von hinten, aber der Spanier störte sich nicht daran.

„Yami! Geki!“, ertönte ein Schrei von der zweiten Zimmertür.

Matt sah sich gehetzt um. Die anderen beiden Bandmitglieder kamen aufgelöst angestürmt. Wurde auch Zeit, dass sie von dem Lärm munter wurden, dachte er trocken.

Zum Glück schätzten die beiden die Lage richtig ein. Ohne eine Sekunde zu verlieren, sprangen sie den Spanier an – und drei jungen Männern, die ihn aus dem Gleichgewicht bringen wollten, konnte selbst er nicht standhalten. Er wankte zuerst, dann fuchtelte er ergebnislos mit dem Messer in der Gegend herum, und schließlich kippte er zur Seite und die drei Musiker mit ihm. Mit einem dumpfen Laut schlugen sie auf dem Boden auf.

Matt rappelte sich stöhnend auf und gestattete sich, erleichtert aufzuatmen. Er streckte das schmerzende Kreuz durch und trat auf den am Boden liegenden Spanier zu. Gekimaru hatte ihm das Messer aus der Hand gerungen und wusste offensichtlich nicht, ob er es ihm an die Kehle halten sollte oder lieber doch nicht, aber er hatte es, ein wenig zittrig, auf ihn gerichtet.

Was Matt nie gedacht hätte, trat ein: Der Spanier grinste. „Pech gehabt, Blondi. Ihr seid uns in die Falle gegangen.“

Matts Herz machte einen erschrockenen Sprung, als er sah, wie der Blick des Spaniers demonstrativ zur Tür seines Zimmers glitt.

Sora!

Er wirbelte herum und wollte losstürmen und sie warnen, aber die Pranke des Spaniers packte seinen Knöchel mit einer Geschwindigkeit, die er ihm nie zugetraut hätte, und brachte ihn mit einem kräftigen Ruck zu Fall. Matt spürte, wie seine Rippen knackten. Tränen schossen ihm in die Augen. Mit einem heftigen Tritt wollte er sich losmachen, aber die Hand des Schlägers hielt seinen Fuß umklammert wie ein Schraubstock.

„Sora!“, schrie Matt aufgelöst.
 

Sora hatte den Lärm im Hauptraum gehört und die Füße aus dem Bett geschwungen, aber sie war nicht sicher, ob sie nachsehen sollte, was dort draußen geschah. Da hörte sie Matt, der ihren Namen schrie – und im gleichen Moment zersplitterte die Fensterscheibe in tausend Scherben, die in das Zimmer regneten und auf ihre Haut prasselten. Mit einem stummen Schrei wirbelte Sora herum und sah eine bullige Gestalt, die durch das Fenster stieg. Das gebräunte Gesicht wirkte vor der grellen Morgensonne schwarz, nur die Augen und das diabolische Grinsen leuchteten daraus hervor. Die Jalousien waren zerfetzt und hingen verbogen am Rand des Fensters. „Oho … Nummer zwei ist ein Mädchen“, grunzte der Spanier auf Englisch. Sora wich vor ihm zurück, bis sie die Tür im Rücken hatte, den Blick angstvoll auf seinen Baseballschläger gerichtet, auf dem ein eingetrockneter Blutfleck zu sehen war. Mit dem Fuß stieß sie gegen etwas Weiches.

„Zeit, Abschied zu nehmen, chica“, grinste der Mann und holte aus.

Sora duckte sich und umklammerte den Kopf mit den Händen. Der Schläger sauste so dicht über sie hinweg, dass sie den Luftzug spürte. Ohne recht zu wissen, was sie tat, langte sie in ihre Sporttasche, die neben ihren Füßen lag, fischte ihren Tennisschläger heraus und schmetterte ihn mit aller Kraft gegen den Kopf des Angreifers.

Im Vergleich zum harten Holz des Baseballschlägers war die Schlagfläche des ihren ein Witz. Der Spanier spürte den Schlag auch kaum, sondern griff nur lässig nach dem Schlägerrahmen und riss ihn ihr aus der Hand – und bekam die Tür auf die Nase, die plötzlich von außen aufgestoßen wurde. Knurrend taumelte er zurück, führte aber noch einen Schlag mit dem Schläger aus. Sora, die nur knapp neben der aufspringenden Tür stand, war unfähig, sich zu bewegen, als sie die Schlagwaffe auf sich zurasen sah.

Matt sprang durch die Tür und packte sie an der Hand. Sora schrie auf, als ihre verletzte Schulter einen protestierenden Schmerzimpuls durch ihren Körper jagte. Matt riss sie zur Seite, verlor durch seinen eigenen Schwung das Gleichgewicht und beide stürzten.

Schon war der Spanier wieder über ihnen und holte erneut zum Schlag aus. Matt sprang auf und hielt ihm drohend ein Messer unter die Nase. Sora sah durch die offen stehende Tür, wie die anderen Bandmitglieder zu dritt einen zweiten Spanier zu Boden drückten.

Ein schmerzerfülltes Knurren ließ sie herumfahren. Ihre Augen weiteten sich, als sie sah, dass der Angreifers Matts messerbewehrte Hand gepackt hatte. Die scharfe Klinge hatte eine blutige Linie in seine Handfläche gezogen. Was musste einen Mann antreiben, wenn er sogar so eine Verletzung in Kauf nahm?

Matt bekam das Ende des Schlägers in den Bauch gerammt und krümmte sich stöhnend. Das Grinsen des Spaniers wurde triumphierend. Sora sah sich gehetzt um. Sie musste etwas tun, um ihm zu helfen, und zwar schnell!

Etwas blitzte auf der Bettdecke. Eine etwa handgroße Glasscherbe mit gefährlich scharfen Rändern lag darauf. Sie packte sie, störte sich nicht daran, dass sie sich selbst einen brennenden Schnitt zufügte, und stieß zu.

Der Spanier brüllte auf, als sich die Scherbe in seinen Oberschenkel bohrte – und kurz darauf noch einmal, als Sora ihm kräftig in die Hand biss. Der Schläger polterte zu Boden und sie stieß ihn mit der Schuhspitze weg. Drohend hob sie erneut die blutverschmierte Scherbe. Der Eindringling starrte sie zornig an, fluchte etwas in seiner Muttersprache, wirbelte herum und floh durch das Fenster.

Das heißt, er versuchte es.

Etwas Grünes schoss an Sora vorbei, wickelte sich um die Gliedmaßen des Spaniers und riss ihn zurück ins Zimmer, wo er, verschnürt wie ein Paket, zappelnd liegen blieb.

Palmon stand im vorderen Zimmer, die Ranken ausgefahren, Mimi im Schlafanzug daneben. Sie gähnte. „Was macht ihr denn in aller Herrgottsfrühe schon so einen Krach?“, murmelte sie. Die drei Musiker glotzten das Digimon aus großen Augen an.

„Alles in Ordnung?“, fragte Sora, als sich Matt ächzend streckte. Er schien Schwierigkeiten zu haben, genügend Luft zu bekommen.

„Geht … schon“, ächzte er und warf dem gefangenen Spanier einen bitterbösen Blick zu.

„Ihr beide werdet uns jetzt einige Fragen beantworten“, knurrte er.
 

============================
 

So, die obligatorische Frage: War die Actionszene gut vorstellbar bzw. gedanklich zu verfolgen?

Und der obligatorische Cliffhanger, bevor eine wichtige Information enthüllt wird XD Tut mir leid, ich kann nicht anders^^

The Assassin

Madrid, Spanien

Mittwoch, 2. August 2007

7:38 Uhr
 

Palmon hielt beide Eindringlinge mit seinem giftigen Efeu gefangen und sie hatten sie im Hauptraum auf den Boden gesetzt. „Also?“, fragte Matt.

Die beiden waren erstaunlich kleinlaut, und als der erste von ihnen zu reden begann, versuchte er ein lässiges Grinsen, das ihm allerdings gehörig misslang. Sie wussten, dass sie verloren hatten. „Yo, das war nix Persönliches, ehrlich“, sagte er in schlampigem Englisch.

„Was du nicht sagst“, meinte Matt trocken. „Ihr fandet unsere Musik Scheiße, habt ihr gesagt. Aber ich gehe davon aus, das war nicht der Grund, oder?“

Wieder drucksten die beiden Hip-Hopper ein wenig herum, dann stieß der mit der Zahnspange seinen Kollegen mit der Schulter an, der daraufhin sagte: „Alter, wenn wir dir sagen, wir hab’n nix gegen euch, ist das die Wahrheit! Da war dieser Typ, der hat uns Geld geboten, wenn wir euch … Das ist alles.“

„Alles?“, rief Mimi empört aus, aber Matt unterbrach sie sofort.

„Wenn ihr uns was? Umbringt?“

Die beiden schluckten und sahen betreten zu Boden. Es war nicht nötig, dass sie antworteten.

„Wer war der Typ, der euch angeheuert hat?“, fragte Sora.

Die Augen der Prügler begannen zu leuchten und Matt wurde sofort klar, dass sie jenen verehrten. „Er hat gesagt, sein Name wär Ansatsu. Und er ist ein echter Profi“, sagte der eine der beiden.

Der zweite nickte. „Er hat nur gesagt, helft mir, diesen Sänger zu töten, und dafür hat er uns einen Haufen Geld geboten. Einen gewaltigen Haufen.“

„Und gestern am Abend hat er uns gesagt, dass wir alle bei euch im Haus erledigen sollen. Dafür hat er uns das Dreifache geboten“, fügte der andere hinzu.

Matt, Sora und Mimi sahen sich alarmiert an. Also hatte dieser Ansatsu gewusst, dass sie hier waren. Natürlich – es war nicht schwer herauszufinden, in welches Hotel Creators of Darkness‘ Fear abgestiegen waren, und wenn jemand in Soras Hotel in Paris die richtigen Fragen gestellt und das vielleicht mit einer netten Finanzspritze für den gestressten Concierge untermalt hatte, hätte er schnell erfahren, dass sie ausgecheckt und ein Taxi zum Bahnhof genommen hatte, und vielleicht hatte Ansatsu auch dort Fragen stellen lassen, das Ziel ihrer Reise herausgefunden und eins und eins zusammengezählt.

Es machte keinen Sinn, über das Wie nachzugrübeln. Er hatte sie gefunden, und es war wichtig, das Warum hinter seinen Taten aufzudecken.

„Ansatsu … Ist das der Typ, der bei euch war, als ihr mich in der Gasse überfallen habt?“, fragte Matt, obwohl er die Antwort schon kannte. Die Spanier nickten simultan. „Ihr wisst nicht zufällig, wie er innerhalb eines Tages nach Paris und wieder zurück gekommen ist?“, hakte er mit einem Seitenblick auf Sora nach. Die beiden starrten ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Offenbar hielten sie diese Behauptung für genauso lächerlich, wie sie im Grunde auch war. „Und habt ihr schon mal was von Digimon gehört?“ Die gleichen fragenden Gesichter. Sie waren Untermänner, nicht mehr und nicht weniger. Leider.

„Wisst ihr wenigstens, wo Ansatsu gerade ist?“, versuchte er ein letztes Mal sein Glück, doch auch diesmal verneinten die beiden.

„Keinen Schimmer. Er verschwindet immer recht schnell. Sah aber ziemlich ausgelaugt und abgerissen aus, gestern Abend. Er wollte uns das Geld heute Mittag zukommen lassen, wenn wir hier fertig sind. Aber wahrscheinlich hat er schon mitgekriegt, dass wir es vergeigt haben. Mierda …“

Matt musterte ihn genau. Es konnte natürlich sein, dass sie ihn belogen, aber er spürte, dass sie die Wahrheit sagten. „Ruf die Polizei. Wir händigen sie ihnen aus“, wies er Gekimaru an.

Der jedoch tat keinen Schritt, sondern starrte Matt nur trotzig an. Sein Blick glitt kurz zu Palmon, dann sagte er: „Was zum Teufel ist hier eigentlich los?“, fragte er. „Was bedeutet das alles, Yami?“

„Das bedeutet“, sagte Matt mit einem Anflug Bedauerns und schlechten Gewissens, „dass wir unsere Tournee hiermit abbrechen.“
 

Unbekannter Ort – verschneite Wälder, DigiWelt

Unbekannte Zeit
 

Sie hatten sicherheitshalber kein Feuer entzündet, um nicht entdeckt zu werden, und Ken fror entsetzlich. Er hatte die heile Hand um den Körper geschlungen – die verletzte weigerte sich weiterhin beharrlich, ihm zu gehorchen – und zitterte zähneklappernd vor sich hin. Die Sonne war schon lange untergegangen, aber allein der Gedanke, sich zum Schlafen in den Schnee zu legen, ließ ihm einen weiteren, eisigen Schauer über den Rücken laufen.

Sie hatten den Wald nach langem Fußmarsch erreicht. Moyamon war kurz zwischen den Bäumen verschwunden und hatte erneut Pilze gebracht, die Ken mit wenig Appetit kalt verspeist hatte, und seitdem hatte er nicht viel mehr getan, als fiebernd im Schnee zu sitzen und zu warten, dass ihn der Kältetod holte.

Auch Moyamon und Frigimon blieben wach. „Hier kann er nicht bleiben“, sagte Frigimon und in seinen großen, schwarzen Knopfaugen funkelte es mitleidig. „Er wird erfrieren.“

„Hmpf“, machte Moyamon übellaunig.

Ken atmete zitternd aus. Vor seinem Mund gefror sein Atem schier zu Eis.

„Ein paar Meilen weiter ist das Dorf. Wir könnten ihn dort unterbringen“, überlegte der riesige Schneemann weiter.

„Vergiss es“, brummte Moyamon. „Du weißt genauso gut wie ich, dass du nie in dieses Dorf gehen wirst.“

„Ich nicht. Aber du hältst es dort aus.“

„Dir ist wohl das Hirn erfroren“, protestierte Moyamon. „Nie und nimmer gehe ich mit ihm ins Dorf! Wenn doch, dann setzte ich ihn an der nächsten Straßenecke aus!“

„Du musst ihm doch nur ein Quartier besorgen, wo er übernachten kann. Auch in unserer Höhle wird er auf Dauer nicht gesund, und im Dorf wäre es …“

„Ich habe Nein gesagt!“, unterbrach es Moyamon knurrend. „Außerdem sieht er aus wie ein Mensch!“ Kens Gedanken waren vor Kälte so träge, dass er sich nicht einmal über diese nicht gerade sehr scharfsinnige Bemerkung wunderte. „Wenn sie ihn sehen, hat er große Probleme – und wir mit ihm!“

„Du hast vorher gesagt, dass die Menschen an eurem Krieg schuld sind“, murmelte Ken, als er das hörte. „Was meintest du damit?“

„Vielleicht nicht die Menschen“, schränkte Frigimon ein. „Aber die DigiRitter.“

„Was?“ Ken hätte vielleicht schockiert sein sollen, aber seine Müdigkeit ließ nur schwache Verwirrung zu.

„Die DigiRitter waren uns immer freundlich gesinnt“, fuhr Frigimon fort. „Immer wieder haben sie die Macht der Dunkelheit bekämpft und die DigiWelt beschützt. Aber die jetzigen sind nicht so.“

„Pah, die DigiRitter sind Schurken, mehr nicht!“, stieß Moyamon hervor und streckte die haarige Brust raus. „Wenn ich könnte, würde ich ihnen einzeln ihre schlagenden Herzen herausreißen!“

„Was … meint ihr damit?“, fragte Ken unsicher.

Frigimon schien zu überlegen, wie er es Ken am besten erklären konnte. „Die Menschen, die momentan als DigiRitter in der DigiWelt sind, stiften überall Unfrieden und Chaos. Ich weiß nicht, was sie vorhaben.“

„Was wohl“, knurrte Moyamon. „Die DigiWelt erobern, wahrscheinlich.“

„Vielleicht“, sagte Frigimon. „Aber vielleicht ist das nicht alles. Jedenfalls haben sie den Krieg verursacht. Die Tankmon, die du gesehen hast, unterstanden ihrem Befehl – und wahrscheinlich auch die MegaGargomon.“

„Aber sie haben doch gegen die Albtraumsoldaten gekämpft oder? Gegen diese … Scherben?“

„Schon“, sagte Frigimon. „Aber sie sind bei weitem nicht ihre einzigen Ziele. Wäre dem so, täten sie der DigiWelt wahrscheinlich einen Gefallen. Aber ihre Maschinendigimon greifen auch Dörfer und Städte an und töten andere, gutartige Digimon. Ich glaube, die DigiRitter suchen nach etwas – nur, wie sie es geschafft haben, so eine Armee aufzubauen, weiß keiner. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Tankmon ihnen freiwillig dienen.“

Frigimon verstummte und Moyamon fuhr bissig fort: „Darum sind die Menschen auch nicht gerne gesehen. Wo sie auftauchen, gibt es nur Ärger, Mord und Totschlag.“

„Weißt du, dass einst ein sogenannter DigimonKaiser versucht hat, die DigiWelt zu erobern?“, fragte Frigimon.

Ken schluckte trocken und versuchte, nicht allzu verdächtig dreinzuschauen. Ob er es wusste, war schon fast eine lächerliche Frage. Er hütete sich, zu antworten, und Frigimon fuhr einfach fort: „Der DigimonKaiser hatte eine schwebende Festung. Sie wurde zwar in einer Explosion zerstört, aber die neuen DigiRitter haben es geschafft, sie zu reaktivieren. Es hat einige Digimon gegeben, die sich ihrem Griff nach der Macht entziehen wollten. Sie haben sich ihrem Feldzug entgegengestellt, aber weil diese Festung ständig ihren Standort wechselt, weiß man nie, wo die DigiRitter sich aufhalten.“

„Im Endeffekt hat es nichts genutzt“, brummte Moyamon. „Dummes Revolvermon. Es hätte wissen sollen, dass eine Handvoll Champion-Digimon nicht ausreicht, um die DigiRitter zu besiegen.“

„Wurden sie …“ Ken sprach nicht weiter.

Frigimon nickte. „Ja. Diese Digimon wurden alle getötet, aber andere versuchen jetzt, es ihnen gleichzutun.“

„Ironie“, meinte Moyamon humorlos.

„Aber warum tun sie denn das?“ Ken verstand die Welt nicht mehr. Die DigiRitter hatten die DigiWelt zu beschützen, nicht sie zu unterwerfen! Ob die Saat der Finsternis dahintersteckte?

„Wenn wir das wüssten.“ Frigimon schüttelte den Kopf. „Es gibt Gerüchte. Angeblich ist einer von ihnen ein DigiRitter, der vor kurzem noch an der Seite seiner Freunde die Macht der Dunkelheit bekämpft hat. So wie alle DigiRitter nach getaner Arbeit in ihre Welt zurückkehren, taten es auch seine Freunde – aber er weigerte sich, seine Macht aufzugeben.“

„Aber wieso denn?“

Moyamon schnaubte. „Ganz einfach: Die DigiWelt wurde wieder einmal von bösen Digimon bedroht, die mächtiger waren als alle anderen. Nur die DigiRitter konnten sie mit vereinten Kräften schlagen. Dieser eine hat erkannt, welche Macht er an der Seite seines Digimons hatte, und während seine Freunde diese Macht nach getaner Arbeit bereitwillig für neue Generationen abgelegt haben, hat er sie sich behalten und will damit die DigiWelt erobern.“

„Wir haben ihn nie gesehen und kennen seinen Namen nicht“, sagte Frigimon, „aber er hat neue DigiRitter nachkommen lassen. Teuflische DigiRitter.“

„Digi-Raubritter könntest du sie nennen“, sagte Moyamon trocken.

„Diese neuen Menschen helfen ihm bei seinem Plan. Sie nennen sich selbst nicht DigiRitter, es ist ihnen lieber, wenn man sie als die Dunklen kennt. Seit sie ein Dorf nach dem anderen willkürlich in Schutt und Asche legen und, wie du gesehen hast, sogar verbündete Digimon opfern, wenn es ihnen passt, sind die Menschen fast überall in der DigiWelt verhasst. Darum bist du auch in Gefahr, wenn du ohne Verkleidung ins Dorf gehst.“

Ken sah Frigimon fragend an. Er wagte kaum, seine nächste Frage zu stellen. „Und … warum habt ihr mir dann geholfen, wenn ihr durch die Di… durch die Menschen so viel Leid erfahren habt?“

Frigimon antwortete rasch und voller Überzeugung. „Weil du verletzt warst und nicht gefährlich.“

„Ja“, knurrte Moyamon. „Und weil der verdammte Schneekopf sogar einem verletzten Devimon den Flügel schienen würde.“

Ken sagte nichts mehr. Er blickte stumm in den Schnee vor sich. Dass die Lage so ernst war, hätte er sich nicht gedacht. Jahrelang hatten immer böse Digimon die DigiWelt bedroht. Nun waren es die DigiRitter selbst, die Unfrieden und Krieg stifteten. Die Perversität dieses Umstands wurde seinem unterkühlten Gehirn erst nach und nach klar, dafür aber mit umso größerer Wucht.
 

Küste, Meer der Dunkelheit

Mittwoch, 2. August 2007

22:10 Uhr
 

Schwer keuchend lehnte sie sich gegen die Felswand und lauschte ihrem Blut, das in regelmäßigen Abständen zu Boden tropfte. Ihre Kleidung war damit vollgesogen und die Hand, die sie auf die Wunde in ihrer Seite gepresst hatte, hatte den Blutfluss nicht verringern können.

In der Ferne rumorte etwas, aber soweit sie wusste, war das hier nichts Besonderes. Nach wenigen Schritten verschluckte dicker, weißer Nebel die Sicht. Das Rauschen der Wellen erreichte ihr Ohr; das Meer war nicht weit entfernt. Wenn sie in die falsche Richtung ging, lief sie Gefahr, ins Wasser zu stürzen.

Aber es war nicht so, als hätte sie noch die Kraft, irgendwo hin zu gehen.

Rechts von ihr lichtete sich die Nebelwand gerade so weit, dass ein riesenhafter Schatten sichtbar wurde, der Schemen eines riesigen Cthulhu. Dann war er wieder verschwunden und mit ihm das Rumoren.

Dafür hörte sie jetzt Schritte.

Sie erstarrte und begann zu zittern. Ihr Herz jagte, pumpte das Blut noch schneller aus ihrem Körper heraus, sodass ihre Sicht zusätzlich verschwamm. Ihr wurde schwindlig und speiübel, und sie musste sich an der Wand abstützen, um nicht zu stürzen. Das war nicht das Geräusch von Flossen, die über Felsen watschelten. Es war das von schwerem, festem Stiefelwerk.

Er hatte sie gefunden.

Ein Grunzen ertönte, ein dumpfer Schlag und ein gurgelnder Schrei. Der Nebelvorhang vor ihr wurde zur Seite gerissen, als etwas heran sauste, neben ihr zu Boden klatschte und liegen blieb. Sie schluckte. Die erbarmungswürdige Gestalt, die sich dort krümmte, war eines der unförmigen, dunklen Wesen, die das Meer der Dunkelheit bevölkerten. Über ihre Kehle zogen sich drei tiefe, blutige Schnitte. Mit einem verklärten, flehenden und zugleich warnenden Ausdruck in den Augen sah es sie an, dann kroch es, sich mit den Händen ziehend, über den Fels. Bald darauf ertönte ein Platschen, als es ins Wasser fiel, doch sie wusste, dass es mit dieser Verletzung nicht lange überleben würde.

Die Schritte verstummten. Sie wandte zitternd den Blick nach der menschlichen Silhouette um, die im Nebel erschienen war. Etwas violett Glühendes durchdrang den nassen Dunst. Dann zerriss ein jäher Windhauch die Nebeldecke und ihre letzten, verzweifelten Hoffnungen wurden zerstört. Vor ihr stand ein Junge, etwas älter als sie, und maß sie mit abschätzendem Blick.

„Fumiko Shinokiri“, sagte er unheilvoll. „Du hast meinen Angriff also tatsächlich überlebt.“

Fumiko senkte den Kopf und versuchte sich so klein zu machen, wie es ging. Ihre Wunde antwortete mit einem pochenden Schmerz auf jede noch so kleine Bewegung. „Ansatsu.“

„Du kennst ja meinen Namen“, stellte er mit leiser Verwunderung fest und trat noch ein paar Schritte auf sie zu. Seine rechte Hand war mit diesem glühenden Stachel bewaffnet, den sie noch leidvoll in Erinnerung hatte.

„Heh“, machte Fumiko. „Du hast mich und Parallelmon eben unterschätzt.“

Ansatsu blieb stehen und seine Augen glitten suchend über die Nebelwand, allerdings genauso ergebnislos wie ihre zuvor. „Du hast es nur deinem Digimon zu verdanken, dass du mir entkommen bist. Ein zweites Mal passiert mir dieser Fehler nicht mehr.“

„Bist du sicher?“ Fumiko musste die Zähne zusammenbeißen. Der Schmerz war beinahe unerträglich, und sie konnte ihn auch nicht dadurch überspielen, einen auf cool zu machen.

Hinter ihr zersprang die Felswand und ein Geräusch, das nicht von dieser Welt zu stammen schien, ertönte, als Felsbrocken durch die Luft regneten und ins Wasser prasselten. Ein haushohes Monstrum baute sich hinter Fumiko auf; sein Kopf war so weit oben, dass er für Ansatsu im Nebel verschwinden musste. Die Gliedmaßen des Digimons waren extrem dürr und endeten dafür wieder in gewaltigen, krallenbewehrten, gepanzerten Pranken. Im unteren Teil seines Brustkorbs prangte etwas, das wie ein riesiges Auge aussah.

„Dieses Vieh schon wieder“, murmelte der Attentäter abfällig.

„Du weißt, was du zu tun hast, Parallelmon“, keuchte Fumiko und presste die Hand fester auf ihre Wunde, die scheußlich zu brennen begonnen hatte.

Aus Parallelmons unsichtbarem Kopf schoss etwas, dass den Nebelvorhang entzwei riss: ein Strahl, der die Form einer gekrümmten Raubtierklaue hatte und die Luft elektrisch knistern ließ. Ansatsu spannte sich an, um auszuweichen – doch Parallelmon hatte nicht auf ihn gezielt.

Der Strahl traf Fumiko in den Rücken. Rund um ihren Körper vibrierte die Luft und die Wirklichkeit riss auseinander. Ein tosender Strudel tat sich hinter ihr auf. Sie brachte ein Lächeln zustande. Er war wieder auf denselben Trick hereingefallen …

„Nicht so schnell“, knurrte Ansatsu. Er tat etwas, das sie durch das knisternde Licht nicht erkennen konnte, und schleuderte etwas Weißes, Längliches mit aller Kraft auf sie. Fumiko riss instinktiv den Arm hoch – ein sachter, stechender Schmerz durchzuckte ihren Unterarm, den Bruchteil einer Sekunde, bevor der Wirbel zwischen den Welten sie verschlang.

Sie stürzte schwer und landete mit dem Gesicht voraus auf hartem Asphalt, ohne dass sie Gelegenheit hatte, sich mit den Armen abzustützen. Keuchend blieb sie eine Weile liegen, ehe sie den Kopf hob.

Vor ihr ragten Wolkenkratzer wie riesige, stumpfe Zähne in den Himmel. Nicht weit entfernt hörte sie Autos hupen; sie selbst lag auf einer Art Lieferantenparkplatz vor einem Tokioter Kaufhaus.

Erleichtert atmete sie zitternd aus. Sie war Ansatsu entkommen. Tränen stiegen in ihre Augen. Er hatte all ihre Freunde umgebracht … und sie konnte nur wie ein Feigling vor ihm fliehen … Sie ballte die Fäuste und wurde wieder des Schmerzes gewahr, der ihren Arm im Vergleich zu ihrer Wunde nur kitzelte. Sie besah ihn sich und ein eisiger Schauer rieselte ihr über den Rücken.

In ihrem Unterarm steckte eine übergroße, weiße Spritze, auf der sie eine lächerliche Fratze angrinste. Mit einer fahrigen Bewegung riss sie das Ding heraus und starrte es an wie den Sensenmann persönlich.

Sie hatten in der DigiWelt einmal gegen eine Horde DemiDevimon kämpfen müssen. Die zwar schwachen, aber nervigen Biester hatten mit denselben Spritzen um sich geworfen.

Und irgendetwas sagte Fumiko, dass diese Nadel, genau wie jene damals, vergiftet war.
 

==============================
 

Ein paar der Fragen müssten jetzt beantwortet sein, den Rest heb ich mir noch auf ;)

Vielen Dank für die ganzen Kommis im letzten Kapitel :D Ohne die würde das Schreiben lang nicht so viel Spaß machen!

The Village in the Snow

Tokio, Japan

Donnerstag, 3. August 2007

11:15 Uhr
 

„So, ich hab sie endlich alle gefunden“, verkündete Izzy und lud seinen Laptop auf dem Frühstückstisch ab. Da der Feind wahrscheinlich schon wusste, wo er arbeitete und wohnte, war er nicht mehr in seine Firma gegangen und kurzerhand bei Tai eingezogen. Es stellte sich nur noch die Frage, wie lange sie in dieser Wohnung sicher waren … Aber solange sie zusammen waren, minderte das immerhin die Gefahr.

„Hast du nicht schon vor ein paar Tagen die Adressen der neuen DigiRitter rausgefunden?“, fragte Tai und biss appetitlos von seinem Toast ab.

„Ich hatte die Adressen aller Kinder, die möglicherweise DigiRitter sein könnten. Jetzt bin ich mir sicher, dass ich die sechs gefunden habe.“ Izzy drehte ihnen den Laptopbildschirm zu. Sechs Bilder mit allerlei Daten darunter waren zu sehen. Nacheinander deutete er auf die Gesichter. „Außer Jagari Morino gab es noch Kouki Nagara, Tageko Mida, Fumiko Shinokiri und Renji Oyara. Sie sind alle vor ein paar Tagen von einem unbekannten Attentäter ermordet worden oder einem mysteriösen Unfall zum Opfer gefallen.“ Izzys Finger zeigte auf das letzte Bild. „Hier haben wir einen gewissen Taneo Kuromori. Er gilt als vermisst, und anscheinend vermutet die Polizei, dass ihn auch dieser Serienkiller erwischt hat.“

„Das ist Taneo?“ Kari beugte sich über den Bildschirm. „Er sieht ganz harmlos aus …“ Das Bild zeigte einen Jungen mit kurzem, leicht welligem braunem Haar und Schuluniform. Er hatte nicht gelächelt, als das Foto gemacht worden war, aber seine Züge wirkten dennoch nett.

„Das Aussehen ist auch nicht entscheidend, wenn sich jemand der Dunkelheit verschrieben hat“, murmelte T.K. und klang dabei zornig.

„Ich glaube gar nicht, dass er sich wirklich der Dunkelheit verschrieben hat“, sagte Izzy und zog den Laptop wieder zu sich. „Wenn, dann ist es eine andere Dunkelheit als die, gegen die wir gekämpft haben.“

Das nachdenkliche Schweigen, das einsetzte, wurde unterbrochen, als jemand ungestüm gegen die Tür pochte und sie gleich darauf aufstieß. Die DigiRitter zuckten zusammen und fuhren herum, um sich gegen die schattenhafte Gestalt zur Wehr setzen zu können.

Dann verschwand die Illusion und der dunkle Schemen wurde zu Davis‘ teurer, schwarzer Sportjacke. Hinter ihm trat Cody in den Raum.

„Mach … das nie wieder“, knurrte Tai atemlos und maß den Jüngeren mit einem Blick, der Blei hätte schmelzen können.

„Sorry, sorry … Jetzt regt euch nicht gleich auf“, wehrte Davis ab und ließ den Blick durch die Runde schweifen, wobei er auf Kari eine halbe Sekunde länger haften blieb als auf den anderen. Davis hatte längst eingesehen, dass ihr Herz für T.K. schlug – aber das änderte nichts daran, dass er sie immer noch so sehr mochte wie kein anderes Mädchen.

„Wo warst du überhaupt so lange?“, schnappte Tai. „Wir haben hier eine Krisensitzung nach der anderen, und du schlenderst in der Weltgeschichte herum, als ginge es um gar nichts!“

„Hey, was kann ich dafür, dass die Fähre Verspätung hatte? Ich kann nicht zaubern“, maulte Davis beleidigt. „Ich bin so schnell gekommen, wie es ging.“ Er deutete auf die Sporttasche, die er umgehängt hatte. Tai taten seine Worte bereits wieder leid. Davis war trotz allem immer sehr zuverlässig und engagiert gewesen, wenn es wirklich darauf ankam.

„Darf ich euch daran erinnern, dass ich auch noch da bin?“, meldete sich Cody zu Wort. Simultan glitten alle Blicke auf ihn. Er hatte sich – verständlicherweise – in den letzten viereinhalb Jahren am auffallendsten weiterentwickelt. Nicht nur war er ein ganzes Stück gewachsen, auch sein Auftreten war dem eines Vierzehnjährigen gewichen. Schon vor einiger Zeit hatte es ihm nicht mehr gereicht, bloß am Rande des Geschehens als kühler Beobachter und vernünftiger Ruhepol zu stehen, sondern er war mehr und mehr aus sich heraus gegangen. Zwar würde er wohl nie ein Draufgänger wie Davis werden, aber Cody hinterließ bei Leuten, die ihn noch nicht kannten, schnell den Eindruck eines gewitzten, aktiven Jungen – und manche behaupteten sogar, dass ihm langsam die Coolness aus allen Löchern tropfte. Vor einem halben Jahr hatte er bei der Kendo-Meisterschaft in Tokio den zweiten Platz belegt, und auch wenn es nicht gereicht hatte, um an einem nationalen Turnier teilzunehmen, war das dennoch eine Leistung, auf die er stolz sein konnte.

Heute trug Cody ein schlichtes, aber modisches schwarzes Hemd, das eindeutig nicht für einen heißen Sommer wie diesen gedacht war, und dunkle Jeans. Sein Haar trug er länger als früher und längst nicht mehr so brav geschnitten, sondern ein wenig zerzaust. Ein einzelner Ring zierte sein linkes Ohr.

„Jetzt habt ihr mich aber wirklich lange genug angestarrt, oder?“ Cody schnappte sich einen Stuhl, setzte sich verkehrt herum darauf und stützte sich auf die Rückenlehne. „Bevor ihr fragt, ich konnte auch nicht früher kommen. Was genau ist denn jetzt eigentlich los?“

„Die Hölle wahrscheinlich, so schreckhaft, wie ihr alle seid“, meinte Davis.

In knappen Sätzen schilderten Izzy und die anderen die jüngsten Vorkommnisse. Sowohl Davis als auch Cody wurden um eine Nuance blasser. „Und wie sieht jetzt der Plan aus?“, fragte Davis und bemühte sich um einen lässigen Tonfall. Vergeblich.

„Wir haben leider immer noch zu wenig Informationen, um einen Gegenschlag zu planen – eigentlich um überhaupt irgendwas zu planen“, meinte Izzy nachdenklich.

„Und mit unseren DigiVices kommen wir nicht mehr in die DigiWelt“, sagte Kari leise und knabberte an ihren Fingernägeln. „Dort sterben sicher Digimon … ohne dass wir etwas tun können.“

T.K. legte ihr die Hand auf die Schulter. „Er wird dafür bezahlen“, sagte er entschlossen. „Was immer Taneo tut, er wird dafür bezahlen, und für das, was er den DigiRittern angetan hat.“

„Wir können doch nicht herumsitzen und nichts tun!“, begehrte Davis auf, als ein kurzes, bedrücktes Schweigen eintrat.

Tai nickte. „Da bin ich ganz deiner Meinung. Izzy, druck uns die Adressen der DigiRitter aus und alles, was du Wissenswertes über sie erfahren hast.“

Izzy sah ihn mit einem merkwürdigen Ausdruck in den Augen an. „Warum glaube ich nur, dass mir das, was du vorhast, nicht gefallen wird?“

„Ich glaube, ich weiß, was du tun willst“, sagte Cody. „Du willst zu den Angehörigen der DigiRitter gehen und versuchen, etwas über Taneo und ihre eigenen DigiVices herauszufinden, oder?“

„Tai …“, murmelte Kari. Sie hatte schon ein schlechtes Gewissen bei der Aktion mit Jagaris Mutter gehabt. Und jetzt …

„Es ist leider unsere einzige Möglichkeit“, murmelte Tai. „Wenn wir überzeugend genug sind, werden ihre Eltern denken, dass wir tatsächlich Schulfreunde oder etwas in der Art sind. Und was ist so schlimm daran, ihnen ein wenig Beistand zu leisten?“

Schweigen war die Antwort – doch er hatte seine Entscheidung bereits gefällt.
 

Kurze Zeit später war endlich auch Joe eingetroffen und die acht hatten sich in Zweierteams aufgeteilt und klingelten an den Haustüren der ermordeten DigiRitter. Tai und Izzy hatten die riskante Aufgabe übernommen, Taneos Elternhaus zu besuchen, auf der Suche nach nützlichen Informationen, wo der junge DigiRitter geblieben war. Riskant war es deshalb, weil es immerhin sein konnte, dass Taneo einen gewissen Draht zu seiner Familie aufrechterhalten hatte, selbst wenn er nur das Haus überwachte, um zu sehen, wer nach ihm suchte. Später stellte sich heraus, dass sie dort genauso wenig Nützliches entdeckt hatten wie die meisten anderen.

Während Joe unbehaglich an der Tür mit dem Schildchen Shinokiri klopfte, musterte Davis seinen Freund verstohlen. Joe war schon immer recht erwachsen gewesen, und er hatte sich in den letzten Jahren auch kaum verändert. Er trug das schulterlange Haar wie immer offen, seine Kleidung war streng formell. Davis glaubte zu sehen, dass seine Brillengläser dicker waren als früher, aber vielleicht war das auch nur Einbildung.

„Ja?“, knarzte eine männliche Stimme aus der Gegensprechanlage.

Joe räusperte sich. „Guten Tag, wir sind … Freunde von Ihrer Tochter Fumiko. Dürften wir einen Moment hereinkommen?“

Es ertönte keine Antwort und lange Zeit regte sich überhaupt nichts, aber dann wurde die Tür geöffnet und ein kleiner, bebrillter Glatzkopf und eine Frau mittleren Alters mit langem, blauschwarzem Haar öffneten. „Was können wir für euch tun?“, fragte Fumikos Vater, machte aber keine Anstalten, sie ins Haus zu bitten.

Joe schluckte und sagte mit einer Glaubhaftigkeit, um die Davis ihn beneidete: „Wir haben Fumiko in einem Camp letztes Jahr kennen gelernt und gehört, was ihr zugestoßen ist. Wir wollen Ihnen unser Beileid aussprechen.“ Er vollführte eine Verbeugung und Davis wunderte sich, dass er den beiden so einfach eine derartige Lüge auftischen konnte. Izzy hatte herausgefunden, dass die neuen DigiRitter, ähnlich wie Joes Generation damals, zusammen in einem Sommercamp gewesen waren. In die DigiWelt gerufen waren sie allerdings erst ein halbes Jahr später geworden. Als Davis die ungläubigen Mienen von Fumikos Eltern sah, wurde ihm bewusst, dass es vielleicht ratsamer gewesen wäre, Kari hierher mitzuschicken. Wenn ihre Tochter im Camp eine Freundin gefunden hätte, wäre es vielleicht weniger auffällig gewesen, als wenn nun zwei junge Männer an ihrer Tür klingelten, von denen einer immerhin schon zwanzig war. Aber nun war es zu spät, daran etwas zu ändern.

Kaum hatte er das gedacht, wurden die Gesichter der beiden weicher. Vielleicht sah Joe einfach so vertrauenswürdig aus. Oder sie waren zu dem Schluss gekommen, dass an einem Beileidsauspruch wohl nichts Anstößiges war. „Danke“, sagte Fumikos Mutter. „Wir werden ihr ausrichten, dass ihr hier wart.“

„Ihr ausr…“, stieß Davis verständnislos hervor, aber Joe unterbrach ihn, indem er blitzschnell umschaltete.

„Wie geht es Ihnen beiden? Es muss ein Schock für Sie gewesen sein.“

„Das kann man wohl sagen“, sagte Fumikos Vater.

„Was genau ist eigentlich passiert? Wir haben nur Gerüchte gehört.“

„Das rätseln die Ärzte auch immer noch. Fumiko war nicht nur verletzt, als sie sie eingeliefert haben, sie leidet auch an irgendeiner Krankheit, und sie haben noch nicht herausgefunden, was es ist.“

„Das muss hart für Sie sein“, meinte Joe mitfühlend.

Der Glatzkopf nickte, war aber sehr gefasst. „Wir setzen unser Vertrauen in die heutige Medizin. Ansonsten können wir nicht viel tun, außer sie jeden Tag zu besuchen.“

„In welchem Krankenhaus liegt sie denn?“, schaltete sich Davis ein, um auch etwas zu sagen.

„Im Nagano-Krankenhaus“, erklärte die Mutter. „Aber sie braucht viel Ruhe, also fragt zuerst die Ärzte, ehe ihr sie besucht.“ Wahrscheinlich war das der Grund, warum sie hier zu Hause sichtlich auf Nadeln saßen und nicht bei ihrer Tochter wachten.

Joe verbeugte sich abermals. „Danke. Dann wollen wir Sie nicht weiter stören.“

Er wollte schon gehen, als Davis doch noch aufs Ganze ging. „Entschuldigung, noch eine Frage … Wir haben mehrere Gerüchte gehört, sogar, dass jemand sie … ermordet haben sollte. Wir waren zuerst mega-erschrocken.“

Die Eltern des Mädchens starrten ihn an und zumindest in den Augen des Vaters blitzte Wut auf. „Fumiko war ein paar Tage verschwunden, das ist alles!“, zischte er. „Es war die Polizei, die gleich das Schlimmste annehmen hat müssen, weil dieser Kindermörder umgeht!“

„Entschuldigen Sie, ich wollte nicht …“, begann Davis, aber Joe unterbrach ihn abermals.

„Tut uns leid. Wir haben uns Sorgen gemacht, das ist alles.“

Wie schon einmal zuvor schien seine Überzeugungskraft Früchte zu tragen, denn Herrn Shinokiris Miene wurde milder, auch wenn seine Stimme nichts von ihrer Härte verlor. „Danke für euer Mitgefühl. Einen schönen Tag noch.“

„Ihnen auch, vielen Dank.“

Als die beiden ein paar Gassen weiter in den Laufschritt verfielen, rief Davis aufgeregt Izzy an.
 

Pixel-Dorf, DigiWelt

Unbekannte Zeit
 

Ken fühlte sich in seiner Verkleidung mit jeder Minute, die verstrich, unwohler. Das mochte aber auch zum Teil an seinem Fieber liegen, das wieder stieg.

Sie hatten doch noch ein Feuer entfacht, sodass er wenigstens ein bisschen Wärme bekommen hatte, aber selbst Moyamon hatte eingesehen, dass er auf Dauer nicht im Freien übernachten konnte.

Es musste gegen Mittag sein, zumindest stand die Sonne schon recht hoch, aber er hatte immer noch keine Ahnung, welcher Tag gerade war. Ken zog sich den breitkrempigen Hut tiefer ins Gesicht, als er einige SnowAgumon sah, die misstrauisch in seine Richtung blinzelten.

Er hatte nicht gefragt, woher Moyamon plötzlich die weiten Pluderhosen, den Umhang und den Hut herhatte, die Ken zumindest äußerlich zu einem Wizardmon machten. Ungeachtet davon, dass ihm der obligatorische Zauberstab fehlte und, was noch auffälliger war, ihm die Kleidung um ein ganzes Stück zu klein war, hatte bislang noch niemand bemerkt, dass er in Wirklichkeit ein Mensch war. Er hielt sich im Schatten der kleinen, mit trockenem Reisig und Stroh bedeckten Holzhäuschen auf, die die verschneite, einzige Straße des Dorfes säumten, nah an den Wänden, schon damit er eine gewisse Absicherung gegen das Schwindelgefühl hatte, das ihn mittlerweile regelmäßig packte.

Das Dorf war winzig – Moyamon hatte ihm erklärt, dass es Pixel-Dorf hieß –, aber von einer gewissen Geschäftigkeit erfüllt. Wie aufgefädelt pries ein Marktstand neben dem anderen seine Waren an – das meiste davon waren dieselben Pilze, die Ken schon mehr als zum Hals heraushingen –, und Moyamon war soeben zu einem der Standbesitzer, einem sichtlich frierenden Veggiemon, das sich in eine dicke Decke gehüllt hatte, gegangen und sprach mit ihm, ohne dass Ken die Worte verstehen konnte. Allerdings sah das Veggiemon wiederholt zu ihm herüber und Ken traute Moyamon nicht genug, um sich sicher sein zu können, dass es nicht gerade ein hübsches Kopfgeld für seine Auslieferung kassierte.

Als das Yeti-Digimon endlich wieder zu ihm stapfte, knurrte es: „Ich habe eine Bleibe gefunden. Aber ich schätze, du hast kein Geld?“

Ken schüttelte den Kopf.

Das Digimon grunzte. „Naja, das regeln wir später. Komm mit.“

Es führte ihn, unter unangenehm wachsamen Blicken der umstehenden Digimon, zu dem einzigen mehrstöckigen Haus des Dorfes, das allerdings so windschief stand, dass Ken angst und bange wurde. Im Inneren war es erstaunlich warm, sodass Ken unter seiner lächerlichen Verkleidung zu schwitzen begann, aber er genoss es, endlich dem Schüttelfrost entgegenwirken zu können.

Wieder ließ Moyamon ihn an der Tür stehen und trat zu dem Digitamamon, das hinter einer Holztheke auf Kundschaft wartete. Ken sah sich in der Zwischenzeit um. Das Haus dürfte eine Art Motel sein. Es gab hier unten kaum etwas zu sehen, nur eine Tür führte in ein Zimmer, und eine steile Holztreppe führe noch zwei Etagen hoch, in denen sich ähnlich winzige Räume befinden dürften.

„Ich hab ein Zimmer für dich klargemacht“, raunte ihm Moyamon zu, packte ihn am Arm und schleppte ihn die Treppe hoch. Sie war so steil, dass Ken schon nach wenigen Schritten die Puste ausging, aber er biss die Zähne zusammen, bis sie oben waren. Moyamon gab ihm einen seltsamen, messingfarbenen Schlüssel, dessen Bart verdächtig nach dem Anschluss eines USB-Sticks aussah, und wartete, bis er die einzige Tür im obersten Stockwerk aufgeschlossen hatte. Auch dahinter war alles aus Holz, die beiden Stühle, die den schmalen Tisch flankierten, und die windschiefe Kommode. Nur das Bett war mit einem schmutzigen Leintuch überzogen, durch dessen Löcher Stroh quoll, und eine schmuddelige Decke lag zusammengerollt am Fußende. Ken war mittlerweile jede Unterkunft recht, die nicht aus Schnee oder einem feuchten Höhlenboden bestand.

„Jetzt hör mir gut zu“, sagte Moyamon, nachdem es die Tür sorgfältig hinter ihnen geschlossen hatte, und wartete, bis Ken sich zu ihm umgewandt hatte. „Ich habe Digitamamon gesagt, dass du bezahlst, bevor du wieder ausziehst, weil du ein Händler bist und erst deine Ware anbringen musst, ehe du zahlen kannst. Das Zimmer kostet fünfzehn Dollar die Nacht, ich würde dir raten, dass du es irgendwo zusammenkratzt; Digitamamon sind in Geldangelegenheiten immer sehr kleinlich.“

Ken wusste, dass er das Geld niemals auftreiben würde, und Moyamon wusste es wahrscheinlich auch. Aber im Grunde konnte er dankbar sein, dass es ihm schon so sehr geholfen hatte.

Der Yeti machte eine Pause und fuhr mit gedämpfter Stimme fort: „Und verhalte dich hier oben bloß ruhig. Am besten, du bleibst bis an dein Lebensende ein Wizardmon, weil du dein Lebensende sonst recht schnell erreicht haben wirst. Im untersten Zimmer wohnt nämlich Lucemon, habe ich erfahren.“

„Wer ist Lucemon?“

Moyamon schnaubte ungehalten. „Du weißt ja wohl gar nichts, was? Da ist ein Hinterwäldler wie ich noch besser informiert. Lucemon ist ein Abgesandter der DigiAllianz, das sind die Digimon, die gegen die Scherben und die Dunklen kämpfen. Wenn es merkt, dass zwei Etagen über ihm ein Mensch wohnt, bist du tot!“

Ken schluckte. Obwohl er nichts getan hatte – zumindest nichts, an das er sich mehr als nur schattenhaft erinnern konnte –, musste er sich vor den Guten verstecken.

„Also mach’s gut, und wenn sie dich schnappen, erwähn bloß nicht, dass Frigimon und ich dir geholfen haben“, brummte Moyamon übellaunig. Das Digimon öffnete die Tür und wollte hindurchstapfen, als Ken es zurückrief.

„Moyamon!“

„Was denn noch? Und sei verdammt noch mal leise!“

Ken sah zu Boden. „Danke“, murmelte er.

Moyamon grunzte unwillig und schloss die Tür hinter sich.
 

=======================
 

Hier also der erste Auftritt von Davis, Cody und Joe, und ein kleiner Lichtblick für die DigiRitter ...

Wo das Wizardmon-Kostüm herkommt, ist eurer Fantasie überlassen. Vielleicht stapft ja jetzt ein nacktes Wizardmon frierend durch den Schnee oder es gibt jemanden, der ihre Kleidung nachnähen kann. Ich will mich nicht darauf versteifen, dass Digimon ihre Kleider, wenn sie welche haben, nicht ablegen können, wie ihr sicherlich gemerkt habt ;) Auch wenn sie aus der Datenmenge der Digimon bei ihrer Digitation entstanden sind, sollten sie sie ausziehen können, das ist jedenfalls meine Meinung.

Zum letzten Kapitel möchte ich noch eines hinzufügen, was ich leider vergessen habe zu erwähnen: Ich werde für diese FF keine Digimon erfinden. Alle Digimon, die vorkommen, gibt es offiziell. Wer mehr über Parallelmon wissen will, hier ist ein Link: http://de.digimon.wikia.com/wiki/Parallelmon

Damit ist es vielleicht einfacher nachzuvollziehen, was im letzten Kapitel vor sich gegangen ist.

Was im nächsten Kapitel passiert, könnt ihr vielleicht erahnen, es wird den Titel "Sole Survivor" tragen ;)

Sole Survivor

Tokio, Japan

Donnerstag, 3. August 2007

16:43 Uhr
 

Sie hatten sich alle in der Eingangshalle des Nagano-Krankenhauses versammelt. „Also ist doch noch einer der neuen DigiRitter am Leben“, murmelte T.K. leise, während Tai bei der Schwester am Empfang herauszufinden versuchte, in welcher Station und auf welchem Zimmer Fumiko Shinokiri lag. „Wenn Taneos Leute das noch nicht wissen, werden sie es bald herausfinden. Wir müssen das Mädchen auf jeden Fall beschützen.“

„Wenn wir es können“, murmelte Izzy mutlos.

„Was meinst du damit?“ T.K. wirkte plötzlich so zornig, dass Cody ihn verwundert ansah. Er hatte diese Wut in seinen Augen schon oft gesehen, aber damals hatten sie noch gegen den DigimonKaiser und BlackWarGreymon gekämpft. War er wütend, weil die Bedrohung nun von jemandem ausging, der geschworen hatte, die DigiWelt zu beschützen?

Izzy kam nicht dazu, zu antworten, denn Tai kam soeben vom Schalter zurück und bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Fumikos Zimmer lag im vorletzten Stockwerk im rechten Krankenhausflügel, aber nach einer kurzen Liftfahrt hatten sie es erreicht. Auf dieser Station mussten sie noch einmal die Schwestern bitten, das Mädchen besuchen zu dürfen, und sichtlich widerwillig wurde es ihnen erlaubt.

Sie hatte das Dreierzimmer für sich und lag in dem Bett direkt am Fenster. Fumiko war das genaue Ebenbild ihrer Mutter: Sie hatte langes, blauschwarzes Haar und fast weiße Haut. Allerdings waren ihre Wangen eingefallen und dunkle Ringe lagen unter ihren Augen. Als sie die Besucher sah, blinzelte sie nur schwach und schien durch sie hindurchzusehen.

„Fumiko?“, fragte Izzy.

Das Mädchen sah ihn apathisch an, ohne wirklich auf seine Frage zu reagieren.

„Du kennst uns vielleicht nicht“, fuhr der Computerfreak fort, „aber wir sind auch DigiRitter. Wir gehören zu den beiden Generationen vor euch.“

Das Wort DigiRitter ließ Fumiko sichtlich aufhorchen. Sie öffnete die Augen und den Mund, sagte aber nichts, sondern versuchte sich nur aufzusetzen. Kari fielen die vielen Geräte auf, die rings um sie platziert waren. An einem Tropf hing ein ganzer Wald von Infusionsbehältern und die Kabel eines EKGs führten unter ihr Krankenhausnachthemd. Ein Knopf des Hemdes fehlte, und wo das Hemd aufklaffte, sah man einen dicken Verband, der um ihre Hüfte gewickelt war. „Ihr … ihr seid …“, fragte sie ungläubig. Ihre Stimme war nicht mehr als ein Krächzen. Dann verschwand das Leuchten aus ihren Augen und machte Traurigkeit Platz. „Ihr müsst aufpassen ... Taneo wird euch …“

„Das wissen wir bereits.“ Kari ließ sich seitlich von ihrem Bett in die Hocke sinken und legte ihr die Hand auf den Arm. Ihre Haut war kalt und verschwitzt. Fumiko zuckte leicht zurück. „Wir wissen von Taneo, und, was er euch angetan hat. Wir wollen versuchen, ihn aufzuhalten, aber wir brauchen deine Hilfe.“

Fumiko schluckte so hart, dass man es hören konnte.

„Fumiko, du weißt, dass du die letzte von eurer Generation bist?“, fragte Tai.

T.K. funkelte ihn wütend an, aber Fumiko nickte. „Ich wäre eigentlich schon längst tot … Wenn mich Parallelmon nicht gerettet hätte …“ Sie schnaubte traurig und ihr Blick verlor sich in den Falten ihrer Bettdecke. „Aber es ist noch nicht wieder vom Meer der Dunkelheit zurück. Wahrscheinlich ist es schon tot.“

Der Gedanke an ihr Digimon, das letzte, was ihr geblieben war, brach den Nebel, den ihr Bewusstsein zu seinem eigenen Schutz hatte aufwallen lassen, und die ganze Traurigkeit und Machtlosigkeit brach über ihr zusammen. Sie begann am ganzen Körper zu zittern und Tränen stiegen in ihre Augen. Das Gerät, das ihren Pulsschlag maß, piepste schneller.

„Fumiko, beruhige dich bitte!“, rief Kari, drückte ihre Hand fester und zwang das Mädchen, sie anzusehen. Fumiko konnte nicht älter als vierzehn sein, eine Tatsache, die Kari das Herz einfrieren ließ. Doch tatsächlich atmete Fumiko nur noch einmal zitternd aus und wurde dann wieder ein wenig ruhiger.

„Du warst am Meer der Dunkelheit?“, fragte T.K. „Wie sieht es dort aus?“

Sie zuckte schwach mit den Schultern. „Wie immer, eigentlich. Wir waren vorher nur einmal dort, alle zusammen. Zwei riesige Digimon kämpfen dort immer wieder gegeneinander. Wir haben immer nur ihre Umrisse gesehen. Den Flügelmann und den Tintenfisch haben wir sie genannt …“ Die Erinnerung an die Erlebnisse, die sie gemeinsam mit ihren Freunden hatte, ließ ihren Blick stumpf werden.

„Können wir irgendetwas tun, um dir zu helfen? Dir etwas bringen, vielleicht?“, fragte Davis unsicher.

Fumiko schüttelte schicksalsergeben den Kopf. „Ansatsu hat mich mit einem DemiDevimon-Pfeil vergiftet. Vielleicht hat er auch noch was von seinem eigenen Gift auf die Spitze geschmiert. Es ist schleichend, aber die Ärzte werden mir nicht helfen können. Ich werde bald sterben.“

Die Worte schlugen wie eine Granate ein. Die anderen riefen entsetzt durcheinander, doch Fumiko sagte nur: „Gegen ein Glas Wasser hätte ich aber nichts einzuwenden. Das Sprechen ist anstrengend.“ Sie sagte es so ruhig, als hätte sie sich schon vor langer Zeit mit ihrem Schicksal abgefunden.

„Sofort.“ Davis hatte es richtig eilig, auf den Gang hinauszugehen.

Fumiko starrte wieder ins Leere. „Wir haben auf der ganzen Linie versagt“, murmelte sie. „Es hätte alles ganz anders sein sollen …“ Sie wollte die Faust ballen, hatte aber nicht die Kraft dazu.

„Fumiko, wir brauchen deine Hilfe“, redete Izzy wieder auf sie ein. „Taneo ist noch in der DigiWelt, oder?“

Sie nickte.

„Wir können mir unseren alten DigiVices aber nicht mehr das Tor zur DigiWelt öffnen. Aber du kannst es, richtig?“

Fumiko schloss die Augen und ein bitteres Lächeln zuckte durch ihre Mundwinkel. „Wenn du einen Computer hast, nichts leichter als das. Aber ihr werdet es nicht schaffen. Taneo hat die DigiWelt ins Chaos gestürzt. Er hat irgendwie eine Armee um sich geschart und kämpft gegen die freien Digimon – und dann sind da noch die Scherben, die Reste der ehemaligen Macht der Dunkelheit. Ihr steht auf verlorenem Posten.“

„Jagari war da anderer Meinung“, sagte Izzy ruhig.

Sie sah ihn überrascht an. „Du kanntest Jagari?“

Izzy nickte. „Er hat mit mir Kontakt aufgenommen.“

„Ach so.“ Fumikos Blick wurde wieder stumpf. „Jagari war schon immer ein Traumtänzer.“ Einen Moment lang wirkte es, als ob sie einschlafen würde, aber sie riss sich zusammen. Davis kam mit einem Becher Wasser zurück, doch sie befeuchtete nur die Lippen damit.

Izzy erwiderte nichts mehr, sondern packte seinen Laptop aus. Er war bereits hochgefahren. Er dockte seinen mobilen Internet-Stick an und hielt ihr den Bildschirm erwartungsvoll hin. „Aber du kannst es öffnen.“

Fumiko deutete ein Schulterzucken an. „Mein DigiVice ist bei meinen Klamotten im Schrank dort drüben.“

Cody öffnete eine der Schubladen und zog ein kleines Gerät heraus. „Ist es das?“ Das DigiVice unterschied sich komplett von ihren eigenen. Es hatte immer noch das kleine Display, war aber aufklappbar wie ein Handy. Fumiko nahm es mit zittrigen Händen entgegen, als Tai sie zurückhielt.

„Wartet noch.“ Alle sahen ihn an. „Wollen wir etwa ohne Matt, Sora, Mimi und Yolei in die DigiWelt reisen? Wenn, dann gehen wir zusammen!“ Er wandte sich an Fumiko. „Was meinst du, wie lange hältst du noch durch?“

„Sei ein wenig taktvoller, Tai“, tadelte ihn T.K, doch Tai beachtete ihn gar nicht.

Auch Fumiko schien sein Tonfall nicht zu kümmern. „Kann ich nicht sagen. Vielleicht eine Woche. Vielleicht einen Tag. Vielleicht bricht in zwanzig Sekunden Ansatsu hier ein und bringt seine Sache zu Ende.“

„Es bleibt also ein Risiko“, stellte Tai fest.

„Tai, wenn du nicht sofort …“, sagte T.K. zornig, aber der junge Mann mit der braunen Haarmähne unterbrach ihn sofort wieder.

„Wir werden es so machen: Einige von uns gehen sofort in die DigiWelt und sehen nach dem Rechten, eine kleine Gruppe, die unbemerkt bleiben kann. Die anderen warten, bis Matt und die anderen da sind, und kommen nach.“ Sein Blick fiel auf Fumiko und diesmal schien er sich genau zu überlegen, was er sagte. „Sollte es ihnen dann nicht mehr möglich sein, in die DigiWelt zu reisen, haben wir wenigstens eine kleine Truppe, die dort aufräumen kann. Es gibt diesmal keine Prophezeiung, die besagt, dass man alle DigiRitter braucht. In der DigiWelt können wir mit unseren Digimonpartnern notfalls auch in einer kleinen Gruppe etwas ausrichten.“

„Ich bin dagegen“, sagte Joe sofort. „Wir sollten auf jeden Fall zusammenbleiben. So sind wir immer noch am stärksten.“

„Aber vielleicht verpassen wir dadurch die Chance, überhaupt in die DigiWelt zu kommen. Vergiss nicht, wir können das Tor selbst nicht öffnen“, gab Cody zu bedenken.

„Aber …“

„Joe“, sagte Tai. „Du warst dabei, als ihr mich damals zu eurem Anführer gemacht habt. Es hat seitdem keine neue Abstimmung mehr gegeben. Tust du also, was ich sage, oder nicht?“

Joe wirkte mit einem Mal hilflos. „Das … Was du da sagst, ist unfair …“

Kari musterte ihren Bruder. Er tat nur so, als ob er so hart und unnahbar wäre. Ihm ging die Sache mit Fumiko und den anderen genauso nahe wie den anderen, aber er musste eine Entscheidung treffen. Wahrscheinlich wollte er Fumiko in ihren möglicherweise letzten Stunden die Gewissheit geben, dass sie getrost das Schicksal der DigiWelt in ihre Hände legen konnte.

„Außerdem gibt es seitdem neue DigiRitter! Du kannst nicht einfach alles alleine entscheiden, nur weil du zuerst da warst!“, sagte Joe.

„Ich bin Tais Meinung“, warf Davis ein. „Wir sind hier in dieser Welt auch nicht mehr sicher; drüben haben wir wenigstens die Unterstützung unserer Digimon.“

Joe seufzte. „Also schön. Vergesst es einfach.“ Er wirkte ein wenig geknickt, weil sein Vorschlag – wieder einmal – in den Boden gerammt worden war.

Izzy nickte. „Dann machen wir es so. Wer geht?“

„Ich hätte gerne, dass T.K. und Kari gehen. Traust du dir das zu?“, fragte Tai Kari, die wortlos nickte. „Gut. Wenn die Reste der dunklen Macht sich zusammengerottet haben, können eure Digimon am meisten dagegen ausrichten. Davis, ich möchte, dass du auch mitgehst, zur Sicherheit.“

„Ich?“, fragte Davis. Er warf T.K. und Kari einen Blick zu. „Bist du sicher? Ich meine – du hast immerhin WarGreymon … Und ohne Ken kann Veemon nur bis zum Champion-Level digitieren.“

„Ich bin mir sicher“, nickte er. „Ich würde gerne hier bleiben und die Dinge in der Realen Welt regeln. Es kann sein, dass wir bald von Zuhause ausziehen müssen, und wir müssen sicherstellen, dass Matt und die anderen keine schlimme Überraschung erwartet, wenn sie am Flughafen ankommen. In der DigiWelt werden wir die Hilfe von anderen Digimon brauchen. Davis, du bist derjenige, der die überzeugendsten Reden schwingen kann, dir werden sie vertrauen. Außerdem wissen wir nicht mit Sicherheit, ob unsere Partner überhaupt noch digitieren können.“

Davis blies die Backen auf. „Was mich angeht, zieht nur das letzte Argument“, meinte er. Tatsächlich war die ältere Generation der DigiRitter während der letzten Kämpfe eher im Nachteil gewesen. Falls es wieder etwas wie die Schwarzen Türme in der DigiWelt gab, wie damals, als der letzte Mensch versucht hatte, sie zu erobern, würde die Armor-Digitation ihre einzige Hoffnung sein.

Tais Blick wanderte zu Joe, der immer noch ein wenig an einen begossenen Pudel erinnerte. „Joe, du gehst auch mit.“

Der Älteste sah ihn erstaunt an. „Im Ernst? Wieso ich?“

„Weil du der Vernünftigste von uns bist und ein wenig Vorsicht in der DigiWelt nicht schaden kann. Ich weiß, ich kann mich auf dich verlassen. Du wirst die Gruppe anführen, einverstanden?“

Joe starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Er konnte es nicht fassen, gerade noch fuhr Tai ihm über den Mund, dann ernannte er ihn zum Anführer der Aufklärungsmission. Das zeugte tatsächlich von Vertrauen, das Tai ihm nicht verwehren wollte.

Fumiko hustete keuchend und lenkte damit die Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Gut. Wir haben genug Zeit verplempert“, sagte Izzy und hielt dem Mädchen seinen Laptop hin. Fumiko hob ihr DigiVice, das sofort aufglühte. Zwischen den Zeilen auf dem Bildschirm veränderte sich etwas, dann begann auch der Bildschirm zu leuchten.

„Beeilt euch. Ich glaube, es kommt eine Schwester“, drängte Cody, der Schritte auf dem Flur hörte.

Kari, T.K, Davis und Joe hielten ihre DigiVices, zu dem Monitor und verwandelten sich in verschwommene Schemen, die von dem Computer aufgesaugt wurden. Das glühende Licht verschwand kurz danach, das Tor hatte sich wieder geschlossen.
 

Sie ließen Fumiko alleine – die Schwestern wollten nicht, dass sie zu lange von Besuchern aufgeregt wurde – und vereinbarten, sofort wiederzukommen, sobald der Rest ihrer ehemaligen Gruppe in Japan eingetroffen war, und Izzy wies Fumiko an, ihn sofort anzurufen, wenn irgendetwas Ungewöhnliches vorfiel. Als sie das Krankenhaus verließen, meinte Cody: „Mir ist gerade etwas eingefallen. Wir müssen doch eigentlich gar nicht alleine mit dem Problem fertig werden. Es gibt weltweit noch genug andere DigiRitter, die uns helfen können.“

„Das hab ich mir auch schon überlegt“, sagte Izzy missmutig. „Aber wenn wir mit ihnen Kontakt aufnehmen, geraten sie sicher auch in Taneos Visier. Außerdem können wir nicht warten, bis sie alle nach Japan kommen, um durch Fumikos Tor zu gehen, und ich weiß nicht, ob es andernorts auch eine neue DigiRitter-Generation gibt.“

Tais Blick verlor sich im Himmel, der von einem unwirklichen Grau überzogen war. „Ich mache mir eher Sorgen darüber, wie ich Matt erklären soll, dass ich seinen Bruder ins Ungewisse geschickt habe.“
 

Myotismons Schloss, DigiWelt

Donnerstag, 3. August 2007

17:08 Uhr
 

T.K. blinzelte gegen die Staubwolke an. Man sah kaum die Hand vor den Augen. Die Sonne war hinter dicken, schwarzen Wolken verschwunden. Dennoch hatte er die Ruine, vor der sie sich materialisiert hatten, sofort erkannt: Es handelte sich um die Überreste von Myotismons Schloss, dem finsteren, gruselig-mystischem Bauwerk, in dessen Keller sich einst das Tor befunden hatte, das das Digimon und seine Armee in die Menschenwelt gebracht hatte. Selbst als die DigiWelt nach Apocalymons Vernichtung neu erschaffen worden war, war die Ruine wieder erschienen, als weigerte sie sich, von der Bildfläche zu verschwinden.

„Meint ihr, Fumiko hat uns absichtlich hierhergebracht?“, überlegte Davis, während er die Umgebung erkundete. Es lag kein Stein mehr auf dem anderen, der Ort, der frührer durchtränkt war vom Bösen, war nun nur noch trostlos und öde. Ein Skelett war alles, was vom Schloss übrig geblieben war, und selbst das sah aus, als würde es nur noch halten, weil sich die Felsblöcke beim Einsturz ineinander verkeilt hatten. T.K. konnte sich noch gut erinnern, wie das Bauwerk damals von MegaKabuterimons und WereGarurumons Attacken zerstört worden war.

„Was tun wir jetzt als nächstes?“, fragte Kari.

„Wir halten uns erst mal verdeckt“, bestimmte Joe, „und suchen unsere Digimon-Partner und sehen dann, was wir tun können.“

Keiner von ihnen bemerkte den Schatten, der auf der obersten Zinne der Ruine stumm auf sie herabsah.
 

==========================
 

Tais Plan wird also umgesetzt. Ob es eine gute oder eine schlechte Idee war, wird sich zeigen ;)

Und ich will jetzt auch gar nichts mehr hinzufügen, außer: Im nächsten Kapitel gibt es diverse Wiedersehen ;)

Reunion

Zerstörte Stadt, DigiWelt

Donnerstag, 3. August 2007

22:17 Uhr
 

Joe seufzte mutlos. „Das ist ja wie eine Nadel, die man in einem Heuhaufen sucht! Wie sollen wir etwas finden, wenn wir noch nicht mal wissen, wo wir suchen sollen?“

„Was ist hier nur passiert?“, murmelte Kari entsetzt. Sie hatte ihm gar nicht zugehört, sondern blickte nur starr auf die Ruinen vor ihnen.

Der Mond beleuchtete das Trümmerfeld und ließ es fast friedlich wirken. Nirgendwo war auch nur eine Seele zu erblicken, nur Staub und gemahlenes Gestein, Holz und verwehtes Stroh. Die endlose Steppe, auf die sie gelangt waren, war schon trostlos genug gewesen, daber das hier …

„Das ist das Ergebnis eines Kampfes, würde ich sagen“, murmelte T.K. düster.

„Das war weit mehr als ein gewöhnlicher Kampf“, stellte Joe fest. „Seht mal, wie groß das Trümmerfeld ist. Das war einmal eine ganze Stadt!“

„Ob es überall in der DigiWelt so aussieht?“, überlegte Kari bang.

„Ach, nein, sicher nicht“, versuchte Davis sofort sie aufzumuntern.

Karis Sorge ließ sich allerdings nicht so schnell vertreiben. „Und wenn … Gatomon und die anderen auch …“, sagte sie leise.

„Seht mal, da vorne!“, rief T.K. in dem Moment. „Da brennt Licht!“ Er deutete auf eine Ansammlung niedriger Hügel in der Ferne.
 

„So, und diese Blätter werden wir jetzt noch auf der Wunde befestigen, dann sollte es gehen.“

„Hab vielen Dank“, sagte das Betamon.

„Gern geschehen. Achte nur darauf, dass du das Bein nicht zu sehr bewegst.“

Das Betamon nickte und humpelte auf drei Beinen davon. Es hatte sich schon eine kleine Schlange neuer Patienten gebildet. Gatomon seufzte innerlich. Es war mitten in der Nacht, und dennoch waren immer noch verletzte Digimon da, die behandelt werden wollten. Und weil das Katzendigimon in der Menschenwelt einige – wenige – Erfahrungen mit dem dortigen Gesundheitssystem gemacht hatte, hatte man es kurzerhand zum Lazarettarzt auserkoren.

In dem Moment stürmte ein mausartiges Chipmon mit einem geschienten Arm durch die Reihen und blieb atemlos vor ihm stehen. „Gatomon!“, piepste es und zeigte mit seinem heilen Arm nach hinten zum Rand des Lagers. „Me-Menschen!“

Gatomon horchte alarmiert auf. Einige der Digimon stoben kreischend auseinander, andere, die noch bei Kräften waren, rotteten sich zusammen und zogen gemeinsam los, um sich den Menschen zu stellen. Gatomon begleitete sie. Als sie die Menschen jedoch sahen, erlebte es eine Überraschung.

„Kari!“, rief Gatomon aus und sprang auf sie zu.

„Gatomon!“ Kari ging in die Hocke und fing ihr Digimon auf. Sie drückte es fest an sich. Tränen standen ihr in den Augen. „Du hast mir so gefehlt …“

„Du hast mir auch gefehlt, Kari.“ Auch Gatomon blieb nicht von seinen Emotionen verschont.

Unter den anderen Digimon brach erstauntes, stellenweise sogar empörtes Gemurmel aus. Gatomon löste sich von Kari, stellte sich vor die DigiRitter und breitete die Pfoten aus. „Diese Menschen hier sind nicht unsere Feinde! Wer von euch sich an den Kampf gegen Myotismon vor fünf Jahren erinnert, weiß das!“ Das Gemurmel wurde lauter, aber niemand rührte einen Finger, um sie anzugreifen.

T.K. sah sich genau um. Es war ohne Zweifel ein Flüchtlingslager, das die Digimon hier auf dem Hügel errichtet hatten. Es bestand nur aus Erdlöchern und kleinen Zelten, in die gar kein Mensch gepasst hätte. Dazwischen brannten Lagerfeuer. Die Digimon, die sie ängstlich oder feindselig musterten, waren in einem erbarmungswürdigen Zustand. Keines von ihnen war auf den ersten Blick unverletzt, er sah ein Chipmon, das seinen Arm in einer Schlaufe trug, ein Numemon mit verbundenen Augenstielen, ein Gizamon, das ihn anknurrte, dessen rechtes Vorderbein jedoch dick verbunden war, und so weiter und so fort.

Gatomon drehte sich wieder zu ihnen um. „Ich bin so froh, euch zu sehen. Ich habe nicht geglaubt, dass ich euch wiedersehe.“ Die Erleichterung war dem Digimon anzuhören.

Kari ergriff es unter den Schultern, hob es hoch und drückte es erneut an sich. Dabei kraulte sie es an den Ohren. „Gatomon …“

„Kannst du uns sagen, was hier los ist, Gatomon?“, fragte Joe.

Gatomon, das ungelenk in Karis Umarmung lag, antwortete düster: „Wir sind hier alle Opfer des DigiKriegs geworden. Ich werde es euch erzählen.“
 

Kurze Zeit später saßen sie um ein Lagerfeuer herum und aßen die harten, geschmacklosen Körner, die für die Digimon hier die einzige Verpflegung darstellten und die man in der Menschenwelt wohl höchstens Vögeln gefüttert hätte.

Gatomon hatte es sich auf Karis Schoß bequem gemacht und erzählte. „In der Stadt auf der Ebene hat es vor ein paar Tagen eine Schlacht gegeben. Die Stadt ist jetzt völlig zerstört. Die Überlebenden und Heimatlosen haben sich hier zusammengefunden.“

„Und wie bist du hier gelandet?“, fragte Kari.

Gatomons Augen funkelten belustigt. „Das ist eine lange Geschichte. Ich habe damals, als ich für Myotismon Soldaten rekrutiert habe, nicht nur Wizardmon geholfen, sondern auch andere Digimon kennen gelernt. Nach unserem letzten Kampf bin ich durch die DigiWelt gezogen und habe einige von ihnen wieder hier getroffen. So bin ich bei ihnen geblieben, bis der Kampf begonnen hat.“ Dann verdüsterten sich Gatomons Züge. „Ich habe gehört, welchen Schaden die neuen DigiRitter angerichtet hatten, und als die Stadtglocken Alarm läuteten, habe ich eigentlich gedacht, ich müsste bald einem Menschen gegenüberstehen. Aber es waren die Scherben, die uns angegriffen haben, die letzten Splitter der Macht der Dunkelheit. Wir haben versucht die Stadt zu verteidigen, und dann sind uns andere Digimon zur Hilfe gekommen, aber es war bereits zu spät. Die Stadt wurde zerstört und die Scherben sind weitergezogen. Die Digimon, die ihr hier seht, sind mit dem Leben davongekommen, manche nur knapp. Es sind Heimatlose, die in der Stadt gelebt haben, aber auch verletzte Soldaten der DigiAllianz, die desertiert sind oder von ihren Kameraden zurückgelassen wurden.“ Gatomon ließ traurig die Ohren hängen. „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie sehr sich die DigiWelt verändert hat.“

„Gatomon“, sagte T.K. Der Junge war aufgestanden und hatte ihnen den Rücken zugewandt. Kari wusste, warum. Sie sollten sein zorniges Gesicht nicht sehen. „Weißt du, wo Patamon und die anderen sind?“

„Ich habe sie lange nicht mehr gesehen“, sagte das Digimon. „Ich weiß, dass Tentomon, Gabumon, Gomamon und Piyomon zusammengeblieben sind. Wo sie jetzt sind, weiß ich nicht. Agumon hat noch vor mir begonnen, auf eigene Faust durch die DigiWelt zu wandern. Über Hawkmon, Patamon und Armadillomon weiß ich auch nichts. Veemon ist auf einem Erkundungsgang und sollte bald zurück sein.“

„Warte mal – du meinst, Veemon ist hier?“, rief Davis erfreut. „Warum hast du das nicht früher gesagt?“

Gatomons Gesicht formte sich zum katzischen Äquivalent eines Grinsens. „Du hast nicht gefragt.“ Kari kicherte und strich ihrem Digimonpartner über den Rücken.
 

Es war ein stürmisches Wiedersehen. Davis und Veemon schrien beide durcheinander. Davis wirbelte das blauweiße Digimon herum, bis ihm schlecht wurde. Es war Mitternacht geworden, als sie in der Mitte des Lagers ein paar Felldecken als Schlafstätten zugeteilt bekamen.

„Du hast dich ganz schön verändert“, stellte Veemon fest.

„Wirklich?“, fragte Davis.

„Ja.“ Es grinste. „Aber erwachsener geworden bist du trotzdem nicht.“

Alle lachten, während Davis Veemon einen Klaps auf die Stirn gab. Schon lange waren sie nicht mehr so ausgelassen gewesen. Kurz vergaßen sie sogar den Krieg, der über der DigiWelt schwebte, und plauderten frei über die Dinge, die sie in den letzten Jahren erlebt hatten. Gatomon hatte sich in Karis Armen eingerollt und schnurrte zufrieden, während Kari still und glücklich sein weiches Fell streichelte.

„Wie bist du denn überhaupt hier gelandet?“, fragte Davis schließlich.

Veemon schlug sich stolz mit der Faust gegen die Brust. „Ich bin der DigiAllianz beigetreten!“

„Der DigiAllianz?“, fragte Joe.

„Ja. Wir versuchen, die Scherben und die Dunklen, diese neuen DigiRitter, zu bekämpfen und die DigiWelt zu retten. Auch wenn wir bei dem Kampf um die Stadt recht alt ausgesehen haben, wir haben viele Anhänger!“ Es wurde ein wenig melancholisch. „Trotzdem ist es gut, dass ihr jetzt auch hier seid. Ich konnte als Rookie-Digimon nie wirklich etwas ausrichten. Als wir die Schlacht verloren haben und zum Rückzug geblasen wurde, bin ich bei Gatomon geblieben. Ich hatte das Gefühl, inmitten von schwachen und verletzten Digimon würde ich eine größere Hilfe sein.“

Die anderen schwiegen. Die bedrückende Atmosphäre war wiedergekehrt und es hatte auch niemand die zahllosen Schrammen auf Veemons Haut übersehen.

„Schlafen wir jetzt“, schlug Joe vor. „Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Wir müssen Patamon und Gomamon finden, und dann werden wir versuchen, der DigiAllianz zu helfen.“
 

Tokio, Japan

Freitag, 4. August 2007

10:05 Uhr
 

Die Sonne sengte so gnadenlos auf das weite Rollfeld hernieder, dass die Luft flimmerte. Matt blinzelte. Endlich waren sie im Haneda-Flughafen gelandet – der Flug war ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen. Die Ereignisse in Spanien, die nur zwei Tage zurück lagen, hatten ihn in seiner Entscheidung bestärkt, endlich nach Hause zu fliegen. Es hatte einen heftigen Streit unter den Bandmitgliedern gegeben, und er war auch nicht mit Andeutungen davongekommen: Gekimaru und die anderen hatten hartnäckig alles wissen wollen, was mit ihm, den Digimon und den Vorkommnissen vor fünf Jahren zu tun hatte. Im Endeffekt hatten sie ihm wohl nicht geglaubt, obwohl sie Palmon mit eigenen Augen gesehen hatten und das Digimon sich auch nicht mehr die Mühe gemacht hatte, sich vor ihnen zu verstecken. Matt hatte das düstere Gefühl, seiner Band nun für immer den Rücken gekehrt zu haben. Immerhin war es kein sehr freundlicher Abschied geworden … Aber nun gab es Wichtigeres.

Er atmete tief durch, als er, Mimi und Sora nach einer Ewigkeit des Gepäckstück-Zusammensuchens den Flughafen verließen.

„Hey, ihr drei, hierher!“, trällerte eine fröhliche Stimme quer über den Parkplatz. Yolei stand neben einem rostigen, schwarzen Toyota und winkte ihnen ausgelassen zu.

Sora musste lächeln. Es musste eine Ewigkeit her sein, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten … Auch Mimi war erfreut.

Die drei zerrten ihre Koffer – in einem davon versteckte sich natürlich Palmon – zu dem Wagen und erkannten, dass Tai hinterm Steuer saß. Er hatte sich lässig gegen das Lenkrad gelehnt und grinste Matt über die Ränder seiner Sonnenbrille hinweg an. „Alles klar, Alter?“

Sora wollte ihn schon stürmisch begrüßen, aber Yolei – ausgerechnet Yolei – sagte: „Später. Steigt schnell ein, damit wir fahren können.“ Sie half den dreien, die Gepäckstücke zu verstauen, dann zwängten sie sich auf die Rückbank – Mimi nahm Palmon auf den Schoß – und Tai brauste auch schon los.

„Ich komme mir vor wie ein Schwerverbrecher“, stellte Matt fest. „Was habt ihr herausgefunden, dass wir so geheimnistuerisch sein müssen?“

„Ich dachte, ihr hättet schon Feindkontakt gehabt?“ Tai blickte für Matts Geschmack zu oft in den Rückspiegel. Was war hier wohl in den letzten Tagen passiert? Izzy hatte am Telefon erklärt, er würde ihnen alles erzählen, sobald sie wieder vereint wären. Die drei warteten schon gespannt auf die Neuigkeiten, mussten sich aber noch gedulden.

Die Sonne ließ den Asphalt schimmern und Matt ließ das Fenster hinunter und sich vom Wind das Haar zerzausen. Es kam ihm vor, als wäre es kaum kühler als in Spanien.

„Ein Attentäter namens Ansatsu hat Leute angeheuert, um uns anzugreifen“, sagte Sora, als Matt schwieg.

„Und vielleicht nicht nur euch.“ Tai schwieg kurz, sah erneut in den Rückspiegel und sagte nach dieser genau berechneten Pause: „Wir haben einen überlebenden DigiRitter gefunden.“

„Was?“ Matt beugte sich zum Vordersitz vor. „Was habt ihr uns verschwiegen?“

„Sie ist todkrank, aber sie kann uns noch ein Tor zur DigiWelt öffnen. Wir wollten vermeiden, dass Ansatsu das herausfindet, deswegen haben wir nichts gesagt. Alles Weitere erkläre ich euch später.“ Auf Tais Stirn erschien eine tiefe Falte, als er, länger als zuvor, in den Spiegel sah. „Dieser schwarze Porsche verfolgt uns“, sagte er knapp.

„Bist du sicher?“, fragte Yolei. Panik sickerte durch ihre Stimme. Sie verrenkte sich den Hals, um nach hinten zu sehen.

„Er ist schon seit dem Flughafen hinter uns.“

„Verstehe.“ Yolei öffnete das Handschuhfach. Sora erstarrte, als sie sah, was sie herausholte.

„Yolei, das ist …“

Das Mädchen nickte langsam.

„Wo hast du die her?“ Sora klang richtig entsetzt, auch in Mimis Blick stand Sorge geschrieben.

„Ein Onkel von mir, der am Rand von Tokio wohnt, hat eine ganze Sammlung. Er hat einen Waffenschein für so ziemlich alles.“ Sie wog die blitzende Pistole aus schwarzem Metall andächtig in der Hand. „Ich hab ihn nach meiner Heimreise kurz besucht und sie aus seinem Schrank genommen, als Izzy mir gesagt hat, was alles passiert ist, und eine Nachricht hineingelegt, in der ich mich dafür entschuldige. Er soll sich keine Sorgen machen und mir vertrauen.“

Matt runzelte die Stirn. Er wandte sich an Tai, als er fragte: „Glaubt ihr wirklich, dass wir sie brauchen werden?“

Tai schwieg beharrlich, aber Yolei sagte grimmig: „Wenn es zum Äußersten kommt, werden wir uns verteidigen.“ Matt glaubte nicht, dass sie je eine Pistole abgefeuert, ja, auch nur in der Hand gehalten hatte, und ganz sicher würde sie auch niemals den Abzug betätigen, aber wenn es sie beruhigte … Ihn beruhigte der Anblick der Waffe hingegen ganz und gar nicht.

Sie kamen an eine rote Ampel. Tais Finger tippte ungeduldig auf dem Lenkrad herum, bis das Lichtzeichen wieder auf Grün sprang. Sie fuhren geradeaus weiter, der Porsche bog rechts ab. Tai atmete hörbar auf. „Falscher Alarm.“

„Hoffentlich“, murmelte Mimi.

Tai schien bei der nächsten Kreuzung kurz zu überlegen, dann lenkte er den Wagen in eine Einbahnstraße und bog danach erneut ab, sodass sie nun wieder in die Richtung fuhren, aus der sie gekommen waren.

„Was wird das?“, fragte Matt.

„Reine Vorsichtsmaßnahme“, gab Tai knapp zu verstehen. „Auch wenn unsere Zeit wahrscheinlich knapp ist, es darf uns niemand folgen.“

Sie kurvten noch eine Weile durch die Straßen, ohne dass sie den schwarzen Porsche wieder zu Gesicht bekamen. Wahrscheinlich war es wirklich falscher Alarm gewesen. Der Weg, den sie dann einschlugen, führte allerdings an den Rand der Stadt und nicht, wie Matt, Sora und Mimi erwartet hatten, nach Odaiba zu ihren Wohnungen.

„Wohin fahren wir?“, fragte Sora unbehaglich.

„Eine weitere Vorsichtsmaßnahme.“ Yolei klang nun nicht mehr so angespannt wie vorher. Die Waffe lag jedoch immer noch auf ihrem Schoß. „Wenn euch Ansatsu in Europa gefunden hat, weiß er mit Sicherheit auch schon, wo wir wohnen. Also mussten wir ausweichen.“

„Und wohin ausweichen?“, fragte Matt.

„Wart’s ab“, sagte Tai wortkarg.

„Ach ja, und schaltet eure Handys aus, zur Sicherheit. Izzy meint, es wäre möglich, uns damit zu orten“, fügte Yolei hinzu.

„Na toll.“
 

Mobile Festung des DigimonKaisers, DigiWelt

Freitag, 4. August 2007

10:45 Uhr
 

Es war fast völlig dunkel in der Kommandozentrale. Ansatsu glich einem Schatten, als er aus dem Gang trat. Dennoch wurde er bemerkt.

„Du bist spät.“

Ansatsu würdigte die Gestalt, die auf dem Boden vor einem Laptop kauerte, von dem ausgehend Dutzende Kabel in die Dunkelheit verschwanden, keines Blickes. „Was gibt es?“, fragte er kühl. „Ich bin beschäftigt.“

„Das glauben wir. Offensichtlich bereitet es dir gewisse Schwierigkeiten, ein gewöhnliches Menschenmädchen zu töten“, ertönte eine weibliche Stimme aus der Dunkelheit neben ihm. Er drehte sich gerade so langsam zu ihr um, dass es als Provokation gelten konnte, aber er konnte sie in den Schatten nicht ausmachen.

„Beträchtliche Schwierigkeiten, wenn wir uns ehrlich sind.“ Das Klappern fliegender Finger auf der Laptoptastatur ließ Ansatsu wieder den Jungen vor ihm fixieren. Er sah im Schein des Monitors Zeichen über dessen Brillengläser rasen. „Daher werden wir dir von jetzt an ein wenig zur Hand gehen.“

Ansatsu reckte sich. „Ich arbeite allein“, sagte er bestimmt. Seine Untermänner in Spanien waren nur eine kalkulierte Vorsichtsmaßnahme gewesen, keine Verbündeten, und schon gar keine Gleichgestellten.

Der Junge klappte das Notebook zu und stand auf. Er reichte dem Attentäter gerade einmal bis zur Nasenspitze. „Nicht mehr.“ Ansatsu starrte den Jungen finster an. Ohne das Licht des Bildschirms konnte er nicht einmal die Sommersprossen auf dessen Gesicht sehen. Selbst das rotbraune, wirre Haar war kaum auszumachen. Die dicken, viereckigen Brillengläser jedoch funkelten in einer Lichtquelle, die Ansatsu nicht ausmachen konnte. Der Junge liebte es, im Dunkeln an seinem Laptop zu arbeiten. „Da du dich wie ein unfähiger Amateur aufführst, müssen Miyuki und ich das wohl erledigen“, fuhr er fort.

„Sei ein wenig vorsichtiger mit dem, was du sagst“, warnte ihn Ansatsu mit schneidender Stimme.

Der Junge legte erwartend den Kopf schief. „Sonst was? Bringst du mich sonst um? Dieses Talent hast du ja in den letzten Tagen etwas verlernt. Wie viele Ziele hast du jetzt schon vergeigt? Vier? Fünf? Sechs?“

Ansatsus Hand schnellte so blitzartig vor, dass man sie gar nicht sah. Drei schwarze, stählerne Krallen, die aus seinem Handschuh ragten, deuteten genau auf den Hals des Jungen. „Von jemandem wie dir muss ich mich nicht beleidigen lassen“, sagte er und seine Stimme klang dabei wie klirrende Eiswürfel.

„Jungs, Jungs“, seufzte das Mädchen und kam näher. „Ihr benehmt euch kindisch, wisst ihr?“

Ansatsu sah sie nicht einmal an, sondern wandte den Kopf dorthin, wo nur quellende Dunkelheit zu sehen war. „Was sagst du dazu, Taneo?“

Schritte erklangen, etwas piepste, dann flammte eine einzige Deckenlampe an. Ansatsu musste geblendet blinzeln. Taneos Umrisse wurden verschwommen sichtbar. Wie immer trug er einen weiten Mantel, der fast an einen Laborkittel erinnerte, wäre er nicht sandfarben gewesen. Sein braunes Haar bildete leichte Locken an den Spitzen. Quer über seinen Nasenrücken zog sich eine lange Narbe, die bis zum linken Ohr reichte. „Du hast deine Aufträge bisher immer ordentlich erledigt“, erklang seine Stimme. Sie war melodisch, fast hörte es sich an, als würde er die Worte singen. „Aber ich will die Sache so schnell wie möglich beenden. Kentarou und Miyuki werden von jetzt an übernehmen.“ Er ging zwischen Ansatsu und Kentarou hindurch, die Hände in den Manteltaschen vergraben, und brachte sie damit auf Abstand. Seine Augen musterten jeden von ihnen kurz und eindringlich und schienen dabei zu funkeln. „Und ich wünsche nicht, dass ihr darüber streitet. Tut, was ihr tun müsst, und fertig.“

Er ging noch ein paar Schritte weiter, ehe er stehen blieb und zu ihnen zurückrief, ohne sich umzudrehen: „Und tut es bald.“
 

=======================
 

Ich wollte auch mal ein bisschen aus der Sicht der "Bösen" schreiben ;) Vielleicht aufschlussreich, vielleicht nicht, ich weiß es nicht^^

Ab dem nächsten Kapitel geht es so richtig los :D Die Kapitel bisher waren ja eigentlich eher eine Einleitung. Deswegen weiß ich nicht, ob sie nicht vielleicht zu langatmig waren ... Danke an die Leser, die bis hierher durchgehalten haben^^ Ab jetzt geht es mit der Story steil aufwärts, versprochen ;)

Another Angel down

Am Fuße des Ogusu-Berges, Japan

Freitag, 4. August 2007

14:32 Uhr
 

Das Lachen von Kindern drang leise an ihr Ohr und wurde kurz von der rufenden Stimme einer männlichen Aufsichtsperson übertönt. Wenn Matt über die Felsenkette lugte, die wie eine gewaltige Wurzel aus dem Boden ragte, konnte er die hölzernen Bauten sehen, zwischen denen Kinder in quietschbunten Kleidern umher huschten. Ein bebrillter Lehrer in einem weißen Hemd versuchte vergeblich, Ordnung in das Chaos zu bringen.

Es war so ähnlich wie damals, auch wenn es so viele Jahre her war. Matt schloss die Augen und atmete tief durch. Hier hatte alles begonnen. Hier waren sie, vor acht Jahren, drei Tagen und etwa zwei Stunden, zum ersten Mal in die DigiWelt gesogen worden. Und auch heute war ein Feriencamp in vollem Gange, aber es würde wohl – für die Kinder – friedlich und ohne übernatürliche Vorkommnisse wieder enden.

Er drehte sich um. Tais Toyota stand neben dem großen Wohnwagen geparkt, aus dem ein mäßig köstlicher Duft wehte – was auch immer dort drin brutzelte, roch ein wenig angebrannt.

Die DigiRitter waren tatsächlich alle von Zuhause ausgezogen, unter dem Vorwand, einen gemeinsamen, mehrtägigen Ausflug mit Tais Wohnmobil zu machen. So würde es schwerer sein, sie ausfindig zu machen, sollte Ansatsu wirklich auch hier in Japan aktiv sein.

Matt ließ die Augen über die Versammelten schweifen, die auf Hockern um einen Holzhaufen saßen, der dazu einlud, nachts ein Lagerfeuer zu entzünden. So lange würden sie allerdings nicht warten. Sie wollte sich noch schnell an dem zweifelhaften Essen stärken und dann alle gemeinsam mit Auto und Wohnwagen zu Fumiko fahren, wobei sie unterwegs anhalten würden, um Proviant für die Reise in die DigiWelt zu kaufen. „Wo sind die anderen?“, fragte Matt schließlich.

Izzy sah Tai vorwurfsvoll an. „Du hast es ihm noch nicht gesagt“, stellte er fest.

Tai schob sich das Reisbällchen in den Mund und schluckte es, ohne viel zu kauen, hinunter. Dann erst antwortete er und sah Matt fest in die Augen. „Wir wussten nicht, ob Fumiko solange durchhält, bis ihr da seid. Also habe ich Kari, T.K, Davis und Joe in die DigiWelt vorgeschickt.“

„Verstehe“, sagte Matt und ließ sich auf einen der freien Hocker sinken.

Tai sah ihn verblüfft an. „Wie jetzt – du bist gar nicht wütend, weil ich T.K. in die DigiWelt geschickt habe?“

„Warum sollte ich? Er ist erwachsen genug. Und er hat Patamon“, meinte Matt und sah nun seinerseits so aus, als könnte er Tais Reaktion nicht verstehen. Dann jedoch wurde sein Blick lauernd. „Verschweigt ihr mir noch etwas?“

„Es ist so“, begann Izzy. „Nach allem, was wir wissen, gibt es in der DigiWelt gerade einen Krieg, in den mindestens drei Fraktionen involviert sind. Es dürfte dort also gerade ziemliches Chaos herrschen …“

„Und das sagt ihr mir jetzt?“ Matt war aufgesprungen und hatte Tai am Kragen in die Höhe gezogen. „Tai! Was fällt dir ein … Wenn ihr noch gar nicht mal wisst, wie es auf der anderen Seite aussieht! Das war verantwortungslos!“

Tai packte seine Hand und riss sie grob zur Seite. „Wie war das jetzt, er ist erwachsen genug?“, knurrte er. „Ich habe getan, was ich für das Beste hielt.“

„Aber ohne richtig nachzudenken – wie immer!“, zischte Matt.

Sora war es, die dazwischen ging. Sie legte beiden die Hand auf die Schulter. „Hört bitte auf“, sagte sie. „Jetzt sind wir endlich wieder beisammen, und ihr streitet schon wieder.“

„Wir sind eben nicht alle wieder beisammen“, schnappte Matt, hatte sich aber schon beruhigt. Offenbar traute er T.K. doch mehr zu als früher und seine Reaktion war nur der Ausdruck seiner Sorge gewesen, von der er immer geglaubt hatte, er müsse sie um seinen jüngeren Bruder haben.

Tai sah ihn mit gemischten Gefühlen an, aber Matts Wut flaute tatsächlich schnell wieder ab. Sie hätten auch gar keine Zeit gehabt, um weiter zu streiten, denn Izzys Handy klingelte – das einzige, das sie gewagt hatten, eingeschaltet zu lassen. Er hob ab, lauschte ohne Begrüßung ein paar Sekunden, dann wurde er sichtlich bleicher. Sein Atem ging zitternd, als er auflegte. „Wir müssen sofort los“, murmelte er.

„Was ist denn los?“, fragte Tai alarmiert.

„Es war Fumiko. Irgendetwas ist im Krankenhaus passiert. Sie hat Schreie gehört“, sagte der Computerfreak mit ernster Miene.

Tai schluckte. „Ansatsu?“

Izzy machte eine Bewegung, die zwischen einem Schulterzucken und einem Nicken lag. „Wir müssen es annehmen.“

„Und ihr habt das Mädchen ohne Bewachung allein gelassen?“, fragte Matt ägerlich, als sie sich zu fünft ins Auto zwängten und Yolei, Cody und Palmon in den Wohnwagen einstiegen. „Wir brauchen Stunden, bis wir beim Nagano-Krankenhaus sind, das ist euch doch klar, oder?“

„Was hätten wir denn tun sollen?“, murrte Tai. „Uns aufteilen? Ihr seid Ansatsu nur wegen Palmon entkommen, oder?“ Matt wollte etwas sagen, aber Tai fiel ihm ins Wort: „Ich weiß, du hättest es anders gemacht. Das ist ja nichts Neues. Aber du warst auf der anderen Seite des Erdballs, also verkneif‘s dir!“
 

Pixel-Dorf, DigiWelt

Unbekannte Zeit
 

Durch das winzige Fenster in seinem Zimmer sah Ken die Sonne untergehen. Dennoch konnte es noch nicht sehr spät sein, vielleicht war es sechs Uhr abends. Wenn diese Eiswüste in der DigiWelt etwas mit dem hohen Norden der Realen Welt gemein hatte, dann brach die Nacht hier sehr früh herein – aber müsste nicht eigentlich gerade Sommer sein? Wo war dann die Mitternachtssonne? Oder war er im Süden, wo die Jahreszeiten anders waren? Aus seiner Zeit als DigimonKaiser wusste er, dass die meisten Gegebenheiten der Realen Welt auch hier Gültigkeit hatten, wenn auch längst nicht alle. Ob das auch für Jahreszeiten galt, hatte er nie für wichtig befunden und sich dementsprechend keine Gedanken gemacht.

Und im Endeffekt war es ihm auch jetzt egal.

Er war nun seit eineinhalb Tagen hier. Die Nacht, die er in einem – mehr oder weniger – echten Bett geschlafen hatte, hatte seine Kräfte wiedererweckt. Gestern am Abend sowie heute Morgen und mittags hatte Digitamamon ihm eine Schüssel mit breiigem Essen gebracht, von dem er mutmaßte, dass es nichts weiter war als dieselben geschmacklosen Pilze, nur zu Brei zerstampft. Erst war er froh gewesen, sein Quartier nicht verlassen zu müssen, aber je besser er sich fühlte, desto weniger hielt er es in dem stickigen Zimmer aus. Sein Fieber war so weit gesunken, dass er es kaum noch wahrnahm. Seinen linken Arm konnte er mittlerweile wieder bewegen, aber er kribbelte und juckte unerträglich, alles Kratzen half nichts; das Gefühl schien von der verästelten, schimmernden Narbe zu stammen und machte ihn fast wahnsinnig, aber ansonsten ging es ihm, den Umständen entsprechend, wieder gut.

Obwohl ihn Moyamon eindringlich gewarnt hatte, es nicht zu tun, öffnete Ken schließlich die Tür und stieg möglichst leise die Treppe hinunter. Sein Wizardmon-Kostüm kratzte ihn am ganzen Körper und seine Haare waren unter dem Hut feucht von seinem Schweiß, als er unten ankam. Er brauchte dringend frische Luft, und außerdem musste er sich orientieren und ein wenig die Umgebung erkunden. Schließlich konnte er nicht für ewig in diesem Dorf am Rand der Welt bleiben. In einer wolkenverhangenen Nacht wie dieser würde man auch kaum sehen, dass er ein Mensch war.

Digitamamon stand wie festgewurzelt hinter dem Empfangstresen im Erdgeschoss. Ken nickte ihm flüchtig zu, dann kam ihm ein Gedanke. „Du hast wirklich ein nettes Motel“, sagte er und hoffte, dass es nicht sarkastisch klang.

„Danke“, schnarrte das Digimon, das im Grunde nur ein Ei mit Augen und Beinen war. „Man muss sehen, wie man hier zurechtkommt.“

„Und du hast auch hohe Gäste“, fuhr Ken fort. „Ich habe gehört, ein Lucemon von der DigiAllianz nächtigt auch hier.“

„Oh ja.“ Das Digimon klang stolz. „Das ist eine große Ehre für mich, auch wenn ich fürchte, es wird nicht lange hier blieben.“

„Verstehe“, murmelte Ken. „Wo ist es gerade?“

„Lucemon und seine Begleiter sind zu Mittag aufgebrochen, um die Hügel zu erkunden. Vor zwei Tagen hat dort eine Schlacht stattgefunden, das wollten sie untersuchen. Sie sind noch nicht zurückgekommen.“

„Verstehe“, sagte Ken erneut und leckte sich über die Lippen. Es wäre im lieber gewesen, wenn Lucemon in seinem Zimmer wäre, während er spazieren ging, aber jetzt wollte er auch nicht mehr umdrehen. Ohne ein weiteres Wort trat er in die schneidende Winterluft hinaus.

In regelmäßigen Abständen brannten auf der Straße gelbe Fackeln, die nur Licht, aber keine wirkliche Wärme zu verstrahlen schienen. Es durfte wirklich noch nicht spät sein; trotz der Dunkelheit waren noch einige SnowAgumon und Icemon auf der Straße und auch die meisten der Stände waren noch besetzt.

Ken schlenderte, möglichst unauffällig, die Straße entlang und versuchte sich genauer einzuprägen, wo er sich befand. Eines der Veggiemon-Händler konnte ihm sicher sagen, ob es in der Nähe eine Straße gab, die irgendwohin führte, wo man nicht ganz so sehr am Ende der Welt war wie hier.

Sein Blick glitt weiter über die Stände – und dann zuckte er zusammen und drängte sich in die schattige Gasse zwischen zwei Häuschen. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. Er hielt den Atem an.

Obwohl er noch nie ein Lucemon gesehen hatte, erkannte er es sofort. Dennoch war er überrascht, als er keinen prächtigen Krieger vor sich hatte, sondern ein Digimon, das aussah wie ein Kind mit goldgelocktem Haar. Es trug nur eine weiße Toga, dennoch schien ihm nicht kalt zu sein. Aus seinem Rücken sprossen gleich zwölf Flügel, die dem Engeldigimon etwas Majestätisches verliehen. Flankiert wurde Lucemon von zwei Knightmon, herrschaftlichen Rittern in einer weißen Ganzkörperrüstung mit einem gewaltigen Schild und einem noch gewaltigeren Schwert auf dem Rücken. Lucemon war offenbar in ein Gespräch mit einem der Händler vertieft, das Ken nicht genauer verstehen konnte.

Er war sich sicher, kein verräterisches Geräusch verursacht zu haben, doch eines der Knightmon griff plötzlich zu seinem Schwert. Lucemon wandte im gleichen Moment den Kopf und seine glockenhelle Stimme erklang lauter, sodass auch Ken sie verstehen konnte.

„Ich weiß, dass du dich versteckst. Komm heraus!“

Ken gefror das Blut in den Adern. Die Stimme hatte so kalt geklungen wie der Schnee rings um ihn herum. Er hielt immer noch den Atem an und blaue Flecken tanzten bereits vor seinen Augen, aber er war unfähig sich zu bewegen.

„Hörst du nicht?“, fragte Lucemon schneidend.

Ken schluckte. Schweiß sammelte sich an seinem Kinn und seine Kopfhaut juckte unter dem lächerlichen Hut. Seine Kleidung war so durchweicht, dass er fror, wenngleich der Grund für seine zitternden Glieder ein anderer war. Auch wenn Lucemon nicht besonders gefährlich aussah – seine Begleiter waren es bestimmt und das kindliche Engeldigimon genoss sicherlich eine gewisse Autorität.

Ken wollte, um die Sache nicht noch zu verschlimmern, schon aus seiner Deckung hervortreten, als er eine Stimme hinter sich hörte.

„Wie von dir zu erwarten war, Lucemon. Allerdings irrst du dich, wenn du denkst, ich hätte mich vor dir versteckt.“

Lucemon kniff die Augen zusammen. Ken fuhr herum und spähte an der Hauswand vorbei. Da war eine Gestalt, die auf dem Dach von Digitamamons Motel stand. Der Mond kam soeben hinter ihr zum Vorschein und ließ die Umrisse eines zackigen Mantels mit hohem Kragen erkennen. Außerdem flatterten noch unzählige kleine, verschwommene Schatten dort in der Luft. Ken war im ersten Moment vor allem erleichtert gewesen, dass er offenbar doch unbemerkt geblieben war, doch bei diesem Anblick schlug das Gefühl um. Es war, als berühre eine kalte Hand seine Seele.

„Ich kann jemanden wie dich meilenweit gegen den Wind riechen“, sagte Lucemon. „Bist du für die Schlacht auf den Feldern verantwortlich?“ Die Knightmon zogen ihre Schwerter, obwohl sie in ihren massigen Rüstungen nicht aussahen, als würden sie das Motel erklimmen können.

Ken glaubte das Lächeln des Schattens zu spüren. „Nicht doch. Ich bin einzig und allein hier, um dich zu kassieren, Engelchen.“

Lucemon senkte den Kopf und runzelte finster die Stirn. „Wie von dir zu erwarten war. Aber deine Rechnung geht nicht auf. Ich werde die Welt von dir säubern!“

„Tatsächlich?“ Der Mantel teilte sich und die Gestalt breitete die Hände aus. „Du weißt, was passiert, wenn wir gegeneinander kämpfen. Willst du die unschuldigen Digimon in diesem Dorf da mit reinziehen?“

Lucemon trat herausfordernd einen Schritt vor und hob die Arme. Die Federn seiner Flügel sträubten sich. „Von jemandem wie dir lasse ich mir nicht drohen“, stellte es klar.

Der Schatten klang verstimmt. „In Ordnung, dann lass uns beginnen. Erlaube mir, zuerst das Altmetall zu entsorgen. Albtraumkralle!“ In den Händen der Gestalt flackerte rotes Licht auf – und zwei blutrote Strahlen schossen auf die Knightmon zu und durchschlugen mit einem Knall ihre Brustpanzer. Wankend gingen die Ritterdigimon zu Boden und lösten sich in Daten auf. Lucemon zuckte nicht mit der Wimper.

Ken fühlte sich wie mit eisigem Wasser übergossen. Diese Attacke … die Silhouette des Digimons, die Fledermäuse, deren Flügelschläge die Luft erfüllten … Sein Mund formte stumm den Namen des Wesens. Myotismon …

Er fühlte sich wieder in jene Zeit zurückversetzt, als er als DigimonKaiser unsägliches Leid über die DigiWelt gebracht hatte. Damals war Myotismon der Auslöser von allem gewesen, hatte die Menschenwelt angegriffen, Oikawa umgebracht und beinahe die Herrschaft über beide Welten erlangt. Es hatte damals eine andere Form gewählt, aber Ken wusste aus den Erzählungen der anderen, wie seine Ultra-Form aussah, und er sah deutlich das Gesicht seines schlimmsten Feindes vor sich …

Er zwang sich, sich zusammenzureißen. Myotismon war tot, und das seit vielen Jahren. Auch die Stimme war nicht die des Digimons von damals. Offensichtlich hatte er es hier mit einem anderen Myotismon zu tun – was nichts daran änderte, dass es todgefährlich war.

„Einwohner des Pixel-Dorfes“, rief Lucemon mit klarer, lauter Stimme. „Hört meinen Rat: Flieht von hier, so schnell ihr könnt! Dieses Dorf wird zerstört werden!“

Die SnowAgumon und Icemon, die das Zwiegespräch verfolgt hatten, zögerten nur kurz, ehe sie tatsächlich ihr Heil in der Flucht suchten. Das Myotismon lachte nur. „Du versuchst, sie zu evakuieren? Ich will nur dich!“

Ken unterdrückte einen warnenden Ruf, als eine rot glühende Peitschte auf Lucemon zuschoss und das Engeldigimon keine Anstalten machte, auszuweichen. Die Albtraumkralle schlang sich um den zierlichen Körper und hob ihn hoch, bis Lucemon auf gleicher Höhe wie Myotismon in der Luft hing. Ein verirrter Lichtstrahl reflektierte Myotismons Grinsen, als es befahl: „So, meine Kleinen, Futterzeit!“

Kreischend und flügelschlagend stürzte sich die Fledermausarmee auf das hilflose Digimon, attackierten es mit Zähnen und Klauen und rissen ihm die Haut auf. Lucemon verzog immer noch keine Miene. Ken war unfähig, wegzusehen, als hunderte winzige Wunden den ehemals strahlenden Körper verunzierten und sich die weiße Toga langsam rot färbte. Digimon stürmten an Ken vorbei aus dem Dorf, ohne zurückzusehen. War er der einzige, dem das Schicksal dieses Digimons naheging? Dabei war es nicht einmal sein Freund …

In diesem Moment schlug Lucemon die Augen auf und sah, fast gelangweilt, in seine Richtung. „Worauf wartest du, Wizardmon? Verlasse dieses Dorf, oder stirb. Ich gebe dir eine Minute.“

Ken schluckte. Es hatte ihn gesehen … aber nicht erkannt? Er riss den Blick von dem zerschundenen Engel los und stolperte die Gasse entlang, bis er die Häuser hinter sich gelassen hatte und bis zu den Knien im Schnee einsank. Er erklomm den Hügel, bis er den Waldrand erreichte, dann erst sah er zurück. Er konnte im glühenden Licht der Albtraumkralle immer noch Myotismon sehen, der am Dach des höchsten Hauses stand, und Lucemon, das von seiner Kralle festgehalten wurde und von einem Schwarm blitzender Zähne und schlagender Flügel umkreist wurde. Er wünschte sich, er könnte etwas tun, um dem Digimon zu helfen … Aber ohne Wormmon …

Lucemon straffte mit einem Mal die Flügel und reckte den Kopf in die Höhe. Seine Augen veränderten sich und wurden furchteinflößend und starr. Etwas krachte und rumste, die Erde bebte. Mit angehaltenem Atem verfolgte Ken, wie sich hinter dem Dorf die Erde auftat. Schnee rieselte in die Tiefe.

Myotismon schien diese Attacke auch Furcht einzuflößen, denn es löste seine Albtraumkralle auf. Lucemon entfaltete seine Flügel und verscheuchte damit die Fledermäuse, die sich kreischend an den Rückzug machten. Es blieb in dieser Position und faltete die Hände. „Planetenkreuz!“ Etwas geschah zwischen den Händen des Digimons – und mit einem Mal schossen riesige, farbige Kugeln auf Myotismon zu, so rasend schnell, dass man sie nur als Schemen sah.

Ken zuckte zusammen. Ein grelles Licht flammte auf, als die Kugeln einschlugen. Häuser wurden zerfetzt, Holzteile flogen wie in einem unsichtbaren Sturm durcheinander. Gut die Hälfte der Hütten im Dorf brach unter diesem Angriff zusammen; Staub, Schnee und Rauch wirbelten auf und versperrten die Sicht.

Ehrfürchtig wich Ken einige Schritte zurück. Das scheinbar schwächliche Digimon war stärker, als es aussah …

Etwas Rotes blitzte durch die Staubwolken auf. Myotismons Albtraumkrallen attackierten wieder. Hatte die Attacke das Vampirdigimon verfehlt? Der Staubmantel wurde zerrissen, als Lucemon wie ein Habicht hindurchflog. Hinter ihm züngelten die roten Peitschen abermals, Myotismon war nicht zu sehen. Im Flug warf sich Lucemon herum und faltete erneut die Hände. „Planetenkreuz!

Der Rest des Dorfes explodierte in den Kugeln, die es diesmal schoss. Aber das Engeldigimon beließ es nicht dabei. Ein drittes und viertes Mal schoss es das Planetenkreuz auf das Pixel-Dorf, in dem kein Stein mehr auf dem anderen liegen konnte. Ein Schwarm aus Fledermäusen schoss aus der undurchdringlichen Wolke hervor und umkreiste Lucemon, das sich die bissigen kleinen Biester nur schwer vom Leib halten konnte. Dann zuckte eine Albtraumkralle aus dem Nebel, umklammerte Lucemons Taille und riss es in die Staubwolke. Ein paar Mal blitzte noch etwas rot oder schwarz auf, dann gab es eine neuerliche, erdbodenerschütternde Explosion, verkohlte Häuserreste segelten durch die Luft und gingen unweit von Kens Versteck nieder, dann rumpelte und krachte es, als ob etwas Großes zum wahrscheinlich dritten oder vierten Mal einstürzte, und dann herrschte Stille.
 

Es hatte zu schneien begonnen. Der Schnee bildete einen starken Kontrast zu der finsteren Nacht und die dicken Flocken ließen das verwüstete Dorf bald unter einer weichen Decke versinken.

Ken kletterte über die Trümmer und verkohlten Holzbalken, die gleich Stacheln aus dem Schnee ragten. Seine Pluderhosen waren schon nach wenigen Schritten zerrissen und auch die Haut darunter kam nicht heil davon.

Nachdem er gesehen hatte, wie ein riesiger Fledermausschwarm das ehemalige Dorf verlassen hatte, hatte er nicht länger gezögert und die Ruinen wieder betreten. Die gewaltige Staubwolke war immer noch so dicht, dass man nur wenige Schritte weit sehen konnte. Mehr und mehr schälten sich die Umrisse der Zerstörung aus dem Nebel und offenbarten erst, wie schrecklich das Dorf tatsächlich zugerichtet worden war. Er hatte sich wohl geirrt – es lag nicht nur kein Stein mehr auf dem anderen, es musste buchstäblich jeder Stein auch mindestens einmal auseinandergerissen worden sein.

Ken erreichte das Zentrum der Staubwolke, die sich langsam legte. Es schien, als kämpfte der fallende Schnee den Staub nieder. Ein einzelner, angekokelter Dachbalken ragte schräg aus einem Trümmerhaufen. Ken hielt die Luft an, als er Lucemon sah. Das zierliche Digimon war daran aufgespießt worden; die zerrissene, verkohlte Spitze des Balkens ragte aus seinem Brustkorb. Blut lief Lucemon aus den Mundwinkeln. Seine Augen waren matt, als es Ken im gleichen Moment bemerkte wie er das Digimon, und ihn schwach ansah. In seinem Gesicht spiegelte sich ein Ausdruck wider, den Ken nicht deuten konnte. War er flehentlich? Oder überrascht? Jetzt erst merkte Ken, dass er seinen Wizardmon-Hut verloren hatte. Er musste ihm irgendwo beim Klettern über die Trümmer abhanden gekommen sein.

Dann sah es für einen Moment so aus, als verzöge Lucemon spöttisch die Lippen. Es schloss die Augen und einen Herzschlag später löste es sich in einen glitzernden Datenwirbel auf.

Ken war, als höre er Myotismons Lachen in dem Augenblick, in dem das Digimon starb. Und dann ertönte tatsächlich seine Stimme über die Horizonte: „Und wieder ist ein Engel gefallen!“ Es folgte ein weiterer Lacher, als erfreue sich Myotismon an der Zweideutigkeit seiner Worte.
 

==================================
 

Ich möchte noch hinzufügen, ich weiß nicht, ob es wirklich der Ogusu-Berg war, wo sie einst ihr Sommercamp hatten, direkt erwähnt wurde es ja nicht, und ich hab mir einfach einen passenden Berg herausgesucht ;) Von dort zum Nagano-Krankenhaus braucht man wirklich recht lange. Tais Pläne sind eben doch nicht perfekt ...

Ob Lucemon so wirklich zu besiegen ist? Ich dachte mir, warum nicht. Dieses eine ist eben gerade so stark.

Das nächste Kapitel wird den Titel One Life tragen und ist bis jetzt mein persönliches Lieblingskapitel :D Also freut euch schon drauf ;)

Wo wir schon dabei sind, danke nochmal an meine treuen Kommischreiber :)

One Life

Nagano-Krankenhaus, Japan

Freitag, 4. August 2007

18:32 Uhr
 

Es war kurz nach halb sieben, als sie das Krankenhaus erreichten. Die Straßen in der Umgebung lagen ungewöhnlich ruhig da. Die Sonne war noch nicht untergegangen, sondern blinzelte als orangeroter Ball zwischen den Hochhäusern hervor.

Sie parkten auf dem Krankenhausparkplatz. Die DigiRitter, die sich in Tais Wagen zusammengequetscht hatte, empfanden es nun als Wohltat, sich ein wenig strecken zu können. Die anderen waren im Wohnwagen ordentlich durchgeschüttelt worden und zumindest Cody war ein wenig grün um die Nase, als er wankenden Schrittes ausstieg. Mimi packte Palmon sicherheitshalber in ihre Reisetasche, in die sie außerdem noch die Reste des Essens gestopft hatten; wie geplant unterwegs anzuhalten und Proviant zu kaufen, hatten sie nicht gewagt. Wenn Ansatsu Fumiko tatsächlich gefunden hatte, war es vermutlich ein Wunder, wenn sie noch lebte.

Hastigen Schrittes erklommen die DigiRitter die Treppe und durchquerten die automatische Drehtür. Auf dem Weg zu Fumikos Krankenzimmer fiel ihnen bereits auf, dass etwas seltsam war: Es war keine Menschenseele zu sehen. Die Gänge waren völlig leer, flankiert von geschlossenen Türen, die zu öffnen sie nicht wagten. Sie erreichten den entsprechenden Krankenhausflügel. Yolei warf einen Blick aus dem Fenster. Man konnte in den begrünten Innenhof sehen und hatte überdies eine gute Sicht auf den zweiten Teil des Krankenhausgebäudes, der gleich einem riesigen Turm neben diesem Flügel hier aufragte. Das Mädchen runzelte die Stirn.

„Was hast du?“, fragte Sora.

„Ich … ach nein, nichts“, murmelte Yolei. Sie gingen weiter, aber das Mädchen warf wiederholt beunruhigte Blicke aus dem Fenster. Hatte sie sich getäuscht? Lohnte es sich, den anderen Sorgen zu bereiten, indem sie ihre Befürchtungen aussprach?

Der Schwesternstützpunkt war verlassen – oder doch nicht? Durch das Sichtfenster konnte man deutlich den Blutfleck sehen, der die hintere Wand verunzierte.

Die DigiRitter sahen sich alarmiert an. Schließlich riss Tai die Tür zum Stützpunkt an.

„Mein Gott“, murmelte er, während die anderen über seine Schulter sahen. „Was … Was ist hier passiert?“ Seine Stimme klang etwas schrill.

Zwei Krankenschwestern lagen in dem kleinen Raum, halb unter einem Schreibtisch. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihre weißen Kittel blutgetränkt. Tai ging vor ihnen in die Hocke und berührte die eine an der Schulter. Keine Reaktion. Obwohl er wusste, dass er nichts fühlen würde, tastete er nach ihrem Puls. Ihre Haut war bereits eiskalt.

„Das ist …“, begann Matt, wurde aber plötzlich von Cody zur Seite gestoßen, der in den Schwesternstützpunkt stürzte.

„Pass auf, Tai!“

Tais Kopf ruckte herum. Er sah alles wie in Zeitlupe: Von der Decke, fast genau über ihm, löste sich etwas Rundes, Rötliches und flog genau auf ihn zu. Stahl blitzte auf. Er blickte für einen Moment in große, unnatürliche Augen – dann war Cody plötzlich da. Der jüngste DigiRitter schwang ein hölzernes Abstelltischchen in der Hand – die Blumenvase, die vorher darauf gestanden war, zerbrach erst jetzt am Boden, so schnell war er gewesen. Cody hob das Möbelstück wie einen Schild vor sich und Tai und keinen Sekundenbruchteil später prallte das rote Etwas dagegen. Cody wurde von den Füßen gerissen. Der Tisch entglitt seinen Fingern und polterte davon; ein blitzendes Samuraischwert steckte tief im Holz. Eine gedrungene Gestalt rollte sich über den Boden und sprang auf.

Tai prallte zurück und starrte das Digimon aus großen Augen an. Ein Ninjamon … und es hätte ihm fast den Kopf abgeschlagen! Das maskierte Digimon, das fast wie eine Kugel mit Beinen und Armen aussah, zog soeben ein zweites Schwert. Es hatte einen Stofffetzen um den Mund gebunden, der mehr wie ein Knebel als wie ein Mundtuch aussah.

Cody atmete tief aus und ein, ging zu dem ramponierten Tisch und riss mit einer kraftvollen Bewegung das Katana aus dem Holz. „Hast du die Frauen ermordet?“, zischte er Ninjamon entgegen.

Das Digimon antwortete nicht, sondern hob nur angriffslustig sein Schwert und wippte auf den Sohlen.

Cody schluckte. Ein Schweißtropfen lief an seinem Hals hinab, als er sagte: „Tai, überlasst es mir. Ihr geht und seht nach, ob Fumiko in Ordnung ist.“

Tai starrte ihn aus großen Augen an. „Ist das dein Ernst? Das ist ein Digimon!“

„Ich weiß.“ Cody zog unglücklich die Mundwinkel hoch. „Aber meine jahrelange Kendo-Ausbildung sollte auch nicht umsonst gewesen sein.“

„Mach dich nicht lächerlich! Lass mich das machen!“ Palmon quetschte seinen Blütenkopf aus Mimis Tasche.

„Es ist doch gar nicht sicher, ob nicht irgendwo noch ein Digimon lauert!“, redete Tai auf ihn ein.

„Wenn, dann seid ihr mir nur im Weg“, gab Cody zurück und ließ Ninjamon nicht aus den Augen, das abwartete. „Ihr habt keine Waffen. Und dieses Biest hier ist schnell“, erinnerte er.

„Yolei hat eine Pistole!“, rief Sora und wandte sich um. Hinter ihr stand niemand. „Aber … wo ist sie hin?“

„Was?“ Tai wirbelte zu ihr herum. „Yolei ist nicht mehr da?“

Matt blickte auf den Gang hinaus. Er war so menschenleer wie vorher. Seine Lippen formten einen stillen Fluch.

„Vielleicht ist sie schon vorgegangen?“, überlegte Sora.

Izzy schüttelte den Kopf. „Sie war noch nie hier.“

„Beeilt euch jetzt“, sagte Cody. „Ich regle das und komme nach, keine Sorge.“

„Dann helfe ich dir!“, rief Palmon.

„Das geht nicht“, knurrte Cody mit zusammengebissenen Zähnen. „Es wird deine Ranken höchstens zerschneiden, und wenn du hier digitierst, zerstörst du den halben Trakt. Außerdem, was ist, wenn Ansatsu bei Fumiko ist?“

Tai wusste nicht, ob er ihn bewundern oder für verrückt halten sollte. Aber sie durften wirklich keine Zeit mehr verlieren … „Okay, wir machen es so: Wir laufen zu Fumikos Zimmer und sehen dort nach dem Rechten. Vielleicht kann sie uns ein DigiTor öffnen, durch das wir Verstärkung kriegen. Sobald wir wissen, dass es ihr gut geht, gehe ich Yolei suchen. Cody, mach nichts Unüberlegtes. Bei der ersten Gelegenheit läufst du davon und versuchst es abzuschütteln. Sonst halte das Ninjamon am besten so lange hin, bis wir dich holen kommen.“ Er überlegte kurz. „Wenn schon alles verloren ist, dann fliehen wir. Ohne Fumiko kommen wir hier nicht weiter.“

Cody nickte und lauschte, während sich die Schritte der anderen entfernten. Das Ninjamon hatte die Augen weit aufgerissen und trat langsam auf ihn zu. Er hob sein Schwert – und die beiden Kontrahenten stürmten aufeinander los.
 

Sie rannten so schnell den Gang entlang, dass ihnen Tränen in die Augen stiegen. „Hoffentlich kommen wir nicht zu spät, hoffentlich kommen wir nicht zu spät …“, sagte sich Tai wie ein Sutra immer wieder vor, bis er Seitenstechen bekam. Es war ihm egal.

Sie erreichten die Tür zu Fumikos Zimmer und rissen sie auf. Blut war das erste, was sie sahen.
 

Metallisches Klirren. Funkensprühen. Die Schwerter kreuzten sich kurz, dann machte das Ninjamon einen Satz zurück und stieß sogleich wieder vor. Cody wurde ächzend in die Defensive gedrängt. Er konnte nichts tun, außer die Schläge abzuwehren, die rasend schnell auf ihn einprasselten. Von links, von rechts, in einer Spirale von oben – Ninjamon war weit geübter als er. Und dann legte es noch einen Zahn zu – das Katana zog eine rote Linie über Codys Oberschenkel.

Der Junge schrie auf und biss gleich darauf die Zähne zusammen. Das war kein Spiel … Er kämpfte mit einem Schwert gegen ein Digimon, das ihn töten wollte … Warum hatte er sich nur auf so was Hirnrissiges eingelassen?

Er prallte mit dem Rücken gegen die Wand. Ninjamon sprang ihn regelrecht an. Cody riss fahrig das Schwert hoch. Die Klingen kreuzten sich so knapp vor seinem Gesicht, dass Cody sein Gesicht verzerrt im Schliff der gegnerischen Waffe spiegeln sehen konnte. Dann stieß er einen seiner Kendo-Schreie aus und drückte Ninjamon von sich. Das kugelförmige Digimon war relativ leicht, und er konnte es einige Meter zurückstoßen, wo es in der Luft einen Salto schlug und wieder auf den kurzen Beinen landete. Nun ging Cody in die Offensive und legte all sein Körpergewicht in seinen Schwung. An Muskelkraft war er dem Digimon überlegen; wenn er es schaffte, es seinerseits gegen die Wand zu drängen …
 

„Fumiko!“, rief Izzy.

Das schwarzhaarige Mädchen zuckte zusammen und sah mit glasigen Augen zu ihnen hinüber. Das EKG, an das sie angeschlossen war, piepste rasend schnell.

In ihrem Zimmer lagen ein Arzt und zwei Schwestern, wohl die Visite, in Blutlachen. Sie waren von scharfen Schwertern niedergestreckt worden.

Die DigiRitter stürzten auf das Krankenbett zu. Izzy drückte Fumikos Hand. „Bist du in Ordnung?“

„Wo wart ihr so lange?“, fragte Fumiko mit fistelnd hoher Stimme. Sie schien nicht ganz bei sich zu sein. Ihr Gesicht glänzte vor Schweißperlen und sie hatte tiefe, dunkle Ringe unter den Augen. Ihr Körper wirkte noch ausgezehrter als beim letzten Mal. „Geht … es ist eine Falle … es sind zwei Ninjamon im Krankenhaus …“

„Keine Sorge“, sagte Izzy beruhigend. „Cody kümmerte sich um …“ Er erstarrte. „Moment, hast du gesagt, zwei?“
 

Cody triumphierte. Nur noch ein Meter trennte das Ninjamon von der Wand. Es war lange her, dass Cody ein Ninjamon gesehen hatte, und er wusste nicht mehr genau, welche Attacken diese Digimon beherrschten – er hoffte, die Sache zu Ende bringen zu können, ehe es eine davon gegen ihn einsetzte.

Da hörte er ein dumpfes Geräusch in der Ecke. Sein Blick flackerte dorthin. Ein zweites Ninjamon hatte sich aus einem offenen Lüftungsschacht auf den Boden fallen lassen. Es trug ebenfalls ein Katana und auch sein Mund war zugeklebt. Cody fluchte.

Das erste Ninjamon nutzte seine Ablenkung und brachte ihm einen brennenden Schnitt an der Schulter bei. Cody schrie auf und wehrte es ab, als das zweite Digimon ebenso ungestüm auf ihn eindrang.
 

„Wir müssen ihm sofort helfen!“, rief Tai.

„Wir wissen gar nicht, wo das andere Ninjamon ist“, beruhigte ihn Matt und sah sich suchend um.

Tai wurde bleich. „Du meinst … es ist vielleicht hier?“ Er zuckte zusammen, als ihm etwas einfiel, und wandte sich mit geweiteten Augen an Fumiko. „Warum … warum lebst du überhaupt nocht?“

„Tai, das ist …“, begann Izzy ärgerlich, wurde aber von Matt unterbrochen.

„Verdammt, das muss einfach eine Falle sein!“

Sora blickte eher zufällig aus dem Fenster und sah, wie auf der Dachkante des zweiten Krankenhausturms etwas im Abendlicht aufblitzte, und zwischen ihren Synapsen zuckte ein plötzlicher Gedanke. „In Deckung!“, schrie sie und warf sich zu Boden.

Die anderen brauchten einen Moment, um zu reagieren – und mit einem lauten Klirren zersplitterte die Fensterscheibe des Krankenzimmers. Matt spürte etwas schneidend nahe an seinem Gesicht vorbeifegen. Seine Haare flatterten. Mimi kreischte.

Weitere Schüsse folgten. Der Tropf, an den Fumiko angeschlossen war, wurde zerfetzt. Scherben und klare Flüssigkeit regneten auf das Mädchen herab.

Die DigiRitter warfen sich auf den Boden. Tai reagierte blitzschnell, packte Fumiko und riss sie vom Krankenbett, wo sie ein leichtes Ziel bot. Das Mädchen schrie auf, als die Tropfnadel aus ihrer Haut gerissen wurde und blutig auf dem Bett landete. Die EKG-Elektroden lösten sich schnalzend von ihrer Brust und ihr Krankenhaushemd verrutschte. Tai beugte sich schützend über sie.
 

Mit ruhigen Fingern öffnete Miyuki das Magazin ihres Scharfschützengewehrs. Sie hatte schon mal besser getroffen, aber das war kein Problem. Sie musste gegen die Sonne zielen, also war es nicht so einfach. Sie lag auf dem Dach des zweiten Krankenhausflügels und hatte das Zimmer des letzten DigiRitters genau im Visier. Im Stillen verwünschte sie Kentarous Schnapsidee. Das Mädchen erst direkt vor den Augen der anderen DigiRitter zu töten, um ihnen die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage vorzuführen, verursachte nur ungeplante Risiken. Aber das machte letzten Endes auch nichts. Das nächste Mal würde sie sie treffen – alle, nacheinander, egal, wie gut sie sich versteckten; nichts in dem Zimmer bot ihnen dauerhafte Deckung. Klackend schnappten die neuen Patronen in ihrer Waffe ein.

Plötzlich spürte sie die Mündung einer Pistole in ihrem Rücken.

„Wusste ich’s doch, dass ich hier oben was gesehen habe“, sagte eine weibliche Stimme. „Tja, Falle gekontert mit Gegenfalle, würde ich sagen.“

Miyuki drehte den Kopf. Hinter ihr stand eine junge Frau mit fliederfarbenem Haar, das ihr ungeordnet über die Schultern floss. Ihre Brillengläser leuchteten golden im Licht der Abendsonne. Sie machte einen Schritt rückwärts, sodass Miyuki genau in den Pistolenlauf sehen konnte. „Leg das Gewehr weg und steh auf“, befahl das Mädchen. „Und dann sag mir, wer du bist und was hier eigentlich gespielt wird!“
 

Cody prallte keuchend gegen die Kante des Schreibtischs. Die Schwerter der Ninjamon hatten ihm mehrere Schnitte zugebracht, von denen gottlob keiner so tief war, dass er aufgeben musste – aber auch das konnte nicht mehr lange dauern. Die Digimon ließen nicht locker, sondern droschen gnadenlos auf ihn ein. Cody parierte einen Hieb und drehte sich zur Seite. Das Katana des zweiten Ninjamons schlug ein tiefes Cut in die Tischkante.

Das andere Schwert sirrte unheilverkündend durch die Luft. Mitten in seinem Ausfallschritt sah Cody es auf seine Augen zufliegen – als er schwer über den Körper einer Krankenschwester stolperte. Haarscharf glitt die Klinge über seinen Kopf hinweg. Der Junge prallte auf dem Boden auf, rollte sich ab und sprang wieder auf die Beine.

Die Ninjamon kamen in einer langsamen Zangenbewegung auf ihn zu. Cody war schweißgebadet. Er würde es nicht schaffen. Es war ganz und gar unmöglich, noch länger durchzuhalten. Er mahlte mit den Zähnen und dachte fieberhaft darüber nach, wie er überleben konnte. Armadillomon, rette mich …

Er packte das Schwert und stürmte, einen Kampfschrei brüllend, auf seine Feinde zu. Er musste es diesmal alleine schaffen!
 

Die DigiRitter lagen am Boden und wagten es nicht zu atmen. Doch es fielen keine weiteren Schüsse. Das EKG zeigte eine Asystolie an und ein durchgehender Ton ertönte, als die Elektroden leer vom Bett baumelten. Fumiko hustete.

Tai richtete sich vorsichtig auf und sah das blasse Mädchen erschrocken an. Unter ihrem Handgelenk, wo die Nadel aus ihrer Vene gerissen worden war, hatte sich eine kleine Blutlache gebildet. Er sah sich nach einer Möglichkeit um, die Blutung zu stillen – hier in einem Krankenzimmer musste es doch irgendwas geben – riss dann einfach einen Streifen aus seinem T-Shirt und band ihn ihr fest um die Wunde. Sie biss die Zähne aufeinander.

„Alles in Ordnung?“ Izzy kam zu ihnen gekrochen. Er war kreidebleich.

Fumiko nickte abwesend.

„Wir haben nicht viel Zeit“, ließ Matt vernehmen. Er hatte die Schranktür geöffnet und war dahinter in Deckung gegangen und lugte nun wachsam zum Fenster. „Kannst du für uns das DigiTor öffnen?“

„Was?“, rief Mimi aus. „Aber … Yolei und Cody sind noch nicht hier!“

„Wir können nicht länger warten“, stimmte Tai Matt zerknirscht zu. „Fumiko, kannst du das Tor aufmachen?“ Izzy klappte seinen Laptop auf.

Das Mädchen nickte erneut, tat aber nichts.

„Fumiko!“ Tai packte sie an den Schultern. Erst das rüttelte sie wach. Sie hustete erneut.

„Es ist das Gift“, murmelte Izzy besorgt.

„Es geht schon …“ Fumikos Stimme war nur ein Flüstern. Sie hatte wohl nicht einmal mehr die Kraft sich aufzurichten. Schwer atmend, die Augen halb geschlossen, lag sie gegen die Wand gelehnt da, während sie auf die Schublade ihres Nachtkästchens deutete. Tai sprang auf, riss die Lade auf, fand Fumikos DigiVice darin und händigte es ihr aus. Wer immer diese Falle gestellt hatte, musste sehr zuversichtlich gewesen sein, sie damit erledigen zu können – und nicht nur das. Er wollte ihnen offensichtlich auch die Aussichtslosigkeit ihrer Lage vor Augen führen, anders konnte er sich nicht erklären, warum er Fumiko nicht längst getötet oder zumindest ihr DigiVice zerstört hatte.

Der letzte neue DigiRitter richtete das seltsame kleine Gerät auf Izzys Bildschirm, der daraufhin aufleuchtete.

Auf der anderen Seite des Bettes klappte die Wirklichkeit auseinander. Die Luft flimmerte, kleine, rechteckige Plättchen schälten sich von der Realität ab und offenbarten Stück für Stück etwas anderes … Innerhalb einer Sekunde hatte es sich materialisiert.

„Ansatsu!“, keuchte Sora und schlug die Hand vor den Mund.

„Ich wusste doch, dass ich derjenige sein werde, der es zu Ende bringt“, murmelte der schwarzgekleidete Assassine kühl. An seiner Hand steckten drei unheilverkündende Krallen.
 

Yolei musterte die Frau genau, die gehorsam vor ihr aufstand und die Arme im Nacken verschränkte. Sie war höchstens so alt wie sie selbst, allerhöchstens ein Jahr älter. Blonde Locken wallten ihren Rücken hinab. Sie steckte in einem schwarz glänzenden Lederkostüm. Das Gewehr, das neben ihr lag, war über einen Meter lang und hatte einen Schalldämpfer, soweit sie erkennen konnte.

„Also“, wiederholte Yolei. „Wer bist du? Was hast du vor?“ Innerlich schalt sie sich, obwohl bislang alles gut gegangen war. Wieder einmal hatte sie viel zu vorschnell gehandelt – die Bewegung, die sie auf dem Dach gesehen hatte, und die fast schmerzhaft brennende Spannung, die sie ergriffen hatte, seit sie das Krankenhaus betreten hatten, hatten sie einfach davonstürmen lassen, als die anderen die toten Schwestern entdeckt hatten. Weder hatte sie sich Zeit für Erklärungen gelassen, noch hatte sie erwartet, jemanden mit einer solchen Waffe hier vorzufinden … Was wäre wohl gewesen, wenn sie plötzlich direkt in den Lauf des Gewehres geblickt hätte, als sie aus dem Treppenhaus trat? „Also? Jetzt red schon endlich!“

Die Frau lächelte überheblich. „Deine Stimme zittert ja.“ Sie trat einen Schritt vor – Yolei musste sich zwingen, nicht instinktiv zurückzuweichen –, bis der Lauf der Pistole gegen ihr Schlüsselbein drückte. „Und deine Hand zittert auch. Hast du schon einmal einen Menschen umgebracht?“

Yolei biss die Zähne zusammen und schluckte trocken. Sie trat nun doch zurück. Die Frau warf mit einer anmutigen Bewegung ihre Lockenpracht zurück und musterte sie abschätzig mit schief gehaltenem Kopf. „Ich hingegen hab schon so einige umgelegt.“ So schnell, dass Yolei es gar nicht sah, schnellte ihr Bein hoch und kickte ihr die Pistole aus den schweißnassen Händen. Mit einem einzigen Schritt war die Frau wieder bei ihr und packte sie mit beiden Händen an der Kehle. „Es ist eben gewöhnungsbedürftig, gegen Menschen zu kämpfen, anstatt sich an Digimon auszutoben, oder?“

„Du … du weißt …“, keuchte Yolei, konnte aber nicht weitersprechen, als die Frau zudrückte.
 

Codys Schwert wirbelte durch die Luft. Die Ninjamon machten gar keine Anstalten, auszuweichen. Ein Katana streifte sein Schienbein, das andere zischte knapp neben seiner Hüfte ins Leere. Er fing einen weiteren Hieb ab, und als er das zweite Ninjamon erneut ausholen sah, fackelte er nicht lange, sondern wirbelte herum und pfefferte ihm den Fuß gegen den kugelförmigen Leib. Das Digimon wurde von dem Tritt regelrecht fortgeweht, überschlug sich in der Luft ein paarmal und knallte gegen die Wand.

Geistesgegenwärtig parierte Cody einen weiteren Schlag des anderen Gegners und versuchte eine Riposte – die allerdings misslang. Statt das Ninjamon zu treffen, schnitt die Klinge kurz über dessen Kopf sirrend durch die Luft.

Das Ninjamon machte einen Satz rückwärts, riss sich den Knebel aus dem Mund und rief: „Halte ein, Mensch! Ich bin nicht dein Feind!“

Cody war von dieser unglaubwürdigen Behauptung so überrascht, dass er kurz stehen blieb. Das zweite Ninjamon sah seine Chance und sprang ihn von der Seite an. Cody sah es erst, als es zu spät war, noch das Schwert hochzureißen.

Blitzwurfstern!“ Etwas schoss an Cody vorbei und traf das Ninjamon an der Schulter. Die Wucht des Wurfsterns riss es herum und sein Schwert verfehlte Cody um Haaresbreite.

Cody sah überrascht zu dem anderen Ninjamon hin, das nun keinen Knebel mehr trug. Hatte das Digimon ihn gerade gerettet?

Als das zweite Ninjamon sich sogleich wieder Cody zuwandte, sprang das erste zwischen sie und drang mit dem Schwert auf seinen Zwilling ein. „Lauf!“, schrie es Cody zu. „Nimm deine Freunde und verlass diesen Ort!“

Cody zögerte. Er hatte keine Ahnung, was hier eigentlich los war.

„Ich halte es auf!“, keuchte Ninjamon und drängte das andere Digimon so gut es ging zurück. „Geh! Sollten wir uns wiedersehen, werde ich es dir erklären!“

Einen wertvollen Augenblick verschwendete Cody noch daran, die Digimon, die ihn beide eben noch hatten töten wollen, gegeneinander kämpfen zu sehen. Dann wirbelte er auf dem Absatz herum und stürmte, das Schwert noch in der Hand, aus dem Schwesternstützpunkt.
 

Unheilverkündend wie ein schwarzer Schatten ragte Ansatsu über den am Boden kauernden DigiRittern auf. Seine Kapuze hatte er diesmal nicht auf und krauses, schwarzes Haar war sichtbar. Fumiko starrte ihn aus glasigen Augen an. „Du …“, hauchte sie. „Das ist Parallelmons …“

Giftiger Efeu!“ Palmon war aus Mimis Tasche geschlüpft. Grüne Ranken peitschten Ansatsu entgegen, der sie mit seiner Raubtierkralle spielerisch zerhackte. Er sprang auf das Krankenhausbett, das unter seinem Gewicht ächzte, stieß sich ab, landete direkt vor Palmon und beförderte es mit einem Fußtritt in die Ecke.

„Palmon!“, kreischte Mimi. Ansatsu stürmte mit wehendem Mantel auf Fumiko zu.

„Nein!“ Izzy warf sich ihm in den Weg.

Die schwarze Kralle blitzte im Licht auf. Schreiend fiel Izzy zu Boden, wälzte sich herum und presste sich die Hände vors Gesicht. Matt ließ alle Vorsicht fahren und lief knurrend heran – Ansatsu tat einen Schritt rückwärts und riss einen Arm hoch. Von diesem Manöver überrascht, konnte Matt nicht rechtzeitig stehen bleiben und bekam einen Ellbogen ins Gesicht geschmettert.

Nun trennte ihn nur noch Tai von Fumiko. Der DigiRitter stand auf und breitete die Arme aus. „Nur über meine Leiche“, zischte er. Ansatsu wollte das Mädchen töten, um das Tor zu schließen – er wusste nicht, ob die Verbindung zur DigiWelt in so einem Fall wirklich abbrechen würde, aber sie konnten es sich nicht leisten, das herauszufinden.

Der Assassine zeigte sich unbeeindruckt. Er hob drohend den Krallenarm. „Ist mir auch recht“, sagte er und seine eisblauen Augen blitzten auf.

Ein vertrautes Geräusch erklang. Das Licht, das Izzys Laptop verstrahlte, wurde schlagartig heller und etwas platzte durch den Bildschirm. Noch ehe jemand das gelbe Etwas erkennen konnte, flog es direkt auf Ansatsu zu und krallte sich in seinen Nacken. Der Assassine bäumte sich auf und versuchte, den kleinen Dinosaurier abzuschütteln, der sich mit Klauen und Zähnen festhielt.

„Agumon!“, stieß Tai hervor. Sein Freund war von sich aus durch das Tor in die Menschenwelt gekommen?

Agumon löste seinen Biss. Feuer loderte in seinem Rachen auf. „Kleine Flamme!“ Ansatsus Kapuzenmantel und sein Haaransatz wurden versengt. Der Assassine keuchte auf, wirbelte herum und ließ sich rückwärts gegen die Wand prallen. Der Schlag löste Agumon von seinem Nacken. Ansatsu sprang auf das Bett und musterte die Lage.

„Agumon, bist du …“, begann Tai, doch sein Digimonpartner unterbrach ihn.

„Ich habe deinen Mut gespürt, Tai“, sagte es, als ob das alles erklären würde.

„Meinen … Aber …“

Agumon wurde von grellem Licht eingehüllt. Vor den Augen der Versammelten begann es zu wachsen. Stählerne Panzerplatten legten sich um seine Arme und Beine und fuhren Krallen aus. Ein Helm bildete sich um seinen Kopf und ein Schild mit dem Wappen des Mutes darauf erschien auf seinem Rücken und spaltete sich in zwei flügelähnliche Teile.

Tai hielt den Atem an. Agumon war zu WarGreymon digitiert! Jetzt hatte Ansatsu keine Chance mehr.
 

Yolei zappelte, schlug und kratzte und trat um sich, aber die Frau ließ nicht los. Sie war um einiges kräftiger, als es den Anschein hatte. Schon wurden Yoleis Bewegungen langsamer und Nebel breitete sich in ihrem Kopf aus. „Du bist wirklich verrückt, mir ganz allein die Stirn zu bieten. Gegenfalle, hast du gesagt? Glaubtest du, aus der Jägerin eine Gejagte machen zu können?“ Die Frau lachte. „Keine Sorge“, sagte sie zuckersüß. „Du wirst deine Freunde im Jenseits wiedersehen.“
 

Cody sah die Tür zu Fumikos Zimmer offen stehen und stürmte mit dem Schwert in der Hand hinein. Was er sah, konnte er kaum glauben. Ein schwarzgekleideter Fremder stand breitbeinig auf Fumikos Bett. Seine Freunde und Fumiko standen oder hockten am Boden, Izzy stand gerade wieder auf. Drei blutige Linien zogen sich quer über sein Gesicht, aber die Wunden schienen nur oberflächlich zu sein. Und das Digimon, das der Kerl fixierte, war …

„WarGreymon?“, rief Cody ungläubig.

Sora erblickte ihn. „Cody! Da bist du ja!“

„Sagt mir, dass ich träume!“

„Die Kraft zum Schutz der DigiWelt hat sich dank der letzten DigiRitter erneuert. Die Kraft eurer Wappen wurde freigegeben und steht euch wieder zur Verfügung.“ WarGreymon funkelte Ansatsu an. Seine Stimme hallte vielstimmig von den Wänden des Raumes wider. „Dein Treiben hat jetzt ein Ende“, verkündete es und hob kampfeslustig die krallenbewehrten Arme.

„Das sehe ich anders“, erwiderte Ansatsu. Mimi blieb der Mund offen stehen. Konnte diesen unheimlichen Typen denn nichts aus der Ruhe bringen? Vielleicht hatte er einfach noch nie ein Mega-Digimon gesehen …

WarGreymon stürzte sich auf ihn. Ansatsu riss die Arme hoch. WarGreymons gepanzerter Arm prallte klirrend gegen seinen Krallenhandschuh, aber WarGreymon blieb nicht stehen. Mitsamt seinem Feind schoss es aus dem zersplitterten Fenster. Die beiden krachten wie ineinander verkrallt einen Stock tiefer in eine gläserne Balkontür des gegenüberliegenden Krankenhausturms. WarGreymon stieß sich ab und war mit einem einzigen Satz wieder bei den DigiRittern.

Ansatsu rappelte sich auf – aber er floh nicht, wie man es erwartet hätte, sondern trat nur mit einem entschlossenen Ruck auf den kleinen Balkon hinaus.

„Schnell jetzt! Durch das Tor!“, kommandierte Matt. Er nahm Sora beim Arm und zerrte sie hinter sich her zu Izzys Laptop.

„Er hat etwas vor“, ließ WarGreymon hören und hob die Arme.

„Was machst du da?“, rief Tai erschrocken. Seine Augen weiteten sich. „Er ist ein Mensch!“

„Aber er wird Fumiko töten“, rief Cody.

„Ich … sterbe sowieso …“, hauchte das Mädchen. Sie konnte kaum noch die Augen offen halten und war weiß wie die Wand. Durch den provisorischen Verband sickerte Blut, und auch ihre alte Wunde durfte wieder aufgerissen sein, da sich die Bandagen um ihre Hüften rot gefärbt hatten.

WarGreymon führte die Arme zusammen. „Er ist nicht besser als Myotismon oder Devimon!“, legte es fest. Eine orangefarbene glühende Kugel wurde zwischen seinen Krallen sichtbar.

„Du wirst doch nicht … Das ist ein Kranken…“, begann Tai, aber er wurde von WarGreymons schallender Stimme unterbrochen.

Planetenkraft!

Die Kugel war nicht größer als ein Fußball, als WarGreymon sie auf Ansatsu schleuderte, aber für einen Menschen mochte allein das tödlich sein.

Der Assassine machte keine Anstalten, auszuweichen. Er hatte seine Handflächen ebenfalls aneinander angenähert. An seinem Gürtel leuchtete etwas grünlich auf, und zwischen seinen Händen tat sich etwas, das man kaum erkennen konnte, während die orangefarbene Kugel unerbittlich und wie in Zeitlupe auf ihn zuflog. Dafür hörte man Ansatsus Stimme umso deutlicher, keine halbe Sekunde nach WarGreymons Ruf.

Schwarze Planetenkraft!

Eine rotschwarze Kugel verließ seine Hände und knapp vor ihm trafen die beiden Attacken aufeinander. Zuerst schienen sie sich gegenseitig aufzusaugen – dann explodierten sie in einem Chaos aus Rot, Schwarz und Orange. Rote Lichtwellen breiteten sich nach oben und unten aus und klaffende Rissen zogen sich durch die Front des Turms.
 

Die Erschütterung riss Yolei und die Frau beide von den Füßen. Das Mädchen rang keuchend nach Luft, als ihre Kehle endlich wieder frei war. Ihr Hals schmerzte. Was war das für eine Explosion gewesen? Sie hatte dunkelrotes Licht gesehen …

Ihr Blick fiel auf die Frau, die neben ihr lag. Sie versuchte sich aufzusetzen. Yolei lief los. Der Boden unter ihren Füßen schwankte wie das Deck eines Schiffes, aber sie erreichte das Präzisionsgewehr, ohne zu stolpern.

„Was versuchst du da? Du wirst sowieso nicht abdrücken!“, rief ihr die Frau hinterher und rannte ebenfalls darauf zu. Yolei schnappte sich die Waffe – und schwang sie ihrer Kontrahentin wie eine Keule gegen die Schläfe. Mit einem hörbaren „Uff!“ sackte die Schützin in sich zusammen.

„Nein“, sagte Yolei triumphierend und klaubte ihre eigene Waffe auf, die ganz in der Nähe lag. „Aber sie ist ja vielseitig.“

Sie trat an die Kante des Daches, um zu sehen, was dort unten geschehen war. Eine Bombe oder etwas Ähnliches schien einen Teil der Wand dort unten beschädigt zu haben, es sah aus, als hätte jemand einem gewaltigen Ring in die Mauer gestampft. Nach außen war sie von Rissen durchzogen, während ein kleiner Fleck um einen Balkon herum unversehrt geblieben war. Auf der anderen Seite, ein paar Stockwerke unter sich, sah sie zu ihrem Erstaunen ihre Freunde. „Hallo! Hey!“, rief sie und winkte ihnen.
 

„Da oben ist Yolei!“, rief Mimi und winkte zurück. „Heeey, Yolei!“

„Meint ihr, er hat überlebt?“, fragte Matt und trat neben Tai und WarGreymon. Die beiden sagten kein Wort. Ansatsu war verschwunden, aber sein Gegenangriff hatte eine Bresche in WarGreymons Attacke geschlagen, weswegen der Balkon verschont geblieben war. Wenn man es genau nahm, hatte Ansatsu damit vielleicht sogar das Leben einiger Kranker gerettet, da zwar die Wand, aber kaum die Räume dahinter beschädigt waren.

„Keine Sorge“, sagte Izzy, der Matts Gedanken gelesen zu haben schien. „Soweit ich weiß, sind in dem Turm dort nur die Ambulanzen, und die sind zu der Uhrzeit schon geschlossen.“

„Hab ich richtig gesehen?“, murmelte Tai verdattert. „Hat er gerade … Kann er …“

„Sieht so aus“, sagte Matt knapp. „Beeilen wir uns jetzt, wir haben keine Zeit mehr!“ Er deutete auf Fumiko. Sie sah entsetzlich aus. Ihr Atem ging flach und sie war schweißgebadet. Das Gift forderte langsam seinen Tribut. Es war klar, dass sie nicht mehr lange durchhalten würde.

Nacheinander hielten die DigiRitter ihre DigiVices an den Bildschirm und wurden von dem Licht verzehrt. Tai und WarGreymon warfen sich einen Blick zu, ehe sie ebenfalls durch das Tor gingen. Izzy war der letzte. Er blickte noch einmal zu Fumiko. Es schmerzte ihn, dass er sie nicht retten konnte, mehr noch als die feurigen Linien, die in seinem Gesicht glühten. Er ging zu ihr, kniete sich vor sie hin und sah ihr ernst in die Augen. „Es tut mir leid“, sagte er leise. „Ich wünschte, ich könnte dir irgendwie helfen.“ Er streckte die Hand aus und strich ihr zärtlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Tretet …“, formten ihre Lippen fast tonlos, „Tretet Taneo dafür in den Arsch … Vielleicht schafft ihr es, die DigiWelt zu retten …“ Ihre Stimme brach ab.

Izzy beugte sich vor und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. „Leb wohl. Ich danke dir für alles, was du für uns getan hast. Und für die DigiWelt.“

Dann drehte er sich um und sah Yolei auf dem Dach des Nachbargebäudes aufgeregt gestikulieren. „Hey! Geht nicht ohne mich!“, schrie sie, dass er es bis hierher hörte.

Er überlegte, nahm kurzerhand den Laptop in die eine und sein DigiVice in die andere Hand und trat zum zertrümmerten Fenster. Ansatsu konnte er immer noch nirgends entdecken, als er die gegenüberliegende, demolierte Häuserfront beobachtete. Allerdings wurde auch das Licht immer schlechter, die Sonne war bereits über den Horizont gesunken. Ein flaues Angstgefühl machte sich ihn ihm breit. Nein, er würde es tun! Er würde Fumiko in ihren letzten Minuten beweisen, wie furchtlos er sein konnte! „Yolei!“, schrie er zu seiner Freundin empor. „Spring!“
 

„Was?“, rief Yolei und sah entsetzt, wie er aus dem Fenster sprang, den Laptop von sich gestreckt. Sie wusste sofort, was Izzy plante, aber verfluchte ihn innerlich als einen leichtsinnigen Trottel. Hinter sich hörte sie die Heckenschützin, die sich stöhnend regte. Hätte es sie sonst alle Überwindung gekostet, so verlieh ihr das Geräusch – zusammen mit der geballten Macht des Adrenalins, das immer noch durch ihre Adern rauschte – Flügel. Kaum eine halbe Sekunde nach Izzy sprang auch sie.
 

Es drehte ihm schier den Magen um. Er wusste nicht mehr, wo oben und unten war, hatte nur den Laptopbildschirm fixiert und richtete sein DigiVice darauf. Der Sturz riss das Geräusch, kurz bevor er in das Tor gesogen wurde, von seinen Ohren fort.
 

Als sein Gewicht aus dieser Welt verschwunden war, ließen die Gesetze der Physik den leichten Laptop viel langsamer fallen als Yolei. Dennoch erreichte sie ihn, laut schreiend und mit von sich gestrecktem DigiVice, erst kurz vor dem Boden. Sie schloss die Augen und dachte schon, das wäre es gewesen, als sie spürte, wie das Licht sie ergriff und in die andere Welt schleuderte.

Der Laptop zerschellte am Boden in seine Einzelteile und das Licht verschwand.
 

Fumiko fühlte sich so leicht wie schon lange nicht mehr. Sie starrte die Decke an, die immer wieder vor ihren Augen verschwamm. „Ich habe es geschafft, Parallelmon“, flüsterte sie. „Ich habe doch noch was für die DigiWelt tun können.“ Sie meinte, in dem Spiel aus Licht und Schatten vor ihren Augen ihren Digimonpartner sehen zu können. „Das habe ich gut gemacht, nicht wahr, Parallelmon?“

Dann schloss sie die Augen und atmete entspannt aus.
 

==========================
 

Ein ziemlich langes Kapitel diesmal, aber ich wollte es nicht aufteilen. Ich hoffe, ihr wart auch so gefesselt beim Lesen wie ich beim Schreiben^^ Das scheint nämlich so eine Macke von mir zu sein, dass ich ein Lieblingskapitel meinerseits ankündige und es dann aber gar nicht so gut ankommt ... Ich hatte zunächst auch ein paar Probleme mit der Logik, wie die Entscheidungen in diesem Kapitel getroffen werden, vor allem von Yolei und Cody, und hoffe, dass es letztendlich einigermaßen realistisch wirkt. Naja, bin jedenfalls schon gespannt auf eure Kritik.

Ich weiß, es sind wieder ein paar Fragen aufgetaucht (und andere vielleicht eventuell beantwortet worden^^), aber ich verspreche euch, ich drösel alles zu gegebener Zeit auf ;)

Das nächste Kapitel spielt also dann in der DigiWelt :D (Und macht wieder ein bisschen Pause von der Action.)

Thoughts of Intimacy

Pit-Höhlen, DigiWelt

Sonntag, 6 August 2007

12:13 Uhr
 

Patamons panische Flügelschläge hallten laut von den Höhlenwänden wider. Tiefer und tiefer flog es in das Labyrinth. Zwar kannte es sich hier aus, aber es konnte seine nützlichste Eigenschaft, nämlich das Fliegen, nicht wirksam einsetzen. Die einzige Chance war, dass es seinem Verfolger in den verwinkelten Gängen entkam – doch der Schatten, der es verfolgte, war ihm zu dicht auf den Fersen. Schwer atmend schoss es in den nächsten Seitengang und gleich darauf nach rechts, als es zu einer Kreuzung kam. Es hörte das schrille Fiepen hinter sich, das durch Mark und Bein ging, das Geräusch tausender, winziger Flügel.

Schließlich beging Patamon, vollends erschöpft, einen Fehler. Es flog in einen Gang, der in einer Sackgasse endete. Panisch versuchte es zu wenden, doch da erschien auch schon der Schatten hinter ihm. Zitternd hockte sich das kleine Digimon zum Fuß der glatten Steinwand und sah aus angsterfüllten Augen zu ihm hoch. „Was willst du von mir?“, fragte es mit hoher Stimme.

Der Mund des Schattens verzog sich zu einem Grinsen. „Ohne deinen Partner kannst du schließlich nicht digitieren.“ Er streckte den Arm aus. „Albtraumkralle!
 

Zur Rauchenden Krone, DigiWelt

Sonntag, 6. August 2007

20:59 Uhr
 

Zwei Tage lang waren sie durch die zerstörte DigiWelt gezogen. Ruine um Ruine hatte sich abgewechselt, die Albtraumsoldaten hatten eine Spur der Verwüstung durch das Land gezogen.

Nach und nach säumten Baumgruppen und kleine Wäldchen ihren Weg, und schließlich kamen sie in ein dichtes Waldgebiet. Sie waren todmüde und hungrig, die Vorräte, die sie aus dem Flüchtlingslager mitgenommen hatten, waren zu Mittag zuneige gegangen. Am Abend hatten sie endlich wieder bewohntes Gefilde erreicht: Eine kleine Taverne am Wegesrand am hinteren Ende des Waldes, die wohl nur deshalb noch stand, weil kein größerer Trupp Digimon-Soldaten sich die Mühe machte, sich durch den Wald zu schlagen. Vor der Taverne, die Zur Rauchenden Krone hieß und aus deren Schornstein tatsächlich dichter Qualm quoll, fiel der Hügel sanft ab und endete weiter hinten in einem von schroffen Felswänden umrandeten, grasbewachsenen Tal. Hier gab es nichts, was sich einzunehmen lohnte.

Die Taverne war überraschend gut besucht, für Kriegszeiten, die meisten Besucher kamen anscheinend aus versteckten Hütten oder Behausungen im Wald. Es herrschte Lärm und Fröhlichkeit in dem behaglich warmen, von knisterndem Kaminfeuer erhellten Schankraum, als wäre die Welt in schönster Ordnung. Der Raum war komplett aus Holz gezimmert, auch die rohen Stühle und die langen, klobigen Tische. Hinter der Ausschank stand ein vogelähnliches Deramon, offenbar der Inhaber des Etablissements, und mühte sich ab, mit seinem wortwörtlich buschigen Hinterteil von einem Ende der Theke zum anderen zu huschen, um Bierkrüge nachzufüllen und saftigen Braten auszugeben. Zwei felsige Gotsumon waren als Kellner angestellt und ihre Fäuste waren sicher auch gut dafür geeignet, betrunkenes Gesindel daran zu erinnern, dass man für seine Zeche sehr wohl bezahlen musste. Die Hauptattraktion bildete ein Floramon, das auf einem Podest in der Mitte des Raumes einen anmutigen Tanz aufführte und dem zahlreiche betrunkene Digimon zujubelten – oder auch so einige Obszönitäten zuriefen, allen voran ein sturzbetrunkenes, haariges Nanimon, das es kaum noch schaffte, sich auf seinem Stuhl zu halten.

T.K, Kari, Joe, Davis, Gatomon und Veemon hatten einen Tisch im hintersten Winkel der Taverne in Beschlag genommen und stärkten sich mit einem Festmahl. Davis und Veemon futterten wie in guten alten Zeiten. Die Menschen hatten sich in lange Umhänge mit Kapuzen gehüllt, um nicht erkannt zu werden, aber es nahm ohnehin niemand Notiz von ihnen. Auch Veemon hatte sich einen Spaß daraus gemacht, sich zu verkleiden: Es hatte sich eine erdbraune Decke wie in einen Umhang umgeworfen und einen gleichfarbigen, breitkrempigen Hut aufgesetzt und sah damit mehr oder weniger wie ein Cowboy aus einem Western aus.

Während sie Brotkrumen in die letzten Tropfen der fettigen Soße tunkten, ging die Tür zur Taverne auf, und ein kleiner Trupp Goblimon kam herein. Es waren sechs an der Zahl und sie erinnerten in ihrem Aussehen unangenehm an Ogremon, waren aber kleiner, hatten übergroße Köpfe und hölzerne Keulen, die sie auf dem Rücken trugen. Ihre Augen schimmerten gelb und ihre spärlichen Haare waren blutrot. Sie trugen einheitliche, lederne Kleidung.

Nebeneinander zwängten sie sich auf die Barhocker direkt an der Schank. Ein schlafendes Veggiemon wurde einfach von seinem Hocker geworfen. „Sechs Mal dunkles Bier!“, grunzte eines der Goblimon Deramon zu, das gehorsam die Humpen füllte und sie ihnen hinstellte. In einem einzigen Zug leerten sie die grünhäutigen Digimon.

„Psst! Davis!“ Veemon stieß seinen Partner mit dem Ellbogen an.

„Was denn?“ Davis hatte den Neuankömmlingen wenig Beachtung geschenkt. Das betrunkene Nanimon war auf das Tänzerpodest geklettert und hatte ebenfalls einen grotesken und absolut lächerlichen Tanz begonnen. Soeben hatte es versucht, dem Floramon nachzugrapschen und war prompt und unter lautem Gelächter der anderen Digimon wieder auf den Boden geschubst worden.

„Die Goblimon an der Schank! Das sind Scherben!“

„Was sagst du da?“ Davis fuhr herum und starrte die Digimon an. Sie nahmen keinerlei Notiz von ihnen, sondern lachten und grunzten und bekamen soeben nachgeschenkt.

„Bei der DigiAllianz haben wir gegen viele von ihnen gekämpft“, flüsterte Veemon.

„Meinst du, die suchen uns?“, fragte Joe erschrocken.

„Wohl kaum“, sagte T.K. „Es weiß keiner, dass wir hier sind.“

„Aber sie führen sicher nichts Gutes im Schilde.“ Gatomon hatte die Ohren gespitzt und sah angespannt in ihre Richtung.

Veemon sprang von seinem Stuhl. „Ich werd das mal überprüfen.“

„Was hast du vor?“, fragte Davis.

Veemon grinste und hielt ihm den Daumen hin. „Wart’s ab. Ich weiß, wie man mit solchen Kerlen umgehen muss.“

„Aber mach nichts Leichtsinniges“, warnte Joe.

„Ist klar.“ Veemon rückte seinen Umhang zurecht, zog sich den Hut tief ins Gesicht und ging langsam zu den Goblimon hin. „He, Bruder, ist hier noch frei?“, fragte es das nächste. Das Goblimon sah ihn nur stirnrunzelnd an und nickte dann und Veemon ließ sich auf dem letzten freien Barhocker nieder. Es musterte das Goblimon übertrieben genau. „Ihr seht aus wie ziemlich harte Kerle“, stellte es dann fest.

Goblimon grunzte lachend und schüttete sich sein neues Bier in den Rachen. „Das kannst du laut sagen. Du würdest dir in die Hosen machen, wenn du wüsstest, wer wir sind!“

„Wer seid ihr denn?“ Veemon machte große Augen.

„Hehe. Wir sind die Scherben! Da staunst du, was?“

Veemon tat, als müsste es erschrocken einatmen. „Die Überbleibsel der Albtraumsoldaten?“

„Genau.“

Veemon schwieg, dann winkte es Deramon zu. „Noch eine Runde an uns sieben auf meine Kosten!“

Die Goblimon grölten erfreut. „He, Kleiner, du bist in Ordnung“, lachte sein Gesprächspartner, der selbst nur wenig größer war. „Hast keine Angst vor uns, was?“

Veemon ging auf die Frage nicht ein, sondern hakte nach: „Was tut ihr hier am Ende der Welt? Habt ihr etwa eine geheime Mission?“ Es bemühte sich um einen begeisterten Unterton.

Goblimon leerte seinen Krug und griff sofort nach dem nächsten, den Deramon bereitgestellt hatte. „Kann man so sagen. Wir sind ein Spähtrupp.“

„Was sollt ihr denn ausspähen?“

„Weiter im Norden, in der Nähe von irgendso ‘nem Dorf, hat es eine Schlacht gegeben, bei der ein Stoßtrupp von uns vernichtet worden ist. Die Hauptarmee ist auf dem Weg westwärts, also hat Musyamon uns losgeschickt, nachzusehen, was dort los war.“

„Musyamon?“, fragte Veemon. „Wer ist das?“

„Warum willst du das so genau wissen?“

Veemon zog sich seinen Hut tiefer ins Gesicht und kam sich dabei ziemlich cool vor. „Ich spiele mit dem Gedanken, mich den Scherben anzuschließen.“

„Du? Hoho!“ Das Goblimon brach in schallendes Gelächter aus. „Hast du denn was drauf?“

„Ich würde dich mit links in die Tasche stecken“, grinste Veemon und hoffte, nicht zu weit gegangen zu sein.

Aber das Goblimon, nach seinen zweieinhalb Bier scheinbar schon leicht benebelt, lachte nur noch lauter. „Du bist echt in Ordnung, Bruder! Ich kann dich ja mal Musyamon empfehlen. Es ist momentan der General über die Hauptarmee.“

„Verstehe.“ Veemon nippte nun auch an seinem Bier. „Aber eines ist mir schleierhaft. Wenn ihr doch nach Norden wollt und dort was erkunden müsst, warum lungert ihr dann hier herum?“

Das Goblimon grinste überheblich. „Nun, da du ja bald ein Waffengefährte von mir bist, kann ich dir ja gleich einen Tipp geben: Die Dunklen, gegen die wir kämpfen, sind knallhart. Da ist es manchmal besser, einem Kampf aus dem Weg zu gehen. Wir warten hier eine Zeitlang, und dann folgen wir Musyamons Trupp und sagen ihm, dass wir im Norden nichts gefunden haben, außer ein paar rauchenden Häusern.“

Also waren sie einfach nur Feiglinge, schloss Veemon. Laut sagte er: „Ihr seid sicher schon lange bei der Armee, wenn ihr so genau die Feinheiten erfolgreicher Kriegsführung versteht.“

Goblimon, das den Sarkasmus in Veemons Stimme nicht mitbekommen hatte, nickte grinsend. „Kannst du laut sagen, Bruder.“

„Das ist gut.“ Veemon zwang sich, den Bierkrug zu leeren, damit es wieder von diesem stinkenden Digimon wegkam. „Also, ich gesell mich wieder zu meinen Freunden. Denk daran, bei Musyamon ein gutes Wort für mich einzulegen, wenn ihr mit eurer Mission fertig seid, ja?“

Goblimon prostete ihm zum Abschied zu und Veemon zog sich wieder an seinen Tisch zurück und erzählte den anderen, was es gehört hatte.

„Also kein Grund zur Beunruhigung“, sagte Davis zufrieden.

„Ich frage mich trotzdem, was dort oben im Norden passiert ist“, murmelte Kari besorgt.

„Das, was momentan überall in der DigiWelt passiert, vermutlich“, meinte Gatomon.

Die Goblimon hatten soeben ein misstönendes Soldatenlied angestimmt.

Ich kannt einmal ein Lilymon

das war so schön gar wie die Sonn

lief von zuhaus allein davon

und brachte mir viel Freud und Wonn …

Während das Lied immer ordinärer wurde, stand Joe auf und organisierte bei Deramon zwei Zimmer. Er, Kari, T.K. und Gatomon gingen nach oben, während Davis und Veemon noch sitzen blieben und weiteraßen und –tranken.
 

Kari, T.K. und Gatomon gehörte das rechte Zimmer am oberen Ende der Treppe, das linke war für die anderen reserviert. Nachdem die drei die Tür hinter sich geschlossen hatten, sahen sie sich um. Das Zimmer war einfach, aber gemütlich: Ganz aus Holz, mit einer Kommode, auf der eine Blumenvase stand, einem Kippfenster, das auf die Ebene und das Tal blickte, die friedlich und finster dalagen, und zwei frisch überzogenen Betten. Es gab sogar elektrische Deckenlampen, obwohl es in dieser Gegend keinen Strom geben dürfte, aber in der DigiWelt war schließlich so einiges möglich, vor allem punkto Elektrizität. Gatomon, das noch müde von den Strapazen der Tage bei der DigiAllianz war, ließ sich sofort auf Karis Bettende nieder und schlief zusammengerollt ein. Kari und T.K. setzten sich auf sein Bett und schwiegen eine Zeitlang.

„Meinst du, sind die anderen mittlerweile nachgekommen?“, fragte T.K.

„Kann schon sein.“

„Dann hat es wenig gebracht, dass wir vorausgegangen sind. Wir haben noch nichts erreicht.“

Kari lächelte und drückte seine Hand. „Mach dir darüber keine Gedanken.“

T.K. erwiderte das Lächeln. „Danke.“

„Wofür?“

„Dass du immer für mich da bist.“ Er küsste sie sanft auf die Lippen.

Kari schloss die Augen und schlang die Arme um ihn. T.K. fühlte sich wie in einem Rausch. Er hatte zwar von dem Bier gekostet – sie alle hatten das, sogar Joe, denn Deramon schenkte zu dieser Stunde nichts Antialkoholisches mehr aus, wie es gesagt hatte –, aber nur einen halben Krug. Und nichts machte ihn so trunken wie der Geschmack von Karis Lippen. Er erwiderte die Umarmung und strich ihr durch das Haar. Es war zerzaust von dem langen Marsch, dem Übernachten unter freiem Himmel und der Verkleidung, ebenso wie Karis Gesicht und ihre Kleidung ein klein wenig schmutzig waren, aber es störte ihn nicht. In seinen Augen war sie immer wunderschön, und nichts kam dieser Schönheit auch nur im Ansatz nahe.

Sie verloren jegliches Zeitgefühl, während ihre Lippen nicht voneinander abließen, ihre Zungen sich umtanzten. T.K.s Hände wanderten langsam über ihren Rücken und schoben sich unter ihr T-Shirt. Ein Schauer durchlief sie, als Kari seine Finger, hauchzart wie Spinnweben, über ihre Haut streifen fühlte. Sie beendete den Kuss und zog ihr Gesicht ein paar Zentimeter zurück. „Ich bin mir nicht sicher, ob … Ob wir das hier tun sollten“, hauchte sie.

T.K. fühlte ihren warmen, süßen Atem auf seinem Gesicht und sah deutlich die niedliche Röte auf ihren Wangen. Er lächelte. „Ob wir was tun sollten?“, fragte er neckisch, vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge und bedeckte ihre Haut mit Küssen, wobei ihm ihre Haarsträhnen an der Nase kitzelten.

Kari seufzte schauernd auf, legte ihre Hände auf seine Schulterblätter und drückte ihn fest an sich. Sie drehte sich, sodass sie ganz auf dem Bett saß, und verschränkte ihre Beine hinter T.K.s Becken. „Das … weißt du ganz genau“, flüsterte sie stockend. „Wir sind schließlich nicht …“

Sie verstummte, als er sich ein wenig von ihr löste und ihr ernst in die Augen sah. Dann wandte er den Blick ab. „Ich weiß auch nicht, ob wir es tun sollten. Aber ich dachte – wer weiß, ob es nicht unsere letzte Gelegenheit ist …“

Sie sah ihn ein wenig erschrocken an. „Sag so etwas nicht. Das ist zu traurig.“

„Nein, nein, so meine ich das nicht“, beeilte er sich zu sagen. „Ich meine nur … Wenn wir noch Patamon und Gomamon finden, dann … Dann sind wir wieder bereit zu kämpfen. Und dann werden wir kämpfen, weil wir es müssen. Und dann wird uns kaum noch Zeit bleiben, Zeit für uns allein …“

Kari lehnte ihren Kopf an seine Schulter und dachte nach. Sie sah stumm in eine Ecke, dann zu Gatomon, das tief und fest schlief. „Sorgst du dich um Patamon?“, fragte sie.

„Natürlich.“

Kari nickte betreten. „Und trotzdem willst du nicht, dass wir es …“

„Das ist es nicht!“, sagte er unwirsch und verwünschte sich sofort dafür. Kein Vorwurf war in ihren Worten gewesen. Sanfter fügte er hinzu, während er über ihre Wange streichelte: „Patamon kann auf sich selbst aufpassen. Genau genommen konnte es das wesentlich früher als ich.“

„T.K. …“ Kari hob sein Kinn an, sodass er ihr in die Augen schauen konnte. Er wirkte traurig. „Denk nicht an das, was einmal war. Wir sind zusammen, das ist es, was zählt.“

„Ja“, murmelte er leise. „Das ist das einzige.“

Sie versanken wieder in einem tiefen Kuss, der all ihre Bedenken auslöschte.
 

Davis stieß brennend der Alkohol auf. Er hatte noch nie von einer Biersorte gehört, die so schnell ins Blut fuhr. Veemon hatte sich anscheinend richtige Freunde unter den Goblimon gemacht, denn die grünhäutigen Digimon hatten darauf bestanden, dass sie beide ein paar Krüge mit ihnen mithoben, und er selbst hatte nicht leugnen können, dass es verlockend war, fern jedweder Kontrollen Alkohol zu probieren. Irgendwann war es aber auch genug. Die Digimon würden wohl noch die ganze Nacht durchzechen. Davis hatte sich auf den Weg ins obere Stockwerk machen wollen, um sich schlafen zu legen und seinen Schädel damit so gut wie möglich daran zu hindern, am nächsten Morgen wie ein Hornissenschwarm zu brummen, als Deramon ihn zurückgewinkt und ihn aufgefordert hatte, die letzte Runde, die schließlich er den Goblimon bestellt hatte, gefälligst zu zahlen. Ihm war bewusst geworden, dass er sein Geld bereits zum Großteil ausgegeben hatte – der Sukamon-Händler, der ihnen unterwegs ihre Yen in Dollar umgetauscht hatte, die in der DigiWelt eine etwas gängigere Währung waren, hatte, etwas Unverschämtes von wegen Kursschwankungen murmelnd, einen großen Batzen Provision verlangt, den Davis nun schmerzlich vermisste. Also bat er Deramon, kurz zu warten, und stieg die Treppe hoch.

Auf dem Weg nach oben merkte er, wie schwerfällig er war. Mehr taumelnd als gehend kam er in seinem Zimmer an, wo sich alles um ihn herum zu drehen schien. Joe lag in seine Decke verstrickt da und schnarchte laut, also machte Davis achselzuckend kehrt. Sollte er schlafen. T.K. war bestimmt noch wach, er würde ihm das Geld schon leihen.

Es war eher ein Zufall, aber nachdem er die Türklinke zu T.K.s und Karis Zimmer beim ersten Versuch verfehlte, öffnete er die Tür relativ leise.

Zuerst dachte er, der Alkohol würde ihm einen Streich spielen. Dann klärte sich sein Kopf, als hätte er sich unter einen eiskalten Wasserfall gestellt. Er sah Kari und T.K. auf dem Bett sitzen, eng umschlungen und sich innig küssend, und T.K. schob ihr gerade das Top bis zu den Schultern hoch …

Davis schlug die Tür zu.
 

„Was war das?“ T.K. hielt inne, als er ein Geräusch von der Tür her hörte.

„Was hast du?“, fragte Kari.

Er zögerte kurz, wollte nicht aus diesem süßen Traum aufwachen und zuckte daher die Achseln. „Ach, ich muss mich getäuscht haben.“ Er sah sie kurz an und lächelte dann. „Weißt du was?“

„Was?“

„Solange du bei mir bist – ich glaube, da ist es mir sogar egal, was mit der DigiWelt passiert.“

Sie kicherte leise. „Ich glaube, du bist nicht mehr ganz klar im Kopf.“

Er kam mit seinem Gesicht ganz nah an ihres. „Wundert dich das“, flüsterte er, „wo du mir doch den Verstand raubst?“ Er zog ihr das Top über den Kopf und machte sich dann am Verschluss ihres BHs zu schaffen. Kari drückte ihm wie im Rausch ihr Becken entgegen, strich mit den Fingern durch sein engelsblondes Haar und verlor sich in der Tiefe seiner gefühlvollen, unschuldigen Augen. Ihre Lippen trafen sich wieder, als sie langsam auf die weiche Matratze sanken.
 

Davis atmete tief vor der geschlossenen Holztür durch. Er hatte die Fäuste geballt, ohne es zu merken. Natürlich, Kari und T.K. ... Sie waren seit langem ein Paar … und dennoch … dennoch … wenn T.K. nicht gewesen wäre … dann, vielleicht …

„Hey, Davis, ich hab die Goblimon überredet, deine Runde zu … Davis?“

Davis zuckte zusammen. Veemon war am Treppenabsatz aufgetaucht und sah ihn aus verklärten Augen an.

„Alles in Ordnung mit dir?“

„Bestens“, murmelte Davis und fasste plötzlich einen Entschluss, von dem er genau wusste, wie hirnrissig er war. Er stapfte breitbeinig an Veemon vorbei und wieder die Treppe ins Gastzimmer hinunter.

„Aber ich dachte, du wolltest schlafen gehen?“, sagte Veemon verwundert, folgte ihm aber.

„Ich hab’s mir anders überlegt.“ Er winkte Deramon, das ihn von der Schank her misstrauisch musterte, zu. „He! Noch eine Runde auf meine Kosten. Bezahlen tu ich morgen, wenn mein Kumpel wieder wach ist.“
 

============================
 

Ich weiß selbst nicht, warum, aber die Szene mit Veemon und den Goblimon zu schreiben hat mir echt Spaß gemacht^^ Ich wollte das alles ein wenig episch gestalten, mit Digimon-Soldaten und Truppenbewegungen, etc. Und nochmal auf die Schlacht, die Ken beobachtet hat, verweisen. Ich hoffe, die Beziehungen der Digimon untereinander in dieser Taverne kommt nicht zu menschlich herüber, wobei ich auch nicht glaube, dass es in der DigiWelt großartig verschieden wäre ;)

Dann wollte ich noch, ich glaube, das hat man gemerkt, die Beziehung T.K./Kari/Davis ein wenig herausarbeiten. Bleibt nichts mehr zu sagen, ich hoffe, es war interessant :)

Angelkiller

Zur Rauchenden Krone, DigiWelt

Montag, 7. August 2007

irgendwann kurz vor Sonnenaufgang
 

„Davis! Hey, Davis!“ Veemons Stimme drang in sein Bewusstsein, gleichzeitig mit heftigem, stechendem Kopfschmerz. Jemand rüttelte ihn an der Schulter. Davis brauchte einen Moment um zu verstehen, dass auch das Veemon war.

Stöhnend stemmte er sich in die Höhe. Er hatte auf einem der Tische im Gastzimmer geschlafen – oder besser gesagt, er war plötzlich einfach vorgesunken und wie ein Stein in tiefen Schlaf – oder auch Ohnmacht – gefallen. Was zur Hölle war gestern passiert? Allein der Versuch sich zu erinnern bereitete ihm Kopfschmerzen. Dann fiel es ihm wieder ein. Kari … und T.K. … und …

„Davis!“ Veemons Stimme klang eindringlicher.

Blinzelnd sah Davis sich um. Graues Licht sickerte durch die halb geschlossenen Läden der Taverne. Bis auf sie beide war der Schankraum leer – was gut war, denn Davis‘ Hut lag neben seinem Stuhl auf dem Boden und gab den Blick auf seine Igelfrisur frei. Hastig bückte er sich danach – und ihm wurde prompt übel.

„Alter Schwede, du hast gestern ja ordentlich was geleistet“, sagte Veemon mit einer Spur von Tadel und einer noch vom Restalkohol schweren Zunge.

Davis setzte sich behutsam den Hut auf. Sein Kopfweh blieb beharrlich in Form eines dumpfen, penetranten Schmerzes, und sein Mund war ausgetrocknet und pelzig, als hätte sich ein Eichhörnchen darin zum Schlafen niedergelassen. „Wie spät ist es?“ nuschelte er und erschrak, wie heiser er klang.

„Keine Ahnung. Es fängt gerade zu dämmern an. Ich bin auch erst wachgeworden – allerdings hab ich es gestern ins Zimmer geschafft.“

Davis dachte an ein gewisses anderes Zimmer und empfand eine grimmige Zufriedenheit dabei, einfach hier mitten im Schankraum geschlafen zu haben. Wenn da nur nicht dieses Kopfweh wäre … „Wo sind all die anderen?“, fragte er. „Und hast du ein Glas Wasser für mich?“

Veemon grinste schadenfroh. „Nein … Da musst du wohl warten, bis Deramon aufwacht. Es wollte dich eigentlich nicht hier liegen lassen, konnte dich aber nicht wecken. Die Goblimon und ich haben gewettet, ob es das schafft. Ich hab eine Menge Geld gewonnen“, meinte es stolz. „Ich kenn dich eben zu gut.“

„Aha“, brummte Davis missmutig. Sein Digimon-Partner schien vergessen zu haben, dass die Goblimon eigentlich ihre Feinde und mit Schuld am Chaos in der DigiWelt waren. „Und wo sind deine neuen Freunde jetzt?“

„Oh, sie haben kein Zimmer mehr bekommen, also sind sie in den Wald gegangen, um dort zu übernachten.“

„Hm.“ Davis versuchte aufzustehen und wäre fast gestürzt. Seine Knie waren weich und er fühlte sich so schwer … all seine Glieder schmerzten, als wäre er übernächtigt und hätte obendrein Fieber … Vor seinen Augen drehte sich der Raum und ein leiser Stich von Übelkeit hatte sich endgültig in seiner Magengegend eingenistet und wollte nicht weichen. Von seinem Sodbrennen erst gar nicht zu reden … Schwankend machte er sich auf den Weg zur Eingangstür. „Wo willst du hin?“, fragte Veemon. „Hau bloß nicht ab, du schuldest Deramon einen Haufen Geld!“

Seine Witze konnte sich Veemon getrost sparen. Davis knurrte irgendeine Antwort, die er selbst nicht verstand, und torkelte ins Freie. Angenehm kühle Waldluft füllte seine Lungen und weckte seine Lebensgeister wieder. Jetzt erst fiel ihm auf, wie stickig es in der Taverne war. Er spürte einen enormen Druck auf der Blase und erleichterte sich beim nächstbesten Baum. Dann sah er nach links, wo am Ende des Tals die Sonne über die Felsspitzen spähte.

Irgendetwas stimmte dort nicht, aber Davis war so benebelt, dass er erst gar nicht merkte, was.

Über dem Halbkreis aus Felsen ging die Sonne auf – aber auch wieder nicht. Etwas wie ein dichter, schwarzer Schleier schob sich den Horizont empor und legte sich über die goldene Scheibe. Davis blinzelte. Täuschte er sich, oder kam der Schleier näher? Kaum hatte er das gedacht, leckten dicke Schattenfinger über den stahlgrauen Himmel, und Davis konnte trotz seiner etwas unsicheren Sicht innerhalb des Schleiers kleine, zappelnde Körner ausmachen. „Oh, Scheiße“, murmelt er. „Veemon!!“, brüllte er schließlich aus Leibeskräften. Er wartete gar nicht ab, bis sein Partner reagierte, sondern stürmte in die Taverne zurück und die Treppe hoch zu den Zimmern. Die Stufen schienen sich unter seinen Schritten zu wölben und auf halbem Weg ging ihm die Puste aus. Einem Impuls folgend wollte er erst in T.K.s und Karis Zimmer stürmen, überlegte es sich dann anders und lief in sein eigenes. Veemon prallte in der Tür fast mit ihm zusammen.

„Joe!“ Davis rüttelte seinen Freund, der tief und fest schlief, so heftig an der Schulter, dass dieser hochfuhr und beinahe aus dem Bett gefallen wäre.

„Wa-Was ist denn los?“, murmelte Joe schlaftrunken, während er nach seiner Brille tastete.

„Ich weiß auch nicht, aber da kommt irgendwas!“

„Was meinst du mit irgendwas?“

„Komm mit und sieh’s dir an!“

Davis‘ aufgeregte Stimme hatte auch Kari und T.K. geweckt, die verschlafen auf den Gang kamen. „Was brüllst du denn so herum?“, fragte Kari gähnend. T.K. rieb sich den Schlaf aus den Augen. Sie trugen beide nur Unterwäsche.

„Schnell, ihr müsst sofort mit mir mitkommen! Irgendwas kommt genau auf uns zu!“

Kari war sofort hellwach. „Was meinst du?“
 

Keine zwei Minuten später standen sie alle vor der Taverne und beobachteten die Schattenwolke, die über den Himmel glitt. Mittlerweile hatte sie die Sonne wieder freigegeben, doch sie hielt tatsächlich genau auf die Rauchende Krone zu.

„Das sind doch …“, murmelte T.K, als er die einzelnen flatternden Elemente erkannte, aus denen die Wolke bestand.

„Fledermäuse?“, sagte Kari zaghaft.

„Ich habe ein ganz mieses Gefühl“, sagte Joe.

Die düstere Wolke verschluckte die echten Wolken über ihnen, wölbte sich – und eine Säule aus Fleisch gewordener Finsternis bohrte sich wie ein gigantischer Finger aus dem Himmel in die Wiese vor ihnen. Glashalme flatterten durch die Luft, als ein konzentrischer Windstoß an den Haaren und Kleidern der DigiRitter zerrte. Wie durch einen Strohhalm wurde der Schatten aus dem Himmel durch die Säule gezogen, schien mit dem Boden zu verschmelzen – und schließlich stoben die Fledermäuse spiralförmig auseinander und gaben den Blick auf ihren Herrn frei.

Die DigiRitter schrien erschrocken auf. Eine hochgewachsene Gestalt in einem altmodischen, blauen Anzug mit hohem Kragen stand dort vor ihnen. Blondes Haar fiel ihr bis in den Nacken und eine rotviolette Maske mit Fledermausflügeln umgab die Augen in dem blassen Gesicht.

„Myotismon!“, stieß Joe aus.

T.K.s Blick glitt vom Gesicht des Digimons ab. „Patamon!“, rief er. Das Myotismon hielt Patamon an den Ohren gepackt wie einen Hasen.

„T.K. …“, seufzte das kleine gelbe Digimon.

„Was hast du mit ihm gemacht?“, rief T.K. und machte einen Schritt auf Myotismon zu.

Der Vampir kicherte. Es war definitiv ein anderes Myotismon als das von damals, aber dennoch zweifellos gefährlich. „Nichts“, sagte es gedehnt. „Ich habe es nur eingefangen, um es zu dir zu bringen. Wenn meine Informanten die Wahrheit gesagt haben, dann bist du doch sein Partner, oder?“ Damit holte es aus und schleuderte Patamon von sich.

T.K. gelang es, es aufzufangen. „Bist du verletzt? Patamon!“

„T.K!“ Patamons Augen glänzten feucht. „Ich bin so froh, dich zu sehen …“

„Es ist wohlauf. Und nun, da ihr beide vereint seid, kann es auch wieder digitieren.“ In Myotismons Händen erschienen rote Lichter wie Flammen. „Darf ich dann um den Tanz bitten?“

„Dir wird der Spott noch vergehen!“, rief Davis. „Veemon!“

„Schon zur Stelle!“ Das blaue Digimon wurde von goldenem Licht umhüllt, als es zu Ex-Veemon digitierte und sich auf Myotismon stürzte.

„An dir bin ich nicht interessiert!“ Das Vampirdigimon schoss eine seiner Albtraumkrallen auf Ex-Veemon ab, schlang sie um dessen Brust und schleuderte das Drachendigimon von sich.

„Kari! Ich kämpfe auch!“, rief Gatomon.

„Viel Glück!“ In Karis Brust begann das Licht ihres Wappens zu glühen. Gatomon wurde zu einem weißen Schemen, der menschliche Gestalt annahm und zu Angewomon wurde.

„Das gefällt mir schon besser“, konstatierte Myotismon und riss seinen Mantel auseinander. „Gruselflügel!“ Vor ihm erschien ein Fledermausschwarm, der mit hungrig gebleckten Mäulern auf das Engeldigimon zuraste.

Himmlischer Charme!“ Angewomon breitete die Arme aus und eine Sichel aus rosafarbenem Licht pflügte durch die Fledermäuse und ließ sie zu glitzernden Datenwirbeln werden.

Myotismon brachte sich mit einem Sprung in Sicherheit und das Licht bohrte sich in die Erde, wo es einen klaffenden Spalt hineinschlug. Noch bevor Myotismon wieder auf seinen Füßen landete, holte es aus und schleuderte eine weitere rote Lichtschlange auf Angewomon. Das Digimon erschuf vor sich einen leuchtenden Schutzschild, der die Attacke abfing.

„T.K! Du musst Patamon auch kämpfen lassen!“, rief Davis. Das Auftauchen dieses Digimons und der damit einhergehende Adrenalinschub hatten seinen Kopf geklärt.

T.K. sah ihn nur gedankenverloren an. „Aber warum …“

Patamon löste sich energisch aus seiner Umarmung und flog mit weit ausgebreiteten Flügeln auf die Kämpfenden zu. Sein Körper glühte auf und verformte sich zu Angemon.

„Pass auf, Angemon“, warnte Angewomon. „Irgendetwas stimmt mit ihm nicht.“

Angemon nickte. „Ich spüre es auch. Seien wir besser vorsichtig.“

T.K. sah stirnrunzelnd zu seinem Digimon hoch. „Das macht doch keinen Sinn … Warum tut es das?“

„Was meinst du?“, fragte Kari, doch da ertönte Angemons klare Stimme: „Myotismon! Du magst nicht das Wesen sein, das vor Jahren diese und andere Welten ins Chaos gestürzt hat, aber du bist dennoch eine unheilige Existenz, die ich von dieser Welt tilgen werde!“ Angemons Stab verwandelte sich in reines Licht, das seine Faust umschloss. „Kraft des Lichtes!“ Ein weißgoldener Energiestrahl schoss auf Myotismon zu, das ihn mit einem grimmigen Lächeln erwartete und eine ruckartige Bewegung mit dem Handgelenk machte – und eine Albtraumkralle erschien und riss Ex-Veemons massigen Körper zwischen die Attacke und das Vampirdigimon.

„Ex-Veemon!“, schrie Davis, als der Lichtschwall das Drachendigimon zwischen den Flügeln traf. Ächzend wurde Ex-Veemon nach vorne geworfen und riss Myotismon von den Füßen.

Angemon, das seinen Stab wieder erscheinen ließ, flog besorgt hinterher. „Bist du in Ordnung, Ex-Veemon?“

Ex-Veemon rang einen Moment nach Luft und hustete dann. „Du hast einen ordentlichen Wumms drauf, Angemon“, sagte es schließlich. „Aber mir geht es soweit gut.“

„Ex-Veemon ist nicht von der Macht der Dunkelheit besessen. Angemons Attacke hatte daher nur eine geringe Wirkung auf es“, kombinierte Joe, während T.K. immer noch seltsam nachdenklich, fast apathisch wirkte.

„Irgendetwas …“, murmelte er. „Irgendetwas stimmt nicht …“

Ex-Veemon bekam einen Fußtritt von Myotismon in die Brust. „Runter von mir, du unwichtiger Nebencharakter!“, zischte das Vampirdigimon und mit einem Mal wurde das geflügelte Drachendigimon von einem Fledermausschwarm attackiert.

„Ha! Könnte dir so passen!“, knurrte Ex-Veemon, packte Myotismon am Kragen und schleuderte es von sich. „Jetzt, Angewomon!“

„Verstanden!“ Noch während Myotismon mehrere Meter weit sich überschlagend und schreiend durch die Luft flog, ließ Angewomon einen Bogen und einen Pfeil aus reinem Licht in seinen Händen erscheinen. „Dein Ende ist gekommen, Myotismon!“, verkündete es. „Himmelspfeil!“ Wie ein Blitz, viel schneller als Angemons Attacke, bohrte sich der Pfeil blitzend und Energie sprühend durch die Luft, traf Myotismon in der Brust, nagelte es am Boden fest und entlud blitzend und zischend seine heilige Kraft, begleitet von einem schauerlichen Brüllen der Vampirgestalt.

„Jetzt hast du es!“, freute sich Joe und ballte die Fäuste. So hatten sie schließlich schon einmal ein Myotismon besiegt.

Nicht so dieses Mal.

Das Licht verebbte nach ein paar Sekunden, und auch Myotismons Schrei endete. Das Vampirdigimon hockte keuchend auf die Hände gestützt im Gras. Seine Brust und sein Rücken, wo die Spitze des Lichtpfeils hinausgetreten war, rauchten. „Ihr … seid gut …“

„Das ist doch unmöglich!“, rief Kari.

„Auch Angewomons Attacken haben die größte Wirkung gegen dunkle Digimon“, versuchte Joe die Sache logisch anzugehen. Seine Stimme zitterte jedoch. „Heißt das, dass Myotismon nicht die Macht der Dunkelheit gebraucht?“

Angemon schwebte auf ausgebreiteten Flügeln in den Himmel. Erneut umfing es Licht, als es sich dazu bereit machte, auf sein Ultra-Level zu digitieren.

„Verdammt, der Kampf dauert schon viel zu lange!“, fluchte Davis.

„Warum hat es das getan? Das ergibt doch keinen Sinn“, murmelte T.K.

„Was meinst du?“, fragte Kari. „Was überlegst du die ganze Zeit?“

„Kommt dir das nicht auch komisch vor?“, fragte T.K, während Angemon ein neues Flügelpaar wuchs und sich seine Rüstung verstärkte. „Myotismon hat Patamon zu mir gebracht, damit es digitieren kann. Aber warum? Was hat es davon, wenn es seine Feinde stärker macht?“

Davis klappte den Mund auf, um etwas zu erwidern, aber dann fiel ihm ein, dass er sich darüber noch gar keine Gedanken gemacht hatte. So ganz nüchtern war er wohl immer noch nicht …

„Das hast du gut beobachtet, DigiRitter“, ertönte Myotismons Stimme, als es aufstand und sich einen Speichelfaden aus dem Mundwinkel wischte. „Dein Name ist Takeru, oder?“

„Du kennst meinen Namen?“, fragte T.K. und runzelte finster die Stirn.

Myotismon überging die Frage. „Es gibt natürlich einen Grund, warum ich Patamon nicht gleich getötet habe. Ich lebe für den Kampf! Aber ich suche mir meine Gegner genau aus – denn ich bin ein Engelsmörder!“

Kari wich instinktiv einen Schritt zurück. „Ein Engelsmörder?“, wiederholte sie leise. Die Falte auf T.K.s Stirn vertiefte sich.

Myotismon breitete seine Arme aus. Seine Augen hatten einen fast an Wahnsinn grenzenden Glanz bekommen. „Engeldigimon sind wirklich etwas Besonderes! Sie sind so prachtvoll, so rein und gutartig, dass sie alles in den Schatten stellen, was man über Digimon gehört und gesehen hat! Und es ist eine Lust, wenn ich ihre schmalen, makellosen Körper zerbreche, wenn ich ihre reine, weiße Federpracht mit ihrem eigenen Blut beschmutze! Seit der Krieg ausgebrochen ist, habe ich mehr Engel getötet, als ihr euch vorstellen könnt!“ Myotismons Stimme war immer lauter geworden und ging in ein schrilles Lachen über, das abrupt endete. Das Vampirdigimon senkte den Kopf und eine Strähne seines blonden Haares fiel ihm ins Gesicht. „Wusstet ihr, dass selbst die Datenfragmente, in die sich Engeldigimon bei ihrem Tod auflösen, viel heller und schöner glänzen als normale?“

„Es ist genug, Myotismon!“, ertönte eine Stimme von oben. Die Blicke aller richteten sich auf MagnaAngemon, das ruhig und majestätisch hoch über der Ebene schwebte.

Angewomon schwebte an seine Seite. „Nie wieder sollst du unschuldige Digimon verletzen!“ Die beiden Engel strahlten wie eine zweite Morgensonne, ihr Licht war sogar noch greller, aber gleichzeitig so weich, dass es nicht in den Augen schmerzte. Sogar Myotismons Fledermäuse waren mit einem Mal verschwunden.

MagnaAngemons Schwert, das an seinem Handgelenk befestigt war, glühte violett auf. Das Digimon hob die Waffe und begann, einen Kreis in den Morgenhimmel zu zeichnen, um das Himmelstor zu öffnen.

„Oh nein, das lässt du schön bleiben!“, rief Myotismon und aus seiner Hand schoss einmal mehr eine rot blitzende Albtraumkralle, die sich um MagnaAngemons Arm schlang und ihn zur Seite riss. Der violette Halbkreis endete in einer schiefen Linie und erlosch.

„Angewomon!“, feuerte Kari ihr Digimon an. Angewomon legte bereits einen neuen Pfeil an – als plötzlich die Fledermäuse wiederkamen, von überall her, und dem weiblichen Digimon die Sicht nahmen. Der Himmelspfeil löste sich und bohrte sich knapp neben Myotismons Fuß in den Boden, als dieses sich kraftvoll abstieß. Von einer Wolke aus Fledermäusen getragen flog es auf die beiden Engeldigimon zu.

„Nicht so schnell – ich bin auch noch da!“ Ex-Veemon kam ihm mit geblähten Schwingen entgegen. Das X auf seiner Brust glühte feurig auf. „Vee-Laser!

„Du störst schon wieder!“, blaffe Myotismon und breitete seinerseits die Arme aus. Ein großer Schatten, der die Form seiner Maske hatte, fegte durch den Vee-Laser wie Wind durch Rauch und traf Ex-Veemon frontal. Das Drachendigimon brüllte auf, dann wurde seine Haut plötzlich grau, und es stürzte ab. Davis schrie seinen Namen und rannte dorthin, wo es am Boden aufschlagen würde. Kari erinnerte sich, dass Mimi einmal erzählt hatte, dass das Myotismon von damals auf die gleiche Weise Lilymon betäubt hatte.

„Nun zu euch!“ Myotismon hielt in seinem Flug nicht inne, während es MagnaAngemons Schwert immer noch mit seiner Albtraumkralle blockierte und Angewomon von einem schieren Schwall aus Fledermäusen von ihm fortgedrückt wurde. Als es dem männlichen Engeldigimon endlich gelang, die rote Peitsche zu zerschlagen, war Myotismon direkt über ihm.

„Im Nahkampf unterliegst du mir!“, rief MagnaAngemon mit seiner volltönenden, von den Felswänden im Tal widerhallenden Stimme und hob sein Schwert aus violettem Licht.

„Denkst du! Schattenschere!“, rief das Vampirdigimon und stürzte wie ein Raubvogel auf MagnaAngemon hernieder. In seinen Händen erschien eine riesige, messingfarbene Sense.

„Was?“, stieß MagnaAngemon ungläubig hervor und zögerte gerade eine Sekunde zu lang, zuzuschlagen. Myotismon schwang die Sense mit einem weit ausholenden Streich. Das Licht, das von MagnaAngemon ausging, wurde von einer finsteren Wolke wie von einem Tintenfleck befleckt, als die Sense quer durch seine Hüfte schnitt.

„MagnaAngemon!“, brüllte T.K. Kari schrie auf, Joe brachte keinen Ton heraus. Davis, der das reglose, graue Ex-Veemon mit Tränen an der Schulter rüttelte, sah erschrocken auf.

Myotismon segelte, von seinen Fledermäusen umgeben, wie in Zeitlupe wieder bodenwärts. MagnaAngemon schien für einen schrecklichen Moment seine Substanz zu verlieren und zu losen Daten zu werden, dann glühte sein Körper gelblich auf und es wurde wieder zu Patamon, das bewusstlos abstürzte.

„Und ein weiterer Engel für meine Sammlung!“, schrie Myotismon triumphierend.

Wie ein Blitz schoss Angewomon herab, das sich endlich von der Fledermauswolke gelöst hatte, legte im Flug einen neuen Pfeil auf Myotismon an und schoss – jedoch zu hastig und unpräzise. Auch dieser Pfeil verfehlte Myotismon um Haaresbreite, als es sich zur Seite warf – und im Gegenzug eine Albtraumkralle nach Angewomon schleuderte. Das Engeldigimon wich ebenfalls aus, musste dabei aber seinen Sturzflug abbremsen – und diesen Moment nutzte das Vampirdigimon, um direkt zwischen Kari, T.K. und Joe zu landen. Erschrocken wichen die drei auseinander. Wie ein Kreisel wirbelte Myotismon herum und brachte mit einem Schlag einer weiteren roten Peitschte auf Knöchelhöhe die DigiRitter zu Fall. Schnell wie ein Schatten glitt es dann hinter Kari, riss sie brutal in die Höhe und hielt ihr das gekrümmte Blatt der Sense an die Kehle. „Was hast du gesagt? Ich soll nie wieder unschuldige Digimon verletzen?“, schrie Myotismon Angewomon zu, das schneller als je zuvor auf ihn herabsauste. „Sieh zu, wie ich deinen Partner töte!

„Nein!“, schrie T.K, ließ alle Vorsicht fahren und stürzte auf Myotison zu. Wenn es sein musste, würde er mit bloßen Händen gegen es kämpfen! Alle Geräusche verstummten in seinen Ohren, selbst das rasch näher kommende Rauschen von Angewomons Flügeln, er hörte nur mehr sein eigenes Keuchen und seinen Herzschlag. Die Zeit zog sich wie Gummi zu einer Ewigkeit. Er sah in Karis geweitete Augen, sah das blanke Entsetzen, die nackte Panik, die Verwirrung darin, und es brach ihm das Herz. Noch ein Schritt, noch ein Schritt … Seine Turnschuhe rissen winzige Grashalme und Erdkügelchen aus dem Boden, als er mit weit ausgreifenden Schritten um Karis Leben rannte. Er sah alles so scharf wie noch nie, sah, wie Karis Kinn zitterte, sah, wie die Sonne sich im Sensenblatt spiegelte, sah, wie Myotismon die Muskeln in dem Arm anspannte, der die Sense hielt. T.K. schrie, ohne sich selbst zu hören. Angewomons Schatten erschien über ihm. Er streckte die Arme nach Kari aus …

Myotismon zog die Sense durch.

In einer geschwungenen Linie zeichnete das funkelnde Blatt einen roten Halbkreis. Blutstropfen wie Rubine sprenkelten das Gras. Der Vampir ließ es zu, dass Kari T.K. direkt in die Arme fiel.

Kariii!!

T.K. brach in die Knie. Karis Glieder waren ganz schlaff. Ihr Mund zuckte, als sie versuchte, zu atmen. Blut quoll aus der Schnittwunde an ihrer Kehle, so viel Blut … „Kari ... bitte …“ Tränen standen in T.K.s Augen. Kari war leichenblass geworden, dunkle Ringe wurden unter ihren glasigen Augen sichtbar.

Er bekam nicht mit, wie der Kampf weiterging, wie sich Angewomon auf Myotismon stürzte, auch nicht wie Davis heranstürmte, auch nicht Joe, der Kari mit zittrigen Händen anstarrte und nicht wusste, was er tun sollte. T.K. presste die Hände auf den Schnitt, aber das Blut quoll zwischen seinen Fingern hindurch.

„T…K…“, brachte Kari hervor, als der Schmerz ihr wieder gestattete zu sprechen, und sie hob die Hand, um T.K. an der Wange zu berühren. Ihre Augen waren mit Tränen gefüllt.

„Kari, halt durch! Kari!“, schrie T.K, dem die Tränen längst über die Wangen brannten.

„Ver…Versprich mir…“Als sie die Worte hervorpresste, lief Blut aus ihren Mundwinkeln. Ihre Augen verloren sich in seinen. „Pa … au …“

Er konnte sie nicht verstehen, wollte es auch gar nicht. „Kari, bleib bei mir! Bitte, Kari!“

„Ich … liebe … dich“, seufzte sie mit dem letzten Bisschen Luft, das ihre Lungen bekamen. Dann schloss sie die Augen, als würde sie einschlafen. Ihre Hand, die über seine Wange gestreichelt hatte, fiel schlaff zu Boden.

T.K.s Tränen endeten abrupt. Er konnte nicht mehr atmen, es schnürte ihm die Kehle zu. Fassungslos starrte er Kari an.

Sie war tot. Tot.

Tot!

Wounds

Ebene vor der Rauchenden Krone, DigiWelt

Montag, 7. August 2007

7:10 Uhr
 

Davis war nicht der Einzige, der laut aufschrie, als er sah, was mit Kari passierte. Angewomon, das im Flug gegen Myotismon prallte und es von den Füßen riss, wirbelte, halb in der Luft, herum. „Kari!“, schrie es verzweifelt.

T.K. begann hemmungslos zu schluchzen, küsste Kari auf die Lippen und drückte ihren leblosen Körper fest an sich, vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge und wurde wie von Krämpfen geschüttelt.

Das Licht von Karis DigiVice erlosch. Angewomon wandte sich Kari zu und streckte zitternd die Hand nach ihr aus. Licht hüllte das Digimon ein, als es die Digitation nicht mehr aufrechterhalten konnte.

„Zu einfach!“

Zwei Peitschen aus blutrotem Licht durchschlugen Angewomons Brustkorb von hinten. Das Digimon schrie auf und sackte in sich zusammen, nur die Albtraumkrallen hinderten es am Fallen. Seine Substanz flackerte unstet. Sein Mund öffnete und schloss sich. „Ka…ri … Das kann nicht sein …“ Eine Träne rann unter dem Helm des Digimons hervor und lief über seine Wange, zog eine schimmernde Spur nach sich. In einem glitzernden Datenwirbel barst Angewomons Gestalt auseinander. Die Fragmente flogen funkelnd und blitzend in den Himmel hinein.

„Und noch ein gefallener Engel!“ Myotismon lachte triumphierend auf. „Oh ja – das ist der Anblick, nach dem ich mich sehne!“

Joe stand neben Kari und T.K. Seine Hände zitterten wie die eines alten Manns. Er war der Sohn eines Arztes … Dennoch hatte er nichts tun können. Er hatte noch nicht einmal Gomamon, wie sollte er da überhaupt kämpfen …?

Als es ihre verzweifelten Gesichter sah, lachte Myotismon noch lauter und begann sogar, sich in abstrusen Tanzschritten zu bewegen. Und wie um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, begann es zu singen: „I’ve seen the end of the DigiWorld, you’ll bow before my might …

In Joes Kopf begann ein Gedanken zu klingeln – wie kam es, dass Myotismon ein englisches Lied sang? –, aber die Übermacht der pessimistischen und entsetzten Gefühle verdrängten den Gedankenfetzen.

Davis fiel Myotismons seltsames Verhalten gar nicht weiter auf. „Du Monster!“ Er ballte die Fäuste. Tränen liefen ihm übers Gesicht. „Das verzeih ich dir nie!“

Die funkelnden Datenreste von Angewomon schienen die Farbe zu ändern, als Ex-Veemon plötzlich wieder die Augen aufschlug. Seine graue Haut wurde von goldenem Licht überzogen, seine Gestalt schrumpfte, nur um gleich darauf wieder in einen größeren, schlanken Körper überzugehen. Goldene Rüstungsteile bedeckten das Digimon. Veemon war zu Magnamon digitiert und stürzte sich auf Myotismon, das erschrocken einen Satz zurück machte.

Magnastrahl!“ Die goldene Rüstung erstrahlte in hellem Licht, und ein gleichfarbiger Strahl stieß in Myotismons Richtung. Das Vampirdigimon riss mit einem Ruck die Augen auf. Hunderte Fledermäuse huschten zwischen ihren Herrn und die Attacke, aber sie wurden allesamt pulverisiert. Der Magnastrahl traf Myotismon frontal und das Digimon wurde, laut aufbrüllend, in ein Licht gehüllt, das selbst das der Sonne buchstäblich in den Schatten stellte. Als es verebbte, saß Myotismon hintenüber gebeugt im Gras, die Augen immer noch weit aufgerissen, eine Hand auf die Brust gepresst und nach Luft ringend.

„Das … Das ist doch …“, rief Joe aus, als er das Digimon genauer ansah.

Magnamons Attacke hatte weite Flächen von Myotismons Kleidung verbrannt. Die Fledermausmaske war zerfetzt und lag vor ihm im Gras, eine nässende Brandwunde zierte das blasse Gesicht. Das Cape war angesengt, der Anzug mit den polierten Knöpfen war fast verschwunden, darunter kamen merkwürdige, olivfarbene Platten zum Vorschein, die teilweise geschmolzen zu sein schienen und rauchten. Und den endgültigen Beweis, dass das Wesen vor ihnen kein echtes Digimon war, lieferte das DigiVice, das an seinem Gürtel befestigt und nun, ohne den Mantel, sichtbar war.

„Die Dunklen sind hier!“, schrie jemand, und lautes, gutturales Gebrüll erhob sich plötzlich vom Waldrand. Joe wagte es den Blick abzuwenden und sah, wie die Goblimon mit erhobenen Keulen auf den Kampfplatz zustürmten.

Das DigiVice des falschen Myotismons – ein Gerät, das fast wie das der ersten DigiRitter-Generation aussah, aber ein klein wenig länglicher war und ein nur fingernagelgroßes Display hatte – begann grün zu leuchten. Einmal mehr tauchten aus den Schatten in seinem nunmehr halb zerstörten Gewand Fledermäuse auf, senkten sich wie eine Wolke auf es und hoben es sanft, aber dennoch rasch in die Luft, bis es auf Höhe des Dachgiebels der Taverne schwebte. „Die Engel sind besiegt – Zeit zu verschwinden“, stellte es fest.

„Lass es nicht entkommen!“, schrie Davis außer sich. Seine Stimme überschlug sich. „Magnamon! Töte es!

„Davis, halt – das ist ein Mensch!“, rief Joe, aber Magnamon hatte bereits die Klappen in seiner Rüstung geöffnet und entließ ein halbes Dutzend Plasmatorpedos auf das falsche Myotismon, die eine sichtverschlingende Qualmwolke hinter sich her zogen.

Ein grüner Blitz zog über den Himmel wie eine Sternschnuppe und sauste in die Schusslinie der Torpedos, keine zwei Meter vor deren Ziel. Es krachte, als die Geschosse mit aller Macht explodierten, alles zerrissen und zerfetzten, was sich ihnen so dreist in den Weg gestellt hatte. Als sich der Qualm lichtete, schwebte dort, vier Meter über dem Boden, ein maschinenähnliches Digimon, das so schlimm zugerichtet war, dass man es kaum erkennen konnte. Auf den zweiten Blick identifizierte es Davis als ein Rapidmon, eines wie das, zu dem Willis‘ Terriermon damals digitiert war, allerdings war dieses hier nicht golden, sondern grün.

Der Mensch im Myotismon-Outfit war mit seinen Fledermäusen höher geflogen, während die Goblimon am Boden umherrannten und offenbar nicht wussten, wie sie ihn aufhalten sollten. „Ich habe nicht um Hilfe gebeten!“, schrie der Mensch und zerteilte Rapidmons Überreste mit einem einzigen Hieb seiner Albtraumkralle.

Magnamon schien seine rasch gewonnene Energie ebenso schnell wieder verloren zu haben, denn es sank zu Boden und digitierte zu DemiVeemon zurück, als auch Davis‘ Adrenalinstoß verebbte, so als hätte seine Wut auch auf das Digimon übergegriffen. Vielleicht war das ja auch der Fall gewesen. Das falsche Myotismon flog höher und höher und entzog sich bald ihren Blicken.

Davis hatte auch keine Kraft mehr, um gegen irgendjemanden zu kämpfen, auch wenn seine Kopfschmerzen wie weggeblasen waren. Schluckend drehte er sich um und ging auf Kari und T.K. zu.

„Joe“, murmelte T.K. soeben so leise und heiser, dass es kaum zu verstehen war. „Gibt es nichts, was wir für sie tun können?“

Joes Gesicht zeugte von seelischen Höllenqualen, als er sagte: „Sie ist tot, T.K.“

„Du hast meine Frage nicht beantwortet“, murmelte er leise und klang apathisch und auf irgendeine Weise kam er Joe wie ein störrisches Kind vor.

Der Ältere öffnete den Mund, stockte dann aber. Er legte T.K. eine Hand auf die Schulter. „Nein. Es gibt nichts.“ Dabei musste er selbst mit aller Macht gegen seine Tränen ankämpfen.

T.K.s Augen waren gerötet, aber sie waren nun trocken. Er wirkte plötzlich unnatürlich gefasst und ruhig. „Ich verstehe.“ Er hob Kari hoch, vorsichtig und langsam, als wäre sie eine zerbrechliche Puppe, einen Arm unter den Achseln, einen unter den Kniekehlen, und trug sie zurück zur Rauchenden Krone.

„T.K. …“, murmelte Joe, während Davis die Kehle zugeschnürt blieb. Der Ältere blieb, wo er war, Davis und DemiVeemon folgten T.K. schließlich. Patamon hatte sich mit angelegten Ohren im Gras zusammengekauert und seine Augen waren traurig.

T.K. trug Kari durch den leeren Schankraum in ihr Zimmer hoch, legte sie sanft auf ihr Bett und setzte sich auf die Bettkante. Er wirkte völlig abwesend, als wäre er nur eine unwichtige Gestalt in einem Traum, den jemand anders träumte und die verblassen würde, sobald er aufwachte.

Davis blieb in der Tür stehen und sah, wie T.K. lautlos die Lippen bewegte. Schließlich beugte er sich vor und küsste sie auf die Stirn. Dann fanden auch ihn die Tränen wieder und er weinte still mit zusammengekniffenen Augen vor sich hin, halb über Kari gebeugt. Seine Hand drückte die ihre fest. Es war das Traurigste, das Davis je gesehen hatte.

Auch ihm gingen tausende, abertausende Gedanken durch den Kopf, oder eher Gedankenfragmente, denn sie ergaben für sich allein keinen Sinn. Da waren verzweifelte Trauer, maßloses Entsetzen und grenzenloser Hass.

Hass auf sich selbst. Das letzte, was er Kari und T.K. gewünscht hatte, war … Es war gestern gewesen. Er hatte T.K. verwünscht. Hatte er ihn vielleicht sogar tot sehen wollen? Nein, tot bestimmt nicht … aber es wäre ihm wohl recht gewesen, wenn er verschwunden wären. Nun war Kari tot. Und er hatte sie nicht beschützen können. Veemon hatte sie nicht beschützen können, und auch nicht Joe und auch nicht …

Davis ballte die Fäuste. Tränen, heiße, zornige Tränen brannten in seinen Augen. T.K! Es wäre seine Aufgabe gewesen! Und dabei behauptete er, er würde Kari lieben – und doch hatte er sie nicht gerettet! Und nun beugte er sich wieder über Kari, gestand ihrem leblosen Körper flüsternd seine Liebe … Es machte ihn rasend. Der vernünftig denkende Teil von Davis‘ Bewusstsein wusste, dass er seinem Freund Unrecht tat, aber er konnte sich nur mit Mühe beherrschen. Trotzdem, hätte es nicht diese Stimme der Vernunft in ihm gegeben, er hätte das Zimmer betreten und T.K. ins Gesicht geschlagen.

So drehte er sich nur schweigsam um und schloss die Tür hinter sich. So wie gestern. Wie damals, als sich sein Herz nach Kari verzehrt und er T.K. um sein Glück beneidet und dafür verabscheut hatte.

Wie damals, als die Welt noch in Ordnung gewesen war.
 

Die Goblimon waren in verschiedene Richtungen ausgeschwärmt, aber allesamt nicht weit gelaufen. Nach kaum zwei Minuten kehrten sie zurück. „Er ist entwischt“, grummelte eines.

„Wir konnten nichts tun, er konnte fliegen“, grunzte ein anderes. „Aber …“

Sie drehten sich simultan zu Joe um. „Da ist ja noch ein Menschling.“ Drei der Goblimon traten mit erhobenen Keulen auf ihn zu.

Joe wich mit abwehrend erhobenen Händen zurück. Er wollte eigentlich nicht mit ihnen reden, er musste erst seine Gedanken ordnen, die seinen Kopf zu sprengen schienen. Seine Stimme zitterte, als er sagte: „Wir haben gegen ihn gekämpft. Ja, wir sind Menschen, aber wir haben die gleichen Feinde, so wie es aussieht.“

Von Veemon wusste er, dass die Goblimon ziemlich feige und faul waren. Sie sahen sich kurz an, berieten sich, dann sagte eines von ihnen: „Na gut, wir werden dich und deine Freunde verschonen. Aber wir nehmen euch gefangen und müssen euch verhören.“

Joe nickte. Was immer sie wollten. Es war nicht so, als hörte es sich bedrohlich an, eher trotzig. Und vielleicht konnten sie auch ihm einige Fragen beantworten. Sein Blick fiel auf die Blutstropfen, die den Boden zierten, und er schauderte. Er fühlte sich so elend wie noch nie zuvor in seinem Leben. Er war absolut keine Hilfe gewesen … Ein eisiger Schauer rieselte ihm über den Rücken. Tai hatte ihm die Anführerrolle gegeben … und er hatte zugelassen, dass seine Schwester … Tai würde ihm das nie verzeihen.

Er selbst würde es sich nie verzeihen.
 

Mobile Festung des DigimonKaisers, DigiWelt

Montag, 7. August 2007

7:40 Uhr
 

Mit letzter Kraft landete er auf der oberen Kante des schwebenden Felsens, den der DigimonKaiser einst als Festung verwendet hatte. Die Fledermäuse behielten nur Sekunden länger ihre digitale Substanz bei, dann lösten sie sich in Daten auf. Das DigiVice an seinem Gürtel leuchtete nun nicht mehr grün, sondern orangerot.

Kentarou hatte ihn bereits erwartet. Er stand am obersten Deck des gewaltigen schwebenden Felsens und blinzelte gegen die Sonne an; er war das grelle Licht ganz und gar nicht gewohnt. Und es war auch ein ganz und gar ungewöhnlicher Anblick, dass er ohne einen Laptop oder irgendein elektronisches Gerät aus der Menschen- oder DigiWelt zu sehen war. Lässig rückte er seine Brille zurecht. „Auch schon da, Aki?“

Aki rollte sich schwer atmend über den Boden. „Das war knapp“, seufzte er. „Die Power war … fast alle. Aber glaub nicht … ich würde mich bedanken. Auf deine Hilfe hätte ich getrost verzichten können.“

Kentarou runzelte ärgerlich die Stirn. „Sei froh, dass ich herausgefunden habe, wo du steckst. Und wenn ich dich so ansehe, bin ich mir fast sicher, dass ich das Rapidmon gerade im rechten Moment geschickt hab. Du solltest verdammt nochmal damit aufhören, an vorderster Front gegen Digimon zu kämpfen. Irgendwann bringst du dich um“, meinte er trocken.

Aki machte ein abfälliges Geräusch und warf sein blondes Haar zurück. Er würde es bald schneiden müssen, fiel ihm auf, sonst würde die Effektivität seiner Verkleidung am Ende darunter leiden. Dann begann er mit spitzen Fingern vorsichtig die ramponierten Kevlarplatten zu lösen, die seinen Rumpf geschützt hatten. Auf dem Hemd darunter hatte sich ein großer Blutfleck ausgebreitet. „Nur, weil ich nicht so ein Feigling bin wie ihr drei?“, sagte er großspurig, verzog aber das Gesicht.

„Und überhaupt, weißt du, wie schwierig es war, das Rapidmon unter meine Kontrolle zu kriegen?“, setzte Kentarou vorwurfsvoll nach. „Es gibt einen gewissen Unterschied zwischen Maschinen- und Androidendigimon.“

Aki winkte ab, hustete und spuckte Blut aus. „Halt die Klappe und hol lieber Babamon – und ein paar starke Schmerzmittel. Ich glaube, ich hab mir ein paar innere Verletzungen zugezogen. Scheiße, waren die taff!“

Kentarou zog nur vielsagend die Augenbrauen hoch. Als Aki sich wieder zu Boden sinken ließ und sich gegen eine Erhebung im Felsen lehnte, fragte er: „Du stirbst mir hier aber nicht weg, oder?“

Aki hatte die Augen geschlossen, lächelte aber. „Wenn du Ansatsu siehst“, sagte er, „richte ihm von mir was aus. Binde ihm auf die Nase, dass ich unbeabsichtigt erfolgreicher war als er. Ich habe eine von ihnen getötet.“
 

==============================
 

Ich hoffe, es ist mir jetzt wieder mal eine Überraschung gelungen - und dass der Kampf Aki/Myotismon gegen die Digimon trotzdem halbwegs realistisch war.

Was ist noch zu sagen? Es freut mich natürlich, dass das letzte Kapitel die Wogen so hat hochgehen lassen, ich nehm das als Kompliment ;)

Das nächste Kapitel hält wieder ein Wiedersehen bereit - der Titel wird "Triumvirator" sein.

Triumvirator

Wälder, DigiWelt

Montag, 7. August 2007

7:59 Uhr
 

„Lauft!“, schrie Tai.

„Das musst du uns nicht erst sagen!“, gab Matt zurück.

Ihre Beine flogen wie von selbst über den Waldboden. Tückische Wurzeln lauerten auf sie, doch wie durch ein Wunder stolperten sie nicht. Hinter ihnen gewann das Monochromon immer mehr an Schwung. Wie eine außer Kontrolle geratene Dampfwalze raste das Dinosaurierdigimon über den Boden, die Erde bebte bei jedem seiner Schritte. Kleine Bäume und Sträucher riss es einfach mit seinem scharfen Horn aus.

„Wieso greift es uns überhaupt an?“, rief Mimi, völlig außer Atem. Ihre Augen tränten.

„Weil wir Menschen sind! Und die Digimon haben in der Zwischenzeit gelernt, Menschen als Feinde anzusehen“, keuchte Izzy, dessen Kondition von ihnen allen am schwächsten war.

„Palmon, kannst du nicht etwas tun?“

„Würde ich ja gerne, aber ich habe Hunger!“ Seit sie in der DigiWelt waren, hatten sie um alle Dörfer und Digimon im Allgemeinen einen Bogen machen müssen und hier im Wald kaum etwas zu essen gefunden. Mehr als einmal hatten sie es bereut, auf dem Weg zu Fumiko nicht doch kurz Halt gemacht zu haben, um Proviant zu kaufen.

„Verdammt, Agumon, kannst du nicht wenigstens zu Greymon digitieren?“, jaulte Tai.

„Es tut mir leid, Tai“, hechelte Agumon, und wären die DigiRitter nicht gerade so mit ihrer Flucht beschäftigt und würden nicht Äste und trockene Blätter unter ihren Füßen bersten, hätten sie wohl seinen Magen knurren gehört. Plötzlich tauchte vor ihnen noch ein Digimon auf, ein brennender Mann, wie es aussah.

„Runter!“, Sora packte reflexartig Tais Hinterkopf und drückte ihn zu Boden. Auch die anderen legten sich flach hin, als das Meramon mit einer Hand ausholte.

Brennende Faust!

Tai spürte die sengende Hitze über seine Haut kriechen, als ein Feuerball über sie hinwegflog und das Monochromon direkt in sein geöffnetes Maul traf. Der Dinosaurier röhrte auf, schüttelte sich wie ein von Flöhen geplagter Hund, rannte ziellos gegen die Bäume in seiner Nähe und versuchte das schmerzende Brennen loszuwerden, dann machte es kehrt und entfernte sich brüllend.

„Ist alles in Ordnung, DigiRitter?“, fragte das Meramon.

Tai wagte es, den Blick zu heben. „Du … du greifst uns nicht an?“

Das Meramon fauchte, als wollte es lachen. „Ihr enttäuscht mich. Ich weiß schon, dass wir Meramon alle gleich aussehen, aber ich hätte doch gedacht, dass ihr euren alten Freund von der File-Insel wiedererkennt.“

Du bist das!“, rief Mimi erfreut. Nach und nach erhoben sich die DigiRitter und klopften sich die Erde von ihren Kleidern.

„Wo kommst du her, Meramon?“, fragte Tai.

Meramon deutete in eine Richtung. „Ich gehöre mittlerweile zur DigiAllianz. Ihr hattet Glück, dass ich heute Spähdienst hatte. Unser Lager ist gleich dort drüben. Ihr werdet dort noch einige Bekannte treffen.“

Meramon eskortierte sie in ein mit Bambuspalisaden befestigtes Heerlager. Hunderte, nein, tausende Digimon mussten sich darin aufhalten, die sie fast alle ausnahmslos misstrauisch und feindselig anstarrten.

„Hier vorne, erinnert ihr euch?“, fragte Meramon und wies auf eine Gruppe Digimon, die um ein paar Blätter mit Beeren und Fleischbrocken saßen.

„Das ist ja Frigimon!“, rief Tai erfreut. Das Schneemanndigimon hatte er schon immer besonders gemocht.

„Freut mich, euch zu sehen“, erwiderte es. „Wenn ich ehrlich bin, hatte ich nicht erwartet, euch je wieder zu treffen.“

„Unkraut vergeht nicht“, meinte Tai grinsend.

„Ogremon, du bist auch hier?“, fragte Mimi überrascht, als sie das grünhäutige Digimon Frigimon gegenüber sitzen sah, weit genug weg, damit der Hauch der Kälte, den das Schneedigimon verströmte, es nicht erreichte.

Ogremon schien verlegen zu sein, denn es kratzte sich am Hinterkopf. „Tja … fragt besser nicht.“

„Das einzige Ogremon in den Reihen der DigiAllianz“, bekräftigte Meramon. „Und unbezahlbar bei Spionagediensten bei den Scherben.“

„Jetzt hör schon auf, verflucht noch eins.“ Ogremon stand auf und trat auf die DigiRitter zu. „Nanu? Ihr habt euch ja ziemlich verändert. Ihr seht nicht mehr so mickrig aus wie früher.“ Es lachte brüllend. „Und was sehe ich da, die DigiRitter haben sich auch zwei Knappen genommen?“

„Wir sind keine Knappen!“, protestierte Yolei.

Mimi grinste breit. „Du hast dich dafür gar nicht verändert, Orgemon.“ Das Oger-Digimon lachte nur noch lauter.

„Sag mal, ihr kennt dieses Digimon?“, flüsterte Yolei Mimi zu.

„Ja, aber keine Sorge. Es sieht vielleicht ziemlich grob aus, aber irgendwo tief unten hat es ein gutes Herz.“

„Ha! Das soll wohl ein Witz sein!“ Ogremon wackelte erbost mit seiner Knochenkeule. „Mein Herz ist so schwarz wie Kohle!“

„Weswegen du ja auch bei der DigiAllianz bist, anstatt bei den Scherben“, versetzte Meramon. Sie alle lachten, nur Ogremon setzte sich beleidigt und verschränkte schmollend die Arme.

„Meramon, es tut unglaublich gut, euch wiederzusehen“, sagte Tai dann, „aber wir müssen dringend unsere Digimonpartner finden. Ihr habt nicht zufällig Gabumon und die anderen irgendwo gesehen? Hier im Lager sind sie nicht, oder?“

Meramon überlegte. Die Flammen in seinem Gesicht flackerten, als es sich am Kinn kratzte. „Ich weiß, dass ein Veemon, das mir mal erzählt hat, es würde euch kennen, sich vor etwa einer Woche einem Stoßtrupp von uns angeschlossen hat, der nach Süden gezogen ist. Die meisten anderen eurer Partner habe ich lange nicht gesehen, aber damals waren sie noch bei den Partisanen, in den Ausläufern des Bluray-Gebirges. Ich kann euch hinbringen, wenn ihr wollt.“
 

So kam es, dass Meramon die DigiRitter, nachdem sie sich an dem kargen Soldatenmahl hatten stärken dürfen, nach Osten führte. Es wurde Abend, als sie die Ausläufer des mächtigen Gebirgszugs erreichten. Meramon führte sie in eine schmale Schlucht, als eine Stimme ertönte. „Wer seid ihr?“

Die DigiRitter sahen sich alarmiert um, aber wer auch immer gerufen hatte, hatte sich gut versteckt.

„Meramon von der DigiAllianz!“, rief Meramon zurück. „Und die DigiRitter, die vor acht Jahren unsere Welt gerettet haben und jetzt ihre Partner suchen.“

Kurze Zeit war es still, dann sagte jemand: „Ihr könnt passieren.“

Als sie den schmalen Grat zwischen den Felsklippen weitergingen, fragte Matt: „Was sind diese Partisane?“

„Eine neutrale Digimon-Gruppierung“, erklärte Meramon. „Eure Partner haben sie gegründet, als wir gegen die Dunklen ins Feld gezogen sind. Sie wollten ebenso die Albtraumsoldaten, die Scherben, bekämpfen, aber keine Menschen. Es sind nicht viele und sie sind nicht sehr stark, also halten sie sich hier versteckt. Manchmal überfallen sie die Nachschublieferungen der Scherben oder lassen uns Informationen über ihre Truppenbewegungen zukommen, die sie ausspioniert haben.“

Der Weg wurde steiniger und beschwerlicher und die DigiRitter sahen nun einige Ninjamon, die sie unter felsfarbenen Planen misstrauisch ansahen. Cody griff nach dem Katana in seinem Gürtel, als er sich an die Ninjamon im Krankenhaus erinnerte, aber diese hier taten nichts, außer ihnen nachzusehen.

Nach kurzer Zeit erreichten sie eine Höhle, die ebenfalls von zwei Ninjamon bewacht wurde. Meramon erklärte sich erneut und führte sie dann durch den niedrigen Stollen, in dem sie sich bücken mussten, um sich nicht die Köpfe zu stoßen. Meramon fungierte dabei praktischerweise als lebende Fackel.

Sie erreichten eine niedrige Höhle, in der mehrere Feuer brannten. Und dort waren sie. Gabumon, Piyomon, Tentomon, Gomamon, Armadillomon und Hawkmon saßen um eines der Feuer und waren eben mit Essen beschäftigt. Piyomon bemerkte sie als erstes. „Träume ich?“, rief es, dann erfreut: „Das ist Sora!“

„Was?“

„Wo?“

Die Digimon sprangen auf und wirbelten herum. Unter lautem Lachen und Gejubel fielen sich DigiRitter und Digimon in die Arme. Mimi und Palmon und Tai und Agumon standen lächelnd daneben, als sie Erlebnisse austauschten und die Digimon staunten, wie sehr sich ihre Partner inzwischen verändert hatten. Speziell Cody und Armadillomon schienen nicht zu wissen, was sie sagen sollten.

„Du liebe Güte, Izzy! Was ist denn mit dir passiert?“ Tentomons Insektenfuß zitterte, als es erschrocken auf Izzys Gesicht deutete. Die Schnitte, die Ansatsu ihm beigebracht hatte, waren verschorft und die drei dunkelroten Linien, die sich schräg über sein Gesicht zogen, leuchteten fast im Licht des Lagerfeuers.

„Ist eine lange Geschichte. Es sieht schlimmer aus, als es ist, in Anbetracht der Umstände.“

„Wo ist Joe? Ist er nicht mitgekommen?“, fragte Gomamon. Das stets so gut gelaunte Digimon schien enttäuscht.

Während Agumon den anderen Digimon erzählen musste, was es die ganze Zeit über getrieben hatte, erklärte Tai: „Joe ist bei Kari, T.K. und Davis. Sie sind ein paar Tage früher gekommen als wir. Wir sollten sie als nächstes suchen gehen.“ Seit sie in der DigiWelt waren, schwiegen ihre DigiVices. Die roten Punkte, die die Nähe zu anderen DigiRittern markierten, tauchten nicht auf den Displays auf. Das würde die Suche erheblich erschweren.

Gomamon schien ein wenig beruhigt. Wahrscheinlich hatte es angenommen, ihm sei etwas zugestoßen.

„Ich find’s herrlich, dass ihr wieder da seid!“ Gabumon hatte glücklich die Augen geschlossen und offenbarte mit seinen scharfen Zähnen ein unheimliches Grinsen. „Jetzt können wir endlich wieder digitieren. Ohne euch waren wir nur schwache Rookie-Digimon und konnten nichts tun als uns hier zu verstecken und ab und zu Vorratskarawanen der Scherben zu überfallen.“

„Hier ist einiges passiert, nicht wahr?“, murmelte Matt. „Euch geht es auch wirklich gut?“

„Jetzt, wo ihr wieder hier seid, wird alles gut“, sagte Piyomon überzeugt, das sich in einer engen Umarmung von Sora befand.

„Da fällt mir etwas ein“, sagte Matt, an Meramon gewandt. „Du hast vorher gesagt, das hier wäre das Bluray-Gebirge?“

Meramon nickte. „Ja. Die Scherben kommen von hier irgendwo. Das vermuten wir zumindest; wenn ihre Armeen angeschlagen sind, ziehen sie sich immer wieder in die Berge zurück, aber unsere Späher sind bisher noch nie von dort zurückgekehrt.“

Izzy sah Tai vielsagend an. „Jagari hat gesagt, die Dunklen hätten hier in diesem Gebirge ihre Basis.“

„Da seid ihr nicht mehr auf dem neuesten Stand“, brummte Meramon. „Sie hielten sich ganz am Anfang des DigiKrieges in der Finsterzitadelle auf, einem Stützpunkt der ehemaligen Macht der Dunkelheit. Aber dann kamen die Scherben und haben sie von dort vertrieben. Jetzt haben die DigiRitter die Fliegende Festung reaktiviert, in der einst der DigimonKaiser gehaust hat, und starten ihre Aktionen von dort.“

„Na toll.“ Tai stöhnte auf. „In dem Ding sind sie unmöglich zu finden!“

„Lass den Kopf nicht hängen“, meinte Agumon und tätschelte ihm mit seinen Krallenpranken den Arm, was etwas seltsam aussah. „Es ist doch schon ein Anfang, dass wir uns gefunden haben.“

Tai sah ihn abfällig an. „Du bist leicht zu begeistern“, stellte er nüchtern fest.

„Was hast du, Izzy?“, fragte Sora. Der Rotschopf war plötzlich nachdenklich und kratzte sich am Kinn.

„Nichts …“, murmelte er. „Glaube ich. Wisst ihr noch genau, was Jagaris Worte waren?“

„Dass Taneo die Dunklen gegründet hat und die DigiWelt verwüstet?“, fragte Tai.

„Den genauen Wortlaut, meine ich“, erklärte Izzy und starrte in Gedanken versunken ins Feuer. „Wenn ich mich recht erinnere hat er etwas gesagt wie Taneo hat die Scherben befreit. Das macht doch keinen Sinn! Die Scherben haben ihn schließlich bekämpft!“

Tai überlegte ebenfalls, aber nur kurz. „Du machst dir zu viele Gedanken“, meinte er. „So oder so, sowohl Taneo und die Dunklen als auch die Scherben der Albtraumsoldaten sind unsere Feinde. So einfach ist das.“ Er sah in die Runde und holte sich von jedem ein bestätigendes Nicken. „Lasst uns als nächstes Kari und die anderen suchen, dann können wir entscheiden, was wir tun.“
 

Zur Rauchenden Krone, DigiWelt

Sonntag, 6. August 2007

11:10 Uhr
 

„Und ich glaube dir trotzdem nicht!“ Das Goblimon, das die Rolle des Sprechers übernommen hatte, überschlug die Beine auf dem Tisch und verschränkte die Arme.

Joe war zu müde und aufgewühlt, um irgendetwas zu sagen. Sie waren in der Gaststube der Taverne, die die Goblimon kurzerhand von Deramon beschlagnahmt hatten, wie sie es ausgedrückt hatten. Joe hatte zuerst gar nichts gesagt, er wollte nur allein sein mit seinen Gedanken und seiner Trauer. Er hatte nicht erwartet, dass die grünhäutigen Digimon einen Funken Mitgefühl besaßen, und das taten sie auch nicht, aber scheinbar wussten sie nicht, wie sie mit seinem Schweigen umgehen sollten, denn sie hatten ihn in Ruhe gelassen. Nach einer Weile war Davis in die Gaststube gekommen, hatte sich in der finstersten Ecke des Raumes auf einen Schemel gesetzt und die Hand nach einem halb leeren Bierkrug ausgestreckt, ihn dann aber mit angewidertem Mienenspiel stehen lassen. Veemon hatte sich zu ihm gesetzt und war von dem Goblimon, mit dem es gestern geredet hatte, zornig angemotzt worden. Stumm hatte Veemon dem Digimon die Faust gegen die Backe gedonnert und die anderen so finster angesehen, dass sie nicht wagten, es anzugreifen.

Irgendwann hatte das Schweigen dem Goblimon-Anführer dann doch zu lange gedauert. „Du sagst, ihr wärt keine Dunklen? Was seid ihr dann? Wenn ihr Feinde seid, töten wir euch.“

Also hatte Joe ihm wortkarg erklärt, dass sie Menschen waren, die mit Digimon verbündet waren – dass sie schon einmal gegen die Albtraumsoldaten gekämpft hatten, hatte er verschwiegen –, und dass sie in diese Welt gekommen waren, um die Dunklen zu bekämpfen.

Weil das Goblimon, egal, was er sagte, misstrauisch blieb, gab Joe schließlich auf und stellte seine eigenen Fragen. „Ihr habt schon mal mit den Dunklen zu tun gehabt? Diesen einen, der vorhin hier war – kennt ihr ihn?“

Das Goblimon brummte und schien einen Moment die Antwort verweigern zu wollen. „Er ist einer der Menschlinge, die nur Ärger machen“, knurrte es schließlich. „Er hat nicht viel mit uns zu schaffen, weil man sagt, dass er lieber Engeldigimon tötet. Allerdings hat er, als unsere Hauptstreitmacht damals ihr Versteck erobert hat, mit seinen widerlichen Freunden unseren alten General Myotismon getötet. Das dürfte ihm gefallen haben, denn seitdem hat man ihn nur noch in so einer Fledermauskluft gesehen.“

Joe nickte apathisch. Wenn sie diese Information früher gehabt hätten …

Hätte es auch nichts geändert, wies er sich zurecht. Er warf Davis einen Blick zu. Wie sollte es jetzt weitergehen?
 

Menhirfeld, DigiWelt

Sonntag, 6. August 2007

12:00 Uhr
 

„Warum hast du mich herbestellt, Mensch?“ LadyDevimon spuckte das letzte Wort wie Gift aus.

Taneo schritt gemächlich zwischen den Felsen hindurch auf das schwarzgekleidete Digimon zu. „Nur die Ruhe, Digimon“, gab er im gleichen Tonfall zurück. „Sieh es als Verhandlungen an. Oder Informationsaustausch, wie du willst.“ Er blieb drei Schritte vor LadyDevimon stehen und blies sich eine braune Locke aus dem Gesicht.

LadyDevimon gab ein abfälliges Geräusch von sich und funkelte ihn aus blutroten, geschlitzten Augen an. Schwere Wolken verzogen den Himmel, ansonsten wäre es vielleicht gar nicht erst hergekommen. „Also, was willst du? Ich lasse mich nicht wie einen Hund herumpfeifen, auch unter der weißen Fahne nicht!“

„Und dennoch bist du hier.“ Taneo lächelte. „Aber ich will es kurz machen: Wie weit seid ihr bei der Suche nach eurem Meister?“

LadyDevimons Mundwinkel zuckten. „Warum sollte ich dir überhaupt irgendeine Antwort geben, Mensch?“

„Immerhin sitzt du im Triumvirat der Scherben“, erklärte Taneo und lächelte erneut, während er einladend die Arme ausbreitete. „Wenn es einer weiß, dann wohl du. Und ich habe großes Interesse an eurem Fortschritt. Weißt du, wenn ihr nicht mehr so gut vorankommt, könnte es sein, dass ich mich dazu entschließe, euch endgültig zu vernichten.“

„Die Frage ist, wer hier wen vernichtet“, gab LadyDevimon giftig zurück. „Was kümmert es dich? Wenn wir unseren Meister wiedererwecken können, hast du für immer ausgespielt, Dunkler!“

„Vergiss nicht, dass ich es war, der die Macht der Dunkelheit wieder einigermaßen zusammengesetzt und euch zu einer Armee versammelt hat. Hast du dich nie gefragt, wieso?“

„Was in euren Menschenköpfen vorgeht, interessiert mich nicht“, blaffte LadyDevimon.

„Kennst du das Spiel Basketball?“, fragte Taneo unvermittelt.

LadyDevimon kniff erneut die Augen zusammen, ehe es antwortete. „Nie gehört.“

„Das ist ein Spiel, das wir in der Menschenwelt spielen. Zwei Mannschaften spielen gegeneinander, jede von ihnen hat einen Korb, und es gibt einen einzigen Ball. Um zu gewinnen, müssen die Spieler den Ball in den gegnerischen Korb werfen.“ Taneo neigte den Kopf und sprach mit einer zuckersüßen Stimme, als würde er die Regeln einem Kind erklären. „Aber es gibt auch andere Versionen des Spiels. Auf der Straße oder auf manchen Sportplätzen gibt es nur oft einen einzigen Korb. Und in den versucht dann jedes Team, den Ball zu bekommen.“

„Worauf willst du hinaus?“, fragte LadyDevimon desinteressiert.

„In einem solchen Spiel gibt es zwei Möglichkeiten, den entscheidenden Punkt zu machen: Entweder kämpft sich das Team an allen Gegnern vorbei, bis es den Korb erreicht hat und mit Sicherheit trifft. Oder“, Taneo hob einen Zeigefinger und seine Stimmlage veränderte sich, „man wartet in Ruhe ab, bis das gegnerische Team den Ball fast am Korb hat, dann nimmt man ihnen den Ball ab und wirft selbst. So in etwa verhält es sich mit unseren beiden Fraktionen, LadyDevimon. Kannst du mir folgen oder ist der Vergleich zu hoch für dich?“

„Deine Hochmut kennt keine Grenzen, DigiRitter“, zischte das Digimon und bleckte die spitzen Vampirzähne. „Ich sollte dich auf der Stelle töten!“

„Ich habe mich hier mit dir unter dem Schutz der weißen Flagge getroffen, das war vereinbart. Wir reden nur“, antwortete Taneo ruhig. „Also sag mir bitte, was ich wissen will. Wie weit seid ihr bei eurer Suche vorangekommen?“ Er wandte LadyDevimon den Rücken zu und sah auf die von seltsam regelmäßig geformten Felsen gesäumte Ebene hinaus. „Da ich euch zusammengeführt habe, muss ich schon überprüfen, ob ihr noch das tut, was ich von euch erwarte. Sonst muss ich mich eurer entledigen, so leid es mir tut.“

Die Dämonenfrau ließ ein Fauchen hören und danach ein Kichern. Er hörte ihre Schritte näherkommen, drehte sich aber nicht um. Sie schlang sanft die Arme um seinen Oberkörper und fuhr ihm mit einer zärtlichen Geste durchs Haar. „Du hast mehr Mut, als dir vielleicht guttut, mein Kleiner“, flüsterte sie ihm ins Ohr. Taneo spürte ihre Brüste gegen seinen Rücken drücken. Seine Haut kribbelte. Sie war wie ein Sukkubus, wollte ihn verführen, bereit, ihr Opfer jede Minute zu verschlingen. „Alleine hierher zu kommen, persönlich, als Anführer der Dunklen, und das nur um mich zu treffen …“ Sie ließ den Satz nachdenklich klingen und endete ihn in einem tonlosen Hauchen in sein Ohr.

Taneo musste grinsen. „Du misst dir aber sehr viel Bedeutung bei, dafür, dass du nur eine dahergelaufene, hässliche Schlampe aus einer dahergelaufenen, verfallenen Armee bist. Eine Schlampe auf dem Ultra-Level vielleicht, die in einem Triumvirat, mit Wein betrunken, niedere Digimon herumscheucht, aber trotzdem nur eine Schlampe.“

Das Fauchen tat in seinem Ohr weh. Er spürte, wie sie sich anspannte. Eine Hand löste sich von ihm, die andere krallte sich schmerzhaft in seine Haut, um ihn am Fortlaufen zu hindern. „Ich habe mir genug angehört! Dunkler Speer!“, zischte LadyDevimon. Taneo musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass sich die rechte Hand des Digimons in einen tödlichen, schwarz glänzenden Stachel verwandelte. „Es war dumm von dir, anzunehmen, dass sich eine Albtraumsoldatin an die weiße Flagge halten würde“, flüsterte es belustigt. „Irgendwelche letzten Worte?“

Taneo kicherte verhalten. „Und wer hat sagt, dass ich mich daran halten würde?“

Die Luft um sie herum flimmerte kurz und dann spürte Taneo den Stoß, der durch LadyDevimons Körper ging. Ein brennender Schmerz flammte zwischen seinen Schulterblättern auf. Die Umklammerung des Digimons lockerte sich. Er riss sich los und drehte sich um.

Hinter LadyDevimon ragte eine Gestalt auf, genauso in schwarze Kleidung gehüllt wie sie. Ein violetter Stachel ragte zwei Fingerbreit aus der Brust des Digimons. Ansatsu hatte das richtige Timing erwischt. Taneo war sich nicht sicher gewesen; die Fähigkeit von Fumikos dämlichem Digimon war ihm noch nie geheuer gewesen. Jetzt, da er sah, wie die schwarze Frau scharf die Luft einsog und Blut über ihre Lippen quoll, lächelte er. Das Digimon biss die Zähne zusammen und fluchte. „Ich sollte dich … langsam und qualvoll … ausweiden … Mensch!“, keuchte es.

„Ansatsu, ich mag ihre Stimme nicht“, erklärte Taneo sachlich.

Ansatsus DigiVice erglühte. LadyDevimon schrie auf, als sich zu dem Stachel noch die drei scharfen Krallen des Dunklen gesellten und sich tief in sein Fleisch gruben. Das Digimon versuchte mit einem Schritt nach vorn den Messern zu entkommen. Digitales Blut tropfte zu Boden. „Ihr … kriegt mich nicht …“ LadyDevimons Stimme war zitternd und unstet. „Mit solchen läppischen Attacken … Dunkelhei–

Schwarze Planetenkraft!

LadyDevimon erstarrte, als es Ansatsus Stimme hörte. Seine Augen weiteten sich. „Nein“, keuchte es.

Ein roter Energieball flammte in Ansatsus Hand auf, die er in LadyDevimons Rücken versenkt hatte. Einen Sekundenbruchteil später wurde das Digimon in einen Schwall aus Datenfragmenten zerfetzt und der Dunkle stand mit ausgestreckter Hand allein da.

Taneo nickte ihm zu. „Schade eigentlich.“

„Hattest du wirklich vor, sie nach dem Stand der Dinge zu fragen?“

Der Dunkle DigiRitter lächelte. Es sah beinahe unschuldig aus. „Einen Versuch war’s wert. Aber so haben wir wenigstens einen Feind weniger. Hol dir ihren Dunklen Speer, ich glaube, den könntest du ganz gut in deinem Waffenarsenal brauchen. Dann bring mich zur Festung zurück.“

Ansatsu nickte und zückte sein DigiVice. Taneo sah zu, wie einige der Datenfragmente zurückkehrten und durch eine Schnittstelle in das Gerät flogen.
 

===============================
 

Kann man Taneos Pläne eigentlich schon erahnen? Das würde mich interessieren^^
 

Da meine letzten Kapitel ja ein wenig für Wirbel gesorgt haben, will ich auch noch etwas dazu sagen^^ Den Verlauf der Story habe ich nach Stunden und Tagen des Hirnzermarterns bereits festgelegt und ich werde ihn, bis auf Kleinigkeiten vielleicht, nicht mehr abändern. Dass Kari gestorben ist, ist ein Schlüsselmoment ebendieser Story und zwar nicht etwa deshalb, weil ich sie aus dem Weg haben wollte oder ich sie nicht leiden kann (im Gegenteil), sondern weil ich euch eine außergewöhnliche FF bieten will, eine spannende Action-Darkfic, und ihr könnt euch sicher vorstellen, dass der Tod von Kari (und zwar wirklich ihrer und nicht der von jemand anderem) eine einmalige Dynamik in der Handlung erzeugen kann, die im Original-Digimon nie vorhanden war und auch nie vorkommen wird.

Lange Rede, kurzer Sinn (und diesmal ohne Euphorie): Die Handlung ist bereits in Stein gemeißelt und ich lasse mich dahingehend nicht beeinflussen ;) Es wird allerdings noch so einige Überraschungen und Plot-Twists geben, auf die ihr euch freuen könnt. Falls jemand diese Storyline überhaupt nicht mit sich vereinbaren kann, fände ich das zwar schade, aber ich kann und will niemanden zwingen, weiterzulesen.
 

Nachdem ich das mal von der Seele habe, wünsche ich euch allen frohe und erholsame Weihnachtsfeiertage :)

Calamity

Unter dem Stützpunkt der Bluray-Partisane, DigiWelt

Sonntag, 6. August 2007

12:29 Uhr
 

„Und was genau ist es jetzt, was ihr uns zeigen wollt?“, fragte Tai ungeduldig.

„Wart‘s ab“, meinte Gomamon neckisch. Die Digimon führten ihre Partner immer tiefer in den Berg hinein; sie mussten schon mehrere hundert Meter in die Tiefe geklettert sein. Tief unter den Haupthöhlen lag eine natürliche Kammer im Fels, in der sie stehen blieben. In der Mitte ruhte ein kreisförmiges Gerät, das an eine übergewichtige Frisbee-Scheibe erinnerte.

„Das kommt mir bekannt vor“, sagte Matt, als er das Gerät sah. Es wirkte rostig, staubig und rissig, alles gleichzeitig.

„Durch so ein Ding hat Gennai mit uns Kontakt aufgenommen, als wir auf der File-Insel waren“, erinnerte sich Izzy.

„Es liegt schon hier, seit wir die Höhlen gefunden haben“, sagte Gabumon. „Vielleicht hat es ja irgendeine Bedeutung.“

„Hier scheint ein Steckplatz für etwas zu sein“, sagte Mimi, die das Gerät umrundete. „Seht ihr?“

Auf der Rückseite war eine längliche Öffnung mit kleinen kupferfarbenen Kontaktplättchen zu sehen. „Da könnten unsere DigiVices hineinpassen“, überlegte Sora.

„Dann lasst es uns herausfinden“, beschloss Tai und zückte sein DigiVice.

„Nein, halt Tai, vielleicht ist es eine Falle“, rief Matt, aber Tai hatte das Gerät bereits in die Versenkung gesteckt. Es passte haarscharf.

Die Luft über der Scheibe begann zu flimmern, und dann erschien eine Röhre aus verschiedenfarbigen Lichtern, in denen sich eine Gestalt manifestierte.

„Gennai!“, rief Izzy. „Ich habe mich schon gefragt, wo er steckt.“

Er sah noch haargenau so aus wie vor fünf Jahren, ein junger Mann mit stirnseitig kurzen, akkuraten Haaren, einem Zopf und einer weiten Kutte. „Seid gegrüßt, alte Freunde“, begann das Hologramm. Die Stimme klang blechern und die Projektion flimmerte von Zeit zu Zeit. „Zumindest hoffe ich, dass ihr es seid. Die Zeiten sind schlecht, also bin ich mir nicht einmal dessen sicher. Eines gleich vorweg: Was ihr hier seht, ist nur eine Kopie von mir. Meine ganze Erscheinung und alles, was ich tun und sagen werde, sind nur eine Programmroutine, die ich erstellt habe, um euch ein wenig behilflich sein zu können. Aber zuallererst muss ich mich entschuldigen. Bei euch allen. Denn ich habe versagt.“ Gennai machte eine betrübte Pause. Die DigiRitter lauschten ihm schweigend. Auch die Digimon schienen überrascht. „Ich habe es nicht geschafft, Taneo zur Vernunft zu bringen“, fuhr Gennai fort. „Als er seine eigenen DigiRitter erwählt und in die DigiWelt gebracht hat, war es für mich hier nicht mehr sicher und daher ging ich ins Exil. Ich hatte gehofft, dass ihr es irgendwie schaffen würdet, die DigiWelt wieder zu betreten. Selbst ich kann nicht sagen, was alles passieren wird, bis ihr diesen Ort hier findet. Aber ich kann euch zeigen, was zuvor passiert ist. Passt gut auf.“

Gennais Abbild verschwand, dafür wurde in der regenbogenfarbenen Röhre die Projektion einer Blumenwiese sichtbar. Die Farben drückten sich auf das Gras durch und es sah etwas seltsam aus – aber der Szene haftete eine friedliche Atmosphäre an. Sechs Kinder, eher schon Teenager, standen im Kreis um Gennai herum, an ihrer Seite ihre Digimon. Izzy erkannte einige von ihnen, da war Jagari, sein Gesicht längst nicht so von Furcht gezeichnet, wie er es in Erinnerung hatte, neben ihm ein rotblaues Elecmon. „Das heißt, es ist wirklich vorbei?“, sagte er soeben. Seine Stimme klang blechern, das mochte an der Aufzeichnung liegen. Izzy musste traurig lächeln. Was immer Jagari der Nachwelt hinterließ, es hatte mangelhafte Bild- und Tonqualität.

Gennai sah von einem zum anderen. „Ja. Ihr habt eure Sache sehr gut gemacht. Die Asuras sind besiegt, und es wird nicht lange dauern, bis die Vier Souveränen ihre Kraft wiedergewonnen haben. Aber“, seine Stimme wurde ernst, „das bedeutet auch, dass ihr eure Aufgabe in der DigiWelt erfüllt habt.“

Schweigen breitete sich unter den DigiRittern aus, bedrücktes Schweigen, sie ahnten wohl schon, was das bedeutete. Die älteren DigiRitter musterten ihre jüngeren Nachfolger in dieser Zeit genau, schließlich kannten sie sie von den Fotos. Da war Kouki Nagara, ein braunhaariger Junge, der Tai bis zu einem gewissen Grad ähnlich sah. Auf seinem Kopf saß wie eine lebendige Pelzkappe ein niedliches Salamon. Mit dem Rücken zur Kamera – oder was immer die Szene aufgenommen hatte – stand Renji Oyara, ein hoch gewachsener, sportlich aussehender Junge, mit einem Digimon, das keiner der Älteren je gesehen hatte und das wie eine überdimensionale Kerze aussah. Taneo war direkt neben ihm, von ihm sah man nur das Profil, neben ihm schwebte ein Thunderboltmon, ein kugelförmiges Digimon auf dem Champion-Level mit Armen und Beinen und einem Blitzsymbol auf dem Kopf. Taneo sah unter seinem braunen Lockenkopf traurig aus, nachdenklich.

Auf der anderen Seite standen die beiden Mädchen der Gruppe. Izzy versetzte es einen Stich, als er sah, wie Fumiko ihrer Freundin etwas ins Ohr flüsterte und die beiden lachten, trotz der bedrückten Stimmung. Fumiko war nicht mit dem Mädchen zu vergleichen, das sie im Krankenhaus gesehen hatten. Ihr langes dunkles Haar glänzte im Sonnenschein, ihr Gesicht hatte richtige Farbe und ihre Augen glitzerten.

Tageko Mida lachte zwar auch, aber in ihren Augen lag eine gewisse Schwermut. Sie war wohl die älteste der Gruppe und hatte sich das Haar im Nacken hochgesteckt. Ihre Hand ruhte auf der Kappe eines riesigen Pilzes, der sich beim näheren Hinsehen als ein Mushroomon entpuppte. Von Fumikos Parallelmon war nichts zu sehen.

„Heißt das“, begann Kouki, „dass wir zurückkehren müssen?“

Er hatte es ausgesprochen. Das Schweigen kehrte zurück.

Gennai wartete mit der Antwort. „Das heißt es. Ihr müsst in eure eigene Welt zurück.“ Das Schweigen nahm eine traurige Note an. „Ich weiß, es ist schwer, euch zu trennen“, fuhr Gennai fort, „aber es ist notwendig.“

„Aber wir sind noch nicht ganz fertig“, murmelte Taneo. Es war das erste Mal, dass sie seine Stimme hörten, sie klang melodisch und ehrlich, noch kindlich. „Die Macht der Dunkelheit gibt es immer noch. Sie haben es selbst einmal gesagt, Gennai: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Sollten wir nicht hier bleiben und die Schatten im Zaum halten?“

Gennai musterte ihn lange, ehe er antwortete. „Die Macht der Dunkelheit gibt es noch, und sie wird nie verschwinden, das stimmt. Aber sie ist zerbrochen, und ohne Anführer werden die Splitter keine Bedrohung für die DigiWelt darstellen.“

„Und wenn doch, dann sucht ihr euch neue DigiRitter, oder?“, fragte Jagari und klang bitter. „So wie es vor uns andere gegeben hat, die jetzt schon erwachsen sind. Ist das nicht die Regel? Dass kein Erwachsener die DigiWelt betreten darf?“

Gennai hob den Blick und sah in den Himmel. Es wirkte, als würde er direkt die alten DigiRitter anblicken. „Die Regeln der DigiWelt sind schon dabei, sich selbst umzuschreiben. Vor viereinhalb Jahren wäre schon einmal fast ein Erwachsener ein DigiRitter geworden. Ich denke, in der Zukunft wird es auch Erwachsenen möglich sein, in die DigiWelt zu reisen. Das digitale Leben wird in der realen Welt immer präsenter. Vielleicht verschmelzen die Welten irgendwann zu einer, vielleicht findet man dann an allen Ecken Tore zur DigiWelt. Vielleicht kommt einmal die Zeit, in der jeder Mensch ein Digimon hat. Hofft darauf und wartet auf diesen Tag.“ Vor Gennai flimmerte die Luft, und aus dem Boden stieg eine ausgefranste Lichtsäule empor. Das Tor zur realen Welt. „Es wird jetzt Zeit.“

Fumiko stemmte die Hände in die Hüften. „Das ist ja eine sehr optimistische Prophezeiung. Aber wissen Sie was? Parallelmon kann durch die Welten reisen, einfach so! Es wird mich besuchen kommen, wann immer es will.“

Gennai nickte. „Aber glaubst du, dass es in der realen Welt auf Dauer leben kann? Ich werde es ihm nicht verbieten können, aber um eurer beider Willen denke ich, dass es das nicht tun sollte.“ Fumiko sah ihn trotzig an und zuckte dann die Schultern.

Ein Abschied folgte, den die alten DigiRitter ebenfalls kannten. Tränen flossen, Versprechen auf ein baldiges Wiedersehen wurden gemacht. „Beeilt euch“, drängte Gennai schließlich. „Das Tor wird sich bald schließen, und ich weiß nicht, ob es sich von hier aus wieder öffnen lässt.“

Kouki nickte, drückte Salamon noch kurz an sich und trat in die Lichtsäule. Er drehte sich zu den anderen um und lächelte, während sein Körper sich in Lichtfasern auflöste, die im Boden verschwanden. Als zweite ging Tageko. Mushroomon winkte ihr hinterher. Dann folgten Jagari und als nächstes Fumiko.

„Wollen wir?“, fragte Renji Taneo und nickte in Richtung des Lichtstrahls.

„Geh du vor“, murmelte Taneo.

Renji trat in die Lichtsäule. „Ich ruf dich an, Taneo. Lass uns mal zusammen irgendwo abhängen.“ Dann verschwand er.

Taneo blieb stehen und rang mit sich. Er hatte den Blick gesenkt und man sah, wie es hinter seiner Stirn arbeitete.

„Komm, Taneo. Geh in deine Welt zurück. Du warst lang genug davon getrennt“, sagte Gennai.

Taneo schwieg eine ganze Weile. Dann machte er einen Schritt und setzte zu einem zweiten an, stellte den Fuß jedoch wieder ab. Er hob den Blick. „Warum?“, fragte er und seine Stimme hatte einen trotzigen Tonfall angenommen.

Gennai sah ihn entgeistert an. Dann fing er sich und sagte nachsichtig: „Ich weiß, was das für dich bedeutet. Aber es ist nicht für immer.“

„Ja“, murmelte Taneo. „Nichts ist für immer.“ Sein Blick glitt zu Thunderboltmon. „Aber hier in der DigiWelt bin ich jemand. Ich bin ein DigiRitter, der Retter dieser Welt, ein Held, ich habe Macht. Ich kann etwas bewirken.“ Er sagte es ganz nüchtern, als wäre ihm das erst jetzt klar geworden.

„Taneo …“, murmelte Thunderboltmon.

Taneo breitete die Hände aus. „Warum sollte ich so etwas aufgeben? Welcher Idiot würde das tun? In der realen Welt ist es langweilig, ein ewiger Alltagstrott. Es gibt immer Leute, die einen herumschubsen, man muss tatenlos zusehen, wie sie anderen auf die Füße treten, man muss arbeiten und lernen … Und am Schluss endet man in der Masse, in nichts von anderen verschieden, und stirbt irgendwann und keiner erinnert sich mehr an einen.“

„Taneo“, sagte Gennai mahnend. „Sei vernünftig.“

„Ich bin vernünftig. Ich war schon immer vernünftig.“ Er drehte sich um und ging einfach davon. Thunderboltmon sah Gennai und die anderen Digimon unsicher an, ehe es ihm folgte.

„Taneo!“, rief Gennai ihm hinterher. „Wir können nicht sagen, wie es sich auf die DigiWelt auswirkt, wenn du hierbleibst!“

„So emotional kenne ich Sie gar nicht, Gennai“, rief Taneo über die Schulter zurück. „Keine Sorge, ich werde schon darauf achtgeben, was mit der DigiWelt passiert.“

„Du verstehst mich nicht. Es könnte sein, dass dich die DigiWelt abstößt wie einen Fremdkörper! Die Kraft zum Schutz der DigiWelt könnte sich gegen dich wenden!“

Taneo antwortete nicht. Die Lichtsäule erlosch und auch die Szene verschwand. Gennais Abbild erschien wieder auf dem Projektor.

„Damals wusste ich nicht, was sein Sinneswandel für Auswirkungen hatte. Die DigiVices der neuen DigiRitter hätten die Kraft verlieren sollen, Tore zu öffnen, aber da Taneo in der DigiWelt geblieben ist, konnte man von der realen Welt immer noch hierher reisen. Einen Rückweg gab es allerdings nicht mehr. Ich erkannte das und warnte die anderen DigiRitter davor, die DigiWelt zu betreten. Mithilfe der Digimon versuchte ich Taneo umzustimmen, aber er schaffte es irgendwie abzutauchen. Es dauerte lange, bis ich ihn fand, und da war er schon nicht mehr allein. Er hatte sich Verstärkung aus der Menschenwelt geholt, vier neue DigiRitter, die ersten, die ein Mensch ernannt hat. Wie er das gemacht hat, weiß ich nicht. Von da an begannen sie Jagd auf seine ehemaligen Freunde und ihre Digimon zu machen. Parallelmon reiste mit Salamon, Mushroomon und Candlemon in die reale Welt, um ihre Partner zu warnen. Elecmon versuchte die neuen DigiRitter allein aufzuhalten, aber es hatte keine Chance.

Taneo hat die Dunklen und sich selbst mit neuen DigiVices ausgestattet, die es ihnen wieder erlauben, die Welten nach Belieben zu wechseln. Außerdem scheinen sie die Funktion zu haben, die Attacken toter Digimon zu speichern und vielleicht sogar auf ein höheres Level zu beschleunigen. Ihr werdet wahrscheinlich gemerkt haben, dass eure DigiVices nicht mehr die Nähe der anderen anzeigen. Das liegt daran, dass sich die DigiWelt in den letzten Jahren weiterentwickelt hat. Eure DigiVices sind nicht mehr kompatibel damit. Wenn ihr sie jetzt in den Schlitz steckt, werde ich sie upgraden, sodass ihr sie wieder als Ortungsgeräte benutzen könnt. Allerdings hat die Zeit nur gereicht, um das Upgrade für die alten DigiVices zu schreiben. Viel mehr kann ich euch nicht sagen, und im Moment bin ich zu weit entfernt, um euch mehr zu helfen.“

Das Bild verblasste erneut, auch wenn der bunte, röhrenförmige Lichtschein blieb. Ein Piepsen ertönte, und Tais DigiVice begann zu blinken. Er zog es heraus und sah, dass die roten Punkte wieder da waren. Aufmunternd nickte er den anderen zu. Nacheinander schlossen Matt, Mimi, Sora und Izzy ihre DigiVices an die Scheibe an.

„Jetzt wissen wir also, was passiert ist“, murmelte Mimi.

„Ja, und wir sind genauso weit wie vorher“, brummte Matt.

„Immerhin können wir uns aufspüren. Naja, die jüngeren nicht, aber …“, überlegte Tai.

„Tai, erkennt dein DigiVice auch meines?“, fragte Cody und begab sich in die Ecke des Raumes.

Tai sah auf das Display. „Hm, ich glaube nicht. Da sind nur fünf Punkte. Eure D3-DigiVices werden nicht angezeigt. Aber Joes DigiVice können wir damit aufspüren!“, meinte er nach kurzem Überlegen. „Und dann haben wir die anderen auch ganz schnell gefunden.“ Er grinste. „Ich wusste, warum ich ihn mitgeschickt habe.“

„Mir macht etwas anderes Sorgen“, sagte Sora beklommen. „Habe ich das richtig verstanden? Auch wenn das alles hier vorbei ist, wir können kein Tor mehr in unsere Welt öffnen?“

Tais Euphorie verstummte. Sie alle starrten Sora an.
 

Zur Rauchenden Krone, DigiWelt

Sonntag, 6. August 2007

18:53 Uhr
 

In T.K.s Kopf herrschte das Chaos.

In den letzten Stunden hatte seine Stimmung zwischen Trauer, Wut und Selbstmitleid geschwankt. Ein Schatten hatte sich in ihm eingenistet und ließ keine anderen Gedanken zu. Er war in seinem Zimmer geblieben. Kari hatte er bis über den Kopf zugedeckt. Dennoch sah er sie vor sich, nur sie – wie sie lachte, wie sie weinte, wie sie einmal gestritten hatten, wie sie sich schnell wieder versöhnt hatten, wie sie starb. Wie sie beide als Kinder vor Piedmon geflohen waren, wie er sie vom Meer der Dunkelheit zurückgeholt hatte – wie sie starb. Wie er ihr an diesem lauen Sommerabend seine Liebe gestanden hatte – wie sie starb. Wie überglücklich er gewesen war, dass sie seine Gefühle erwidert hatte – wie sie starb. Wie sie starb!

Er warf sich mit einem Aufschrei in sein Bett zurück. Warum nur? Warum ging ihm dieser schreckliche Moment nicht aus dem Kopf? Schwankend stemmte er sich wieder in die Höhe. Unter der Bettdecke zeichneten sich immer noch Karis leblose Konturen ab. Wenn sie doch nur wie Digimon zu Daten werden würde … Das war schon einmal geschehen, als sie gegen Apocalymon gekämpft hatten. Dann hätte er sie vielleicht irgendwie zurückholen können, bestimmt hätte er einen Weg gefunden … Er schlug verzweifelt mit der Faust gegen die Wand, sodass seine Knöchel aufplatzten. Zu dem Blut, das ihm über das Handgelenk lief, gesellten sich wieder die Tränen in seinem Gesicht.
 

Die Nacht brach herein und Schweigen senkte sich über die Rauchende Krone. Bedrücktes Schweigen, das in dem Gram vieler Einzelner wurzelte. Der Gang in der Taverne lag verlassen da. Bis um vier Uhr morgens hielt das Schweigen an. Dann öffnete sich eine Tür. Ein blonder Junge mit zerzaustem Haar trat in die Düsternis des Flurs. Seine Augen waren gerötet, darunter hatten sich tiefe Schatten in das blasse Gesicht gegraben. Er hatte nicht geschlafen in dieser Nacht. Vielleicht würde er nie wieder schlafen können.

Er schloss sanft die Tür hinter sich, ließ darin, was ihm Schmerzen bereitete. Auch diese Schmerzen würde er vielleicht niemals abschütteln können. Seine Schritte knarrten auf den hölzernen Dielen, als er sich der Treppe näherte. Sein Blick fiel in das andere Gästezimmer. Die Tür war offen, Davis war wach. Er hockte auf seinem Bett. Ihre Blicke begegneten einander. Mondlicht fiel durch ein Fenster und ließ Davis‘ Augen silbrig aus der Dunkelheit hervorstechen. Er schwieg, sah ihn nur ausdruckslos an. T.K. verzog keine Miene. Er wandte sich ab und ging die Treppe hinunter. Die Goblimon schnarchten im Schankraum. Keines von ihnen bemerkte ihn. Er öffnete die Tür. Kühle Nachtluft empfing ihn, strömte frisch und klar in seine Lungen. Seltsam, er fühlte sich lebendig. Noch nie hatte er sich so lebendig gefühlt. Ausgerechnet jetzt – wo er sich doch wünschte, er wäre tot.

T.K. machte sich schweigend auf den Weg. Als er an den ersten Bäumen vorbeikam, gesellte sich Patamon zu ihm.
 

====================================
 

So, was ist zu dem Kapitel zu sagen? Ein Einblick halt, was damals passiert ist, sowie eine Szene mit den neuen DigiRittern ... Ich wollte einfach der Tradition folgen, dass einer der Digiritter immer irgendwie an Tai erinnert^^

Ich hoffe, die letzten Kapitel waren nicht zu zäh, weil kaum was passiert ist ... Dafür gibt es beim nächsten Kapitel endlich die erwartete Konfrontation Tai & Co. mit Joe & Co. :)

Hoffe, ihr hattet schöne Weihnachten, ich wünsche an dieser Stelle gleich mal einen guten Rutsch :)

Eternal Life, eternal Death

Zur Rauchenden Krone, DigiWelt

Montag, 7. August 2007

4:32 Uhr
 

Joe atmete tief durch. Draußen hörte er Regentropfen gegen das Dachgebälk trommeln. Er warf einen Blick auf den schlafenden Davis. Er wurde von Albträumen geplagt, wälzte sich verschwitzt hin und her.

Joe stand auf, langte nach seiner Brille. Er hatte nur kurz gedöst, das hatte ihm die Erschöpfung abverlangt. Nun war er wieder wach – und konnte kein Auge mehr zu tun. Seufzend trat er zum Fenster. Das in ihrem Zimmer konnte man komplett öffnen. Joe drehte die Schnalle und zog das Fenster auf. Kühle, verregnete Nachtluft strömte ihm entgegen. Angenehm. Das Rauschen des Regens lullte ihn ein. Er beugte sich hinaus, erkannte weit unter sich nass glänzende Grashalme. In der Ferne verschwand die Welt in einem beruhigenden Schleier. Joe lehnte sich noch weiter unter dem Dachfirst hervor. Er wollte sich die Tropfen aufs Gesicht regnen lassen. Seine Hand fasste den glitschigen Fensterrahmen, als er sich mit dem Knie auf dem Fensterbrett abstützte. Als er reglos dort kniete, dachte er, wie einfach es wäre, jetzt loszulassen. Er würde der Konfrontation mit Tai entgehen, vor allem seinen eigenen Schuldgefühlen …

Er würde alles hinter sich lassen …

Zittrig atmete er ein. Konnte es sein, dass bei den Tropfen, die ihm über die Wangen liefen, wieder Tränen dabei waren?

„Joe!“ Er fühlte sich von zwei Händen gepackt und ins Zimmer zurückgerissen. Hart landete er am Boden und schlug sich den Kopf. Im Mund schmeckte er den metallischen Geschmack von Blut. Blinzelnd rückte er sich die Brille zurecht und blickte in die Silhouette von Davis‘ Gesicht. „Verdammt, was hattest du vor?“

„Nichts“, murmelte Joe. „Ich wollte nur … frische Luft schnappen.“

„Schwachsinn.“ Davis zog ihn grob auf die Füße. „Hör zu, was auch immer du tust, sei kein Feigling! Kari würde das nicht wollen – da hätten wir uns doch gleich opfern können, damit sie überlebt!“

„Ja. Das hätten wir tun sollen.“ Joe blieb am Boden sitzen und starrte ins Leere, während Davis wieder zu seinem Bett ging, sich darauf setzte und das Gesicht in die Hände stützte. Er schwieg.

„T.K. ist fort“, sagte er schließlich.

Joe antwortete nicht. Eine Weile schwiegen sie wieder. „Warum hast du geglaubt, dass ich das tun wollte?“, fragte Joe schließlich.

„Was?“

„Mich … umbringen. Warum hast du geglaubt, ich würde springen wollen?“

Davis schnaubte und ließ sich mit der Antwort Zeit. „Weil ich selbst schon daran gedacht habe“, murmelte er und wich Joes Blick aus.
 

Über der Rauchenden Krone, DigiWelt

Montag, 7. August 2007

12:32 Uhr
 

Izzy hielt sein DigiVice vor Tais Gesicht. Zusätzlich zu ihren Punkten war plötzlich ein weiterer, rot blinkender Punkt in einigem Abstand darauf sichtbar geworden. Tai nickte und suchte die Landschaft unter ihnen ab. Da war eine Taverne zu sehen. Waren Joe und die anderen darin? Er deutete auf das Gebäude. Izzy nickte. Über das Summen von Kabuterimons rasenden Flügelschlägen konnten sie sich anders kaum verständigen.

Das Käferdigimon ging nieder und setzte sie auf der Ebene vor der Taverne ab. Es folgten Birdramon und Halsemon.

Geschlossen betraten die DigiRitter die Taverne und schreckten eine Horde Goblimon hoch, die im Schankraum saßen und sich betranken. Grummelnd und grunzend liefen sie kreuz und quer, um ihre Keulen zusammenzusuchen. Die Partnerdigimon waren zurückdigitiert, spannten sich nun aber für einen Kampf an.

„Noch mehr von der Sorte!“, knurrte das Goblimon, das sich an die Spitze der anderen stellte. Die Keule in seiner Hand zitterte.

„Ihr Mistkerle! Was habt ihr mit unseren Freunden gemacht?“, rief Tai und sah hinter der Schank ein Deramon neugierig hervorspähen.

Das Knarren von Stufen ließ sie herumfahren. Jemand kam die Treppe neben der Schank herunter. „Joe!“, rief Sora.

Der Blauhaarige wich ihren Blicken aus. Hinter ihm trat Davis in den Schankraum. Sein Gesicht hatte einen harten Ausdruck angenommen, und eine Spur von Zorn war darin zu sehen. Joe sah wie ein Haufen Elend aus.

„Was ist los?“, fragte Matt alarmiert und versuchte in den Schatten der Treppe noch jemanden zu sehen. „Wo sind T.K. und Kari?“

Joe verzog gequält das Gesicht. Er und Davis schienen beide übernächtigt zu sein. Sie waren blass und Schatten hatten sich wie tiefe Furchen in ihre Gesichter gegraben.

„Tai … Es …“ Joe leckte sich über die spröden Lippen. Er wagte es nicht, ihm in die Augen zu sehen. „Es tut mir leid.“

Tais Augen weiteten sich. „Was ist los? Scheiße, Joe, was ist passiert?“ Mit zwei schnellen Schritten war er bei Joe und packte ihn am Kragen. Joe ließ es geschehen. „Spucks schon aus, verdammt!“

„Es … es tut mir so leid“, stammelte Joe. Tränen fanden ihren Weg unter die Ränder seiner Brille. Davis sah zu Boden. „Ich … Es …“

„Was? Was, zum Teufel?!“, schrie Tai.

Joe atmete zitternd aus und ein. „Kari ist … Kari ist …“

Tais Züge entgleisten. Seine Gesichtsmuskeln zuckten, sein Blick schoss hin und her. Er biss die Zähne zusammen, dass es knirschte. „Was? Was ist mit ihr? Sag mir, dass alles in Ordnung ist! Sags mir!“ Er konnte kaum deutlich sprechen. Ein saurer Geschmack stieg in seinem Rachen auf.

Aber Joe schwieg. Matt trat heran und legte Tai eine Hand auf die Schulter. „Lass es gut sein“, murmelte er.

Tai fühlte sich plötzlich so kraftlos wie nie zuvor. Seine Knie gaben nach. Er ließ Joe los und sank zu Boden. „Nein …“, murmelte er. „Das … das kann nicht sein …“

Die DigiRitter bildeten einen Kreis um ihn. Tai starrte ins Leere, nicht fähig einen Gedanken zu fassen. „Du … das ist nicht lustig, Joe!“, brauste er plötzlich auf und starrte den älteren an. Es konnte einfach nicht sein … jetzt, wo sie sich endlich gefunden hatten … „Davis! Der Scherz ist weit genug gegangen, hol jetzt Kari herunter!“

„Kapierst du es nicht?“ Davis‘ Stimme klang scharf wie eine Schwertschneide. „Sie ist tot, Tai!“

„Nein!“ Tai sprang auf und packte diesmal Davis. Feuer schien in seinen Adern zu lodern, eine Hitze, die durch jede Faser seines Körpers wallte, wieder und wieder. „Das kann … Das darf nicht sein!“

Davis ergriff seine Hände und zog sie von seiner Jacke weg. Er funkelte Tai an.

Tai fuhr herum. Tränen glitzerten in seinen Augen. „Joe! Verdammt, ich hatte dich angewiesen, auf sie aufzupassen, oder? Wie konntest du das zulassen? Wie konntest du!?“ Joe schrumpfte in sich zusammen und sank auf einen der Stühle. Tai war in Rage. „Du wolltest doch unbedingt den Anführer spielen, oder? Du hattest die Verantwortung! Du hast meine Schwester auf dem Gewissen, du verdammter Versager!

Tai wurde an der Schulter herumgerissen und Davis pfefferte ihm mit aller Kraft die Faust ins Gesicht. Ohne einen Ton wurde Tai zu Boden geschleudert. „War das jetzt genug?“, knurrte Davis wütend.

„Tai!“, rief Mimi und wollte zu ihm stürzen, aber Matt hielt sie zurück.

Tai rappelte sich in eine sitzende Position auf. Fassungslos wischte er sich mit der Hand über den Mund. Seine Lippen waren aufgeplatzt und Blut lief ihm übers Kinn.

„Wenn du schon jemandem die Schuld geben musst“, fuhr Davis mit zornumwölktem Gesicht fort, „dann sieh in den Spiegel. Du hattest diese Schnapsidee mit der Aufklärungstruppe. Du hast uns vier in die DigiWelt geschickt, obwohl du nicht wusstest, was hier abläuft, obwohl du wusstest, dass es gefährlich ist! Du hast Joe zu unserem Anführer gemacht, und du hast die Leute ausgesucht! Wenn einer Mist gebaut hat, dann du!“

„Wie war das?“ Tai sprang wutentbrannt auf. „Ich habe getan, was notwendig war! Seid ihr Kinder, die nicht auf sich selbst aufpassen können?“ Er hob die Hand zum Schlag.

Davis wich nicht zurück. „Gib’s zu! Es war eine Fehlentscheidung, uns allein zu schicken! Ihr seid sowieso nachgekommen – also war alles für die Katz, und weil du diesen Scheiß bestimmt hast, hat Kari dafür bezahlt!“

Tais Faust fuhr hernieder und krachte gegen Davis‘ Kiefer.

„Hört endlich auf damit!“, schrie Sora.

„Du redest und redest und redest!“ Tai schlug erneut zu, diesmal grub sich seine Faust in Davis‘ Magen. Ächzend krümmte sich der Junge. „Du weißt nicht mal, wie ich mich fühle!“, schrie Tai und holte erneut aus.

Matt trat vor um ihn zurückzuhalten, aber die nächste Faust fing Davis mit der flachen Hand ab. „Doch, das weiß ich.“ Er sah Tai grimmig in die feuchten Augen. Schließlich ließ der Anführer ein weinerliches Schluchzen hören, zog die Hand zurück und sank wieder zu Boden. Hemmungslos weinte er. Tränen tropften auf die Bodendielen. Auch die anderen fühlten seinen Schmerz. Sora vergrub ihr Gesicht an Matts Brust, Izzy fühlte einen Knoten in seinem Hals. Cody stand ganz still da, Tränen liefen aus seinen geschlossenen Augenwinkeln. Mimi und Yolei weinten in gegenseitiger Umarmung. Selbst die Goblimon waren still.
 

Stadt des Ewigen Anfangs, DigiWelt

Montag, 7. August 2007

16:23 Uhr
 

Er wusste, dass er sie hier nicht finden würde. Aber eine widersinnige Hoffnung hatte dieses Wissen nach Strich und Faden niedergeknüppelt. Was er sah, war allerdings nicht die entmutigende, vorherbestimmte Wahrheit, sondern etwas noch Befremdlicheres.

Kaum etwas erinnerte an die farbenfrohe, vergnügte Stadt, die er vor so vielen Jahren zum ersten Mal mit Patamon besucht hatte. Eine riesige, grauschwarze Glocke aus Stein ragte über der Stadt des Ewigen Anfangs auf, gestützt von mannsdicken Säulen. In der Kuppel flatterte und wuselte eine schwarze Masse hin und her, dass es direkt unheimlich aussah. Am Boden lagen die DigiEier, auf zerschlissene Kissen gebettet. Von Elecmon, dem Hüter der DigiBabys, war nichts zu sehen, dafür flogen Heerscharen von Vilemon und DemiDevimon herum. Aus der Sicherheit der Büsche beobachtete T.K, wie die Fledermausdigimon jedes neugeborene Digimon unter die Lupe nahmen. Einige davon schnappten sie und trugen sie entgegen ihres Quiekens nach oben, in die Unterseite der Steinglocke, als hätten sie dort Nester oder etwas Ähnliches. Andere frisch geschlüpfte Digimon wurde einfach mit Haut und Haaren gefressen.

Unter anderen Umständen hätte ihn der Anlick sauer aufstoßen lassen, er wäre aufgesprungen um den Babys zur Hilfe zu eilen, aber T.K. blieb einfach, wo er war. Teilnahmslos beobachtete er die ungewöhnlichen Vorgänge. Dann fiel ihm ein Vilemon auf. Das fledermausartige Championdigimon machte wohl mit vollgefressener Wampe eine Pause und flog schwerfällig auf die Wiese, die T.K.s Wäldchen von der Stadt des Ewigen Anfangs trennte. Er gab Patamon ein Zeichen, das daraufhin direkt auf es zuflog.

Das Vilemon rülpste soeben herzhaft, als es das fliegende Digimon sah. Es warf einen Blick zu seinen Artgenossen zurück, dann stürzte es sich ohne Umschweife auf Patamon, das es genau zu T.K. lockte. Vilemon folgte ihm durch die Büsche – und wurde von T.K. an den Flügeln gepackt und zu Boden gedrückt. Kreischend zappelnd versuchte sich das Digimon zu befreien.

„Hiergeblieben“, murmelte T.K. und war gar nicht mal erschrocken, als er hörte, wie spröde seine Stimme war. „Du beantwortest mir jetzt ein paar Fragen. Was soll das Ganze hier?“

„Du glaubst, das ginge dich etwas an, Mensch?“, lispelte Vilemon.

T.K. nickte Patamon erneut zu und es digitierte in einem schimmernden Lichtstrahl zu Angemon. Als es seinen geheiligten Stab gegen das Fell des dunklen Digimons drückte, zischte es und Vilemon schrie schmerzerfüllt auf. „Schon gut! Schon gut! Wir … wir sind von den Scherben!“

„Das weiß ich“, sagte T.K. kühl und Angemon stupste die Fledermaus erneut mit dem Stab an.

„Ahh! Wartet, wartet … Wir sind hier, um neue Soldaten zu rekrutieren! Wir untersuchen alle frischgeschlüpften Digimon, ob sie das Potential haben, Albtraumsoldaten zu werden, oder ob sie früher schon mal welche waren. Wenn ja, dann ziehen wir sie auf, aber solche, die uns später höchstens Schwierigkeiten machen, entsorgen wir.“

„Wie nett“, knurrte T.K. „Sonst noch was?“

„Ja, ja … Wir sehen auch nach, ob vielleicht unser Meister unter den Babys ist.“

„Meister?“

Das Vilemon ließ ein abfälliges Fauchen hören. „Auch wenn die Scherben momentan von unserem Triumvirat angeführt werden, ist es doch nur eine Übergangslösung. Wir warten hier auf die Wiedergeburt unseres einzigen, wahren Meisters. Ein Mensch wie du hat keine Ahnung von der Macht des großen Piedmon!“

„Glaub mir, ich kannte ihn sogar recht gut“, meinte T.K. abfällig. „Ihr verschwendet eure Zeit. Piedmon wird kaum in der Stadt des Ewigen Anfangs wiedergeboren werden.“

„Das kann schon sein“, murmelte das Vilemon und versuchte sich zu befreien. Es wäre ihm wohl auch gelungen, groß wie es war, hätte Angemon nicht drohend den Stab geschwenkt. „Trotzdem wollen wir auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Wenn er in einer anderen Welt ist, wie behauptet wird, werden ihn die anderen finden.“

T.K. erinnerte sich, wie MagnaAngemon Piedmon damals hinter dem Himmelstor versiegelt hatte. Er wusste nicht, was hinter dem Tor lag, aber er glaubte kaum, dass Piedmon auf Digimon-Art gestorben war. Eine andere Welt? Das konnte er sich schon eher vorstellen.

„Und wie wollen sie das machen?“

Vilemon kicherte. „Ein dummer Mensch wie du kennt natürlich die Geheimnisse der DigiWelt nicht. Ein mächtiges, dunkles Digimon namens Myotismon besaß einst ein Tor, mit dem man in fremde Welten reisen kann!“

„Ich kenne das Tor. Wann fängst du endlich an, mir etwas Neues zu erzählen?“ Vilemon fauchte, während T.K. überlegte. „Aber Myotismons Schloss ist zerstört.“

„Das Tor existiert noch“, lispelte Vilemon. „Tief unter den Trümmern. Alles, was wir noch brauchen, sind die Karten. Sie sind im Laufe der Jahre überall in der DigiWelt verteilt worden. Wir, die Scherben, werden sie wieder finden und unseren Meister in diese Welt zurückholen!“

T.K. dachte angestrengt nach. Die Karten und der Steintisch! Die Kombination, die Izzy herausgefunden hatte, hatte ihnen ein Tor in die reale Welt geöffnet, aber Gennai hatte gesagt, dass bei einer anderen Kartenfolge womöglich auch Tore in andere, abstrusere Welten aufgehen konnten. Mit einem unangenehmen Beigeschmack kehrte die Erinnerung an die Dimension zurück, in der sich Myotismon versteckt gehalten und auf Oikawa gewartet hatte.

„So, ich hab dir alles gesagt, was ich weiß“, zischelte das Vilemon und begann wieder zu zappeln. „Also lass mich frei!“

T.K. sah auf das Digimon herab und dann zurück du dem Gebilde über der Stadt. „Wozu denn? Damit du weiterfressen kannst? So wie ich dich verstanden habe, wirst du ohnehin, wenn du wiedergeboren wirst, von deine Brüdern aufgezogen.“

„Wa…“ Dem Vilemon blieb das Maul offen stehen. „Das kannst du nicht machen!“

„Angemon?“, sagte T.K. auffodernd.

„Bist du sicher, T.K?“

Er nickte. Ein einziger Lichtstrahl löschte das Vilemon aus.
 

Zur Rauchenden Krone, DigiWelt

Montag, 7. August 2007

18:52 Uhr
 

Es wurde Abend und kaum einer sprach etwas. Als die Sonne den Himmel rot färbte, hoben sie für Kari auf der Ebene ein Grab aus und legten ihren blassen Leichnam hinein, bedeckten ihn mit einem Tuch. Goldene Lichtpartikel lösten sich von ihrer Haut, als würde auch sie sich langsam aber sicher auflösen. Izzy stimmte ein Gebet an, aber kaum jemand fiel darin ein. Tai hatte zu weinen aufgehört, aber seine Schultern bebten. Davis‘ Gesicht war wie in Stein gemeißelt. Als das letzte Licht des Tages schwand, schaufelten Agumon und Gabumon die Erde auf sie.

„Wartet“, sagte Davis plötzlich. Selbst seine Stimme klang nun wie Stein, leise, aber rau. Er ging neben dem Grab in die Knie und berührte Karis Stirn. „Leb wohl“, flüsterte er mit geschlossenen Augen. „Ich habe dich immer geliebt, Kari.“

Als ihn seine Gefühle übermannten, richtete er sich wieder auf. Trauer und Schmerz brachen über ihm ein und er musste sich abwenden und ein paar Schritte von dem Grab fortgehen.

„Du hast die DigiWelt geliebt“, murmelte Tai, als sich die Erde auf Karis Körper mehrte. „Ich schwöre dir, wir werden hier wieder alles in Ordnung bringen. Du wirst nicht umsonst … umsonst gestorben sein! Und ich … ich werde dich rächen! Ich werde den Kerl, der das getan hat, zur Rechenschaft ziehen!“ Seine Stimme wurde immer lauter und er begann wieder zu schluchzen. Mimi legte ihm zögerlich die Hand auf den Arm.

Die anderen schwiegen. Die Sonne tauchte unter den Rand der Welt, als die Erde Kari vollständig bedeckte.
 

==================================
 

Tut mir leid, dass ihr letzte Woche kein neues Kapitel lesen durftet, ich war ziemlich beschäftigt und kann mir erst jetzt wieder sowas wie ein Privatleben leisten.

Was gibt es zu dem Kapitel zu sagen? Man erfährt endlich in aller Klarheit die Ziele der Scherben. Ich fand es irgendwie witzig, das Gespräch mit Vilemon zu schreiben, weil T.K. ja wirklich schon so einiges über Piedmon und Konsorten weiß^^

Ich hoffe, die Konfrontation mit Tai kam so dramatisch und emotional rüber, wie ich hoffe :) Ihr dürft gespannt sein, wie es weitergeht, wir nähern uns langsam dem Ende des ersten großen Arcs :)

Special Chapter: Rage

Ausnahmsweise mal eine Author's Note gleich zu Beginn: Dieses Kapitel schließt nämlich den ersten großen Arc meiner FF ab und ich habe beschlossen, ein "Special Chapter" daraus zu machen und es wie eine SongFic anzulegen. Das Lied ist von meiner All-Time-Favourite-Band Rhapsody of Fire und heißt Aeons Of Raging Darkness, und ich habe es deswegen in das Kapitel eingewoben, weil es einfach perfekt zu T.K. passt, sowohl zu dem T.K. aus der zweiten Staffel, der diejenigen verabscheut, die sich leichtfertig mit der Dunkelheit einlassen, als auch zu den jüngsten Entwicklungen in meiner FF. Es ist fast so, als wäre das Lied extra dafür geschrieben worden XD Wobei ich nicht mehr weiß, ob ich das Lied gekannt habe, bevor ich die Idee zu dieser Story hatte, oder ob es umgekehrt war.

Aber genug der Vorreden, los geht's, und ich hoffe, es gefällt euch :)
 

===================================
 

Zur Rauchenden Krone, DigiWelt

Montag, 7. August 2007

20:36 Uhr
 

Der Anblick der hohen Digitationen der Digimon hatten die Goblimon weit genug verängstigt, dass sie den DigiRittern alles erzählten, was sie über die Pläne ihrer Anführer wussten. Einzelheiten kannte gemeines Fußvolk wie sie zwar nicht, wohl aber, dass die Scherben die Karten für Myotismons Steintisch zusammentrugen – und nicht nur sie. Aus dem mehr oder weniger verständlichen Wirrwarr an Informationen, den ihnen die Goblimon lieferten, konnte man schließen, dass auch Taneo und die Dunklen hinter den Karten her waren, aus welchem Grund auch immer.

Nachdem die DigiRitter keine Fragen mehr hatten, waren die Goblimon heilfroh, die Taverne fluchtartig verlassen zu können. Wahrscheinlich waren sie sowieso zu feige, um General Musyamon von ihrem peinlichen Verhör zu erzählen.

Die DigiVices zeigten kurz nach halb neun, als Matt alle DigiRitter im Schankraum zusammenrief. Auch das Deramon war zugegen; es schien von den tumultbringenden Dauergästen langsam den Schnabel voll zu haben.

Als alle versammelt waren, erhob Matt die Stimme: „Es ist mir klar, dass wir alle mit den Nerven am Ende sind“, sagte er und sah von einem zum anderen. Tai hockte niedergeschlagen wie ein nasser Sack auf einem Stuhl, Davis‘ Augen sprühten immer noch vor Zorn und er ging unruhig auf und ab, Joe wollte am liebsten im Boden versinken, das sah man ihm an. Auch die anderen waren still und geknickt, mit tiefen Schatten unter den geröteten Augen. Cody starrte ausdruckslos vor sich hin, Yoleis Atem lief sogar jetzt noch zitternd. Matt schluckte. Und von allen, Tai vielleicht ausgenommen, musste sich T.K. am schlimmsten fühlen. Sein Bruder. Davis hatte ihm erzählt, dass er bei Nacht das Gasthaus verlassen hatte, und am liebsten wäre er ihn angefahren, warum er ihn nicht aufgehalten hatte. Doch Matt wusste, dass das nun nichts mehr änderte. Er konnte sich nur im Ansatz vorstellen, wie T.K. sich gefühlt hatte. Sora drückte ihn am Arm. Er warf ihr einen Blick zu. Das zu verlieren, was ihm am kostbarsten war … Er würgte den Gedanken ab. Nicht jetzt, schärfte er sich ein. Nicht jetzt, oder wir werden alle versauern.

„Wir dürfen nicht zu lange hier bleiben“, fuhr er fort, seine brüchige Stimme wurde allmählich fest. „Die Dunklen wissen, dass wir hier sind, und die Scherben ebenfalls. Es ist zu riskant, hier zu bleiben. Wir müssen weitermachen, so hart es auch ist, und versuchen die DigiWelt zu retten, irgendwie.“ Er hasste sich dafür, wie kleinlaut das letzte Wort seine Lippen verließ. Sein Blick glitt zu Tai. „Aber bevor wir das tun, will ich vorschlagen, dass wir einen neuen Anführer wählen.“ Er ließ die Worte wie dicken Schlamm durch den Raum sickern. Tai regte sich nicht, nur seine Augenbraue zuckte. „Du weißt, warum ich das möchte, Tai?“, fragte er sanft.

Der bisherige Anführer nickte sachte.

„Es tut mir leid, aber ich glaube nicht, dass du für diesen Posten noch geeignet bist. Du hast … zu viel mitmachen müssen.“

„Sprich nicht weiter“, sagte Tai und es klang gefährlich leise. „Du glaubst, ich könnte keine richtigen Entscheidungen mehr treffen. Du glaubst, ich bin zerbrochen.“ Matt überlegte, was er erwidern sollte, als Tai fortfuhr: „Schon gut. Ich versteh das schon. Macht, was ihr wollt.“

Matt schluckte hart und atmete tief durch. Da ergriff Sora das Wort. „Ich bin dafür, dass Matt der neue Anführer sein soll. Wer stimmt mir zu?“

Die DigiRitter zögerten. Da rief Davis: „Was ist mit mir? Ich könnte das ebenso gut machen!“

Diesmal zögerten sie noch länger. „Ich bin für Matt“, sagte Cody schließlich als erstes. „Auch wenn er große Sorgen um T.K. haben muss, behält er einen kühlen Kopf.“

„Ich auch“, murmelte Mimi.

Nach und nach sprachen sie sich für Matt aus. Nur Joe sagte nichts, und Tai starrte ihn nur grimmig an. Davis verzog das Gesicht zu einer zornigen Grimasse. „Schon gut, schon gut. Wählt nur den Schönling. Was willst du als nächstes tun, Matt?“, fragte er lauernd.

Matt hatte diese Entwicklung erwartet. Erneut atmete er tief durch. Cody hatte recht, er musste vor allem ruhig bleiben, egal, was kam. „Wir werden selbst Myotismons Karten suchen. Früher oder später werden wir so Taneos Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Wenn wir die Dunklen nicht finden können, müssen sie eben uns finden. Aber zu unseren Bedingungen, und mit den Karten haben wir vielleicht ein Druckmittel.“

„Na bravo“, giftete Davis. „Und bis dahin lassen wir sie tun, was sie wollen?“

Matt sah ihn wütend an. „Es ist die einzige Möglichkeit“, beharrte er.

„Falsch“, gab Davis zurück. „Wir könnten die verdammten Kerle auch jagen und zur Strecke bringen! Sie können sich nicht ewig verstecken!“

„Hast du vergessen, wie schwierig es war, den DigimonKaiser damals zu finden?“, warf Cody ein.

„Pah! Wenn wir fliegen, haben wir sie in null Komma nichts! Oder wir warten einfach hier auf sie, die werden schon noch kommen.“

„Davis“, sagte Tai drohend leise, „wenn dir nicht passt, was der Anführer bestimmt, warum verschwindest du nicht einfach und ziehst dein Ding auf eigene Faust durch?“

„Tai!“, rief Sora entsetzt.

Davis starrte ihn an und wurde blass vor Wut. „Vielleicht tu ich das ja“, knurrte er. „Vielleicht sollte ich euren Feiglingsverein einfach verlassen und das tun, was wir von Anfang an hätten tun sollen!“

„Überleg dir das gut“, sagte Matt. „Wir sind im Moment zerrissen genug. Zusammen sind wir am stärksten.“

„Nicht, wenn ihr alle den Schwanz einkneift und darauf wartet, bis euch die bösen Jungs holen kommen! Verdammt, was ist los mit euch? Seit wann seid ihr solche verfluchten Weicheier?“

Es ging so schnell, dass man es kaum sah. Veemons Faust zuckte nur einmal kurz und traf Davis in die Rippen. Vor Überraschung keuchte er nur auf und stürzte gegen einen Stuhl, riss ihn mit zu Boden.

„Jetzt reiß dich mal zusammen, Davis! So kenne ich dich gar nicht!“, schrie Veemon.

Davis wollte auffahren, doch dann sah er die Tränen in den Augenwinkeln seines Digimonpartners.

„Wo ist der Davis, der alles für seine Freunde tun würde? Wo bleibt deine Vernunft?“

Davis schwieg.

Matt wartete einen Moment, ehe er sagte: „Wir brechen Morgen bei Tagesanbruch auf.“ Und er hoffte, dass Davis zur Vernunft kam.
 

In der Nähe der Stadt des Ewigen Anfangs, DigiWelt

Montag, 7. August 2007

22:05 Uhr
 

Das Lagerfeuer spiegelte sich in T.K.s müden Augen wider. Stundenlang saß er nun schon da und beobachtete die Flammen, legte hin und wieder Brennholz nach. Er hatte gehofft, sich so betäuben zu können, aber es ging nicht. Stattdessen rasten seine Gedanken, flackerten so schnell wie die Flammen.
 

I won’t forget that day

I won’t forget her name

What has hell done to her

Her pain’s flowing in my blackened soul’s veins

Libera animas

Omnium defunctorum

De poenis inferni

Ne cadant – ne cadant in obscurum


 

Kari. Kari. Immer nur Kari. Ihr Lachen, ihr Weinen, das Strahlen ihres Lichtes … T.K. glaubte nicht, dass er je jemand anderes so lieben könnte. Etwas war mit ihr gestorben. Hoffnung und Licht – sie gehörten zusammen. Vielleicht war es die Hoffnung, die er verloren hatte.

Und da war noch etwas. Wut. Natürlich, Wut! Davis konnte seine Wut herausschreien, konnte alles und jeden um sich herum verantwortlich machen. Er konnte das nicht. Er würde nie vergessen, wie dieser Dunkle DigiRitter ihr die Kehle durchgeschnitten hatte, wie er sich an ihrem Sterben ergötzt hatte, wie er Dunkelheit über ihr Licht gebracht und seine Seele in Finsternis getaucht hatte …

T.K. schrie innerlich auf und schlug mit der Faust in die Erde, erwischte dabei ein Stück Holz, dass aus dem Feuer ragte und das als Antwort mit dem brennenden Ende voraus auf seinen Arm landete. Er zuckte ächzend zurück, aber der Schmerz drängte seine finsteren Gedanken zurück, ein Stück zumindest.
 

Libera animas

De poenis inferni

Cold frozen night

Bleeding sins and lies

Nocturnal rhyme

Of unholy pride


 

„T.K?“, murmelte Patamon. Es hatte sich neben ihm zusammengerollt, aber trotzdem nicht geschlafen. Es erschrak, als es seinen Gesichtsausdruck sah. Seine Augen funkelten wie vor Irrsinn, aber es konnte am Flackern der Flammen liegen. Jedenfalls hoffte es das.

„Es war alles eine Lüge“, murmelte T.K. heiser. „Wir wollten für immer vereint sein. Wir haben es uns versprochen! Und er hat es zerstört.“

Patamon schwieg. Es fröstelte, also rückte es näher an das Feuer. Es kam ihm so vor, als würde T.K.s Kummer die Nacht abkühlen lassen.
 

Quake! (Crack!) Dare! (Clash!)

Storm the gates of hell!

May you be the one

the everlasting flame of hope

glorify the angels

and fight their holy war

let me face the beast

and every single devil’s son

I will free my mind

and I will save her soul


 

„Ich kann es nicht dabei belassen“, murmelte T.K. und betrachtete seine schmerzende Hand. „Ich werde diesen Mistkerl töten!“ Er sprang auf und stürmte los.

Patamon fuhr zusammen. „T.K! Warte!“ Es stieg in die Luft und holte ihn ein. T.K. wurde nicht langsamer.

„Wenn du nicht willst, bleib hier! Ich werde ihn mit bloßen Händen erwürgen, wenn es sein muss!“, schrie T.K.

Patamon überholte ihn, holte tief Luft und gab einen Luftschuss gegen seine Brust ab. T.K. wurde zurückgeworfen und stürzte. Patamon landete auf ihm und sah ihm flehend in die Augen. „Bitte, T.K, das bist nicht du! Der T.K, den ich kenne, würde so etwas nie tun!“

„Was würde er denn tun?“, fragte T.K. apathisch.

Patamon zögerte. „Ich weiß nicht … Er würde versuchen, die DigiWelt zu retten! Er würde sich nicht persönlichen Rachegedanken hingeben!“

T.K. schnaubte. „Du hast eine sehr verherrlichende Vorstellung von mir“, murmelte er.

„Natürlich! Du bist ein DigiRitter! Dein Herz ist das Wappen der Hoffnung! Wenn du die Hoffnung aufgibst, ist die DigiWelt verloren!“ Patamons Stimme wurde weinerlich. „Bitte, T.K, denk darüber nach. Es ist deine Bestimmung, diese Welt zu retten, zusammen mit mir, deinem Engeldigimon! Lass uns wieder gegen die bösen Digimon kämpfen, wie damals, nicht gegen Menschen!“
 

Many don’t realize

What it’s capable of

What “evil” really is

Far beyond its meaning as a mere word

Requiem aeternam

Dona eis, Domine

Requiem aeternam

Lux perpetua – lux luceat eis


 

„Du meinst, ich soll seine Tat einfach ungesühnt lassen?“ T.K. wischte Patamon von seiner Brust, hielt dann aber inne. Sein Digimonpartner hatte recht – wenn auch auf eine andere Weise, als er glaubte. Er hatte es doch schon so oft gesehen … Damals bei Ken war es dasselbe gewesen. Er hatte sich mit der Macht der Dunkelheit eingelassen, weil sie stark und erstrebenswert schien, er hatte Schwarze Türme gebaut und sich als die Personifikation des Bösen gehalten. Aber in Wirklichkeit hatte er keine Ahnung gehabt, womit er sich eingelassen hatte. Mit Taneo und den Dunklen musste es genauso sein. Sie dachten, sie würden für die Dunkelheit kämpfen. Dabei hatten sie keine Ahnung, was dieses Wort eigentlich bedeutete und wieviel Leid es ihnen selbst zufügen konnte.
 

Requiem aeternam

Dona eis, Domine

Her lovely smile

Brutalized and raped!

Her crystal eyes

She won’t see anymore!


 

Dennoch, Kari war tot, und es war ihre Schuld. Im Namen der Dunkelheit hatten sie seine liebste Freundin getötet. Er erinnerte sich an ihr Lächeln, das nie wieder erstrahlen würde, an das Leuchten ihrer gütigen Augen, die jetzt für immer geschlossen blieben. Und trotz alledem konnte er die Dunklen plötzlich kaum mehr hassen. Er verstand sie, war das nicht verrückt? Fast musste er über sich selbst lachen. Er wusste, was sie umtrieb, weil er es schon so oft gesehen hatte. Vielleicht war er selbst derjenige, der immer wieder in die falsche Richtung lief.

T.K. atmete zitternd aus und stand auf. Patamon flatterte neben ihm in die Luft. „Weißt du was, Patamon?“ Seine Stimme kam ihm seltsam tief und rau vor, als hätte sich alles, was freundlich und gütig daran war, davon abgeschält. „Die Dunklen sind nicht unsere Feinde. Die Macht der Dunkelheit ist es, wieder einmal.“

„Das heißt, du stimmst mir zu?“, fragte Patamon zögerlich. T.K. lächelte verschlagen.
 

Quake! (Crack!) Dare! (Clash!)

Storm the gates of hell!

May you be the one

the everlasting flame of hope

glorify the angels

and fight their holy war

let me face the beast

and every single devil’s son

I will free my mind

and I will save her soul


 

„Du hast gesagt, ich wäre die Hoffnung der DigiWelt? Vielleicht ist Hoffnung einfach nur das, was man nie verlieren darf, um nicht zu sterben. Solange man einen Plan hat, hat man auch Hoffnung. Und ich habe einen Plan.“ Er ging zurück zum Feuer und starrte, grimmig lächelnd, hinein. „Es ist ganz einfach. Warum ist mir das nicht früher eingefallen? Es gibt nur eines, was ich tun kann. Und keiner darf mich daran hindern.“

Patamon wirkte wieder besorgt. „Bist du sicher, dass …“ Es verstummte, als es T.K.s Blick sah.

„Du bist der einzige, dem ich noch vertrauen kann“, sagte er und das Digimon fühlte, wie schwer ihm diese Worte fielen. „Die anderen … Ich glaube nicht, dass sie mich verstehen würden. Aber du kannst es. Wir sind immer noch ein Team – der Hoffnungsträger und der Engel, so hast du es doch gemeint, oder?“

„Ja, aber … Was hast du vor?“

T.K. lächelte erneut und bereitete Patamon eine Gänsehaut. „Ich werde etwas tun, was die ganze DigiWelt erschüttern wird“, kündete er an.

„Aber du …“

„Es geht nicht um diese DigiWelt, verstehst du?“ Er schloss die Augen und atmete tief die Luft ein, die vom Feuer ausging und in seinen Atemwegen brannte. „Kari ist tot und ich erkenne, dass ich mich geirrt habe.“ Er schüttelte den Kopf. „Es gibt nur eines, was ich noch tun kann, damit ihre Seele in Frieden ruht.“

Patamon hatte Angst, es zu hören, aber gleichzeitig meinte es, T.K.s Schmerz tatsächlich zu spüren, wie es nur Digimon und ihre Partner vermögen. „Und was meinst du damit?“

T.K. lächelte nur.
 

Why you… why?

I will free you!

Dust Pit

Willkommen zum zweiten großen Arc! Man beachte, dass zwischen dem letzten Kapitel und dem hier fast zwei Wochen vergangen sind ;)
 

=========================================================
 

Staubgrube, DigiWelt

Samstag, 19. August 2007

00:40 Uhr
 

Der Regen prasselte schwer auf die Gestalt nieder. Lange hatte es keine so dicken Tropfen mehr gegeben. Das Klopfen der Faust an dem Tor der hölzernen Palisade war kaum zu hören. Eine Klappe im Holz wurde zur Seite geschoben und der hässliche Vogelschädel eines Kokatorimons glotzte der Gestalt entgegen. Die wachsamen Augen, die unliebsame Eindringlinge im Sekundenbruchteil versteinern konnten, glitten über die abgewetzten Sneaker, die so gar nicht zum Mantel der Gestalt passen wollten: einem hässlichen Kleidungsstück, zusammengenäht aus vielen verschiedenen Stoffstücken in den unterschiedlichsten Braun- und Grautönen, und triefend nass. Von der Kapuzenspitze tropfte das Wasser auf eine Nase, die eindeutig menschlich war. Nicht, dass es das Kokatorimon gestört hätte. Hier an diesem Ort nicht.

„Bin ich hier richtig in der Staubgrube?“ Die Stimme war leise, kaum zu verstehen.

„Neuankömmlinge müssen den Tribut entrichten“, krächzte das Türsteherdigimon und musterte ihn wachsam.

Die Gestalt hob die Hand, die in einem weiten, vom Regen schweren Ärmel verborgen gewesen war, und ließ ein verschnürtes Bündel zu Boden fallen. Kokatorimon betrachtete die zappelnden Digimon, größtenteils Chuumon und Pagumon, aber auch ein geknebeltes DemiDevimon mit zusammengebundenen Flügeln war darunter. Das Bündel zappelte im Matsch und jedes der Digimon versuchte freizukommen, aber sie schnitten sich mit dem scharfen Draht nur ins eigene Fleisch.

„Wir sind zu zweit. Reicht das für den Eintritt?“, fragte die Gestalt. Ihre Worte waren über das Donnergrollen, das sich soeben erhob, kaum zu verstehen. Kokatorimon nickte. Das war mehr als genug. Es trat zurück und gab den beiden muskulösen Rockmon, die es flankierten, das Zeichen, das Tor zu öffnen.

Als die scharfen Spitzen der Holzpalisaden durch die durchweichte Erde gezogen worden waren, trat der Mensch mit hochgezogenen Schultern ein. Sein Schritt war rasch. Kokatorimon sah ihm nach. Er hatte für zwei gezahlt? Erst da fiel dem Vogeldigimon das kleine Patamon auf, das eng an den Beinen des Menschen lief, um minimalen Regenschutz von seinem Mantel zu genießen.
 

T.K. sah sich in der Staubgrube um. Sie war genauso, wie er sie sich vorgestellt hatte, eine Ansammlung maroder, vor sich hin faulender Hütten, die in einer kleinen Senke mitten im Nirgendwo standen, umzäunt von einem wehrhaften Palisadenwall. Die Hütten selbst bestanden mehr aus Schimmelpilzen denn aus Holz, waren vermodert und windschief. Die Straßen waren verlassen, was bei dem Wetter kein Wunder war. Seine Füße sanken bis zu den Knöcheln im Matsch ein, seine Schuhe waren rundum braun und das Wasser drang ungehindert ein. Als er die enge, verwinkelte Straße entlangging, sah er nur ein anderes Digimon; ein Ninjamon, das unter einem Dach vor seiner Haustür saß und sein Schwert schärfte. Es sah ihn neugierig, aber nicht feindselig an. Menschen waren hier wohl selten, aber sie wurden nicht als Feinde angesehen. Die Staubgrube brachte sie alle auf die gleiche Stufe. Hier versammelten sich Deserteure aus der Albtraumarmee und der DigiAllianz, freie Digimon und natürlich Gauner und Halunken in einem gefährlich brodelnden Schmelztiegel, aber sie saßen alle im selben Boot. Oder zumindest die meisten.

T.K. steuerte die Spelunke in der Mitte der Staubgrube an. Sie trug keinen Schriftzug, der auf ihren Namen hindeutete, aber er sah gedämpftes Licht hinter den Fenstern und hörte tiefes, grunzendes Gelächter. Seine Informationen waren hoffentlich richtig gewesen.

Als er eintrat, wurde er gar nicht erst beachtet. Ein muffiger, von Exkrementen und Erbrochenem stinkender Raum, komplett aus schwarzem, feuchtem Holz, erwartete ihn. Er zog den Mantel aus, den er in den letzten Wochen Stück für Stück mit Stofffetzen ausgebessert hatte, die er in Müllhalden gefunden hatte. Den Mantel selbst hatte er von einem fahrenden Mushroomon-Händler erhalten, dessen Wagen er aus einer Schlammpfütze gerettet hatte, als der Regen einsetzte. Angeblich war er aus dem Fell eines echten DunkelWeregarurumon, aber T.K. glaubte es nicht. Wasserdicht war er leider nur bis zu einem gewissen Grad. Er zog ein zweites Bündel aus einer der Taschen, ballte den Mantel aus, so gut es ging, und hängte ihn zum Trocknen in die Nähe des Feuers der Küchenecke auf die Schank. Der RedVeggiemon-Koch sah ihn mürrisch an, sagte aber nichts.

Patamon schüttelte sich und kleine Wassertropfen spritzten von seinen Ohren. „Hier gefällt es mir nicht, T.K“, sagte es kleinlaut. „Muss das denn wirklich sein?“

„Es muss.“ T.K. ging zielstrebig auf einen Tisch in der hintersten Ecke der Spelunke zu. Sein Blick streifte die versammelte Digimon-Schar. Es waren allesamt zwielichtige Gestalten, und viele der Digimon kannte er gar nicht. Was er aus ihren Gesprächsfetzen heraushören konnte, hatte meist mit Mord- und Totschlag und allerlei krummen Geschäften zu tun.

„Bist du Keramon?“, fragte er das Digimon, das auf der Platte des letzten Tischs lümmelte.

Das bläuliche, quallenartige Wesen schrak hoch, setzte sich ordentlich hin und rieb sich die Hände. „Oh, ein Kunde für Keramon?“

T.K. zog sich einen Stuhl vom Nachbartisch und setzte sich darauf. „Ich habe gehört, du bist ein zuverlässiger Informant.“

Keramon nickte eifrig. Sein Grinsen war schrecklich breit. „Oh ja, oh ja. Keramon weiß über alles, was vor sich geht in der DigiWelt, bestens bescheid. Auch wenn Keramon nicht so aussieht, jaja.“

„Ich muss wissen, wo sich die Dunklen verstecken“, sagte T.K. und musterte das Digimon. Genau wie er gehört hatte, war Keramon nur schwer einzuschätzen. Es schien nicht besonders helle zu sein, aber vielleicht spielte es ihm das nur vor.

„Oh, die schweren Jungs?“, machte Keramon. „Das wird teuer für den Kunden, jaja. Kann er Keramon denn bezahlen?“

T.K. hob sein Bündel hoch und legte es vor Keramon auf den Tisch. Das Digimon grinste vorfreudig, als es in dem Säckchen Bewegungen wahrnahm. Seine überlangen Hände und Finger öffneten das Bündel und zogen die beiden Numemon heraus, die zusätzlich mit Draht gefesselt waren. T.K. hatte sie in den Sack gesteckt, weil ihr Gestank unerträglich gewesen war, aber Keramon schien das nichts auszumachen. Es kicherte, dann öffnete es den Mund ein Stück und zerquetschte die Numemon mit den Händen. Die Daten wurden zu geordneten Strahlen und verschwanden in Keramons Mund, das sich genüsslich über die Lippen leckte. „Das gut, das gut, Kunde“, sagte es und kicherte erneut. „Ja, Keramon kann dem Kunden helfen die Dunklen zu finden. Wenn der Kunde Keramon drei Tage Zeit gibt. Dann soll er Keramon hier wieder treffen.“ Es hob den Finger. „Aber Keramon hat schon gesagt, das ist nicht billig. Kunde wird Keramon etwas Wertvolleres bringen müssen, jaja. Mehr Daten für Keramons Mittagessen.“

T.K. seufzte. „Was willst du?“

„Hohes Level, hohes. Mindestens Ultra.“

„Ein Ulta-Digimon? Weißt du, wie schwer es wird, das zu besorgen?“

„Keramon weiß alles. Aber Keramon hat nichts zu verschenken.“

T.K. stieß die Luft aus und überlegte. Auf dem Weg hierher hatte er von einem Piximon gehört, das in den Wäldern wohnte. „Wäre ein Piximon in Ordnung?“

„Das wäre es, jaja. Hm, Keramon hat lange kein Feendigimon mehr gegessen, nein, nein.“

Er nickte und stemmte sich in die Höhe. „Ich will hoffen, dass du mich nicht enttäuschst. Sonst stopfe ich dir deine eigenen Daten in dein gieriges Maul.“

Keramon kicherte nur.
 

Unbekannter Ort

Unbekannte Zeit
 

Er fiel. Immer tiefer, in einen immer finstereren Abgrund. Es war wie damals, als er noch DigimonKaiser war und im Strudel der Finsternis nach Teilen für sein Kimeramon suchte. Nur dass er nun nichts verspürte, keine erregte Vorfreude, keine Nervosität, keine Angst. Emotionslosigkeit hatte von ihm Besitz ergriffen.

Bilder tauchten in der Dunkelheit auf, kurze Bilder, zusammenhanglos. Fledermäuse, große und kleine, nackte und fellbedeckte. Ein Seil, das sich in den Himmel schlängelte und in den Wolken verschwand. Dann Wormmon. Er vermisste Wormmon. Kurz sah er es, es bewegte die Kauwerkzeuge, aber er verstand nicht, was es sagte, denn schon fiel er weiter und das Bild verschwand aus seinem Blick. Dann sah er eine Höhle, die aus purem Feuer zu bestehen schien, das von der Seite und von unten hervorbrodelte, und er wusste, dahinter war die Welt zu Ende; kein Rand des Ozeans, wo das Meer in die Tiefe stürzte, nur trockener Felsen und alles verzehrendes Feuer.

Kens Fall ging weiter. Der Abgrund schien endlos. Er sah zwei kleine Kinder, die das Seil, das in den Himmel führte, hochkletterten. Sie wirkten verängstigt. Unten, wo das Seil aus einem geflochtenen Korb emporstieg, stand eine bedrohliche Gestalt, die eine Aura der Finsternis umgab. Ken wollte den Kindern eine Warnung zurufen, aber schon war die Szene vor seinen Augen verschwunden und der dunkle Strom setzte sich fort, schwemmte neue, immer rascher aufeinanderfolgende Eindrücke heran. Ein zerfetzter Schuh, der auf der Straße lag. Ein glühender Computerbildschirm. Dann glaubte er plötzlich, auf hartem Boden zu stehen, und vor ihm flammten wie Feueraugen die Scheinwerfer eines viel zu schnell fahrenden Fahrzeugs auf. Ken hatte nicht gesehen, wie seine Eltern starben. Aber genau so hatte er es sich immer vorgestellt, wie auch bei seinem Bruder.

Er sah den blutgetränkten Umriss seines schwarzen DigiVices vor sich aufblitzen. Dann war da Stingmon, und eine schattenhafte Gestalt, nicht größer als er selbst. Dann verschlang eine glühende Explosion das Bild. Ken erblickte einen steinernen Tisch, in den etwas eingeritzt war, und erschrak, als er plötzlich Myotismon in die Augen blickte, die sich sofort wieder in die Schatten verzogen.

Die nächste Szene war eine winterliche Landschaft, in der eine mächtige Stufenpyramide stand. Er sah sich selbst und Wormmon, die am Fuß der Pyramide vor dem klaffenden Maul des Eingangs standen. Die Ränder des Bildes waren unscharf und zuckten, aber er konnte dumpf Wormmon hören, wie es sagte: „Ken? Lass uns hier fortgehen. Dieser Ort ist unheimlich.“

Ein dunkler Wirbel verschlang das Bild abermals – und Ken wurde sich bewusst, dass es seine Schuld war, dass Wormmon nun nicht mehr da war. Hätte er damals auf es gehört …

Sie standen in einem vorsintflutlichen Labor, in dem Dampf aus dicken, löchrigen Rohren pfiff. In einer Art Backofen lagen ein paar Geräte, die DigiVices sein mochten. Sie waren an dutzende Kabel angeschlossen. Dann stand plötzlich wieder der Schatten neben Ken und Wormmon. „Du hast hier nichts zu suchen“, sagte er kühl.

Ken fiel immer noch. Das Labor entschwand seinem Blick, und er sah wieder dieses merkwürdige Seil, folgte, während er fiel, seinem Verlauf durch die Wolkendecke. Dort sah er einen großen, unförmigen braunen Brocken, wie ein schwebender Fels zitterte er in der Luft. Abermals entglitt die Szene seinem Blick und er sah dem finsteren Fremden ins Gesicht; seine Augen waren nicht zu sehen, aber eine rote Tätowierung glühte wie frisches Blut auf seiner Stirn. Ken fühlte, wie er die Hand mit seinem D3-DigiVice ausstreckte, auf die Maschine gerichtet. Kurz flammte ein anderes Bild auf, zwängte sich in die Szene wie ein ein anderer Fernsehkanal bei unsteter Frequenz. Er sah sich, schreiend, im Westend-Viertel stehen, mit dem DigiVice erhoben, während sich langsam ein dunkles Weltentor öffnete. Dann war er wieder zurück im Labor, sein DigiVice glühte auf. Der Schatten schrie etwas und im gleichen Moment explodierte ein bestialischer Schmerz ins Kens Hand und fraß sich seinen Arm hoch.

Schweißgebadet wachte er auf.

Laut keuchend versuchte er in die Wirklichkeit zurückzufinden. War das ein Traum gewesen?

Er befand sich immer noch in dieser dunklen Höhle in diesem tiefen Wald. Draußen regnete es in Strömen, Tropfen fielen vom Rand des Höhleneingangs. Es war fast völlig dunkel. Ken hob den linken Arm und blickte auf seine Haut. Die dünne, verästelte Narbe juckte wieder und glühte in einem eigenen Licht.

Es war kein Traum gewesen. Zumindest nicht ganz. Denn er fing an, sich zu erinnern.
 

Stützpunkt der Bluray-Partisane, DigiWelt

Dienstag, 22. August 2007

6:57 Uhr
 

Die Sonne blinzelte über die Berge und Tau ließ die Wälder verzaubert glitzern, als Birdramon auf dem Felsvorsprung landete. Izzy und Cody, die gerade mit Wacheschieben dran waren, sahen auf und nickten Sora und Yolei zu, als sie den Höhleneingang zum Herzen des Partisanenstützpunkts betraten.

In der Haupthöhle, wo sie kürzlich erst seit langem wieder freudig auf ihre Partner getroffen waren, herrschte gedrückte Stimmung. Matt saß am Feuer und starrte auf seine Mundharmonika. Er hatte kein ein einziges Mal in den letzten Tagen darauf gespielt. Die Last, jetzt der Anführer zu sein, lag schwerer auf seinen Schultern, als er zunächst gedacht hatte. Sie waren wieder bei den Ninjamon und den anderen neutralen Partisanen untergekommen, aber es hatte viele Streitigkeiten mit den Digimon gegeben, weil das ständige Kommen und Gehen von solchen Kolossen wie Kabuterimon oder Birdramon irgendwann unweigerlich Aufsehen erregen musste. Matt hatte das meiste vom Unmut der Ninjamon abbekommen, was verständlich war. Und um T.K. sorgte er sich ebenfalls. Sie hatten ihn im gleichen Zug gesucht wie Myotismons Karten, aber keine Spur von ihm entdeckt, was in einer Welt, in der praktisch jeder ihr Feind war, nichts Gutes bedeutete.

Sora fühlte natürlich mit Matt, aber am meisten bedauerte sie Tai. Ihr einstiger Anführer war in den letzten Tagen immer schweigsamer geworden und meistens wie ein Schatten in den hintersten Winkeln der Höhle gesessen. Sora hätte viel darum gegeben, seine Gedanken lesen zu können. Seine Miene hatte sich beständig verfinstert.

Der dritte Pol war Davis. In den vergangenen beiden Wochen war er nicht nur ungewöhnlich aggressiv geworden, sondern schien sich auch zu bemühen, innerlich zu erkalten. Vermutlich versuchte er mit seinen überwältigenden Gefühlen fertigzuwerden, indem er sie abzutöten versuchte. Auch das bereitete Sora Sorgen, aber sie wagte es nicht, das Thema zur Sprache zu bringen. Das Klima zwischen den DigiRittern hatte einen bisher einmaligen Tiefpunkt erreicht.

Matt sah auf, als sie sich dem Feuer näherten. Er nickte ihnen zu. Sora sagte kein Wort, also berichtete Yolei: „Kein Glück mit den Karten, leider.“

Matt seufzte.

Die Suche nach Myotismons Karten hatte sich als schwieriger erwiesen, als er zuerst gedacht hatte. Bislang hatten sie noch keine einzige gefunden.

„Wir versuchen es morgen noch einmal“, sagte Matt und legte ein Scheit Holz nach.

Yolei zögerte. „Wir haben aber ein Gerücht augeschnappt“, sagte sie vorsichtig.

„Ein Gerücht?“

„Naja, nur ein vages. Da waren zwei Gekomon, die uns erzählt haben, sie hätten gehört, wie ein paar Scherben-Rekruten etwas über die Karten erzählt haben.“

Gekomon, diese aufrechtgehenden Frösche mit den Trompeten um den Hals … Matt glaubte kaum, dass diese durchgedrehten Digimon verlässliche Informationen liefern konnten. Trotzdem fragte er: „Was haben sie denn gesagt?“

„Sie meinten, die Scherben würden die Karten, die sie bereits gefunden haben, nicht in der Festung bei ihrem Triumvirat verstecken.“

Matt zog die Augenbrauen hoch. Bisher waren sie wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Anführer der Albtraumsoldaten die Karten in ihrem Hauptquartier hatten, das in jener Festung lag, in der einst die Dunklen gehaust hatten. „Wieso sollten sie das nicht tun?“

„Ich könnte mir vorstellen“, sagte Yolei, „dass sie nicht wollen, dass die Dunklen sie ihnen abnehmen. Und darum bewahren sie sie an einem Ort auf, den Taneo nicht kennt.“

„Hm. Und wisst ihr auch, wo das ist?“

„Auch im Bluray-Gebirge, an einem Ort namens Geistertal oder so ähnlich.“

Matt überlegte. Es war die einzige Spur, die sie hatten, auch wenn das besagt Tal sicherlich ebenfalls nicht so einfach zu finden war. Auch wenn es bedeutete, sich in feindliches Gebiet zu wagen, konnten sie sich hier nicht mehr allzu lange aufhalten. Er hoffte inständig, dass an dem Gerücht etwas dran war.
 

Staubgrube, DigiWelt

Dienstag, 22. August 2007

21:14 Uhr
 

Als T.K. zum zweiten Mal die Spelunke in der Staubgrube betrat, kam ihm der Raum noch stickiger und rauchiger vor. Es stank nach Bratenfett und den Ausdünstungen von Digimon, als hätte seit seinem letzten Besuch niemand mehr sauber gemacht. Was wohl auch der Fall war. Er behielt seinen Mantel diesmal gleich an und ging mit Patamon zu Keramon, das an seinem Tisch bereits vorfreudig grinsend wartete. Schwungvoll warf T.K. das zappelnde Piximon auf die Tischplatte. Das kleine Digimon war mit schweren Stricken gefesselt und geknebelt, seine koboldhaften Augen tränten.

Keramon stieß einen quietschenden Schrei aus und wollte zupacken, als T.K. seine Hand packte und zudrückte. Das Keramon erstarrte. Sein Fleisch war kalt und fühlte sich glibberig an. T.K. sah ihm fest in die Augen und murmelte finster: „Und dein Teil der Abmachung?“

Keramons Augen flackerten kurz in eine Richtung, dann lachte es. „Keramon ehrlich, Keramon ehrlich! Kunde braucht nicht so grob zu sein, nein, nein.“ Einer von Keramons Kopftentakeln zuckte, als wollte es ihm eine bestimmte Richtung zeigen. T.K. folgte der Geste und drehte sich um. Keramon hatte auf einen Tisch gewiesen, den er noch nicht gesehen hatte, da er schräg hinter dem Eingangsbereich lag. Hinter der schmutzigen Tischplatte, auf einer rauen Holzbank, saßen zwei bildhübsche Lilamon, kichernd und plaudernd die Arme um jemanden geschlungen, den T.K. kannte, zumindest hatte ihn Matt damals am Telefon genauso beschrieben.

Dort saß niemand anderes als Ansatsu persönlich.

Der Attentäter erkannte T.K. im gleichen Moment wie er ihn, als er einen Blick unter seine Kapuze werfen konnte. Er sprang fluchend auf, stieß dabei den Tisch um. Die Lilamon stoben furchtsam auseinander. T.K. sah Ansatsus DigiVice an seinem Gürtel glühen. In der Spelunke wurde es totenstill.

Ein Schweißtropfen lief über T.K.s Schläfe. Dieses Keramon war gewitzer, als er gedacht hatte. Er hörte es leise kichern, während es sich über seine Beute hermachte. Patamon pflanzte sich vor T.K. auf, wirkte aber in dieser Form kein bisschen bedrohlich. Keiner der beiden Menschen regte sich. T.K. brach als erster die Stille, indem er spöttisch sagte: „Ein Mensch wie du flirtet mit Digimon? Hast du gar keinen Anstand?“

„Sagt derjenige, der ein friedfertiges Piximon jagt, um es an eine schleimige Giftschleuder zu verkaufen“, konterte Ansatsu kalt.

„Tja, wir sind wohl beide keine Mustermenschen“, sagte T.K, zwang sich zur Ruhe und verblüffte Ansatsu, indem er sich einen Stuhl vom nächstbesten Tisch heranzog, sich lässig darauf fallen ließ und hin- und herschaukelte.

„Was willst du?“, murmelte Ansatsu und verfolgte misstrauisch jede seiner Bewegungen. „Wie kommt es, dass du allein bist? Da stimmt doch was nicht.“

„Stimmt, ich bin allein. Und ich werde nicht gegen dich kämpfen. Ich muss dich aber um einen Gefallen bitten.“

Ansatsu zog die Augenbrauen hoch. Die roten Muster auf seiner Stirn schienen sich in dem schwachen Licht zu bewegen. Er schwieg, aber er dachte wohl soeben, dass T.K. den Verstand verloren haben musste.

„Bring mich zu Taneo. Ich habe ein Angebot für ihn“, sagte T.K. in das Schweigen hinein.

Ansatsu schüttelte kaum merklich den Kopf. „Wir wurden angewiesen, jeden von euch auf Sicht zu töten. Verhandeln gibt es nicht.“

„Dann wirst du eben dieses eine Mal deine Anweisungen vergessen. Was ich ihm zu sagen habe, wird ihn sicher interessieren. Ich habe meiner Gruppe den Rücken zugekehrt. Ich bin kein DigiRitter mehr. Bring mich zu eurer fliegenden Festung, und ich bin bereit, sie ohne Patamon zu betreten. Dort könnt ihr mich töten, wann immer ihr wollt, aber ihr habt auch keinen Schaden davon, mir zuzuhören.“

Ansatsu schien zu überlegen. T.K. hoffte, dass er selbstständig denken konnte und keine blinde Killermaschine war.

„Dein Digimon wird sich nicht einmischen?“, hakte er nach. „Wenn es mich angreift, sterbt ihr beide.“

„He, keine Streitereien in der Staubgrube!“ Das RedVeggiemon schleppte seinen birnenförmigen Körper heran und wirkte ungehalten.

Ansatsus DigiVice leuchtete wieder auf und ein violetter Stachel wuchs aus seinem Handgelenk und richtete sich auf das Digimon, das in Schweiß ausbrach und zurückwich.

T.K. nickte Patamon zu, das außer Reichweite trippelte. Ansatsus Stachel löste sich in Daten auf, und das Leuchten an seinem Gürtel verglomm, als er auf T.K. zutrat.

Langsam, um keine Überreaktion zu provozieren, streckte ihm T.K. die Hand hin. Der schwarz gekleidete Assassine musterte sie kurz und griff dann zu.

„T.K!“, hörte er Patamon schreien. Innerhalb eines Blinzelns sah er Ansatsus DigiVice erneut glühen. Das Gesicht des Assassinen war ausdruckslos.

Verdammt!, fluchte T.K. innerlich.

Dann verschlang ihn ein Strudel aus sich umkreisenden Fragmenten der Realität.
 

Karis Gesicht blitzte auf, sie lachte. Schillernde Kristalle umflogen sie. T.K. war wie benommen. Alles drehte sich um ihn herum, Momente aus seiner Kindheit, aus ihrer gemeinsamen Zeit, kürzliche Ereignisse … Alles schien in Bewegung, da war ein leerer Raum, von Linien durchzogen …

T.K.s Füße berührten etwas Festes, Hartes, und der schillernde Nebel zog sich zurück. Vor ihm flammten zwei glühende Augen auf. Etwas brummte, quietschte. T.K. schrie auf, riss sich von der Hand los, die ihn gepackt hielt, und stürmte davon. Reifen schlitterten über Asphalt, hektisches Hupen wurde laut. Während sich seine Sicht noch klärte und er verwaschene Lichtflecken in der finsteren Nacht sah, blitzte etwas Metallenes rechts und links von ihm auf. Rote Lichter waren vor ihm, die sich entfernten.

Ein dumpfer Fluch drang an sein Ohr. Dann erwischte ihn eine Hand an der Schulter, ein Körper stieß gegen ihn und sie stürzten beide zu Boden. T.K. schlug mit der Nase auf harten Asphalt und sah rote Schmerzenssterne. Das Motorgeräusch kam näher.

„Idiot“, hörte er Ansatsu zischen. Dann verwirbelten die Asphaltkörnchen vor seinen Augen, lösten sich auf und er flog wieder durch einen gestaltlosen Raum.

Als er die Orientierung wiederfand, waren die Geräusche verschwunden. Nur ein leises, kaum wahrnehmbares Brummen erreichte seine Ohren. Es war noch dunkler als vorher.

„Was hast du mit mir angestellt?“, rief er erbost und schüttelte Ansatsu ab, der immer noch halb auf ihm lag.

Der Dunkle stand auf und klopfte sich den Mantel ab. „Ich kann nur zwischen den Dimensionen hin- und herreisen, nicht innerhalb derselben. Deswegen musste ich uns kurz in die Reale Welt bringen. Dann konnte ich erst einen neuen Punkt in der DigiWelt auswählen.“

T.K. versuchte das zu verdauen. „Und du hast uns mitten auf eine Autobahn teleportiert?“

Ansatsu sah ihn abfällig an. „Wenn du still gehalten hättest, wären wir nur einen Wimpernschlag dort gewesen. Wobei ich zugebe, dass es länger gedauert hat, dich mitzumaterialisieren.“

T.K. stieß die Luft aus. „Und wo sind wir?“ Er glaubte in der Düsternis schwere, dunkle Kabel zu sehen, die über den Boden krochen.

„Du wolltest mit Taneo sprechen“, sagte Ansatsu kühl. „Ich habe dich zu ihm gebracht.“

„Es sieht dir aber gar nicht ähnlich, einen Besucher mitzubringen, Ansatsu“, ertönte eine weibliche Stimme hinter T.K. Er drehte sich herum, konnte aber nur Schemen erkennen. „Wie war das nochmal? Ich arbeite allein – erinnerst du dich?“

Ansatsu erwiderte nichts, als die Besitzerin der Stimme näher kam. Zunächst kam es T.K. vor, als würde ihr Kopf in der Luft schweben, aber dann sah er, wie sich kaum merklich mattes Licht von ihrem Körper reflektierte. Sie steckte in einem komplett schwarzen Bikeranzug und trug hochgeschlossene, gleichfarbige Stiefel. Ihr Gesicht war eindeutig menschlich; eine junge Frau mit wallendem goldblondem Haar.

„Der große Attentäter bringt lebendige Beute?“ Erneut fuhr T.K. herum. In der Ecke des Raumes musste noch jemand sein, er saß undeutlich die Umrisse eines menschlichen Körpers.

Noch zwei Dunkle. Er war mitten in einem Wespennest. Und das ganz ohne Patamon.

Ein Klicken ertönte, dann ein Geräusch, als ob jemand etwas zusammenklappte, dann schlurfte der dritte zu ihnen herüber. Etwa gleichzeitig ging über ihnen dämmriges Licht an. T.K. sah von dem Raum immer noch nur Schatten, aber wenigstens konnte er die anderen drei erkennen. Vor ihm stand ein Junge, der kaum älter sein konnte als er selbst. Sein Haar war strähnig und ungekämmt und von rotbrauner Farbe, die Haut blass und die Nase mit Sommersprossen bedeckt. Er trug eine Hornbrille mit dicken Gläsern und musterte T.K. mit einem undeutbarem Blick aus dunkel umrandeten Augen. „Hey, kenn ich dich nicht?“, fragte er.

T.K. hatte ihn noch nie in seinem Leben gesehen, aber Ansatsu antwortete: „Er ist einer der DigiRitter.“

Obwohl er kaum etwas anderes hatte sein können, sah er aus den Augenwinkeln, wie das Mädchen sich anspannte. Der Junge mit der Brille nickte. „Ja, stimmt. Ich hab dich auf meiner Übertragung gesehen, bevor Aki mein Rapidmon gesprengt hat. Warst du nicht sowas wie der Lover von der Kleinen, die er umgelegt hat? Er hat da irgendsowas erwähnt.“

T.K. spürte einen sengenden Schmerz in seiner Brust, als er diesen Kerl so über Kari reden hörte, aber er zwang sich zur Ruhe. Er hatte das hinter sich gebracht. Das Hier und Jetzt zählte.

„Verstehe“, murmelte Ansatsu. „So ist das also.“ T.K. sah etwas an seiner Hand aufglimmen und wusste sofort, dass er den Stachel ausgefahren hatte.

„Tja, Schätzchen, da kommst du aber ungünstig“, meinte das Mädchen überheblich. „Aki zieht gerade um die Häuser. Wieder mal. Der Sturkopf ist zwar kaum wiederhergestellt, sucht aber schon wieder nach Engeln.“ Sie neigte den Kopf und flötete zuckersüß: „Glaubst du auch an Engel, Süßer? Willst du im Moment nicht zu einem beten?“

Ich habe sogar einen Engel als Digimonpartner, dachte T.K. So ruhig es ging sagte er: „Ihr irrt euch. Ich bin nicht wegen Rache hier, sondern um mit eurem Anführer zu reden. Wo ist Taneo?“

Die Dunklen schwiegen.

„Was ist, fürchtet ihr, ich könnte ihn mit Staubpartikeln umbringen?“, höhnte T.K. „Ich bin hier ohne mein Digimon. Er braucht sich wohl kaum vor mir fürchten.“

„Du …“, begann das Mädchen, als ein heller Lichtstreifen von der anderen Seite des Raumes auf den Boden fiel.

„Das tut er auch nicht.“

T.K. blinzelte gegen das Licht an. Dort stand noch jemand. Jemand, den er schon auf einem Foto gesehen hatte. Nussbraunes Haar. Ein schmutzig gelber Mantel. Trotz der Narbe quer über Nase und Wange gab es keinen Zweifel.

Taneo.
 

================================
 

Oha, das Kapitel ist länger geworden, als ich beabsichtigt habe^^

Mir hat irgendwie der Gedanke an so ein Exilantenlager in der DigiWelt gefallen, und glaubt mir, ich hatte großen Spaß, Keramon zu modellieren^^ Ich hoffe, das alles kam schön stimmig rüber.

Und Kens Traumsequenz - ich liebe Traumsequenzen!^^ Generell könnte man wohl sagen, ein paar Fragen sind beantwortet, ein paar neue aufgeworfen worden ... kurz, ich hoffe, dass es bislang noch spannend ist ;)

The Dark Ones

Mobile Festung des DigimonKaisers, DigiWelt

Dienstag, 22. August 2007

21:31 Uhr
 

„Ich hätte nicht erwartet, dass Ansatsu so einfach jemanden von euch mitbringt“, sagte Taneo. Seine Stimme klang melodisch, es war fast so, als würde er singen. „Andererseits hätte ich auch nicht gedacht, dass ein DigiRitter den Nerv hat, mich in meinem Hoheitsgebiet aufzusuchen.“

T.K. reckte das Kinn vor. Er war ein Stück größer als Taneo, nicht viel, aber er wollte vor dem Dunklen so eindrucksvoll wie möglich aussehen. „Du hast gehört, dass ich dir was anzubieten habe?“

Taneo nickte. Seine Augen wandte er keine Sekunde ab. „Ich wüsste allerdings nicht, warum ich mit dir reden sollte.“

„Warum nicht?“

„Soweit es mich betrifft, sind wir Feinde.“

„Das sind wir nicht.“ T.K. legte eine Kunstpause ein. „Deine Feinde sind die DigiRitter.“

„Du bist ein DigiRitter“, sagte Taneo.

T.K. lächelte ironisch. „Ich bin ebensowenig noch ein DigiRitter wie du.“ Er ließ die Worte wirken. „Ich habe meine Gruppe verlassen. An ihnen liegt mir nichts mehr. Ebensowenig an dieser Welt. Noch dazu stehe ich ohne meinen Digimon-Partner vor dir. Ich habe also alle Anforderungen abgelegt, die man an einen DigiRitter hat.“

Taneo überlegte, T.K. wusste, dass er überlegte, auch wenn seine Miene wie versteinert war.

„Versuchst du hier irgendwelche Psychotricks?“, fragte das Mädchen abfällig. „Taneo, der Typ ist nicht ganz dicht.“

„Ich hab dich nicht um deine Meinung gebeten, Miyuki“, sagte Taneo in seinem Singsang, der ein wenig aggressiver klang als zuvor. Miyuki zog eine Schnute und drehte sich demonstrativ weg. „Komm“, sagte Taneo schließlich und ging quer durch den Raum, wobei sein Mantel sich bauschte. „Reden wir unter vier Augen.“

Miyuki fiel die Kinnlade hinunter. „Taneo … ist das dein Ernst?“

„Kein Kommentar.“ Taneo erreichte die Wand und ein türgroßes Stück glitt darin zur Seite. T.K. folgte ihm in den Raum, der dahinterlag.

War der vorige Raum zappenduster gewesen, so strahlte dieser geradezu vor Anzeigen und LEDs von dutzenden Apparaturen. Eine lange Computerkonsole bedeckte eine komplette Wand. T.K. sah Überwachungsbildschirme, die die Umgebung der fliegenden Festung – T.K. war sich sicher, dass sie sich dort befanden – zeigten. Sie flogen über ein Waldgebiet in etwa dreihundert Metern Höhe.

„Wie heißt du?“, fragte Taneo.

T.K. zögerte. Eigentlich müsste Taneo das sowieso schon herausgefunden haben, als er sie alle auf die Abschussliste gesetzt hatte. „Takeru“, sagte er schließlich. Die Tür glitt hinter ihm zu. Sie waren allein. Taneo warf sich in einen bequemen, futuristischen Drehsessel, in dem einst der DigimonKaiser gesessen sein mochte. „Also“, sagte er. „Was hast du auf dem Herzen, Takeru-senpai?“

T.K. antwortete nicht, sondern umrundete nur den kapselförmigen Behälter in der Mitte des Raumes. Er war mit Metall verkleidet, aber durch einige Ritzen darin konnte er Glas und verschwommen noch etwas anderes sehen. „Was ist das?“, fragte er.

Taneo überschlug die Beine. „Ich dachte, dass du das schon herausgefunden hast. Das da ist der Grund, wieso ich das alles mache.“ Vor ihm in der Luft erschien ein Raster von blauen Tasten. Er betätigte eine, die sich daraufhin rot färbte, und der Metallvorhang glitt surrend herab. Zum Vorschein kam ein Glaszylinder, in dem scheinbar schwerelos ein Schwert schwebte. „Was du hier siehst, ist ein Schwert von Piedmon, einem Clowndigimon, von dem du vielleicht schon gehört hast.“

„Ich habe sogar gegen es gekämpft“, meinte T.K. trocken.

Taneo sah ihn kurz überrascht, dann nachdenklich an. „Ja, das kann sein. Allerdings ist es ziemlich genau acht Jahre her, dass es in der DigiWelt gelebt hat.“

„Ich war damals acht Jahre alt.“

„Verstehe.“ Taneo musterte T.K, als ob er nicht sicher wäre, ob er das glauben sollte, aber sein Interesse an ihm war eindeutig geweckt. „Nun, dann weißt du sicher auch, was damals vorgefallen ist?“

„Klar.“ T.K. umrundete das Schwert. Konnte es wirklich sein, dass es noch existierte? Ihm fiel auf, dass der Knauf eine Pik-Form hatte. „Piedmon war einer der Meister der Dunkelheit, die die DigiWelt verformten und unterjochten. Sie wurden nach und nach von uns vernichtet. Piedmon starb, als es in das Himmelstor von MagnaAngemon gezogen wurde.“ Er sah Taneo forschend an. „Zumindest dachten wir das alle. Aber es lebt noch, nicht wahr?“

„Gut erkannt. Piedmon wurde jenseits des Himmelstores nicht vernichtet. Es wurde lediglich verbannt – in eine andere Welt. Dieses Schwert ging verloren, ehe Piedmon in das Tor gesaugt wurde, darum ist es noch hier.“

„Die Scherben wollen ihren ehemaligen Meister aus dieser anderen Welt zurückholen, und zwar mit Myotismons Tor und den Karten. Versuchst du etwas Ähnliches?“

Taneo lächelte listig. „Wenn man es genau nimmt, versuche ich exakt dasselbe.“ Er holte vier der Karten aus seiner Manteltasche hervor. T.K. erkannte sie als die, die Gennai ihnen einst gegeben hatte. „Du weißt, was das ist? Es gibt übrigens zwei Sätze dieser Karten. Einer ist mit Myotismons Schloss untergegangen und wurde, als die Meister der Dunkelheit die DigiWelt verformt hatten, in alle Winde zerstreut. Den anderen Satz hat Myotismon seinerzeit benutzt, um in die Reale Welt zu kommen, und sie sind wohl noch irgendwo dort. So gesehen haben wir größere Chancen als die Scherben, die Karten zu sammeln, weil wir beide Welten absuchen können. Trotzdem habe ich die Scherben erweckt, damit sie sie ebenfalls suchen. Sie kennen sich in der DigiWelt vermutlich besser aus als wir. Sobald sie haben, was wir brauchen, plane ich, es ihnen zu entreißen. Wobei ich sagen muss, die Dinge laufen nicht ganz so wie geplant. Sie sind nämlich ziemlich stark geworden, und unsere Armeen sind … sagen wir, etwas schwierig zu koordinieren.“

„Hast du überhaupt eine Ahnung, wie mächtig und böse Piedmon ist?“ T.K.s Stimme war nicht so anklagend wie früher, wenn jemand leichtfertig mit der Macht der Dunkelheit umging, aber ein wenig seines alten Selbsts sickerte noch durch. „Es ist grausam und unberechenbar und spielt mit den Leben von Digimon und Menschen, als wären sie nur Puppen in seinem persönlichen Theater.“

Taneo wickelte sich eine Locke um den Finger. „Wie auch immer, es hat etwas, das ich will. Wenn ich seine restlichen drei Schwerter habe, kann es von mir aus wieder zum Teufel gehen. Ich muss nur sichergehen, dass die Schwerter nicht verschwinden, wenn es endültig tot ist. Am besten, ich finde einen Weg, es nochmal zu verbannen.“

„Das alles nur wegen der Schwerter also.“ Und wegen diesem Irrsinn musste Kari sterben. Nein, denk nicht daran! Das hat jetzt keine Bedeutung mehr!

Taneo kicherte. „Nicht doch. Ich bin kein Altmetallsammler. Aber mir ist es leider erst klar geworden, als wir die Asuras besiegt hatten.“

„Was klargeworden? Wer sind die Asuras?“

„Zwölf böse Digimon, die aus ihrem Schlaf erwacht sind. Du musst wissen, die Vier Souveränen, die die DigiWelt beschützen – oder es zumindest wollen – haben der Legende nach zwölf Dienerdigimon, die Deva. Ich weiß nicht, ob es sie wirklich gibt, ich bin ihnen nie begegnet. Die Asuras waren ihre Gegenstücke, die Diener der vier Meister der Dunkelheit. Auch sie wollten ihre ehemaligen Meister wiedererwecken oder zumindest ihre Erbe antreten, so genau haben wir sie nie gefragt, aber wir, Kouki, die anderen und ich, haben sie vernichtet. Der Anführer von ihnen, Asuramon, hat dieses Schwert irgendwo gefunden. Ich habe mir später seine Aufzeichnungen angesehen und die Sache mit Piedmon herausgefunden – und noch etwas anderes, sehr Interessantes.“ Er beugte sich vor. „Takeru-senpai, bist du je einem der Vier Souveränen begegnet?“

T.K. dachte an Azulongmon, wie es mühelos BlackWarGreymons Angriff abgewehrt hatte. „Ja. Es war beeindruckend mächtig.“

„Weißt du, warum es damals nicht da war, als die Meister der Dunkelheit die DigiWelt bedroht haben?“

„Azulongmon hat uns einmal erzählt, dass ihre Kräfte von den Meistern der Dunkelheit versiegelt wurden“, erinnerte sich T.K.

„Das ist nur die halbe Wahrheit. In Wirklichkeit war es Piedmon allein, das sie versiegelt hat. Genauer gesagt, seine Schwerter.“ Taneo deutete auf die Klinge, die sich langsam in ihrer Röhre um sich selbst drehte. „Die Schwerter haben eine ganz eigene Macht. Jedes von ihnen hat die Kraft, einen der Vier Souveränen im Zaum zu halten. Dieses hier, glaube ich, hält Zhuquiaomon fest. Nach dem letzten Kampf gegen die Asuras gewinnen die Vier Souveränen wieder an Stärke, und wenn sie ihre alte Macht wiedererlangt haben, werden sie mich vom Antlitz der DigiWelt fegen, soviel steht fest.“ Er überschlug wieder die Beine und schwieg, als wollte er, dass T.K. den Gedanken zuende dachte.

„Deshalb willst du also Piedmon in die DigiWelt zurückholen – damit du die anderen drei Schwerter bekommst und dir die Vier Souveränen für immer vom Hals halten kannst.“

„Genau. Dann kann ich endlich ungehindert in der DigiWelt leben. Ich weiß nicht, wieviel Zeit ich noch habe, daher habe ich auch die versprengten Reste der Albtraumsoldaten zusammengesucht und mit dem Schwert drei höherrangige Digimon wiedererweckt, die von den Vier Souveränen nach Piedmons Abgang in eine Art Lichtsäule gebannt wurden. Ihnen hab ich es überlassen, die Scherben anzuführen und auf ihre Weise nach den Karten zu suchen, um die Sache zu beschleunigen. Sie werden nicht alle finden, weil ich schon vier habe, darunter ein doppeltes Unimon – und ich erreiche mein Ziel schneller, indem ich sie einfach unbewusst für mich arbeiten lasse. Und sie arbeiten wirklich hervorragend! Natürlich dürfen sie nicht zu mächtig werden, also gebe ich ihnen von Zeit zu Zeit eine aufs Maul.“

T.K. überlegte. „Diese drei Digimon, sind das die Triumviratoren der Scherben?“

„Waren sie. LadyDevimon ist bereits wieder tot.“ Taneo grinste leise.

T.K. ging noch eine Runde um das Schwert, dann noch eine. Der Behälter schien tatsächlich aus gewöhnlichem Glas zu sein, nicht einmal so dick wie ein Schaufenster in der Realen Welt. „Das war alles, was ich wissen wollte“, sagte er. „Nun zu meinem Anliegen.“

„Ich bin schon gespannt, Senpai.“
 

Die drei Dunklen hatten es sich im Vorraum gemütlich gemacht. „Eine kleine Bar wäre hier ganz praktisch“, bemerkte Miyuki und streckte sich genüsslich in ihrem Sessel aus. Kentarou hockte wieder vor seinem Laptop und Ansatsu lehnte mit verschränkten Armen an der Wand. „Was der Blondi wohl mit Taneo zu bereden hat? Die sind jetzt schon ziemlich lang da drin“, fuhr Miyuki fort und starrte zur Decke.

Du verdammter Hund!“, hörten sie Taneo hinter der Tür brüllen.

Kentarou und Miyuki grinsten. „Wow“, machte der Brillenträger. „Er hat Taneo ärger auf die Palme gebracht, als es Aki je gelungen ist.“

Dann ertönten das Splittern von Glas und ein schriller Schrei und die Dunklen zuckten zusammen. Ansatsu stieß sich alarmiert von der Wand ab und trat auf die Tür zu, Miyuki umfasste mit der Hand ihr DigiVice.

Mit einem dumpfen Schrumm fuhr die Tür auf und das Licht blendete sie für einen Moment. T.K. stand vor ihnen, seine Silhouette von den Lichtfetzen der Instrumente umhüllt. Über seine Stirn zog sich eine klaffende Schnittwunde; das heruntergelaufene Blut verwandelte sein Gesicht in eine brutale Fratze. In der rechten Hand hielt er Piedmons Schwert. Hinter ihm lagen überall Glasscherben herum und Taneo hockte am Boden und krümmte sich.

T.K. sprang vor und zog einen weiten Kreis mit dem Schwert. Ansatsus aktivierte sein DigiVice, bemerkte aber fluchend, dass er seine Attacken nicht schnell genug würde ausführen können. Er warf sich zur Seite und rollte sich ab. T.K. stürmte an ihnen vorbei und rannte in den Gang, aus dem Taneo zuvor gekommen war.

„Na warte, Bürschlein!“, zischte Miyuki. Ihr DigiVice glühte auf und in ihrer Hand materialisierte sich eine doppelläufige Pistole. „Patronentorpedo!

Ein Knall ertönte, eine Kugel sauste knapp über T.K.s Kopf hinweg, zerzauste seine Haare und stanzte ein Loch in die Wand.

Kentarous Finger flogen blitzartig über sein Keyboard. Zwei Klappen im Boden öffneten sich und zwei Plattformen wurden in die Höhe gefahren, auf denen roboterartige Mekanorimon standen. Sie hoben die metallenen Arme und flogen mit ihren Jetpacks auf T.K. zu. Das erste war knapp hinter ihm, als Miyuki erneut schoss. Die Kugel drang in den Panzer des Digimon ein und zerfetzte es in einer qualmenden Explosion. „Du Trottel!“, schrie das Mädchen Kentarou an, als T.K. den Gang erreichte und aus ihrem Blickfeld verschwand. Mit rauchender Pistole nahm sie die Verfolgung auf. Kentarous Finger klimperten weiter. Ansatsus DigiVice glühte auf und er löste sich wortlos in einem Luftflimmern auf.

Miyuki hörte T.K.s Schritte, aber sie konnte ihn nicht sehen. Der Gang war zu finster. Woher wusste er, wohin er laufen musste? War er schon einmal in dieser Festung gewesen? Oder wusste er es am Ende gar nicht? Sie hörte den Antrieb des Mekanorimons und legte einen Zahn zu.
 

T.K.s Erinnerung kam langsam wieder, als er durch die Gänge hetzte. Die Wege innerhalb der fliegenden Festung sahen zwar alle gleich aus und es lag Ewigkeiten zurück, dass er das letzte Mal hier war, aber er konnte dennoch erahnen, welcher der Gänge zu dem gewaltigen Maschinenraum führte, von dem aus die Festung betrieben wurde. Er rannte so schnell er konnte, hinter sich hörte er das Brausen des Mekanorimons, das ihn verfolgte, aber oft war es so dunkel, dass er es nicht einmal gleich sah, wenn er an einer Biegung angelangt war, und im letzten Moment abbremsen musste, um nicht dagegenzuprallen. Das Blut aus seiner Stirnwunde verschleierte ihm zusätzlich die Sicht, und während der Anstrengung war es unmöglich, den Blutfluss zu stoppen. Es war fast so, als wollte sein Herz den Lebenssaft geradewegs aus seinem Körper pumpen. Und Piedmons Schwert war zwar viel leichter, als er erwartet hatte, aber dennoch war es recht lang und mühsam zu tragen. Als er endlich helles Licht vor sich sah, hatte er längst Seitenstechen.

Er lief aus dem Tunnel auf die schmale, geländerlose metallene Brücke hinaus, die zur zentralen Kammer des Maschinenraums führte. Unter ihm gähnte ein bodenloser Abgrund, aber er verschwendete keinen Gedanken daran. Hier auf dieser Geraden war er ein leichtes Ziel, aber er hatte keine Wahl. Die Tür zur Maschinenkammer öffnete sich, als er näherkam. Zum Glück. Sobald er in dem mit hellem Metall verkleideten Raum stand, drängte er sich die kreisförmige Wand entlang. Ein Schweißtropfen lief ihm über die Schläfe. Er hatte nicht viel Zeit. Das Mekanorimon würde schnell aufholen.

In der Mitte des Raumes, auf einem kleinen Podest, stand die Energiequelle der fliegenden Festung. Damals, zu Zeiten des DigimonKaisers, war es ein goldenes DigiArmorEi gewesen, das die gewaltige Maschine angetrieben hatte. Heute war es eine formlose, glühende Lichtkugel in einer gläsernen Hülle, von der aus Blitze in alle Richtungen schossen. Ohne lange zu zögern holte T.K. tief Luft, hob das Schwert und rammte es mit aller Kraft in den Glaskasten. Die glühende Kugel zerbarst zischend, Scherben flogen in alle Richtungen davon. Es wurde dunkel in der Kammer und T.K. spürte, wie ein Ruck durch die Festung ging, dann noch einer, der ihn fast von den Füßen riss. Er hörte ganz in der Nähe einen wütenden Aufschrei. Hastig rannte er zu der Tür, die auf die nächste Metallbrücke führte, welche im rechten Winkel zu jener lag, über die er gekommen war.

Die Tür glitt nicht auf.

T.K. fluchte und trat mit dem Fuß dagegen. Natürlich. Er hatte den Strom abgeschaltet.

Die Krallen des Mekanorimons scherten über den Metallboden, als es in der Kammer landete. Das einzelne Auge glitt suchend umher, fixierte ihn … und schoss einen rot glühenden Laserstrahl auf ihn ab.

T.K. warf sich zu Boden. Der Strahl schnitt durch die Tür wie durch Butter und ließ Funken und geschmolzenes Metall zu Boden regnen. Ein heißer Klumpen traf T.K.s Handrücken. Der sengende Schmerz ließ ihn aufschreien. Er rollte sich geistesgegenwärtig zur Seite, als das Mekanorimon seinen Laser erneut aufglühen ließ. Diesmal spürte er die Hitze des Strahls, der durch den Boden fuhr. Er sprang auf. Der Laser hatte weite Teile der Tür regelrecht ausradiert. Ein Loch war entstanden, breit genug, dass er der Länge nach hindurchpasste. Er packte das Schwert fester und sprintete los. Als er die Tür erreichte und zum Sprung ansetzte, sah er durch das Aufglühen im Dunkel, dass das Mekanorimon zu einem neuerlichen Schuss ansetzte. Mit einem Hechtsprung tauchte er durch die Öffnung und landete bäuchlings auf der Brücke dahinter. Keine Sekunde später zischte ein Laserstrahl über ihn hinweg. So gut es auf der schmalen Brücke ging, lief er im Zick-Zack-Kurs bis zu der Öffnung, die wieder in den Bauch der Festung führte. Das Mekanorimon schoss noch einmal. Die Brücke erbebte, als sie knapp hinter seinen Füßen zusammengeschmolzen wurde. Metall knirschte. T.K. hoffte, dass sie hinter ihm zusammenbrach. Er erreichte den Gang und rannte weiter. Jetzt galt es, einen Ausgang zu finden.
 

„Verdammte Scheiße!“, schrie Miyuki, als sie in der Maschinenkammer ankam und die Bescherung sah. Die Ränder des Loches in der Tür glühten noch, und der DigiRitter war über alle Berge.

„Miyuki!“, hörte sie die blecherne Stimme von Kentarou durch die Lautsprecher des Mekanorimons. „Spring auf das Mekanorimon, ich schicke es ihm hinterher.“

Miyuki murmelte weiterhin Flüche, während sie auf das Maschinendigimon kletterte und sich an der Leiter festhielt, die an dessen Rücken angebracht war. Kurz überprüfte sie die Munition ihrer Pistole. „Ich bin soweit.“

Das Mekanorimon drehte sich um und trat auf die vorige Brücke. Dann schaltete es seinen Flugantrieb ein und sauste über den Abgrund zu dem Stollen, in dem der DigiRitter verschwunden war. Als sie den schnurgeraden Gang entlangflogen, musste sich Miyuki eingestehen, dass sie auf dem Maschinendigimon wirklich schneller unterwegs war. Sie hielt die Pistole mit der Mündung nach oben und hielt wachsam Ausschau. „Na warte“, zischte sie. „Wenn ich dich kriege, blas ich dir das Hirn aus dem Schädel!“

Sie sausten an einer Nische vorbei und Miyuki sah die Bewegung aus den Augenwinkeln. Die Zeit schien sich urplötzlich ins Unendliche zu dehnen. Der DigiRitter stand direkt neben ihr und sein Schwert fuhr in einem weiten Halbkreis direkt auf sie zu – als wolle er einen heranfliegenden Baseball wegknallen. Geistesgegenwärtig warf sie sich vom Rücken des Mekanorimons. Unendlich langsam löste sich ihre Hand von der Metallsprosse. Die Klinge blitzte im fahlen Licht direkt vor ihrem Gesicht auf. Es hatte keinen Zweck … Miyuki riss die Augen auf. Sie war erledigt.

Das Mekanorimon änderte die Flugrichtung und sie wurde endgültig abgeworfen. Ein bestialischer Schmerz flammte in ihrer Bauchgegend auf, als die kalte Klinge in ihr Fleisch biss und an der Hüfte wieder austrat. Die Welt drehte sich und ihr Abendessen wollte nach oben. Hart schlug sie auf dem glatten Boden auf und rutschte weiter, bis die Wand sie mit der Wucht eines Hammerschlags auffing. Das Mekanorimon verlor die Kontrolle über sich, rotierte um seine eigene Achse und explodierte in einer Flammenwolke, als es mit voller Geschwindigkeit gegen die Wand krachte. Kentarou hatte ihr das Leben gerettet – oder war es Zufall gewesen?

Miyuki versuchte sich zu bewegen, aber ihr Körper war ein einziger Schmerz. Sie sah alles durch einen roten Nebel. Sie hustete Blut und konnte nur mit Mühe ihren Mageninhalt behalten. Unter ihr breitete sich eine dunkle, warme Pfütze aus. Ihren rechten Arm hatte sie sich garantiert gebrochen, und sicherlich nicht nur ihn. Ihre Beelzemon-Pistole war in die Dunkelheit davongeschlittert. Aber aufgeben würde sie deshalb nicht!

T.K. kam auf sie zu und fasste das Schwert grimmig mit beiden Händen. Miyuki hob den linken Arm und ihr DigiVice glühte auf. Ein Revolver begann sich in ihrer Hand zu materialisieren. T.K. biss sich auf die Lippen. Er war noch zu weit von ihr entfernt – wenn er näher kam, würde sie ihn treffen. Also wirbelte er herum und rannte weiter den Gang entlang – und hoffte, dass sie mit links nicht so gut zielen konnte. Die Rechnung schien aufzugehen; er hörte zwar das hohle Geräusch von Schüssen, aber keiner davon traf ihn.

Miyuki schoss noch ein paar Mal in die Dunkelheit, als sie ihn nicht mehr sehen konnte. Dann war ihr Magazin leer und sie ließ kraftlos den Arm sinken. „Das … kriegst du zurück“, ächzte sie und kniff stöhnend die Augen zusammen, als sie eine neuerliche Schmerzwelle überrollte.
 

Nach einer schieren Ewigkeit sah T.K. wieder schwaches Licht – das silberne Licht eines fast vollen Mondes. Ein Ausgang!

In einem kräftesparenden Trab verließ er den Gang. Er fand sich auf der oberen Plattform der Festung wieder, direkt unter dem Sternenhimmel. Gottseidank! Seine Glückssträhne würde sicherlich bald enden.

Sie endete sogar abrupt.

Er warf einen Blick über die Kante der Plattform und erkannte zu seinem Entsetzen, dass unter ihm nur Wasser und wogende Wellen waren. Die Mobile Festung hatte das Festland verlassen und flog über ein Meer hinweg. Sie verlor beständig an Höhe; T.K. hatte zwar den Antrieb abgeschaltet und der Boden unter seinen Füßen vibrierte immer wieder kurz, aber noch hielt sich die Festung einigermaßen in der Luft und senkte sich nur langsam ab – was wohl eine Art Notfallmechanismus war.

Das Kreischen von Metall ließ ihn herumfahren. Und ebenfalls mit dem Notfallsystem schienen auch die Bodenklappen betrieben zu sein, die sich öffneten. Über kurze Metallrampen fuhren auf jeder Seite der Plattform zwei panzerartige Tankmon aus dem Leib der Festung. T.K. wich zurück. Die Kanonen richteten sich auf ihn.

Sein Herz schlug wie verrückt. Blut und Schweiß brannten in seinen Augen. Was sollte er jetzt tun? Er tat das erste, was ihm in den Sinn kam. Bevor die Kanonen vollständig ausgerichtet waren, hechtete er zu dem nächsten Tankmon und versteckte sich hinter ihm. Da das Digimon auf Panzerketten fuhr, dauerte es eine Weile, bis es gewendet hatte. Solange konnte er es als Deckung …

Mit einem gewaltigen Knall explodierte das Tankmon. Die Druckwelle riss T.K. von den Füßen und ließ ihn gefährlich nah an die Kante der Plattform rutschen. Der Aufprall hatte ihm die Luft aus den Lungen gepresst. Schwer atmend besah er sich die rauchenden Überreste des Tankmons, die sich eben in Daten auflösten. Die anderen Maschinen hatten einfach auf es geschossen! Ein leises Surren verriet ihm, dass die nächsten Projektile nicht mehr lange auf sich warten lassen würden. Er warf einen Blick über seine Schulter. Zu springen war die letzte Möglichkeit.

Er holte tief Luft und ließ sich kerzengerade über die Kante fallen. Fast drohte er sich im Fall auf den Rücken zu drehen, aber dann tauchte er annähernd gerade ins Wasser ein. Es war eisig kalt. Salzwasser drang in seine Nase und brannte in seiner Stirnwunde wie Feuer. Er verlor unter Wasser die Orientierung, riss die Augen auf, verfolgte die Richtung der im Dunkeln kaum zu sehenden Luftblasen und strampelte sich nach oben. Mit dem Schwert in der Hand war das Schwimmen nicht einfach, aber er würde den Teufel tun und es jetzt loslassen!

Keuchend und hustend durchbrach er die Wasseroberfläche. Seine Augen brannten, als stünden seine Augäpfel in Flammen, aber er zwang sich, sie offen zu halten, Über sich sah er den verhänghisvollen Schatten der Festung, die kaum noch von der Stelle kam. Irgendetwas dort oben begann zu schimmern, dann erschien ein kaum auszumachender Schatten dort, wo er eben noch selbst gestanden war.

Ansatsu.

Der Dunkle hob die Hände über den Kopf und ein rot glühender Energieball erschien über ihnen, wuchs und wuchs, bis er die Größe eines Heißluftballons erreicht hatte. Ein Schauer breitete sich in T.K. aus. Das war BlackWarGreymons Attacke, die Schwarze Planetenkraft. Wenn Ansatsu das Ding auch nur in seine Nähe schleuderte, war es aus und vorbei.

In dem Moment tauchte die Fliegende Festung ins Wasser ein. Ansatsu verlor das Gleichgewicht und purzelte hintenüber auf die Plattform. Die Schwarze Planetenkraft schrumpfte in sich zusammen und verschwand. Eine gewaltige, spritzende Woge erfasste T.K, als die Festung das Wasser verdrängte, und spülte ihn fort, drückte ihn wieder unter Wasser. Er hielt die Luft an und ließ sich so weit von der Welle tragen, wie es ging. Vor kurzem hatten sie noch einen Wald überflogen, also war das Festland hoffentlich nicht weit entfernt.
 

Mobile Festung des DigimonKaisers, DigiWelt

Dienstag, 22. August 2007

22:28 Uhr
 

„Alles okay, Taneo?“, fragte Kentarou, als Taneo aus seiner Kammer schlurfte. Der Computerfreak hockte immer noch vor seinem Laptop, von Miyuki und Ansatsu fehlt jede Spur.

Taneo reagierte nicht auf die Frage. „Ihr habt ihn also noch nicht?“

„Ich hab uns natürlich für eine Wasserschlacht vorbereitet“, sagte Kentarou. Seine Brille reflektierte das Licht seines Bildschirms; es sah aus, als würde sie von selbst leuchten. Seine Finger flogen über das Keyboad, schienen die Tasten gar nicht zu berühren. „Ich hab schon mal die Submarinemon klargemacht.“

Taneo trat zu ihm und verfolgte die roten Punkte auf seinem Bildschirm, die die Position der Digimon anzeigten, mit nachdenklichem Gesicht.
 

Meer, DigiWelt

Dienstag, 22. August 2007

22:32 Uhr
 

T.K.s Arme waren schwer wie Blei und schmerzten höllisch, aber er zwang sich, weiterzuschwimmen. Die Welle, die die eintauchende Festung erzeugt hatte, hatte ihn weiter weggeschwemmt, als er gehofft hatte, aber noch immer war kein Festland in Sicht. In der Nacht war es freilich schwierig, den Horizont auszumachen, aber wenn er ihn nicht bald fand oder gar in die falsche Richtung schwamm, waren die Dunklen seine geringste Sorge. Dann würde er hier jämmerlich ertrinken.

Ein unbestimmtes Gefühl beschlich ihn. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ihn niemand verfolgte. Dem Gefühl folgend, tauchte er unter. Wenn er die meiste Zeit unter Wasser blieb, würde man ihn von der Luft aus schwer ausmachen können.

Dabei hatten sie ihn längst gefunden.

Salzwasser brannte in seinen Augen. Dafür, dass es rein digital war, tat es höllisch weh. Er riss die Augen so weit auf, wie er konnte, bis er sich vergewissert hatte, dass das Licht wirklich da war.

Etwas kam auf ihn zu, und es suchte nach ihm. Und noch dazu war es rasend schnell.

Er tauchte auf und holte tief Luft. Mittlerweile war ihm so kalt, dass seine Lungen zu streiken versuchten. Er versuchte sich herumzuwerfen, aber im Wasser war er praktisch hilflos. Ein dumpfes Vibrieren ließ die Wasseroberfläche erzittern, dann traf ihn etwas heftig in den Bauch. Zunächst fühlte es sich an wie eine Faust aus Luft, dann wurde es teuflisch heiß und brannte sich in seine Haut. Mit einem lauten Aufschrei wurde T.K. wie ein Kieselstein über die Wasseroberfläche geworfen. Sein Kopf geriet unter Wasser und das Salz brannte in seinen Schleimhäuten. Er hustete, schmeckte das grässliche, scharfe Salzwasser in seiner Kehle, und übergab sich. Kaum dass er die Orientierung wiedergefunden hatte, warf er sich einem Reflex folgend im Wasser herum. Die scharfe Sägenase eines Submarinemons schlitzte seinen Mantel an seinem Rücken auf. Er fühlte das kalte Metall über seine Haut streifen, aber es war nur eine sachte Berührung.

Das Submarinemon kam neben ihm kurz an die Oberfläche – und diesen Moment nutzte T.K, um mit dem Schwert zuzustechen. Woraus auch immer die Klinge bestehen mochte, sie zertrümmerte den gläsernen Oberteil des U-Boot-Digimons, das sofort wieder abzutauchen versuchte.

Bevor er wusste, was er eigentlich tat, griff T.K. in das Cockpit und umfasste einen der Hebel darin. Solange er über dem Submarinemon war, konnte es ihn nicht angreifen. Dann fiel ihm ein, wie Cody sein Submarinemon über die Hebel in dessen Inneren steuern konnte. Er glaubte nicht, dass diese Digimon nach freiem Willen handelten – warum sollten sie auch für die Dunklen arbeiten –, aber einen Versuch war es wert.

Während das Submarienmon noch auf Tauchstation ging, zog sich T.K. vollständig in das zersplitterte Cockpit. Blasen blubberten aus seinem Mund. Die scharfen Glaskanten schnitten in seine Haut, aber er war bereits so stark mitgenommen, dass er es kaum noch spürte. Wenn überhaupt, bedeutete Schmerz jetzt, dass er noch am Leben war.

Er packte sein Schwert mit den Zähnen, um beide Hände für die Steuerhebel frei zu haben. Langsam ging ihm die Luft aus. Wenn das nichts wurde, war er erledigt.

Er zog beide Hebel zurück. Das Submarinemon zitterte vielversprechend. Er zog weiter an den Steuerknüppeln, und das Digimon beschrieb eine steile Kurve aufwärts. T.K. wurde von dem schnellen Aufstieg schwindlig und der Geschmack von Galle auf seiner Zunge verstärkte sich – doch dann durchbrachen sie die Wasseroberfläche und er atmete tief durch, hustete, atmete wieder. Langsam versuchte er sich an die Steuerung des Submarinemons zu gewöhnen. Solange er an der Oberfläche blieb, war es kein Problem. Und jetzt hatte er sogar ein Transportmittel. Er würde es allerdings zerstören müssen, sobald er es nicht mehr brauchte, zur Sicherheit. Zum Beispiel könnte er es mit voller Wucht gegen einen Felsen fahren lassen. Dafür müsste er aber erst mal einen Felsen finden.

T.K. hatte in dem Gefecht völlig die Orientierung verloren. Auf gut Glück fuhr er in eine Richtung los, die ihm zumindest nicht falsch vorkam.
 

Mobile Festung des DigimonKaisers, DigiWelt

Dienstag, 22. August 2007

22:40 Uhr
 

„Das darf doch nicht wahr sein! Ist das zu fassen?“ Kentarou sah aus, als könnte er jeden Moment auf die Tastatur hauen – und zwar nicht mehr nur mit einzelnen Fingern, sondern mit der ganzen Faust.

„Was denn?“, fragte Taneo.

„Sieh dir das an!“ Kentarou deutete auf einen der Punkte, die die Submarinemon markierten. Der Punkt flimmerte rot, als wäre das Signal instabil, und entfernte sich schneller als die anderen von der Festung, die die Umgebung systematisch untersuchten.

„Das sieht mir so aus, als hätte er dich überlistet, Kentarou“, sagte Taneo nüchtern.

„Er hat eines meiner Submarinemon gekapert! Das ist ein verdammt gewitzter Teufelskerl!“

Sie beobachteten schweigend, wie das übernommene Digimon Richtung Festland davonfuhr, die anderen verfolgten es.

Aus den Augenwinkeln sah Taneo, wie Ansatsu sich in dem Raum materialisierte. „Miyuki braucht ärztliche Hilfe“, sagte er ruhig. „Habt ihr ihn?“

„Wir werden sehen. Wenn er an Land geht, gibt er die Kontrolle über das Submarinemon auf, richtig? Kannst du ihm dann einen Sauerstofftorpedo hinterherjagen?“, fragte Taneo.

Kentarou zuckte mit den Schultern. „Ich bin zum ersten Mal gehijackt worden, aber vielleicht.“

„Tu es. Mal sehen, wie er das abwehren will.“

Der rote Punkt erreichte das Festland, das als braune Masse auf der Karte eingezeichnet war, und – verschwand.

Kentarou stieß die Luft aus. „Er hat es zerstört! Verfluchte Scheiße!“ Er raufte sich die Haare. „Es war sauschwer, das Teil in die Finger zu kriegen! Dafür bezahlt er!“

„Was tun wir, Taneo? Soll ich hinterher?“, fragte Ansatsu.

„Nein“, entschied der Anführer der Dunklen. „Erst kümmern wir uns darum, diese Festung wieder flugtauglich zu machen. Takeru-senpai läuft uns sicher wieder mal über den Weg.“
 

Waldlichtung, DigiWelt

Mittwoch, 23. August 2007

2:11 Uhr
 

Patamon war zu dem Treffpunkt geflogen, den sie sich ausgemacht hatten. Eigentlich hatte T.K. Taneo erst später gegenübertreten wollen, aber es hoffte, dass er irgendwann hier auftauchen würde.

Bis spät in die Nacht hinein sorgte Patamon sich, als es endlich schlurfende Schritte hörte, die achtlos Zweige zerbrachen. Es horchte auf. „T.K!“, rief es erfreut und spreizte die Flügel.

T.K. sah schrecklich aus. Sein Mantel war zerrissen und hing ihm in Fetzen über den Rücken. An der Brust war er verbrannt, die Haut war krebsrot und mit kleinen Bläschen übersät. Sein Gesicht war voller eingetrocknetem Blut; die breite Schnittwunde über dem rechten Auge war verkrustet. Sein Haar war geplättet und verfilzt, seine Stiefel gaben bei jedem Schritt quatschende Geräusche von sich. Aber er lächelte. „Es war ein Erfolg“, sagte er kraftlos und ließ sich vor Patamon zu Boden sinken. Die Klinge von Piedmons Schwert funkelte im Mondlicht.

„Dann hast du …?“, fragte Patamon, als es die Waffe aus großen Augen ansah.

T.K.s Lächeln wurde breiter. Er zog etwas aus seiner Hosentasche hervor. Es war eine von Myotismons Karten; ein Kuwagamon war darauf abgebildet. Das Wasser schien von der Karte abgeperlt zu sein; sie war völlig trocken.

Patamon staunte. „Das heißt also, wir werden …?“

T.K. nickte. „Das Bluray-Gebirge wartet auf uns.“
 

=============================================
 

Ich merke gerade, meine Kapitel werden länger^^ Und beim Korrekturlesen ist mir aufgefallen, dass diesmal ziemlich viel geflucht wird. Hoffe, das stört keinen ;)

So, Taneo hat seine Pläne offenbart. Ich muss sagen, ich bin recht stolz auf sein Vorhaben, weil es nicht einfach darum geht, die DigiWelt zu erobern XD Hoffentlich war die Actionszene nicht nur spannend, sondern auch gut zu verfolgen (war recht komplex diesmal^^).

Abschließend will ich mich noch bei allen Kommischreibern bedanken, weil ich das so allgemein viel zu selten mache :) Danke!

Nightmare Castle

Geistertal, DigiWelt

Mittwoch, 23. August 2007

18:43 Uhr
 

In den Tiefen des Bluray-Gebirges, umgeben von Bergen, die zu umfliegen unmöglich war und die man nur in schmalen Stollen durchqueren konnte, hielten die verbleibenden neun DigiRitter und ihre Digimon vor der Mündung des Tals, das so schmal war, dass es eigentlich mehr als Schlucht gelten konnte. Und nun wurde ihnen auch offenbar, warum man diesen Ort Geistertal nannte: Er war schlicht und einfach gruselig.

Von einem Moment auf den anderen schien das Licht von einer formlosen Finsternis geschluckt zu werden, sodass zwischen den Steilhängen nur grauer, lebloser Schatten herrschte. Wie Zähne ragten Gesteinszapfen von den Wänden herunter. Der Boden war rissig und stieß milchigen Qualm aus. Eine Wand aus seltsam substanzreichem Rauch sickerte aus einer breiten Spalte im Boden und wölbte sich wie eine Kuppel über die Schlucht.

Cody lief eine Gänsehaut über den Rücken. „Wir sind da“, sagte er überflüssigerweise. „Irgendwo da drin bewahren die Albtraumsoldaten ihre Karten auf.“

Matt sah zu den abweisenden Felszinnen hoch. Alles in ihm schrie danach, kehrtzumachen oder wenigstens noch ein wenig zu warten, ehe sie die Schlucht betraten, aber er spürte Davis‘ feindseligen und Tais missmutigen Blick im Nacken. Er straffte die Schultern. „Dann wollen wir mal. Je eher wir hineingehen, desto eher sind wir wieder draußen.“ Vorsichtig teilte er den Rauch mit der Hand. Er fühlte sich an wie feine Spinnweben. Matt hielt die Luft an und trat durch die Rauchwand hindurch. Die anderen folgten ihm.

Gabumon wollte ihnen als erstes hinterhergehen. Als es die Schnauze in den Rauch steckte, prallte es davon zurück. „Autsch!“

„Was hast du denn, Gabumon?“ Agumon lief an seinem Freund vorbei – und knallte ebenfalls gegen den Rauch, als wäre es gar kein Rauch, sondern eine massive Wand.

„Was habt ihr?“, fragte Mimi alarmiert.

„Wir kommen da nicht durch“, sagte Gabumon und tastete mit der Pranke die Rauchschwaden ab. Sie waren unter seinen Pfoten tatsächlich wie Glas.

Agumon fackelte nicht lange. „Kleine Flamme!“ Sein Feuerball durchdrang die Rauchwand mühelos und die DigiRitter mussten zur Seite springen, um nicht angesengt zu werden. „Komisch“, murmelte das Dinosaurierdigimon beschämt.

„Sieht nicht so aus, als würde uns der Rauch durchlassen“, stellte auch Tentomon fest, als es prüfend gegen die unsichtbare Wand tippte.

Izzy massierte nachdenklich sein Kinn. „Die Scherben müssen das Tal irgendwie abgesichert haben. Vielleicht ... Vielleicht ist es eine Art umgekehrte Firewall.“

„Was meinst du damit?“, fragte Matt.

„Eine Firewall schützt ein System vor Eindringlingen, grob gesagt. Im Besonderen vor Viren. Was, wenn das hier genau das Gegenteil ist?“

„Du meinst, eine Wand, die nur Virus-Digimon durchlässt?“, fragte Sora.

„Genau. Die Albtraumsoldaten sind so gut wie alle Digimon vom Typ Virus, während es wohl nur äußerst selten vorkommt, dass ein DigiRitter einen Partner vom Typ Virus hat. Somit ist das Tal für die Scherben passierbar, aber wir können unsere Digimon nicht mitbringen.“

„Pff“, machte Davis. „Ist doch völlig egal, was dahintersteckt. Wenn wir unsere Digimon nicht mitnehmen können, müssen wir die Karten eben allein finden!“

Matt bedachte ihn mit einem strafenden Blick, den er trotzig erwiderte. „Aber ohne unsere Partner sind wir ziemlich schutzlos“, stellte der neue Anführer fest. „Wer weiß, was uns erwartet.“

„Es gibt keinen anderen Weg, oder?“, gab Davis zurück.

„Wir haben uns eben erst wiedergefunden, und da sollen wir uns schon wieder trennen?“, fragte Yolei mutlos und sah Hawkmon enttäuscht an.

Gabumon nickte den anderen Digimon zu. „Wir können euch wenigstens von hier aus Deckung geben und aufpassen, dass euch niemand folgt.“

Matt musste auch jetzt wieder schnell überlegen. Schließlich gab er sein Einverständnis. Die Digimon digitierten, so hoch sie konnten, und wenn etwas passierte, versprachen sie, am Himmel ein gut sichtbares Signal zu setzen.

Mit mulmigen Gefühlen setzten die DigiRitter den Weg durch die Schlucht fort. Cody hatte die Hand fest um den Griff seines Katanas geschlossen, während Yolei immer wieder zu ihrer Tasche tastete, um sich zu vergewissern, dass sie die Pistole darin immer noch fühlen konnte.

Der rissige Boden stieg an und Rauchfetzen schwebten durch die Luft, während das Geistertal immer breiter wurde. Als sie eine gute halbe Stunde unterwegs waren und die Nacht Einzug gehalten hatte, schälten sich die Umrisse eines hohen Gebäudes aus der Düsternis. Die Schlucht war zuende und in einer kreisförmigen Senke stand etwas, das halb Burg, halb Hotel zu sein schien.

Das Gebäude war wirklich absurd. Es war mindestens fünfzehn Stockwerke hoch, auf der einen Seite glatt gemauert und von gelber, ausgeblichener Farbe, mit modernen Fenstern und grünen Fensterrahmen und einem Flachdach, auf dem undeutlich eine Satellitenschüssel zu erkennen war. Auf der anderen Seite wuchs wie eine hässliche Mutation eine Festungsbaut aus grauem Stein aus dem Hotel, mit spitzen Erkern und Türmen, vergitterten Fenstern, Schießscharten und brüchigen Wänden.

„Was zum Kuckuck ist das denn? Das Ding sieht aus, als wäre mitten im Bauprojekt der Architekt gestorben und sein Nachfolger hätte eine ganz andere Ansicht von Gemütlichkeit gehabt“, meinte Mimi sarkastisch.

„Wir haben doch schon öfter erlebt, dass Dinge aus der Realen Welt in der DigiWelt gelandet sind. Denkt nur an die Telefonzellen an Shellmons Strand zurück. Vielleicht ist ein ganzes Hotel hier erschienen, als die Tore seinerzeit geöffnet waren“, analysierte Izzy.

„Zur Hälfte in einer Festung drin?“, murmelte Matt skeptisch. Izzy zuckte mit den Schultern.

„Es ist das einzige, wo sie hier die Karten verstecken könnten, also nichts wie rein.“ Davis war zwar schon früher drängelnd gewesen, aber in letzter Zeit sagte er alles in einem so genervten Unterton, dass er unausstehlich geworden war.

Matt drückte die schweren Türflügel auf. Die Eingangshalle des Hotels war heruntergekommen und verlassen und – wurde in der Mitte von einer massiven Steinmauer gespalten. Das Gebäude war wohl wirklich mitten in der alten Festung erschienen, und es gab an dieser Stelle keinen Durchgang. Neben den zerrissenen, verstaubten Sofas und dem leeren Bücherregal und dem ebenso leeren Blumentopf neben dem Eingang gab es nur den Aufzug. Das Stiegenhaus musste sich in dem Teil des Hotels befinden, der nicht vorhanden war. Schweigend sahen sich die DigiRitter an. Matt zuckte schließlich mit den Schultern. Nicht zum ersten Mal fühlte er, wie die Verantwortung schwer auf ihm lastete. Die anderen verließen sich darauf, dass er sie führte. Er steuerte den Aufzug an und drückte auf die Taste. Sofort glitten die Türen auseinander. Die neun DigiRitter hatten gerade so alle auf einmal Platz. Sora drängte sich gegen Matt – ob nun bewusst oder nicht, wenigstens ein angenehmes Gefühl an diesem düsteren Ort, fand er.

Wie sich herausstellte, funktionierte nur der Liftknopf, der in den zehnten Stock von dreizehn führte. „Meint ihr, sie wollen uns zu einem bestimmten Ort führen?“, fragte Izzy, während sie in die Höhe fuhren.

„Es weiß doch niemand, dass wir hier sind“, sagte Cody.

„Aber für einen Zufall ist mit ein Stock von dreizehn doch zu merkwürdig.“

Niemand wusste eine Antwort. Aber wenigstens hatte sich die Größe des Bereichs, in dem sie suchen mussten, verringert.

Als die Lifttüren wieder auseinanderglitten, quollen die DigiRitter in ein kleines Vorzimmer, von dem eine schwere Eichenholztür in einen großen Saal führte, dessen Zweck ihnen zunächst einmal verborgen blieb. Es mochte ein Wartesaal sein oder eher ein länglicher Konferenzraum; der Boden war aus dunklem Holz, die Wände gelblich verputzt, Licht brannte in den Wandlampen, woher auch immer es hier den Strom nahm. Eine massive Holztafel mit zerkratzter Tischplatte stand genau in der Mitte des Raumes und war etwa zehn Meter lang. In regelmäßigen Abständen standen Stühle aus dem gleichen Holz an beiden Enden der Tafel. Es gab auf der linken Seite des Raumes vier große Fenster, durch die man dank der Höhe einige der Felsspitzen jenseits der Schlucht sehen konnte, ehe die graue Düsternis und die Rauchschwaden die Sicht verschlangen.

„Hier könnte man die Karten verstecken, schaut“, sagte Sora und zog eine Schublade aus der Tafel. Vor jedem Stuhl war eine angebracht.

„Oder da“, sagte Cody und deutete auf eine Reihe metallisch blitzender Spinde gegenüber der Fenster, die aus einer gewöhnlichen Sportumkleide hätten stammen können, wären sie nicht so sauber und edel gewesen.

„Das dauert ja ewig, die alle durchzusehen“, stöhnte Davis und raufte sich die Haare.

„Wenn sie überhaupt offen sind“, fügte Cody hinzu.

„Wartet!“, stieß Davis plötzlich aus und hob die Hand. Die anderen verstummten.

„Was hast du?“, fragte Sora nach einer Weile.

„Schhhh!“, machte Davis unwillig. „Habt ihr das nicht gehört?“

„Was gehört?“ Mimi wurde unbehaglich zumute. Sie hatte sich auf einen der Stühle gesetzt und rutschte unruhig hin und her. „Mach uns keine Angst! Dieser Ort ist unheimlich genug.“

Dann hörten es die anderen auch. Ein leises Klopfen, als würde jemand am Meißeln sein, untermalt von etwas, das sich wie ein Glockenspiel anhörte. Nach zwei Sekunden waren die Töne verschwunden. Izzy fröstelte. „Was ist das? Ehrlich gesagt wäre es mir lieber, wenn wir das Knurren eines wilden Digimons hören würden, und nicht sowas …“

„Es kommt von da.“ Davis deutete auf die Tür am anderen Ende des Raumes, die allem Anschein nach aus simplem Kunststoff war.

Matt rang kurz mit sich und nickte dann ihm und Cody zu. „Sehen wir uns das an. Ich weiß lieber, womit ich es zu tun habe. Ihr anderen könnt schon mal mit dem Suchen anfangen.“

„Ich komme auch mit“, beschloss Sora. Als Matt den Mund aufmachte, um etwas zu erwidern, unterbrach sie ihn sofort: „Du brauchst gar nicht erst versuchen, mich umzustimmen, ich bleibe auf jeden Fall bei dir.“

Matt seufzte. „Also schön.“ Sie gingen auf die Tür zu. Davis fiel sofort die rot bemalte Feuerwehraxt auf, die daneben, irgendwie deplatziert, an der Wand hing.

„Seid vorsichtig, das ist sicher eine Falle!“, rief Mimi ihnen nach. Joe murmelte etwas davon, dass sie lieber in aller Stille und unbemerkt die Karten suchen und wieder verschwinden sollten, aber er war kaum zu verstehen und sie hörten auch nicht auf ihn.

„Der beste Weg, eine Falle zu entschärfen, ist sie auszulösen“, behauptete Davis und nahm die Axt von den Haken. Sie war überraschend schwer und klobig. Er nickte den anderen zu. „Die nehm ich.“ Sein Tonfall machte klar, dass er keinen Widerspruch duldete, auch nicht von ihrem Anführer. Davis war es schließlich auch, der die Türklinke nach unten drückte und die Tür aufstieß – um mit erhobener Axt in den Raum zu springen. Es war stockdunkel. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er links von sich etwas hörte. Er wirbelte herum, sah aber nichts. Die Luft roch feucht. Ein Schweißtropfen kitzelte Davis an der Wange. Wenn dort etwas war, das ihn töten wollte, konnte er es nicht sehen …

Sora betrat hinter ihm den Raum. Ihre Finger taseten nach einem Lichtschalter. Die Wand bestand aus glitschigen Fliesen. Flackernd gingen Neonröhren an. Sie standen am Anfang von etwas, das wie eine Gemeinschaftsdusche eines Sportumkleideraums aussah: Ein etliche Meter langer Gang mit einzelnen Duschzellen ohne Tür. Am anderen Ende war neben zwei Klokabinen und zwei Handwaschbecken eine weitere Tür. Alles war in peniblem Weiß gehalten, so steril, dass es in seiner Unnatürlichkeit schon wieder unheimlich war.

„Langsam“, murmelte Matt.

Im Schleichtempo gingen sie, immer zwei und zwei, durch den Gang. Davis hielt den Atem an. Jeder seiner Nerven war zum Zerreißen gespannt, seine Handflächen juckten, als er die Axt schweißnass umklammert hielt. Warum hatte er nur solche Angst? Ja, er war ohne Veemon hier, und hinter jeder der Mauern, die die Duschen voneinander abgrenzten, konnte etwas lauern; etwas, das vielleicht nicht einmal ein Digimon war, Davis konnte sich das irgendwie gar nicht vorstellen, ganz bestimmt aber war es nicht menschlich …

Sein Herz pulsierte laut, drückte Schübe von Blut und Adrenalin durch pochende Adern. Er und Cody gingen als erstes, weil sie beide Waffen hatten, und er war irgendwie stolz darauf, dass Matt sich ihnter ihm versteckte. Sie erreichten die Klokabinen. Die Türen waren nur angelehnt. Sein Herzklopfen wurde noch heftiger. Dahinter versteckte es sich, ganz sicher. Es hatte Geräusche gemacht, also musste es hier sein. Er wusste einfach, dass es da war. Davis wollte den Moment, in dem er die Türen aufstieß, so lange wie möglich vor sich herschieben, aber seine Nerven waren am Durchbrechen. So biss er sich auf die Unterlippe, um sein Kiefer am Zittern zu hindern, und stieß mit dem Axtgriff die erste Kabinentür auf. Dahinter war ein leeres Klo, weiß und blitzblank wie alles andere hier.

Die zweite Tür. Er nickte Cody zu. Sie hoben beide die Waffen. Dort versteckte es sich. Es, das es kaum erwarten konnte, die blitzend sauberen, weißen Fliesen mit ihrem Blut vollzuspritzen. Davis holte tief Luft, trat die Tür mit dem Fuß auf und sprang einen Satz zurück.

Die Kabine war leer.

Davis atmete stoßartig aus. Hier war gar nichts?

Ein peitschender Knall ertönte hinter ihnen, gefogt von einem lauten Rumpeln und einem schrillen Schrei.

„Mimi!“ Davis wirbelte herum, stürzte an Matt und Sora vorbei, die sich ebenfalls erschrocken umsahen. Verdammt! Sie hätten sich doch nicht von der Gruppe entfernen dürfen!

Mit fliegenden Füßen rannte er halb, halb schlitterte er über die feuchten Fliesen zurück in den Besprechungssaal. „Was ist los?“, rief er, die Axt erhoben, nach Feinden Ausschau haltend. Hinter sich hörte er die Schritte der anderen, die ihm folgten.

„Die Tür!“, rief Mimi. „Die Tür ist …“

Davis sah Joe hilflos an der Tür zerren, die zum Aufzug führte. Sie war zugefallen. Und hatte sich selbst abgeschlossen?

Ein neuerlicher Knall erscholl. Noch bevor er sich umdrehte, wusste Davis, was er sehen würde. Die Tür, die in den Duschraum führte, war ebenfalls zugefallen. „Hey!“, schrie er. „Cody! Matt! Sora!“ Sie waren noch da drin – verdammt, warum waren sie nicht schneller gerannt? Er hackte mit der Axt auf das scheinbare Plastik ein, doch seine Schläge wurden wie von Metall aufgefangen. Brennende Wutschreie rollten aus seiner Kehle hervor, zerkratzten seine Stimmbänder.

„Das hat keinen Sinn, Davis!“, erreichte Yoleis Stimme seine Ohren.

Davis ließ keuchend die Axt sinken. Er hatte die Tür eingedellt, aber er würde wohl nie durchkommen. Nicht ohne Veemon. „Verdammt, was ist hier los?“, murmelte er weinerlich. Geräusche, wo nichts war? Türen, die sich von selbst zusperrten? „Hier stimmt irgendwas nicht, hier stimmt was ganz und gar nicht!“

„Ganz ruhig“, beschwor ihn Izzy. „Wir finden schon eine Lösung.“

„Ruhig?“, rief Davis hysterisch. „Hör dich doch mal an, deine Stimme zittert ja auch!“

„Hört auf, euch zu streiten!“, ging Yolei dazwischen.

Wir streiten nicht!“, fuhr Davis sie an. „Verdammt, wir sitzen hier fest, irgendwo in einem Spukschloss, in dem sicher tausend hungrige Monster herumkriechen!“

„Das weiß ich!“, schrie Yolei zurück. „Aber wir müssen ruhig bleiben!“

Aber Davis konnte nicht ruhig bleiben. „Matt!“, brüllte er so laut er konnte. „Komm sofort wieder zurück! Du hast uns hier reingeritten, hörst du?!“

„Die Tür scheint schalldicht zu sein.“ Izzy legte sein Ohr dagegen. „Ich höre gar nichts und wahrscheinlich können sie uns auch nicht hören.“

„Das Scheißding ist aus Plastik!“, rief Davis. „Mach Platz!“ Er trat an Izzy heran und hob wieder die Axt, wirkte für einen Moment, als hätte er vergessen, dass sein Freund noch vor der Tür stand.

„Verdammt nochmal, Davis, hör auf!“, kreischte Yolei aufgelöst. Izzy war mit weit aufgerissenen Augen erstarrt.

Joe packte Davis am Handgelenk und zwang ihn, die Axt sinken zu lassen. „Leg das Ding weg, das bringt nichts. Du kannst ja die andere Tür probieren, obwohl ich glaube, dass das auch keinen Unterschied macht.“

Davis starrte den Älteren entgeistert an, als könnte er es nicht fassen, dass Joe etwas gegen ihn sagte. „Halt du ja den Rand“, zischte er hasserfüllt. „Du hast es auch nicht geschafft, Kari zu retten!“

Die Worte wirkten wie ein Schalldämpfer. Plötzlich wurde es ruhig im Raum. Joe taumelte einen halben Schritt von Davis zurück, der plötzlich blass geworden war. „Tut mir leid“, murmelte er ernüchtert und ließ die Axt endlich sinken.

„Wir sind alle ziemlich mit den Nerven fertig, ja“, sagte Yolei. „Aber trotzdem sollten wir sehen, was wir tun können. Vielleicht können wir durch ein Fenster fliehen, und vielleicht finden wir sogar die Karten. Und einen Weg zu den anderen.“

„Und vielleicht digitiere ich demnächst zu Imperialdramon“, murmelte Davis, aber er klang plötzlich nur noch müde. Er ließ die Axt zu Boden fallen und sich schwer auf einen der Stühle plumpsen.

Die folgenden zwei Stunden suchte keiner von ihnen nach den Karten. Sie hockten alle nur missmutig auf den Stühlen und warteten darauf, dass irgendetwas geschah. Wenigstens etwas sicher fühlten sie sich. Draußen blieb es, obwohl es auf zehn Uhr zuging, so grau wie zuvor, als ob diesen unheimlichen Ort sogar die Zeit meiden würde, milchige Schwaden krochen vor den Fenstern umher – und plötzlich war da auch ein Schatten.

Zuerst dachte Mimi, dass sie ihn sich nur einbildete, aber da schob sich tatsächlich ein Schatten vor das Fenster, das sich am weitesten rechts befand. Dessen Scheiben waren so schmutzig, dass sie wie getönt wirkten, viel mehr als eine Silhouette war daher nicht zu erkennen. „Da!“, rief Mimi atemlos. „Da kommt etwas!“ Sofort waren die anderen auf den Beinen. Davis schnappte nach Luft und griff nach seiner Axt. Ein leises Pochen ertönte. Was immer da in der grauen Düsternis war, es wollte herein.

„Was tun wir?“, fragte Mimi.

„Wir machen einfach nicht auf“, sagte Joe bestimmt.

„Dann schlägt das Ding am Ende noch das Fenster ein!“ Davis stapfte entschlossen auf das Fenster zu. „Ich erledige das.“

„Warte, Davis!“

Ohne auf Yoleis Ruf zu reagieren, riss er den linken Fensterflügel auf und beugte sich hinaus, die Axt zum Schlag erhoben.

„Wowowo, Davis!“, rief die geduckte Gestalt, die an dem Sims balancierte, der knapp unter dem Fenster um das Stockwerk verlief, und wich instinktiv vor der Axt zurück. Dabei kam sie aus dem Gleichgewicht und drohte zu stürzen.

„Cody!“, rief Davis aus, langte nach vor, packte Cody am Handgelenk und zerrte ihn zu sich. Der Jüngere atmete auf, als er wieder festen Stand fand, und ließ sich in den Raum helfen.

„Was tust du denn da?“, fragte Davis, immer noch geschockt. „Hast du den Verstand verloren? Wir sind im zehnten Stock!“

„Anders ging es nicht.“ Cody wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er wirkte etwas bleich. „Ich wollte euch sagen, dass es uns gut geht.“

Den anderen fiel ein Stein vom Herzen. „Wie sieht es drüben aus?“, fragte Izzy.

„Wir haben nichts mehr von euch gehört und die Tür war nicht aufzubekommen“, erzählte Cody. „Also sind wir weitergegangen und in die alte Burg gekommen. Oder was auch immer das da drüben ist. Eine Menge Staub, Spinnweben und Ruß, nicht wirklich angenehm. Aber wir haben so etwas wie eine Speisekammer gefunden, in der sogar etwas gelagert wird. Hier.“ Damit fischte Cody ein paar verschrumpelte Äpfel und zwei kleine Orangen aus der Jackentasche.

„Habt ihr die Karten auch schon gefunden?“, fragte Izzy hoffnungsvoll.

Cody schüttelte den Kopf. „Leider nein. Wir waren noch nicht überall. Ich hab ein Fenster gefunden und wollte euch erst mal ins Bild setzen. Matt und Sora suchen noch weiter. Habt ihr was gefunden?“

„Noch nichts“, sagte Davis ausweichend. Er konnte nicht anders, als Cody unheimlich mutig zu finden, obwohl seine Aktion im Grunde wahrscheinlich ziemlich dämlich gewesen war.

Cody musterte ihn einen Moment, dann zuckte er mit den Achseln. „Gut, ich werd dann mal zurückklettern. Ich hab Matt und Sora versprochen, gleich wieder zurückzukommen. Also bis dann.“

„Warte, Cody!“, hielt ihn Izzy zurück. „Habt ihr … wirklich gar nichts gefunden? Nicht einmal Wächterdigimon oder etwas in der Art?“

„Nein, nichts. Die Burg scheint leer zu sein. Wieso?“

Izzy überlegte. „Immerhin haben wir keine Garantie, dass sich die Karten wirklich hier befinden. Die Information könnte falsch sein, und so was Wichtiges würden die Scherben doch bewachen wollen, oder?“

„Und was ist dann mit dieser verdrehten Firewall?“, gab Cody zurück. „Wir sind hier richtig, das fühle ich. Suchen wir weiter. Wir haben ja bis morgen Zeit.“

„Bis morgen?“

„Ah, das hatte ich vergessen zu erwähnen. Wir haben ein altes Wandfresko gefunden, wo eine Nachricht draufstand. Ziemlich verwittert und auf Englisch, aber wir konnten es entziffern. Dieses Gebäude wird Albtraumschloss genannt, und jeden Abend schließen sich die Türen für die Nacht. Bei Sonnenaufgang können wir wieder hinaus. So lange müssen wir wohl oder übel hier bleiben.“

Ein erleichtertes Aufatmen ging durch die Runde. „Dann müssen wir hier gar nicht versauern“, sagte Joe. „Ein Glück.“

„Ja, aber ich würde das Glück nicht herausfordern. Es hat sicher einen Grund, warum es Albtraumschloss heißt. Ich glaube übrigens nicht, dass die Scherben es gebaut haben, und ich will gar nicht wissen, wer sich diesen Spaß wirklich erlaubt hat“, murmelte Cody, straffte dann die Schultern und ging zum Fenster zurück. Schon halb auf dem Fensterbrett, rief er noch zurück: „Haltet die Ohren steif, vielleicht kann ich euch später noch was zu essen bringen. Bis dann!“

„Danke, Cody!“, rief Mimi, die sich ausnahmsweise nicht einmal über die Kargheit ihres Mahls aufregte.

Während Cody auf dem schmalen Sims nach rechts balancierte, auf den feindseliger aussehenden Teil des Gebäudes zu, langte Davis nach dem Fenstergriff, um das Fenster wieder zu schließen. Da sah er es. Aus den grau verhangenen Bergspitzen löste sich ein Schatten und schoss auf das Fenster zu, und das rasend schnell. Davis erhaschte nur einen Blick auf zwei weitgefächerte, graue Fledermausflügel und einen ausgemergelten Körper – dann packte das Wesen Cody mit seinen dürren Klauen wie ein Adler ein Kaninchen und riss ihn von der Wand fort.

Codys Schrei wehte zu ihnen herüber. Mimi, Izzy und Yolei schrien auch, als sie sahen, wie das Wesen ihn davontrug und mit seiner Beute ins Gebirge flog.

Und Davis schrie ebenfalls, am lautesten von allen, aber nur kurz. Dann fühlte er sich, als würde jemand Blei in seine Glieder pumpen. Kraftlos ließ er den Fenstergriff los. Wie ein verängstigtes Kind sank er unter dem Fenster zu Boden, zog die Knie an und presste die Hände vors Gesicht, starrte an seinen Fingern vorbei ins Leere. Er zitterte am ganzen Körper. Er hörte die anderen etwas rufen, das Fenster knallte zu.

Er hätte nicht hinsehen dürfen. Das war sein einziger Gedanke in dem Moment. Er hätte das nicht sehen dürfen. Aber dann hätten sie nie erfahren, welche Gefahren dort draußen lauerten … Zuerst Kari und jetzt Cody. Erst Kari und jetzt Cody!

Davis war völlig mit den Nerven fertig. Er wollte am liebsten alles verleugnen, die schreckliche Wahrheit, alles, was im Moment real war, sollte sich vor ihm zurückziehen.

Es hat Cody gepackt. Es hat Cody gepackt!
 

============================================
 

Das Kapitel sollte zur Abwechslung mal ein wenig Gruselstimmung vermitteln, ich hoffe, das ist mir gelungen ;) Das nächste wird "The Slide Rule’s Prophecy" heißen, ich lasse euch mal raten, was das zu bedeuten hat XD

Übrigens, falls sich jemand wundert, warum das Kapitel mit dem Hotel-Burg-Schloss so ist, wie es eben ist: Das meiste davon stammt aus einem Traum, den ich mal hatte und hier einbauen wollte. Ja, ich hab zuweilen recht epische Träume^^

Bis zum nächsten Kapitel also!

The Abacus' Prophecy

Albtraumschloss, DigiWelt

Mittwoch, 23. August 2007

22:08 Uhr
 

In der Ferne grollte Donner.

Mit steinerner Miene sah Matt durch das weite Spitzbogenfenster zu, wie das Devidramon Cody davontrug. Sora hatte den Blick abgewandt und ihr Gesicht an seiner Schulter vergraben. Er wollte ihr übers Haar streicheln, aber er schaffte es nicht.

Nach einer Weile wurde es dunkel draußen, bald schwarz wie Tinte, als hätte das Licht abgewartet, das Spektakel zu sehen, ehe es der Nacht nachgab. Matt löste sich aus Soras Umarmung. „Komm“, sagte er tonlos. Sora nickte. Tränen standen ihr im Gesicht.

Sie stiegen eine steinerne Wendeltreppe hinab. Auf dieser Seite des Albtraumschlosses war alles grauschwarz, voller Staub und Spinnweben. Die Wände und Decken waren rissig, der Boden unförmig, vom Zahn der Zeit aufgewölbt. Es sah so aus, als wäre auf dieser Seite nicht nur ein einzelnes Stockwerk intakt. Die Treppen waren oft in kleinen Kammern oder unter schrägen Wänden versteckt, aber ingesamt konnte man wohl bis ins Erdgeschoss gelangen. Von dem ungewöhnlichen Mechanismus oder Fluch waren die gewöhnlichen Türen, die aus dunkler, knarrender Eiche zu bestehen schienen, nicht betroffen, aber sicherlich würden sie das Schloss nicht einmal dann verlassen können, wenn sie den Ausgang fanden. Sie mussten abwarten, bis die Sonne aufging. Und bis dahin konnte noch alles passieren.

Matt fürchtete, das Flugwesen könnte zurückkehren und sie durch eines der glaslosen Fenster als neue Beute betrachten, daher wollte er Sora in einen fensterlosen Raum bringen. Sie hielten sich in der Mitte der Zitadelle und er öffnete eine Tür, die sogar mit Eisen beschlagen war. Vielleicht waren sie dahinter sicher. Es war stockdunkel. Sie leuchteten sich den Weg mit ihren Handys – in der DigiWelt waren sie zwar nicht zu gebrauchen und bislang hatten sie sie ausgeschaltet lassen, aber die Displays waren hell genug, um sie als behelfsmäßige Taschenlampen zu verwenden. „Kein Riegel“, murmelte Matt enttäuscht, als er sich die Innenseite der Tür ansah.

„Matt!“, hauchte Sora in dem Moment und drückte seine Hand. „Sieh mal!“

Er schwenkte sein Handy herum. Im matten Schein wurde ein gigantisches Spinnennetz vor ihnen sichtbar, das den halben Raum ausfüllte und schräg vom Boden bis zur Decke reichte. Matt trat näher.

„Sei vorsichtig!“, flüsterte Sora.

Das Licht erfasste einen kleinen Fadenkokon, unter dem etwas schwarz durchschimmerte. Es sah nicht aus wie ein Lebewesen, das in das Netz gegangen war. Matt packte es und riss es aus den Spinnweben heraus. Angeekelt schüttelte er die Hand, um die klebrigen Fäden loszuwerden, und schälte aus dem Kokon ein Kästchen von der Größe eines Schuhkartons heraus.

„Matt?“, kam es leise von Sora.

Matt drehte das Kästchen in den Händen. Es war mit einem kleinen Messingschloss gesichtert, aber es sah nicht so aus, als würde es …

„Matt!“, rief Sora etwas lauter. Matt sah sie an. „Da … Da ist etwas!“ Ihre Stimme klang furchtsam. „Komm lieber wieder zurück, bitte.“

Er drehte sich um und starrte in die Wirren des Netzes. Die Fäden erzitterten und ein leises Säuseln erfüllte die Luft. Matt kniff die Augen zusammen, versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen … Ein Maul mit Zähnen an drei Seiten klaffte fauchend vor ihm auf und fauliger Atem drang in seine Nase. Eine Wolke grüner Augen glühte vor ihm auf. Matt schrie auf und prallte zurück, ließ dabei das Kästchen fallen. Eine riesige Spinne war aus einem Knäuel im Zentrum des Netzes gekrochen. Hinter ihr wuselte ein Teppich weiterer, kleinerer Spinnen über das Netz, sodass kaum noch etwas von den Fäden zu sehen war.

„Schnell!“, rief Sora.

Matt riss sich von dem Anblick los und sprang auf. Sora schnellte an ihm vorbei und schnappte sich das Kästchen. Er sah sie verdutzt an, dann nickte er ihr anerkennend zu. Er hätte es total vergessen. Sich an den Händen haltend, stürmten sie aus dem Raum, gerade als das Dokugumon und die kleineren Ausgaben seiner selbst ihr Netz verließen und festen Boden betraten. Matt warf die Tür zu, aber verschließen konnten sie sie nicht. „Wohin jetzt?“, fragte Sora.

Matt sah sich gehetzt um. Dort drüben ging es in den nächstunteren Stock. „Da lang!“

Sie rannten über die Treppe, während die Tür wieder aufflog und das Säuseln anschwoll.

„Ah!“ Sora übertrat sich den Fuß an einer ausgetretenen Stufe und prallte gegen Matt, der sie festhielt und selbst einen Moment ums Gleichgewicht kämpfen musste.

„Was ist los?“, fragte er alarmiert.

„Mein … mein Knöchel …“ Eine Schmerzträne glitzerte in Soras Auge. „Es … Es geht schon wieder.“

Matt sah sie zweifelnd an, aber das Trippeln von tausenden Spinnenbeinen auf Stein, das über das Säuseln hinweg zu hören war, trieb sie weiter. Mit zusammengebissenen Zähnen humpelte Sora die Treppe hinunter, Matt stützte sie, so gut er konnte. Sie erreichten einen neuen, düsteren Gang mit verloschenen Fackeln an den Wänden und sahen sich gehetzt um. In stiller Übereinkunft nahmen sie die mittlere Tür, die links abzweigte. Dahinter lag ein großer, kahler Raum, der wieder zwei Fenster hatte, die buchstäblich ins Nichts führten. Es war eine Sackgasse, und es gab nicht einmal Mobiliar zum Verstecken, aber mit Soras verstauchtem Knöchel waren sie zu langsam, um den Spinnendigimon zu entkommen. Sie konnten nur abwarten und hoffen. Matt zog die Tür zu und lugte durch die Bretterritzen. Er sah kaum etwas, aber ein Heer aus grün schillernden Augen wogte an der Tür vorbei. Erleichtert atmete er auf.

„Zeig mal her“, sagte er leise und zog sanft Soras Schuh aus. Er konnte im Licht seines Handydisplays nur eine leichte Schwellung entdecken. „Das gibt sich garantiert wieder“, murmelte er.

„Vermutlich.“ Dann erst fiel es Sora wieder ein. „Die Schatulle!“

Matt nahm das Kästchen zur Hand. Das rostige Schloss hielt seinen Bemühungen erst stand, aber als er es – so leise wie möglich – ein paar Mal gegen den steinernen Boden klopfte, zerbröselte es förmlich.

Der Deckel öffnete sich mit einem leisen Quietschen. Sora und Matt warfen gespannte Blicke hinein. Das Innere des Kästchens war mit blauem Samt ausgekleidet, und darin eingebettet lag …

„Das sind sie, Matt“, flüsterte Sora aufgeregt.

Matt nahm den Kartenstapel heraus. Es waren in Summe sieben Karten: Gomamon, Andromon, Drimogemon, Gazimon und ShogunGekomon, wobei Gazimon und ShogunGekomon doppelt waren.

Schweigend sahen sie auf ihre Errungenschaft hinab, dann verstaute Matt die Karten in seiner Hosentasche, die er mit einem Klettverschluss verschließen konnte.

Und jetzt galt es zu warten, bis es Morgen wurde. Sie setzten sich in eine Ecke und starrten die Sekunden weg. Was mit Cody passiert war, steckte ihnen noch in den Knochen, und Matt fühlte sich verantwortlich. Bedrücktes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Sie hielten sich fest an den Händen. Immer wieder schwoll draußen vor der Tür das Säuseln der Spinnen an, und jedesmal begannen ihre Herzen schneller zu schlagen. Matt brach der Schweiß aus, als die Tür ein Stück aufschwenkte, aber es war wohl nur eine Spinne dagegengestoßen. Sie wagten es nicht, aufzustehen und die Tür wieder zu schließen. Ihre einzige Hoffnung war, dass die Spinnen kaum einen Funken Intelligenz besaßen und sie nicht finden würden und stattdessen wieder in ihr Netz abtauchten. Matt überlegte, ob er das Kästchen auf den Gang stellen sollte, damit sie ihr Eigentum wieder hätten, aber wenn etwas schief ging und ihn eines der Digimon bemerkte … Er wagte es sich kaum vorzustellen, wie er, von Gift betäubt, das ihn schleichend tötete, in einen Kokon eingesponnen in diesem ekligen Netz hängen würde …

Die Zeit war wie zäher Honig. Je öfter man auf die Uhr sieht und je mehr man darauf wartet, dass die Zeit vergeht, desto mehr zieht sie sich in die Länge. Aber sie vergeht. Selbst wenn man eine Digitalanzeige hat, kann man sehen, dass pro Sekunde wirklich eine Sekunde vergeht. Und darum sah Matt ihmmer wieder auf seine Armbanduhr. Um sich zu vergewissern, dass die Zeit wirklich ablief. Wenn die Minuten zur Ewigkeit wurden, würde er sich eben an die Sekunden halten.

Nach einer Weile merkte er, wie Soras Kopf auf seine Schulter sank und sie sich dann erschrocken wieder aufrichtete. „Tut mir leid. Ich bin eingenickt“, murmelte sie.

„Das macht doch nichts. Willst du etwas schlafen? Dann würde es dir nicht so lange vorkommen.“

„Aber Matt, die Spinnen …“

„Ich setz mich zur Tür und halte Wache.“ Er küsste sie auf die Stirn. „Versuch etwas zu schlafen.“

Sora lehnte sich weiter in die Ecke. Er fühlte sich nicht wohl dabei, sie so allein in der alten, staubigen grauen Leere sitzen zu sehen, fürchtete, dass sich plötzlich ein Loch im Boden auftun und sie verschlingen könnte – in diesem Schloss schien alles möglich. Aber sie sollte schlafen und etwas von dem Grauen vergessen, das am Gang auf sie lauerte. Matt setzte sich schräg hinter den Türflügel. So konnte man ihn nicht sehen, aber wenn jemand die Tür öffnete, würde er es merken, und wenn sich jemand durch den Spalt schlich, konnte er ihn überraschen.

Er machte sich nichts vor. Falls die Spinnen sie wirklich entdecken würden – selbst wenn es nicht Dokugumon, sondern eine der kleineren war –, würden sie sich nicht verteidigen können. Ihre einzige, winzige Hoffnung war, dass die Spinnen hier nicht nachsehen würden.

Matt atmete tief durch. Wenn es doch nur ein Geisterschloss wäre. Aber es war ein Schloss voller grauenhafter Monster.
 

Die Spinde waren allesamt leer gewesen. Keine Karten, auch nichts Essbares. Nicht, dass irgendjemand von ihnen hungrig gewesen wäre.

Izzy hatte zum Erstaunen aller hinter den Spinden einen versteckten Durchgang gefunden. Ein leerer Türrahmen führte in einen kurzen Gang, in dem unverschlossene Türen zu weiteren Zimmern führten. Am Ende des Ganges, der mit einem billigen Kunstfasterteppich ausgelegt war, führte eine Treppe nach unten zu einer Schiebetür, hinter der ein kahler Raum mit leeren Holzkäfigen lag. Dem Geruch nach zu urteilen, waren einst in den mit Stroh gefüllten Käfigen Kaninchen oder etwas in der Art gehalten worden. Einmal mehr fragte sich Izzy, wo zum Teufel sie eigentlich waren. Wahrscheinlich war nicht einfach nur ein Hotel in die DigiWelt gesaugt worden und mitten im Albtraumschloss aufgetaucht, sondern mehrere Räume aus verschiedensten Häusern in verschiedenstesn Ländern, die alle nichts gemeinsam hatten, und nun in dieser Welt miteinander verbunden waren. Izzy stellte sogar die Theorie auf, dass alles, was sie hier sahen, nur eine Illusion war, wie damals in Devimons Haus auf der File-Insel.

Die beiden anderen Zimmer waren nicht ganz so unnatürlich. Das eine war eine kleine Gerümpelkammer, wo zwischen leeren Kartons und Kisten und rauen Holzbrettern sogar ein alter Flügel stand, der allerdings keinen Ton von sich gab. An der Decke brannte hinter einem milchig gelben Schirm eine Glühbirne. Der andere Raum war behaglicher eingerichtet. Alte Tapeten klebten an den Wänden, lösten sich an den Enden schon ein wenig. Ein Schrank mit muffigen Kleidern, die geschätzt aus den Achtzigern stammten, und ein einzelnes Bett gaben eine bewohnbare Atmosphäre her – selbst wenn auf der uralten Matratze kein Bezug und auch keine Kissen oder Decken lagen. Die Gruppe hielt sich deshalb in diesem Raum auf.

Die Stimmung war gedrückt. Davis hatte sich etwas beruhigt, war aber schweigsam und noch verbitterter geworden. Die anderen waren ebenfalls still, sogar Mimi. Yolei hatte sich auf dem Bett niedergelassen und döste vor sich hin. Die alte Schirmlampe über ihren Köpfen surrte leise, auch in den anderen Räumen gab es elektrisches Licht.

Irgendwann hielt Davis das Nichtstun nicht mehr aus und ging davon. Niemand hielt ihn auf. Er betrat das Zimmer mit dem Flügel und stöberte in den Kisten herum. Außer noch mehr Staub und belanglosen Papierblättern fand er zunächst nichts, dann weckte etwas seine Aufmerksamkeit, das hinter den Brettern, die an der Wand lehnten, verborgen war. Es war ein alter Abakus mit Kugeln in verschiedenen Farben. Er wollte ihn soeben wieder zurücklegen, als er eine Stimme hörte.

„Weißt du, was das ist?“

Davis fuhr herum. Der Besitzer der leisen Fistelstimme war nirgends zu sehen. „Wer ist da?“

Plötzlich gab der Flügel einen Ton von sich. Davis zuckte zusammen. Seine Augen blitzten zu den alten Tasten. Wie von Geisterhand wurden sie nach unten gedrückt, spielten einen einfachen Akkord. Davis blinzelte. Dann nahm eine Gestalt Form an, die auf dem Klavierhocker saß. Sie war menschlich, aber durchscheinend; ein blasser, unscheinbarer und sehr dürrer Mann.

„Wer bist du?“, murmelte Davis. Er konnte es nicht fassen, hier einen Menschen zu sehen. Oder auch nur irgendetwas, das aussah wie ein Mensch.

„Dieser Flügel gehörte einst mir“, sagte die Gestalt und seufzte. „Genau wie das Haus, in dem wir sind. Oder eher dieser Raum hier.“

„Aber … der Flügel ist doch stumm“, sagte Davis. „Wieso kannst du darauf spielen?“

Der Mann lächelte traurig. „Weil der Flügel tot ist – genau wie ich.“

„Du bist ein … Geist?“

„Ich weiß nicht, was ich bin“, sagte er. „Ich war in meinem Haus und habe auf meinem geliebten Flügel gespielt. Dann passierte etwas, von dem ich heute noch nicht weiß, was es war. Ich war plötzlich hier, aber gleichzeitig auch nicht. Mein Haus brach zusammen, begrub mich, und gleichzeitig spürte ich, wie ich an einen anderen Ort gezogen wurde. Aber an diesem Ort kann ein Mann wie ich nicht leben. Es wundert mich, dass du hier bist, Junge.“

Davis schluckte. „Das hier ist die DigiWelt“, sagte er. „Sie sagen, nur Kinder können sie betreten. So war es früher, aber ich glaube, das hat sich geändert, genau weiß ich es nicht.“

„DigiWelt? Nun, vielleicht. Vielleicht bin ich deshalb nur als Geist hier, wie du gesagt hast. Kommt so etwas vor?“

„Ich … ich weiß nicht.“ Der Mann tat Davis nicht leid – er selbst hatte in letzter Zeit zu viel mitgemacht –, aber er fühlte eine gewisse Betroffenheit. „Was meintest du vorhin, als du gefragt hast, ob ich wüsste, was das ist?“

Er schüttelte die Rechentafel, aber wie durch ein Wunder glitten die Kugeln wieder an ihre ursprüngliche Position zurück. Davis sah das Gerät verwundert an.

„Von Zeit zu Zeit kommen merkwürdige Wesen hierher“, sagte der Mann. „Sie sehen unheimlich und … böse aus.“

„Die Scherben“, sagte Davis.

„Sie sehen mich nicht. Aber ich belausche sie oft. Sie haben hier irgendwo etwas versteckt, und man kann diesen Ort nur am Tag verlassen und betreten.“ Er zuckte seine durchsichtigen Schultern. „Nicht, dass es mir etwas bringt. Ich kann nicht einmal aus diesem Zimmer hinaus, sonst fühle ich einen Schmerz, als würde mir etwas meine Eingeweide herausreißen. Also bleibe ich hier.“

„Und was ist das jetzt für ein Ding?“

„Was denkst du denn?“

„Für mich sieht’s wie ein Rechenbrett aus.“

Der Geist nickte. „Die Wesen haben ihn hier platziert. Sie sagen, er zeigt die Zukunft. Sie schauen damit nach, ob ihrem Schatz – sie haben von irgendwelchen Karten gesprochen – Gefahr droht. Je nachdem, wer den Abakus anfasst, ändert sich die Konstellation der Kugeln.“

„Aha“, sagte Davis. Ihm sagten die bunten Kugeln gar nichts.

„Ich habe nur meinen Flügel und diesen Abakus als Beschäftigung. Ich habe gesehen, wie sie ihn benutzen und die Zukunft damit vorhersagen. Ich kann dir sagen, was die Kugeln, wie du sie siehst, bedeuten.“

„Ich hätte dich schon viel früher treffen sollen“, murmelte Davis düster und hielt ihm den Rechner hin.

Der Mann ließ den Blick darüber gleiten und seine Miene wurde ernst. „Dir und deinen Freunden steht keine freudige Zukunft bevor, mein Junge“, sagte er tonlos. „Ihr seid zu acht in diesem Gebäude. Aber sieben von euch werden sterben.“

Davis riss die Augen auf. „Du … Du meinst …?“ Er hatte sich verhört. Oder?

„Sieben von euch werden in den nächsten Tagen sterben, wahrscheinlich schon heute, noch bevor die Sonne aufgeht“, sagte der Mann und sah ihn aus ernsten, bedauernden Augen an. „Nur einer wird überleben.“

In Davis tobte ein Sturm aus Gefühlen, Angst und Befürchtungen. Irgendwie war er froh, dass es wenigstens einer schaffen würde. Solange nur einer freikäme … Und Kari wäre nur die erste von vielen gewesen, und vielleicht wäre ihr Tod noch der schönere gewesen … Sein Stimme war trocken, als er fragte: „Und … wer wird es sein, der überlebt?“

Der Mann besah sich den Abakus erneut. „Ich kenne euch nicht, daher kann ich es nicht genau sagen. Aber siehst du diese Kugel?“ Er deutete auf eine violette Kugel, die am oberen Ende der Rechenreihen noch in der Mitte, in der unteren Hälfte allerdings am rechten Rand war. In der untersten Reihe waren alle anderen Kugeln nach links geschoben, und nur die violette blieb allein auf der rechten Seite übrig, mit einigem Abstand zu den anderen. „Ich weiß nicht, wen diese Kugel darstellt“, fuhr der Geist fort, „aber wie du siehst, war er oder sie lange das Zentrum eurer Gruppe. Die anderen haben sich um diese Kugel geschart, haben auf sie gebaut.“ Der Finger des Geistes glitt die Zeilen entlang und entzifferte die Geschichte, die dieser verrückte Abakus zu erzählen versuchte. „Dann ist etwas passiert, etwas, dass die Ordnung in eurer Gruppe zerschlagen hat. Siehst du, wie die Kugeln durcheinander sind? Sie liegen auch nicht mehr so dicht aneinander, sie haben sich voneinander entfernt. Die violette Kugel ist an den Rand gewichen, steht abseits, und will nur noch wenig mit den anderen zu tun haben. Sie versucht immer noch, der Gruppe zu helfen, aber die anderen vertrauen ihr nicht mehr. Hier siehst du, wie Streit die Lücken zwischen den Kugeln immer weiter vergrößert. Dann wandert eine nach der anderen nach links, was für Tod steht. Von acht Kugeln bleibt nur die violette übrig. Die, die zuerst wichtig war und alles zusammengehalten hat. Die, die von dem schrecklichen Ereignis, das passiert ist, am meisten betroffen war. Die, die ihr Bestes geben will, aber von den anderen nicht akzeptiert wird. Sie wird überleben.“

Davis war wie paralysiert. „Nicht akzeptiert wird … als Anführer?“, fragte er mit belegter Stimme.

Der Geist nickte und legte ihm seine eisig kalte Hand auf die Schulter. „Das ist sehr gut möglich.“

„Danke. Ich glaube, ich weiß, um wen es geht.“ Davis versteckte den Abakus wieder hinter den Brettern, drehte sich um und verließ ohne ein Wort des Grußes den Raum. Er war erschüttert. Die Prophezeiung war klar: Er würde als einziger den Tag überleben. Nur er. Die Axt in seiner Hand fühlte sich schwerer an als je zuvor. Er ging zu den anderen zurück und hüllte sich in Schweigen. Sollte er es ihnen sagen? Nein, auf keinen Fall. Das brachte er nicht über sich – und es war auch besser, wenn sie ahnungslos blieben.
 

Nachdem Davis gegangen war, spielte der Geist noch einen simplen Akkord auf dem Flügel. Besser spielen konnte er schließlich nicht. Er verzog das Gesicht zu einem Grinsen, seine Form verschwamm und bildete den Lakenkörper eines Soulmons; eines Bakemons mit Hexenhut. Das Geistdigimon schnippte mit den blauen Fingern und der Rechenschieber verpuffte in einer Rauchwolke. Leise kichernd löste sich auch das Soulmon in Luft auf.

I can't wait to see the Sunrise again

Albtraumschloss, DigiWelt

Donnerstag, 24. August 2007

01:31 Uhr
 

Als Davis in das Zimmer zurückkehrte, fragte ihn niemand, wo er gewesen war. Das war ihm nur recht. Er kauerte sich am Boden zusammen. Seine Schulter juckte noch ein wenig von der Berührung des Geistes. Seine Gedanken wurden langsam schwerfällig, als er immer müder wurde, doch er wusste, schlafen konnte er nicht mehr. Alle würden sterben, bis auf ihn. Alle würden sterben, bis auf ihn …

„Davis!“, drang Yoleis Stimme irgendwann wie durch Watte. „Was tust du da?“

Er blickte auf und blinzelte verwirrt in ihr bebrilltes Gesicht. „Was?“

„Dein Daumen! Du blutest!“

Verständnislos sah er auf seine Hand. Ja, sie schmerzte. Er war immer wieder mit dem Daumen über die Schneide seiner Axt gefahren und hatte sich einen tiefen Schnitt zugezogen. „Das macht nichts“, murmelte er apathisch, während er den rubinroten Blutstropfen betrachtete, der aus der Wunde sickerte. „Solange ich den Schmerz fühle, lebe ich noch.“

Yolei runzelte die Stirn. „Ist dir nicht gut?“ Sie legte ihm die Hand auf die Stirn. „Du glühst ja!“, rief sie aus.

„Was ist denn los?“ Izzy kam auf sie zu.

Davis fegte wütend Yoleis Hand zur Seite. „Es geht mir gut“, knurrte er.

„Aber du hast eindeutig Fieber. Du solltest dich ausruhen. Versuch ein wenig zu schlafen.“

„Schlafen?“ Davis‘ Stimme war heiser geworden. Er schüttelte langsam den Kopf und spürte, wie schwer er war. In seinen Ohren rauschte das Blut und er hörte, dass er schwer keuchte. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn er weiße Dampfwölkchen geatmet hätte. Außerdem war ihm schwindlig. Aber schlafen? Das durfte er nicht. Er wusste, dass er überleben würde, aber deshalb durfte er nicht unvorsichtig werden. „Nein“, murmelte er. „Wenn man hier einschläft, wacht man vielleicht nicht mehr auf.“

„Aber Davis, das ist doch …“

„Begreifst du es nicht?“ Wie konnte sie nur so dumm sein? „Das hier, das ganze Schloss oder Hotel, was immer das sein soll, das alles hier, das ist böse! Es hat einen Hauch des Todes an sich! Wir sind an einem Ort in der DigiWelt, an den nicht einmal Digimon gehen sollten!“

„Keine Sorge“, schaltete sich Izzy ein. „Wir haben jeden begehbaren Weg in dem Hotel abgesucht. Hier ist nichts, kein Digimon und sonst auch nichts. Und die ganze Nacht über kann auch nichts in das Hotel hereinkommen.“

Davis schüttelte nur den Kopf. „Sie könnten durch die Wände kommen …“, sagte er unheilvoll. „Es gibt hier Geister. Sie werden euch holen kommen …“

„Du legst dich jetzt ins Bett und schläfst“, sagte Yolei bestimmt und stand auf. „Du bist krank, es ist nicht gut, wenn du dich überanstrengst.“

„Ich werde auf keinen Fall sterben!“, fuhr sie Davis erbost an.

Yolei blieb der Mund offen stehen. „Wer spricht denn vom Sterben? Davis, du …“

Ein Geräusch unterbrach sie. Ein Schaben und Kratzen ließ sie alle aufhorchen. Davis bekam große Augen. Es war soweit. Mühsam stand er auf und packte die Feuerwehraxt fest. „Ich gehe nachsehen, was das war.“ Damit ging er zur Tür und trat auf den Gang hinaus. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Yolei ihm folgen wollte. Er drehte sich um und fauchte sie an: „Ich gehe allein!“ Eilig stapfte er aus dem Zimmer.

Es tat ihm leid, aber er wollte nicht dabei sein, wenn es geschah. Wollte seine Freunde nicht sterben sehen. Durch den fiebrigen Nebel in seinen Gedanken sah er, wie sich die hölzernen Wände des Ganges zu wellen schienen. Sein Sichtfeld war eingeschränkt, als wäre er betrunken. Hatte Yolei recht, war er krank?

Er atmete tief aus. Das Geräusch wiederholte sich. Es kam von überall her, wie es ihm schien. Sollte er sich die Ohren zuhalten? Was auch immer da herankroch, es würde seine Freunde umbringen, alle, bis auf den letzten. Oder vielleicht brach auch die Zimmerdecke ein. Er wollte nicht sehen, wie es geschah.

Eine Gestalt mit lilafarbenem Haar stand plötzlich neben ihm. Er drehte sich um und sah Yolei neben sich stehen. Es dauerte eine Weile, ehe er begriff, dass sie ihre Pistole in beiden Händen hielt und soeben entsicherte. Sie zielte den Gang entlang, von wo aus die Geräusche am lautesten kamen.

Davis starrte auf die Waffe. Seine Augen wurden feucht. „Du bist es“, hauchte er. Jetzt war ihm alles klar. Sie hatte als einzige eine Waffe.

Yolei sah ihn fragend an – und sah die Axt auf sich zusausen. Mit einem schrillen Aufschrei sprang sie zur Seite. Die scharfe Schneide berührte ihre Haarspitzen, sie taumelte gegen die Wand. Davis‘ Schlag hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. Er hüpfte auf einem Bein herum, stützte sich an der Wand ab und sah sie mit einem Ausdruck verzweifelten Irrsinns an. „Ich lass nicht zu, dass du sie tötest!“, schrie er guttural.

„Davis!“, rief Yolei. Was sollte sie tun?

Er ging wieder auf sie los, holte weit aus, doch sein Fieber ließ ihn taumeln und unscharf sehen. Die Axt krachte in die Holzwand. Der Aufprall ließ Davis zurücktaumeln und schwer mit dem Kopf gegen die andere Wand stoßen. Für einen kurzen Moment wurde ihm schwarz vor Augen. Die Axt entglitt ihm und er sank an der Wand herunter, halb das Bewusstsein verlierend.

„Was ist passiert?“, hörte Yolei Izzys Stimme. Die anderen kamen aus dem Zimmer gerannt, sogar Tai, der in den letzten Stunden kaum ein Wort gesagt hatte.

Yolei schüttelte nur ungläubig den Kopf und sah unsicher auf Davis hinab. „Ich … ich weiß nicht … Ich kann es mir nicht einmal selbst erklären …“

Das Schaben unterbrach sie abermals. Die DigiRitter sahen den Gang hinunter. „Da!“, rief Izzy plötzlich. Aus dem Boden und den Holzwänden grub sich etwas hervor, zerriss und zermahlte das Holz. Kräftige Beißwerkzeuge wurden sichtbar, dann raupenähnliche, warngelbe Körper von der Größe von Nudelhölzern. Es waren Kunemon, die sich durch das Holz nagten.

„Igitt!“, spie Mimi den Digimon entgegen.

Aus den Löchern quollen noch mehr der Raupen, immer mehr durchlöcherten die Wände wie einen Schweizer Käse. „Zurück!“, schrie Yolei und zielte mit ihrer Pistole. Ihre Hände zitterten wie verrückt; sie hätte wohl nicht einmal getroffen, wenn die Kunemon still gehalten hätten. Die krochen im Gegenteil immer näher an sie heran und gaben schrille Quietschgeräusche von sich. Das vorderste von ihnen spuckte aus seinem Maul einen elektrischen Strahl, der Yolei traf. Mit einem Aufschrei begann das Mädchen am ganzen Körper zu zucken und stürzte sich wie ein Kreisel drehend zu Boden.

„Was tun wir?“, rief Mimi panisch. In dem Moment stürmte Tai an ihr vorbei, genau auf die Kunemon zu. „Tai!!“

Er schaffte es, über die meisten der Larven hinwegzusetzen, die immer noch stur auf dieses Ende des Ganges zukrochen; das hinterste trat er mit dem Fuß zur Seite. Kurz verschwand er in der Klavierkammer und trat dann mit einem zwei Meter langen Holzbrett bewaffnet wieder auf den Gang. Wie ein Berserker wütete er unter den Kunemon, trat sie zur Seite, fegte sie mit dem Brett weg, sodass sie gegen die Wände klatschten. Stück für Stück arbeitete er sich bis zu den anderen vor. „Zurück in das Zimmer!“, schrie er. Die Kunemon hatten ihn wohl endlich aus seiner apathischen Starre befreit.

Yolei hatte sich von dem elektrischen Schlag erholt, nur Davis lag noch benommen am Boden. „Joe, hilf mir!“, rief Izzy und packte Davis unter den Achseln. Joe nahm seine Beine und gemeinsam trugen sie ihn ins Zimmer zurück. Rückwärts gehend folgten auch Tai und Yolei. „Die Axt!“, rief Tai. Mimi schnappte sie sich. Tai war der letzte, der am Gang blieb und die Kunemon grimmig erwartete.

„Tai, komm schon!“, rief Izzy.

Die Raupendigimon feuerten wieder Blitze ab, einer fuhr nur knapp an Tai vorbei. Das war das Zeichen für ihn, das Brett fallen zu lassen. Er wollte sich gerade auch in das Zimmer flüchten, als eines der Kunemon ihn plötzlich ansprang und seine Beißwerkzeuge in seine Brust schlug. Tai schrie auf, packte das glatte, leicht feuchte Digimon mit beiden Händen und riss es von sich fort wie einen Blutegel, was nicht ohne eine Schmerzfontäne vonstatten ging. Mit einem Satz war er bei den anderen im Zimmer und Izzy schlug kräftig die Tür zu. Tai war ein wenig bleich im Gesicht und ließ sich erschöpft gegen die Wand gelehnt zu Boden sinken. Kurz hörte man nur das Quietschen der Kunemon, dann ertönte erneut das grausige Schaben und der gelbe Kopf mit den blitzförmigen Mustern eines der Digimon bohrte sich durch das Türblatt. Yolei nahm breitbeinig Aufstellung, hielt die Luft an, zielte und schoss. Aus einem halben Meter Entfernung konnte sie es gar nicht verfehlen. Die Kugel riss das Kunemon aus der Tür und beförderte es zurück in den Gang, wo es sich in einen Datenwirbel auflöste. Der Knall ließ die anderen erschrocken aufquieken und durch das Loch in der Tür konnte man sehen, wie sie auf einmal aufgeschreckt Reißaus nahmen.

„Alles in Ordnung?“, fragte Joe und kniete sich neben Tai nieder.

„Es ist nichts.“

Joe zog die Hand fort, die Tai sich auf die Brust gepresst hatte. Ein faustgroßer Blutfleck zierte sein Hemd, wo ihn das Kunemon gebissen hatte. Blut sickerte immer noch hervor, wenn auch nicht allzu viel. „Mimi, gib mir dein Halstuch“, kommandierte Joe.

Mimi sah aus, als wollte sie eine Frage stellen, dann stellte sie die Axt ab reichte Joe das Tuch.

„Es ist einigermaßen sauber, wir werden es auf die Wunde pressen.“

Während der Arztsohn das Tuch faltete, kam Davis wieder zu Bewusstsein. Wo war er? Alles verschwamm vor seinen Augen, die Farben schienen nicht zu stimmen, mal zu grell, mal zu blass, mal komplett verkehrt … Was war passiert?

Dann schälten sich die Umrisse der anderen aus dem Nebel hinter seinen Augen. Er spürte, wie schwindlig ihm war. Seine Wangen glühten und seine Schulter brannte wie Feuer. Heiß, ihm war so heiß …. und gleichzeitig musste er sich beherrschen, nicht zu zittern. Alles tat ihm weh, als hätte er eine schwere Sommergrippe. Dumpf vernahm er die Stimmen der anderen. Dann sah er Tai und erschrak. Sein Freund lag am Boden und blutete aus einer grässlichen Brustwunde. Es war soweit! Jemand oder etwas hatte ihn verletzt! Er würde sterben, langsam und qualvoll, würde verbluten … Es sei denn … Davis‘ Hand fand den Griff seiner Axt. Mit unendlicher Mühe stemmte er sich in die Höhe. Er musste schnell und genau sein. Er musste Tai erlösen.

Izzy bemerkte ihn als erstes. „Davis, was ist los?“

Yolei fuhr herum, als sie ihn mit der Axt nähertaumeln sah. „Warte, Davis! Nicht!“, rief sie, schon ahnend, was er vorhatte, wenngleich sie es nicht verstand. Davis stieß sie grob aus dem Weg, holte aus und schlug mit der Axt zu.

Tais Augen weiteten sich, als er die Schneide auf sich zufliegen sah. Dann wurde die Axt mitten im Flug hart gebremst, als Joe Davis an den Handgelenken packte. „Was soll das, Davis?“, rief er hyterisch.

„Davis, hast du sie nicht mehr alle?!“, brachte Yolei hervor und wollte ihm die Axt entreißen, aber Davis entwickelte plötzlich Bärenkräfte. Wütend riss er sich los, stieß Joe von sich und holte hoch über dem Kopf aus.

Tai hob abwehrend die Hand. „Davis – ich bin‘s! Was tust du da?!“

Mimi kreischte, als Davis‘ Axt niederfuhr und den Boden spaltete. Tai hatte sich gerade rechtzeitig zur Seite gerollt. „Spinnst du total?“, brüllte Yolei und versuchte einmal mehr, ihn zu packen.

„Lass mich!“, schrie Davis mit Tränen in den Augen. „Er wird sonst leiden!“

„Du hast sie ja nicht mehr alle!“, schrie Mimi. „So tu doch einer was!“

„D-Davis, ganz ruhig!“ Tais Stimme zitterte, seine Pupillen flackerten unstet hin und her. Er konnte nicht fassen, was sich vor seinen Augen abspielte.

„Ich bin ruhig!“, brüllte Davis, dass es ihm schier die Stimmbänder zerreißen musste.

„Jetzt!“, kommandierte Izzy, und er und Joe packten ihn an den Armen und entrissen ihm die Axt.

Mimi riss die Tür eines Schrankes auf. „Da rein mit ihm! Soll er sich da drin beruhigen!“

Mangels Alternativen steckten sie den wütenden und zeternden und fieberheißen Davis in den Kleiderschrank, warfen die Tür zu und drehten den Schlüssel um. Sie hörten ihn wie verrückt brüllen und von innen dagegen trommeln.

Yolei rieb sich schaudernd die Arme. „Was … was ist mit ihm los?“

„Er halluziniert wahrscheinlich. Vielleicht ein Fiebertraum“, überlegte Izzy.

„Einen Traum nennst du das? Er hätte fast Tai umgebracht!“, rief Mimi, deren Nervenkostüm sichtlich am Boden schleifte.

„Und was tun wir als nächstes?“, jammerte Joe. Auch er klang aufgelöst.

„Wir schieben das Bett vor die Tür. Die Wände sind nicht aus Holz, und durch die Mauer fressen sich die Biester hoffentlich nicht“, entschied Tai, fast wieder der Alte.
 

Davis hämmerte mit den Fäusten gegen die rohe Schranktür, bis sie bluteten. „Lasst mich raus! Ihr werdet alle sterben! Ich muss euch helfen! Lasst mich hier raus!! Veemon! Hilf mir!“ Als er zunehmend heiser wurde, gab er auf, sank in sich zusammen, zog die Knie an und schluchzte. Ich werde überleben, schärfte er sich ein. Ich werde überleben … Nur wenige Minuten vergingen. Dann hörte er wieder etwas schaben und ächzen, dann ein lautes Brummen. Dann schrien seine Freunde draußen auf.

Davis zuckte zusammen und schnellte in die Höhe. „Schnell!“, rief er keuchend und klopfte wieder gegen die Tür. Er bekam kaum noch Luft. „Lasst mich raus!“

Er hörte etwas summen, dann erklang ein Schuss aus Yoleis Pistole. Es war soweit. Seine Freunde hatten begonnen, sich gegenseitig umzubringen! Er musste sie aufhalten!

„Na warte, du!“, hörte er Tai rufen. Kurz darauf schrie Mimi auf. Ein Axthieb traf eine Mauer.

„Tai!“, schrie Davis aufgelöst und heiser. „Lass Mimi in Ruhe!“

Er drückte sich gegen die hintere Schrankwand und trat kräftig gegen die Tür. Endlich gaben die altersschwachen Scharniere auf und brachen. Die Holztür landete krachend am Boden. Als Davis aus dem Schrank kletterte, sah er, was wirklich los war.

In der Decke, die dummerweise auch aus Holz bestand, klaffte ein riesiges Loch. Ein Insekt, so groß wie ein Hund, surrte pfeilschnell durch das Zimmer. Selbst Davis‘ benebelter Verstand kannte das Digimon. Es war ein Flymon. Seine Freunde rannten wie aufgeschreckte Ameisen im Zimmer herum und versuchten den giftigen Stacheln des Digimons zu entkommen, die es aus seinem Unterleib feuerte.

Davis hob den Arm, ehe er merkte, dass er die Axt nicht mehr hatte. Mit der versuchte Tai soeben das Flymon aus der Luft zu holen. Yolei war auf das Bett gesprungen, das jetzt vor der Tür stand, und zielte mit der Pistole dem windschnellen Digimon hinterher. Joe langte zu ihr, packte die Waffe und drehte sie zu Boden. „Nicht!“, keuchte er. „Du könntest jemanden von uns treffen!“

„Davis!“ Tai rief seinen Namen. Er sah das Flymon direkt auf sich zukommen, es reckte ihm den rötlichen Stachel entgegen. Davis blieb ungerührt stehen.

Tai warf sich auf ihn und riss ihn aus der Schusslinie. Das Flymon feuerte seinen Stachel zielgenau in die Überreste des Schranks. „Verdammter Idiot, wach auf!“ Tai verpasste Davis eine Ohrfeige. „Willst du dich umbringen?“

Davis befühlte seine Wange. Der Schmerz klärte seine Gedanken ein wenig. „Ich wäre nicht gestorben“, sagte er bestimmt.

Tai schüttelte fassungslos den Kopf und stand mit der Axt auf, als sich seine Brustwunde wieder zu Wort meldete. Ächzend presste er die Hand gegen den Brustkorb.

Plötzlich war Joe neben ihm und packte den Griff der Axt. „Du bist verletzt. Lass mich das machen.“ Tai ließ nicht los, auch nicht, als Joe daran zerrte. Er starrte den älteren nur ausdruckslos an.

Joe erwiderte den Blick fest. „Tai, bitte. Lass mich meinen Beitrag leisten. Ich weiß, ich konnte Kari nicht retten, und ich werde es mein Leben lang bereuen, aber lass mich dir jetzt helfen. Lass mich wenigstens euch retten. Es soll niemand mehr sterben.“ Tai sah ihm in die Augen. Joe meinte es ernst. Er zögerte noch, dann ließ er los und überließ Joe das Feld.

Der Blauhaarige wog die Axt in den Händen. Sie war wirklich schwer.

„Was ihr auch tut, tut es bald!“, kreischte Mimi. Das Flymon hatte sie ein paar Mal quer durch den Raum gejagt. Joe schaffte es, hinter das Digimon zu kommen, und sprang. Er erwischte Flymon am linken Hinterbein, als es eben wieder auf sie zielen wollte, und zerrte es zu sich. Das Digimon summte laut auf und zerrte mit beachtlicher Kraft an ihm. Dann richtete es seinen Stachel auf ihn aus. Joe schlug zu und traf das Wespendigimon mit der Axt zwischen den Flügeln. Laut brummend taumelte Flymon zu Boden. „Jetzt, Yolei!“, rief Joe.

Yolei trat zu dem am Boden zappelnden Digimon, zielte und drückte ab. Die Kugel durchschlug den gestreiften Kopf des Flymons und löste es in Datenfragmente auf. Erleichert seufzend sanken die DigiRitter zu Boden. Die Gefahr wieder gebannt. Fürs erste. Wieder einmal.
 

Sora wachte auf, als sie jemand heftig an der Schulter rüttelte. „Sora! Sora, wach auf!“ Das war Matts Stimme – und er klang … seltsam. War es schon Tag?

Müde blinzelte sie und sah im ersten Moment nichts, dann den Schein seines Handys. Es war noch tiefste, tintenschwarze Nacht. Matts Gesicht zeugte von Erleichterung. „Gottseidank“, murmelte er. „Gottseidank …“ Sein Gesicht … Irgendetwas stimmte damit nicht. Er hatte einen gehetzten Ausdruck in den Augen … Ehe sie darüber nachdenken konnte, drückte er sie so fest an sich, dass es weh tat. „Sora … Sora …“, schluchzte er. Das schockierte sie mehr als alles andere. Er weinte. Sie spürte seine Tränen an ihrem Nacken.

„M-Matt“, sagte sie verdattert, „was ist denn los?“

„Ich … bin eingenickt“, flüsterte er mit erstickter Stimme. „Und ich habe geträumt … Ich habe geträumt, dass du gestorben bist.“

Sora erstarrte. Deswegen war er so aufgelöst … Sie mochte sich gar nicht vorstellen, wie sich das anfühlte. In einer Situation, die an sich schon ein Albtraum war, einzuschlafen, und so fertig, wie er war … Er musste tatsächlich geglaubt haben, sie verloren zu haben. Sanft strich sie ihm durchs Haar. „Aber ich bin da.“

„Es war so real ... Du hast dich nicht mehr bewegt …“ Sie spürte, wie er die Augen zusammenkniff, sein Gesicht in ihrer Halsbeuge. Neue Tränen kamen. Sie konnte nicht sagen, ob sie ihn überhaupt schon einmal so erlebt hatte.

„Es ist gut. Es war nur ein Traum“, sagte sie beruhigend und löste sich von ihm, um ihm in die Augen sehen zu können. Sie waren feucht und voller Schmerz. Sora drückte ihre Wange gegen seine, hoffte, dass ihre Wärme seine Ängste zerstreute. „Siehst du? Ich lebe noch. Und ich werde nicht sterben.“

Matt schluckte hart. „Ich hätte nicht einschlafen dürfen. Das war die Strafe. Es war … es war schrecklich.“

„Ich weiß. Denk nicht mehr daran“, sagte sie leise. Es traf sie sehr, seine Angst so deutlich spüren zu können.

„Wenn es doch nur schon Tag wäre“, flüsterte er und schloss in der Umarmung die Augen. Ein ziehender Kloß steckte in ihrem Hals. „Es ist erst kurz nach zwei“, sagte Sora nach einem Blick auf ihr Handy.

„Ich kann es kaum erwarten, endlich wieder die Sonne aufgehen zu sehen“, sagte er. Sora wusste, was er meinte. Es wäre ein Sonnenaufgang, wie sie ihn noch nie ersehnt hatte.

„Bald“, sagte sie und strich wieder durch sein Haar. „Bald wird der Morgen grauen, Matt. Ein neuer Morgen, und wir werden diesen Ort verlassen können. Und wir haben die Karten. Dann haben wir es geschafft!“

Wenn wir es schaffen“, murmelte Matt mutlos. „Es sind noch so viele Stunden … Es kann noch so viel passieren … Die Spinnen, das Devidramon …“

„Es wird gut werden.“

„Ich wünsche es mir auch.“

Schweigend saßen sie da und warteten. Keiner von ihnen konnte noch schlafen. Sie wachten, Seite an Seite, sich fest an den Händen haltend, warteten, dass sich hinter den Fenstern ein schmaler Streifen Tageslicht am Horizont zeigte. Am Gang blieb es still, nur einmal ertönte ein Rauschen, doch was immer es verursachte, es kam nicht in ihre Kammer. Sora hatte den Kopf auf Matts Schulter gebettet. Was auch geschehen mochte, selbst wenn im nächsten Moment ein Ogremon bei der Tür hereinstürmte, sie konnte zumindest jetzt noch seine Nähe genießen. „Matt?“

„Hm?“

„Ich liebe dich.“

„Ich dich auch.“ Er drückte ihr einen kurzen Kuss auf die Lippen.

Dann schwiegen sie wieder, schwiegen und warteten, und die Nacht war endlos. Wann würde sich endlich die Sonne zeigen? Wann kam der Morgen? Würde es überhaupt je wieder Tag werden? Sie sahen nicht mehr auf die Uhren, sie sahen nur stumm aus dem Fenster, verloren jegliches Zeitgefühl in der Dunkelheit.

Leise, fast flüsternd, begann Matt zu singen. „Hold me tight until the night is over, hold me tight, so there‘s no doubt between us, when the night is touching us softly, carrying us away on silent wings, just the two of us …“ Seine ruhige Stimme füllte die Dunkelheit. Sora schloss die Augen und lauschte dem Lied. Es war eines der letzten Lieder, die er bei den Teenage Wolves komponiert hatte, inspiriert von einer deutschen Band, und Sora liebte es. Sanft stimmte sie mit ein und sie wiederholten den Refrain, und noch einmal, und noch einmal. Es war ihnen nunmehr gleich, ob die Spinnen sie hörten oder nicht, sie sangen, wurden mal lauter, dann wieder leiser. Schließlich wusste Sora nicht mehr, ob sie noch wach war, oder schlief und Matts Stimme sie im Traum erreichte.

Am Anfang sagte keiner von ihnen, dass er es sah. Sie waren sich beide nicht sicher, wollten sich keine Hoffnung machen. Doch dann wurde es zu deutlich, um es nicht zu bemerkten.

Die Finsternis war ergraut und hinter den Fenstern war ein schmaler, blassrosafarbener Streifen am Himmel aufgetaucht. Sora lächelte. Noch nie hatte sie größere Erleichterung verspürt. Es war, als fielen Tonnen von ihr ab. Sie wusste mit untrüglicher Sicherheit, dass sie es geschafft hatten. Sie sah in Matts Gesicht. Er lächelte ebenfalls.

Lord of the Bats

Albtraumschloss, DigiWelt

Donnerstag, 24. August 2007

6:28 Uhr
 

Sich an den Händen haltend, schlichen Sora und Matt die Treppe hoch. Das letzte, was sie jetzt noch brauchen konnten, war, erneut die Spinnenhorde aufzuschrecken. Das wenige Licht, das durch die Fenster fiel, hatte etwas ungemein Befreiendes, aber es war nicht hell genug, um die Gänge der Burg ausreichend auszuleuchten. Dennoch wagte es keiner von ihnen, das Handy wieder als Lampe zu benutzen. Eine unsinnige Angst, das Licht der Displays könnte das Sonnenlicht übertönen und wieder hinter den Horizont jagen, hatte sie ergriffen, was nach so einer Nacht vielleicht kein Wunder war.

Sora bekam immer wieder Zweifel. Was, wenn sie träumte? Was, wenn es immer noch finster war und die Dunkelheit immer noch das Schloss und ihre Gedanken beherrschte und … Sie drückte Matts Hand fester und die Antwort kam sofort. Sie lächelte. Es war real.

Sie erreichten unbehelligt die Tür, die in den Duschraum führte. Dort wurde die Dämmerung, die immer hoffnungsvoller und heller wurde, von kurzer Düsternis abgelöst, die sie mit angehaltenem Atem und klopfenden Herzen durchquerten, denn das elektrische Licht war ausgegangen. Matt hatte die Hand fest auf die Karten in seiner Hosentasche gepresst.

Die Tür ließ sich öffnen, sie erreichten den Konferenzsaal, aber die anderen waren nirgends zu sehen. Einer der Spinde war zur Seite gerückt worden und dahinter fanden sie einen Gang mit durchlöcherten Wänden. „Sollen wir nach ihnen rufen?“, flüsterte Sora.

Matt nickte. „Davis? Tai? Seid ihr da?“

In dem Zimmer am Ende des Ganges regte sich etwas. Yoleis übermüdetes Gesicht wurde in den Gang gesteckt. Sie erkannte die beiden im ersten Moment gar nicht, dann stieß sie einen Freudenschrei aus, der auch die anderen auf dem Gang zusammentrommelte. Sie fielen einander erleichtert um den Hals – bis auf Tai, der aber lächelnd daneben stand und endlich seinen Kummer wenigstens ein bisschen abgelegt zu haben schien, und Davis, der verstört dreinsah und ständig den Kopf schüttelte und etwas vor sich hermurmelte.

„Wir haben uns echt Sorgen um euch gemacht“, sagte Yolei und drückte Soras Hände fest.

„Tierisch!“, bestätigte Mimi.

„Bei euch war aber auch der Teufel los, was?“, stellte Matt trocken fest und ließ den Blick über den marodierten Gang gleiten.

„Eine lange Geschichte. Können wir jetzt von hier verschwinden?“, fragte Tai ungeduldig. Matt fiel auf, dass sein Hemd zerrissen und wie ein Verband um seine Brust gebunden war.

„Was ist mit Davis los?“, flüsterte Sora Yolei und Mimi zu.

„Fieber. Aber hoffentlich nichts Ernstes. Allerdings ist er nicht wirklich zurechnungsfähig“, sagte Mimi. Yolei kniff nur die Lippen zusammen.

Matt sah sich die Versammelten an. Sie sahen allesamt grauenvoll aus. Wenn sie nicht gerade verletzt und voller Schrammen waren, waren sie müde, mit tiefen, dunklen Augenringen, und ihre Bewegungen waren fahrig. „Ja“, antwortete er schließlich verspätet auf Tais Frage. „Lasst uns abhauen.“

„Moment“, warf Izzy ein. „Sind wir nicht eigentlich wegen der Karten hergekommen?“

Matt lächelte triumphierend und zog den Kartenstapel aus der Tasche.
 

Sie erreichten ohne Probleme den Aufzug und verließen das Hotel durch das Foyer. Die frische Luft draußen war eine Wohltat nach der muffigen Nacht. „Wie viele sind es denn?“, fragte Izzy und blätterte die Karten durch.

„Sieben“, antwortete Matt. „Allerdings sind ein paar davon doppelt.“

„Umso besser“, befand Izzy. „Wenn es zwei Sätze gibt und wir doppelte Karten haben, müssen sich die Dunklen mit uns beschäftigen. So kriegen wir Taneo!“

„Freu dich nicht zu früh. Ich bin schon froh, wenn ich eine heiße Dusche, etwas Warmes zu essen und eine Mütze Schlaf bekomme“, stellte Mimi fest.

Die anderen lachten.

Yolei war es, die schließlich auf die fernen Bergspitzen sah. „Cody …“, sagte sie leise, doch die anderen hörten sie. Schlagartig war die Stimmung wieder bedrückt.

Bald erreichten sie die umgekehrte Firewall, hinter der ihre Digimon schon auf sie warteten. Und nicht nur sie. Ein Junge stand bei ihnen, leicht grinsend, zerzaust und mit Blut verkrustet, die linke Hand mit einem Stofffetzen verbunden und sich auf ein ebenso mit Blut und Dreck verkrustetes Katana stützend. „Ihr habt euch Zeit gelassen.“

„Cody!“ Die Mädchen kreischten, die Jungs schrien. Alle stürmten gleichzeitig auf den Jüngeren zu und umarmten ihn stürmisch. Dass er dabei schmerzerfüllt das Gesicht verzog, war ihnen gleich. Auch die Digimon waren heilfroh, sie alle wiederzusehen.

„Wie ist das möglich? Dich hat doch ein Devidramon geschnappt, oder hab ich das geträumt?“, fragte Mimi, als sie an der Reihe war, ihn zu drücken.

„Nein, hast du nicht“, antwortete Cody, als er wieder Luft bekam. Er sah noch viel mitgenommener aus als der Rest der Gruppe zusammen, aber in Anbetracht der Umstände war es ein Wunder, dass er noch lebte. „Das Biest hat mich in die Berge geschleppt und dort abgesetzt. Es hat das Maul aufgerissen und mich verschlingen wollen.“ Cody schauderte bei der Erzählung. Die anderen hingen wie gebannt an seinen Lippen. „Da hab ich ihm mein Schwert in den Rachen gerammt. Es hat gefaucht und hat mich mit der Kralle gestreift, aber dann hab ich es am Flügel erwischt und hinterher am Hals. Es hat noch gelebt, aber ich bin davongerannt, so schnell ich konnte. Dann bin ich einen Hang hinuntergerutscht.“ Er verzog das Gesicht. „Wahrscheinlich hab ich mehr blaue Flecken als normale Haut. Aber mit dem kaputten Flügel hat es mir nicht so schnell folgen können, und ich bin ihm irgendwie entkommen. Hätte ich mein Schwert nicht gehabt … Naja, es war auch so ein unglaublicher Glücksfall.“

Tai trat auf ihn zu und zerwuschelte sein Haar. Breit grinsend erklärte er: „Ab heute bist du Cody, der Drachentöter!“

Die anderen lachten. Sora bemerkte, dass Tai langsam wieder wie früher wurde. Das hieß – er würde wohl nie wieder so werden, aber wenn er nur etwas von seiner früheren Lebensfreude wiedergewann, und danach sah es gerade aus, war Sora beruhigt.

„Was hast du, Davis?“, fragte Veemon, das spürte, dass etwas mit seinem Partner nicht in Ordnung war.

„Das kann gar nicht sein“, murmelte Davis. Seine Schulter schmerzte nur noch leicht und sein Kopf wurde klarer, aber trotzdem konnte er es sich nicht erklären … „Ich sollte der einzige sein, der letzte …“

„Davis?“, versuchte Veemon es noch einmal.

Davis schüttelte den Kopf. Der Geist hatte gesagt, sie würden wahrscheinlich schon im Albtraumschloss sterben. Aber er hatte auch deutlich gemacht, dass es noch dauern konnte. So musste es sein. Noch lebten seine Freunde, aber das würde nicht mehr lange so bleiben. Sie würden Kari bald folgen. Dann war ihr Tod kein solcher Ausrutscher mehr. Trotzdem … sollte er versuchen, es zu verhindern? Davis war sich nicht sicher. Zunächst wollte er herausfinden, wie es passieren würde. Wenn sich herauskristallisierte, dass sie leiden müssten, wollte er das nicht mitansehen.
 

Als sich die achtzehnköpfige Gruppe wieder in Bewegung setzte, um das schaurige Geistertal endgültig zu verlassen, wurden sie von einer einzelnen Gestalt beobachtet, die hoch oben auf einem Felsvorsprung über der Schlucht hockte.

Aki grinste von einem Ohr zum anderen und begann seinen abstrusen Tanz aufzuführen. Dazu sang er fröhlich: „Finally out of the dark, they saw the light of the sun! They stole from Ghost Valley the seven dark cards!

Er sah den DigiRittern hinterher und beschloss, Taneo davon zu erzählen, dass die Scherben jetzt gänzlich uninteressant für sie waren. Die DigiRitter hatten doch tatsächlich das geschafft, was die Dunklen nie gewagt hätten, selbst wenn sie genau gewusst hätten, wo das Albtraumschloss lag. Es war ein Zufall gewesen, dass er die Digimon der Menschen hier angetroffen hatte, und dann hatte er einfach gewartet.

Aki beschwor seine Fledermäuse und ließ sich verstohlen von ihnen davontragen. Angreifen wollte er die DigiRitter nicht; schließlich hatte keiner von ihnen ein Engeldigimon. Und das wäre so nicht interessant genug gewesen.
 

Mobile Festung des DigimonKaisers, DigiWelt

Donnerstag, 24. August 2007

11:30 Uhr
 

Miyuki lag in ihrem Bett in dem kahlen Raum und langweilte sich. Babamon, Kentarous Arztsklave, war zuletzt vor drei Stunden bei ihr gewesen und hatte ihr ein starkes Schmerzmittel verabreicht, das seine Wirkung langsam einbüßte. Ihr rechter Arm war geschient und stark verbunden, und ein doppelt so dicker Verband schlang sich um ihre Hüfte. Sie konnte sich nicht einmal umdrehen oder aufsetzen, auch wenn ihre Beine in Ordnung waren. Mit den Fingern der linken Hand trommelte sie auf ihrer Unterlippe herum, während sie auf die Digitaluhr starrte, die an der Wand der Koje mit der Präzision einer Atomuhr die Zeit anzeigte.

Pünktlich um halb zwölf materialisierte er sich direkt vor ihrem Bett. „Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr“, sagte sie.

Ansatsu hielt ihr wortlos ein Plastiksäckchen hin.

„Hättest ruhig anklopfen können, wenn du das Zimmer eines Mädchens betrittst“, sagte sie.

„Sieh lieber nach, ob alles dabei ist“, knurrte er.

Miyuki lächelte zuckersüß. „Mit einer Hand ist das recht schwer. Magst du mir helfen?“ Sie reichte ihm den Beutel wieder.

Ansatsu zuckte abfällig mit dem Mundwinkel und fischte ein paar CDs und einen alten, grauen Discman heraus. Der Discman gehörte ihr, zumindest hatte er ihr gehört, als sie noch in der Menschenwelt gelebt hatte. Die CDs waren noch originalverschweißt.

„Hast du wegen der CDs so lange gebraucht?“, fragte sie, während sie die Titel durchsah.

„War viel los an der Kasse“, knurrte Ansatsu.

Miyuki zog die Augenbrauen hoch und grinste. „Wie bitte? Ich hatte dich für jemanden gehalten, der in den Laden einbricht, das Zeug schnappt und sich wieder wegteleportiert.“

„Da verwechselst du mich mit Aki“, sagte er trocken und deutete auf die unteren beiden. „Sind das die zwei, die du unbedingt wolltest?“

„Ja, gut gemacht. Drüben in der anderen Welt hab ich die eine immer gemocht. Und der Sänger ist anscheinend bei der anderen Band auch dabei, ich bin neugierig, wie sie sich anhört.“

Ansatsu schnaubte sarkastisch. „Wenn du dich in ein hysterisches Fangirl verwandelst, bring ich dich um.“

„Jetzt sei doch nicht so. Bis ich mich wieder rühren kann, hab ich ohnehin nichts zu tun, als zu warten, dass ihr Jungs alles versaut, wenn ihr allein den Laden schmeißt, oder?“ Vorfreudig packte Miyuki die CDs aus und richtete sich den Discman her. Es waren die Alben Ein Zeichen Deiner Freundschaft von den Teenage Wolves und Night Prevailing von Creators of Darkness‘ Fear.
 

Stützpunkt der Bluray-Partisane, DigiWelt

Donnerstag, 24. August 2007

15:38 Uhr
 

Sie hatten sich wieder zu den Ninjamon in die Felshöhle in den Ausläufern des Bluray-Gebirges zurückgezogen. Die meisten der DigiRitter mussten dringend etwas Schlaf nachholen. Matt und Davis waren als einzige wach, Davis, weil ihm zu viel durch den Kopf ging, und Matt, weil er die Karten genauer untersuchen wollte. Er hatte versucht, sie mit Gabumons Feuer zu verbrennen, aber anscheinend waren sie unzerstörbar. Nicht einmal die Schwerter der Ninjamon konnten dem Material, das sich eigentlich wie folierter Karton anfühlte, etwas anhaben. Es lief wohl darauf hinaus, dass sie die Karten behalten mussten, um Taneo und die Dunklen anzulocken, um dann Gelegenheit zu haben, sie zu besiegen. Danach konnten sie – oder auch die DigiAllianz – mit den Scherben fertig werden. Vor der Konfrontation mit den illegalen DigiRittern mussten sie sich aber unbedingt noch ausruhen.

Ein Donnern riss Matt aus seinen Gedanken. Die Höhle erbebte.

„Was ist los?“, murmelte Mimi verschlafen und rieb sich die Augen. Auch die anderen wachten auf. Matt blickte alarmiert nach oben und sah, wie Steinchen und Staub von der Höhlendecke rieselten. Dann hörte er eilige Schritte.

„Wir werden angegriffen!“ Ein Ninjamon trappelte außer Atem in die Höhle.

Verdammt! Nicht schon so bald! „Die Dunklen?“

„Nein – es sieht nach Albtraumsoldaten aus!“

„Scheiße!“, fluchte Matt. „Alle aufwachen, schnell!“

Das brauchte er nicht zweimal zu sagen. Im Nu waren die DigiRitter auf den Beinen und liefen zum Ausgang der Höhle. Von draußen war Geschrei zu hören. Sie traten ins Freie und erstarrten.

Der Himmel war voller fledermausähnlicher Digimon.

„Das sind Vilemon“, erkannte Matt. Die grauen Flugdigimon umschwärmten die Bergspitzen und spien dunkelviolette Strahlen auf die Ninjamon, die sich vom Boden aus zur Wehr setzten.

„Mit denen werden wir fertig!“, rief Tai, wieder ganz der alte. „Bist du bereit, Agumon?“

„Immer!“

Goldenes Licht hüllte Agumon ein. Der kleine Dinosaurier wuchs und wurde kräftiger, bis er als Greymon dastand und auf die Plattform hinaussprang, die unter seinem Gewicht erzitterte. Es tauchte die Vilemon, die ihm zu nahe kamen, in lodernde Flammen. Auch Gabumon digitierte und kämpfte mit, und der Himmel flackerte abwechselnd in rotem und blauem Feuer und dunklen Energiestrahlen.

Matt besah sich das Schlachtfeld. Die Ninjamon wuselten auf dem Boden herum, aber das Bombardement der Vilemon-Strahlen trieb sie an ihre Grenzen. Mehr als eines wurde getroffen und von den Füßen gerissen, einige lösten sich bereits auf. „ Blitzwurfstern!“ Zwei Ninjamon schleuderten ihre Wurfsterne auf das nächstbeste Vilemon, zerfetzten seine Flügel und gingen mit ihren Schwertern auf es los, als es am Boden lag.

„Es sind zu viele“, murmelte Matt.

„Überlasst das mir!“ Piyomon digitierte zu Birdramon und gleich darauf zu dem noch viel größeren Garudamon. Das gewaltige Adlerdigimon erhob sich schwerfällig im Vergleich zu den Vilemon. „Flügelklinge!“ Ein einziger Phönix aus purem Feuer löschte zwei Dutzend der Fledermäuse mitten im Flug aus.

„Da kommt noch was!“, rief Izzy und deutete aufgeregt über die Bergspitzen. Matt kniff die Augen zusammen.

„Oh nein“, hörte er Tai murmeln.

Ein schlangenähnliches Digimon auf Flügeln jagte mit irrsinniger Geschwindigkeit heran. „Das ist ein Megadramon!“, schrie Izzy. „Schnell auf die Plattform!“

Die anderen fragten nicht weiter nach. Sie stürmten mitten in das Schlachtfeld, als das Megadramon auch schon seine Klauen nach vorn strecke, aus denen Raketen schossen und in den Berg einschlugen, in dem sich die Höhle befand. Riesige Felsbrocken stürzten zu Boden und verschütteten den Eingang fast vollständig.

„Okay, macht euch bereit für die Warp-Digitation!“, rief Tai.

„Nein!“, widersprach Matt heftig. „Wir sind alle erschöpft, das wird nicht lange gut gehen, und es sind einfach zu viele Gegner!“ Immer noch hagelte es violette Strahlen, allerdings etwas weiter entfernt. Das Megadramon ließ noch vier Raketen auf den Stützpunkt niedergehen und sprengte krachend hausgroße Krater in die Felsen.

„Sie sind sicher hinter den Karten her“, sagte ein Ninjamon, das sich in der Nähe gerade eine Kampfpause gönnte. „Bringt sie von hier fort, wir halten sie solange auf.“

„Wir tun, was es sagt“, bestimmte Matt.

„Wieso?“, schrie Tai über den Kampflärm hinweg. „Lass uns kämpfen! WarGreymon kann das schaffen!“

Matt sah ihn wütend an. „Tai, akzeptiere endlich, dass ich jetzt der Anführer bin! Und ich sage, wir ziehen uns zurück, damit wir wieder Kräfte tanken können! Wenn sie die Karten wieder kriegen, war die letzte Nacht umsonst, vergiss das nicht!“

Tai sah ihn einen Moment lang zornig an, bis er resigniert seufzte. „Also gut. Du bist jetzt der Anführer.“

Matt nickte ihm dankbar zu. Er hatte nicht erwartet, dass Tai klein bei gab, und schon befürchtet, eine längere Diskussion führen zu müssen. „Mir nach. Garurumon!“

Garurumon und Greymon trampelten als Begleitschutz neben ihnen her, als sie einen Felsspalt entlangliefen, in dem früher wohl mal Schmelzwasser von den Gletschern oder Moränen geflossen waren. Hinter ihnen krachte es noch mehrmals und das langschwänzige Ungetüm von Megadramon zog unheilvolle Kreise über dem Schlachtfeld. Mit einem schrillen Vogelschrei stürzte sich Garudamon auf das Digimon und schoss eine Flügelklinge auf es ab. Doch Megadramon war zu flink. Es wand sich unter der Attacke durch und stieß ein Fauchen aus. „Drachenwind!“, grollte seine Mark und Bein durchdringende Stimme. Die Rakete aus seiner rechten Klaue zog eine lange Rauchspur nach sich und traf Garudamon frontal in die Brust. Das Vogeldigimon wurde zurückgeschleudert und verwandelte sich noch in der Luft in Piyomon zurück, das schräg abstürzte.

„Piyomon!“, schrie Sora auf.

„Überlasst das mir!“ Tentomon digitierte zu Kabuterimon, flog Piyomon entgegen und fing es mit seinen vielgliedrigen Fingern auf. Nach wenigen Sekunden war das große Käferdigimon wieder bei den DigiRittern. Der Felsspalt beschrieb eine Kurve um einen wuchernden Berg und das Schlachtfeld verschwand aus ihrem Blickfeld.

Und selbst hier war der Himmel voller Vilemon.

„Verdammt! Wir sind schon wieder umzingelt!“, stieß Cody hervor.

„Das gibt’s ja nicht, so viele können das doch gar nicht sein!“, beklagte sich Mimi und klang ob der Championdigimon eher genervt, als diese sich flatternd auf den Felskämmen rings um sie herum niederließen.

„Das ist das Vilemon-Battailon, das Kampfgeschwader der Albtraumsoldaten. Wir haben auf dem Spiralberg schon einmal gegen sie gekämpft, wenn ihr euch erinnert.“

Sora drehte sich zu Matt um, weil sie zunächst dachte, er hätte gesprochen. Dann erst fiel ihr der Unterschied in Stimme und Richtung auf. Suchend ließ sie den Blick schweifen und entdeckte schließlich die Gestalt, die zehn Meter vor ihnen auf einem Geröllhügel stand.

„T.K!“, rief Mimi erfreut. Auch Yolei und Cody lachten erleichtert auf.

Auf den ersten Blick war T.K. kaum wiederzuerkennen. Er trug einen grauen, zerfetzten Mantel, der ihm viel zu weit war, und hatte sich ein dickes, schwarzes Tuch um die Stirn gebunden, das auch ein Verband sein kommte. An seinem Rücken hing eine schwere Lederscheide, in der ein Schwert mit goldenem Knauf steckte.

„Sieh zu, dass du da runterkommst! Es ist gefährlich hier!“, rief Tai.

T.K. sprang von dem Geröllhaufen herunter und schlenderte auf sie zu.

„Wo warst du die ganze Zeit?“, fragte Mimi.

Er ignorierte sie und fragte geradeheraus: „Ich habe gehört, ihr habt die Karten aus dem Albtraumschloss in die Finger bekommen?“

Matt nickte. „Das ist richtig.“

„Gut. Dann hat das Soulmon also die Wahrheit gesagt.“ T.K. blieb stehen und zog mit einer ruckartigen Bewegung das Schwert aus der Scheide auf seinem Rücken. „Verhaltet euch ruhig und rückt die Karten raus, dann muss niemandem was passieren.“

Sora riss erschrocken den Mund auf, Tai schnappte nach Luft, nur Matt blieb als einziger ruhig, sein Gesicht war wie in Stein gemeißelt. „Was hast du gesagt?“, murmelte er leise.

„Du hast mich schon verstanden. Her mit den Karten.“ In T.K.s Stimme war eine Härte, die sie nicht gewohnt waren. Er trat auf Matt zu, der ihm am nächsten stand, und deutete mit der Schwertspitze auf dessen Kehle.

„Kleiner Bruder …“, murmelte Matt fassungslos.

„Ja, großer Bruder? Sag schon, wer von euch hat sie?“

„Du Verräter“, zischte Tai.

„T.K, das geht zu weit“, grollte Garurumon. Seine Krallen kratzten über den Fels, als es nähertrat.

„Vilemon, sorgt dafür, dass sich die Digimon nicht einmischen können“, befahl T.K. gereizt.

Wie ein aufgeschreckter Taubenschwarm flatterten die Fledermausdigimon in die Höhe und ließen einen Regen aus violetten Strahlen zielgenau auf Garurumon, Greymon und Kabuterimon niedergehen. Die Digimon brachen zusammen, krümmten sich und digitierten kraftlos zurück.

„Sag mal, spinnst du jetzt total?“, schrie Tai wutentbrannt, trat auf T.K. zu und packte ihn am Kragen. T.K. verzog keine Miene. Ohne dass er einen Befehl gegeben hatte, schoss eines des Vilemon einen Strahl auf Tai, der ihn umwarf und über den Boden schlittern ließ.

„Tai!“, schrien Mimi und Sora gleichzeitig auf. Der ehemalige Anführer lag einen Moment reglos am Boden und sie befürchteten das Schlimmste, aber dann regte er sich stöhnend. „Du hast sie ja nicht alle!“, schrie Mimi T.K. an und Tränen glitzerten in ihren Augen.

„Zum letzten Mal, bleibt, wo ihr seid, und gebt mir die Karten. Sonst rufe ich Megadramon her, damit es euch genauso zerlegt wie den Partisanenstützpunkt“, befahl T.K. kalt.

Du befehligst Megadramon?“ Matt war vor allem fassunglos.

Die Karten, Matt.“ T.K. tippte mit der Schwertspitze gegen seinen Hals. Ein winziger Blutstropfen trat hervor.

„Das kann doch alles nicht wahr sein!“ Sora schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen, während Mimi über Tai gebeugt kniete und immer wieder schluchzend seinen Namen rief. Er schien bewusstlos. Und während die anderen Digimon nicht wussten, was sie tun sollten, handelte Palmon als einziges.

„Ich werde dich schon zur Vernunft bringen! Giftiger Efeu!“ Giftgrüne Ranken schnellten auf T.K. zu, mit denen es ihn von Matt fortreißen wollte. Aber T.K. reagierte ebenso schnell wie entschlossen. Er ließ von seinem Bruder ab und schwang das Schwert, durchtrennte sauber die Pflanzenranken, die ihn angriffen. Mit zwei, drei Sprüngen war er bei Palmon, zerhackte die nächsten Ranken, die dieses nach ihm warf und trat gegen den grünen Pflanzenkörper. Palmon stürzte auf den Rücken, und bevor Mimi mitbekam, was geschah, war T.K. über dem Digimon und durchbohrte es mit seinem Schwert.

Die ganze Gruppe hielt den Atem an. Palmon starrte auf die Klinge in seiner Brust und drehte den Kopf zu Mimi. „Mimi … ich verstehe das nicht …“ In einem Datensturm löste es sich auf, die Fragmente umflogen T.K. wie ein glitzernder Tornado.

Ein schriller, gellender Schrei von Mimi durchbrach die Starre der Digiritter. „Du hast ja völlig den Verstand verloren!“, schrie Cody und Izzy legte ihm rasch die Hand auf die Schulter, als er einen Schritt nach vor machte. Codys DigiVice glühte auf – und nicht nur seines. Gleichzeitig digitierten Gomamon zu Ikkakumon, Hawkmon zu Aquilamon und Armadillomon zu Ankylomon. Der schwer gepanzerte Dinosaurier baute sich drohend vor T.K. auf. „Wirf dein Schwert weg, T.K. Durch meinen Panzer kommst du nicht.“ Ikkakumon schleppte sich hinter ihn, während Aquilamon wachsam über ihm kreiste. Mimi schrie und weinte und zappelte in Yoleis Griff, die mit aller Macht verhindern wollte, dass sie geradewegs in T.K.s Schwert lief, dann brach sie schluchzend und kraftlos zusammen.

„Könnt ihr mir denn überhaupt etwas tun? Ich kenne euch viel zu gut“, sagte T.K. unbeeindruckt und rammte sein Schwert in den Boden. „Da ihr mir ja offenbar nicht zuhören wollt, lasst es mich anders erklären. Ein Wort von mir und die Vilemon und Megadramon kommen hierher und zerbomben euch, bis nichts mehr von euch übrig ist. Und falls euch das immer noch nicht überzeugt, wird MagnaAngemon ein Himmelstor öffnen und uns alle einsaugen.“ T.K. steckte sein Schwert wieder in die Scheide und kam ganz nah auf Matt zu, der immer noch wie erstarrt war. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass du es nicht ertragen könntest, wenn Sora etwas zustößt“, flüsterte T.K. in sein Ohr. „Du kannst mir glauben, dass ich weiß, wovon ich rede.“

Matt biss die Zähne zusammen. Sein Kiefer zitterte. Langsam schob er die Hand in seine Jackentasche.

„Nein! Gib sie ihm nicht, Matt!“, rief Sora.

T.K.s Gesicht war ebenso wie aus Stein wie Matts, aber seine kristallblauen Augen strahlten eine unnatürliche Kälte aus. In seinem grauen Mantel sah er gar nicht mehr aus wie sein altes Selbst. Sichtlich zufrieden nahm er schließlich den Kartenstapel von Matt entgegen und blätterte sie kurz durch. Dann nickte er. „Wir brechen auf, Angemon“, sagte er laut und ging davon, ohne sich um die Digimon zu kümmern, die ihn immer noch unschlüssig umzingelten. Hinter dem Geröllhaufen, auf dem er gestanden war, flog Angemon hervor, ergriff T.K. und erhob sich mit ihm in die Lüfte.

„Angemon! Was soll das Theater?“, fragte Aquilamon, das ihnen hinterherflog.

„Folge uns bitte nicht“, erwiderte Angemon. Schon wurde es von den Vilemon flankiert. Als der große Adler nicht umkehren wollte, schossen sie zwei, drei Energiestrahlen als Warnung ab.

„Aquilamon! Komm zurück!“, hörte es Yoleis Stimme.

„Aber Yolei …“ Aquilamon sah zurück und erblickte den Rest des Geschwaders: eine irrsinnige Menge aus Vilemon und das zerstörerische Megadramon, gegen das es selbst wie eine Blaumeise wirkte. Rasch wendete Aquilamon und flog in Bodennähe zu den anderen zurück. Über ihnen schossen die Fledermäuse und der lange Körper des Drachendigimon hinweg und folgten ihrem Herren.

Sora merkte, dass Matt schwer atmete. Er knirschte mit den Zähnen. „T.K. … Ich kann es nicht glauben …“

Secret Power

Ausläufer des Bluray-Gebirge, DigiWelt

Donnerstag, 24. August 2007

16:10 Uhr
 

Tai wachte auf, als er jemanden seinen Namen rufen hörte. Ein Mädchen. Wieder und wieder rief es ihn, schluchzend. Mühsam öffnete er die Augen. Überall in seinem Körper kribbelte es, als wären ihm sämtliche Glieder eingeschlafen. Er blinzelte und sah in das verweinte Gesicht Mimis.

„Gottseidank!“, rief sie aus und warf sich ihm um den Hals. „Ich dachte, ich hätte dich auch verloren!“ Tai war verdutzt starr wie ein Brett. Dann ergriff er ihre Schultern und schob sie ein wenig von sich.

„Was meinst du mit auch?“

Mimi brach in Tränen aus. „Palmon! Er … Er hat Palmon … Er hat …“ Danach brachte sie nichts mehr heraus. Tais Kopf klärte sich langsam, während er sich umsah. Er lag auf einem flachen Felsen, die anderen standen betroffen um sie herum. Dann erinnerte er sich. T.K! Nein … das musste ein Traum gewesen sein.

Er wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Mimi, die sich an seiner Brust ausweinte, während er gerade erst wieder in die Wirklichkeit zurück gelangte, überforderte ihn. Er hatte das Bedürfnis, sie in die Arme zu nehmen und zu trösten, aber etwas hinderte ihn daran. So blieb er liegen, wo er war.
 

Etwas weiter entfernt hieb Matt mit der bloßen Faust gegen einen Felsen. „Verdammt! Verdammt, verdammt, verdammt! Wie konnte das nur passieren?“

Sora trat zaghaft an ihn heran. „Mach dir keine Vorwürfe, Matt.“

„Keine Vorwürfe?“ Er sah sie mit einer Mischung aus Verzweiflung und Wut an. „T.K. ist mitten unter Feinden! Wie könnte ich mir da als großer Bruder keine Vorwürfe machen?“

Sora war gelinde überrascht. Seine Sorge um T.K. überwog tatsächlich seine Wut über dessen Verrat. „Keiner von uns hätte geahnt, dass er so etwas tut. Das mit Kari hat ihn viel schwerer getroffen, als wir dachten.“

Matt schnaubte grimmig und überlegte, was er getan hätte, wenn Sora das gleiche zugestoßen wäre. Nein, er konnte sich nicht vorstellen, was in T.K. vorging. Aber trotzdem – dass er sich so veränderte … Nein, das wollte er nicht glauben. „Alles dahin“, sagte er bitter. „Die Karten, die wir so mühsam aus der Festung geborgen haben …“

„Vielleicht behält T.K. sie ja für sich und versucht, die Scherben damit zu erpressen“, meinte Sora hilflos.

„Das glaubst du ja selbst nicht.“ Matt atmete tief durch. „Die Frage ist, was sollen wir als nächstes tun? Wir stehen wieder ganz am Anfang – und jetzt ist sogar T.K. gegen uns.“ Er schüttelte den Kopf, konnte es immer noch nicht fassen. „Wir sind am Ende.“

„Sag sowas nicht. Wir können immer noch kämpfen“, versuchte Sora ihn aufzumuntern, aber selbst in ihren eigenen Ohren hörten sich ihre Worte hohl an. Sie hatten nach wie vor keine Ahnung, wie sie an Taneo herankamen und praktisch keine Verbündeten mehr in der DigiWelt.

„Hey Leute, Davis ist verschwunden!“, rief plötzlich Cody.

„Was sagst du da?“ Matt war mit wenigen Schritten bei ihm.

„Er ist nirgends zu sehen. Ich glaube, er war auch nicht dabei, als wir vor den Vilemon geflohen sind“, fügte Yolei hinzu. „Veemon fehlt auch.“

Matt vergrub entnervt das Gesicht in seiner linken Hand. In dem Chaos ihrer Flucht und der Konfrontation mit T.K. hatte er nicht einmal daran gedacht, nachzusehen, ob noch alle aus ihrer Gruppe da waren.

„Oh nein, er wird doch nicht allein gegen die Scherben gekämpft haben?“, dachte Sora laut.

Matt stöhnte auf. „Sagt Tai, er kann den Anführerposten wiederhaben“, murmelte er bitter. „Ich bin einfach nur mies darin.“
 

Bluray-Gebirge, DigiWelt

Donnerstag, 24. August 2007

16:36 Uhr
 

„Davis, bist du dir sicher, dass das die richtige Entscheidung ist?“, grollte Raidramons Stimme, als Davis auf ihm durch die Berge ritt. Das Digimon fand stets sicheren Tritt.

„Ich bin mir überhaupt nicht sicher“, murmelte Davis. „Aber ich will auch nicht sehen, wie meine Freunde sterben.“

„Du weißt nicht mit Sicherheit, ob diese Prophezeiung stimmt“, sagte Raidramon. „Ich werde dich überall hinbringen, wo du hinwillst, aber ich glaube, du handelst etwas vorschnell.“

„Tu ich das nicht immer?“, fragte Davis und lächelte traurig.

Es war nicht der einzige Grund. Er konnte einfach nicht mehr in der Nähe der anderen sein. Sogar Tai schien Karis Tod verdrängt zu haben. Er war wieder der Alte. Für Davis war es eine Narbe, die nie heilen würde. Die er nie würde heilen lassen. Er durfte nicht vergessen, wie Kari gestorben war, so wie Tai. Auf keinen Fall. Und wenn die anderen ihr folgten, war sie wenigstens nicht die einzige …

Schnell wie der Wind sprang Raidramon mit Davis auf dem Rücken von einem Felsen zum anderen.
 

Finsterzitadelle, DigiWelt

Donnerstag, 24. August 2007

17:27 Uhr
 

T.K. stand vor den Anführern der Scherben – man könnte also sagen, vor den bösartigsten Digimon, die es zurzeit in der DigiWelt gab. Aber er hatte erkannt, welchen Vorteil bösartige Digimon hatten: Bei ihnen wusste man immer, woran man war; im Gegensatz zu Taneo und den Dunklen, die wie alle Menschen zwischen Licht und Finsternis standen. Aber in der Finsternis dieser Zitadelle gedieh nur noch mehr Finsternis, und vom Bösen wusste man, dass es böse war. Es zeigte keine Schwäche, keine Gefühle, kein Bedauern, und wenn doch, war es eindeutig eine Falle. Dennoch hatte er Patamon an seiner Seite.

„Wir hatten dich nicht so schnell wieder zurückerwartet“, schnarrte einer der beiden Anführer, ein Phantomon mit roter Kapuze und geschwungener Sense, die genauso aussah wie die, durch die Kari ihr Ende gefunden hatte. Nein, denk nicht schon wieder daran.

„Es war nicht weiter schwierig“, erklärte T.K. lässig und warf den Kartenstapel achtlos vor sich auf den Boden. „Es müssten alle sein, aber ihr könnt gerne nachzählen.“

Phantomons Augen verengten sich. „Mir gefällt deine Arroganz nicht, Mensch.“

„Ihr habt mich auch nicht wegen meiner Bescheidenheit mit dieser Mission betraut, oder?“ T.K. straffte die Schultern. „Und ich habe sie erfüllt. Man könnte sagen, ich bin derjenige, der von euch am erfolgreichsten in seinen Aufgaben war.“

Das knochige, hässliche SkullSatamon, das neben Phantomon stand, sah ihn aus funkelnden Augenhöhlen an. „Du gieriger Mensch verlangst eine Belohnung, nicht wahr?“

„Das ist nur recht und billig. Diese Karten wären nicht von allein wieder zu euch geflogen.“

„Weißt du, was noch fliegt? Das Vilemon-Bataillon. Wem auch immer wir das Kommando übertragen hätten, er hätte uns die Karten gebracht.“ SkullSatamons Stimme tat in den Ohren weg, kratzend und knöchern.

„Vielleicht. Mit wesentlich höheren Verlusten.“ T.K. breitete selbstbewusst die Arme aus. „Ich kenne die DigiRitter gut. Ich weiß, wie man sie packen muss. Und sie könnten wieder versuchen, euch anzugreifen.“

Phantomon und Skullsatamon schwiegen und sahen sich dabei an, beratschlagten mit Blicken. „Was willst du also?“, schnarrte Phantomon.

T.K. deutete auf die drei Throne am hinteren Ende der kahlen, mit Marmorfliesen ausgelegten Halle. „Wenn ich mich nicht täusche, gehören in ein Triumvirat drei Leute. Und ihr habt noch einen Platz frei.“

„Du willst Triumvirator der Albtraumsoldaten werden?“, spie SkullSatamon ihm schrill entgegen. „Du vergisst deinen Platz, Mensch!“

„Ich denke eher nicht. Lass mich kurz zusammenfassen: Ich war in der Festung der Dunklen. Ich habe eine Karte von Taneo gestohlen und herausgefunden, dass er für den Tod von LadyDevimon verantwortlich ist. Ich habe eine der Dunklen schwer verletzt, vielleicht sogar getötet. Ich habe ihre fliegende Festung abstürzen lassen und bewegungsunfähig im Meer zurückgelassen, und ich weiß, wie man dorthin kommt. Dann habe ich eure Unfähigkeit ausgebügelt, indem ich meine alten Freunde betrogen und die Karten zurückgeholt habe, und außerdem habe ich den Stützpunkt der Partisane zerstört, die euch lästig waren. Wer, wenn nicht ich, hätte Anspruch auf den dritten Thron dort hinten?“ Den Standort der Bluray-Partisane hatte er von Patamon erfahren.

Wieder schwiegen die Digimon. Es war unübersehbar, was er geleistet hatte, und das ganz allein. „Wenn du ein Digimon wärst“, klapperte SkullSatamon schließlich, „würde ich dich vielleicht wirklich zu einem von uns machen. Aber du bist ein Mensch.“

„Und du sagst das, weil du dich vor Menschen fürchtest?“, fragte T.K. bewusst provozierend und legte erwartungsvoll den Kopf schief.

„Ich fürchte mich vor niemandem!“, fauchte SkullSatamon aufgebracht.

„Ihr Menschen seid unberechenbar“, sagte Phantomon sachlicher. „Früher wart ihr unsere Feinde und habt die DigiWelt vor den Mächten der Dunkelheit verteidigt.“ Ich habe sogar euren Herrn verbannt, dachte T.K. „Heute sind einige von euch plötzlich die neuen Tyrannen der DigiWelt. Ein neuer DigimonKaiser hat sich erhoben, in diesem Sinn. Früher habt ihr Menschen zusammengehalten. Heute seid ihr Feinde. Was soll ich davon halten?“

„In meiner Welt ist es normal, mit anderen Menschen verfeindet zu sein“, sagte T.K. „Aber gut, was verlangst du, damit ihr mich als Triumvirator akzeptiert?“

„Wir haben nie gesagt, dass wir das tun werden“, krächzte SkullSatamon, aber Phantomon sagte: „Zeig uns, dass du auf unserer Seite stehst, nicht auf der der Menschen.“

„Und wie mache ich das?“

„Bring uns den Kopf eines Menschen“, forderte Phantomon. „Dann können wir nochmal darüber reden.“

„Irgendeines Menschen?“

„Ja. Und lass dir ruhig Zeit.“

T.K. ging in Gedanken alle Menschen durch, die sich zurzeit in der DigiWelt befanden.

Die Wahl fiel ihm nicht schwer.
 

Tokio, Japan

Freitag, 25. August 2007

0:05 Uhr
 

Die Scheinwerfer der Disko bewegten sich rhythmisch über den Himmel und das gedämpfte Wummern der Musik war gut zu hören, als Gekimaru, Ren und Hibiko sich, leicht angetrunken, schon auf den Heimweg machten. Sie hielten von der Technomusik nicht allzuviel und waren eher darauf ausgewesen, sich zu betrinken und ein paar Mädels aufzureißen. Zumindest bei letzterem war ihnen der Erfolg verwehrt geblieben. Vielleicht hätten sie an ihrem ursprünglichen Plan festhalten und in eine Karaokebar gehen sollen, nur dass keiner von ihnen wirklich singen konnte.

„Alter, ich versteh ech‘ nich‘, wieso wir so überhaupt kein‘ Erfolg bei den Bräuten hab‘n“, jammerte Gekimaru lallend.

„Naja, weißt du, Geki“, sagte Ren schwer verständlich, „bei den Mädels kannst du’s nich‘ machen wie bei deinem Schlagzeug. Du kanns‘ sie nich‘ einfach weichklopfen.“ Er lachte über seinen Witz, die anderen beiden stimmten jedoch nicht ein.

„Ich hab mich das schon lang gefragt“, sagte Gekimaru, während sie die kahle Straße entlangtaumelten. „Immer kriegt Yami die ganz’n Mädels ab. Dabei hat er doch schon eine!“

„Yami, dieser Arsch“, knurrte Hibiko, als er diesen Namen hörte. „Lässt uns einfach in Spanien sitzen und is‘ seitdem wie vom Erdboden verschu… verschlu… verschwunden. Nur weil seine Freundin auf einmal vor der Tür steht.“

„Du vergisst das komische grüne Ding, das sie dabei hatte“, sagte Ren mit verklärtem Blick und erhobenem Finger.

„Aber ‘n guten Geschmack hat Yami schon“, grinste Hibiko, plötzlich gar nicht mehr zornig. „Seine Kleine, die is‘ schon ein Traum, was? Ich steh auf Rothaarige. Wenn Yami nich‘ so gut auf die aufpassen würd, ich sag’s euch, die würd ich abschleppen.“

„Yami würd dich umbringen“, sagte Ren trocken.

„Die andere, diese Mimi, war aber auch nich‘ schlecht“, schwärmte Gekimaru. „Die war mir in Spanien total verfallen, ich schwör’s euch.“

Hibiko knuffte ihn in die Seite. „Alter, die wollt dich nur aus dem Bett vertreiben, damit sie nich’ auf der Couch schlafen muss.“

Sie lachten, sogar Gekimaru.

„Hey!“, rief da plötzlich Hibiko. „Geiler Arsch auf zwei Uhr!“

Vor ihnen waren eben zwei schick hergerichtete Mädchen aus einem Taxi gestiegen, um die letzten Meter zur Disko zu Fuß zu gehen.

„Hey, Ladies“, sagte Gekimaru sofort und bemühte sich um eine klare Zunge. „Wie geht’s? Auf der Suche nach Gesellschaft?“

Die beiden sahen sich nur stirnrunzeln an. „Eigentlich nicht, danke.“

„Ach, kommt schon“, lallte Hibiko, der von ihnen am meisten getrunken hatte. „Wir lad’n euch ein, ja?“

„Ich glaube, eher nicht“, sagte das eine Mädchen. „Komm, Midori, wir gehen.“

Gekimaru stellte sich ihnen in den Weg. „He, seid doch nich‘ gleich so. Wir sind echt nett. Ein Drink wird ja wohl drin sein, oder?“

Die Mädchen rümpften die Nase ob seiner Fahne. „Nein, danke“, sagte die eine unwillig und machte Anstalten, an ihm vorbeizugehen.

„Ey, wir sind berühmt!“, steuerte Ren bei. „Es is‘ eine Ehre, mit uns abzuhängen, Mann.“

„Lasst uns einfach in Ruhe, okay?“

Die Mädchen sahen nicht genau, was passierte. In der Dunkelheit hinter den drei aufdringlichen Jungs erschein plötzlich ein Schatten. Es sah so aus, als würde die Luft flimmern und die Schwärze der Nacht plötzlich gerinnen. Dann stand er zwischen den dreien, wirbelte um seine Achse und trat gleich zwei von ihnen die Beine weg, die zu verdattert waren, um auch nur einen Schrei auszustoßen, den dritten packte er am Arm und warf ihn über seine Schulter.

Ihre Freundin packte Midori am Arm. „Komm, gehen wir.“

„Aber …“

„Jetzt komm schon.“

Als die beiden Mädchen an der scheinbaren Rauferei vorbei waren, war diese schon vorbei. Völlig perplex und mit blutenden Nasen lagen die Mitglieder von Creators of Darkness‘ Fear auf dem Boden. Ansatsu stellte sich mit den Füßen auf sie. „Hab ich euch gefunden“, sagte er leise. „Ich soll euch hiermit etwas ausrichten. Ein gewisser Fan findet, dass ihr Matt Ishidas Talent verschandelt und er besser bei seiner alten Band geblieben wäre. Das war’s.“ Er löste sich in Luft auf.

„Was zur Hölle war das jetzt?“, nuschelte Gekimaru. Der Alkohol hatte den Schmerz weitgehend gedämpft und so gelang es ihnen mühsam, sich aufzurappeln.

„Ich hab keine Ahnung“, murmelte Ren.
 

Mobile Festung des DigimonKaisers, DigiWelt

Freitag, 25. August 2007

0:13 Uhr
 

Als Ansatsu sich wieder im Hauptraum materialisierte, waren so ziemlich alle versammelt. Nur Aki fehlte wieder einmal. Kentarou hatte seinen Laptop mit einem guten Dutzend Kabeln mit dem Maschinenraum verbunden und versuchte der Festung wieder Saft zu geben; Taneo sah ihm über die Schulter. Miyuki hatte erstmals ihr Bett verlassen und saß in einem elektrischen Rollstuhl vor der Tür zu ihrer Kabine, sicherlich wieder zugedröhnt mit Schmerzmitteln, und hatte die Kopfhörer ihres Discmans auf.

„Ah, hast du meinen Auftrag ausgeführt?“, fragte sie und hob sich die Hörer vom Kopf, als sie ihn sah.

„Ja“, sagte er knapp. „Sie liegen mit gebrochenen Nasenbeinen auf der Straße.“

„Sehr gut“, sagte Miyuki und hörte weiter. „Diese Kerle haben es nicht verdient, mit Matt in einer Band zu spielen. Sie ziehen ihn auf ihr Niveau herunter.“

„Du solltest dich hören“, sagte Kentarou, ohne von seinem Laptop aufzublicken. „Geht es um diesen Matt Ishida aka Yami? Ich hab mal was in einer Zeitschrift über ihn gelesen. Er soll besser aussehen als Matt Damon, besser Gitarre spielen als Matt Skiba und besser singen als Mat Sinner. Übertriebenes Pushing, wenn ihr mich fragt.“

„Außer Matt Damon kenn ich keinen von denen, also können die nicht wichtig sein“, sagte Miyuki.

„Miyuki, du weißt, wer Matt Ishida ist?“, fragte Kentarou trocken.

„Ein klasse Typ, der noch einen Haufen Hits schreiben wird?“

Der Brillenträger schüttelte grimmig den Kopf. „Wenn wir hier fertig sind, schreibt er überhaupt keinen Song mehr. Soll ich dir auf die Sprünge helfen? Du hast ihn schon mal ins Visier genommen. Und sein Bruder hat dir das da verpasst.“ Er zeigte auf den Verband um ihre Hüfte.

Miyukis Augen wurden groß. „Ist nicht wahr!“ Dann änderte sich ihr Gesichtsausdruck und sie lächelte. „So ist das also. Welch Ironie.“ Damit war das Thema wohl für sie erledigt. „Nun, man soll Privates und Berufliches voneinander trennen, nicht wahr? Ansatsu, du findest doch auch, dass Matt besser bei den Teenage Wolves geblieben wäre, oder?“

Ansatsu schien überrascht, dass sie ihn das fragte. Kentarou hob seufzend die Schultern und beachtete sie nicht mehr. „Ich kann keine von seinen Bands leiden“, murmelte der Assassine.

„Was für Musik hört man denn so als Attentäter?“, fragte Miyuki. „Die Schreie deiner Opfer? Nein, warte – Death Metal, stimmts?“

„Jetzt verwechselst du mich mit Kentarou“, seufzte Ansatsu, der Unterhaltung überdrüssig, während der Brillenträger vielsagend grinste. „Ich habe keine Zeit, mich um so etwas wie Musik zu kümmern.“ Damit wandte er sich ab und machte Anstalten, den Raum zu verlassen.

„Ansatsu“, schnitt Taneos Stimme durch den Raum. Er hatte sich bemüht, die Konversation vorhin einfach zu überhören, doch nun wandte er sich direkt an den Assassinen. „Ich will nicht, dass du unnötigerweise in die Reale Welt gehst.“

Ansatsu nickte. „Wird nicht wieder vorkommen.“

„Es wundert mich schon, dass du Miyuki in letzter Zeit so viele Gefallen tust. Du bist doch nicht etwa plötzlich in sie verschossen, oder?“ Kentarou grinste ein unverschämtes Grinsen. „Ich dachte eigentlich eher, du wärst der Typ, der lieber mit Digimon rummacht.“

Ohne sich umzudrehen streckte Ansatsu die Hand aus und eine winzige Schwarze Planetenkraft sauste knapp neben Kentarou vorbei und fraß einen Krater in die Wand. Kentarous Grinsen erstarrte. Ohne ein Wort verließ Ansatsu den Raum.

„Wie sieht es aus?“, fragte Taneo nach einer Weile, als der Brillenträger weiterarbeitete.

„Nicht gut. Ich krieg das verdammte Ding nicht wieder in die Luft. Wir brauchen eine neue Antriebsmöglichkeit oder gleich eine neue Festung.“

Taneo schwieg eine Weile. „Dann lass dir was einfallen. Die Scherben können jeden Moment ihren Zug machen.“
 

Waldhöhle, DigiWelt

Freitag, 25. August 2007

1:16 Uhr
 

Müde schleppte sich Ken in den Höhleneingang. Kurz zuvor hatte es einen Wolkenbruch gegeben, und um seine erst besser gewordene Krankheit nicht gleich wieder zu füttern, hatte er sich, obwohl er sich noch recht nah an einem belebten Gebiet befand, entschlossen, die Nacht hier zu verbringen und erst am Tag weiterzuziehen.

Er bückte sich unter den tief hängenden Felsblöcken hindurch, die den Eingang stützten, wrang sein schulterlanges Haar aus und – sah sich Auge in Auge mit einem Digimon gegenüber. Und die Ironie war perfekt, als er bemerkte, dass er den Unterschlupf eines Wizardmons betreten hatte, nun, da sein eigenes Kostüm so zerfetzt war, dass ihn niemand mehr für ein Digimon halten konnte. Und Menschen waren in der DigiWelt allgemein bekannte Feinde.

Das Zaubererdigimon sprang auf und richtete sofort den sonnenförmigen Stab auf Ken. „Warte!“, rief Ken aus und streckte abwehrend die Hände von sich. „Ich bin nicht dein Feind!“

Wizardmon packte den Stab mit beiden Händen. Die Spitze glühte bläulich und elektrisch auf.

Nein! Das konnte doch nicht wahr sein! Nachdem er so lange unversehrt durch die DigiWelt gewandert war, sollte er etwa jetzt durch das Digimon sterben, als das er sich verkleidet hatte?

Donnerball!“ Ein elektrischer Blitz zuckte aus dem Stab und Ken sah das blaue Licht näherkommen. Obwohl es sich wie Feuer in seine Augäpfel brannte, konnte er den Blick nicht abwenden. Dann traf der Blitz seine ausgestreckte linke Hand.

Und Ken spürte ihn nicht einmal.

Mit offenem Mund starrte er den elektrischen Strahl an. Knapp vor seiner Hand teilte er sich und floss auseinander und um Ken herum, als hätte er einen unsichtbaren Schutzschild ausgefahren. Ken sah, wie grüne Lichter in seiner Narbe zu blitzen begannen, bis zur Schulter hinauf, und das Jucken wurde wieder stärker.

Das Wizardmon trat näher, wahrscheinlich, um die Kraft zu erhöhen, und Ken fasste sich ein Herz und tat es ihm gleich. Mit der linken Hand packte er den Stab und spürte erneut das Jucken. Energieschauer liefen in Wellen von dem Stab seinen Arm hinauf. Gleichzeitig schrie Wizardmon auf und prallte zurück, stoppte die fruchtlose Attacke. Das Digimon starrte Ken noch einen Moment an und lief dann panisch in weitem Bogen um ihn herum in den strömenden Regen hinaus, sich den flatternden Hexenhut haltend.

Ken sah ihm fassungslos nach, dann blickte er auf seinen Arm. Er fühlte sich an, als wäre er mit einer fremden Energie geladen. Er ballte die Hand zur Faust und öffnete sie wieder. Als würde sich das Blut in seinen Adern stauen, juckte sein Arm. Ken leitete die Energie die Narbe entlang, die wieder grünlich aufblitzte. Hatte das Wizardmon sie irgendwie unbewusst aufgeladen? Er konnte die Energie frei kontrollieren.

Ken hielt die Luft an, streckte den Arm aus und ließ die Energie nach draußen fließen, die sich wie Kohlensäure in einer geschüttelten Colaflasche aufgestaut hatte. Die Höhle wurde von einem Lichtblitz erhellt, der genauso aussah wie der des Wizardmons.

„Unglaublich“, hauchte Ken. Er sah nach draußen. Es regnete immer noch, doch er wollte nicht länger warten.

Es gab da etwas, das er herausfinden musste.
 

Staubgrube, DigiWelt

Freitag, 25. August 2007

7:48 Uhr
 

„Keramon hat nicht erwartet, den Kunden so bald wiederzusehen“, lispelte Keramon, als T.K. sich zu ihm gesellte. „War der Kunde also zufrieden mit Keramon? Bitte, der Kunde kann sich setzen.“ Es deutete mit einem langen Arm auf die Bank ihm gegenüber.

„Danke, aber es dauert nicht lang“, sagte T.K. kühl. „Ich habe nur einen Auftrag für dich. Du kannst so viele Vilemon dafür haben, wie du willst.“

Keramon faltete die Hände und sein ewiges Grinsen nahm eine geschäftsmännische Note an. „Worum geht es? Wieder um schwere Jungs?“

„Einer der Dunklen rühmt sich damit, Engel zu töten. Er muss ein Netz aus Spionen haben, die ihm spicken, wo ein Engeldigimon aufgetaucht ist. Es würde mich nicht wundern, wenn du ihm auch hin und wieder Informationen zukommen lässt.“

Keramons Augen funkelten. „Und Keramon soll diese Spione für den Kunden ausfindig machen, ja?“

T.K. lächelte. „Das muss gar nicht sein. Ich will nur, dass dieser Typ erfährt, dass sich demnächst vor der Rauchenden Krone ein Engeldigimon aufhalten wird.“

„Oho“, machte Keramon.

Sword and Scythe

Vor dem Bluray-Gebirge, DigiWelt

Freitag, 24. August 2007

6:44 Uhr
 

Raidramon bemerkte es, als sie an einem kristallklaren Bach, der direkt aus den Bergen kam, anhielten und Davis abstieg um sich zu waschen. „Davis!“, sagte es. „Du hast das was auf dem Rücken.“

„Ja, na und?“ Davis fuhr fort, sich Wasser ins Gesicht zu spritzen und über seinen bloßen Oberkörper laufen zu lassen. Es erfrischte und brachte seinen Kreislauf in Schwung. Er hatte in der Nacht nicht geschlafen, war nur kurz auf Raidramons Rücken eingedöst, und es dauerte sicher noch, bis sie eine sichere Stelle für ein Lager fanden.

„Da, auf der Schulter! Ein Mal, das so aussieht wie eine Hand!“

„Ist sicher nur ein Kratzer, was du siehst.“

„Aber Davis …“

„Nichts aber. Komm, weiter geht’s.“ Er zog sich sein T-Shirt wieder über, band sich seine flammenbestickte Weste um die Hüften und setzte sich auf Raidramons Rücken.

Sein Digimonpartner lief los, aber seine Sorge war nicht abgeschüttelt. „Davis … Was stimmt nicht mit dir? Du bist so anders als sonst … und du willst plötzlich nicht mehr bei deinen Freunden sein.“

„Ich will schon bei ihnen sein“, murmelte Davis. „Aber ich will sie nicht sterben sehen.“

„Glaubst du etwa wirklich, was dir ein Geist erzählt? Also ich hätte da meine Zweifel.“

„Ach, was weiß ich. Ich will nicht darüber nachdenken. Reite schneller, wenn’s geht.“

„Ach, Davis …“, seufzte das Digimon.
 

Ausläufer des Bluray-Gebirge, DigiWelt

Freitag, 24. August 2007

8:46 Uhr
 

Sora schlief ungewöhnlich lange. Auch wenn es noch vor neun Uhr war, hätte sie am Vortag nicht gedacht, auf den rohen Felsen so tief schlafen zu können, schon gar nicht nach den Ereignissen vom Vortag. Es war einer jener Momente, in denen sie aufwachte und für einen kurzen Augenblick keine Sorgen kannte, ehe ihr mit brutaler Wucht die vergangenen Geschehnisse wieder in den Kopf fuhren. Sie streckte sich und merkte, dass all ihre Glieder verspannt waren, was kein Wunder war.

„Guten Morgen, Sora“, hörte sie Yoleis Stimme neben sich.

„Morgen“, nurschelte sie und sah sich um. Sie und Yolei saßen ein wenig abseits von den anderen unter dem Vorsprung, wo sie die Nacht verbracht hatten.

„Sag mal“, begann Yolei leise, als wollte sie nicht, dass sie jemand hörte, „mir ist etwas eingefallen. Was meinst du, wohin ist Ken damals verschwunden?“

Sora musste sich erst den Schlaf aus den Augen reiben. Eigentlich wollte sie nicht so kurz nach dem Aufwachen schon wieder über diese komplizierten Dinge nachdenken, aber sie hatte das Gefühl, Yolei eine Antwort, oder zumindest ihre Meinung, schuldig zu sein. Seufzend dachte sie nach. „Ich weiß nicht“, sagte sie schließlich. Nach dem Tod seiner Eltern hatte Ken jeglichen Kontakt zu seinen Freunden abgebrochen und seither hatten sie nichts von ihm gehört, kein Sterbenswörtchen. Yolei wirkte immer noch nachdenklich. „Du standest ihm sehr nahe, nicht wahr?“, fragte Sora sanft.

„Ich – also, nein!“, sagte Yolei impulsiv und eine kaum erkennbare Röte schlich sich auf ihre Wangen. Dann senkte sie den Blick. „Ich habe nur Mitleid mit ihm, das ist alles … Hältst du es für möglich, dass er … hier ist? In der DigiWelt?“

„Wie kommst du darauf?“ Sora sah sie verwundert an.

„Wie gesagt, ich habe nachgedacht. Ich …“ Sie wich verlegen Soras Blick aus. „Ich habe heute Nacht von ihm geträumt. Davon, wie er wahrscheinlich leidet … Und da ist mir dieser Gedanke gekommen. Der Unfall mit seinen Eltern, das war vor einem halben Jahr, oder? Ungefähr zu der Zeit sind Taneo und die neuen DigiRitter in die DigiWelt gerufen worden. Und Mimi hat mir erzählt, dass vor einem halben Jahr plötzlich Palmon aus ihrem Computer aufgetaucht ist. Was, wenn sich das Tor damals nicht nur für die neuen DigiRitter geöffnet hat? Dann könnte Ken es entdeckt haben und in die DigiWelt gereist sein.“

„Aber dann …“ Sora fröstelte plötzlich. „Das hieße ja … Er wäre ein halbes Jahr in der DigiWelt gewesen!“

Yolei nickte. „Und er hätte Taneos Aufstieg aus erster Hand verfolgen können.“

„Und er hätte nichts dagegen unternommen?“

Yolei hob nur die Schultern. „Ich weiß es nicht. Es war nur so ein Gedanke.“

Sie stand auf und ging zu Cody hinüber, der verbissen mit seinem Schwert übte, obwohl seine Verletzungen noch lange nicht verheilt waren. Sora dachte nach. So abwegig war Yoleis Theorie gar nicht. Allerdings wäre dann vielleicht schon Ansatsu auf der Jagd nach den DigiRittern auf ihn gestoßen … Sie schüttelte den Kopf. Sie wollte sich nicht vorstellen, dass noch einer ihrer Freunde gestorben war.

Einige Meter entfernt planten Izzy, Tai und Matt ihre nächsten Schritte. Tai hatte aus irgendeinem Grund verlangt, dass auch Joe bei der Besprechung dabei war, und Mimi saß teilnahmslos daneben. Izzy hatte eine ungenaue Karte der DigiWelt in das Fleckchen Erdboden dort geritzt. „Hier sind wir in etwa, und das ist das restliche Gebirge. Dort irgendwo, höchstwahrscheinlich im Zentrum, wird wohl die Finsterzitadelle der Scherben liegen.“

„Und die Mobile Festung, die die Dunklen benutzen, ist quasi unmöglich aufzuspüren“, sagte Tai.

„Richtig, aber schaut. Hier sind das Geistertal und das Albtraumschloss.“ Izzy deutete auf eine Linie in seinem Plan. „Es waren ziemlich viele Karten dort versteckt, also denke ich, dass sie alle dort gebunkert haben. Daher vermute ich, dass es kein anderes Versteck geben wird, sonst hätten sie sie besser verteilt. Nachdem das Albtraumschloss nicht mehr sicher ist, bewahren sie die Karten jetzt sicher direkt in ihrer Zitadelle auf. Vorausgesetzt, T.K. hat sie ihnen wirklich wieder ausgehändigt.“

„Das heißt, nachdem wir Taneo nicht finden können, nehmen wir uns die Scherben zuerst vor?“, schlussfolgerte Matt.

„Das halte ich für das Schlauste“, sagte Izzy. „Wenn wir erst die Karten haben, wird er sich uns früher oder später stellen. Das Problem wird sein, die Zitadelle zu finden. Wenn bekannt wäre, wo sie liegt, hätte sie die DigiAllianz sicher schon gestürmt.“

„Können wir nicht einfach T.K.s DigiVice verfolgen?“, fragte Joe. „Ihr habt uns ja auch so gefunden.“

„Das geht nicht“, sagte Matt. „Gennai hat nur Updates für die alten DigiVices geschrieben. Die neuen können weder aufspüren noch aufgespürt werden.“

„Ach so“, murmelte Joe.

„Außerdem, selbst wenn wir sie finden, muss sie stark verteidigt sein“, sagte Izzy. „Wenn man bedenkt, dass T.K. so viele Digimon dabeihatte, und irgendwo in der DigiWelt eine noch viel größere Armee aus Albtraumsoldaten herumzieht und nach den Karten sucht, ist ihr Hauptquartier sicher ein wahres Bollwerk. Deswegen greifen auch die Dunklen nicht an, obwohl sie ja wissen, wo es liegt.“

„Das ist kein Problem.“ Tai schlug sich mit der Faust in die Handfläche. „Wir haben WarGreymon und MetalGarurumon. Die können uns nichts entgegensetzen!“

„Da könntest du recht haben.“ Izzy kratzte sich am Kinn. „Ihr Meister war Piedmon und keiner der Meister der Dunkelheit hattte Megadigimon als Untergebene, also werden die Triumviratoren wohl nur Ultradigimon sein. WarGreymon und MetalGarurumon gehören momentan sicher zu den stärksten Digimon in diesem Krieg.“

„Trotzdem sollten wir nichts überstürzen“, sagte Matt. „Es wäre dumm, ohne den Gegner genau zu kennen, einfach draufloszustürmen.“

„Vielleicht sollten wir …“, begann Joe leise.

Alle wandten sich zu ihm um und er schrumpfte ein wenig in sich zusammen, aber als ihm Tai eine aufmunternde Geste zukommen ließ, holte er Luft und sagte: „Vielleicht sollten wir der DigiAllianz unsere Hilfe anbieten. Ich meine, wenn T.K. sogar den Albtraumsoldaten hilft, dann sollten uns die Guten doch allemal akzeptieren, oder nicht?“

„Da bin ich mir nicht sicher“, sagte Matt. „Überleg mal, wenn sie erfahren, dass einer von uns die Seiten gewechselt hat, trauen die uns nie.“

„Wir müssen es einfach probieren“, sagte Tai entschlossen. „Wir überreden sie zu einem Angriff. Selbst die müssen mitbekommen haben, dass es kaum noch Karten gibt, die die Scherben finden müssen.“

Izzy nickte. „Das glaube ich auch. Und mit T.K. an ihrer Seite, glaube ich, sind die Scherben momentan sogar eine größere Bedrohung als die Dunklen.“

„Matt, du bist der Anführer. Was sagst du?“, fragte Tai.

Matt sah ihn fragend an, suchte in seinem Gesicht nach Spott oder Sarkasmus, aber Tais Augen waren ehrlich. Im Stillen dankte er dem ehemaligen Anführer. „Versuchen wir’s“, sagte er schließlich.
 

Ebene, DigiWelt

Samstag, 25. August 2007

16:35 Uhr
 

Das Allomon brüllte zornig auf, warf den Kopf nach vorn und tauchte Ken in eine Feuerwolke. Mit seinem linken Arm ausgestreckt, zerstob der Flammenwirbel direkt vor seinem Körper, nur die Hitze spürte er auf der Hand prickeln. Schon fühlte er, wie sein Arm oder besser gesagt seine Narbe die Attacke scannte und kopierte. Das Dinosaurierdigimon quittierte seine Unverwüstlichkeit mit einem Knurren und schlich wachsam näher, um ihn mit den Klauen zu attackieren. Ken holte mit dem linken Arm aus. „Donnerball!“ Ein bläulicher Blitz zuckte aus seiner Hand und traf das blauhäutige Digimon in die Brust. Wie ein getretener Hund jaulend machte Allomon einen Satz und nahm Reißaus, die kleinen Arme und der Schwanz unkontrolliert zuckend. Die Erde bebte, als es sich aus dem Staub machte.

Ken ließ den Arm sinken. Er konnte ihn immer besser kontrollieren. Den ganzen letzten Tag hatte er vorsichtig nach Digimon Ausschau gehalten, mit denen er sich messen und deren Attacken er kopieren konnte. So hatte er sich ein kleines Waffenarsenal zugelegt – und es trotzdem irgendwie geschafft, keines seiner Opfer zu töten. Um nichts in der Welt wollte er in seine eigenen Fußstapfen als DigimonKaiser treten. Ein Gotsumon, das er am Morgen gefunden hatte, hatte er außerdem zu den Vorgängen in der DigiWelt ausgequetscht, ehe er es hatte laufen lassen, und es hatte ihm einen Ort empfohlen, der ganz in der Nähe lag. Dort würde er vielleicht Antworten finden.

Ken atmete tief die vom Regen feuchte Luft ein. Die Zeit des rastlosen Wanderns war vorbei.
 

Ebene vor der Rauchenden Krone, DigiWelt

Samstag, 25. August 2007

17:29 Uhr
 

Ein Fledermauswirbel kündigte sein Kommen an.

Der wolkenverhangene Himmel nahm an Schwärze zu, als die kleinen Biester über die Ebene hereinbrachen. Angemon stand hoch aufgerichtet im Gras, T.K. hockte zu seinen Füßen. Die Fledermäuse setzten die dunkle Gestalt zehn Meter vor ihnen ab und zogen sich in die Tiefen des Vampirmantels zurück. Hier stand er also – und es war, als wäre T.K. an jenen unheilvollen Tag zurückversetzt: Blondes Haar, eine neue Myotismon-Maske, weiter Umhang, erwartungsvolles Grinsen. Aki, der Engelsmörder.

„Du hast meine Einladung also erhalten?“, begrüßte ihn T.K, stand auf und klopfte seinen eigenen grauen Flickenmantel ab.

„Nanu, euch kenn ich doch!“, rief Aki grinsend, ohne auf seine Worte einzugehen. „Hey, bist du nicht der Typ, dessen Kleine ich gekillt hab?“ T.K.s finsterer Blick war ihm Antwort genug. „Ich hab Ansatsu echt alt aussehen lassen“, plapperte er fröhlich weiter. „Obwohl das eigentlich nicht meine Art ist. Sie war ja kein Engel.“

„Für mich war sie das“, murmelte T.K.

„Und jetzt willst du also Rache? Du hast meine Spione bestochen, oder?“

T.K. zog Piedmons Schwert aus der Schlaufe an seinem Rücken. „Rache hilft Kari nichts“, sagte er grimmig. „Aber ich brauche dich für etwas anderes. Bevor wir kämpfen, lass mich dir sagen, dass MagnaAngemon dich mit einem Streich in eine andere Dimension verbannen könnte. Ich tue es nur deshalb nicht, weil du mir dort nichts nützt.“

Aki legte grinsend den Kopf schief, musterte das Schwert, dann Angemon. „Weißt du“, begann er gespielt nachdenklich, „es war eine ausgesprochen blöde Idee von dir, mich herauszufordern. Ich bin unter den Dunklen derjenige mit der meisten Power!“ Selbstgefällig breitete er die Arme aus. Das DigiVice an seinem Gürtel wurde sichtbar, als sein Mantel aufklaffte, und begann zu glühen. „Was wollt ihr schon gegen mich ausrichten? Gruselflügel!“ Eine schwarze Wolke aus Fledermäusen wallte kreischend und flatternd aus seinem Mantel heraus und hüllte T.K. und Angemon ein, zerrten an ihren Kleidern und versuchten mit ihren winzigen Zähnen an ihr Blut zu kommen.

„Das sollen Fledermäuse sein?“, schrie T.K. gegen das Flappen der Flügel an. „Ich zeige dir, was Fledermäuse sind! Vilemon!“

Über der Klippe am Ende der Ebene glühten Augen wie Kohlestücke auf und die metergroßen Vilemon stürzten auf das Grasfeld, fuhren wie ein Rammbock in die Fledermauswolke und schnappten sich ihre kleineren Artgenossen mit den Klauen oder verschlangen sie direkt im Flug mit ihren übergroßen Mäulern. Einige der Tierchen wurden von den Albtraumschocks der Vilemon regelrecht gegrillt. Aki sah mit steinerner Miene zu, wie seine Fledermäuse in Sekunden immer weniger wurden und letztlich nur der Vilemon-Schwarm übrigblieb, der sich wieder auf die Klippe zurückzog.

„Ich will einen Kampf zwischen dir, mir und Angemon“, erklärte T.K. „Keine Fledermäuse, und keine faulen Tricks.“

Aki biss die Zähne zusammen. „Du kleiner … Na warte!“ Er überkreuzte die Arme vor der Brust und in jeder seiner Hände begann eine tiefrote Flamme zu lodern. „Albtraumkralle!“ Er holte aus und schlug mit der ersten Albtraumkralle wie mit einer Peitsche von oben herab nach T.K, der zur Seite sprang. Das rote Energiebündel sprengte Erde und Steinbröckchen aus dem Boden. Aki schlug mit der zweiten Hand zu, diesmal führte er die Albtraumkralle waagrecht auf T.K.s rechte Seite zu.

T.K. riss das Schwert hoch und blockte den Schlag damit ab. Der rote Strahl zerbarst an der Schneide und löste sich in Luft auf. „Ist das alles, was du kannst?“, fragte T.K. unbeeindruckt.

Angemons Stab löste sich auf und ließ seine Faust leuchten. „Kraft des Lichtes!“ Ein reiner, blendender Strahl sauste auf Aki zu, der einen beeindruckenden Satz rückwärts machte und ihm um Haaresbreite entging. Sein Gesicht war wutverzerrt.

Diesen Moment nutzte T.K. und stürmte auf ihn zu, die Schwertspitze auf den Dunklen gerichtet. Aki ließ erneut sein DigiVice aufleuchten. Eine geschwungene Sense erschien in seinen Händen. Klirrend trafen die beiden Waffen aufeinander; Aki hatte den Schwerthieb waagrecht geblockt. T.K. versuchte ihn wegzudrücken, änderte dann die Strategie und schlug seitlich auf ihn ein. Aki drehte blitzschnell die Sense und fing den Hieb noch ab, ehe er ihn verletzen konnte. „Du hast zwar eine große Sense, aber wirklich kämpfen kannst du damit nicht“, spottete T.K.

Aki blies sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Unter seiner Maske glitzerte Schweiß. „Als ob ich sie bräuchte, um dich zu erledigen!“ Er löste die linke Hand von dem Sensengriff und sie glühte rot auf.

In dem Moment stieß Angemon wie ein Raubvogel hinter ihm herab, ließ seinen Stab neu erscheinen und stieß ihn Aki in den Rücken. Der Dunkle stöhnte auf und sackte zusammen, aber noch hielt er den Block aufrecht. Selbst ihm musste dämmern, dass er in der Falle saß. Er stützte sich mit der Linken am Boden ab und schoss eine Albtraumkralle aus seinen Fingern. Der Rückstoß riss ihn von den Füßen und einige Meter fort von Angemon und T.K, wo er sich wieder auf die Beine kämpfte.

„Du hättest vielleicht die eine oder andere Attacke der Engeldigimon scannen sollen, die du getötet hast“, bemerkte T.K. abfällig.

„Pah! Und auf den Anblick verzichten, wie ihre Daten glitzernd davonfliegen? Niemals!“ Aki holte weit mit der Sense aus. „Schattenschere!“ Das Blatt der Sense verwandelte sich in einen fliegenden Schemen, und eine schattenhafte halbmondförmige Klinge schoss auf daraus hervor. T.K. riss das Schwert hoch und parierte die Sichel im Flug. Die Wucht des Aufpralls hätte ihm fast die Klinge entrissen, doch die Sichel zersplitterte und die Enden rasten schadlos neben ihm in die Erde.

„Dieses verdammte Schwert!“, fluchte Aki. „Du hast es Taneo gestohlen! Es gehört uns, also rück es wieder raus!“

„Und du glaubst, du könntest hier Forderungen stellen?“, fragte T.K. „Bringen wir das Spiel auf das nächste Level, Angemon.“ In seiner Brust glühte das Zeichen der Hoffnung auf, das selbst durch seinen Mantel hindurch gut sichtbar war. Gleichzeitig begann sein DigiVice zu leuchten.

„Oh nein, das lasst ihr schön bleiben!“ Aki schleuderte zwei Albtraumkrallen gleichzeitig auf T.K. Dieser schaffte es, eine von ihnen mit dem Schwert zu zerteilen. Der zweiten entging er nur, weil er bei bei seinem Rückwärtsschritt auf den nassen Gras ausglitt und rücklings hinfiel. Die rote Kralle schoss so dicht über seine Nasenspitze hinweg, dass er die unheilvolle Energie knistern hörte. Die rote Farbe brannte sich in seine Netzhaut und übertönte kurz das Licht, das Angemon einhüllte. Dann trug sein Digimon die violette Rüstung von MagnaAngemon.

„Das Ende deines Frevels ist gekommen!“, verkündete das Digimon und fuhr sein violettes Schwert aus.

„Ich hab dich schon einmal besiegt, Engelchen!“, rief Aki, seine Stimme klang aber etwas schrill. MagnaAngemons Schwert stieß gegen die Phantomon-Sense. Der Dunkle peitschte mit einem roten Strahl nach dem Engeldigimon und streifte einen seiner Flügel. Das Gerangel nutzte T.K, um an ihm heranzukommen. Noch damit beschäftigt, MagnaAngemon abzuwehren, bemerkte Aki ihn erst, als er schon in Schlagweite war.

Akis Kopf ruckte herum, sein nackenlanges blondes Haar wehte hinterher. Sein Mund war leicht geöffnet. T.K. sah eine Schweißperle an seiner Nasenspitze hängen. So fest er konnte schlug er zu. Aki drehte auch den Oberkörper herum, in seiner linken Faust blitzte eine Albtraumkralle auf …

Das Schwert traf. Brüllend zuckte Aki zusammen, als der Schlag ihm die Hand abtrennte. Die Sense ließ er fallen und er umklammerte das linke Handgelenk mit der Rechten. T.K. ließ das Schwert in seiner Hand kreisen und stieß zu. Knirschend brachen die Kevlarplatten unter Akis Anzug, dann war der Widerstand fast weg. Der Dunkle brachte ein unterdrücktes Stöhnen zustande und starrte T.K. aus ungläubigen Augen an. T.K. unterdrückte den Impuls, das Schwert herumzudrehen, und riss es wieder aus seiner Brust. Fast wäre es ihm nicht gelungen. Aki brach in die Knie – und schlug fauchend wie eine Giftschlange mit einer Albtraumkralle nach ihm. Er hatte schlecht gezielt, T.K. konnte den roten Blitz mühelos abwehren, aber er musste etwas auf Distanz gehen. Aber das machte nichts. Aki war erledigt.

Aus dem Mundwinkel des Dunklen lief Blut. Seine Pupillen waren winzig klein. „Du … du elender Mistker“, brachte er gepresst mit brüchiger Stimme hervor. Sein Brustkorb hob und senkte sich unregelmäßig.

„Du bist zäher, als ich erwartet habe“, sagte T.K. „Aber es ist vorbei.“

Aki presste die heile Hand gegen seine Brust. Aus blutunterlaufenen Augen starrte er T.K. an. „Sei dir … da nicht … so sicher …“ Sein DigiVice glühte auf. T.K. wappnete sich für eine neuerliche Albtraumkralle, aber sie kam nicht. „Ich habe vielleicht … nicht … die Engel gescannt …“ Akis Armstumpf begann zu glühen. „Aber ich hab schon gegen so einige Scherben gekämpft!“, schrie er. „Geisterkralle!“ Eine blaue, dürre Hand wuchs aus seinem Handgelenk. Die schwache Blutung hörte auf, als sie mit seinem Körper verschmolz, als wäre er schon immer ein Mensch mit einer Dämonenklaue gewesen. Dann erst schoss aus seiner anderen Hand die erwartete Albtraumkralle – nur dass T.K. von der blauen Hand so gebannt war, dass er zu spät reagierte. Die rote Peitsche wickelte sich um sein Handgelenk und entriss ihm Piedmons Schwert. Die Klinge flog wild rotierend durch die Luft und landete irgendwo im hohen Gras.

„Glaub nicht … ich wäre schon … am Ende“, zischte Aki kurzatmig. Die Geisterhand schnellte vor, dehnte sich wie ein Gummiband und klaubte die Phantomon-Sense auf. Nunmehr wieder mit zwei Armen, mit denen er sie schwingen konnte, stürmte Aki auf T.K. zu. Dieser schnaubte ungläubig. Der Dunkle kam trotz seiner schrecklichen Verletzung erstaunlich schnell näher! Die Panzerweste hatte das Schwert davon abgehalten, ihn ganz zu durchbohren, aber dennoch war sie sicher lebensbedrohlich. Bei jedem Schritt quoll blutiger Schaum aus der kaum sichtbaren Wunde und Aki schnaufte wie eine Dampflok, den Mund zu einer blutigen Maske verzogen. T.K. fragte sich, ob er vielleicht auf Drogen war, die den Schmerz linderten – und mit einem Mal sah er sich diesem sensenschwingenden Dämon gegenüber, ohne Waffe in den Händen.

„T.K!“, rief MagnaAngemon und stürzte herbei, aber es würde zu spät kommen.

T.K. tat das einzige, was ihm auf die Schnelle einfiel. Er griff zu seinem Gürtel und schleuderte sein DigiVice dem Dunklen entgegen. Akis Augen verfolgten das kleine Gerät, als es an ihm vorbeiflog; ein wenig war er wohl doch vom Schmerz betäubt. Den Augenblick der Unaufmerksamkeit nutzte T.K. und rannte ihm entgegen, obwohl jeder Muskel in seinem Körper sich dagegen zu sträuben schien und seine Fluchtinstinkte ihn wie wahnsinnig anbrüllten. Seine Hände schlossen sich um Akis Handgelenke und hielten die Sense kurz über seinem Kopf an. T.K. keuchte auf, fing Akis Geschwindigkeit auf, rutschte im feuchten Gras ein Stück rückwärts und fand dann festen Stand.

Akis Gesicht war vor Wut und Schmerz verzerrt. „Du … Du … ich werde dich …“ Seine Worte verloren sich in einem Keuchen, als T.K. ihn zurückdrückte. Viel Kraft hatte der Dunkle nicht mehr, das war deutlich zu spüren.

„Du kannst mich … nicht töten …“, zischte Aki mit zusammengebissenen Zähnen. „Niemals … Nicht mich …“

T.K. schaffte es, die Sense mit einer Hand zu halten, und rammte ihm die Faust gegen die Brust. Aki hustete qualvoll auf. Blutspritzer trafen T.K.s Gesicht. Die Stimme des Dunklen wurde noch schwächer, kaum noch zu verstehen. „Du bist … grausam … Ich habe deiner Freundin einen … schnellen und … schmerzlosen Tod gewährt …“

„Grausam? Ich?“ T.K. drängte ihn weiter zurück, sodass Aki fast über seine eigenen Beine stolperte. „Ich habe schon gesagt, es geht nicht um sie“, sagte er leise. „Und du magst sie schmerzlos getötet haben, aber du hast ja keine Ahnung, welche Schmerzen du uns damit zugefügt hast.“

„Natürlich geht es um sie“, keuchte Aki und bemühte sich sichtlich, bei Bewusstsein zu bleiben. Dann machte er ein Geräusch, das sich wie ein ersticktes Lachen anhörte. „Ich weiß, wie du denkst. Wir sind uns gar nicht so unähnlich … wie du glaubst. Du wirst sehen … nach einer Weile … wirst du genau wie ich … genau wie ich …“

T.K. verstärkte den Druck auf die Wunde. Aki kippte stöhnend zur Seite, aber obwohl er fast die Augen geschlossen hatte, schaffte er es zu lächeln. „Glaub mir … Ich weiß, wie du dich fühlst … Du hast diejenige verloren, die du liebst und … und jetzt … fliehst du vor deiner Vergangenheit.“

Indem er ein wenig nachließ, ließ T.K. es zu, dass er wieder Atem schöpfte. Es war ein grässliches, gurgelndes Geräusch. „Ach wirklich?“, fragte er emotionslos.

Akis Blick verlor sich in der Ferne. „Sie war wundervoll. Und sie hat immer … an Engel geglaubt. Egal, was die Zukunft bringen mochte, sie war sich sicher, dass … die Engel auf sie aufpassen würden. Wir waren … zwei Jahre ein Paar … und es war perfekt. Dann wurde sie eines Tages … schwer krank. Ich besuchte sie jeden Tag im Krankenhaus … doch sie lächelte nur, und sagte, ich solle mir keine Sorgen machen. Die Engel würden auf sie aufpassen.“ Aki seufzte bitter. „Eines Tages ist sie eingeschlafen … und nicht wieder aufgewacht. Kein Engel hat sie beschützt, es war alles eine Lüge!“ Seine Stimme wurde wieder kräftiger und fast gelang es ihm, sich T.K.s Griff zu entwinden, sodass er die Sense wieder mit zwei Händen halten musste. In Akis Augen blitzte tauber Zorn auf. „Seitdem mache Jagd auf sie. Die Engel waren nutzlos … nur im Tod sehen sie wunderschön aus. So schön wie sie, als sie noch lebte …“ Er brach ab und versuchte nur noch, seine Lungen mit wenigstens ein bisschen Luft zu füllen.

„Ich verstehe“, murmelte T.K. „Darum tust du das also alles. Ja, ich kann dich verstehen.“

Akis Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. „Also verschonst du mich?“

T.K. machte einen Schritt vorwärts und brachte ihn damit zum Taumeln. „Kari war selbst ein Engel“, murmelte er. „Mein Engel. Sie war mein Licht, sie hat meine Welt erhellt. Ohne sie bin ich nur ein Schatten.“

„Ich habe eine … Idee, lass uns … zusammen eine vierte … Fraktion in diesem Krieg bilden und … alles vergessen, was war!“, keuchte Aki, aber T.K. versetzte ihm einen Stoß, der ihn endgültig zu Boden schickte. Die Sense fiel ins Gras.

„Ich habe nie gesagt, dass ich dich leben lasse.“

Aki riss die Augen auf und zischte etwas, dann tauchten aus seinem Gewand wieder Fledermäuse auf und trugen ihn wie ein starker Aufwind ein paar Schritte weit von T.K. fort.

Dieser schüttelte den Kopf. „Wir hatten eine Abmachung.“ Er hob die Hand und die Vilemon von den Felsklippen erhoben sich kreischend und stürzten sich auf ihre neu erschienene Beute. Ein paar von ihnen umkreisten Aki und deckten ihn mit violetten Lichtblitzen aus ihren Mäulern ein. Seine Schreie waren kaum zu hören. Als T.K. sie mit einer energischen Handbewegung wieder verscheuchte, lag der Dunkle stöhnend und mit rauchenden Kleidern am Boden, aber er war immer noch bei Bewusstsein. Sein DigiVice blinkte rot, seine Energie war verbraucht. Die Sense hatte sich in einen Datensturm aufgelöst, genau wie Akis Geisterhand.

„Ich bin beeindruckt“, sagte T.K. „Einen meiner alten Freunde hat ein einziger Albtraumschock ausgeknockt.“

„Du kannst mich töten …“ Akis Stimme war nur ein Seufzen, die Augen hatte er geschlossen. „Aber du wirst … eine neue Version von mir werden … früher oder später …“

T.K. kniff die Augen zusammen. „Wir sind uns nicht ähnlich. Wir waren uns nie ähnlich. Du hast mit blindem Zerstörungswahn auf dein Schicksal reagiert.“

„Und was … tust du anderes …?“

„Ich tue es, damit es weitergeht. Damit ich ein Triumvirator der Scherben werden kann.“

Aki lachte kraftlos. „Du bist … wahnsinnig …“

T.K. trat neben ihn und hob sein Schwert. „Ich bin vielleicht nur noch ein Schatten, aber bei klarem Verstand, im Gegensatz zu dir. Aber wenn ich auf dem Thron sitze, werde ich an dich und deine Freundin denken, das verspreche ich. Und wo immer du hingehst, du wirst an mich und Kari denken. Leb wohl, Aki, Engelsmörder.“

Piedmons Schwert beschrieb einen weiten Halbkreis, als es herabfuhr.

Pandora's Box

Staubgrube, DigiWelt

Samstag, 25. August 2007

21:35 Uhr
 

Die Nacht war hier an diesem Ort undurchdringlich, fiel Ken auf. Es war, als würde selbst der Himmel dieses Lager der Gesetzlosen in einem Schleier der Unkenntnis verhüllen wollen – dabei gingen hier, wie er gehört hatte, Dunkle und Scherben gleichermaßen ein und aus. Ken pochte an die Pforte. Er hatte sein ohnehin zerfetztes Wizardmonkostüm endgültig weggeworfen und stand nun in seinen normalen, kaum ansehnlicheren Klamotten vor dem Tor, und das Kokatorimon, das die kleine Holzklappe auf Augenhöhe öffnete, erkannte ihn sofort als Menschen. Wie er gehofft hatte, empfand es das nicht gleich als Grund zur Feindseligkeit.

„Der Zutritt zur Staubgrube kostet einen Tribut“, krächzte das Vogeldigimon und musterte ihn genau. „Taugenichtse können wir nicht gebrauchen.“

„Das macht nichts, ich will nur eine Auskunft“, erklärte Ken und bemühte sich um eine feste Stimme. Unbewusst kratzte er seinen linken Arm. „Ich habe gehört, es gibt ein Keramon hier, das so ziemlich über alles Bescheid weiß. Hol es mir doch bitte her, ich habe Fragen an es.“

Kokatorimon rührte sich natürlich nicht von der Stelle. Sein schmutziges Gefieder raschelte, als es die Brust aufplusterte. „Wenn du nicht einmal den Eintritt bezahlen kannst, wie willst du Keramon dann bezahlen?“

„Ich habe nicht vor, zu bezahlen.“

„Dann verschwinde. Gute Nacht.“ Das Kokatorimon wollte die Klappe schließen und Ken sah sich gezwungen, etwas zu tun, das er lieber vermieden hätte. Es erinnerte ihn zu sehr an sein altes Selbst.

„Bring Keramon her, und bring es dazu, mir zu antworten. Sonst werde ich die Staubgrube wirklich in Staub verwandeln.“ Ken bemühte sich um eine möglichst kalte Stimme, achtete aber darauf, dass er nicht zu sehr in sein DigimonKaiser-Ego abdriftete. Es ist nur gespielt, schärfte er sich ein. Ich würde es niemals wirklich tun.

Das Kokatorimon sah ihn schief an. „Wenn du Ärger suchst, wirst du ihn hier gerantiert finden“, drohte es. „Jetzt verzieh dich.“

Ken hob demonstrativ die Hand, konzentrierte die Daten des Allomons in seinem Arm. Seine Narbe begann zu schimmern und eine orangerote Flamme begann in seiner Handfläche zu lodern. „Ich bin eigentlich friedlich hier“, sagte er gedehnt. „Aber du kannst mich ruhig angreifen. Eine neue Attacke kann ich immer gebrauchen.“

Die Augen des Kokatorimons wurden groß und er meinte so etwas wie Respekt darin zu erkennen. „Ich verstehe“, murmelte es. „Du bist … der Pirat.“

„Pirat? So nennt man mich?“ Immerhin besser, als wenn sie eine Verbindung zu dem Jungen namens DigimonKaiser hergestellt hätten.

„Der Datenpirat. Die Staubgrube ist voll von Gerüchten über ihn. Man sagt, er sei ein Abtrünniger der Dunklen, weil er die Attacken von Digimon kopieren kann. Er wandert durch die DigiWelt und ist unverwundbar.“ Nun schwang sogar Ehrfurcht in Kokatorimons Stimme mit. Es scharrte nervös mit den Krallen

„Dann weißt du, dass mit mir nicht zu spaßen ist“, sagte Ken gewichtig. „Ich kann die Staubgrube im Nu in Flammen aufgehen lassen. Bring das Keramon dazu, mir zu antworten, und ich werde euch nie wieder belästigen.“

Kokatorimon sah unsicher hin und her. „Warte hier“, krächzte es dann und trampelte davon.

Ken musste lange warten, offenbar war Keramon widerspenstig. Schließlich kehrte das Vogeldigimon mit einer Art blauen Qualle und einigen Mushroomon und Ninjamon im Schlepptau zurück, die fast so wirkten, als wären sie dabei, um das Keramon anzuschieben, sollte es stehen bleiben. Das Tor wurde geöffnet und die kleine Truppe trat zu Ken hinaus.

„Was will der Pirat von Keramon?“, schnarrte es beleidigt. „Keramon hat nichts mit dem Piraten zu schaffen, schon gar nicht ohne Bezahlung.“

Ken hob den Arm und schoss einen hellblau glühenden Donnerball in den Boden vor Keramon, sodass es einen erschrockenen Satz machte. „Verstehen wir uns?“, fragte er scharf.

Keramon verzog den Mund zu einem Grinsen – wenn er es genau nahm, schien sein Mund standardmäßig ein Grinsen zu sein. „Keramon liegt nichts an der Staubgrube. Und Keramon kann schnell untertauchen.“ Es sah sich um. „Die anderen werden für die Fragen des Piraten aufkommen müssen, jaja.“

Die Digimon, die es umstellten, schnappten empört nach Luft, wagten aber keine Erwiderung, als Ken sagte: „Mir ist es egal, wer dich bezahlt. Ich will Antworten auf meine Fragen.“

Keramon rieb sich die Pranken. „Also schön, Keramon wird sich Mühe geben.“

Und so fragte Ken das Digimon über alles aus, was in der DigiWelt vorging und woran er bisher blind vorbeigestolpert war. Er erfuhr, dass einer der neuen DigiRitter die anderen getötet und die Dunklen gegründet hatte, dass dieser Junge namens Taneo die Scherben befreit hatte und dass nun beide nach einer Möglichkeit suchten, Piedmon, den vierten Meister der Dunkelheit, aus seiner Verbannung zu befreien. Er erfuhr, dass Taneo einen der Triumviratoren der Scherben getötet hatte, LadyDevimon, und dass es laut den jüngsten Gerüchten bereits einen potenziellen Nachfolger gab, der allerdings ein Mensch war. Außerdem erfuhr er, dass die alten DigiRitter wieder in der DigiWelt waren, eine Nachricht, die er erfreut aufnahm. Er war lang genug ziel- und kopflos in der DigiWelt herumgeirrt, in Sorgen, Ängsten und einem Nebel aus unvollständigen Erinnerungen versunken. Es war Zeit, wieder nach vorne zu schauen und etwas zu tun. Seine Trauer konnte warten, die Zukunft konnte es nicht. Er musste sich seinen alten Freunden wieder anschließen, obwohl er sich ihnen mittlerweile so fremd fühlte. Aber noch nicht jetzt. Zuerst wollte er ein letztes Rätsel klären, das sich ihm in seinem Traum gestellt hatte.

„Was weißt du von einer alten Stufenpyramide, die hoch im Norden in einem verschneiten Gebiet steht?“

Keramon blinzelte und wackelte mit den Gliedern, als hätte es keine Knochen darin, sondern Pudding. „Die Pyramide gibt es nicht mehr“, sagte es. „Sie ist vor etwa einem Monat zerstört worden, weil es dort eine Explosion gab. Man weiß nicht, wer dahintersteckt, aber vermutlich die Scherben, weil eine ihrer Armeen zu der Zeit in der Nähe war. Die Pyramide war in Wirklichkeit eine Fabrik der Dunklen, jaja. Taneo hat dort für seine Menschlinge DigiVices entwickelt, mit denen sie die Daten der Digimon, die sie töten, scannen und ihre Attacken kopieren können.“ Keramon sah Ken plötzlich auf eine merkwürdig forschende Art und Weise an, als erwartete es, dass er auch so ein DigiVice besaß. Und es machte ja sogar Sinn. Ein dumpfes Traumbild blitzte in seinem Kopf auf, in dem er vor einer Maschine mit fremdartigen DigiVices darin stand … Und da war dieser fremde DigiRitter gewesen, und Stingmon, und danach war er selbst in einer Schneehöhle aufgewacht.

„Dann habe ich noch eine letzte Frage. Hast du schon einmal von einem Seil gehört, das in den Himmel wächst?“

Keramon sah sich um und grinste. „Oh, das wird teuer für Freunde, sehr teuer. Der Pirat muss wissen, das ist ein sehr altes, geheimnisumwobenes Artefakt. Vor acht Jahren oder so, kurz bevor die DigiWelt erneuert wurde, war es im Besitz der Meister der Dunkelheit. Man erzählt sich, dass erst mit seiner Hilfe das Übel, das damals die DigiWelt bedroht hat, es geschafft hat, die Feuerwand zu überwinden, aber das muss nicht stimmen. Nachdem das Hauptquartier der Meister der Dunkelheit auf dem Spiralberg zerstört wurde, ist das Seil verschwunden, jaja. Es ist aber wieder aufgetaucht, nachdem die letzten DigiRitter die finsteren Asuras besiegt hatten. Seitdem wird es in Santa Caria aufbewahrt.“

„Santa Caria …“, wiederholte Ken nachdenklich.

„Jetzt ist es aber genug“, ertönte da eine schleimige Stimme. Ken hob den Kopf und sah ein hochgewachsenes Blossomon aus der Staubgrube gleiten. Das Digimon, das nur aus Blumen und armdicken Ranken bestand, musterte ihn mit einem fiesen Gesichtsausdruck. „Der Wicht soll der Datenpirat sein? Und von dem lasst ihr euch einschüchtern?“

Die Digimon der Staubgrube schwiegen betreten.

„Macht Platz, ich zeige ihm, wie wir hier mit Störenfrieden umgehen“, blaffte Blossomon.

„Tu das nicht“, murmelte Ken.

„Ach, halt die Klappe, Mensch. Spiralblume!“ Ohne sich zu vergewissern, dass die anderen Digimon sich in Sicherheit brachten, begann Blossomon eine seiner Blumen, die auf langen Rankenaufsätzen thronten, zu rotieren und stieß damit auf Ken ein. Dieser hob nur die linke Hand und wie schon so oft bewahrte ihn die mystische Kraft in seinem Arm vor Schaden. Die rotierende Blume traf auf einen unsichtbaren Widerstand, und blaue bis rosafarbene Lichtblitze zuckte um Kens Arm herum, auf dem die Narbe silbrig aufglühte. Blossomon ächzte, gab aber nicht nach, selbst dann nicht, als sich die Spiralblume bereits aufzulösen begann.

Kens Haar flatterte in dem Datenwirbel vor seinem Gesicht herum, als er sich um einen möglichst gleichgültigen Blick bemühte, mit dem er das Digimon maß. „Wenn ihr euch heraushaltet, werde ich euch nicht bestrafen“, sagte er zu den anderen, die respektvoll zurückwichen und wahrscheinlich so oder so auf den Ausgang des Duells gewartet hätten.

Er hatte sich, seit er diese Narbe hatte und um ihr Geheimnis wusste, darum bemüht, seine Feinde nicht zu töten. Nur bei einem Devidramon, das ein Späher der Scherben gewesen war, war es ihm nicht gelungen. Aber er machte sich auch nichts vor. Ohne Opfer konnte er nicht siegen, schon gar nicht, wenn das Opfer bedeutete, die zu töten, die ihn töten wollten. Und das Blossomon hatte genau das vor, soviel konnte er in seinen Augen sehen – und in seiner Beharrlichkeit. Ken ließ eine eindrucksvolle Flamme in seiner Hand auflodern, die die Dunkelheit der Nacht zurücktrieb. „Dinoknall!“ Eine Stichflamme traf das Blossomon unterhalb der Kopfblüte und ließ es zurücktaumeln. Anstatt jedoch vor dem Feuer zurückzuweichen, warf es sich förmlich auf Ken, ließ aus jeder Richtung seine Ranken züngeln und versuchte ihn einzuwickeln. Ken wich nicht aus. Er ließ es zu, dass das Pflanzendigimon ihn gänzlich umschlang.

Die Digimon der Staubgrube beobachteten das Spektakel mit angehaltenem Atem. Am meisten zappelte Keramon hin und her, das wohl vor allem fürchtete, jetzt doch keine Bezahlung zu erhalten. Das Blumengesicht des Blossomons verzog sich zu einem triumphierenden Grinsen, als der Datenpirat völlig unter seinen dichten Urwaldranken verschwand. Dann änderte sich plötzlich sein Gesichtsausdruck, wurde überrascht. Ein rotes Licht flammte in der Pflanzenwand auf und plötzlich wurden die Ranken von innen heraus zerfetzt. Wie tausende zuckende Tentakeln stoben die anderen auseinander, als Ken aus der Umklammerung stürmte, die linke Hand rot glühend, die Fingernägel in lange, glänzende Krallen verwandelt, die rote Lichtschweife hinter sich herzogen.

Blossomon heulte auf und schoss eine weitere Spiralblume auf ihn ab. Diesmal saugte Ken die Attacke nicht, sondern holte nur mit seiner Klaue aus. „Rote Kralle!“ Zielgenau zerriss er die Blume, sprang auf eine der Ranken, die Blossomon als Beine dienten, und rannte das Digimon empor. Als es versuchte, ihn abzuschütteln, sprang er und streckte den Arm aus. „Spiralblume!“

„Was?“, kreischte das Blossomon, als aus seiner Hand eine lange Ranke mit sich rotierender Blumenspitze schoss. Ken wickelte die Spiralblume um die Blütenblätter über Blossomons Kopf und zog sich daran hoch, indem er die Ranke wieder kürzer werden ließ. Wie mit einem Hakenwerfer gelange er so direkt vor Blossomons Gesicht.

„Das Spiel ist aus“, rief er. „Rote Kralle!“ Wie Tarzan schwang er sich an seiner Liane direkt in Blossomons Blütengesicht und stieß seine rot glühenden Krallen hinein. Die zarten Blätter und Plfanzenhäute zerrissen wie Papier unter seinen Fingern und grüner Saft spritzte ihm entgegen, als er sich seinen Weg durch Blossomons Kopf bohrte. Völlig in zähflüssiges Sekret getaucht durchbrach er die Rückseite des Digimon, überschlug sich in der Luft und landete hart am Boden. Das glitschige Zeug ließ ihn noch ein Stück weiterrutschen, eher er wieder auf die Füße kam und gerade noch sah, wie Blossomon leblos hintenüberkippte und direkt auf ihn zu fallen drohte. Gerade, als er dachte, es würde ihn jetzt endgültig zerquetschen, löste es sich in Luft auf und bestäubte ihn mit funklenden Datenfragmenten. Ken atmete tief durch.

Jetzt war es wichtig, ein gutes Auftreten hinzulegen, damit die anderen nicht auf dumme Gedanken kamen, auch wenn seine Klamotten noch so besudelt waren. Er drehte sich zu Keramon und den anderen Digimon um und erkannte, dass er einen furchteinflößenden Eindruck machen musste, das länger gewordene Haar schweißnass im Gesicht klebend, sodass man seine Augen kaum sehen konnte, die Narbe an seinem linken Arm bläulich glühend, die Krallen an seiner Hand, die wie Rubine mit darin eingeschlossenem Feuer wirkten, und über und über in das grüne Blut des Blossomons getaucht. „Danke für deine Auskunft“, sagte er ruhig. „Ich halte mein Versprechen.“

Damit drehte er sich um und ging. Im Inneren wusste er, dass er hier und heute eine neue Legende geschrieben hatte; etwas, von dem wohl selbst Keramon gratis erzählen würde.
 

Finsterzitadelle, DigiWelt

Samstag, 25. August 2007

23:25 Uhr
 

„Du bist ja schon wieder hier“, schnauzte ihn SkullSatamon an, als er den Thronsaal betrat.

„Die Wachen haben mich nicht aufgehalten“, erklärte T.K. „Als ich ihnen das hier gezeigt habe, hatten sie es sogar eilig, mich zu euch zu lassen.“ Er holte aus und warf seinen geöffneten Rucksack den Triumviratoren entgegen. Als er auf dem Boden landete, kullerte Akis Kopf vor SkullSatamons Füße.

„Verstehe“, schnarrte das Skelettdigimon. „Du hast es wörtlich genommen.“

„War es denn nicht wörtlich gemeint?“

„Natürlich war es das“, kicherte SkullSatamon. „Aber ich hatte gehofft, dich wieder wegschicken zu können.“

„Nun, ich bin hier.“ Es hatte T.K. erstaunlich viel Überwindung gekostet, diese zweifelhafte Trophäe in dem Rucksack mitzunehmen, den er in der Finsterzitadelle unter einem Haufen von Überbleibseln der Dunklen gefunden hatte. Er ekelte sich vor sich selbst, so sehr sogar, dass ihm gleich zu Beginn schlecht geworden war, aber er hatte sich entschieden, diesen Weg zu gehen. „Wir hatten eine Abmachung.“

„Wir haben nur abgemacht, dass wir darüber nachdenken“, versetzte SkullSatamon.

T.K. seufzte. „Seht euch an: Ihr braucht einen Dritten, sonst seid ihr kein Triumvirat. Geht das nicht in eure knöchernen Schädel? Und ich habe an einem Tag das geschafft, woran ihr seit Monaten scheitert.“

„Er hat nicht unrecht, SkullSatamon“, warf Phantomon ruhig ein. Das Skelett funkelte es wütend an.

„Ich wusste, du hast mehr Verstand, Phantomon. Wenn euch meine Ideen nicht gefallen, könnt ihr mich immer noch überstimmen. Wo ist das Problem?“

Das Geistdigimon rasselte mit der Kette. „Also gut. Wir werden dich in das Triumvirat der Scherben aufnehmen. Du darfst auf dem mittleren Thron sitzen.“

T.K. verbeugte sich förmlich, rührte sich aber nicht von der Stelle.

„Nun, Mensch, was gedenkst du nun zu tun, sozusagen als erste Amtshandlung?“, fragte SkullSatamon lauernd und ließ sich auf seinem eigenen Thron, dem ganz rechts, nieder. Ohne Zweifel hoffte es darauf, dass er bei ebenjener Amtshandlung schlussendlich ums Leben kam.

T.K. lächelte. „Ich werde mich selbst zum Marschall der Albtraumsoldaten machen und einen Feldzug führen.“

SkullSatamons Totenkopf spiegelte eigentlich kaum Gefühle wider, aber in diesem Moment wirkte es eindeutig verblüfft, fast entsetzt. „Du willst was? Was erdreistest du dich?“

T.K. ging nun doch zu seinem Thron, setzte sich darauf, faltete die Hände und überschlug die Beine, ehe er gemächlich antwortete. „Ich brauche die Generäle für einen Schlag gegen die Dunklen. Sie sollen sich so schnell wie möglich bei mir melden. Ich werden den Angriff anführen, und wir werden sowohl ihre Festung zerstören als auch alle, die sich noch darin befinden.“

SkullSatamons Mund klappte auf und es sah hilflos zu Phantomon. Das Geistdigimon kicherte in seine Kapuze hinein. „Ich glaube, wir haben mit ihm eine gute Wahl getroffen.“
 

Santa Caria, DigiWelt

Sonntag, 26. August 2007

16:38 Uhr
 

Ken merkte, dass ihn seine Erinnerung getäuscht hatte, denn Santa Caria sah ein bisschen anders aus, als er gedacht hatte. Dennoch erkannte er die Stadt wieder, die sich über den Berghang zog wie Schimmel, die Häuser schmutzig braun und quaderförmig, die Straßen staubig und trocken. Sein Blick glitt auf die Bergspitze, dorthin, wo er einst einen seiner Schwarzen Türme errichtet hatte. Es war eine Ironie, dass er nun wieder hier war. Und er fühlte sich immer noch schuldig. Seine Reue wurde auch nicht gerade dadurch gemindert, dass Santa Caria immer noch von Gazimon bewohnt wurde. Die hundeähnlichen Digimon sahen ihn zunächst als Feind an, auch wenn er sicher war, dass sie ihn nicht als DigimonKaiser wiedererkannten. Nachdem er die Betäubungsblitze zweier Gazimon gescannt und kopiert hatte, indem er sie mit seinem linken Arm abgewehrt hatte, schaffte er es sie davon zu überzeugen, dass er nicht feindlich gesinnt war. Fortan begegneten sie ihm sogar mit so etwas wie misstrauischem Respekt und erklärten sich bereit, ihn zu dem Himmelsseil, wie sie es nannten, zu bringen.

Ein ziemlich kleines, vorwitziges Gazimon mit hoher Stimme wuselte neben ihm her und schien einen regelrechen Narren an ihm gefressen zu haben. „Bist du wirklich der Datenpirat?“, fragte es mit leuchtenden Augen.

Ken nickte.

„Weißt du, wo das Seil hinführt?“

„Das versuche ich herauszufinden“, erklärte er. „Habt ihr nie versucht, hinaufzuklettern?“

Gazimon schüttelte den Kopf. „Es heißt, nur der Auserwählte darf es versuchen. Es ist immerhin ein magisches Seil. Der Bürgermeister hat uns verboten, es auch nur zu berühren.“ Es strahlte über das ganze Gesicht, zumindest soweit Ken das erkennen konnte. „Aber es gibt eine Prophezeiung, dass einmal jemand kommen wird, der das Geheimnis lüftet. Das bist sicher du!“

Ken war ein wenig amüsiert, wie so ein Seil, an dem entweder ein großes Geheimnis oder auch einfach gar nichts hing, so viel Aufregung schaffen konnte, dass sich sogar Prophezeiungen darüber entwickelt hatten. Als er nichts sagte, fuhr das vorlaute Digimon fort: „Und derjenige, der die Prophezeiung erfüllt, wird auch der sein, der die Dunklen in die Schranken weist. Dass du auch ein Mensch bist, kann kein Zufall sein!“

Um der Ironie die Krone aufzusetzen, führten ihn die Gazimon direkt dorthin, wo einst unter seiner Regentschaft das Gefängnis gewesen war. Die Gitter waren fort und die Wände verziert, aber es war immer noch ein klobiger, schmutziger Bau, selbst für die Verhältnisse von Santa Caria. Dort stand, in einer ehemaligen Zelle und bewacht von zwei gewissenhaft dreinblickenden Gazimon, ein geflochtener Korb.

„Der Datenpirat ist gekommen, um die Prophezeiung zu erfüllen“, sagte das Gazimon wichtigtuerisch. Die Wächter sahen sich kurz an und gaben den Weg frei. Als Ken sich nach dem Korb bücken wollte, um ihn zu öffnen, schnappte ihn sich sein Begleiter und lud ihn auf seinen fellbedeckten Rücken. „Nicht hier, komm, wir gehen auf die Spitze des Berges, dann musst du nicht so weit klettern.“

Und so kam es, dass auch der Ort, wo der Schwarze Turm, Kens persönliches Verbrechen an der DigiWelt, gestanden war, Besuch von ihm bekam. Das Gazimon stellte den Korb ab und öffnete ihn feierlich. Mittlerweile hatte sich eine beachtliche Ansammlung auf der Felsebene gebildet; die halbe Stadt schien gekommen zu sein. Ken sah mit großen Augen mitan, wie das Seil sich einer betörten Schlange gleich aus dem Korb wand und sich in einem steilen Winkel in den Himmel schlängelte, wo es in den Wolken verschwand. Das kleine Gazimon machte eine auffordernde Geste in seine Richtung. Ken atmete tief durch und begann den Aufstieg.

Während er kletterte, fragte er sich, wie es kam, dass der Ort, an den das Seil führte, zufällig genau über der Stadt lag, wo er doch eigentlich auch auf der anderen Seite der DigiWelt sein konnte. Im gleichen Moment schalt er sich einen Idioten. Das hier war schließlich die DigiWelt. Wahrscheinlich stellte das Seil eine Verbindung zu diesem Ort her, wie ein Datentunnel. So konnte man ihn von überall aus erreichen – allerdings nur mit dem Seil.

Als die Gazimon unter ihm so klein waren wie Ameisen, verbot sich Ken, weiterhin nach unten zu sehen. Der Weg war noch so weit, die Wolken noch ewig entfernt – und wer wusste schon, wie lange es dahinter noch weitergehen würde. Ken legte eine Pause ein, während derer er sich mit seinen neu gewonnen Blossomon-Ranken um das Seil wickelte, um seine Musken ausruhen zu können. Dann kletterte er weiter.

Die Wolken schienen vor ihm zurückzuweichen, wurden von der scheinbaren Fläche zu einzelnen, kaum mehr erkennbaren Stellen, an denen die Luft etwas feuchter war. Ken kletterte immer noch weiter. Mittlerweile war es dunkel geworden. Zwar hatte Ken erwartet, dass die Luft allmählich dünner werden müsste, doch dem war nicht so. Über zehn Mal musste er noch eine Pause einlegen – viel Ausdauer hatte er sich in den letzten Tagen nicht aneignen können –, dann traf er auf eine besonders dichte, graue Wolkenschicht, und als er sie passiert hatte, sah er, dass seine Theorie mit dem Datentunnel wohl gar nicht so weit hergeholt war.

Seine Umgebung hatte sich verändert. Er kletterte in fast völliger Dunkelheit weiter. Blaue, dichte Schäfchenwolken wanderten an ihm vorbei und ein nicht vorhandener Wind blies ihm etwas, das wie purpurner Sternenstaub aussah, um die Ohren. Alles sah seltsam zweidimensional aus und das Seil weiter vorne schien sich zu verbiegen, nur um wieder gerade zu werden, sobald er weiterkletterte. Seine menschliche Sicht war nicht gemacht für diesen Ort. Und immer höher und höher zog er sich, durch den finsteren, leeren Raum, und seine zahllosen Pausen wurden immer länger. Seine Zeit als Spitzensportler war längst vorbei, und seine Krankheit hatte ihre Spuren hinterlassen. Er überlegte sogar, ob er sich nicht einfach mit den Ranken an das Seil ketten und die Nacht über schlafen sollte – er war wirklich nicht erpicht darauf, schon weil er nicht wusste, ob ihn die Spiralblumen-Ranken auch im Schlaf halten würden, aber ihm blieb vielleicht keine Wahl. Gleichzeitig hoffte er, dass die Gazimon das Seil am Erdboden beschützten – und dass sie ihn nicht vielleicht aufs Kreuz gelegt hatten und ihm gar nicht so freundschaftlich gesinnt waren, wie sie taten. Der Gedanke, plötzlich abstürzen zu müssen, ließ ihn schaudern.

Gerade, als er darüber nachdachte, erreichte er eine neuerliche Wolkenwand, die urplötzlich aus der Dunkelheit auftauchte, und war wieder an einem anderen Ort.

Zunächst wollte ihm der Anblick die Augen ausschlagen. Dabei war es gar nichts Besonderes: Nur weiter, leerer Himmel, aber von einem so tiefen, künstlichen Blau, dass er sich ganz unwohl fühlte. Über ihm verschwand das Seil in der Unterseite eines riesigen, unförmigen, schwebenden Felsens. Ken blinzelte. Dieser Ort hier war seltsam. Er fühlte sich wie in ein altes Computerspiel versetzt. Alles war zu scharfkantig, um echt zu wirken, der Himmel bestand aus unzähligen Polygonen, die so aneinandergestückelt waren, dass sie annähernd wie eine Kuppel wirkten, aber eben doch nur annähernd. Der Felsen war so hart und fest, wie Felsen eben war, aber auch er sah nicht echt aus; glatte Oberflächen und Kanten wechselten sich ab, und die einzigen Details waren Risse im Gestein, die aber wie aufgemalt wirkten und mit den Fingern nicht zu ertasten waren. Das Seil zog sich durch das Herz des Felsbrockens und endete schließlich, als es durch ein Loch die Oberseite der schwebenden Insel erreichte. Ken war nicht einmal überrascht, als er sah, dass er anscheinend aus einem Brunnen gestiegen war. Er sprang auf den Brunnenrand hinüber und befestigte das Seil daran mit den Ranken – was mehr schlecht als recht ging, da sich selbst das ausgefranste Ende so gut wie gar nicht bewegen ließ, so als wäre es in der Luft festgefroren. Wahrscheinlich musste er sich keine Sorgen machen, aber der Gedanke, nicht wieder hier fortzukönnen, war beklemmend.

Ken sah sich auf der Oberseite der schwebenden Insel um, die etwa einen Hektar groß war. Mehr und mehr fühlte er sich wie eine Figur in einem nur unzureichend modellierten Spiel. Das Gras war saftig grün, aber es war nur eine grüne Fläche, die zwar weich war und raschelte, aber aus der kein Grashalm hervorragte. Die Felsen, die sich alle auffallend ähnlich sahen und auffallend regelmäßig am Boden lagen, waren ebenso texturarm. Am meisten störte Ken jedoch das Fehlen der Sonne. Der unnatürlich blaue Himmel spannte sich soweit das Auge reichte, doch es war keine Sonne in Sicht. Trotzdem herrschte überall ausreichend ambientes Licht.

Schließlich entdeckte er etwas im Gras, ein paar Dutzend Schritte von ihm entfernt. Es sah aus wie eine Mikrowelle, von der jemand den Oberteil abgeschraubt hatte; eine Metallplatte drehte sich langsam darin, selbst ohne ersichtliche Stromquelle. Ken trat näher und spürte eine freudige Erregung. So musste sich ein Spieler eines Online-Rollenspiels fühlen, der als erster im ganzen Spiel einen geheimen Ort erkundete und im Begriff war, das Geheimnis desselben zu lüften.

Ken suchte nach etwas wie einem Schalter und fand einen Knopf auf der Rückseite des Gerätes. Die Metallplatte begann schneller zu rotieren, sprühte plötzlich Funken und dann ragte mit einem Mal ein dreidimensionales Hologramm vor Ken auf, das einen Mann zeigte, den er kannte.

„Wer auch immer ihr seid“, begann Gennai, „lasst mich euch etwas sagen, bevor ihr anfangt, Fragen zu stellen. Das hier ist nur eine Aufzeichnung, also werde ich sie euch nicht beantworten. Hört daher gut zu: Ich habe mich hierher zurückgezogen, doch selbst dieser Ort war nicht sicher genug. Allerdings ist hier etwas versteckt, das in den richtigen Händen nützlich sein wird, in die falschen allerdings gar nicht erst gelangen darf. Vier Schritte hinter mir findet ihr ein Kästchen begraben, in dem sich etwas befindet, das für die Zukunft der DigiWelt von entscheidener Bedeutung ist. Ich hoffe, dass ihr es seid, die es finden. Ihr werdet es mit euren DigiVices aufschließen können. Das Kästchen ist mit einer protektiven digitalen Signatur ausgestattet, die zu der eurer DigiVices passt; auf andere Weise ist es nicht zu öffnen und auch nicht zu zerstören. Außerdem rate ich davon ab, es mit in die reale Welt zu nehmen, da ich nicht sagen kann, was dort mit ihm passiert. Es tut mir leid, dass ich euch nicht mehr helfen kann. Aber mehr habe ich in der kurzen Zeit nicht finden können.“

Gennais Abbild verblasste und ließ Ken allein zurück. Seine Gedanken rasten. Er stürzte zu der angegebenen Stelle und tauchte die Finger in das Gras, das zwischen ihnen zerbröckelte. Er musste nicht lange graben, bis er ein verziertes Kästchen zutage gefördert hatte. Statt eines Schlosses hatte es so etwas wie einen Supermarkt-Barcode, nur dass die Farben invertiert waren; der Hintergrund war schwarz und die Striche weiß. Unschlüssig drehte Ken die Büchse in den Händen. Gennai hatte sicherlich nicht gewollt, dass Taneo das Kästchen in die Finger bekam. Wahrscheinlich brauchte man ein älteres DigiVice, um es zu öffnen. Und hier stand er vor einem Problem: Sein eigenes DigiVice war verschwunden. Er hatte es die ganze Zeit über nicht bei sich gehabt, und er glaubte sogar zu wissen, warum. In seiner Traumerinnerung hatte er sich in der Stufenpyramide stehen gesehen, in diesem Labor mit den ungewöhnlichen DigiVices, die den Dunklen hätten gehören sollen. Er hatte sein schwarzes D3-DigiVice auf den Apparat gerichtet und ihn irgendwie damit zerstört. Dabei waren wohl die Fähigkeiten der fremden DigiVices, Digimonattacken zu scannen, mit seinem eigenen DigiVice und seinem Arm verschmolzen und hatten sich als gläserne Narbe in sein Fleisch gebrannt. Einer Eingebung folgend hielt er seine linke Hand vor das Kästchen, aber nichts geschah. Er seufzte. Es half nichts. Er musste sich mit den anderen treffen.

Langsam, fast andächtig, stand er auf und ging zu dem Seil zurück. Die Vorfreude war wieder da. Er hatte etwas gefunden, an einem Ort, wo vor ihm noch kein Mensch oder Digimon war.

Er musste nur noch herausfinden, was es war.

Longing for Solace

Locomotown, DigiWelt

Montag, 27. August 2007

18:07 Uhr
 

Die DigiAllianz hatte ihr Feldlager in den Wäldern abgebrochen, aber es war unübersehbar gewesen, wohin sie gezogen war. Matt und die anderen fanden innerhalb eines Tages ihre neue Stellung: Die Stadt Locomotown. Zwischen den dutzenden unbefahrenen Bahngleisen hatte die Digimonsoldaten iher Zelte aufgeschlagen und die vorhandenen Häuser besetzt. Es war nicht zu sagen, ob sie die Bewohner vertrieben hatten; vielleicht hatten die Wirren des Krieges die Digimon auch von hier fliehen lassen. Die umliegenden Felder waren zur Hälfte brutal abgeernted worden, um Nahrung für das riesige Heer bereitzustellen.

Matt und Tai hatten zunächst große Sorgen gehabt, sich erneut in die Mitte dieser Armee zu wagen. Auf den ersten Blick konnten sie zwar kein Digimon ausmachen, das höher war als auf dem Ultra-Level, aber das konnte nur zu wahrscheinlich ein Trugschluss sein. Und die DigiRitter standen wohl immer noch nicht weiter oben auf der Sympathieliste der freien Digimon – schon gar nicht, wo sich langsam herumerzählte, dass sich ein Mensch den Scherben angeschlossen hatte. Zum Zweck einer schnellen Flucht waren Agumon und Gabumon auf das Mega-Level digitiert, und die anderen Digimon hatten jeweils die Form gewählt, die am schnellsten laufen oder fliegen konnte. Wachsam waren sie an den Rand des Lagers getreten und hatten Einlass verlangt; die DigiAllianz hatte auch hier einen Palisadenwall errichtet. Ein recht kompetentes Triceramon – das vor allem durch seine nüchterne Aufnahme ihres Begehrens glänzte – ließ sie kurz warten und dann, nach Absprache mit seinem General, eintreten. Und genannter General erwartete sie sogar direkt hinter dem Tor.

Es handelte sich um niemand anderen als ihren alten Freund Leomon. Bis vor kurzem hatte ein LordMagnaAngemon die Führung über die DigiAllianz gehabt, doch das Engeldigimon auf dem Ultra-Level wurde auf einem Streifzug von dem Engelsmörder der Dunklen getötet, und nach langem Machtgeplänkel innerhalb der Armee war es Leomon gelungen, zum obersten General aufzusteigen. Es sorgte für einen herzlichen Empfang, und besonders Tai war froh, den alten Kameraden wiederzusehen.

Dann entstand ein kleiner Streit zwischen Leomon und seinen Untergebenen, die nicht damit einverstanden waren, Menschen in ihr Lager zu lassen, doch das Löwendigimon wies sie in ihre Schranken und gewährte den DigiRittern sogar Quartiere in einem Haus direkt neben seinem, wo sie jeder ein eigenes Zimmer bekamen. Der Unmut der Digimon stieg zwar, aber Leomon versprach, sich um dieses Problem zu kümmern.
 

Matt seufzte auf, als Sora seine verspannten Nackenmuskeln massierte, doch das Seufzen war eher trauriger Natur. Die Sonne war schon am Versinken und sie saßen in Matts Zimmer, das ziemlich einfach und dunkel gehalten war. Die löchrigen Vorhänge waren zugezogen und ließen kaum Licht herein. Die weichen Couchstühle waren zweidimensionale Schatten wie Scherenschnitte. Sie standen um ein kleines Tischchen herum, genau wie das bleiche Sofa, auf dem Matt saß. Das Zimmer sah recht menschlich eingerichtet aus, sogar einen Fernseher gab es – den allerdings ein sternförmiges Loch im Bildschirm zierte.

„Ist es gut so? Oder weiter unten?“, fragte Sora, um die Stille zu durchbrechen.

Matt schien ihrer Massage gar keine Aufmerksamkeit zu schenken. „Es hätte alles anders sein müssen“, murmelte er, so leise, dass Sora ihn kaum verstand.

Sie seufzte, ließ von seinem Rücken ab, warf sein Hemd, das zusammengeknüllt auf dem Sofa lag, über eine Sessellehne, setzte sich neben ihm und legte ihm die Hand auf den Oberschenkel. „Matt …“, sagte sie mitfühlend.

„Wir sind jetzt zwar endlich auch bei der DigiAllianz, nur …“ Er seufzte abermals und schüttelte den Kopf. „Ich habe auf der ganzen Linie versagt. Wir hätten nie auch nur herkommen sollen.“

„Das war nicht deine Schuld“, erinnerte sie ihn mit sanfter Stimme. „Du hattest gar keine Chance, irgendetwas zu ändern. Wir waren in Spanien, als sie in die DigiWelt vorgegangen sind.“

Matt vergrub das Gesicht in den Händen. Es tat Sora unbeschreiblich weh, ihn so zu sehen. Sie fühlte deutlich seinen Seelenschmerz. „Ich dachte, ich könnte uns besser anführen als Tai. Aber ich habe mich in ihm getäuscht. Er hat sein Urteilsvermögen gar nicht verloren.“

„Oder aber er hat es wiedergefunden“, erwiderte Sora. „Denk nicht über Tai nach, bitte. Du hast getan, was du konntest, und niemand hätte es zu der Zeit besser gekonnt.“

Matt schien ihr immer noch nicht zuzuhören. Er sah starr in die dunkelste Ecke des Raumes. „Kari ist tot“, murmelte er tonlos. „T.K. hat sich den Scherben angeschlossen – ausgerechnet T.K! Cody wäre fast von einem Devidramon getötet worden und jetzt ist auch noch Davis verschwunden. Unsere Gruppe fällt auseinander, Sora.“ Er schnaubte humorlos. „Und bei unserem Glück wird sich Davis noch den Dunklen anschließen, das würde doch passen.“

„Red nicht so ein dummes Zeug. Du weißt, dass er das nie tun würde.“ Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter, fühlte sich plötzlich so müde, so unbeschreiblich müde … Doch er brauchte sie jetzt. Seine Nerven mochten schon lange blank liegen, aber abstumpfen würden sie nicht.

„Weiß ich das wirklich? Was ist mit T.K? Mein eigener Bruder hat uns verraten!“ Er stand mit einem Ruck auf, der Sora zurückzucken ließ, und ballte die Fäuste. „Er kämpft auf der Seite der bösen Digimon! Mir ist klar, dass er völlig durcheinander ist, aber das … das passt einfach nicht zu ihm.“ Sora schwieg und wartete, bis Matt sich wieder auf das Sofa warf. Er schien plötzlich all seine Kraft verloren zu haben. „Vor einem Monat war noch alles in schönster Ordnung. Ich habe mir alle so anders vorgestellt …“ Er ballte wieder die Fäuste, die zitterten. Mit Augen, die feucht in der Dunkelheit schimmerten, sah er Sora an und flüsterte: „Du warst in Frankreich, und ich in Spanien. Wir wussten, dass wir voneinander getrennt sind, bis meine Tournee zuende ist. Ich hab es mir so oft ausgemalt, wie wir uns wiedersehen … In Tokio, am Flughafen. Jede Nacht, nach jedem Konzert, habe ich mir vorgestellt, wie wir uns in die Arme fallen. Halt das meinetwegen für kitschig.“

„Da tue ich nicht. Mir ist es ähnlich gegangen.“

„Und dann kommen plötzlich diese … Dann wird alles anders. Wir werden in diesen Krieg hineingezogen, ohne dass wir es wollen.“

„Matt“, sagte sie sanft und drückte seine Hand. Sie war kalt in ihrer. Erneut lehnte sie sich gegen ihn. „Wir wurden doch auch früher nie gefragt.“

Eine Weile saßen sie nur da, in der Dunkelheit des Zimmers, während das Licht, das durch die zerfressenen Vorhänge fiel, noch schwächer wurde.

„Ich will, dass es aufhört“, murmelte Matt grimmig. „Egal, was noch alles passiert, es soll einfach vorbei sein.“ Sora wusste, wovon er sprach. Seit sie hier waren, hatte er nicht ein Mal entspannen können. Und nun lag Karis Tod und T.K.s Verrat auf allem, was sie sagten oder taten. Es war wie ein Schatten, der nie wieder weichen würde. „Vielleicht tut T.K. ja sogar das Richtige“, sagte Matt plötzlich.

Sora fuhr hoch. „Das … das meinst du nicht ernst!“, japste sie.

„Er kämpft ohne Rücksicht auf Verluste“, sagte er und seine Augen nahmen einen seltsam verklärten Ausdruck an, der Sora Angst machte. „Er hat Tai angegriffen und ohne zu zögern Palmon niedergestochen. Ich kann ihm nicht begegnen – ich wäre ihm auf jeden Fall unterlegen.“

„Hör auf! Er würde nie seinem eigenen Bruder etwas zuleide tun!“, rief Sora mit Inbrunst.

Matt ging nicht auf ihren Einwurf ein. „Ich kann so nicht weitermachen … Ich habe uns zwar zur DigiAllianz gebracht, aber was nützt das? Wenn wir kämpfen, müssen wir gegen T.K. kämpfen. Und ihr alle geratet dann wieder in Gefahr – auch du, Sora.“ Er sah sie an und diesmal wirkte er so traurig und verzweifelt, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. „Wir waren lange leichtsinnig. All unsere Siege haben uns weisgemacht, dass wir nicht verlieren können. Aber das ist Irrsinn. Wir sind sterblich, und du hast gesehen, wie schnell so etwas geht.“ Er atmete schwer, als schnüre ihm das alles die Luft ab. „Wenn ich allein wäre, könnte ich vielleicht auch ohne zu zögern kämpfen. Aber wenn ich daran denke, dass du in Gefahr gerätst …“ Plötzlich horchte er auf, als wäre ihm etwas eingefallen, und seine Lippen schwenkten in ein trauriges Lächeln um. „Ich müsste meine Gefühle abtöten“, sagte er. „In einem Krieg sind Gefühle fehl am Platz. Wenn ich keine Trauer kennen würde, könnte ich weiterkämpfen. Gefühle binden einen Menschen, zwingen ihm Regeln auf. Ohne das alles … könnte ich mehr erreichen.“

Sora konnte nicht glauben, was sie da hörte. „Du … Du willst deine Gefühle abtöten?“, fragte sie und Tränen stiegen plötzlich in ihre Augen. „Soll das heißen … du willst, dass alles zwischen uns … einfach aufhört? Ist es das, was du sagen willst? Damit du dich nicht um mich sorgen musst?“

Er sah sie gequält an. „Du bist das beste, was mir je passiert ist, Sora“, sagte er unendlich traurig. „Aber wenn jemand das Band zwischen uns zerreißt, wird mich das zerstören, auf jeden Fall. Jemanden zu lieben kann eben auch bedeuten, sich von ihm entfernen zu müssen.“

Sora hielt die Tränen nicht mehr zurück. Sie kullerten ihr über die Wangen und glitzerten schwach im verbleibenden Licht. „Sag mir, dass du das nicht ernst meinst …“, flüsterte sie. „Bitte, Matt …“

Er hörte sie offenbar gar nicht. „T.K. und Davis leiden beide so sehr unter Karis Tod, dass sie uns verlassen haben. Den Dunklen sind andere Menschen und Digimon egal, nur deswegen konnten sie so viel erreichen. Nur, wenn mich auch nichts mehr zurückhält, kann ich für die DigiWelt von Nutzen sein.“

„Jetzt vergiss doch für einen Moment die DigiWelt!“ Soras Trauer schlug in Zorn um und sie packte ihn hart an den Schultern. Ihre Fingernägel bohrten sich zitternd in seine nackte Haut. „Was ist mit mir? Glaubst du nicht, dass ich lieber sterben würde, als dich zu verlieren?“

„Aber das ist doch genau das, was ich sagen will …“, erwiderte Matt schwach, aber sie unterbrach ihn.

„Was würde es für einen Unterschied machen, ob du tot bist oder ob nur deine Gefühle tot sind? Ich wäre unglücklich, so oder so! Wenn dieser Krieg vorbei ist und die DigiAllianz gewinnt, was soll dann sein, wenn du keine Gefühle mehr hast? Wie kannst du … Wie kannst du einfach unsere Liebe verleugnen?“ Ihre letzten Worte verloren sich in einem Schluchzer. Sie hielt die Hand an ihr Herz. „Es zerreißt mich, dich so leiden zu sehen, aber lieber soll es mich zerreißen, als dass ich zulasse, dass wir beide uns voneinander entfernen! Es ist ein Schmerz, den ich gern in Kauf nehme, und außerdem werde ich dir helfen, wo immer ich kann! Also hör jetzt endlich auf, solche Dinge zu sagen!“

Matt sah sie mit leichter Verwunderung an. Dann lächelte er traurig und seine Augen schimmerten ebenfalls. Seufzend schloss er sie in die Arme. „Du hast recht“, flüsterte er in ihr Ohr. „Es tut mir leid, dass ich über so einen Schwachsinn überhaupt nachdenke. Als ob ich je meine Gefühle für dich abstellen könnte.“ Seine Umarmung wurde verkrampfter und seine Stimme härter, als er sagte: „Aber es wird nie wieder so werden, wie es war, auch zwischen uns nicht.“

„Das muss es gar nicht.“ Sie löste sich von ihm und strich ihm über die Wange. „Auch wenn es anders wird, können wir es trotzdem genießen. Vergiss für einen Moment die DigiWelt. Du hast dir viel zu lange viel zu viele Gedanken gemacht. Die letzten Wochen waren auch für mich hart, aber du darfst dich auch nicht ständig darauf fixieren.“ Einen Moment schwieg sie, dann legte sie den Kopf an seine Brust und schloss die Augen. „Es ist schade, dass du deine Gitarre nicht dabei hast.“

Er strich ihr sanft durch das Haar, als er antwortete. „Denkst du denn, ich könnte in so einer Situation spielen?“

„Warum nicht? Tut es dir nicht leid, dass wir überhaupt keine Zeit füreinander hatten, seit wir in der DigiWelt sind? Es wäre schön, wenn du mir etwas vorspielen könntest.“

„Da sind … zuviele andere Dinge, um die wir uns kümmern müssen. Ist es da nicht klar, dass wir zurückstecken müssen?“

„Ach Matt“, seufzte Sora. „Das ist genau, was ich meine. Wir müssen unser Bestes geben, aber ohne Pausen geht das nicht. Und so wie jetzt gibt es immer wieder Momente, in denen man nichts tun kann, und da sollte man sich erholen und sich nicht von Sorgen quälen lassen, die man ohnehin noch nicht bekämpfen kann. Also vergiss wenigstens für einen Augenblick Kari und T.K. und die anderen.“

„Und wie soll ich mich erholen?“, brummte Matt. „Schlafen? Essen? Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Abschalten“, sagte Sora. „Konzentriere dich nur auf dein Innerstes. Schließ die Augen, ich zeig’s dir.“ Sie spürte, wie er mit den Schultern zuckte, und wusste, dass er die Augen zumachte. „Ich habe mir das oft vorgestellt, als ich in Paris war. Wir beide sitzen bei mir zuhause, auf dem Sofa, so wie jetzt gerade, ich lehne mich an dich. Du spielst auf deiner Gitarre ein Lied der Teenage Wolves und singst dazu. Es ist Herbst, vor uns prasselt ein Feuer im Kamin, und es ist angenehm warm. Aus der Küche kommt der Duft von Essen, aber wir sind satt, weil wir uns was von einem Fastfood-Restaurant geholt haben. Ich bewege die Zehen im Takt. Wir haben beide die Augen geschlossen, aber ich weiß, dass es Abend wird und goldene Sonnenstrahlen durch das Fenster auf uns fallen. Alles ist still, wir hören nur deine Gitarre und deine Stimme. Es ist so beruhigend, dass ich ein wenig vor mich hindöse. Ein frischer Luftzug kommt durch das Fenster, weil es gekippt ist, und dann hörst du auf mit dem Spielen, und die Vögel draußen beginnen zu zwitschern, als hätten sie es nicht gewagt, dich zu stören. Und ich sehe dich an, und du lächelst, und ich lächle zurück.“

Während sie erzählte, schloss er seine Arme um sie und sie spürte, wie seine Anspannung sich lockerte. Sie sah ihm in die Augen und merkte, dass er tatsächlich die Lippen zu einem Lächeln verzogen hatte. Als er das merkte, schlich sich eine kaum merkliche Röte auf sein Gesicht, als wäre ihm die Vorstellung mit einem Mal peinlich. „Ach … das … das ist doch Tagträumerei“, stotterte er verlegen.

Sora kicherte. „Ach, Matt. Ich werde schon dafür sorgen, dass du auch wieder träumen kannst.“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Lippen.
 

Finsterzitadelle, DigiWelt

Unbekannte Zeit
 

Völlige Schwärze umgab ihn, als er aufwachte. Das erste, was T.K. bemerkte, war, dass seine Wangen feucht waren. Er tastete mit den Fingern über sein Gesicht und seufzte. Wann würde er aufhören können, im Schlaf zu weinen? Er konnte sich nicht an seinen Traum erinnern, aber er wusste, wovon – oder eher, vom wem – er gehandelt hatte. Seufzend setzte er sich auf, lehnte den Kopf und den nackten Oberkörper gegen die blanke Steinwand. Die eisige Kälte tat gut. Seine Stirnwunde zog schmerzlich; sie war noch nicht ganz vernarbt.

Seine Schlafkammer war irgendwo in den Winkeln der Finsterzitadelle verborgen, dieser Burg aus kaltem, finsteren Stein, in der sogar die Fackeln ein wenig düsterer brannten, als er es gewohnt war. Die Kammer war winzig; nur ein Bett und ein niedriger Tisch ohne Stühle. Wenigstens gab es eine Matratze auf dem Bett. Die anderen Triumviratoren schliefen entweder gar nicht – in Phantomons Fall – oder begnügten sich mit einer stillen Ecke – was SkullSatamon anging. Das Bett war nicht für Digimon gedacht; es stammte wohl noch aus der Zeit, in der Taneo und die Dunklen die Finsterzitadelle bewohnt hatten.

T.K. seufzte erneut. In der vollkommenen Dunkelheit über ihm tauchte ihr Gesicht auf. Weder lächelte es, noch war es traurig. Es war einfach nur ihr Gesicht, alles, wonach er sich hätte sehnen können. „Kari …“, flüsterte er leise ihren Namen. Er brauchte sie so dringend. Er wollte sie reden hören, lachen hören, ihr liebliches, unschuldiges Lachen. Er wollte sie in die Arme schließen, ihre Lippen schmecken, ihren zarten, warmen, weichen Körper spüren, hier in der kalten Finsternis mehr denn je. Er wollte mit ihr gemeinsam lachen, weinen, tanzen, Frohsinn und Schmerz teilen, so wie früher. Doch ihr Licht war erloschen.

T.K. stieß die Luft aus. „Ich schaffe es nicht“, flüsterte er und spürte erneut seine Augen brennen. „Ohne dich kann ich es nicht schaffen …“ Doch wäre sie bei ihm, würde er das hier überhaupt tun? Er schüttelte den Kopf. „Ich muss“, redete er sich ein. „Ich muss es schaffen.“ Nichts zählte mehr ohne sie. Dennoch war er entschlossen.

Er schwang die Beine aus dem Bett, weil er nicht mehr schlafen wollte. Er würde ohnehin nur von ihr träumen, und so süß der Traum sein mochte, so leer und traurig war stets das Erwachen. T.K. zog sich seinen zerfledderten Mantel über, dann schnallte er sich sein Schwert und den nachtschwarzen Kapuzenumhang um, den er von den anderen Triumviratoren zu seiner feierlichen Ernennung letzten Nachmittag erhalten hatte. Die ganze Besatzung der Zitadelle war in der Torhalle zusammengekommen, ein gewaltiges Aufgebot an Digimon, eines finsterer und hässlicher als das andere, und da waren sogar einige gewesen, die er noch nie gesehen hatte. Phantomon und SkullSatamon hatten ihn als einen der ihren willkommen geheißen und ihm den Umhang überreicht. Er war pechschwarz und unten wild ausgefranst; die Fransen und der Rand der Kapuze waren blassrot wie die Morgendämmerung. T.K. hatte nicht gefragt, wo sie ihn herhatten, aber dieses Geschenk sollte wohl dem Zweck dienen, dass ihn die anderen Digimon anerkannten. Er hatte schnell gemerkt, dass dem trotzdem nicht so war. Alles in den Scherben sträubte sich, einem Menschen zu gehorchen. Einzig das Vilemon-Battailon hatte so hohle Schädel, dass es ihm bedingungslos folgte, mit allen anderen war es schwierig. Vielleicht ließen sich die Generäle deswegen so lange Zeit, um auf seinen Aufruf zum Feldzug zu antworten. Diese Idioten würden noch alles gefährden.

T.K. fand den Ausgang seiner Kammer blind und ging mit raschen Schritten und wehemdem Mantel den Gang entlang Richtung Thronsaal; die Kapuze zog er sich weit ins Gesicht.

„Wie spät ist es?“, herrschte er das Ogremon an, das vor den eisernen Torflügeln Wache hielt. Die Wachleute in der Zitadelle brauchten harsche Worte, das hatte er begriffen. Freundlichkeit wurde nicht geschätzt.

„Kurz nach Mitternacht“, gab das grünhäutige Digimon zurück.

T.K. blieb vor ihm stehen und starrte es unter dem Kapuzenrand finster an. Das Ogremon sah ihm trotzig entgegen. „Wie war das?“, fragte er drohend leise.

„Kurz nach Mitternacht.“ Das Ogremon blieb trotzig.

T.K. formte seine Hand zu einer Klaue. Er hatte mittlerweile herausgefunden, wie man die DigiVices der Dunklen benutzte. Wenn man sie nahe genug am Körper trug, konnte man die Energie fühlen, die schwach von ihnen ausging. Es genügte, wenn er sich auf einen Teil dieser Strahlung konzentrierte und die Daten, aus denen sie bestand, entsprechend umformte. Ohne dass er etwas sagen musste, spürte er, wie die Energie sich in seiner Hand verdichtete, bis ein rotes Glühen seine Finger in eine zuckende Albtraumkralle verwandelte. Das Ogremon warf einen nervösen Blick darauf. T.K. zog demonstrativ eine Augenbraue hoch, und das Digimon senkte schließlich den Blick. „Es ist kurz nach Mitternacht, erhabener Meister.“

T.K. ließ das Licht erlöschen und ging mit einem Nicken weiter in den Thronsaal. Hinter sich hörte er das Ogremon erleichtert aufatmen. Er hoffte, dass es seine Lektion gelernt hatte. Direkt nach seiner Ernennung hatte er ein halbes Dutzend Digimon umbringen müssen, die sich geweigerten hatten, ihm Respekt zu zollen. Akis DigiVice, das er neben seinem eigenen an seinem Gürtel befestigt hatte, hatte ihm dabei gute Dienste geleistet. Angemon war für ihn sogar noch weiter gegangen; seine heilige Macht hatte etwa zwanzig halsstarrige Scherben ausgelöscht, die noch vor der Ernennung auf ihn hatten losgehen wollen.

Der Thronsaal war noch finsterer als am Tag; selbst die schmalen, mehrere Meter tiefen Fensterschlitze in der geschwungenen Decke ließen nun kaum Licht in den Raum. Ein einzelner Mondstrahl beleuchtete den mittleren Thron – seinen Thron seit einem halben Tag. Sonst war niemand hier, zumindest auf den ersten Blick.

T.K. ließ sich auf den kalten Steinstuhl fallen und sah demonstrativ nach links und rechts. Dann überschlug er lässig die Beine und sagte leise: „Versteckt Ihr Euch etwa vor mir? Das ist nicht notwendig.“

Ein Kichern ertönte und rechts von ihm, über dem ersten Thron, tauchte schwebend Phantomon auf. „Ihr seid scharfsinnig, Takeru.“ Die Triumviratoren sprachen sich gegenseitig so höflich an, wie es auch die Meister der Dunkelheit untereinander getan hatten. Einzig SkullSatamon redete ihn noch wie einen gewöhnlichen Untergebenen an, doch entweder konnte er das dem Skelettdigimon austreiben, oder eben nicht. Es bedeutete ihm nicht viel.

„Selbstverständlich. Ich habe gegen Gegner gekämpft, von denen Ihr nichts ahnt, Phantomon. Da lernt man sich eine gewisse Wachsamkeit an.“ In Wirklichkeit hatte er die Worte einfach so gesagt. Wenn niemand hier gewesen wäre, hätte sie auch niemand gehört – aber auf diese Idee kam Phantomon wohl gar nicht.

„Ihr Menschen schlaft in der Nacht, habe ich geglaubt?“

„Wenn wir müde sind. Aber ich werde wohl ein Nachtmensch.“

„Nachtmensch? Bedeutet dieser Ausdruck, dass ihr euch der Macht der Dunkelheit hingebt?“

T.K. schmunzelte amüsiert. Phantomon war scharfsinnig und schlau, aber es gab Dinge, die es nicht wusste, aber zu interpretieren versuchte – vor allem, was Menschen anbelangte, denn ganz offensichtlich wollte es von T.K. alles Wissenswerte über selbige erfahren, wenn auch eindeutig mit dem Hintergedanken, den Dunklen und DigiRittern eher gewachsen zu sein. „Nein. Es bedeutet lediglich, dass man in der Nacht wacher ist als am Tag.“

Phantomon fauchte, aber das war sein Äquivalent zu einem nachdenklichen Hm, wie T.K. mitbekommen hatte. „Ich habe gehört, Ihr habt noch eine andere Kriegsbeute außer dem Kopf des Menschen mitgebracht?“

„Sein DigiVice. Was ein DigiVice ist, wisst Ihr?“

„Selbstverständlich.“ Phantomon schwieg kurz. T.K. zog sich seine Kapuze tiefer und bemühte sich, dass sein Gesicht im Schatten des Mondlichts lag. Da das Gesicht des Digimons ebenfalls verhüllt war, wollte er nicht im Nachteil sein, wenn es darum ging, die Gedanken des anderen zu lesen. „Es ist in der Hinsicht gut, dass wir jemanden haben, der damit umgehen kann. Digimon, die DigiVices benutzen können, gibt es noch nicht.“

T.K. nickte. Wenigstens Phantomon war zufrieden mit seinem neuen Mitglied. „Habt Ihr getan, worum ich Euch gebeten habe?“ Er hatte Phantomon diese spezielle Angelegenheit erläutert und es für sich gewonnen. Dann hätte es den Befehl weitergeben sollen, weil er befürchtete, die Digimon dort würden ihn nicht oder nur halbherzig ausführen, und das würde wiederum einen Teil seiner Pläne zunichte machen. Auch wenn der Plan spontan bei seiner Begegnung mit seinen ehemaligen Freunden entstanden war, wollte er ihn doch durchziehen.

„Ja. Ich habe einen Boten zur Stadt des Ewigen Anfangs geschickt.“

„Ich danke Euch.“

Eine Weile saßen – beziehungweise schwebten – sie in der Stille da, bis Phantomon kicherte. „Ihr seid seltsam, Takeru. Meine Präsenz habt Ihr gespürt, aber die eines Bakemon nicht?“, fragte es lauernd und kicherte, ein klares Zeichen, dass es keine Antwort wollte, sondern ihn bereits durchschaut hatte.

T.K. musste sich beherrschen, sich nicht auf die Unterlippe zu beißen. „Ich muss eine ganze Armee beeindrucken“, sagte er, darum bemüht, seinen Frust nicht offen zu zeigen. „Da kann es nicht schaden, wenn ich bei Euch anfange.“

Phantomon kicherte weiter. „Du kannst dich zeigen“, sagte es in die Dunkelheit. Als in dem sternförmigen Mosaik am Boden, das den Platz anzeigte, an dem Besucher die Audienzen bei den Herren der Zitadelle abhalten durften, ein Bakemon erschien, sagte Phantomon: „Aber grämt Euch nicht, es ist eben erst gekommen.“

„Ich bringe Nachricht von den Generälen. Zwei Boten sind vor ein paar Minuten vor den Toren der Zitadelle eingetroffen“, sagte es mit einer hohlen, nuschelnden Stimme, die es dümmlich wirken ließ. T.K. wartete nur darauf, dass ihm Sabber aus dem beinahe rechteckigen, zahngesäumten Mund lief. Das Bakemon wandte sich direkt an ihn. „Ehrhabener Meister Takeru, General Musyamon lässt Euch ausrichten, dass es nur einen kleinen Trupp seiner Armee entbehren kann, denn es befindet sich weit im Territorium der DigiAllianz.“

„Was? Was bildet es sich ein?“ T.K. sprang wütend auf. Ein kleiner Trupp … das bedeutete im schlimmsten Fall zwei, drei Rookie-Digimon. Er wandte sich an Phantomon. „Da ich noch neu im Geschäft bin – ist es bei Euch üblich, die Überbringer schlechter Nachrichten zu töten?“

Das Bakemon schwebte ruckartig ein paar Meter rückwärts und bekam es sichtlich mit der Angst zu tun. Phantomon, das sofort erkannte, dass er die Frage nur pro forma gestellt hatte, kicherte vor sich hin.

„A-aber unsere Marine steht Euch natürlich voll und ganz zur Verfügung, erhabener Meister“, beeilte sich das Bakemon zu versichern. „Sie wird schon bei Tagesanbruch in Position sein. Der Trupp von General Musyamon wird am frühen Vormittag eintreffen, wurde mir gesagt.“

„Na gut“, sagte T.K. und setzte sich. Das Bakemon atmete auf. Irgendwie empfand T.K. eine abstruse Freude daran, bösartige Digimon zu verängstigen. So etwas war nicht möglich gewesen, als er noch ihr Feind war. In Gedanken überschlug er die Zeit, die er brauchte, um mit den Vilemon zu der Stelle im Meer zu gelangen, wo die Mobile Festung abgestürzt war. Wenn die Fledermausdigimon mit Pegasusmon mithielten, war es in wenigen Stunden zu schaffen. „Du kannst gehen. Und zwar nicht nur verschwinden, ich will sehen, dass du zum Tor hinausfliegst.“

„Wie Ihr wünscht“, murmelte Bakemon ergeben und zog sich zurück – rückwärst fliegend.

„Wenn Ihr vielleicht auf den Gedanken kommt, mich von unsichtbaren Geistern beschatten zu lassen, könnt Ihr das gerne tun“, sagte T.K. zu Phantomon. „Ich habe nichts zu verbergen. Wenn ich jemanden in meiner Kammer erwische, muss Euch aber klar sein, dass ich dieses Digimon töten lasse.“

Phantomon kicherte erneut. „Ich hatte nichts dergleichen vor.“

T.K. beschloss, nicht weiter nachzuhaken. Es brachte nichts, zu überlegen, ob Phantomon log oder nicht. Er stand auf und ging in seine Kammer zurück, um sich noch ein paar Stunden Schlaf zu holen. Bei Tagesanbruch wollte er schließlich kämpfen.
 

Locomotown, DigiWelt

Dienstag, 28. August 2007

1:56 Uhr
 

Obwohl es schon auf zwei Uhr nachts zuging, konnte Tai nicht schlafen. Sein Zimmer, das im obersten Stock des Hauses lag, war früher mal so etwas wie eine Gerümpelkammer gewesen; es gab allerhand staubige Möbel, die meisten davon mit Planen abgedeckt, und zum Schlafen hatte er nur eine Pritsche, deren Stroh durch das schmutzige Leintuch hindurch stach. Agumon hatte sich auf einem zugedeckten Schaukelstuhl ausgestreckt, dessen Sitzfläche gerade groß genug war, damit es nicht herunterfiel, und schnarchte leise.

Ein zaghaftes Klopfen riss Tai aus seinen Gedanken. Er ging zur Tür und war erstaunt, als Mimi ihren Lockenkopf zögerlich in sein Zimmer streckte. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen. „Ich … Störe ich?“, fragte sie.

„Kein bisschen.“ Er öffnete die Tür weiter und ließ sie eintreten. „Es ist kein Königreich, aber … Egal. Was gibt es?“

Mimi stand mitten im Zimmer und sah dabei verloren aus. „Ich … wenn ich ungelegen komme, tut es mir leid, nur … Ich fühle mich so allein in meinem Zimmer. Ich wohne gleich nebenan, und da dachte ich, naja, ich schau mal bei dir vorbei … Tut mir leid, wenn ich dich geweckt hab!“, sagte sie eilig.

„Ich war wach.“ Tai zog eine Augenbraue hoch. Er war sich ziemlich sicher, dass Mimis Zimmer im Erdgeschoss lag, aber er sagte nichts, sondern deutete nur auf seine Pritsche. „Ähm, setz dich doch. Leider ist es nicht wirklich gemütlich.“

„Das macht nichts.“ Mimi nahm auf der Pritsche Platz, Tai auf einer Holzkiste gegenüber. Eine Weile schwiegen sie. Dann seufzte Mimi. „Hast du … naja … ich meine …“

„Du bist traurig wegen Palmon, oder?“, fragte er geradeheraus.

Mimi biss sich auf ihre Unterlippe. Sie nahm das Kissen von der Pritsche und drückt es an sich. „Ja“, flüsterte sie erstickt. Tränen schimmerten in ihren Augen, wie so oft seit diesem Vorfall.

Er setzte sich nun doch zu ihr und wollte sie beruhigend berühren, ihr irgendwie Linderung verschaffen, sie irgendwie trösten, irgendwie … doch er wagte es nicht. Sie kam ihm so fragil vor, dass er sie vielleicht verletzte. „Das … das wird schon wieder. Irgendwann. Palmon kommt zurück. Du weißt, wie es auf der FileInsel mit Angemon war.“

„Und wenn nicht? Die Stadt des Ewigen Anfangs ist ja besetzt“, murmelte sie. „Ich habe gehört … sie bringen alle Digimon um, die keine Albtraumsoldaten werden können … Ich konnte mich nicht einmal von Palmon verabschieden, es ging alles so schnell …“ Sie schluchzte auf und warf sich Tai an die Brust, weinte hemmungslos. Er wollte die Arme um sie legen, aber etwas hielt ihn davon ab. Dabei hätte er im Moment nichts lieber getan, als sie zu trösten. „Ich bin ja so egoistisch“, stieß sie unter Tränen hervor. „Du hast … du hast deine Schwester verloren, und ich weine mich hier bei dir aus wegen Palmon, das wiedergeboren wird … Ich bin das Letzte …“ Tai spürte, wie ihre Tränen sein Hemd tränken. Ihm begannen selbst die Augen zu brennen. „Bitte … hasse mich nicht“, flüsterte Mimi. „Aber es … es tut so weh … Dabei weiß ich gar nicht, wie du dich fühlst …“

„Mimi, ganz ruhig“, flüsterte er. Ihm liefen jetzt selbst Tränen über die Wangen. „Sag einfach nichts mehr.“

Mimis schmale Schultern beben, als er sie nun doch mit den Armen umschloss. Eine Weile saßen sie einfach nebeneinander da, stützten sich gegenseitig in ihrer Trauer. „Wie … wie fühlst du dich?“, fragte Mimi, als sie sich etwas beruhig hatte. Sie löste sich von seiner Brust und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die feucht von ihren Tränen war.

Er wich ihrem Blick aus, sah zu dem schlafenden Agumon. „Es ist wie eine Wunde … Sie vernarbt langsam, das weiß ich. Aber ich fühle mich, als wäre da etwas in mir zerbrochen.“

„Es tut mir so leid“, sagte Mimi. „Du willst sicher nicht daran erinnert werden, und ich bin so … so …“

„Bitte, Mimi“, flüsterte er.

Sie legte ihre Hände auf seine Schultern, krallte ihre schlanken Finger in seine Haut. Mit geschlossenen Augen presste sie sich an ihn. „Es … es tut mir leid … Ich weiß nicht, was mit mir los war, aber … Als ich dich so auf dem Boden liegen gesehen habe, da dachte ich … da dachte ich, dass du auch … Und da dachte ich, ich müsste sterben. Mir war nie klar, dass du … Also …“ Sie schluckte, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Ich meine … ich wollte nur, dass du es weißt, weil … Es kommt mir vor, als ob alles, was wir tun und sagen, keine Rolle mehr spielt … Da dachte ich, ich kann es dir auch ebenso gut sagen … Ich sollte es sogar …“

Tai strich beruhigend durch ihr Haar. Sie war so anders, dachte er. Nicht mehr ein eitles Prinzesschen, mit dem nur schwer auszukommen war. Er merkte, dass er die alte Mimi zurück wollte.

„Ich …“ Sie holte tief Luft und stieß sie dann wieder aus. „Ich kann nicht.“ Tränen füllten erneut ihre Augen. „Selbst jetzt kann ich es nicht sagen. Vielleicht bin ich einfach benebelt.“

„Vielleicht“, sagte er.

Mimi zog lautstark ihre Nase hoch. „Ich glaube, ich … Ich sollte jetzt gehen.“ Sie wollte aufstehen, aber er hielt ihre Hände fest. Sie sah ihn überrascht an, aber auch mit einem Ausdruck wilder Hoffnung in den Augen. Hoffnung darauf, dass er ihr seinerseits irgendeine Bestätigung gab, irgendetwas, um ihre Gefühle zu ordnen … Eine Hoffnung, dass sie einander nicht fremd waren, die geschlagene Mimi und der zerbrochene Tai …

„Mimi, wenn du jemanden … zum Reden brauchst … oder so …“ Plötzlich fühlte er selbst, wie ein Kloß im Hals ihn am Reden hindere. „Ich bin für dich da, wenn du auch für mich da bist. Nein, ich meine, ich würde mich freuen, wenn du mir wieder mal Gesellschaft leistest, solange wir hier sind.“

„Stört es dich auch nicht?“, fragte sie zögerlich.

„Im Gegenteil!“

Sie lächelte erlöst ob seiner impulsiven Antwort. „Gut, dann … Vielleicht kann ich jetzt besser schlafen. Danke, Tai.“

Die Art, wie sie seinen Namen sagte, brachte etwas in ihm zum Klingen, eine Art von Resonanz, die er bisher nur näherungsweise kannte. Er wusste, er sollte sie auffordern, hier zu bleiben, ihr die Pritsche anbieten, damit sie nicht in ihr einsames Zimmer zurückmusste, in dessen Stille ihre Ängste mit unbarmherziger Wucht auf sie eindroschen, aber er blieb stumm. Er sagte nichts, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte und er mit Agumon allein war.

Mit einem Seufzer warf er sich auf die Pritsche, die unter seinem Gewicht ächzte. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich besser als vorher, aber gleichzeitig war er auf sich selbst wütend.

Déjà-vu

Mobile Festung des DigimonKaisers, DigiWelt

Dienstag, 28. August 2007

6:37 Uhr
 

T.K. ging die leeren Gänge der Festung ab, die immer noch hilflos im Meer trieb. Musyamons Leute hatte er an der Küste patrouillieren geschickt; zwar waren es nicht die befürchteten drei Digimon, aber auch nicht die erwarteten dreißig gewesen. Genau genommen handelte es sich um zwei Ogremon und vier Devimon, von denen eines die weiße Kleidung eines IceDevimons trug, als wollte Musyamon T.K. damit imponieren. Seine prinzipielle Abscheu gegen Devimon führte dazu, dass er sie am liebsten gar nicht sehen wollte. Sein eigenes Battailon wartete in der Luft. Einige Vilemon hatten vor ihm schon die Festung gestürmt, quasi als Beobachtungstrupp, aber keines war zurückgekehrt. Er hatte seine Digimon angewiesen, einfach nur niemanden hinauszulassen und noch nicht sofort anzugreifen, da er erst Taneos Karten finden und in Sicherheit bringen wollte. Aber es war seltsam: Kein einziger Wächter erwartete ihn auf seinem Weg. Kein Maschinendigimon, kein Dunkler. Es fühlte sich an, als wäre er allein in dieser Festung. Auf leisen Sohlen schlich er zum Hauptraum, in dem er zum ersten Mal Taneo getroffen hatte. Er war leer, genauso wie der Nebenraum, wo sie Piedmons Schwert aufbewahrt hatten. T.K. durchsuchte erst alles nach den Karten, ohne jedoch fündig zu werden. Dabei schalt er sich einen Idioten.

Natürlich! Die Dunklen hatten gewusst, dass er kommen würde. Und Ansatsu konnte nicht nur sich selbst, sondern auch andere auf eine Reise zwischen den Welten schicken. Sie waren mitsamt ihrer Ausrüstung einfach abgehauen – in die Menschenwelt wahrscheinlich. Hätte T.K. nur einen Laptop gehabt, hätte er mit Akis DigiVice vielleicht ein Tor öffnen können, aber so war er gezwungen, unverrichteter Dinge abzuziehen. Die anderen Triumviratoren würden ihn verspotten. Vor allem aber war er wütend auf sich selbst.

Als er schon auf dem Rückweg war, hörte er ein Geräusch. Schritte, die sich bemühten, keinen Laut zu verursachen. Sie kamen von der nächsten Gangkreuzung, aus der linken Richtung. T.K. ließ alle Vorsicht fahren und rannte los. Die Schritte ergriffen nicht etwa die Flucht, sondern kamen ebenfalls näher, als würde auch der andere jemanden suchen. T.K. hetzte um die nächste Biegung und fand sich in einem Gang wieder, der gerade hell genug war, dass er erkennen konnte, dass vor ihm weder Taneo noch einer der anderen Dunklen stand.
 

Nach seinem Abstieg von dem Seil hatte Ken gerätselt, wie er selbiges wieder einholen konnte. Er entschied sich dazu, einfach das untere Ende zu kappen, und tatsächlich fiel es in sich zusammen. Die Gazimon übernahmen die Aufgabe, es einzurollen. Dann machte sich Ken auf den Weg, um seine Freunde zu suchen. Ein Parrotmon, ein Digimon, das aussah wie ein übergroßer Papagei und mit den Gazimon befreundet war, bot ihm an, ihn ein Stück mitzunehmen. Sie flogen erst einen ewig langen Wald entlang, dann erreichten sie die Küste. Und vom Rücken des Vogels aus konnte Ken dort im Meer etwas schwimmen sehen, das ihm unangenehm bekannt vorkam. Er bat Parrotmon, die Richtung zu ändern und ihn auf der scheinbaren Insel abzusetzen. Das Vogeldigimon wollte nicht auf ihn warten, aber Ken war sich sicher, selbst wieder ans Ufer zu kommen. Was machte seine Fliegende Festung hier, mitten im Ozean? Er hatte gehört, dass sie jetzt Taneo gehörte, aber er nahm sich vor, sie trotzdem vorsichtig zu erkunden. Schließlich war er jetzt der Datenpirat, es gab nicht viel, das er fürchten musste.

Staunend ging er die Gänge entlang. Es war erstaunlich; damals war die Festung in einer Explosion vernichtet worden, als sie in der Wüste abgestürzt dagelegen war. Taneo musste irgendwie die Baupläne gefunden haben, die Ken seinerzeit entworfen hatte. Oder er hatte von Berichten geschlussfolgert, wie die Festung ausgesehen hatte – oder aber, die Festung war nicht ganz so gründlich pulverisiert gewesen, wie sie alle damals gedacht hatten. Ken betastete die Wände aus kühlem Stein. Er fragte sich, wie sie geflogen war. Nicht mit der Macht der Dunkelheit, das hätte er gespürt.

Als er tiefer in die Gänge eindrang, in denen er sich trotz all der Zeit und seiner Gedächtnislücken immer noch hervorragend zurechtfand, begegneten ihm einige Vilemon, die ihn ohne zu zögern angriffen. Frustriert musste er sie töten, da sie anders keine Ruhe gaben. Kurze Zeit später hörte er in der Nähe eilige Schritte. Sein Herz begann zu klopfen. Einer der Dunklen? Dann riss er sich zusammen und lief dem Geräusch entgegen. Sollten sie ruhig sehen, dass ihr Feind der Datenpirat war!

Doch wer ihm da in dem zwielichtigen Gang entgegentrat, besaß ein bekanntes Gesicht.

„Dich hätte ich zuletzt hier erwartet“, sagte T.K. und bemühte sich seine Überraschung zu verbergen.

„T.K!“ Ken war erfreut. „Sind Davis und die anderen auch hier?“

T.K. schnaubte. „Nein“, sagte er gedehnt. „Und selbst wenn ich wüsste, wo sie sind, würde ich es dir nicht sagen.“

Ken öffnete den Mund, um eine Frage zu stellen. Dann glitt sein Blick über T.K.s schwarzroten Umhang und das Schwert, und er brauchte nur eins und eins zu den Gerüchten dazu zu zählen, die er gehört hatte. „Du … Sag mir nicht, du bist dieser Mensch, der jetzt zu den Scherben gehört!“

„Und wenn es so wäre?“, gab T.K. tonlos zurück.

„Gehören diese Vilemon etwa zu dir?“

T.K. zog ohne ein weiteres Wort sein Schwert. „Wenn du schnell verschwindest, bleibst du vielleicht am Leben“, sagte er.

Ken schluckte. Er hatte keine Angst vor T.K, eher Mitleid. Er war selbst damals dem Bösen verfallen. T.K. machte einen ganz anderen Eindruck als er damals, aber das mochte daran liegen, dass T.K. eben T.K. war. Die Schwertspitze funkelte im schwachen Licht, das keinen bestimmten Ursprung zu haben schien. „Du kommst mit mir mit“, entschied Ken. „Wir werden gemeinsam Davis und die anderen suchen.“

„Nein, das werden wir nicht.“ T.K. klang wie ein Erwachsener, der keine Lust hatte, dummen Fantasien eines Kindes zuzuhören. Ken, du kleiner Spinner. Ken zuckte zusammen, als er den Ausdruck in T.K.s Augen sah. Damals hatte er ihn genauso angesehen. Wie lange willst du noch den Welteroberer spielen? Macht dir sowas Spaß?

„Dann werde ich dich eben einfach mitschleifen!“ Ken öffnete die rechte Hand. Daten wirbelten auf und formten eine Peitsche aus einer dornigen Ranke mit einer Spiralblume an der Spitze. Er holte aus und schlug zu.

Ein drängendes Bild aus seinen Erinnerungen zwängte sich vor Kens Augen. Er fühlte wieder die schweren Kleider des DigimonKaisers, sah T.K, durch seine Brille getönt, jünger als jetzt, und die Peitsche knallte gegen dessen Wange. Manche Leute greifen eben zur Peitsche, wenn’s mit den Worten hapert, nicht wahr?

Die Peitsche schnellte durch die Luft wie damals, genau auf T.K.s Wange zu – mit einem aggressiven Hieb zertrennte das Schwert die Ranke. Die Spiralblume klatsche wirkungslos gegen die Wand. T.K.s Umhang bauschte sich den Bruchteil einer Sekunde später. „Glaubst du etwa, ich würde mich wieder von dir schlagen lassen?“, fragte er ironisch. „Jetzt bin ich dran!

Wieder gab es einen Blitz in seiner Erinnerung, in dem er und T.K. ineinander verkrallt auf dem Boden rollten, doch Ken zwang das Bild zurück. Denn diesmal war es anders.

T.K. stürmte auf ihn zu, doch auf halbem Weg sah Ken etwas auf dessen Gürtel erglühen. Eine rot leuchtende Kralle sprühte aus T.K.s linker Hand, stemmte sich gegen den Boden wie eine Sprungfeder und beförderte T.K. in die Luft. Mit erhobenem Schwert kam er einem Raubvogel gleich herabgesaust, genau auf Ken zu.

Ken brachte sich mit einem Satz rückwärts in Sicherheit, aber er spürte den Luftzug des Schwertes, fühlte, mit welch brachialer Gewalt T.K. die Klinge führte. Mit einer schnellen Blossomon-Ranke, die er um eines des Rohre schlang, die den Gang flankierten, brachte sich Ken außer Reichwerite.

T.K. schleuderte sein Schwert auf ihn und rannte wieder auf ihn zu. Ken fiel es nicht schwer, der wirbelnden Klinge auszuweichen, aber eine rubinrote Albtraumkralle schnellte an ihm vorbei, wickelte sich um den Schwertgriff und riss die Waffe zurück wie einen Bumerang. Ken warf sich ächzend zur Seite. Die scharfe Klinge zerfetzte seinen Mantel und zog eine schmale, rote Linie über seine Haut, gerade tief genug, um einen einzelnen Blutstropfen zutage zu fördern. Das Schwert landete genau in T.K.s Hand, als Ken keuchend zu Boden fiel und sich abrollte. Er meinte es ernst!

Sein Arm begann zu brennen, als Ken nach Wizardmons Energie griff. „Donnerball!“ Ein blauer Lichtblitz zuckte auf, aber er war eine Spur zu schlecht gezielt. T.K. wich tänzelnd aus und kam schon wieder näher, das Schwert in der Hand. Ken schaffte es gerade, sich aufzurappeln, als er auf ihn eindrosch.

Ein hartes, metallenes Geräusch ertönte, als die Klinge auf die Felsenfaust traf, die Ken erscheinen ließ. Seine rechte Hand war völlig mit Gotsumonfelsen überzogen, aber er konnte sehen, wie T.K.s Klinge die Daten nach und nach regelrecht auffraß. Schimmernd flogen winzige Fragmente davon. Was war das für ein Schwert?

„Du hast viel zu lange nichts mehr von dir hören lassen, Ken“, sagte T.K, sein Gesicht ganz nah vor Kens. „Ich habe dich gewarnt. Ich werde nicht zögern, dich auszulöschen! Albtraumkralle!“ Das fremdartige DigiVice a seinem Gürtel leuchtete auf und T.K.s linke Hand ebenfalls. Aus nächster Nähe schoss er einen roten Strahl ab, mit der Absicht, Ken damit zu durchlöchern. Ken riss den linken Arm hoch. Direkt vor seiner Handfläche teilte sich die Albtraumkralle in dutzende rote Fäden auf, die seitlich von Ken in die Wand züngelten. „Wie ist das möglich?“, rief T.K. aus, als seine ganze Attacke wirkungslos verpufft war.

Während seine Narbe noch unterträglich juckte, nahm Ken seine ganze Kraft zusammen, um T.K von sich zu stoßen. Dann streckte er die Linke aus. Eine Albtraumkralle verließ seine Hand, schlang sich um den Oberkörper des völlig verdutzten T.K.s und schleuderte ihn gegen die Wand, wo er ächzend zu Boden sank. Noch während er sich aufrichten wollte, streckte Ken beide Hände von sich. „Dinoknall!“ Hitze sammelte sich in seinen Handflächen, Funken tanzten vor ihm in der Luft, während seine Narbe wie verrückt juckte. Fauchend entließ er eine Stichflamme auf T.K, die von der Wand rings um ihn abprallte und bald den ganzen Gang ausfüllte, mit Ausnahme der Stelle, an der Ken stand. Erschrocken wurde Ken bewusst, dass er wahrscheinlich zu weit gegangen war, und brach die Attacke ab. Das Flammenmeer vor ihm legte sich langsam, und er sah wuselnde, brennende Schatten in der Luft flattern – ein lebender Schild aus Fledermäusen. Während sie sich auflösten oder mit brennenden Flügeln zu Boden taumelten, wurde dahinter in der flimmernden Luft, zwischen auf blankem boden lodernden Flammen, ein Glühen sichtbar.

Kaiserfaust!

Die violette Druckwelle traf Ken so plötzlich, dass er seinen Arm nicht rechtzeitig hochbekam. Mit unglaublicher Wucht wurde er gegen die Wand geschleudert. Sämtliche Luft wurde aus seinen Lungen gepresst und er fühlte ein eisiges Brennen in der Brust, wo ihn die Attacke traf.

„Unterschätz mich bloß nicht!“, rief T.K, stürzte zwischen den kleiner werdenden Feuerzungen hervor und ging wieder mit dem Schwert auf ihn los.

Noch während Ken zu Boden rutschte, griff er wieder an. „Betäubungsblitz!“ Diese Attacke hatte er von den Gazimon in Santa Caria kopiert, die ihn angegriffen hatten. Ein elektrischer Schlag traf T.K.s Schwertarm.

Mit einem Aufschrei zuckte er zurück. Das Schwert begann ihm aus den Fingern zu rutschen. Er wollte fester zupacken, aber plötzlich hatte er kein Gefühl mehr in der rechten Hand. Piedmons Klinge klimperte zu Boden.

Ken stemmte sich nach Atem ringend an der Wand hoch. T.K. sann kurz darüber nach, das Schwert mit der anderen Hand zu nehmen, aber links konnte er nicht wirklich damit kämpfen. Also entschied er sich für eine Waffe, die weniger Kampfkunst erforderte. „Schattenschere!“ Er öffnete die linke Hand und griff abermals auf sein zweites DigiVice zu. Die Luft flimmerte und im strahlenden Licht des DigiVices erschien ein Stab mit der Phantomon-Sense und glitt ihm förmlich in die Hand. Mit einem lauten Kriegsruf holte er aus und rannte weiter.

Aber Ken war schneller als er.

Felsenfaust!

Obwohl T.K. die Attacke erwartet hatte, kam seine Reaktion zu spät. Diesmal lief Ken ihm nämlich sogar entgegen und schoss den steinernen Handschuh ab. Die Felsenfaust traf zielsicher das Sensenblatt und prellte T.K. auch diese Waffe aus der Hand.

„Na warte!“ Ken war mit einem weiteren Schritt bei ihm und hatte die gepanzerte Hand zum Schlag erhoben. Im letzten Moment löste er die Attacke auf und schmetterte T.K. nur die bloße Faust gegen den Kiefer. Der Schlag war trotzdem stürmisch genug, um ihn rückwärts zu Boden zu werden. T.K. schrie schmerzerfüllt auf und schmeckte metallisch Blut in seinem Mund. Er dachte gar nicht darüber nach, dass Ken seine Attacke möglicherweise wieder mit seiner Hand abwehrte – oder hatte er sie vielleicht kopiert? Es war nicht leicht, ein Myotismon zu finden, das man scannen konnte – und streckte die linke Hand aus. „Albtraumschock!“ Natürlich hatte er es sich nicht nehmen lassen, einen seiner Untergebenen für diese Attacke zu opfern. Sie wurden ja ohnehin wiedergeboren.

Ein rotvioletter Strahl sprühte durch die Luft, aber selbst darauf war sein Gegner vorbereitet. „Albtraumschock!“ Ein identer Energiestoß zuckte auch aus Kens Hand. Die Attacken trafen sich in der Luft, umzüngelten sich wie Schlangen und wurden zu einem reißenden, waagrechten Tornado aus dunkler Energie, der an den beiden Kämpfenden zerrte, eher er mit einem gewaltigen Bersten und Krachen in seiner Explosion aus schwarzem Licht verging. T.K. sah, wie Kens Augäpfel, Zähne und die seltsame Narbe, die seinen bloßen linken Arm bedeckte, wie unter UV-Licht aufglühten. Knurrend warf er sich ihm erneut entgegen. „Dann eben so! Geisterkralle!

Rote Kralle!

T.K.s blauer Bakemon-Arm, zu dem seine linke Hand wurde – die rechte war mittlerweile völlig taub –, stieß mit Kens blutroten Fingernägeln zusammen. Ihre Finger verschränkten sich, während blaue und rote Lichtblitze ihre Hände zittern ließen, als arbeiteten sie gemeinsam an einem Presslufthammer. Selbst die Luft vibrierte und macht das Atmen schwer. Datenfragmente lösten sich von ihren Händen, die völlig mit ihren Attacken überzogen waren – dann stieß Kens zweite Hand zu und knallte ein zweites Mal in T.K.s Gesicht. Der Junge schrie auf, aber Ken hielt ihn fest. Wieder und wieder traktierte er ihn mit Schlägen. „Gib … endlich … auf!“, keuchte Ken, hörte kurz mit den Schlägen auf und schleuderte einen Betäubungsblitz auf T.K.s linkes Bein, das daraufhin unter ihm wegknickte. Jetzt gab es kein Halten mehr. Ihre Krallen löschten sich in dem Moment gegenseitig aus, als T.K. zu Boden ging. Ken kniete sich auf seine Brust, blockierte seinen linken Arm und zielte mit einer Hand, in der es schon wieder blitzte, auf seinen Kopf. „Letzte Warnung! Hiermit kann ich dich bewusstlos schlagen!“

„Du wirst mich sicher nicht zu den anderen zurückbringen“, zischte T.K. Sein DigiVice leuchtete ein weiteres Mal, aber T.K. fühlte, dass die Energie darin allmählich erschöpft war. Vielleicht war es doch dumm gewesen, alleine die Festung zu erkunden … Aber warum strotzte Ken nur so voller Energie? Er musste auch ein DigiVice der Dunklen haben … War er am Ende einer von ihnen geworden? Warum hielt sein DigiVice so lange?

Ein Schwarm Fledermäuse stob aus T.K.s Umhang hervor. Der Gruselflügel hob den überrascht aufkeuchenden Ken von seiner Brust und warf ihn ihm hohen Bogen davon. Dabei sah T.K, wie etwas aus Kens Hosentasche fiel und klappernd am Boden landete.

Eine einzige Allomon-Flammenwolke reichte aus, um die Fledermausbrut zu vernichten, aber Ken war nun erst recht zornig. „Wie kann man so dickköpfig sein … Willst du den gleichen Fehler machen wie ich?“

Bevor T.K. antworten konnte, erbebte der Boden so stark, dass Ken das Gleichgewicht verlor. T.K. versuchte aufzuspringen, aber er fühlte sich wegen des Wackelns bleischwer. Irgendwo in der Festung krachte eine Explosion, dann noch eine weiter entfernt. Der Gang kippte seitwärts; T.K. und Ken rutschten in die rechte untere Kante. Mit einem ohrenbetäubenden Bersten klaffte über ihnen ein breiter Riss im Metall-Stein-Gemisch der Festung auf, durch den sie einen von schwarzen Schemen verdunkelten, blauen Himmel sehen konnten.

„Was ist das?“, rief Ken panisch auf allen Vieren, als sie durchgeschüttelt wurden wie in einer Achterbahn.

T.K. schaffte es irgendwie, sich an der Wand hochzuziehen. „Ich habe mich zu lange mit dir aufgehalten. MarineDevimon hat mit dem Angriff begonnen.“

„MarineDevimon?“

Direkt neben T.K. zersplitterte die Wand. Salzwasser und Trümmer regneten herein. Auch zu ihren Füßen bildeten sich Risse, durch die Wasserfontänen spritzten und sie innerhalb von Sekunden völlig durchnässten.

„Zu mir!“, schrie T.K. aus voller Kehle. Es dauerte keine zehn Sekunden, bis zwei Vilemon durch den Spalt geflattert kamen. „Erledigt ihn!“, wies er sie an. Er wusste, dass Ken die Fledermäuse pulverisieren würde, wie er es wahrscheinlich schon mit den anderen getan hatte, aber er – und vor allem sein neues DigiVice – brauchte Zeit, um sich zu erholen. Und hier gab es ohnehin nichts mehr zu tun.

Oder doch?

T.K.s Blick fing das messingfarbene Kästchen ein, das auf dem Boden lag. Es war bis zur Wand gerutscht und versank fast in Meerwasser. Damit hatte es etwas auf sich, das spürte er. Nach kurzem Zögern streckte er die Hand aus und verwandte seine letzte Energie darauf, das Kästchen mit einer Albtraumkralle an sich zu reißen.

„Nein, gib das wieder her!“, rief Ken, der mit wütenden Hieben seiner eigenen Albtraumkralle soeben die beiden Vilemon mittendurch geschlagen hatte. Er rannte auf T.K. zu, seine Schuhe ließen das nun schon wadenhohe Wasser nach allen Seiten spritzen. Er ging sogar so weit, mit seiner roten Peitsche nach ihm zu schlagen. T.K. humpelte davon, versuchte den Gang entlang zu kommen, doch er wusste, dass er es nicht schaffen würde.

In dem Moment tauchte Angemon in seiner ganzen, federweißen Pracht durch das Loch in der Wand, schlug die Albtraumkralle mit seinem heiligen Stab zur Seite und streckte die Hand nach seinem Partner aus. „Gehen wir, T.K“, sagte es mit volltönender Stimme. T.K. ließ es zu, dass es die Arme um ihn schlang und ihn mit kräftigen Flügelschlägen aus der Festung trug.

„Nein!“, schrie Ken erneut und stampfte vor Wut auf. Salzwasser spritzte ihm ins Gesicht und brannte wie zur Strafe in seinen Augen. Die Festung erbebte abermals, noch heftiger als zuvor, und er entschied sich, ebenfalls zu fliehen. Mit einem Satz durch das Loch in der Wand war er im Freien und landete mit einem mehr oder weniger eleganten Köpfler im Wasser.

Trotz des Brennens riss er die Augen auf. Die schwimmende Festung wurde von allen Seiten von unheimlichen Digimon attackiert. Große, klumpige Raremon, die unter allen Digimon wohl das hässlichste Gesicht hatten, klammerten sich an den Rumpf des Gefährts und zogen es langsam in die Tiefe. Auf der anderen Seite der Mobilen Festung erkannte Ken verschwommen den Körper eines riesigen Digimon, dessen weiße Tentakel in alle Richtungen davonzüngelten.

Ken benutzte den Albtraumschock, um durch den Rückstoß schneller durchs Wasser zu gleiten, fort von der maroden Festung, und durchstieß mit dem Kopf die Oberfläche, nur um Zeuge eines noch viel zerstörerischen Bildes zu werden.

Der Himmel war voller Vilemon, die ihre dunklen Strahlen auf die Festung niederregnen ließen. Ein einzelnes Megadramon bombardierte Kens einstmalige Bastion mit den Raketen, die es aus seinen Armvorrichtungen feuerte. Explosion um Explosion riss gewaltige Trümmer aus den Wänden und dem oberen Deck. Die Festung brannte an etlichen Stellen und mehrere Dutzend Meter lange Risse durchzogen ihre Oberfläche. Die Raremon kletterten wie träge Schnecken auch über Wasser auf das Gefährt und tauchten es in ätzende Säure. Dann erkannte Ken, wessen Tentakel er unter Wasser gesehen hatte: Der schlanke Körper eines riesigen MarineDevimons ragte aus dem Meer. Aus dem geöffneten Maul des Monsters loderte eine schwarze Flamme, die die Festung regelrecht verschlang. T.K. und Angemon waren nirgendwo mehr auszumachen.

Ken hatte genug gesehen. Er musste einen Weg finden, um von hier zu fliehen. Über ihm flog soeben ein kleines Geschwader aus Devimon auf das Schlachtfeld zu. Ihm fiel auf, dass eines davon, das an der Spitze, reinweiß war. Ohne lange zu überlegen schoss er seine neu erworbene Albtraumkralle auf es ab, riss es aus dem Flug zu sich herunter und tötete es mit seiner roten Kralle. Dann ließ er die Daten durch seinen Arm strömen. Ja, er hatte sich nicht getäuscht. Es war ein IceDevimon, wie er es vermutet hatte. Die anderen Devimon stießen wie Rauvögel auf ihn herab, doch Ken tauchte unter, um ihren Todeskrallen zu entgehen, und benutzte abermals Albtraumschocks, um aus der Gefahrenzone zu gelangen, so lange, bis ihm die Luft ausging. Als er auftauchte, war er eine gute Meile von der Festung entfernt, und die Devimon waren nicht mehr hinter ihm her; dafür entdeckte er die drei größeren Schatten unter den Fledermäusen. Kens Muskeln wurden langsam müde, aber er hatte es beinahe geschafft. Er konzentrierte sich auf IceDevimons Energie und legte die linke Hand flach auf die Wasseroberfläche. Die zitternden Wellen gefroren binnen Sekunden zu einer Eisscholle, auf die er sich zog und erstmal ausruhen konnte.

Dann begann er, sich einen gefrorenen Weg bis zur Küste zu bauen. Als er sich noch einmal umdrehte, sah er, wie seine einstmals so ehrfurchtserregende Festung abermals zerstört wurde. Sie brach mittendurch, und wie bei der Titanic versanken beide durchlöcherten Teile im Ozean.

Am Ufer angekommen, wärmte er sich mit dem Feuer des Allomons auf. Auf dem Weg in den nahen Wald traten ihm zwei Ogremon entgegen, die er vernichtete und auf ihre Kaiserfaust scannte. Als er schließlich eine Höhle erreichte und sich sicher war, dass ihm niemand folgte, brach er erschöpft zusammen. Seine Hand tastete nach seiner Hosentasche, aber natürlich war das Kästchen nicht mehr da. Ein stiller Fluch verließ seine Lippen, dann schlief er vor Erschöpfung ein.
 

T.K. war längst auf dem Rücken von Pegasusmon wieder Richtung Finsterzitadelle unterwegs, sein Umhang flatterte hinter ihm im Wind, die Zierfransen daran zuckten wie verrückt. Er konnte es immer noch nicht fassen, dass ihm die Dunklen einfach so entwischt waren! Aber gut … irgendwie war es ja zu erwarten gewesen. Taneo war schließlich nicht dumm.

Er sah sich das verzierte Kästchen an, das er in der Hand hielt. „Willst du nicht nachsehen, was drin ist?“, fragte Pegasusmon.

„Es geht nicht auf“, sagte er. „Es ist irgendwie verschlossen …“ Er stutzte. Als er es näher betrachtete, fiel ihm der Barcode mit den umgekehrten Farben auf. „Was ist das? Ein Code? Kann man den irgendwie scannen, was meinst du?“

„Versuch es doch mal mit Akis DigiVice. Immerhin kann es ja auch die Daten von Digimon scannen“, schlug Pegasusmon vor.

„Mach ich.“ T.K. hielt das neuartige Gerät mit dem daumennagelgroßen Display vor das Kästchen, doch nichts geschah. Er meinte, ein leises, empörtes Piepsen zu hören, aber vielleicht war es Einbildung. Nachdenklich musterte er die Büchse von allen Seiten, aber er fand keinen Hinweis, wie sie aufging. „Was meinst du, Pegasusmon, wie hat Ken all diese Attacken fertiggebracht? Und es sieht fast so aus, als könnte er nicht nur die Daten von toten Digimon scannen, sondern direkt Attacken abwehren und dabei kopieren.“

„Das kann ich dir auch nicht erkären, T.K“, sagte der Pegasus.

„Hm.“ T.K. fiel etwas ein. Er nahm diesmal sein eigenes D3-DigiVice zur Hand und hielt es vor den Strichcode. Ein leises, elektronisches Klicken ertönte, und der Deckel sprang auf. „Nanu“, sagte er. „Ich hab’s aufbekommen.“ Mit klopfendem Herzen sah er hinein. „Ach du heilige …“, murmelte er und zog die Karten von Elecmon und Digitamamon hervor. Seine Gedanken rasten. Mit Andromon, Drimogemon, Gazimon und ShogunGekomon, die sie vorher im Albtraumschloss versteckt hatten, und dem Kuwagamon, das er von Taneo gestohlen hatte, hatten sie acht Karten von neun … Und von Taneo wusste er, dass er Unimon doppelt hatte.

T.K. lächelte. „Ich glaube, das Triumvirat wird nicht ganz so enttäuscht sein, wie ich befürchtet habe.“

Noble Ambitions

Yokomon-Dorf, DigiWelt

Dienstag, 28. August 2007

16:47 Uhr
 

„Soll ich das etwa essen? Dieses Vogelfutter könnt ihr behalten!“ Miyuki warf die blecherne Schale von sich, dass die kleinen, braunen Körner auf die verängstigten Yokomon hinabregneten. „Ihr Biester habt keinen Geschmack. Ihr zwei da!“, herrschte sie zwei Yokomon an, die unter ihrem Blick zusammenzuckten. „Bringt mir Wasser, die ganze Warterei macht mich durstig.“

Das einzelne Yokomon, das auf ihrer Schulter saß und ihren Nacken mit seinen winzigen Tentakelchen massierte, hielt seufzend und erschöpft inne. „Ich kann nicht mehr …“

Miyuki machte ein abfälliges Geräusch. „Ihr seid wirklich zu nichts zu gebrauchen – ist das etwa zu viel verlangt?“ Sie packte das Yokomon an den Blütenblättern und schleuderte es von sich. „Wer macht freiwillig weiter? Oder soll ich jemanden aussuchen?“

Das Yokomon rappelte sich hoch, mit Tränen in den Augen. „Wenn Meramon noch hier wäre, würdest du dich das nicht trauen“, stieß es hervor.

„Ah ja?“ Miyuki beugte sich in ihrem Liegestuhl gerade so weit vor, dass ihre Verletzung nicht einen heftigen Schmerzblitz durch ihre Hüfte schoss, und rückte ihre Sonnenbrille zurecht. „Euer tapferes Meramon steht sich aber wahrscheinlich gerade als Wachposten bei der Allianz in irgendeinem Schlammloch die Beine in den Bauch.“ Sie ließ eine Beelzemon-Pistole in ihrer Hand erscheinen und wedelte damit vor den Yokomon herum. „Ihr bringt mir jetzt sofort was Richtiges zu essen, oder ich werde ungemütlich. Und ihr zwei da vorne, ihr massiert mich weiter.“

Während die Yokomon eilig taten, wie ihnen geheißen war, ließ Miyuki seufzend den Blick durch das Dorf wandern. Sie waren auf der FileInsel – und so wichtig die Insel auch für die DigiWelt war, in diesem Krieg bedeutete sie so gut wie nichts. Hier suchte niemand nach ihr. Trotzdem wäre sie lieber mit den anderen gegangen, aber Taneo hatte keine Widerrede geduldet.

Dazu kam, dass sie überfällig waren. Miyuki fühlte wieder, wie die Wunde, die ihr Matts jüngerer Bruder zugefügt hatte, Schmerzen zu sprudeln begann. „Ihr könnt aufhören“, murmelte sie und scheuchte die Yokomon von ihren Schultern. Sie biss auf ihre Lippen, während sie darauf wartete, dass der Schmerz abklang. Insgesamt wurde die Verletzung zwar stetig besser, aber sie konnte es kaum abwarten, endlich wieder ohne fremde Hilfe zu gehen. Verdammt, sogar in den Liegestuhl hatte Ansatsu ihr helfen müssen! Sie war ihm bereits mehr schuldig, als sie je zurückzuzahlen bereit war.

Die Sonne neigte sich schon dem Horizont entgegen, als endlich der Dorfplatz vor ihr zu flimmern begann und die anderen erschienen.

Sie hatten sich verändert, und Miyuki wusste nicht, ob sie es jetzt immer noch bereute, nicht mitgegangen zu sein. Taneos Haare waren angesengt und sein Mantel stellenweise verbrannt und zerrissen. Kentarous linkes Brillenglas war gesprungen und er hatte eine frische Wunde an der Stirn. Außerdem war der Laptop, den er dabei hatte, ein anderer als der, den er sonst benutzte; sie waren also auch kurz in der Menschenwelt gewesen, um ihm einen neuen zu besorgen. Miyuki stellte sich vor, wie die alte Kiste jetzt aussah. Der Kampf war sicher ungemein heftig gewesen, denn normalerweise kam niemand auch nur in die Nähe von Kentarou. Außerdem hatten sie eine beachtliche Truppe Guardromon und sogar eines ihrer kostbaren MegaGargomon mitgenommen, von denen anscheinend kein einziges mehr übrig war. Aber das war bei diesem Gegner zu erwarten gewesen. Ansatsu sah noch am normalsten aus, allerdings hatte er einen noch grimmigeren Gesichtsausdruck als üblich.

Und das alles nur, weil dieser unbekannte Vollpfosten es geschafft hatte, die DigiVice-Fabrik in der Schneeweite in die Luft zu jagen, ehe Ansatsu ihn hatte daran hindern können. Es war nicht so, dass Miyuki sich weitere Dunkle wünschte, vielleicht noch solche, die so tickten wie Aki, aber ein wenig Verstärkung wäre in dem Kampf, den sie gerade ausgefochten hatten und der sie einen großen Teil ihrer ohnehin recht karg gewordenen Armee gekostet hatte, wohl gar nicht so übel gewesen.

„Hallo, Jungs“, begrüßte sie sie. „Ich dachte schon, ihr lasst mich hier anbrennen.“

Keiner erwiderte etwas. Taneo warf den Yokomon nur einen einzigen Blick zu, der ihnen klarmachte, dass sie dringend etwas zu essen und zu trinken brauchten.

„Jetzt sagt schon. Habt ihr’s geschafft?“, fragte Miyuki.

Taneo hob sein DigiVice. „Ja. Die Attacke, die uns zum Sieg verhelfen wird, ist hier drin gespeichert.“
 

Locomotown, DigiWelt

Freitag, 31. August 2007

16:57 Uhr
 

Es vergingen Tage, in denen im Lager einfach nur trainiert und die Umgebung erkundet wurde. Leomon hatte trotzdem alle Hände voll zu tun und wühlte sich durch einen Berg aus Spähberichten und anderen Neuigkeiten. Am Freitag, dem letzten Tag des Augusts, wurde erstmalig ein offizieller Kriegsrat in dem großen Saal im Rathaus von Locomotown abgehalten. Nicht nur General Leomon und die anderen hohen Würdenträger der DigiAllianz nahmen daran teil, Leomon setzte sich dafür ein, dass Tai und Matt ebenfalls dabei sein durften. Izzy ließ es sich natürlich nicht nehmen, ebenfalls sein Wissen aufzubringen, und als Tai zur Überraschung aller darum bat, auch Joe mitmachen zu lassen, gab Leomon seufzend bekannt, dass es wohl kein Problem war, wenn alle DigiRitter und ihre Digimon bei der Sitzung zugegen waren – bis auf Mimi, die sich in der Öffentlichkeit gar nicht zeigte.

„Wir haben so viel Information über unsere Feinde gesammelt, wie es ging“, begann Meramon mit seinem Bericht. In der Mitte der O-förmig aufgestellten Tische erschien ein Hologramm mit Bildern, das Andromon dorthin projizierte. Die Freude der DigiRitter war groß gewesen, als sie in dem Cyborg-Digimon ihren alten Freund wiedererkannten, allerdings hatten sie bisher nicht viel Zeit gehabt, um mit ihm zu sprechen. Auch das Centarumon von damals war bei der DigiAllianz, allerdings bei den Spähern und soeben unterwegs, und Ogremon war bei der Sitzung nicht zugelassen, weil ihm anscheinend doch nicht alle vorbehaltlos trauten. Tai war es ein Rätsel, dass Ogremon und Leomon es in einem Lager aushielten, ohne sich ständig an die Gurgel zu gehen, aber der Krieg schien selbst ihr ewiges Kräftemessen auf Eis gelegt zu haben.

Die Projektion zeigte das Bluray-Gebirge aus der Vogelperspektive, wobei ein bestimmter Bereich blau gehighlightet war. „Hier irgendwo befindet sich die Finsterzitadelle. Früher haben sich die Dunklen hier aufgehalten, doch als die Scherben erwachten und ihre losen Truppen sich wieder zu einer Armee zusammensetzten, haben sie sie von dort vertrieben und bewohnen die Zitadelle nun selbst“, erklärte Meramon. Nacheinander erschienen sich drehende 3D-Abbilder von Digimon. „Wer die Triumviratoren der Scherben sind, wissen wir schon seit längerem. Es waren zunächst Phantomon, SkullSatamon und LadyDevimon. Allerdings haben wir gehört, dass die Dunklen LadyDevimon ausgeschaltet haben. Vor kurzem ist ein neuer Triumvirator aufgestiegen, ein Mensch namens Takeru, der außerdem zurzeit der Marschall der Armee der Scherben ist.“

„T.K. …“, murmelte Matt. Tai bemerkte, wie grimmig er aussah. Sora drückte seine Hand.

Sogar ein Bild von T.K. hatte die Allianz aufgetrieben. Er war kaum wiederzuerkennen: Eine schwarze Kapuze mit rotem Rand verdeckte sein halbes Gesicht. Blonde, zerzauste Haarsträhnen zwängten sich darunter hervor und wirkten länger als sonst. Seine Augen verschwanden im Schatten der Kapuze, der Rest seines Gesichts war ausdruckslos. Die Kapuze ging in einen wehenden Umhang über, der pechschwarz war, bis auf das ausgefranste Ende, das genauso blassrot war wie der Kapuzenrand. Das Foto war in der Bewegung aufgenommen worden, wohl inmitten eines Kampfes zwischen den Spähern der Allianz und den Albtraumsoldaten. In der rechten Hand hielt T.K. den Griff eines blitzenden Schwertes, die linke hatte er zur Faust geballt und etwas wie eine unnatürlich intensiv rote Flamme erschien soeben darin. Tai konnte kaum glauben, dass dieser Junge der sanftmütige, freundliche T.K. war, den er dachte, gekannt zu haben. Für einen Moment spürten die DigiRitter die Blicke von Leomon, Andromon und Meramon auf sich. Sie wussten natürlich, wer das da in der Projektion war. Tai war ihnen dankbar, dass sie keine Fragen stellten, hier vor dem guten Dutzend anderer Digimon.

„Es ist schwer zu sagen, welche Gefahr von ihm ausgeht“, fuhr Meramon nach einer Weile fort. „Soweit wir wissen, verfügt er über ein DigiVice, wie es auch die Dunklen besitzen; außerdem wird in seiner Nähe oft ein Angemon gesehen.“ Das Flammendigimon machte eine Pause und musterte die Versammelten aus feurigen Augen. „Wir können also davon ausgehen, dass sowohl die Mächte der Finsternis als auch die Mächte des Lichtes unsere Feinde sind. Wir sind auf uns allein gestellt.“ Es sprach es nicht aus, aber jedes Digimon hier wusste wohl, was ein Angemon an seiner Seite bedeutete, das so gar nicht in das Regiment der Scherben passte. Dieser Takeru war ein DigiRitter, und Angemon sein Partner. Und das fütterte die Abneigung der Digimon gegenüber den DigiRittern noch mehr. Tai hoffte, dass der schlimmste anzunehmende Fall nicht eintrat, nämlich dass die Allianz-Digimon ungeachtet Leomons Befehle sie einfach verjagen oder töten würden. Daher war er erleichert, als das Bild wechselte.

„Die Armee der Scherben kann grob in drei große Einheiten aufgeteilt werden. Als erstes haben wir die Hauptstreitmacht, die Bodenstreitkräfte der Albtraumsoldaten. In ihrer Schlagkraft sind sie uns wahrscheinlich in etwa ebenbürtig, aber wir haben bis jetzt noch keinen direkten Kampf ausgetragen. Angeführt werden sie von Musyamon, dem ersten General.“

„Soll das heißen, dass die große Armee der Scherben von einem Champion-Digimon angeführt wird?“, fragte Yolei verwundert. Sie erinnerte sich an ihre Begegnung mit einem Musyamon in Kyoto. Es war kein sehr eindrucksvoller Gegner gewesen.

„So ist es“, sagte Leomon. „Aber Musyamon ist berüchtigt für seine wohl durchdachten Strategien und seine Grausamkeit. Es geht auch keine Risiken ein, weder für sich selbst noch für seine Truppen.“

„Deswegen haben sie unsere Armee auch noch nicht angegriffen!“, rief ein Rapidmon dazwischen. „Weil sie Feiglinge sind!“

„Taktik hat nichts mit Feigheit zu tun“, berichtigte es ein Jerrymon, dessen riesiger Baumkopf kaum in der Halle Platz hatte.

Meramon überging die Zwischenrufe. „Dann haben wir die Marine der Scherben. Sie setzt sich neben Albtraumsoldaten auch aus einigen Überresten der Deep-Server Armee zusammen. Ihr General ist MarineDevimon.“ Ein Hologramm des furchtbaren Digimons, gegen das die jüngeren DigiRitter einst im Westend-Viertel gekämpft hatten, erschien. „Und zu guter Letzt noch die Luftstreitkräfte, das Vilemon-Battailon, das von einem Megadramon unterstützt wird. Ihr General ist der neue Triumvirator Takeru.“

„T.K. ist ja wirklich unglaublich in deren Reihen aufgestiegen“, murmelte Matt finster.

„Die Marine und das Vilemon-Battailon wurden zuletzt in der Nähe dieser Küstenregion gesichtet, wo sie offenbar die Festung der Dunklen zerstört haben“, fügte Meramon hinzu.

„Was?“, rief Tai und sprang auf, als die Karte erschien.

Meramon schüttelte den Kopf, bevor er irgendetwas fragen konnte. „Die Dunklen waren allem Anschein nach nicht mehr dort. Es gab keinen Widerstand, laut unseren Spionen.“

Tai ließ sich in seinen Sessel zurückfallen. Es wäre ja wohl zu schön gewesen, wenn sich ihre Feinde gegenseitig vernichtet hätten.

„Soweit die Informationen über die Scherben. Kommen wir zu den Dunklen. Sie sind Menschen, die mithilfe ihrer Geräte, den sogenannten DigiVices, die Attacken von toten Digimon kopieren und dann selbst einsetzen können. Wir konnten den Tod von einem von ihnen eindeutig feststellen.“ Ein Bild eines Menschen erschien, gehüllt in zerfetzte und blutgetränkte Myotismon-Kleidung. Der Kopf fehlte; der Hals des Dunklen ging in einen blutigen Stumpf über. Sora kniff die Augen zusammen und sah weg. Matt streichelte sie beruhigend über die Schulter.

„Das war mit Sicherheit dieser Engelsmörder“, rief Joe. „Also hat T.K. Rache an ihm genommen?“

„Oder Davis“, murmelte Matt. „Oder vielleicht auch ein Digimon.“

Das grausige Bild verschwand zum Glück gleich wieder. „Wo sich die anderen vier Dunklen befinden, ist unklar, aber im Laufe der Zeit konnten wir einige Informationen über ihre Fähigkeiten erlangen. Zuerst ihr Anführer.“ Ein Bild von Taneo erschien. „Dieser ehemalige DigiRitter hat die neuen DigiVices entwickelt und an seine Anhänger verteilt. Allerdings hat er bisher nicht selbst gekämpft, sondern das die anderen machen lassen. Daher wissen wir nicht, welche Attacken er in seinem DigiVice gespeichert hat.“ Ein Bild von Ansatsu, dem Attentäter, erschien. „Dieser hier arbeitet als Meuchelmörder und Spion. Er ist für unsere Armee keine große Gefahr, da er eigentlich nur einzelne Ziele angreift.“

„Sein Name ist Ansatsu“, erklärte Izzy mit lauter Stimme, und die Versammelten drehten die Köpfe, um ihm zuzuhören. „Er war auch in der Menschenwelt und hat versucht, alle umzubringen, die den Dunklen gefährlich werden können.“

„Kannst du uns dann etwas über seine Fähigkeiten erzählen?“, fragte Jerrymon.

Izzy schluckte, plötzlich ein wenig nervös. „Naja, er … beherrscht die Schwarze Planetenkraft von BlackWarGreymon.“

Aufgeregtes Murmeln wurde laut. „Das ist absurd!“ Rapidmon schlug mit der Kanone an seinem Arm auf den Tisch. „Das letzte BlackWarGreymon, das in der DigiWelt gesehen wurde, ist vor viereinhalb Jahren verschwunden, und selbst das war kein richtiges Digimon, sondern bestand aus schwarzen Türmen!“

„Das ist in der Tat seltsam“, sagte Matt und glich Rapidmons wütende Stimme mit seiner eisigen, vernünftigen Ruhe aus. „Er beherrscht nämlich noch eine Attacke von ihm – vermute ich. Sora, du hast erzählt, er kann drei Krallen aus seiner Hand wachsen lassen?“ Sora nickte. „Ich vermute, das ist der Drachenkiller von BlackWarGreymon.“ Rapidmon wollte etwas einwenden, aber Matt überrollte es einfach mit produktiven Informationen. „Außerdem kann er den Letzten Stich eines Stingmons einsetzen, und bei unserer letzten Begegnung konnte er sich einfach vor unseren Augen materialisieren. Wir vermuten, er hat die Fähigkeiten eines Parallelmons absorbiert.“

Die Versammlung schwieg. „Von dem Engelsmörder ist bekannt, dass er die Attacken eines Myotismons und eines Phantomons benutzte“, sagte dann Leomon. „Wir haben erfahren, dass die Dunklen, als sie in die DigiWelt kamen und die Festung des DigimonKaisers wieder in Betrieb nahmen, den Strudel der Finsternis besuchten. Zweifellos haben sie dort die Daten der gefallenen bösartigen Digimon gescannt.“

„Der Dunkle Strudel?“, rief Yolei. „Heißt das, Taneo hat dann doch die Macht der Dunkelheit in sich aufgenommen?“

„Muss nicht sein“, sagte Izzy nachdenklich. „Ken … Ich meine, der DigimonKaiser hat seinerzeit die Daten eines Devimons absorbiert, und zwar so sehr, dass er einen kompletten Arm von ihm reproduzieren konnte. Taneos Leute haben die Daten der Digimon wahrscheinlich nur auf ihre Attacken gescannt. Dass sie BlackWarGreymon dort drin gefunden haben, kann ich mir allerdings nicht vorstellen.“

„Ist doch völlig egal“, sagte Tai. „Vielleicht haben sie in irgendeiner entlegenen Einöde noch ein BlackWarGreymon gefunden. Meramon, was ist mit den anderen zwei?“

Ein Bild der jungen Frau mit dem wallenden blonden Haar erschien, der Yolei bereits begegnet war. „Wir kennen ihren Namen nicht, aber sie hat etliche Attacken in ihrem DigiVice, die Waffen wie Pistolen oder Kanonen beinhalten, so zum Beispiel den Patronentorpedo eines Beelzemons oder den Gerechtigkeitsflash eines Revolvermons.“

„Das passt“, meinte Yolei trocken. „Damals in der Menschenwelt hatte sie auch ein Scharfschützengewehr dabei.“

„Von dem letzten der Dunklen haben wir kein Bild, aber er scheint für unsere Armee am gefährlichsten zu sein.“

„Wieso das?“, fragte Tai. Ihm fiel auf, dass er bisher gar nicht gewusst hatte, dass es neben Taneo, Ansatsu, dem Engelsmörder und der Frau noch jemanden gab.

„Es heißt, er koordiniert die Streitkräfte der Dunklen, die zum größten Teil aus Maschinendigimon bestehen. Wir vermuten, dass er sie mit Computerviren oder der DigiBombe eines Datamons umprogrammiert oder die Fähigkeiten eines Hagurumons, Maschinen zu kontrollieren, einsetzt und sie sich so gefügig macht. Und er kann auch andere Digimon unter seine Kontrolle bringen, heißt es.“

Cody horchte auf. „Du meinst, damals …“ Er erinnerte sich, wie er im Nagano-Krankenhaus gegen zwei Ninjamon gekämpft hatte, von denen das eine dann plötzlich die Seiten gewechselt hatte. „Dann hat er es kontrolliert!“

„Wir wissen nicht, wie viele Digimon er gleichzeitig beherrschen kann, aber wir müssen höllisch aufpassen, sonst erwischt er am Ende noch jemanden von uns. Und damit meine ich im Speziellen Maschinendigimon“, schloss Meramon mit einem Seitenblick auf Rapidmon.

„Pah!“, rief das Digimon mit blecherner Stimme. „Ich bin ein Androidendigimon. Er wird kaum Macht über mich haben.“

„Da wäre ich mir nicht so sicher“, sagte Joe. „Als wir … gegen den Engelsmörder gekämpft haben, ist ihm ein Rapidmon zu Hilfe gekommen. Das hat wohl auch dieser eine Dunkle gesteuert.“

„Willst du damit sagen, ich bin ein Verräter?“ Rapidmon richtete angriffslustig seine Kanonen auf Joe.

„Äh, nein, nein, natürlich nicht“, beeilte er sich zu versichern und wurde blass um die Nasenspitze. Wie um alles in der Welt kam Rapidmon auf so etwas? Seine Schaltkreise schienen irgendeinen Gedankengang gemacht zu haben, den er nicht nachvollziehen konnte.

„Ein Grund mehr, wachsam zu bleiben“, sagte Leomon, während Meramon zurücktrat. „Nun werden wir besprechen, was wir als nächstes tun sollen.“

„Ich bin immer noch dafür, dass wir als allererstes die Stadt des Ewigen Anfangs zurückerobern“, sagte Jerrymon. „Sie ist schon viel zu lang unter dem Joch der Scherben. LordMagnaAngemon hat sich immer quergestellt; ich hoffe, dass du die Idee besser findest, Leomon.“

„Es stimmt schon, dass die Stadt von den Albtraumsoldaten besetzt wird und ihre Brutstätte geworden ist“, sagte Monzaemon, das große Teddybärendigimon, das am anderen Ende der Tafel Tai gegenüber saß. „Auch, dass sie alle anderen Digimon töten, ist bekannt. Aber ich denke, die Stadt an sich ist nicht so wichtig. Bis ihre ausgeschlüpften Digimon weit genug digitiert sind, um zu kämpfen, wird es lange dauern. Wenn wir die Scherben jetzt direkt angreifen und vernichten, ist es nur eine Frage der Zeit, bis uns auch die Stadt wieder gehört. Aber wenn wir unsere Kräfte darauf verwenden, die Stadt des Ewigen Anfangs zu befreien, müssen wir sie auch verteidigen und dann dauert es für uns genauso lange, bis unsere gefallenen Kameraden zurückkehren. Nein, ich finde, das rentiert sich nicht.“

„Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ Tai stand so wütend auf, dass sein Sessel umflog, und drosch mit beiden Fäusten auf den Tisch ein. „So einer wie du will bei der DigiAllianz sein? Es ist doch völlig gleichgültig, ob wir einen Vorteil davon haben oder nicht! Die Scherben töten frisch geschlüpfte Digimon! Ob sie nun wiedergeboren werden oder nicht – wie könnt ihr nur tatenlos dabei zusehen?“

Der Raum hüllte sich in betretenes Schweigen. Selbst Monzaemon schien nun nachdenklich. Tai war aber noch nicht fertig. „Könnt ihr wirklich frohen Mutes auf das Schlachtfeld spazieren, ohne zu wissen, dass es Hoffnung für eure Freunde gibt, wenn sie sterben? Was ist nur los mit euch?“ Er senkte die Stimme. „Wollt ihr mir weismachen, dass wir, die Menschen, von denen ihr glaubt, dass sie euch so viel Leid antun, uns mehr um eure Babys sorgen als ihr selbst?“

„Das ist eine Unverschämtheit!“, brauste Rapidmon auf.

„Ganz ruhig“, sagte Jerrymon.

„Ich finde, er hat recht“, sprang Andromon Tai in seiner mechanisch-monotonen Stimme bei.

Leomon nickte. „Seid ihr alle dieser Ansicht, DigiRitter?“

Sie nickten unisono.

„Dann habt ihr euch wirklich nicht verändert.“ Leomon erhob nun die Stimme. „Was diese Menschen sagen, ist vielleicht eine dreiste Behauptung, aber nun ist es an uns, diese Behauptung zu widerlegen. Die DigiEier und Baby-Digimon dürfen nicht länger unter den Albtraumsoldaten leiden. Darum werden wir Vorbereitungen treffen, die Stadt des Ewigen Anfangs zu befreien. Wer nicht dafür ist, soll jetzt sprechen.“

Leomon hatte offenbar wirklich enorm viel Einfluss und die anderen hatten Respekt vor ihm. Selbst Rapidmon ließ schließlich ergeben die Arme sinken. Das Löwendigimon nickte erneut. „Dann ist es entschieden.“
 

Als Tai nach der Sitzung völlig erschöpft in sein Zimmer zurückging, war er nicht überrascht, als er Mimi auf seiner Pritsche sitzend vorfand. Sie war in den letzten Tagen regelmäßig abends bei ihm vorbeigekommen. Sie hatten geredet, über ihre Schmerzen, Sorgen und Albträume, und das Leid gegenseitig gemildert, oder sie waren auch nur stumm nebeneinander gesessen.

Tai warf einen Blick über die Schulter. Agumon war ihm nicht gefolgt, sondern trainierte noch mit anderen Rookie-Digimon auf dem Hauptplatz. Er schloss die Tür. „Hey“, sagte er und setzte sich neben Mimi auf seinen mittlerweile angestammten Platz.

„Hey.“ Mimi hatte die Hände um die Bettkante geschlossen und wippte mit den Zehen, die gerade nicht den Boden erreichten, weil die Pritsche eher für Digimon von Ogremons Größe montiert war. „Wie ist es gelaufen?“

„Ganz gut. Ich hab mich bei Rapidmon unbeliebt gemacht.“

„Aha.“

Tai bemühte sich um ein Lächeln. „Aber ich habe gute Neuigkeiten. Wir werden Palmon zurückholen.“

„Wirklich?“ Mimis Augen leuchteten, aber es war ein vorsichtiges Leuchten. „Ich … ich dachte, die Scherben haben die Stadt des Ewigen Anfangs besetzt …?“, flüsterte sie.

„Ja, aber wir werden sie befreien.“ Er verschwieg es sogar vor sich selbst, dass er sich nur ihretwegen so für den Plan eingesetzt hatte. Dass er den Mut aufgebracht hat, sich und seine Freunde mit seinen Worten zum erklärten Hassobjekt der Allianz-Anführer zu machen, und das alles ihretwegen. Um Mimi wieder mit Palmon zu vereinen. Um Mimi wieder lächeln zu sehen. Er packte sie an die Schultern und sah ihr eindringlich in die Augen. „Mimi, nun freu dich doch! Du wirst Palmon wiedersehen! Wir werden die Stadt einnehmen und es wird aus einem DigiEi schlüpfen, und dann werdet ihr wieder zusammensein, für immer!“

Mimi sah ihn immer noch aus großen Augen an, rührte sich nicht in seiner Umklammerung. Sie bewegte die Lippen, brachte aber keinen Ton heraus. Tränen traten in ihre Augen. „Ach, Tai … Warum …“

Er sah sie fragend an.

Die Tränen liefen über ihre Wangen. „Wie kannst du so voller Freude sein … Kari wird nie wieder zurückkommen … Und du freust dich über mein Palmon …“

Tai fühlte sich bestürzt. Würde sie etwa auch nicht froh sein, solange er noch trauerte? „Mimi“, murmelte er. Erst zögerte er, dann wischte er mit dem Finger ihre Tränen fort. „Wenigstens du sollst wieder lachen können. Du sollst wieder wie früher werden, vor diesem ganzen Abenteuer. Also lächle wieder, bitte!“

Mimi brachte tatsächlich so etwas wie ein zaghaftes, verwischtes Lächeln zustande. Dann warf sie sich Tai entgegen und drückte ihm ihre Lippen auf den Mund.

Zunächst war er überrascht, dann schloss er die Arme um sie und drückte sie fest. Ihr Körper war warm und so zart wie eine Blume. Ihre Lippen schmeckten salzig von ihren Tränen.

Schließlich löste sich Mimi etwas verlegen von ihm. Eine merkbare Röte legte sich auf ihre Wangen. „Es … tut mir leid“, sagte sie. Ihr Herz hämmerte wie wild. Sie hatte es getan! Sie hatte ihn geküsst! Und als sie es getan hatte, dachte sie, ihr Herz würde schmelzen, einfach zu schlagen aufhören, um schließlich die Zeit selbst anzuhalten, aber nun raste es wie verrückt in ihrer Brust. Sie tastete mit ihren Fingern nach ihren Lippen. „Es hat mich irgendwie einfach überkommen … Wahrscheinlich, weil ich einen Moment lang so … so glücklich war …“ Etwas schnürte ihr den Hals zu.

Er sah sie immer noch erstaunt an, dann lächelte er. „Willst du dich etwa dafür entschuldigen?“ Für einen Moment war er wieder der Alte, wie sie erlöst feststellte. Vielleicht hatte nicht nur sie diesen Kuss gebraucht.

Sie legte den Kopf auf seine Schulter. „Nein, natürlich nicht. Ich bin froh, dass ich es getan habe.“ Ihr Herz pumpte wie wahnsinnig weiter. Sollte sie etwa in Tai … Ja oder nein? Sie war sich deswegen nie sicher gewesen. Natürlich, sie hatte ihn früher mal recht gern gehabt; als sie in die Vereinigten Staaten gezogen war, hatte sie ihm oft Briefe geschrieben, die sie den anderen nicht geschrieben hatte, aber die Entfernung hatte eventuelle Gefühle schnell abflauen lassen. Vielleicht fühlte sie sich auch nur mit ihm verbunden, weil sie beide jemanden verloren hatten und deshalb ihre gegenseitigen Gefühle viel besser verstanden … Aber war es dann überhaupt Liebe?

Liebe blüht auch in der dunkelsten Einöde … und ihre Blüten sind dort am allerschönsten“, murmelte sie eine Zeile eines Gedichts, das sie mal gelesen hatte und das ihr nun wieder einfiel.

„Hast du was gesagt?“, fragte Tai.

„Ach nichts.“ Seufzend schloss sie die Augen. Sie wollte nicht darüber nachgrübeln. Vielleicht würden sie auch nur wieder die Freunde sein, die sie vorher waren, wenn sie erst Palmon wiederhatte. Aber für den Augenblick tat es unglaublich gut, ihm nahe zu sein.

With all our Might and Glory

Stadt des Ewigen Anfangs, DigiWelt

Samstag, 1. September 2007

8:57 Uhr
 

Schwere Wolken bedeckten den Himmel und ließen Regen erwarten. Es war beinahe so dunkel wie bei Nacht. In den Wäldern vor der Stadt des Ewigen Anfangs sammelten sich die Truppen, die die DigiAllianz zur Befreiung der Stadt entsendet hatte. Es waren nicht sehr viele, damit die Scherben nicht zu früh auf sie aufmerksam wurden.

Die Anführer der verschiedenen Regimenter versammelten sich um Leomon, ehe der Angriff begann. „Die Stadt ist von einer großen Steinkuppel überdeckt, die von vier Säulen gehalten wird“, erklärte das Löwendigimon knapp. „Dort drin halten sich relativ schwache Digimon auf, DemiDevimon und Vilemon, die die DigiBabys aufziehen und aussortieren. Es muss aber noch eine Art Oberaufseher oder einen Gouverneur geben, der das Kommando über die Stadt hat. Wir wissen allerdings nicht, wer es ist.“

„Dann ist es am besten, wenn wir das schnellstens herausfinden“, sagte Tai. „Das sollte auch unser Motto für heute sein: So schnell wie möglich. Die Scherben dürfen gar nicht merken, dass wir die Stadt zurückerobern.“

„Eines dürfen wir auch nicht vergessen“, gab Matt zu bedenken. „Ich weiß, dass es uns allen schwer fallen wird, aber der Feind wird wahrscheinlich versuchen, die DigiEier als Schutzschild zu benutzen. Trotzdem müssen wir mit unverminderter Härte kämpfen.“

Die anderen nickten. „Besser ein paar zerstörte Eier jetzt, als dass sie bis zum Ende des Krieges Digimon-Babys töten“, murmelte Tai bitter.

Das Funkgerät in seiner Hand krächzte und Codys Stimme ertönte. „Unter Wasser ist alles klar. Sie haben hier keinerlei Wachposten.“

Leomon hatte den DigiRittern auf der Herreise eröffnet, dass sie einen alten Unterschlupf der Dunklen gefunden hatten, in dem sie Funkgeräte und andere nützliche Dinge entdeckt hatten. Sogar ein leistungsfähiger Laptop für Izzy war dabei gewesen, den er in kürzester Zeit benutzbar gemacht hatte. Aus irgendeinem Grund schienen die Digimon die Verwendung dieser Geräte abzulehnen, aber für die Menschen waren sie nützlich.

Cody bildete mit Submarinemon und einigen fischartigen Coelamon den Spähtrupp ihres Marineregiments. Sie durchtauchten den See, der ganz in der Nähe lag, um der Allianz auch diesen Weg zu erschließen. Es war relativ schwül, leichter, weißer Nebel lag über der Wasseroberfläche und würde ihnen gut zu Diensten sein.

„In Ordnung, Cody“, sagte Tai. „Dann schwimmt zurück zu den anderen und beginnt mit dem Angriff.“

„Dann legen wir also auch los.“ Matt, der bisher mit verschränkten Armen an einem Baum gelehnt hatte, stieß sich davon ab und wandte sich zu WereGarurumon um.

Leomon zog sein Schwert. „Vergesst die Strategie nicht“, schärfte es den anderen ein. „Angriff!“, brüllte es schließlich mit trommelfellzerfetzender Lautstärke.

Sofort sausten die Sturmtruppen der DigiAllianz los, zu denen auch WarGreymon, WereGarurumon und Yolei auf dem Rücken von Halsemon gehörten. Die Digimon hatten diese Digitationsformen gewählt, um möglichst präzise und schnell angreifen zu können. WarGreymon würde seine Planetenkraft nicht einsetzen, da es sonst unter Umständen die Stadt endgültig zerstören könnte.

Während Tai und Matt ihren Digimon hinterherliefen, tauchten die Sturmtruppen bereits unter der Kante der Kuppel hindurch ins Innere der Stadt. Rapidmon war als erstes im feindlichen Gebiet. Eine Horde schnellbeiniger, affenähnlicher Apemon stürmte unter lautem Gekreische hinterher.

Man hörte das Krachen und Zischen von Attacken, dann das Schnellfeuer von Rapidmon und laute Rufe. Ein Kreischen von Metall auf Stein ertönte, dann fraß sich WarGreymons Megakralle durch die Spitze der Kuppel. Stein und Staub bröselte herab. Sofort erhob sich ein Schwarm Vilemon und DemiDevimon aus der Öffnung und versuchte, die zur Stadt stürmenden Digimon von oben aufzuhalten.

Das war das Zeichen des Allianzgeschwaders. Aus den Bäumen ringsum ertönten Klickgeräusch und lauten Surren, dann schnellten Snimon, Kuwagamon und sogar zwei viel größere Okuwamon aus dem Geäst hervor, und dahinter durchbrach der riesige Körper von Garudamon die Baumwipfel. „Los, Garudamon!“, feuerte Sora von einem Ast aus ihr Digimon an, dessen Flügelklinge infernalisch heiß durch die Reihen die Reihen der geflügelten Gegner schnitt. Gleich darauf schnellten die Insektendigimon in die dunkle Wolke der Scherben und schnitten, schlugen und bissen die feindlichen Digimon zu Datenstaub.

Als Tai und Matt unter dem Rand der Kuppel hindurchliefen, blieben ihnen nur Sekunden, um sich zu orientieren. Wirres Geflatter verdeckte fast den Blick auf die ausgegrauten Spielzeuge und Kissen der Stadt. In der Mitte war eine kleine Hütte aus Holz errichtet worden, und weit oben, unterhalb der Kuppel, klebten hölzerne Verstrebungen, auf denen Nester wie Ausschlag prangten.

Rapidmon feuerte blitzschnell seine Rapidfeuer-Raketen auf die Nester und die flatternden Vilemon gleichermaßen. WarGreymon wehrte mit bloßen Klauen Giftpfeile von DemiDevimon ab und stieß hier und da nach seinen Gegnern, hielt sich aber eher zurück, während WereGarurumon oben in den Verstrebungen herumturnte und Fledermaus um Fledermaus mit seiner Wolfskralle zerschlitzte oder mit einem sauberen Garuru-Kick aus dem Weg katapultierte.

Yolei und Halsemon landeten neben Tai und Matt. „Alles klar, jetzt!“, rief das Mädchen. Halsemon digitierte zu Hawkmon zurück und ein roter Lichtstrahl zappte von ihm in Yoleis DigiVice, das sie hochielt, während sie so ausgelassen wie in alten Tagen rief: „DigiArmorEi der Aufrichtigkeit, erstrahle!“ Hawkmon wurde erneut von Licht umfangen und stand kurz darauf als Shurimon vor ihnen. Auf langen, an Weinranken erinnernden Beinen sprang es auf dem Schlachtfeld hin und her und löschte die herumflatternden Scherben mit perfekt gezielten Wurfsternen aus.

Nun erreichte auch der Haupttrupp das Innere der Kuppel. Meramon, Ogremon und eine Horde Kokatorimon und Rockmon drängten sich Matt, Tai und Yolei vorbei. Erregt lachend schlug das grünhäutige Oger-Digimon auf alles ein, was sich ihm bis auf Armeslänge näherte. Auch Leomon war auf einmal neben den DigiRittern. „Sie werden sich bald wieder formiert haben“, sagte es.

In dem Moment gaben die vier Säulen ein ohrenbetäubendes Knirschen von sich, während immer noch weitere Digimon hereinströmten. Matt fuhr herum und sah, wie die Säulen langsam wegknickten – ein Abwehrmechanismus, der die Kuppel senken und die Stadt vor Angreifern schützen sollte. Auch wenn die Feinde ihn zu spät aktiviert hatten, konnten sie ihre Armee damit in zwei Hälften teilen, und das war nicht gut.

Aber Izzy, den Leomon kurzerhand zu Jerrymon in den strategischen Stab abkommandiert hatte, hatte das kommen sehen und eine Gegenstrategie entwickelt. Ohne ein Stichwort zu benötigen, stampften die Rockmon unter den sich senkenden Kuppelrand, acht an der Zahl, und ließen das tonnenschwere Bauwerk auf ihre mächtigen Schultern sinken. So entstanden acht neue, lebendige Säulen, die die Kuppel ebenso gut trugen.
 

„Cody, wo bleiben die Seestreitkräfte?“, blaffte Tai ungeduldig aus den Kopfhörern von Codys Headset. Er und Armadillomon tauchten kurz vor dem Strand auf.

„Sind schon unterwegs, bleib cool.“ Die Coelamon, Octomon und Crabmon kämpften sich eben an Land, aber wie die meisten Wasserdigimon waren sie dort schwerfällig und es würde eine Weile dauern, bis sie die Stadt erreichten.

„Das geht viel zu langsam!“, versuchte Tai den Lärm der Schlacht zu überbrüllen. „Wir müssen jetzt auch von der anderen Seite angreifen, sonst formieren sich die Vilemon und wir bekommen wieder ihre Attacken zu spüren!“

„Wenn’s nicht schneller geht, dann geht’s eben nicht schneller!“ Auch Cody wurde nun laut. „Sie tun, was sie können!“

Tai murmelte irgendetwas, das er nicht verstand, dann hörte Cody, wie er jemanden neben sich, wahrscheinlich Matt, anfuhr: „Und wo bleibt Joe, verdammt?“

Mit finsterem Blick stellte Cody das Headset-Mikro auf stumm. „Was hat er denn heute? Er ist total ungeduldig und übereifrig.“

„Naja, er will diese Schlacht einfach um jeden Preis gewinnen“, sagte Submarinemon, während um sie herum die letzten Digimon an Land krochen. Sie selbst würden mit den Spähern im Wasser blieben, um ihnen den Rücken freizuhalten.

„Ja, das wollen wir alle, aber muss er mich deswegen gleich so anfahren?“

„Cody“, sagte Submarinemon sanft. „Du solltest ihm das nicht übel nehmen. Diesen Kampf kämpft er schließlich nicht für sich selbst.“

Darüber musste Cody erst eine Weile nachdenken, ehe ihm einfiel, wie auffallend oft Mimi Tai in letzter Zeit in seinem Zimmer besucht hatte. „Verstehe“, murmelte er.
 

Verschwitzt und mit rotem Kopf und Gomamon in den Armen, tauchte Joe neben ihnen auf. „Entschuldigt“, rief er keuchend. „Ich bin gestolpert und dann nicht an den Minotarumon vorbeigekommen …“

„Heb dir deine Entschuldigung für ein andermal auf!“ Tai zeigte auf die Spitze der Kuppel, wo die Vilemon und DemiDevimon sich, außer Reichweite der meisten Allianzdigimon, zusammengerottet hatten und eine geordnete Schlachtformation in der Luft bildeten. „Sieh zu, dass Gomamon seinen Platz einnimmt.“

Joe ließ Gomamon zu Boden springen und sofort digitierte es zu Ikkakumon. „Gebt Ikkakumon Deckung!“, befahl Leomon, und die Apemon sprangen herbei und wehrten mit ihren Knochenkeulen die Giftspritzen ab, die ein paar Demidevimon auf das neu hinzugekommene Digimon schleuderten. Schon digitierte Ikkakumon noch einmal und wurde zu dem riesigen Tsudomon, das mit seinem massigen Körper gerade noch Platz unter der Kuppel hatte.

Einen Moment später regenete es Albtraumschock-Strahlen und Giftpfeile von der oberen Hälfte der Kuppel herab, eine Wolke aus finsteren Energiestößen und im Licht der überall ausgebrochenen Feuer aufblitzenden Spritzen mit grinsenden Fratzen darauf. Tsudomon bückte sich und schob mit seinen kräftigen Armen die meisten Allianzdigimon, die es erreichen konnte, unter sich. Die Energieblitze und die giftigen Nadeln prallten wirkungslos an seinem stacheligen grünen Panzer ab.

Nun endlich krochen auf der anderen Seite der Kuppel die Meeresdigimon heran. „Fossilbitz!“ Ein kollektiver Hagel aus glühenden Krallen der Coelamon fuhr unter den Fledermausschwarm unter der Kuppel, durchdrungen von einzelnen Tintenschüssen der Octomon, die das Gefieder der Albtraumsoldaten verklebten und sie abstürzen ließen. Auch die anderen Allianzdigimon griffen nun wieder an. Meramon schoss Feuerkugeln aus seiner Faust in die Höhe und die Kokatorimon versteinerten die umherflatternden Vilemon, die abstürzten und als unfreiwillige Geschosse noch ein paar DemiDevimon erschlugen. Die Luft war voller Rauch, Lärm, Gekreische und umherfliegenden Datenmengen. Yolei fühlte eine leichte Panik in ihr hochkriechen, als sie das sah. Sie hatte schon früher Digimon sterben sehen, aber nie so viele auf einmal. Teilweise konnte man gar nichts mehr sehen, weil die funkelnden Fragmente der gestorbenen Digimon die Sicht trübten. Sie hatte zitternd die Finger ineinander verschränkt und drückte sie so fest zusammen, dass es wehtat. Da spürte sie, wie Leomon ihr beruhigend seine mächtige Pranke auf die Schulter legte.

„Hab keine Angst“, sagte es mit seiner samtenen Stimme. „Es wird nicht mehr lange dauern.“

„Sieht doch ganz gut aus“, sagte Tai soeben zufrieden, und mit diesen Worten schien er die Katastrophe heraufzubeschwören.

Die hölzerne Hütte in der Mitte der Stadt, der die Digimon bisher kaum Beachtung geschenkt hatten, zerbarst in einem Knall und etwas Großes, Langes schlängelte sich in die Luft. Yolei starrte auf die Digimon, die aus dem Gebäude und dem Höhleneingang, der darunter sichtbar wurde, herauskamen. Sie erhaschte einen Eindruck von Flügeln und schwarzem Fell, dann tauchten die Schatten aus der Rauchwolke und Yolei erkannte sie. Es war ein Aidramon, wie das, auf dem Ken früher oft geritten war, nur war dieses hier schwarz. Und nicht Ken saß zwischen den knochenartigen Hörnern, sondern ein ebenso finsteres Digimon, das auf den ersten Blick wie ein zu klein geratenes Monzaemon aussah: Teddybärenvisage, Nähte, die die Arme und Beine aus Stoff am Körper hielten, und die gleichen lustigen Stummelbeine. Allerdings glühten die Augen des Digimons blutrot und sein linker Arm endete in einer krallenbewehrten Hand. Es schrie irgendeinen Befehl, den Yolei nicht verstand, aber sie war sich sicher, dass dies der Herr über der Stadt war – und wahrscheinlich der stärkste Feind auf diesem Schlachtfeld.

„Es ist ein WaruMonazemon!“, schrie Tai. „WarGreymon! Schnapp es dir!“

WarGreymon ließ von seinen Feinden unter der Kuppeldecke ab und drehte sich um seine eigene Achse, schoss in einer pfeilschnellen Pirouette auf das Airdramon herab. WaruMonzaemon riss an den Zügeln, die dem Drachendigimon angelegt waren, und Airdramon schlängelte sich wie Rauch an dem tödlichen Kreisel vorbei. WarGreymon stieß in den Boden, eine Wolke aus Staub und zerfetztem Stoff von den Kissen und Decken der Stadt des Ewigen Anfangs wirbelte auf. WaruMonzaemon ließ ein Brüllen hören und winkte hektisch mit den Armen. Die Hälfte der Vilemon und DemiDevimon hörten damit auf, Attacken auf Zudomons Rückenpanzer prasseln zu lassen, und nahm stattdessen die Verstärkung vom See aufs Korn. Die Coelamon, Crabmon und Octomon kreischten, brüllten oder schrien auf und versuchten dem Energiegewitter zu entkommen, aber sie waren an Land zu träge. Hilflos mussten die DigiRitter mitansehen, wie sich ein Meeresdigimon ums andere in Datenwirbeln auflöste. Ein Octomon wurde von einem Stakkato aus Albtraumschocks umgeworfen; ein Coelamon brach zusammen, ein Dutzend Giftspritzen im weichen Rückenfleisch.

„Marineregiment, Rückzug!“, erscholl Leomons Stimme über dem Schlachtenlärm. „Zurück ins Wasser!“

Immer noch im Hagel der anderen Digimon gefangen, konnten die DigiRitter kaum etwas tun, obwohl Shurimon, WereGarurumon, Rapidmon und einige andere die Fledermäuse aus dem Himmel pflückten wie reife Äpfel. Die Meeresdigimon drängten sich rückwärts zum Kuppelrand zurück, als WaruMonzaemon sein Aidramon knapp über dem Boden lenkte und pfeilschnell an einem der Rockmon-Stützpfeiler vorbeischoss. Seine Kralle zog einen Schweif aus Gesteinsmehl und Datenfragmenten hinter sich her, als sie das Rockmon mittendurch zerteilte. Mit einem dröhnenden Röhren löste es sich endgültig auf und die Kuppel sackte an der Stelle tiefer. Ohne auch nur innezuhalten, flog Aidramon weiter zum nächsten Rockmon.

„Es versucht, ihnen den Rückweg abzuschneiden“, brachte Tai atemlos hervor und fuchtelte in Richtung der Meeresdigimon.

„Überlasst es mir!“, donnerte eine Stimme von oben. Rapidmon erschien wie ein grüner Blitz neben Warumonzaemon und hielt mit Aidramons Geschwindigkeit mit. Es richtete seine Kanonen auf das Teddybärendigimon, das in einer scheußlichen Grimasse sein von Schnüren zusammengehaltenes Maul aufriss – und Rapidmon wurde von einem Feuerball aus Airdramons Rachen erwischt, der es quer über das Schlachtfeld schleuderte und gegen die gegenüberliegende Kuppelwand prallen ließ.

„Dieser Idiot!“ Tai riss sich sein Stirnband vom Kopf und trat darauf. „WarGreymon!“

Sein Digimon-Partner versuchte soeben mit seinem Rückenschild den Rückzug der Meeresdigimon gegen den Attackenhagel zu schützen. Das typische, bröselnde Geräusch eines sterbenden Digimons zeigte den Tod eines weiteren Rockmons an. Die Kuppel neigte sich gefährlich. „Hey! WarGreymon! Wir brauchen dich hier!“

Matt packte Tai hart am Arm. „Ruhig. Wir werden auch ohne es mit ihm fertig.“ So ruhig und sachlich, wie Tai es nie gekonnt hatte, zückte er sein Funkgerät und kontaktierte Izzy. „Wir haben ein Problem. Die Säulen haben wir durch Rockmon ersetzt, aber ein WaruMonzaemon zerstört sie, und es ist hier zu viel los, als dass wir es aufhalten könnten. Wenn die Kuppel runterbricht, ist unsere Marine erledigt und wir sind hier drin gefangen; oben kommen wir kaum raus. Hast du eine Idee?“
 

Izzy wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die taktische Einheit hatte auf einem Hügel unweit des Geschehens Stellung bezogen und erhielt von etlichen Kiwimon laufend Informationen über den Kampf. Es war hektisch genug, mit allem Schritt zu halten, und eigentlich hatte Izzy gehofft, dass alles nach Plan lief und sie nicht weiter gebraucht wurden. Aber nun galt es, die Zahnräder in seinem Kopf zum Glühen zu bringen.

„Ich könnte selbst zum Schlachtfeld und die Kuppel stützen“, schlug Jerrymon vor.

„Das dauert doch viel zu lange!“, rief das dürre, alienartige Vademon, ein weiteres Mitglied des Taktischen Stabs, mit schriller Eunuchenstimme.

Izzy vergrub sein Kinn in der Handfläche und grübelte. „Ich hab’s!“, rief er. „Matt, habt ihr noch Kokatorimon übrig?“

„Jede Menge“, krächzte Matts Stimme aus dem Walkie-Talkie.

„Dann hör mir genau zu!“
 

Matt nickte, lauschte und rief dann mit lauter Stimme den Digimon zu, was sie machen sollten. Die Apemon zögerten erst, doch Leomon trat entschlossen vor und nickte. Dann liefen sie los.

Matt sah, wie Tai ihn angrinste. „Was?“, fragte er.

„Dass du so eine laute Stimme hast, mein Freund …“, sagte Tai. „Und sie hat extra melodisch geklungen. Ist das deine Sängerstimme?“

Matt antwortete nicht. Sie hatten mittlerweile nur noch drei Rockmon, die die Kuppel in der Nähe der Marine stützten. Hinter Zudomons Rücken war die Steinwand längst zu Boden gekracht. Die Apemon hoppelten zwischen den Angriffen der Vilemon und DemiDevimon hindurch und stemmten nun selbst den Kuppelrand in die Höhe. Ihre Arme zitterten vor Anstrengung, und mehr als eines wurde von den Albtraumschocks der Vielmon erledigt, kaum dass es stillstand. „Jetzt!“, schrie Matt. Er fühlte sich tatsächlich ein wenig wie auf einem Konzert. Alles war laut, und er musste es übertönen. Nur dass das da vorne keine hysterischen Fans waren, sondern die Digimon, über deren Leben er entschied. Und es war kein begeistertes Kreischen, das er hörte, sondern Schreie des Todes.

Die Kokatorimon bauten sich in einer Linie auf. „Versteinerungsblitz!“ Grüne Blitze schossen aus den Augen und Schnäbeln der Digimon und trafen die Apemon, ließen ihre Haut ergrauen und zu festem Stein werden, verwachsend mit Boden und Kuppel – zwei Dutzend neuer Steinsäulen, die sie stützten.

Nur wenige Augenblick später vernichtete WaruMonzaemons Kralle die letzten verbleibenden Rockmon. Die Kuppel sackte noch einmal mit einem gefährlichen Knirschen nach unten, aber die steinerne Apemon-Reihe hielt sie an einer Seite ein Stück weit geöffnet. Die Coelamon, Crabmon und Octomon, die noch übrig waren, schlüpften durch den Spalt ins Freie und somit in Sicherheit, während WaruMonzaemon und Aidramon ihren vernichtenden Rundflug ein zweites Mal begannen. WarGreymon setzte seinen Schild zurück auf seinen Rücken und erwartete sie grimmig, und als Shurimon und Rapidmon das Airdramon attackierten und ein weiteres Mal seine exzellenten Ausweichmanöver herausforderten, begann WarGreymon sich wieder um seine Achse zu drehen. „Megakralle!

Das Airdramon versuchte den begonnenen Looping fortzusetzen, aber diesmal waren seine Bewegungen so ineinander verschlängelt, dass sie vorhersehbar waren. WarGreymons Megakralle shredderte durch das Maul des Drachendigimons, ehe es irgendwo am Bauch des Schlangenkörpers wieder hervortrat, und das Airdramon zerbarst in einem Datenwirbel.

WaruMonzaemon schlug einen Salto in der Luft, den man seinem stämmigen Körper gar nicht zutraute, und landete mit wehendem Umhang auf den Beinen, wo es sich WereGarurumon gegenübersah.

„Was für hartnäckige Freunde die DigiAllianz doch gefunden hat“, sagte es und kniff grimmig ein Auge zu einem glühenden Schlitz zusammen. Seine Stimme klang rau und abstoßend. „Aber ich werde euch schon noch die Macht eines wahren Albtraumsoldaten demonstrieren. Bärenkralle!

Es hieb blitzschnell nach WereGarurumon, das jedoch noch schneller war. Mit einem anmutigen Kick trat es WaruMonzaemons Arm zur Seite. „Jetzt bin ich dran. Wolfskralle!“ WereGarurumons blutrote Krallen zogen helle Linien im Zwielicht nach sich und zerteilten das Teddybärendigimon der Länge nach.

„Super!“, rief Tai und sah nach oben. Der Tod ihres Anführers hatte den Kampfgeist der Vilemon und DemiDevimon endgültig gebrochen. Sie stoben auseinander und quollen durch das Loch in der Kuppeldecke wie Rauch durch einen Schornstein.
 

„Da kommen noch mehr!“, meldete ein Okuwamon mit seiner merkwürdigen Insektenstimme. Sora sah von ihrem Aussichtspunkt aus, wie ein ganzer Schwarm Fledermausdigimon aus der Kuppel stieg, allerdings nicht, um das Insektengeschwader und Garudamon anzugreifen, sondern allem Anschein nach, um zu fliehen.

„Ihnen nach!“, kommandierte das zweite Okuwamon und die Kuwagamon und Snimon folgten ihm, um die fliehenden Fledermäuse zur Strecke zu bringen.

„Aber … Sie fliehen doch, müssen wir sie wirklich …“, murmelte Sora, mehr zu sich selbst.

Garudamon tauchte aus der Luft zu ihr hinab. „Wenn sie entkommen, werden sie die Hauptarmee benachrichtigen. Ich vermute, sie wollen das verhindern.“

Sora war sich da nicht so sicher. Der Anblick, wie die zangenbewehrten Käfer die viel kleineren Digimon aus der Luft und aus dem Leben rissen, war so grausam und bestialisch, dass sie sich für einen kurzen Momen sogar fragte, ob sie auf der richtigen Seite stand. Aber sie musste hart bleiben. Sie fochten diesen Kampf, eben weil sie wollten, dass die Digimon in Frieden wiedergeboren werden konnten.
 

Das Marineregiment hatte hohe Verluste zu beklagen; mehr als die Hälfte aller Meeresdigimon war getötet worden, und dafür gaben sich Tai, Matt und Izzy selbst die Schuld, weil sie zugestimmt hatten, sie mitkämpfen zu lassen. Der andere Teil der Armee war jedoch in erfreulich gutem Zustand. Die Stadt des Ewigen Anfangs war komplett von feindlichen Digimon gesäubert worden.

Nachdem alle die Kuppel verlassen hatten, lösten die Kokatorimon die Versteinerung der Apemon auf. Die Affendigimon sprangen auf Kommando zurück und ließen die Kuppel endgültig zu Boden wummern. Dann bohrte Digmon einen einfachen Zugang, und somit hatten sie sogar eine wirkungsvolle Mauer gegen weitere Angriffe.

Anschließend betraten die DigiRitter, Leomon und Jerrymon und einige andere die Stadt wieder, um sich die Zerstörung anzusehen. Viele DigiEier waren vernichtet worden, aber mindestens genausoviele lagen noch auf ihren Kissen oder am Boden, waren wie in einer eigenen Selbstverteidigungsstrategie zu den Rändern der Stadt zu kleinen Haufen zusammengekullert. Es wäre viel katastrophaler ausgefallen, hätten sich die Angriffe der Allianz nicht vornehmlich auf die Kuppeldecke beschränkt.

Sora seufzte. „Jetzt wird ihnen niemand mehr etwas tun.“

„Aber wir dürfen die Stadt nicht unbewacht lassen“, sagte Jerrymon. „Wir werden Truppen aus unserer Armee abziehen und hier stationieren müssen.“

„Trotzdem, ich glaube, das war es wert“, sagte Tai und sah sich um.

Und dann durchbrach zum ersten Mal an diesem Tag die Sonne die Wolkendecke und sandte ihre warmen Strahlen durch das Loch in der Kuppeldecke, und ein Wunder geschah. Gestreichelt von dem sanften Licht, begannen sich die DigiEier zu regen, pulsierten von innen heraus, wackelten, und brachen schließlich auf. Ein Digimon nach dem anderen kämpfte sich aus seiner Schale, als hätten sie nur auf das Ende ihres Jochs gewartet. Schließlich erfüllte ein ganzer Chor von quietschenden, vergnügten Baby-Rufen die Stadt des Ewigen Anfangs, während Botamon, Punimon, Yuramon und Poyomon zwischen den Eierschalen umherwuselten, mit den Schalen spielten oder einfach so auf den rußgeschwärzten Decken herumrollten und –sprangen. Auch sie waren eine Armee – eine Armee der Hoffnung für eine neue Zukunft der DigiWelt.

„Na toll, jetzt müssen wir noch mehr Digimon abkommandieren, zum Babysitten“, seufzte Tai. Die anderen lachten.
 

Vor der Stadt des Ewigen Anfangs, DigiWelt

Samstag, 1. September 2007

21:41 Uhr
 

Um ihren Sieg, den ersten seit langem, zu feiern, entfachte die DigiAllianz auf einer nahen Waldlichtung ein großes Lagerfeuer. Ausgelassen saßen die Digimon darum herum. Gekomon gaben ihre zweifelhaften Musiktalente von sich, während Woodmon auf ihren Baumstammleibern den Takt dazutrommelten, und Floramon tanzten anmutig um das Feuer im Kreis. Die DigiRitter ließen sich von den anderen natürlich zum Festmahl überreden, es gab getrocknetes Obst und gebratenes Fleisch, dazu schaumige Suppe und starken Reisschnaps; nichts Besonderes, aber das dafür reichlich. Ogremons betrunkenes Grölen übertönte die anderen, und als es sich eine Schale Suppe in den Rachen schütten wollte, ging die Hälfte daneben. Sein Husten ging wieder in ein Lachen über, und als Meramon neben ihm eine scherzhafte Bemerkung machte, krakeelte Ogremon nur noch lauter und schlug dem Flammendigimon kräftig auf die Schulter – nur um sich gleich darauf jaulend die verbrannte Hand zu halten und weiter zur Belustigung aller beizutragen.

Matt und Sora saßen eng aneinander gerückt, sich an den Händen haltend, und sahen den Floramon beim Tanzen zu. Die Atmosphäre hatte so etwas Hoffnungsvolles, Friedliches, wie sie es seit ihrer Ankunft in der DigiWelt nicht erlebt hatten. Etwas weiter entfernt hatte sich auch Mimi, die beim Kampf nicht dabei hatte sein wollen, zu den Feiernden gesellt. Sie hatte sich neben Tai gesetzt, aber sie sahen sich wie in stiller Übereinkunft nicht in die Augen und sprachen auch nicht miteinander. Izzy, Cody und Joe waren auf der anderen Seite damit beschäftigt, einigen Gekomon und Otamamon von ihren früheren Abenteuern zu erzählen, die die Amphibiendigimon gierig in sich aufsogen, während Yolei nur einmal kurz, wie als Entschuldigung, an einer Schale mit Reisschnaps nippte und dann zu den Floramon stürmte und ausgelassen johlend mittanzte. Nach der zweiten Runde packte sie Cody und Izzy an den Händen und zog sie mit sich, was den beiden furchtbar peinlich war. Die Digimon lachten rau und herzlich darüber.

Schließlich verstummten das Trommeln und die schrillen Blechbläser der Gekomon, und die Gekomon und Otamamon rotteten sich vor dem Lagerfeuer zusammen. Eines der grünen Froschdigimon klatschte in die Hände und begann mit für ein Gekomon erstaunlich angenehmer Stimme zu singen.

Hört die Geschichte, wie alles beginnt

von dem Krieg, der bis heute sein Ende nicht nimmt.

Vor vielen Jahren, so wurd‘ uns gesagt

machten böse Mächte auf uns Digimon Jagd.

Fünf Kinder der Menschen wurden auserseh’n

um dem finsteren Feind entgegenzugehn.

Und das war das Bündnis, das ihn dann bezwang

doch weh uns, der Friede währte nicht lang.

Das Gekomon verstummte und trat zurück, überließ es einem Otamamon, das mit höherer, noch klarerer Stimme fortfuhr, während die anderen Gekomon und schließlich auch die Digimon am Feuer im Takt klatschten.

Erneut kam das Übel von jenseits der Welt

und wieder war’s schlecht um uns alle bestellt.

Ein finsteres Wesen, so wurd‘ uns erklärt,

von der Rachsucht verschwundener Arten genährt.

Es erwählte zum Kampf sich vier dunkle Meister,

gebannt wurden unsere schützenden Geister.

Dann hielt Sora den Atem an, als aus der Menge der im Takt wogenden blauen und grünen Amphibien plötzlich Piyomon trat und das Lied weiterträllerte.

So wurde das Bündnis von einstiger Zeit

erneut dem Licht und der Hoffnung geweiht.

Und wieder wurde das Böse gebannt

von Menschen und Digimon, Hand in Hand.

Piyomon verbeugte sich, wurde ein wenig rot über dem Schnabel und flatterte zu Sora herüber, die es auffing. „Habe ich gut gesungen?“

Sora lächelte und streichelte es über den gefiederten Kopf. „Oh ja. Ich wusste gar nicht, dass du so schön singen kannst.“

„Hey, Joe!“, rief Tai quer über das Feld. „Was für ein Glück, dass Agumon und Gomamon nicht gesungen haben, was?“

Joe lachte zurückhaltend, erinnerte sich aber noch genau an ihre Karaokeversuche im Schloss von ShogunGekomon. Während Agumon und Gomamon lautstart protestierten, sah Sora, wie Mimi ein Lächeln aufs Gesicht trat.

Die Darbietung war aber noch nicht zuende, denn als nächstes trat wieder das Sänger-Gekomon vor.

Nach Jahren des Friedens wurden wir unterdrückt

Schwarze Ringe machten Freunde verrückt

Der DigimonKaiser, er griff nach der Macht

Erstmals hat ein Mensch die Not uns gebracht.

Die Wechsel zwischen Otamamon und Gekomon wurden nun schneller. Das Kaulquappendigimon fuhr fort:

Wieder durchbrachen die Menschen den Bann

der Feind ward geschlagen, der Frieden begann.

Die vier großen Geister erstarkten in Macht

Doch wurde ihr Schlaf von Asuras bewacht.

Sora lauschte nun genau, denn ab hier begann die Geschichte der neuen DigiRitter.

Die Welt ward von neuen Erlösern geeint

Doch einer von ihnen, er wurde zum Feind.

Befreite das Böse, erwählte Vasallen

Und fand an dem DigiKrieg großen Gefallen.

So ist dies der Feind, dem den Tod wir geschworen

Doch aus der Vergangenheit Hilf‘ ist geboren.

Die letzten Verse sangen die beiden zusammen.

Zurück sind die einstigen Streiter des Lichts

noch nicht zerbrochen ob des schweren Gewichts.

Die Menschen, denen wir Unrecht getan

treiben nun die Erlösung voran.

Dann wurde es still im Wald, und nach und nach begannen die Digimon zu applaudieren. Sora begriff, dass es mehr war als ein Unterhaltungslied zweifelhafter Barden. Die letzten Zeilen des Liedes hießen sie in der Mitte der DigiAllianz willkommen. Die Digimon hatten nicht vergessen, dass sie ihnen in der Vergangenheit geholfen hatten, und dass sie bereit waren, es wieder zu tun.

Plötzlich, als die Versammlung der Gekomon und Otamamon sich schon aufzulösen begann, stand Matt neben ihr auf und ging schweigend in die Mitte des Platzes. Aller Augen richteten sich auf ihn. Er räusperte sich und begann selbst zu singen. Sora bewunderte, wie er weder zögerte noch erst lauter werden musste; die Lautstärke passte genau und von Anfang an. Er blieb dem Rhythmus und der grundlegend fröhlichen Melodie treu, auch wenn seine Reime manchmal nicht ganz so sauber abschlossen wie die der Digimon, aber immerhin sang er aus dem Stegreif. Sora wusste, dass er die meisten Songs seiner Band selbst schrieb, aber sich solche Reime in der kurzen Zeit auszudenken, dazu gehörte wirklich Talent.

Was ihr hier hörtet, das ist alles wahr

doch ist es nicht alles, was seither geschah.

Der Dunkle, Taneo, einst Verfechter des Guten

ließ nicht nur Digimon in seinen Taten bluten.

Er wollte nicht ablegen all seine Macht

als Gennai die DigiRitter zum Tor hat gebracht

Er blieb in der DigiWelt, befreite die Scherben

doch während sie hier alles Leben verderben

hat er auch eine Armee aufgestellt

und sandte seine Häscher auch in unsere Welt

Seine einstigen Freunde sollten sie töten

Und wir erfuhren zu spät von den Nöten

Nur eine der DigiRitter war noch am Leben

nur sie, Fumiko, konnte Hoffnung uns geben

sandte uns schließlich in die DigiWelt

wo wir uns den Dunklen gestellt.

Seine Stimme war sanft, zeugte aber von einer gewissen Härte. Die Digimon lauschten gebannt. Soras Herz schlug schneller. Wie weit würde er gehen? Wollte er ihnen alles erzählen? Sie hatten Karis Tod noch nie vor jemandem ausgesprochen, und hier war die halbe DigiAllianz versammelt und sie feierten gerade einen Sieg – wollte er das wirklich tun? Sie sah zu Tai hinüber, der mit versteinerter Miene dasaß, einen harten Zug um den Mund. Sora schluckte und fürchtete sich plötzlich, auch wenn sie nicht wirklich sagen konnte, vor wem. Oder um wen. Matts Stimme wankte nicht, als er den düstersten Abschnitt ihrer Geschichte begann.

Den ersten Kampf gewannen wir nicht

die Dunklen töteten Kari, das Licht

mein Bruder, ihr Liebster, voll Trauer und Zorn

hat den Kampf gegen sich selbst letztendlich verlor’n

Er schloss sich alsdann den Scherben an

während für uns eine neue Aufgabe begann

Zu suchen, was Dunkle wie Scherben gegehren,

die Karten, die ihren alten Meister beschwören.

In einem Schloss voller Horror und Angst …

Er stockte, bar eines passenden Reimes. Schließlich räusperte er sich und setzte neu an.

In einem Schloss voller dunkler Macht

haben wir die Karten an uns gebracht

Doch Takeru, mein Bruder, geblendet

hat sie uns im Kampfe entwendet.

Einer getötet und zwei verloren

und Takeru ward zum Triumvirator erkoren.

Mit einer getötet und zwei verloren meinte er zweifellos Palmon, Davis und Veemon. Seine Stimme wurde kraftvoller, sichtlich entschlossener, als er das Lied zuende führte.

Doch wir sind nicht gebrochen, und wir sind noch am Leben

und das muss nun reichen, euch Freiheit zu geben!

Mit aller Macht, bei unsrer Ehre

Siegen werden unsere prächtigen Heere!

Diesmal dauerte es länger, bis der Applaus ertönte. Die Digimon mussten erst verarbeiten, was sie gehört hatten. Matt hatte kein noch so unangenehmes Detail geschont. Vor allem, dass er vor versammelter Meute zugab, dass der neue Triumvirator Takeru einer von ihnen, schlimmer noch, sein eigener Bruder war, das war ein gewagter Zug. Aber er hatte ihnen die Wahrheit gesagt, ihnen nichts verschwiegen. Und Sora hatte das Gefühl, dass die meisten der Digimon nun selbst einen anderen Eindruck von T.K. bekamen, so abscheulich sie ihn auch nach wie vor finden mochten.

Schließlich ertönte ein gedämpftes Klatschen. Sora wandte den Kopf und sah zu ihrer Überraschung, wie Tai aufgestanden war und applaudierte. Sein Gesicht war immer noch wie versteinert, aber seine Augen zeugten von Anerkennung. Matt senkte kurz den Blick und sah dann seinen besten Freund nickend an. Während um sie herum der Applaus wie Feuer um sich griff, setzte Matt sich wieder zu Sora. „Du warst toll“, flüsterte sie ihm zu.

„Danke.“

Sora musterte wieder Tai, der sich gesetzt hatte und eine Schüssel Suppe von einem Woodmon entgegennahm. Sie glaubte nun, zu verstehen, was Matt mit dem Lied wirklich bezweckt hatte. Es war ein Riesenschritt vorwärts gewesen, von Karis Tod zu erzählen, noch dazu auf lyrische Weise. Die Tatsache, dass sie nun davon sprechen konnten, bedeutete, dass sie langsam darüber hinweg kamen und die Tragödie als passiert ansahen.

Kurz herrschte gewisse Tragik unter den versammelten Digimon, die jedoch nicht lange anhielt. Trotzdem drehte sich weiterhin alles um Lieder – Ogremon wollte unbedingt, obwohl ihm alle anderen davon abrieten, ein Kriegerlied zum Besten geben, fiel aber auf seinem torkelnden Weg in die Mitte der Lichtung auf die Nase und blieb schnarchend liegen, was die schon wieder ausgelassene Stimmung noch weiter anheizte.

Als es schon nach Mitternacht war, merkte Tai, wie Mimi demonstrativ die Suppenschale des Woodmons ablehnte, kurz in die Runde sah, dann flüchtig in seine Augen, und dann aufstand und zwischen den Bäumen verschwand. Tai sah ihr unschlüssig hinterher, als Agumon ihn in die Rippen stieß. „Na los, geh ihr schon hinterher!“ Tai nickte und folgte ihr.

Er fand sie in der Stadt des Ewigen Anfangs, die nur von einem schmalen Streifen Sternenlicht erhellt wurde. Die DigiBabys schliefen allesamt in steinbraunen Wiegen. Als Wächter hatten die Allianzdigimon nur ein Apemon vor dem Durchgang der Kuppel postiert, das sich schlafend den Bauch kratzte. Tai glaubte nicht, dass das etwas machte. Wenn alles gut gegangen war, wusste noch gar niemand von der Rückeroberung der Stadt, und ihre eigene Armee war ganz in der Nähe.

Mimi hockte inmitten der noch nicht geschlüpften DigiEier auf einer gepolsterten Decke, die ein Brandfleck zierte. Tai setzte sich neben sie. Er fürchtete, das Schweigen der Feier würde sich nun hier fortsetzen, als sie sagte: „Es ist nicht dabei.“

„Sicher nicht? Es sind so viele Eier.“

Mimi schüttelte traurig den Kopf. Ihre braunen Locken schaukelten sanft. „Ich spüre es. Palmon ist nicht dabei. Und es ist auch kein Digimon unter den Babys, das zu Tanemon werden könnte.“

„Hm.“ Tai räusperte sich unbehaglich und streckte sich dann. „Mach dir keine Sorgen. Wir haben nur einmal erlebt, dass eines unserer Digimon wirklich wieder zu einem DigiEi wurde, und das war Angemon auf der File-Insel, und das war was Besonderes, weil es T.K. ja direkt vor die Füße gefallen ist. Wahrscheinlich wird es noch ein wenig dauern, bis es wiedergeboren wird, aber es wird bestimmt passieren. Wahrscheinlich dauert es auch nicht bei allen gleich lang.“

Mimi schenkte ihm ein schwaches Lächeln. „Danke“, sagte sie.

„Wofür?“

„Cody hat mir erzählt, wie sehr du alle angetrieben hast.“

„Oh, das …“ Tai kratzte sich verlegen am Kopf. „Weißt du, ich wollte eigentlich nicht …“

„Danke. Ich weiß, du hast das nur für mich getan.“

„Oh, ähm …“ Tai wurde rot und ärgerte sich darüber. Mimi kicherte hinter vorgehaltener Hand.

„Was gibt‘s da zu lachen? Ich habe es wirklich nicht … also …“ Er war aufgesprungen, aber plötzlich stockte er.

„Hast du es denn nicht für mich getan?“ Ihr Blick wurde traurig, und obwohl er wusste, dass es nur gespielt war, wollte er das Thema so nicht beenden.

Also holte er tief Luft. „Natürlich hab ich es für dich getan. Ich wollte, dass du Palmon wiederhast und glücklich wirst. Aber das heißt nicht, dass … naja, vielleicht ein wenig, aber …“

Es kam nur noch zusammenhangloses Gebrabbel aus seinem Mund. Mimi fiel auf, wie süß er war, wenn er verlegen war, was schließlich nicht oft vorkam. Sie stand ebenfalls auf und fasste ihn an den Händen. „Siehst du?“, sagte sie leise. „Deswegen: Danke.“ Dann verschloss sie seinen Mund mit den Lippen.

„Mimi“, murmelte er, als sie sich von ihm löste und ihm in die Augen sah. Selbst mit dem Mond am Himmel konnte sie nur seine Konturen sehen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und legte ihm ihr Kinn auf die Schulter.

„Es ist wunderbar ruhig hier“, flüsterte sie. „Ich weiß, Palmon wird zurückkommen, deswegen brauche ich gar keinen Trost mehr, aber … könntest du mich … vielleicht trotzdem ein wenig halten?“

Ohne zu zögern legte Tai die Arme um sie, und sie spürte, wie ihr warm wurde. Ihre Hand ruhte auf Tais Brust, sie konnte sein Herz schlagen hören, schnell und kräftig. Für einen Moment erwartete sie, ihre Herzen würden im Einklang schlagen, doch dem war natürlich nicht so. Seufzend ließ sie ihre Gedanken in seiner Umarmung treiben. Ein sanfter Wind kam auf. Plötzlich packte Tai sie an den Schultern und schob sie von sich. „Was …?“, machte sie, als sie seine Augen sah. Das Braun darin schien im Mondlicht zu schimmern, die Pupillen waren groß und eindringlich. Seine Lippen bewegten sich stumm, ehe er ein Wort herausbrachte. Sein Griff war fest, fast schmerzhaft, und als er sprach, war seine Stimme so entschlossen, als müsste er sich gegen ein Digimon behaupten.

„Mimi, ich will nicht, dass wir uns wieder voneinander entfernen. Ich weiß, dass du glaubst, alles wird anders, wenn du erst Palmon zurück hast – weil ich Kari nie zurück bekommen werde. Ich weiß das, weil ich es selbst glaube. Aber ich will nicht, dass es geschieht. Ich will dich weiterhin im Arm halten, dich weiterhin trösten und mit dir reden, dich froh stimmen und durch deine Haare streicheln und dich berühren und dich küssen! Ich will nicht, dass es so wird wie früher, auch nicht, dass es anders wird, es soll genauso bleiben, wie es jetzt ist, weil ich dich liebe!“

Als er tief einatmete – er hatte die Worte ohne Luft zu holen hervorgesprudelt – stand Mimi ebenso atemlos da. Schließlich schlichen sich glitzernde Tränen in ihre Augen, nicht genug, um ihr über die Wangen zu laufen, aber genug, um ihre Sicht zu verschleiern. Sie war so gerührt, als er es aussprach. Natürlich hatte sie es gewusst, sie beide hatten um ihre Gefühle füreinander gewusst. Vielleicht war es auch gar nicht dieses Liebesgeständnis, das Mimis Herz vor Gefühlen wie einen Wildbach sprudeln ließ, sondern das andere. Dass er nicht wollte, dass es aufhörte. Dass sie einander stets so nah sein würden, wie in diesem Moment. „Tai … Ich …“

„Nein!“, unterbrach er sie, seine Stimme lauter. Er fasste ihre Hände. „Sag nichts. Du willst sagen, dass wir die Zeit nicht aufhalten können, und dass wir erst sehen müssen, wie es wird, und dass …“

Diesmal unterbrach sie ihn, indem sie ihm den Finger auf den Mund legte. Lächelnd sagte sie: „Dummerchen. Warum sollten uns nur so traurige Dinge wie Tod und Einsamkeit verbinden?“ Sie küsste ihn kurz auf die Lippen, und diesmal fühlte es sich … anders an. Befreiter, offener. Ehrlicher. Etwas flammte in ihrer Brust auf, eine kühle, beruhigende Flamme. „Auch wenn wir uns verändern, auch wenn sich die Dinge um uns herum verändern, ich will nie mehr ohne dich sein. Egal, was passiert.“

„Auch wenn ich den Verstand verliere, wenn ich nie wieder ich selbst werde?“, fragte er und klang verzweifelt. „Wenn ich mit T.K. anschließe oder Taneo, wenn ich mich selbst vergesse und ein neuer DigimonKaiser werde? Auch dann?“

„Ganz besonders dann“, sagte sie ernst. Natürlich. Es bedrückte ihn am meisten, dass er mit alledem vielleicht nicht fertig werden könnte, wie T.K. und Davis. Dass er etwas täte, das jedem nur Leid brächte. Das Gefühl in ihrer Brust verstärkte sich.

„Mimi“, hauchte Tai schließlich erstaunt. „Du … du glühst!“

Zuerst wusste sie nicht, was er meinte, aber dann sah sie an sich herunter. In ihrer Brust hatte das Symbol der Aufrichtigkeit zu leuchten begonnen, wie damals, als sie gegen Apocalymon gekämpft hatten. Ihr Körper wurde in grünliches Licht getaucht, das sich mit dem Licht des Mondes vermischte und ihre Haut schließlich silbrig schimmern ließ. Sie lächelte. „Du siehst, ich meine es ehrlich.“

Tai war sprachlos. Ja, ihre Wappen leuchteten auf, wenn ihre Partner digitierten, aber oft war das nur noch rein an den Zweck dieser Digitation gebunden. Mimi hatte ihren Partner verloren. Dass ihr Symbol, das Wappen der Aufrichtigkeit, nun leuchtete, war der großartigste Vertrauensbeweis, den sie ihm geben konnte. Er erwiderte ihr Lächeln. „Du siehst wunderschön aus.“ Er schloss sie wieder in die Arme. „Mein silbernes Mädchen.“ Er küsste sie erneut, länger diesmal und so innig, dass Mimi sich schon fast mit Gewalt lösen musste, um Atem zu schöpfen. „Aber Tai“, kicherte sie aufgekratzt. „Doch nicht hier vor den Kindern.“

„Oh …“ Tai sah sich zu den schlafenden DigiBabys um. Er hatte sie total vergessen. Mimi zog ihn an den Händen mit sich. „Wo dann?“, fragte er grinsend. Er hatte nichts dagegen, das Schlachtfeld zu verlassen und einen friedlicheren Ort aufzusuchen.

„Ich wusste gar nicht, dass es so viel Auswahl gibt.“

„Etwa in den Wald?“, neckte er sie. „Wo es feucht und schmutzig und kalt ist?“

„Da ist es ebenso gut wie hier, oder?“, gab sie keck zurück.

Sie sah ihn nicht an, aber sie hörte sein Grinsen, als er sagte: „Dann hör aber besser auf zu leuchten wie ein radioaktiver Pilz, sonst sieht uns eine ganze Armee zu.“

„Spinner“, sagte sie lachend, aber das Leuchten wurde tatsächlich schwächer und war verschwunden, als sie die Stadt verließen. Das Apemon schlief immer noch tief und fest. Wahllos lief Mimi auf ein Waldstück zu, das möglichst weit weg von dem Lagerfeuer lag, das über den Baumwipfeln zu sehen war. In ihrem Bauch flatterten keine Schmetterlinge, sondern eher ein Schwarm angriffslustiger Wespen, und ihr Herz pochte wie wild. Warum war sie nur so nervös? Gab es einen besonderen Grund? Sie fühlte sich, als hätte sie sich gerade erst in Tai verliebt. Zum wiederholten Male.

Im Schutz der Bäume drückte Tai sie sanft gegen einen Baumstamm und es folgte der nächste Kuss, wieder ein wenig anders als der vorherige, wärmer und ruhiger. Mimi spürte die raue Rinde hinter sich. Die Berührung seiner Fingerspitzen an ihren Schultern war sanft, vorsichtig, als bestünde sie aus zerbrechlichem Porzellan, doch sie brannte wie Feuer auf ihrer Haut. Feuchte, angenehme Waldluft drang in ihre Nase. Sie konnten einander kaum ausmachen, so dicht waren die Baumkronen, die den Mond aussperrten. Im Wald war es still, nur das entfernte Trommeln der Woodmon war zu hören und hier und da ein Lachen, und Mimi konzentrierte sich nur auf das Gefühl, das sie innerlich verzehrte, das verrückte, heiße Kribbeln in ihrem Bauch.

Nur wäre Tai nicht Tai gewesen, hätte er nicht die Stille mit unnötigen Worten gebrochen. „Sag mal … du bist doch wieder single, oder?“

Machte er sich jetzt etwa darüber Sorgen? Es kam so plötzlich, dass sie nicht wusste, ob sie lachen oder wütend werden sollte, also murmelte sie nur: „Ähm, ich dachte, das wüsstest du schon …“

„Ich wollte nur … sichergehen. Du hattest ja in Amerika einen Freund, oder?“, fragte er.

Natürlich wusste er von Michael. Sie hatte kein Geheimnis darum gemacht, als sie zusammengekommen waren, schon gar nicht, da die meisten ihrer Freunde den amerikanischen DigiRitter ohnehin kannten. Aber nun an ihn denken zu müssen war ihr so zuwider, dass sie schnippisch sagte: „Ja, aber das ist vorbei. Er bedeutet mir nichts mehr. Hättest du aufgehört, wenn ich dir gesagt hätte, dass ich noch mit ihm zusammen bin?“

Sie spürte einmal mehr das Grinsen auf seinem Gesicht. „Ich weiß nicht. Vielleicht hätte ich gleich wieder vergessen, dass ich gefragt habe.“

„Dann frag doch gar nicht erst“, meinte sie milde lächelnd. „Die Vergangenheit hat doch wohl keine Bedeutung mehr.“

Er strich ihr durchs Haar. „Das stimmt. Da hast du recht.“

So war es und nicht anders. Nichts hatte mehr Bedeutung hier in der Dunkelheit, die zum ersten Mal seit langem nicht ihr Feind, sondern ihr Schutzwall war und sie vor allen Sorgen und Ängsten abschirmte. Und während sie sich, an den rauen Stamm des gewaltigen Baumes gelehnt, eng umschlungen Liebesbekundungen zuflüsterten, schien das zu passieren, was sie beide noch vor kurzem herbeigesehnt hatten: Die Zeit schien stehen zu bleiben und der Moment verfing sich in der Ewigkeit.

The Pirate's final Harbor

Vor der Stadt des Ewigen Anfangs, DigiWelt

Sonntag, 2. September 2007

6:20 Uhr
 

Als die DigiAllianz zeitig am nächsten Morgen, als noch dichter Waldnebel über den Boden kroch, ihr Lager abbaute, waren Tai und Mimi wie ausgewechselt. Oder eher – sie waren wie früher, bevor die Tragödie mit Kari passierte.

„Wieso kannst du deinen Kram nicht selber tragen?“, maulte Tai soeben. Mit Kram meinte er Mimis eisernes Kurzschwert, das die DigiRitter von Leomon und dem Waffenmeister Knightmon bekommen hatten, um im Fall, dass sie selbst kämpfen mussten, gewappnet zu sein, als auch ihr Walkie-Talkie und den Rucksack mit Notrationen, die ebenfalls für den Ernstfall gedacht waren.

„Spinnst du? Der Rucksack ist kratzig und ich ruiniere mir noch das Kreuz. Sei wenigstens einmal ein Gentleman und trag ihn für mich, so schwer ist das Zeug ja nicht“, sagte Mimi, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

„Wenn es nicht so schwer ist, warum muss ich es dann tragen?“

Ihr Gezanke ging noch ein wenig hin und her, und es lief darauf hinaus, dass natürlich Mimi ihren Willen bekam und Tai brav auch noch ihren Rucksack schulterte. Sora musste leise lachen.

„Mit den beiden stimmt irgendwas nicht“, stellte Matt fest.

„Glaubst du?“, fragte Sora vergnügt. „Mich erinnert das irgendwie an unseren ersten Tag auf der File-Insel.“

„Eben das meine ich.“

„Ach, Matt“, seufzte sie nachsichtig. „Sie sind erlöst, siehst du das nicht?“

Matt sah den beiden zweifelnd zu, als Tai Mimi ihr Schwert unter die Nase hielt.

„Was soll ich damit?“

„Nimm wenigstens das, damit du eine Waffe hast, wenn’s gefährlich wird. An meinem Gürtel bringt dir das Ding nämlich gar nichts.“

„Dann musst du eben ständig hinter mir bleiben“, meinte sie schnippisch.

Matt zog amüsiert den Mundwinkel hoch. „Vielleicht haben wir in nächster Zeit wieder mehr zu lachen.“

„Du bist fies, Matt.“

„Ich weiß.“
 

Bevor sie wieder nach Locomotown abzog, sah die Armee noch einmal bei der Stadt vorbei, um Wachen aufzustellen. Schon als sie sich dem Durchgang näherten, neben dem der Apemon-Wächter, den die Feiernden irgendwie vergessen zu haben schienen, immer noch schlief, sahen sie die Gestalt, die wie ein Schatten inmitten der verbleibenden DigiEier stand.

„Was hast du hier zu suchen?“, brüllte Rapidmon, aber ohne auch nur auf eine Antwort zu warten, richtete es seine Kanonen auf den Eindringling. „Rapidfeuer!

„Warte!“, wollte Matt rufen, aber es war zu spät. Zwei einander umwirbelnde Raketen bohrten sich durch die Luft auf die abgerissene Gestalt zu, die abwehrend die Arme hob, und dann wurde sie von der glühenden Explosion verdeckt.

„Verdammt, halt dein Temperament im Zaum“, rief Matt wütend Rapidmon zu. „Du beschädigst noch die Eier!“

Die DigiRitter und Leomon rannten in die Stadt, während das Androidendigimon schmollend zurückblieb. Als sich der Rauch legte, waren sie überrascht, dass die Gestalt noch genauso wie vorher und offenbar ohne Kratzer dastand. Und ihre Überraschung wuchs, als sie merkten, dass es Ken war.

„Ken!“, riefen die DigiRitter wie aus einem Munde und starrten ihn aus großen Augen an. Er hatte sich ziemlich verändert. Seine Haare waren länger, was nach einem halben Jahr in der DigiWelt kein Wunder war, und seine Kleidung war so zerfetzt und übelriechend wie die eines Landstreichers. Früher einmal mochte sie ein legerer Pullover und eine Jogginghose gewesen sein, jetzt war sogar ihre wahre Farbe undefinierbar. An seinem linken Arm schillerte bläuliches Licht wie eine glühende Schlange, die sich zur Schulter hochwand.

Ein Lächeln breitete sich auf Kens Zügen aus, als er sie sah, aber er sagte nichts, sondern wandte sich ab und ging langsamen Schrittes durch die Stadt.

„Was tust du denn hier?“, platzte schließlich Yolei heraus. Matt sah ihr an, dass sie ihm am liebsten um den Hals gefallen wäre, aber sein seltsames und unerwartetes Auftreten ließ sie wohl zögern.

„Ich muss es finden“, sagte er. „Ich habe es schon einmal hier …“ Er stockte, ging ein paar Schritte weiter und hob schließlich lächelnd ein DigiEi auf. Unter seiner Berührung begann es zu wackeln, dann platzte die Schale auf und ein kleines grünes Digimon, das wie eine Knolle mit breitem Blatt aussah, purzelte in seine Hände. Er drückte es, glücklich lächelnd, an seine Brust. „Leafmon“, murmelte er.

„Hallo, Ken“, antwortete das Baby-Digimon piepsig.

Also war Ken die ganze Zeit über hier in der DigiWelt gewesen. Matt konnte es sich nicht anders erklären. Und er hatte Wormmon ein weiteres Mal verloren, und nun war es gerade rechtzeitig geschlüpft. Nein, das war es nicht. Es hatte nur auf ihn gewartet … Mimi war anzusehen, dass sie zu demselben Entschluss gekommen war und die Tatsache, dass Palmon noch nicht wieder bei ihr war, auf ihr Gemüt drückte. Matt wollte schon eine Frage stellen, als Ken sich zu ihnen umwandte.

„Es tut mir leid, dass ich mich nicht schon eher auf die Suche nach euch gemacht habe“, sagte er, und es klang förmlich. „Ich war eine Weile ziemlich verwirrt. Als ich endlich wieder ich selbst war, habe ich zufällig diese Stadt gefunden und mir gedacht, ich könnte Wormmon vielleicht aus den Händen der Scherben befreien …“ Er streichelte Leafmon über den Kopf. „Aber offenbar wart ihr schneller. Ich danke euch, dass ihr die Scherben vertrieben habt.“ Während die DigiRitter ob seines plötzlichen Auftauchens immer noch sprachlos waren, wanderte sein Blick von einem zum anderen. „Wo ist Davis? Und Kari?“

Niemand antwortete sofort. „Das ist … eine lange Geschichte. Es ist ziemlich viel passiert“, sagte Cody.

Ken war nicht von seiner Glückseligkeit abzubringen. Er lächelte den jüngsten DigiRitter an. „Du hast dich ganz schön verändert, Cody. Ich hätte dich kaum wiedererkannt.“

„Das sagt der Richtige“, gab Cody trocken zurück und Ken lachte, doch es klang immer noch, als hätte er Vorbehalte. Auch die anderen waren unsicher, wie sie mit ihm umgehen sollten.

„Ich störe nur ungern eure Wiedersehensfreude“, sagte Leomon. „Aber wir müssen uns auf den Weg machen. Wird uns euer Freund begleiten?“

„Das wird er“, sagte Ken und sah Leomon fest in die Augen. „Du kannst den Digimon sagen, dass sich der Datenpirat ihnen anschließen wird.“

Leomons Gesicht zeugte kurz von Erstaunen, dann nickte es. Im Nu wurden ein paar Woodmon und Apemon zu den Wächtern der Stadt abkommandiert, die Oberaufsicht bekam ein Mammothmon zugesprochen, das für die Verhältnisse dieser Digimonart recht intelligent und weitsichtig war. Kurz darauf zog der ganze Trupp gen Locomotown. Es war ein beachtlicher Zug; die Wasserdigimon benutzten so gut es ging Flüsse, die Fußtruppen und die Vorratswagen minderten das Tempo des Trupps, die geflügelten Digimon, die am wenigsten Verluste von allen erlitten hatten, verdeckten den Himmel, während sie vorausflogen, um den Rest der Armee zu informieren, gemeinsam mit Rapidmon, das dieses Schneckentempo nicht aushielt.

Die DigiRitter gingen vorne bei Leomon und dem Taktischen Stab. Leomon, Tai und Matt hatten Ken in ihre Mitte genommen und fütterten ihn regelrecht mit Informationen über ihre Armee und den momentanen Stand der Dinge.

„Ich verstehe“, sagte Ken düster. „Also deswegen ist T.K. bei den Scherben. Und Davis ist fortgelaufen?“

„Ja. Wir vermuten, er hat es bei uns einfach nicht mehr ausgehalten“, sagte Matt.

Ken legte den Kopf in den Nacken und blinzelte gegen die Sonne. „Ich habe T.K. getroffen“, sagte er.

Was?

„In mei… in der Festung der Dunklen. Sie trieb im Wasser und T.K.s Truppen haben sie zerstört. Ich habe gehört, dass einer von euch … ich meine, einer von uns den Albtraumsoldaten beigetreten ist. Jetzt, wo ihr mir das erzählt habt, ergibt es endlich auch einen Sinn.“ Er überlegte. „Aber eines verstehe ich nicht. Ihr habt mir erzählt, er hätte damit gedroht, Angemon zu MagnaAngemon digitieren zu lassen, und ich habe Angemon mit eigenen Augen gesehen. Wie ist es möglich, dass es überhaupt zu einem Engeldigimon wird, wenn T.K. die Seiten gewechselt hat?“

„Das habe ich mich auch schon gefragt“, murmelte Tai und brachte seinen und Mimis Rucksack in eine angenehmere Position. „Als ich auch nur ein klein wenig zu erpicht darauf war, dass Greymon digitiert, und meinen Mut missbraucht habe, ist es zu SkullGreymon geworden.“

Auch Matt wusste darauf keine Antwort. „Wer ist der Datenpirat?“, fragte er.

Ken lächelte schwach. „Habt ihr noch nicht davon gehört? Es ist so etwas wie mein neuer Spitzname.“

„Der Pirat ist schon länger in aller Munde“, mischte sich Leomon ein. „Es heißt, er beherrsche die Fähigkeit, die Attacken von Digimon abzuwehren und dabei zu kopieren. Dann kann er sie selbst einsetzen.“

„Ist das wahr?“, rief Tai. „So wie die Dunklen?“

Ken nickte. „Es liegt an dieser Narbe.“ Er hielt den Arm mit dem zerrissenen Ärmel hoch, sodass sie die Narbe gut sehen konnten. „Ich habe eine Maschine zerstört, mit der die Dunklen ihre DigiVices hergestellt haben. Irgendwie hat sich die Kraft dieser DigiVices dann mit meinem Arm verbunden.“

„Deswegen konntest du Rapidmons Attacke überstehen“, sagte Matt. „Wenn das so ist, ist es gut, dass du wieder mit uns kämpfst.“

Yolei ging weiter hinten und verstand die Worte nicht, aber es sah nicht so aus, als würde Ken jemand nach seiner eigenen Geschichte fragen. Sie hatte eigentlich vorgehabt, ihn selbst so lange auszuquetschen, bis sie alles über seinen Verbleib wusste, und ihn dann zu schelten, weil er einfach abgehauen war, ohne irgendjemandem Bescheid zu sagen. Aber sie brachte es nicht über sich. Er hatte sich äußerlich so sehr verändert, sie war sich nicht sicher, wie es in seinem Inneren aussah.

Sora schloss zu ihr auf. „Was hast du? Du hast noch kein Wort mit ihm gesprochen.“

Yolei wich ihrem forschenden Blick aus und seufzte. „Ich kann nicht.“

„Sicher kannst du. Frag ihn einfach, wie es ihm geht und wo er war.“

Yolei beobachtete, wie Ken das Leafmon in seinen Armen streichelte, und kaute auf ihrer Unterlippe herum. „Aber ich kann doch nicht einfach so nach vorn marschieren und ihn vor aller Augen darauf ansprechen. Vielleicht will er nicht mal darüber reden.“

„Yolei, Yolei“, machte Sora kopfschüttelnd. „Sei doch einfach du selbst. Die Yolei, die ich kenne, läuft nicht einfach stumm hinter einem Freund, den sie über ein halbes Jahr nicht gesehen hat.“

Irgendwie hatte Sora ja Recht … aber trotzdem. Waren sie noch Freunde? Ken kam ihr so entfremdet vor. Wie hatte er sich genannt? Datenpirat? Sie fragte sich, was das wohl bedeutete. Während sie noch mit sich haderte, ertönte plötzlich eine dröhnende Stimme vom Himmel her.

An alle Spione, Späher und Informanten! Dies ist eine Nachricht an die Dunklen, und wer sie ihnen als erstes überbringt, wird zweifellos belohnt werden!

Die Köpfe der Allianzdigimon ruckten in die Höhe, suchend. Doch vor allen anderen zuckten die DigiRitter zusammen, denn sie erkannten die Stimme.

„T.K“, flüsterte Sora. Yolei nickte zaghaft. Oder? Die Stimme besaß einen unglaublichen Nachhall, er musste sie mit irgendetwas verstärken. Aber er war nirgendwo zu sehen.

Die Yolei, die ich kenne …

Vielleicht lag es an Soras Worten, oder sie tat es, weil sie die Zerrissenheit der Gruppe schon nicht mehr aushielt, diese ständige Eigenbrötlerei und Unentschlossenheit – T.K, der sich den bösen Digimon anschloss, Davis, der einfach abhaute, Tai, der kurz zuvor noch apathisch und jetzt auf einmal wie ausgewechselt war, Mimi, die ihr Palmon immer noch nicht hatte, aber dennoch froh wirkte, auf eine Weise, die Yolei sich nicht erklären konnte, und Ken, vor allem Ken, der ein halbes Jahr verschwunden war und plötzlich wieder auftauchte, jetzt Datenpirat genannt wurde und dessen Gedanken ihr mehr denn je verschlossen waren. Jedenfalls straffte sie die Schultern und kletterte kurzerhand auf den nächsten Baum, bis in den Wipfel, um nach dem Ursprung von T.K.s Stimme Ausschau zu halten.

Die Suche nach den Karten hat ein Ende! Wir Albtraumsoldaten haben acht von neun Karten beisammen. Da sowohl ihr als auch wir eine Karte doppelt haben, wird sich die Frage um Piedmons Wiedererweckung nur in einer entscheidenden Schlacht klären lassen.

Sie stieg auf den höchsten Ast, der sie tragen konnte, und beschattete die Augen mit der Hand. „Da vorne! Da ist er!“, rief sie.

„Yolei, komm da runter!“, rief Hawkmon und flatterte zu ihr herauf.

„Sieh doch!“ Sie deutete auf den Schatten in der Ferne. Es war T.K.s Megadramon, in begleitung einer wuselnden schwarzen Masse; zweifellos das Vilemon-Battailon. Sie waren so weit weg, dass sie im dunstigen Himmel zu verschwinden schienen, und flogen ohne erkennbares Ziel in Schlangenlinien über die Landschaft.

Wir sind dabei, unsere Armee zusammenzuziehen und einen vernichtenden Schlag gegen euch zu führen. Myotismons Tor wurde von unseren Streitkräften bereits in den Thronsaal der Finsterzitadelle gebracht. Hört ihr mich, Dunkle? Es ist Zeit, dass ihr vor der Macht der Scherben erzittert! Wir alle wissen, dass ihr uns unterlegen seid – also mache ich euch ein Angebot: Bringt eure Karten freiwillig zu den Summenden Feldern, und ich garantiere euch, dass ihr die DigiWelt in Frieden verlassen dürft.

Das Megadramon verschwand im Morgendunst, aber T.K.s Worte warfen ein langes Echo.

„Hast du das gehört, Hawkmon?“, fragte Yolei.

„Ich bin ja nicht taub“, konstatierte das Digimon.

Yolei rutschte am Stamm zum Waldboden hinunter, klopfte sich den Schmutz von den Klamotten, und lief zu den anderen, die mit ihrem Marsch innegehalten hatten. „Er ist auf Megadramons Rücken“, berichtete sie aufgeregt und stellte sich zu Tai, Matt, Leomon und Ken, wobei ihr Blick auf letzterem hängenblieb. „Aber sie sind schon wieder weg. Sie haben uns nicht gesehen.“

„Er hat also tatsächlich Taneo herausgefordert“, stellte Leomon fest.

„Wieso sollte er das tun?“, fragte sich Ken, der Yolei einfach ignorierte. Zumindest kam es ihr so vor. „Wenn er den Dunklen erzählt, dass sie ihre Armee zusammenziehen, werden sie das doch zu verhindern versuchen.“

„Genau das wird sein Plan sein“, sagte Matt grimmig. „Er lädt die Dunklen ein, sie zu verraten. Sie werden garantiert zu diesem Feld kommen – mit den Karten, aber auch mit ihren Truppen. Und dort wird dann die wirkliche Entscheidungsschlacht stattfinden. Denn statt nur eine Delegation auszuschicken, die die Karten abholt, wird T.K. mit der ganzen Armee dort auf sie warten.“

„Wo sind denn diese Summenden Felder?“, fragte Yolei, an Ken gewandt, aber er sah sie immer noch nicht an.

„Das ist eine Felsebene im Bluray-Gebirge. Vermutlich befindet sich die Finsterzitadelle irgendwo dort in der Nähe“, erklärte Leomon.

Ken nickte. „Ich verstehe. Und wer auch immer die Karten am Schluss gewinnt, muss nur noch in die Zitadelle und kann dort Myotismons Tor öffnen.“ Er sagte es zwar in die Runde, sah aber trotzdem nur Matt, Tai und Leomon an, und Yolei wurde es zu bunt.

„Jetzt hör mal, Mister“, rief sie erbost, packte Ken an den Schultern und zwang ihn, in ihre funkelnden Augen zu sehen. Sie spürte Zornesröte in ihrem Gesicht aufsteigen. „Kann es sein, dass ich heute unsichtbar bin? Also – hier stehe ich. Also sieh mich gefälligst an! Wie wär’s mit einem einfachen Hallo?“

Ken sah sie einen Moment lang verdattert an, ehe er sich zu einem schwachen „Hallo, Yolei“ durchrang.

„Das reicht nicht“, sagte sie, stieß ihn von sich und verschränkte die Arme. „Ich will jetzt sofort alles von dir wissen“, sagte sie. „Wo du die ganze Zeit warst, wie es dir ergangen ist, und was du erlebt hast. Ich will genau wissen, was dich bedrückt hat und was dein Kummer war, damit ich endlich wieder weiß, wer du bist!“

Ken starrte sie immer noch sprachlos an, dann schluckte er und eine sanfte Röte schlich sich auf seine Wangen und Yolei wurde plötzlich bewusst, was sie gesagt hatte. Viel zu spät, wie sie bemerkte. Verlegen wedelte sei mit den Armen. „Ähm, ich meine, natürlich nicht jetzt sofort und vor all den Leuten, aber … Wenn wir wieder in Locomotown sind und du ein eigenes Zimmer hast, dann reden wir, ja?“

Sie hörte Matt tief seufzen und Tai die Augen verdrehen, aber in Kens Augen, der sie noch einen Moment musterte, als sähe er sie heute zum ersten Mal, erschien plötzlich eine gewisse Wärme. „In Ordnung, Yolei“, sagte er lächelnd, und sie grinste zur Antwort.
 

Locomotown, DigiWelt

Sonntag, 2. September 2007

20:26 Uhr
 

„Was kam eigentlich bei der Besprechung heraus?“, fragte Mimi. Sie lag auf der Pritsche in Tais Zimmer, nur mit der zerschlissenen Bettdecke bedeckt. Er saß neben ihr, und sie strich geistesabwesend über seinen bloßen Rücken.

„Sie war einstimmig“, sagte er tonlos. „Wir werden in das Bluray-Gebirge ziehen. Es wäre zwar besser, wenn wir warten, bis sie sich gegenseitig vernichtet haben, aber wir dürfen nicht zulassen, dass während dem Kampf irgendwer von ihnen alle Karten auf einmal in der Hand hält.“

„Und wann?“ Sie zeichnete mit den Fingerspitzen die kleinen Höcker nach, die seine Nackenwirbel bildeten.

„Gleich morgen früh.“

Ihre Finger hielten inne. „Wirst du wieder bei der Sturmtruppe kämpfen?“

„Ja.“

Mimi schwieg eine Weile, doch als sie sprach, krallte sie die Finger in die Decke. „Ich will nicht, dass du das tust“, sagte sie bestimmt. „Wir haben ihnen lange genug geholfen. Diesen Kampf werden sie doch wohl ohne uns schaffen.“

Tai schüttelte seufzend den Kopf. „Wir dürfen kein Risiko eingehen“, erklärte er und klang so sachlich und unberührt, dass es sie in Rage versetzte.

„Risiko?“, rief sie mit erstickter Stimme. „Wer redet denn von Risiko? Du wirst gegen T.K. kämpfen müssen! Willst du das wirklich?“

„Ich muss es sogar“, sagte er. „Keines der AllianzDigimon wird ihn am Leben lassen, sollten sie wirklich gewinnen. Wahrscheinlich nicht einmal Leomon. Stell dir vor, was Rapidmon mit ihm anfangen würde, wenn es ihn gefangen nimmt! Deswegen müssen wir mitkämpfen. Um ihn zu retten.“

Mimi schüttelte fassungslos den Kopf und starrte dann die graue Wand an. T.K. hatte Palmon getötet, ohne mit der Wimper zu zucken, als Demonstration seiner Stärke … Dennoch konnte sie ihn irgendwie nicht hassen. Er hatte Kari verloren, und auch wenn ihm das nicht das Recht gab, anderen ihre Liebsten zu entreißen, so wollte sie ihn nicht auch noch sterben sehen … Am besten, es würde gar niemand mehr sterben! Wiedersehen wollte sie T.K. zwar auch nicht gerade, aber trotzdem … „Schön“, meinte sie schließlich schnippisch. „Dann komme ich mit.“

„Sei nicht albern. Du bleibst hier.“

„Sag mir nicht, was ich zu tun habe!“, fauchte sie ihn an. „Oder glaubst du, ich wäre dir ein Klotz am Bein? Wenn das so ist, dann hast du wohl keine Wahl, als am Rand des Schlachtfelds zu bleiben.“

Tai seufzte. „Du bist echt … schwierig.“

„Dann passen wir ja gut zusammen“, meinte sie spitz.
 

Locomotown, DigiWelt

Sonntag, 2. September 2007

21:53 Uhr
 

„Kannst du auch nicht schlafen?“, fragte Matt, als er Sora wach in ihrem Bett vorfand.

Sie hatte die Decke bis zu ihrer Nasenspitze hochgezogen und starrte zur Decke. „Ich muss immer … an morgen denken.“

Matt seufzte tief. „Nicht nur du.“

„Du wirst T.K. gegenübertreten müssen.“

„Ja“, sagte er düster. „Obwohl ich es vermeiden will, so gut es geht. Aber er gehört jetzt zu den feindlichen Anführern.“

Eine Weile schweigen sie beide. Matt blieb in der Tür stehen. Er wollte heute Nacht lieber alleine sein und war nur gekommen, um zu sehen, wie es ihr ging, vor der finalen Schlacht.

„Du glaubst es vielleicht nicht“, sagte Sora nach einer Weile in die Dunkelheit hinein. „Aber ich bin froh, wenn es vorbei ist. Egal, wie es ausgeht“, fügte sie flüsternd hinzu. „Ich will nur, dass es zuende ist.“

Matt schwieg.
 

Ken ließ sich die Ereignisse des Tages durch den Kopf gehen und stellte fest, dass er glücklich war. Endlich war er wieder bei seinen Freunden, an dem Ort, an den er gehörte. Er hatte gar nicht gemerkt, wie sehr er sie vermisst hatte. Schmunzelnd dachte er an Yolei. Sie hatte ihn ausgequetscht wie eine frische Orange und sich erst zufrieden gegeben, nachdem sie sämtliche Details über seinen Verbleib in Erfahrung gebracht hatte, angefangen von dem Unfall seiner Eltern über seine Reise in die DigiWelt – wie sie gemeinsam herausgefunden hatten, war das Tor deswegen offengestanden, weil zu der Zeit die neuen DigiRitter zum ersten Mal in die DigiWelt gerufen worden waren – bis hin zu Wormmons Tod und Kens ziellosem Umherstreunen in der DigiWelt. Dann hatte Yolei mit einem grinsenden „Na also, jetzt geht’s dir bestimmt besser“ seine Erzählung quittiert, und da es spät gewesen war, hatten sie sich alle in ihre Schlafräume begeben, und nun war Ken erstmals wieder mit seinem Digimonpartner allein.

„Es tut mir leid, dass ich nicht früher nach dir gesucht habe“, flüsterte Ken. Er hatte eine schmale Kellerwohnung bekommen, da es ohnehin nur für einen Tag war. Die Allianzdigimon begegneten ihm mit einer Mischung aus Respekt und Misstrauen, aber keiner wollte wirklich ein Gespräch mit ihm anfangen, und es war ihm auch recht so.

Leafmon, das nach dem Abendessen zu dem tannenzapfenähnlichen Minomon digitiert war, hüpfte auf Kens Bauch herum. „Mach dir keinen Kopf. Ich habe gern auf dich gewartet, Ken.“

Er hatte ihm alles erzählt, was er erlebt hatte, und Minomon war zutiefst beeindruckt, kam sich aber offenbar auch ein wenig fehl am Platz vor, nun, da er selbst Attacken beherrschte, die es nie erlernen würde. „Wirst du mich morgen kämpfen lassen?“

„Nein“, sagte er und sah es ernst an. Minomon wirkte traurig. „Du bist erst heute Morgen geschlüpft. Und ohne Veemon kannst du nur bis zum Champion-Level digitieren.“

„Aber ich kann trotzdem kämpfen!“

Ken erinnerte sich an den letzten Kampf. Daran, wie Stingmon von diesem Menschen besiegt worden war. Nein, nicht nur besiegt. Vernichtet. „Du wirst nicht kämpfen“, sagte er bestimmt. „Und jetzt keine Widerrede mehr.“
 

Wälder, DigiWelt

Sonntag, 2. September 2007

22:33 Uhr
 

„Ist auch wirklich alles in Ordnung, Davis?“ Raidramons Stimme zeugte von Sorge. Davis‘ Zustand hatte sich in den letzten Tagen nicht wirklich gebessert. Das Mal auf seiner Schulter hatte sich entzündet und sah nun eher wie eine alte Wunde aus als ein Handabdruck, und sein Fieber war zurückgekehrt.

„Jaja“, sagte Davis, während sie durch die Wälder ritten. Auch sie hatten T.K.s Verkündigung gehört. Davis hatte bisher noch gar nicht gewusst, dass sein ehemaliger Freund bei den Scherben war. Die Ansage machte es ihm klar.

T.K. war wahnsinnig.

Und Kari … wie hatte sie ihn nur jemals lieben können? Es war ihm mehr denn je ein Rätsel. Davis‘ Hände krallten sich fester um Raidramons Schulterstacheln. Nicht nur, dass er sie nicht beschützt hatte, dass er sie einfach hatte sterben lassen – jetzt machte er auch noch gemeinsame Sache mit dem Feind! Er hatte sie betrogen, ausgenutzt, Davis kam sogar der Gedanke, T.K. könnte schon länger auf der Seite der Scherben stehen, vielleicht sogar von Anfang an? Oikawa hatte ja auch von Myotismon Versprechungen bekommen und war darauf eingegangen, vielleicht war T.K. ebenfalls, als einfältiges, kleines Kind, auf die Seite der Dunkelheit gezogen worden, und sein Hass auf selbige war nur gespielt gewesen, um jeden Zweifel an seiner Gutartigkeit zu ersticken? Was, wenn er mit Piedmon schon seit damals gemeinsame Sache machte? Wenn es ein Plan gewesen war, ihn zu verbannen, um ihn nun wiederzuerwecken? Davis konnte sich nicht vorstellen, wozu das hätte gut sein sollen, aber das hieß nicht, dass es nicht möglich war … Stöhnend rieb er sich den Kopf. Ein Nadelkissen schien darin explodiert zu sein.

„T.K. …“, knurrte er. „Du falsche Schlange …“

„Sollen wir eine Pause machen, Davis?“

„Nein …“ Er würde nur einschlafen und wieder von ihr träumen. Und immer war T.K. in seinen Träumen an ihrer Seite, jedes Mal. Es machte ihn wahnsinnig. Er, Davis, hätte es sein sollen. Er hätte ihr Freund sein sollen, von Anfang an, er hätte es sein sollen, der in der Rauchenden Krone mit ihr in ihrem Zimmer … Ein Schmerzblitz rief Übelkeit in ihm hervor. „Halt … halt an …“, keuchte er und würgte.

Raidramon blieb stehen und ließ ihn absteigen, und Davis übergab sich auf den Waldboden. Bitterer Gallegeschmack blieb auf seiner Zunge übrig.

T.K. hatte nichts unternommen, um Kari zu schützen … schlimmer noch, er hatte sie ihm weggenommen, auf mehr als eine Weise, und anstatt Verantwortung zu zeigen, arbeitete er jetzt mit der Macht der Dunkelheit zusammen. „T.K, du verräterischer Mistkerl“, zischte Davis, während der Baumstamm, an dem er sich abstützte, sich vor seinen Augen verdoppelte und seine Sicht verschwamm, nur um beim nächsten Schmerzanfall in seinem Hinterkopf wieder kristallklar zu werden. „Dafür … werde ich dich töten.“

Special Chapter: Darkness' Wrath


 

Into the mountain land

The DigiAlliance marches
 

Summende Felder, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

5:50 Uhr
 

„Momentan sind noch keine Digimon in Sicht“, meldete Kentarou.

„Trotzdem haben wir nicht allzuviel Zeit“, sagte Taneo.

Im Osten graute der Morgen und kündigte den Tag der wahrscheinlich größten Schlacht in der Geschichte der DigiWelt an. Der Boden unter den Füßen der Dunklen vibrierte leicht; er fühlte sich an wie ein einziger, riesiger Massagesessel – anfangs noch ganz angenehm, aber irgendwann wurde es unerträglich. Ein leises Summen lag in der Luft. Ansatsu grub eine Mulde in das feine Geröll, das den Boden bedeckte, und legte eine der tellerförmigen Minen hinein, die sie in der Nacht aus der Realen Welt geholt hatten. Nichts technisch zu Komplexes, dessen Funktionsweise in der DigiWelt gefährdet war, nur Schießpulver und Druckplatten. Neben ihm waren zwei Apemon ebenfalls damit beschäftigt, die Ebene mit einer Minenlinie zu teilen.

„Ich weiß, ich weiß“, seufzte Kentarou und bewegte hektisch die Finger, die mit Schnüren mit den Gliedern der Apemon verbunden waren. „Es ist ja ganz nützlich, dass wir Puppetmons Marionettenfähigkeit aus dem Strudel geborgen haben, aber mehr als zwei Digimon krieg ich trotzdem nicht unter meine Knute. Das da sind nun mal keine Maschinen, sondern Affen mit feinen Fingern. Wenn Aki und Miyuki nicht ausgefallen wären …“

„Jammern hilft nichts“, sagte Taneo. Sogar er legte Hand an. „Beeilt euch einfach. Wir müssen die Armee noch kampfbereit bekommen.“

Als die Sonne aufging, beendeten sie ihre Arbeit, die nur halb erledigt war, töteten die Apemon, und zogen sich zurück.

Etwa zur gleichen Zeit machte sich die DigiAllianz auf den Weg zum Bluray-Gebirge.
 

Summende Felder, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

18:07 Uhr
 

Es war vorherzusehen gewesen, dass die Schlacht am Abend beginnen und in die Nacht hinein dauern würde. Die Albtraumsoldaten waren Digimon der Nacht, und die Dunklen verband mit selbiger zwar nur der Name, aber ihre Armee wartete geduldig auf das Erscheinen der Scherben.

Und ihre Armee war gewaltig, ganz gleich, was T.K. behauptete. „Das ist kaum zu glauben“, flüsterte Izzy.

Diesmal befand er sich fürs erste bei der Spähtruppe und lag, zusammen mit drei Piximon – eines davon war sein alter Bekannter vom Kontinent Server – und ein paar Gardisten auf einer Felskante an der Ostseite der Summenden Felder und sah auf die Fels- und Geröllebene hinab. Die Summenden Felder waren ein Fall für sich – selbst die Luft vibrierte und flimmerte, winzige Steinchen zitterten auf dem Boden und das Summen war ein steter, kaum hörbarer Begleiter, der es einem mulmig im Magen werden ließ. Und die ganze Ebene war voller Digimon. In der klaren Überzahl waren die Tankmon: In vier, fünf, sechs Reihen standen sie, von einem Ende der Ebene bis zum anderen; die panzerartigen Digimon weiter hinten konnte man nur noch schemenhaft in der herankriechenden Dunkelheit ausmachen. Immer wieder wurden die akkuraten Linien von eisgrauen Mekanorimon oder den Guardromon aus rötlichem Blech, das sie wie mit einer Rostschicht bedeckt aussehen ließ, unterbrochen, und vor den Panzern standen kleine, fast niedlich wirkende Echsendigimon, die Izzy noch nie gesehen hatte. Sie trugen Kevlaruniformen und dazu passende Militärhelme und hielten Sturmgewehre in der Hand. Was auch immer der Maschinen- oder Androidenanteil war, den der Dunkle Kentarou kontrollierte, er musste sich an einer nicht sichtbaren Stelle befinden. „Das sind Commandramon“, erklärte Piximon auf Izzys fragenden Blick hin. „Sie sind auf dem Rookie-Level, also kein Grund zur Beunruhigung.“

Das war es allerdings nicht, was Izzy beunruhigte.

Beunruhigend fand er das Ding, das in der hintersten Linie aufragte und so groß wie ein mehrstöckiges Haus war, ein grünes Maschinenmonster auf zwei Beinen. Izzy hatte in letzter Zeit viel mit Willis, dem amerikanischen DigiRitter, den er schon jahrelang kannte, geschrieben. Er hatte sich intensiv mit den Entwicklungsstufen seiner Zwillingsdigimon beschäftigt und von ihm wusste Izzy, dass dieses Wesen dort ein MegaGargomon war – ein Maschinendigimon auf dem Mega-Level. Wenn die Scherben nicht etwas Vergleichbares auffahren konnten, würde dieses Digimon wohl den Ausschlag in der Schlacht geben.

Izzy konnte kaum schätzen, wie viele Digimon er dort unten sah. Damals, als sie im Internet gegen Diaboromon gekämpft hatten und es sich vervielfältigt hatte, hatte alles von den zahllosen Kopien nur so gewimmelt. Diese Digimon hier wirkten weniger zahlreich, aber das lag vielleicht daran, dass sie in Reih und Glied aufgestellt waren. Dennoch füllten sie zusammen gut das südliche Drittel der Summenden Felder und mochten vielleicht sogar mehrere Tausend sein.
 

In the Bluray Mountains, summer 2007

Tanks line up in thousands as far the eye can see

Ready for the onslaught

Ready for the fight

Waiting for the Shards to march into a trap
 

Diese schiere Menge an Gegnern machte Izzy nervös. Er musste sich in Erinnerung rufen, dass nicht sie all diese Digimon zerstören mussten, die nicht einmal böse gesinnt waren, sondern einfach nur kontrolliert wurden. „Wie konnten die Dunklen so viele Digimon verstecken, wenn sie sie nicht in ihrer Festung hatten?“, murmelte er, mehr an sich gewandt.

„Vielleicht überall in der DigiWelt verteilt“, mutmaßte Piximon. „Kontrollierte Maschinendigimon lassen sich von anderen nicht unterscheiden, wenn dieser Kentarou offline ist. Oder sie haben sie unterirdisch eingepfercht.“

„Und du bist wirklich sicher, dass sie uns nicht bemerken? Sie haben sicher viele Sensoren“, meinte Izzy unbehaglich. Vor allem die Mekanorimon kamen ihm technisch recht hochwertig vor.

„Keine Sorge“, sagte Piximon. „Unsere dreifache Tarnkappe macht uns für sie auf jeder Ebene unsichtbar, solange niemand versehentlich in unsere Richtung schießt.“

Izzy hörte nur mit einem Ohr zu. Auf der anderen Seite der Ebene marschierten nämlich die Albtraumsoldaten auf.

Taneo musste mehr als nur die Triumviratoren erweckt haben, oder aber die Scherben hatten neue Soldaten rekrutiert, denn als Izzy die Armee sah, wurde ihm übel. Wenn Piedmon bei ihrem Kampf damals all diese Digimon auf dem Spiralberg gehabt hätte, hätten die DigiRitter mit Pauken und Trompeten verloren, dessen war er sich bei diesem Anblick sicher. Sie strömten aus Nischen und Höhlen der gut hundert Meter hohen Felswand am Ende des Geröllfeldes, oder kletterten von oben herab, eine finstere, sich drängende Masse, wie Tinte, die sich in jede Faser eines Schwammes sog, wie ein Damm, der gebrochen war und dessen Wasser sich reißend und zerstörerisch auf seine Umgebung ergoss. Der größte Teil der Armee bestand aus Ogremon und Goblimon, dicht gefolgt von Gazimon, aber abgesehen davon gab es so viele verschiedene Digimon, dass sie Izzy nur nach und nach auffielen.

Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis die Scherben in Position waren und die nördliche Hälfte der Felder komplett ausfüllten, und Izzy fragte sich, warum die Dunklen warteten. Musyamon, das wohl das Sprachrohr der Scherben war, rief mit lauter, rauer Stimme über das Feld. „Da ihr so zahlreich eure Schrotthaufen vorschiebt und euch selbst nicht zeigt, gehe ich davon aus, dass ihr unser Angebot ablehnt?“

Die Antwort kam prompt. Eines der Tankmon regte sich und schoss ein Projektil aus seiner Kanonenschnauze ab, mitten in die Albtraumsoldaten auf Musyamon. Der dunkle General in der Samuraikleidung riss sein gewaltiges Krummschwert hoch und zerhackte den Schuss mitten im Flug, der sofort explodierte, ihm aber nicht einmal das Schwert aus den Händen riss. „Wunderbar“, brüllte Musyamon heiser. „Die Karten euren leblosen Fingern zu entreißen ist die bessere Option! Soldaten! Zum Angriff!“

Izzy hielt den Atem an. Ironischerweise schienen Musyamons Worte die Maschinenarmee zuerst zu berühren, denn wie ein einziges Wesen richteten die Tankmon ihren Rohre aus, die Guardromon hoben die Arme, die Mekanorimon brachten sich in Position und die Commandramon ihre Gewehre in den Anschlag. Mit einem einzigen, ohrenbetäubenden Knall, der Izzys Trommelfell protestierend klingeln ließ, brachen die Attacken los, und im gleichen Moment riss direkt vor den Scherben der Boden auf und schwarzblaue Flammen züngelten daraus hervor. Die Geschosse wurden von dem Feuer gefressen, einzig die Laserstrahlen der Mekanorimon peitschten hindurch und schlugen in den Reihen der Scherben ein, als sich riesige, krallenbewehrte weiße Tentakel in die Höhe schlängelten und aus den Flammen ein riesiges Digimon emporwuchs.

Izzy konnte nicht verhindern, dass ihm ein kleiner Schrei entfuhr. MarineDevimon. Sie hatten MarineDevimon unter den Felsen versteckt – wahrscheinlich war es keine Hexerei gewesen; eine Kaverne, die groß genug für es war, unter dem Feld, vermutlich. Dennoch war das Erscheinen des Giganten beeindruckend.

Was die Maschinenarmee anging, so empfanden sie keine Furcht. Was immer die Scherben versuchten, um den Feind zu entmutigen, es musste einzig und allein Kentarou treffen, und der gab sich unbeeindruckt, denn kaum dass der General der Marinedivision erschienen war, öffneten sich die Waffenklappen des MegaGargomons. Auch die anderen Maschinen schossen auf MarineDevimon, und wo die Attacken nicht in den lodernden Flammen vergingen, die es auf seine Feinde spie, trafen sie die empfindliche, weiche Haut des Digimons. Die Scherben hatten mit ihm eine beeindruckende Verteidigung aufgefahren, aber ein oder zwei Angriffe von MegaGargomon würden es erledigen, dessen war sich Izzy sicher.

Und wohl nicht nur er.

Ein Röhren übertönte das Donnern der Geschütze, und wie ein Pfeil schoss Megadramon über die nördlichen Felsspitzen hinweg, schnellte mit peitschendem Schwanz auf MegaGargomon zu, und obwohl die Ebene so groß war, war es binnen eines Augenblicks bei ihm und schlängelte sich in Spiralen um das riesige Maschinendigimon. Etwas blitzte auf, dann breiteten sich schwarze Punkte wie Ameisen auf der stählernen Haut des Digimons aus. Izzy stellte seinen Feldstecher scharf und bekam ihn für eine halbe Sekunde vor die Linse – T.K, auf dem Kopf des Megadramons sitzend, mit wehendem Umhang und glühendem DigiVice, dann verschwand das Megadramon so schnell wieder hinter den Felsen, wie es gekommen war, ohne dass Kentarou auch nur ein Projektil an dieses pfeilschnelle Digimon verschwendet hätte. Jetzt wusste Izzy immerhin, dass T.K. tatsächlich auch mitkämpfte. Für ein paar Momente hatte er gehofft, er würde in der Finsterzitadelle bleiben.

Die Fledermäuse seines Gruselflügels strömten zielgenau in die Kanonenrohre und Schussöffnungen des MegaGargomons und verstopften sie wie schwarzer Kleber, und Kentarou schien dies zu spät zu bemerken, denn er ließ das Digimon seinen Angriff nicht abbrechen. Unter der Metallhaut krachte und barst es, Stahl flog durch die Luft, als die Geschosse noch im Inneren des Digimons explodierten. Raketen detonierten in ihren Rohren, zerfetzten sie, hunderte qualmende Risse öffneten sich auf MegaGargomons Körper. Als das Kugelgewitter in ihm zu toben aufhörte, ruckte das Digimon mit den Gliedern. Elektrische Blitze sausten seinen Körper entlang und es konnte sich nicht mehr richtig bewegen. Wankend stolperte es einen Schritt vor und zermalmte Panzer und Metall unter seiner mächtigen Tatze.

Unter lautem Schlachtengeheult stürmten die Scherben los. Die Tankmon und Guardromon feuerten nach wie vor, aber die Albtraumsoldaten dürsteten nach einem Kampf und obwohl die Granaten und Hyperkanonen sie reihenweise von den Füßen rissen und ihre Daten himmelwärts schickten, hielten sie mit ihrem Ansturm nicht inne, bis sie die Reihen der Maschinenarmee erreicht hatten.

Dann wurden sie von Explosionen unter ihren Füßen buchstäblich in Stücke gerissen.

Izzy keuchte auf. Die vordersten Ogremon, die Knochenkeulen schon zum Schlag erhoben, vergingen plötzlich in Wolken aus Feuer und Steinsplittern, zu denen sich ihre Datenwolken gesellten. „Was ist das?“, fragte eines der Piximon schrill. „Was geht da vor?“

„Minen“, murmelte Izzy. „Waffen aus unserer Welt …“

Nicht überall lagen die Minen, aber wo sie waren, wirkten sie verheerend. Weil das Heer der Albtraumsoldaten so gedrängt stand, riss jede einzelne mindestens fünf Digimon mit in die Luft. „Vorwärts!“, hörte Izzy Musyamon über das Schreien und Krachen brüllen, und der Angriff ging mit unverminderter Härte weiter, bis jede einzelne Mine ausgelöst war. Und nicht einmal dann sah es so aus, als hätten die Scherben wirklich Digimon verloren. Der Tintenklecks der Albtraumsoldaten verschwamm weiter und sickerte durch die Reihen der Maschinen. Die Commandramon wurden einfach über den Haufen getrampelt, dann nahmen die Ogremon mit ihren Kaiserfäusten und Knochenkeulen die Tankmon aufs Korn, und von da an war es unmöglich zu sagen, wer in dem Scharmützel die Oberhand behielt. Auch MarineDevimon setzte sich nun schwerfällig in Bewegung und drosch mit seinen langen Tentakeln auf das roboterhaftig zuckende MegaGargomon ein, bis es einfach umfiel und einen großen Teil der Armee der Dunklen einfach unter sich zerquetschte und zu Altmetall verarbeitete.
 

Mines were placed in darkness

In the cover of the night

Waiting to be triggered

When the time is right

Imminent invasion, imminent attack

Once the battle started

There's no turning back
 

„Ist das nicht genug Information?“, fragte das ängstliche Piximon, das auch vorhin gesprochen hatte. „Wir sollten Leomon benachrichtigen.“ Sie benutzten kein Headset, weil kein Funksignal das Tarnfeld der Piximon passieren konnte.

„Noch nicht“, sagte Izzy. Auch seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt und er wollte nichts lieber, als von hier zu verschwinden, am besten ohne jemals zurückzukehren, denn auf einmal hatte er die schreckliche Vision, dass die Felsen, auf denen sie hockten, unter der Wucht der Angriffe unten auf dem Schlachtfeld, die den Boden erzittern ließen, einfach zerbröckeln würden und sie mitten in einen brodelnden Kessel aus mehreren zehntausend Digimon stürzen würden, von denen jedes einzelne blutdürstig und ihnen feindlich gesinnt war. Aber noch konnten sie sich nicht zurückziehen, denn es hatte sich noch keiner der Dunklen persönlich gezeigt.

Selbst jetzt, da die Tankmon im Nahkampf angegriffen wurden, gingen ihnen die Ziele nicht aus, denn aus den Nischen und Berghöhlen in der nördlichen Felswand strömten immer noch Scherben, ein nicht abbrechen wollender Strom aus Nachschub, der es Izzy kalt über den Rücken laufen ließ. Die Ogremon an der Front waren so schlau, nicht gleich die ersten Digimon niederzuprügeln, auf die sie tragen, sondern tief in die feindlichen Reihen zu laufen, an Panzerketten und Maschinenbeinen vorbei, um Platz für die nachrückenden Albtraumsoldaten zu bieten und auch die Guardromon und Mekanorimon weiter hinten angreifen zu können. Letztere liefen nun sichtlich zur Hochform auf: Offenbar war es ihre Aufgabe, die Scherben, die sich in ihre Linien wagten, mit präzisen Schüssen auszuschalten, und während die Ogremon nur langsam vorwärtskamen, wurden ihre unförmigen Schädel von Laserblitzen druchbohrt. Ein einziger Fernlichter traf gleich mehrere Albtraumsoldaten in einer Reihe, ohne die eigenen Digimon auch nur zu streifen; dafür sorgten die akkuraten Linien, in denen die Panzer aufgestellt waren.

„Da oben!“, rief Piximon und deutete mit seinem Speer auf die nördliche Felswand. Izzy stellte seinen Feldstecher auf die Entfernung ein und sah rotweiße Spinnenwesen über den Felsen krabbeln. Und er fühlte gleichzeitig, wie ihm selbst etwas Kaltes, Vielbeiniges über den Rücken kroch. Es waren Infermon, vier, sechs, acht der Digimonart, gegen die er, Tai, Matt und T.K. einst im Internet gekämpft hatten.

„Sind das überhaupt Albtraumsoldaten?“, fragte er.

„Es müssen Söldner sein“, vermutete Piximon. „Die Scherben haben ihre Armee ordentlich aufgestockt. Nach dieser Schlacht sind sicherlich eine Menge Daten zum Fressen da.“

Die Infermon blieben auf Felsvorsprüngen hocken, zogen ihre Gliedmaßen ein und wurden zu unangreifbaren, lebenden Bunkern, während sie aus den kleinen Kanonen in ihren Mäulern ein tödliches Dauerfeuer auf die Dunklen niedergehen ließen, deren Attacken sie nicht einmal kratzten.

Die Farben auf dem Schlachtfeld indes schwappten nach Süden. Während die Maschinenarmee immer noch nicht vorrückte, waren ihre vorderen Panzerreihen bereits nur noch Schutt und Asche. Ogremon, Goblimon und Gazimon vernichteten nach und nach ihre Maschinen, und wenn eines von ihnen fiel, wurde es sofort von nachrückenden Scherben ersetzt. Izzy sah, dass, je weniger Ogremon auf dem Schlachtfeld waren, desto mehr Fugamon ihre Plätze einnahmen, die im Prinzip Ogremon mit roter Haut und Tigerfellen waren und noch ein wenig wilder und ungezügelter als ihre grünhäutigen Brüder wirkten.

Die Sonne blinzelte schräg über die Felsen und Izzy fiel es zunehmend schwer, etwas zu erkennen, als plötzlich irgendetwas mit dem Licht nicht stimmte. Er sah in den Himmel und erstarrte. Die Luft dort oben hatte zu flimmern begonnen, die rosa gefärbten Wolken verblassten, das Sonnenlicht wurde gebrochen und blitzte in allen Regenbogenfarben auf, ehe das Flimmern Gestalt annahm.

Hoch über dem Schlachtfeld, höher noch als die es umgebenden Bergspitzen, tauchte Ansatsu auf, winzig aus der Entfernung, die Arme über sich gestreckt, auf denen eine riesige Schwarze Planetenkraft thronte. Kaum dass er erschienen war, fiel er, schleuderte die zerstörerische rote Kugel von sich und löste sich wieder in Luft auf. Mit vernichtender Wucht fuhr die Mega-Attacke in die nördliche Felswand, löschte die Hälfte der gepanzerten Infermon aus und ließ Felsen und Gesteinsbrocken auf die Albtraumsoldaten herabregnen, und das alles, obwohl Ansatsu nur für eine oder zwei Sekunden zu sehen gewesen war.

Izzy schluckte. Es wurde ernst. „Okay, jetzt wissen wir, dass sie wahrscheinlich selbst auch in der Nähe sind, und mit Sicherheit haben sie die Karten dabei.“ Er wandte sich Piximon zu. „Gehen wir zu den anderen zurück.“
 

Die DigiAllianz lagerte unweit des Kampfgeschehens in einer Talsenke, von wo aus sie höchstens zwanzig Minuten bis zu den Summenden Feldern hatte. Die Piximon flogen Izzy in ihrer Tarnblase sicher zu Leomon und den anderen DigiRittern, wo er ihnen die Lage schilderte. „Noch hat keiner einen Vorteil errungen“, schloss er seinen Bericht ab, „aber die Dunklen haben eindeutig die kleinere Armee. Das heißt, sie werden auch selbst eingreifen müssen, wenn sie gewinnen wollen.“

Leomon nickte. „Gut. Wir werden uns das zunutze machen und die Maschinen von hinten angreifen. Wenn wir sie so in die Zange nehmen, zwingen wir die Dunklen aus ihrem Versteck und kommen auf diese Weise an ihre Karten.“

„Wartet, General Leomon“, warf Jerrymon ein. „Sollten wir nicht lieber abwarten, bis sich ihre Armeen ein wenig dezimiert haben? Wenn wir die Dunklen so schnell besiegen, sind die Scherben womöglich noch zu stark für uns.“

„Pah!“, rief Rapidmon mit seiner blechernen Stimme. „Nichts und niemand kann uns aufhalten, das haben wir bei der Stadt des Ewigen Anfangs gesehen!“

„Ich teile deine Sorgen, Jerrymon“, sagte Leomon beschwichtigend, „aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Scherben ihre Basis hier ganz in der Nähe haben. Vielleicht haben sie dort noch Reservetruppen. Wenn wir Pech haben, passiert die Niederlage der Dunklen so schnell, dass wir zu spät reagieren. Mit Megadramon können sie die Karten, wenn sie sie erringen, in Windeseile in die Finsterzitadelle bringen, und wenn sie ihren Meister Piedmon beschwören …“

Es sprach nicht weiter, aber jeder wusste, was passieren würde. Die DigiRitter hatten Piedmon zwar schon besiegt, aber mit MagnaAngemons Hilfe, das jetzt ironischerweise auf seiner Seite stand, und mit dieser riesigen neuen Armee und den Söldnern im Rücken könnte es durchaus sein, dass sie ihm diesmal nicht gewachsen waren, vor allem nach einem erschöpfenden Kampf.

Leomon zog sein Schwert. „Auf, ihr Tapferen! Lasst uns in den letzten Kampf ziehen! Unser erstes Ziel sind die Dunklen – lasst sie büßen dafür, dass sie der DigiWelt diesen Krieg gebracht haben!“
 

The end of the Dark Ones draws near

Their time has come to an end

The end of an era is here

It's time to attack!
 

Die Reihen der Dunklen kamen ins Wanken, als die DigiAllianz auf das Schlachtfeld hereinbrach wie ein gewaltiger, tosender Sturm. Südlich der Summenden Felder gab es ein Labyrinth aus hunderten verästelten Wegen, oft nur einen Meter breit, die allesamt auf die Felsebene führten. Diese Schluchten waren nun mit Digimon gefüllt, als sie auf das Schlachtfeld drängten und der Maschinenarmee in den Rücken fielen. Wer konnte, flog über das Labyrinth hinweg, so auch Garudamon und Aquilamon, die nun beide dem Geschwader der Allianz zugeteilt worden waren.

Izzy war bei Jerrymon und Vademon dort geblieben, wo zuvor ihre Armee gelagert hatte, um den taktischen Stützpunkt zu bilden. Die Funktion als Aussichtsposten übernahm jetzt Andromon, zusammen mit den Piximon. Es war über Kabeln mit Izzys neuem Laptop verbunden, sodass dieser am Bildschirm sah, was Andromon sah. Bis auf Cody, der eine Spezialtruppe anführte, kämpften die anderen DigiRitter und ihre Digimon an der Front.

Als das Geschwader mit Garudamon und Aquilamon an der Spitze auf das Feld hinausflog und die Snimon einen tödlichen Sichelregen auf beide Fraktionen niedergehen ließ, geschah, was der Taktische Stab vorhergesehen hatte: Das Vilemon-Battailon rückte aus.

„Da kommen sie!“, rief Yolei, die auf dem Rücken von Aquilamon saß. Der Wind zerrte an ihrem fliederfarbenen Haar, als sie aufgeregt auf die nördliche Felswand deutete, über der eine lebende, schwarze Wolke den Himmel verdunkelte. „Geschwader, zum Angriff!“

Eigentlich hatte sie gar nicht das Kommando über das Allianzgeschwader, doch die Heldentaten der DigiRitter in der Stadt des Ewigen Anfangs und das Lied bei der anschließenden Siegesfeier hatten die Digimon ihre Sympathie gewinnen lassen, und so folgten sie dem Befehl. Snimon, Kuwagamon und Okuwamon schossen mitten in die Fledermauswolke, und scharfe Klingen und Zangen pflückten die Vilemon aus dem Himmel.

„Yolei, werd bloß nicht unvorsichtig“, drang Matts Stimme aus ihrem Headset verzerrt an ihr Ohr.

„Keine Bange“, rief sie in das Mikrofon. „Ich hab hier alles unter Kontroll – aahhh!“ Vor ihnen schoss der gewaltige Körper von Megadramon aus der schwarzen Wolke. Sie kreischte auf, als Aquilamon sich scharf in die Kurve legte in einen halben Looping flog, der sie fast abwarf, und so scharf an Megadramons Zähnen vorbeiflog, dass sich ein paar rotbraune Federn aus Aquilamons Gefieder lösten und im Flugwind davontänzelten.

„Yolei, ist alles in Ordnung?“, hörte sie Matt rufen. „Yolei!

„Alles … okay“, keuchte sie. Ihr war übel, sicher war sie käsebleich im Gesicht. Das wäre beinahe schief gegangen. „Me… Megadramon ist draußen, passt auf!“

Die anderen hatten das gefährliche Drachendigimon natürlich schon entdeckt. Yolei sah, wie eines der straußenähnlichen Peckmon, die die Befehle des Generals oder des Taktischen Stabs weiterleiteten, über die südliche Felswand rannte und das letzte Stück zu einem der Okuwamon fliegend zurücklegte, ihm ein Kommando übergab und sich dann wieder zurückzog. Okuwamon befahl dem Geschwader etwas, aber die Vilemon-Flügel, die Yolei immer noch umgaben, flatterten zu laut, als dass sie es verstehen konnte. Aquilamon flog höher, um den Albtraumschocks zu entkommen, die auf sie einprasselten, spießte zwei Vilemon auf und dann sah Yolei endlich wieder die Wolken über sich, rot verfärbt vom Abendlicht. Sie atmete schon erleichtert auf, als sie plötzlich grobe Hände packten, überall, an der Schulter, den Armen, selbst am Kopf, sie krallten sich in ihre Haare und rissen schmerzhaft daran. Yolei schrie auf. Die Berührungen waren eiskalt.

„Yolei!“, rief Aquilamon.

„Lasst mich loooos!“, kreischte sie und sah die gehässig grinsenden Bettlakengesichter der Bakemon, die ihre blauen Geisterkrallen in ihre Haut gruben. Aquilamon vollführte ein halsbrecherisches Manöver, das sie fast abwarf, aber die Bakemon konnte es nicht abschütteln. „Nein, nein, nein!“, schrie Yolei und schlug wild um sich, mit dem Ergebnis, dass ihre Fäuste nun auch wie mit Schraubstöcken blockiert wurden und eine grässliche, stinkende Pranke schloss sich um ihren Unterkiefer und hielt ihr Mund und Nase zu.
 

Into the mountain land the DigiAlliance marches

Comrades stand side by side to stop the Shards‘ charge

Panzers on quaking soil, a thunder in the east

Thousands of Digimon

Darkness‘ wrath unleashed!
 

WarGreymon, MetalGarurumon und natürlich Rapidmon gehörten zu den ersten Digimon, die sich am Boden in die Schlacht stürzten, und schlugen eine verheerende Bresche in die Maschinenarmee. Matt und Tai waren mit ihren Headsets direkt hinter ihnen. Ihre Kurzschwerter wirkten wie Spielzeuge verglichen mit den Waffen ihrer Digimon, aber Leomon war zu SaberLeomon digitiert und blieb in ihrer Nähe.

Matts Ohren hielten der Belastung kaum stand. Kreischendes Metall, das Detonieren der Attacken, die Schreie der Allianzdigimon. Die hinteren Linien der Dunklen schwenkten simultan herum und nahmen es mit den angreifenden Digimon auf. Rapidmon flog über die Maschinen hinweg und deckte sie mit einem fürchterlichen Dauerfeuer ein. Drimogemon bohrten sich aus der vibrierenden Erde, brachten Tankmon zu Fall. SaberLeomons Krallen gruben sich knirschend in den Panzer eines Mekanorimons, noch ehe es seinen Laser abschießen konnte. Weiter vorne wirbelte WarGreymon Feinde mit seiner Megakralle auf, bohrte sich nicht nur durch die Reihen der Dunklen, sondern bis durch die Front der Scherben, zermalmte Ogremon und Fugamon. Auch MetalGarurumon hielt sich nicht lange mit den Maschinendigimon auf. Ein Mega-Level-Digimon wie der metallene Wolf brachte mehr im Kampf gegen das Ultra-Level. Eisiges Licht floss aus seinem Maul, als es MarineDevimons schwarzes Feuer auslöschte. Ein Klappte in seiner Brust offenbarte eine einzelne Rakete. „Metallschlag!“ Mit einem endgültigen Knall zerbarst die Rakete mitten in MarineDevimons Brust und riss ein Loch hinein, sodass man durch hervorquellendes blaues Blut die Felswand hinter ihm sehen konnte. Mit einem dröhnenden, unmenschlich klingenden Stöhnen sackte der General der Albtraummarine in sich zusammen.

WarGreymon schoss indessen in die Lüfte und schleuderte eine Planetenkraft auf das am Boden liegende MegaGargomon, die auch es endgültig vernichtete.

„Vorrücken!“, kommandierte SaberLeomon. Weitere Allianzdigimon strömten auf die Summenden Felder, stürmten über die vibrierenden Felsen: Apemon und Kokatorimon, die Helden der letzten Schlacht, sowie Monzaemon und sogar Gekomon und Otamamon, über denen ihr riesiger König ShogunGekomon aufragte. Und dort, zwischen ihren alten Freunden, entdecke Matt Mimi, wie sie mit geballten Fäusten in die Schlacht starrte. In dem Getöse der Schlacht war es fast unmöglich, sich zu verständigen, also tippte Matt Tai nur an und deutete in ihre Richtung. Sein bester Freund schnappte nach Luft und stampfte an einer Horde Elecmon und Minotarumon vorbei zu Mimi.

In dem Moment hörte Matt Yolei aus den Lautsprechern seines Headsets einen Schlachtruf schreien. „Yolei, werd bloß nicht unvorsichtig!“, rief er in sein Mikro und hoffte, dass sie ihn hörte. Er war dagegen gewesen, dass sie sich auf Aquilamon setzte, aber letztendlich hatte sie das überzeugende Argument gebracht, dass jemand von ihnen mit einem Funkgerät auch im Luftraum anwesend sein sollte.

„Keine Bange“, hörte er sie fast übermütig. „Ich hab hier alles unter Kontroll…“ Ein Aufschrei ließ Matt mit den Zähnen knirschen. Von wegen!

„Yolei, ist alles in Ordnung? Yolei!“, rief er, mit einer Hand das Mikrofon von Umgebungsgeräuschen abschirmend, und ging an den Rand des Schlachtfelds zurück, um nicht während des Gesprächs von einer verirrten Kaiserfaust oder einem Kanonenschuss getroffen zu werden, die die ganze Zeit schon über seinen Kopf hinwegrauschten.

Erleichtert stellte er fest, dass sie noch da war, auch wenn er nur erahnen konnte, dass das, was sie sagte, war, sie wäre in Ordnung. Alles Weitere verstand er nicht, da ihre Stimme zu leise war und nur das Rauschen von Flügeln und Wind aus Matts Kopfhörern drang. Matt sah, wie ein Peckmon zu SaberLeomon jagte und es sicherlich mit neuen Informationen versorgte, und wollte eben zu dem Säbelzahntiger zurückgehen, als er Yolei erneut schreien hörte, dann wurde die Verbindung schlechter. „Yolei! Was ist los? Yolei!“, brüllte er ins Mikro, hörte aber nur Rauschen. Als es kurz wieder nachließ, schrie sie noch immer. „Yolei!“, wiederholte er. Verdammt, was sollte er nun tun? Eisige Schauer liefen seinen Rücken hinunter. Wenn auch sie starb … Warum hatte er nur so ein riskantes Manöver erlaubt? Noch ein paarmal schrie er ihren Namen, dann knackte etwas und selbst das Rauschen verschwand. Plötzlich hatte Matt das Bild einer gewaltigen Klaue vor Augen, die das Headset von ihren Ohren riss und zwischen den Fingern zerbrach. Jedenfalls hoffte er, dass das Knacken daher rührte, und nicht etwa von Yoleis Genick … Schluckend und um Fassung bemüht drehte er am Frequenzregler, bis er die Taktische Einheit dranhatte. „Izzy“, versuchte er den Schlachtenlärm zu übertönen. „Yoleis Signal ist tot. Weißt du, was da los ist?“

Es dauerte ein paar Sekunden, die ausreichten, um Matt Schweiß über das Gesicht laufen zu lassen. Das lag zum Teil auch an der Hitze, die sich auf dem Schlachtfeld ausbreitete. Obwohl er am Rand des Geschehens stand, hinter den eigenen Linien, spürte er bis hierher das Feuer der brennenden Maschinenwracks. „Sie ist nicht mehr beim Geschwader“, ertönte Izzys Stimme. „Laut Andromons Beobachtungen sind sie und Aquilamon über das Vilemon-Battailon geflogen.“

Matt wusste nicht, ob das nun gut oder schlecht war. „Könnt ihr nicht irgendwen nach oben schicken, um sie zu suchen?“

Nun hörte er Jerrymons ruhige Stimme. „Das ist im Moment schlecht. Alle Truppen sind im Gefecht. Garudamon und die Okuwamon versuchen, Megadramon zu erwischen, damit es ein für alle Mal besiegt ist. Sobald das geschafft ist, können wir Einheiten entbehren.“

Matt stieß einen Fluch aus. Es war schlecht, eindeutig. Er fühlte sich hilflos, ein Mensch unter Abertausenden Digimon, die allesamt so in Rage schienen, dass er es wie ein Wunder fand, dass sie Freund und Feind noch auseinanderkannten.
 

„Izzy, lass mich Garudamon helfen“, schlug Tentomon vor. „Vielleicht können wir Megadramon dann erwischen.“

Izzy sah es zweifelnd an. „Meinst du?“

„Vertrau mir. Wir schnappen es uns wie das Airdramon in der Stadt des Ewigen Anfangs.“

Der Rotschopf überlegte nur kurz. Yoleis Leben stand auf dem Spiel. „Also gut. Aber sei vorsichtig.“

„Logisch!“ Tentomon hob ab und verließ die Basis. Izzy sah auf seinem Laptop, wie MegaKabuterimon zu Garudamon und einem Okuwamon stieß. Das andere Käferdigimon verging soeben in einem Feuerball. Megadramon hatte es eiskalt im Flug getroffen. Von Andromons Warte aus war Megadramon gut zu sehen, aber T.K. war offenbar nicht mehr auf ihm. Aus MegaKabuterimons Horn schoss ein Blitz, der allerdings zu langsam war, um dieses Digimon zu erwischen.

„Es ist teuflisch schnell“, bemerkte Vademon überflüssigerweise. „Wir werden eine Menge Glück brauchen.“

„Mehr als nur Glück“, murmelte Izzy, als auch Garudamons Flügelklinge danebenging und das Vogeldigimon nur knapp einer Drachenwind-Rakete ausweichen konnte. Die Ultra-Digimon kämpften ein wenig oberhalb des Geschwaders und des Battailons, wo sie sich besser bewegen konnten. Die anderen Insektendigimon hielten sich gut, aber die Vilemon waren eindeutig in der Überzahl, und die fliegenden Digimon bewegten sich zu schnell und zu oft hin und her, als dass man hätte sagen können, wer am Gewinnen war. Izzy stellte seine Frequenz neu ein. „Ken, hörst du mich?“

Undeutlich vernahm er die Stimme des Datenpiraten. „Izzy?“

„Wo bist du gerade?“

Er hörte ein Zischen und ein schrilles Quietschen. Ken klang außer Atem, als er antwortete. „Vorne an der Front, etwa in der Mitte.“

Izzy wählte seine Worte mit Bedacht. „Wir haben nichts mehr von Yolei gehört, wahrscheinlich ist ihr Headset defekt, aber wir können niemanden raufschicken, ehe Megadramon nicht aus dem Weg ist. Hast du eine Idee?“

Kurze Stille. Izzy hoffte, dass er Ken nun nicht zu sehr beunruhigt hatte, doch als er antwortete, klang er gefasst. „Ich werde sehen, was mir einfällt.“
 

T.K. stand auf der nördlichen Felsspitze; genauer gesagt, ein wenig hinter dem scharfkantigen Rest, den Ansatsus Attacke hinterlassen hatte, gerade so, dass er einen guten Blick zwischen zwei Felszacken auf das Schlachtfeld hatte. Angemon stand neben ihm.

Die DigiAllianz war eingeschritten. Das hatte er kommen sehen; wenn alles glatt lief, spielte es keine Rolle. Vielleicht würden sie auch diesem Raubtier hier und heute die Zähne ziehen. Er sah auf seine eigene Seite hinunter und zollte Musyamon im Stillen Respekt. Der General hatte seine Soldaten in die nördliche Hälfte des Feldes zurückbeordert und somit den Süden komplett der DigiAllianz überlassen. Es arbeitete daran, mit den verbleibenden Infermon eine Art Barriere aufzubauen, um die Scherben so lange zu schützen, bis die meisten der Dunklen vernichtet waren.

„Na, wie gefällt dir unsere Armee? Es ist das erste Mal, dass du sie siehst, oder, Mensch?“

T.K. brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wem diese knarrende Stimme gehörte. „Ich habe nicht erwartet, Euch so nah am Geschehen zu sehen, Meister SkullSatamon. Ich habe Euren Mut wohl unterschätzt.“

„Hüte deine gespaltene Zunge“, krächzte das Skelettdigimon und beobachtete argwöhnisch Angemon. „Was ist das? Nach all den Gerüchten über dich hatte ich eigentlich angenommen, MagnaAngemon hätte schon all das Getier dort unten in ein Himmelstor eingesaugt. Sympathie für deine alten Freunde, Takeru?“

„Sicherlich nicht“, sagte T.K. trocken. „Ich habe daran gedacht. Aber wenn MagnaAngemon auf dem Schlachtfeld erscheint, wird jeder wissen, was ich vorhabe, und alle drei Seiten werden es ins Visier nehmen. Ich brauche seine Stärke außerdem später noch.“

„Ach?“

„Überlasst das strategische Denken mir, Meister SkullSatamon“, sagte T.K. ärgerlich. „Das wäre besser.“

„Hm“, machte das Skelettdigimon und spielte mit seinem Knochenstab, als überlegte es gerade, wie es T.K. damit am besten hinunter aufs Schlachtfeld stoßen konnte.

„Aber die Armee ist wirklich beeindruckend“, sagte T.K. nach einer Weile, während er sah, wie Megadramon, Garudamon und MegaKabuterimon sich am Abendhimmel umkreisten. In Gedanken schrieb er das Drachendigimon bereits ab. „Wie konntet Ihr so viele Digimon um Euch scharen?“

SkullSatamon kicherte. Es klang, als würden Knochen auf Knochen scheren – vielleicht war es auch genau das. „Die DigiWelt ist groß. Anhänger der Dunkelheit gibt es überall, und sie haben sich nach dem Tod unseres Meisters bedeckt gehalten. Und schließlich haben wir auch unermüdlich neue Rekruten in der Stadt des Ewigen Anfangs gezüchtet und trainiert. Als man uns Triumviratoren in den Schlaf bannte, war einer der Gründe unsere Fähigkeit, die Splitter der Macht der Dunkelheit anzuziehen wie Magnete.“ Wieder kicherte es. „Man könnte durchaus sagen, die Scherben wären heute stärker als damals, als sie noch eine Einheit waren.“

T.K. schüttelte amüsiert den Kopf. „Da ist Euch aber ein Denkfehler unterlaufen. Zahlreicher seid ihr vielleicht. Aber nicht stärker. Oder gibt es noch ein Mega-Digimon unter euch? Nein. Ihr seid viele Splitter, aber nur deswegen, weil jeder Splitter für sich winzig ist.“

SkullSatamon knurrte wütend, wechselte dann aber das Thema, was für T.K. einem Sieg gleichkam. „Hast du schon von der Stadt des Ewigen Anfangs gehört, Takeru?“

Er nickte. „Wir brauchen sie nicht mehr. Alles, was wir brauchen, befindet sich bereits hier. Zumindest hoffe ich, dass wir nicht zu viel zurückhalten, beispielsweise um die Angst gewisser Digimon zu beruhigen.“

SkullSatamons Totenkopfkiefer klappte auf und für einen Moment sah es wirklich so aus, als würde es T.K. gleich in die Tiefe stoßen wollen. Auch Angemon spürte seine Feindseligkeit und trat demonstrativ einen Schritt näher. Schließlich straffte das Knochendigimon demonstrativ die Schultern. „Schön“, krächzte es. „Wenn du glaubst, dass es für einen Sieg notwendig ist, schicke ich dir meine Leibgarde als Verstärkung.“ Damit wandte es sich um und flog zurück zur Finsterzitadelle.

T.K. blieb mit einem Lächeln auf den Lippen zurück.
 

Yoleis Lungen waren leer. Sie fühlte Schwindel und Kopfschmerzen, und schwarze Flecken tanzten vor ihren Augen, während ihr die Geisterkralle zuverlässig die Luft abschnitt. Selbst wenn die Bakemon ihr nicht Mund und Nase zuhalten würden, hätte sie wohl kaum Luft holen können, denn eine Kralle hatte sie auch schmerzhaft und eisig kalt von hinten an der Kehle gepackt. Ihr Headset war ihr von einem Bakemon heruntergerissen worden.

„Halte durch, Yolei!“ Aquilamon hatte es aufgegeben, die Geisterdigimon abschütteln zu wollen und versuchte nach unten zu kommen und zu landen, doch der Plan ging nicht auf. Kaum dass es in den Sturzflug überging, wurde Yolei von seinem Rücken gerissen, als die Bakemon blieben, wo sie waren. Mit einem erstickten Schrei strampelte sie in luftiger Höhe herum, hunderte Meter über einem brodelnden Strudel aus kämpfenden Leibern. Panik hatte jede Faser ihres Körpers ausgefüllt, und nicht einmal die aufkommende Schwärze der Bewusstlosigkeit am Rand ihres Sichtfelds konnte sie dämpfen. Sie hatte Angst. Todesangst. Warum half ihr nur niemand? Wie sollte sie hier je wieder wegkommen? Tränen stiegen in ihre Augenwinkel, und obwohl sie hier mitten in der Luft hing, nur gehalten von den Krallen ihrer Feinde, schämte sie sich dafür. Sie hätte nicht so leichtsinnig sein dürfen.

„Yolei!“ Aquilamon umkreiste sie, wagte aber nicht anzugreifen. Die Bakemon hielten Yolei als lebendigen Schild vor sich.

Yolei blickte traurig auf das verschwommene Bild ihres Digimonpartners. Es tut mir leid, Aquilamon. Es tut mir leid, Ken. Es tut mir leid, ihr alle. Es tut mir so leid. Aber wir werden uns nie wieder sehen.
 

„Mimi, hast du den Verstand verloren?“, schrie Tai außer sich. Mimi hielt sich demonstrativ die Ohren zu, was ihn noch mehr in Rage brachte. „Ich hab dir verdammt nochmal gesagt, du sollst dich vom Schlachtfeld fernhalten!“

„Und ich hab dir gesagt, ich komme mit“, gab sie patzig zurück. „Wenn du mich hier wegkriegen willst, musst du mich schon forttragen.“

Tai sah für einen Moment so aus, als wollte er das tatsächlich tun. Dann sagte er, ruhiger, aber mit einer gewissen Schärfe in der Stimme: „Wieso auf einmal? Früher bist du doch auch vor Kämpfen davongelaufen, wenn du konntest.“

Mimi biss sich auf die Lippen. Heiße Wut kochte in ihr hoch. „Ich bin nicht davongelaufen!“, schrie sie schrill. „Wenn du kämpfst, kämpfe ich auch!“

„Aber ich halte mich doch auch zurück! WarGreymon kämpft, nicht ich!“

„Und du meinst, ich soll wegbleiben, weil Palmon nicht hier ist, oder was?“

„Das hat doch damit nichts zu tun!“

„Hat es wohl!“

„Sei unbesorgt“, quakte eines der Gekomon. „Wir werden unsere Prinzessin auf jeden Fall beschützen!“

Tai hörte ihm gar nicht zu. „Das hier ist kein Spiel, Mimi. Geh zu Izzy und mach dich dort nützlich, und zwar schnell!“

„Du erteilst mir keine Befehle“, zischte sie. Etwas sauste heran und schlug einen halben Meter neben ihr in der Felswand ein, riss kleine Steinsplitter heraus, von denen einer eine blutige Linie über ihre Wange zog. Plötzlich fühlte sie sich wie erstarrt. Und wenn er recht hatte …?

Tai seufzte. „Mimi, versteh doch, ich will doch nur …“

„Hallo, ihr beiden!“ Ken kam über das Schlachtfeld gelaufen. Seine Klamotten klebten ihm schweißgetränkt am Körper und sein Haar in seinem Gesicht. Seine Wangen waren vor Anstrengung gerötet.

„Was willst du?“, fuhr Tai ihn eine Spur zu scharf an, erkannte es aber sofort und murmelte eine Entschuldigung.

Ken bließ sich eine Haarsträhne aus den Augen. „Wir wissen nicht, wo Yolei ist. Laut Izzy irgendwo über dem Geschwader. Ich werde sie suchen, aber dazu muss ich mir kurz WarGreymon ausleihen.“

Tai war anzusehen, dass er lieber weiter mit Mimi diskutiert hätte. „WarGreymon ist an der Front. Es wird kaum Zeit für dich haben, fürchte ich.“

„Verdammt.“ Ken wirkte nicht so, als hätte er sich viel davon erhofft.

„Wozu hättest du es gebraucht? Wolltest du mit ihm nach oben fliegen?“, fragte Mimi.

Er lächelte verlegen. „Eigentlich wollte ich … seine Megakralle kopieren, damit ich selbst in die Luft wirbeln kann.“

„So?“, ließ ShogunGekomons Bariton vernehmen. Das riesige Digimon beugte sich zu ihm herunter. „Du bist der Pirat, richtig? Du willst also fliegen lernen?“ Es lachte grollend. „Nun, vielleicht kann ich Abhilfe schaffen, geko.“
 

SaberLeomon und Matt sahen zu, wie ihre Truppen die Dunklen mehr und mehr aufrieben. Die Armee spaltete die Maschinen in der Mitte und drang im Moment bis zu den Linien der Scherben vor. Schon kämpften Apemon und Ogremon; hunderte Zweikämpfe mit Knochenkeulen. Weiter rechts ragte Zudomons massige Gestalt auf, mit Joe auf seinem gepanzerten Rücken. Es zerhämmerte systematisch die Maschinen, die links und rechts vom Schlachtfeld noch übrig waren.

„Sieht so aus, als würde die finale Schlacht vor allem zwischen uns und den Scherben ausgetragen werden“, teilte Matt Izzy mit.

„Bleibt aber lieber auf der Hut. Bisher haben sich die Dunklen kaum selbst eingemischt. Irgendwas stimmt da nicht“, erklang es aus seinen Kopfhörern.
 

„Fertig?“, fragte ShogunGekomon.

„Fertig“, bestätigte Ken. Er hatte auf der linken Trompete Platz genommen, die aus dem Rücken des Digimons wuchs, und hielt sich an deren Rand fest, so gut er konnte.

„Ken, mach keinen Blödsinn!“, brüllte Tai zu ihm hoch. Er war ganz und gar nicht einverstanden gewesen. „Du könntest sterben! Du wirst sogar mit Sicherheit sterben! Seid ihr eigentlich alle wahnsinnig geworden?!“

Ken zog es vor, nicht zu antworten und auch nicht genauer darüber nachzudenken. Seine Sorge war, Yolei nicht rechtzeitig zu finden. Egal, wie vorsichtig Izzy auch versucht hatte sich auszudrücken, ihm war klar, dass sie in Gefahr war.

„Bist du wirklich sicher, dass du das tun willst, geko?“, fragte ShogunGekomon.

„Ja. Alles, was nach oben geht, kommt auch wieder runter. Da mach ich mir keine Sorgen.“

„Dann halt dich fest, geko. Königssprung!“ ShogunGekomon duckte sich und stieß sich so kraftvoll mit seinen Beinen ab, dass der Boden Risse bekam. Ken hätte es um ein Haar von der Trompete geworfen, so wild zerrte der Luftwiderstand an ihm. ShogunGekomon landete auf der Felswand hinter ihm, die unter seinem Gewicht ächzte. Menschengroße Steinbrocken polterten auf das Feld hinunter, als das Digimon nochmal sprang und die Decke aus fliegenden Digimon durchbrach. Ein paar hundert Meter entfernt sah er MegaKabuterimon und Garudamon und das fürchterliche Megadramon. Sie waren offenbar nur noch zu dritt. Von Yolei war immer noch keine Spur, aber er bildete sich ein, noch viel weiter oben so etwas wie einen sich bewegenden Schatten zu sehen, knapp unterhalb der Wolken. Verdammt! Er musste es trotzdem riskieren.

Königssprung!“ Ken stieß sich seinerseits ab, als ShogunGekomon den höchsten Punkt seines Sprungs erreichte und wieder nach unten purzelte. Er sauste durch die Luft und es fühlte sich tatsächlich so an, als könnte er fliegen. Aber die Entfernung hatte er trotz allem nicht einschätzen können. Er kam gerade so auf die Höhe der kämpfenden Digimon. MegaKabuterimon war ihm am nächsten. „MegaKabuterimon!“, rief er.

„Hm?“ Der riesige Käfer sah ihn durch die Luft auf sich zu sausen. „Ken!“

„Ich brauche ein Trittbrett!“, schrie Ken, der Flugwind riss ihm die Worte vom Mund weg. MegaKabuterimon hatte ihn dennoch verstanden. Es löste sich kurz aus dem Kampfgeschehen und fing ihn in seinen Klauen auf. Ken wurde von seinem eigenen Schwung umgeworfen, dann kam er wieder auf die Beine und vollführte noch einen Königssprung. Die Wolken sausten ihm entgegen. Er sah, wie MegaKabuterimon seine kurze Unachtsamkeit bereute. Eine Drachenwind-Rakete des Megadramons traf es am Rückenpanzer und schleuderte es davon. In einer Lichtsäule digitierte es zu Tentomon zurück. Das Drachendigimon hatte tatsächlich eine irre Kraft, aber Izzys Partner war noch am Leben. Ken sah wieder nach oben. Dort waren sie.

Aquilamon umkreiste mit hektischen Flügelschlägen ein bizarres Bild: Ein halbes Dutzend Bakemon, die Yolei gepackt hielten wie eine Schwerstverbrecherin. Ihr Kopf war nach vorn gesackt, Haarsträhnen hingen ihr ins Gesicht.

„Aquilamon! Hierher!“, brüllte Ken. Panik griff nach seinem Herz, als der riesige Adler ihn nicht zu bemerken schien. Bald hatte er den Scheitelpunkt seines Sprungs erreicht, dann ging es abwärts … In seiner Verzweiflung ließ er einen Donnerball in Aquilamons Richtung blitzen. Das wirkte. Der Adler fuhr mit glühenden Hörnern herum – und stieß ein erstauntes Geräusch aus, als er ihn erkannte.

„Fang mich!“, schrie Ken. Sein Magen drehte sich um, als er stürzte. Im nächsten Moment war Aquilamon auch schon unter ihm.
 

Yolei hörte jemanden ihren Namen rufen. Die Stimme drang gedämpft in ihr schläfriges Bewusstsein. Ken?

Unter größter Anstrengung hob sie die Lider. Sie hatt kein Quäntchen Luft mehr in den Lungen, ja, sie wusste nicht einmal mehr, ob ihr Herz noch schlug. Ihre Gedanken waren zäh wie Gelee. Stimmt, es war Krieg. Das wusste sie noch. Aber Ken … Wo kam er her? War er nicht vor langer Zeit verschwunden?

Das Bild vor ihren Augen wurde zwar annähernd scharf, aber es ergab keinen Sinn. Da war Ken. Er stand auf dem Rücken von Aquilamon, seine Klamotten flatterten. Was machte er da? War Aquilamon nicht ihr Digimon? Oder war das auch nur Teil des Traums gewesen, aus dem er sie geweckt hatte? Stingmon, fiel ihr ein. Ein Begriff, mehr nicht, der besser zu Ken passte als Aquilamon. Aber wer oder was war ein Stingmon? Und warum glühte und zuckte da eine rote Schlange in Kens Hand?

„Ihr solltet sie freilassen, wenn ihr nicht den Zorn des Datenpiraten auf euch ziehen wollt!“, rief er soeben. Wen meinte er? Und wovon sprach er? Yolei glitt wieder langsam in eine erlösende Ohnmacht. Ihr Hals schmerzte, also war es angenehm, nichts mehr zu spüren. Sie wollte nur schlafen, einfach nur schlafen …
 

„Ihr habt es nicht anders gewollt“, knurrte Ken. Eine unglaubliche Wut füllte seinen Bauch. Er streckte beide Hände aus und ließ IceDevimons Energie durch seine Narbe prickeln, so kraftvoll und ungebändigt, dass es wehtat. Aus seinen Fingerspitzen schossen glitzernde Strahlen, trafen die Bakemon und Yolei, und was sie berührten, verwandelten sie in Sekundenbruchteilen zu Eis. Wie eine einzige, groteske Eisskulptur hingen sie noch einen Moment lang in der Luft, ehe sie abstürzten. Aquilamon schaffte es, sie sanft abzufangen. Ken tötete die Bakemon mit schnellen Streichen seiner Albtraumkralle, ohne groß darüber nachzudenken. Hauptsache, Yolei ging es gut. Er löste den Eisbann auf und zog ihren immer noch gefährlich kühlen Körper an sich. Sie einzufrieren war ohne Zweifel eine an Verrücktheit grenzende Tat gewesen, aber auf die Schnelle war ihm nichts anderes eingefallen. Yolei sah furchtbar aus; ihr Gesicht war bläulich angelaufen, unter den Augen zeigten sich bereits tiefe Ringe. An ihrem Hals waren Würgemale zu sehen und überall an ihrem Körper winzige Wunden, die die Krallenspitzen in ihrer Haut hinterlassen hatten. Ken fühlte immer noch diese unbändige Wut in sich, als er sie so sah. Wäre der noch der DigimonKaiser, er würde diese Bakemon … Nein. Er atmete tief durch. Er würde gar nichts mehr, sie waren bereits tot. Und er würde nicht wie ein Albtraumsoldat alle neugeborenen Bakemon-Kandidaten in der Stadt des Ewigen Anfangs töten. Er hasste sie, hasste die Scherben, hasste seine Feinde, aber der Hass entsprang seinem eigenen Herz und war eine menschliche Eigenschaft, kein Produkt der Saat der Finsternis.

Yolei murmelte leise etwas, also lebte sie. „Alles wird gut, Yolei.“ Ken streichelte ihr sanft durchs Haar, während Aquilamon das andere Ende der Summenden Felder ansteuerte, um im Lager der DigiAllianz zu landen.

„Wie rührend.“

Ken hörte diese eisige Stimme hinter sich und ihm war, als würde sie etwas in ihm zum Erfrieren bringen. Du hast hier nichts zu suchen.

Kens Oberkörper ruckte herum und in der gleichen Bewegung peitschte er mit einer Albtraumkralle nach der Gestalt, die hinter ihm auf Aquilamons Rücken aufgetaucht war. Ein hieb mit einer Drachenkiller-Klaue zerfetzte die rote Lichtschlange und ließ rubinfarbene Funken tanzen. „Nicht schlecht“, kommentierte die Kapuzengestalt.

In dem Moment wurde Aquilamon von einem harten Ruck durchgeschüttelt. Etwas streifte Ken, ein lederner Flügelschlag, und modriger Geruch drang in seine Nase. Ansatsu verlor den Halt auf Aquilamon, fiel sich akrobatisch überschlagend in die Tiefe und wechselte die Dimension, bevor er am Boden aufschlug. „Ken!“, rief Aquilamon und klang panisch. Ken drehte sich nach vorne. „Nein“, murmelte er. Yolei war verschwunden. Yolei war verschwunden! „Nein!“ Er schluckte. Dort drüben war sie. Und sie war wieder in der Gewalt der Scherben. Ein pechschwarzes Devimon hielt sie fest umklammert, während es in der Luft schwebte. Warum? Warum nur? Sie hatten sie doch schon fast in Sicherheit gebracht!
 

„Tai“, ließ WarGremons mächtige Stimme vernehmen, als es neben ihm, Mimi und den Gekomon landete. „Die Maschinen sind fast alle zerstört. Die anderen werden mit den Feinden alleine fertig. Ich fliege auf die Bergspitze im Norden und versuche T.K. zu erwischen.“

„Tu das“, sagte Tai grimmig. Ken würde hoffentlich auf sich selbst aufpassen können; ihn in dem Gewimmel dort in den Lüften zu suchen stellte er sich aussichtslos vor.

WarGreymon wollte sich eben umwenden und davonfliegen, als in der Mitte des Schlachtfelds etwas passierte. Zuerst war gar nicht genau zu sehen, was vor sich ging, schließlich war es schon vorhin ein tobender Kessel gewesen, aber etwas war anders. Die Reihen sowohl der Scherben als auch der Allianz gerieten ins Wanken, aber niemand nutzte die vermeintliche Schwäche der anderen aus. Einen Wimpernschlag später vibrierte der Felsboden unter Tais Füßen plötzlich merkbar stärker und ließ jede Faser seines Körpers mitschwingen, seine Zähne hart aufeinanderschlagen seine Muskeln sich verkrampfen.

„Was ist das?“, schrie Mimi, doch er hörte sie nur gedämpft. Ein seltsamer Druck lag auf seinen Ohren und jagte Schmerznadeln in seinen Schädel. Tai spürte etwas Nasses auf seiner Oberlippe. Er wischte es fort und stellte fest, dass er aus der Nase blutete.

Dann wurde seine Aufmerksamkeit wieder vom Schlachtfeld beansprucht, denn heilloses Chaos griff wie ein Lauffeuer um sich. Mit großen Augen starrte er auf die Digimon. Goblimon droschen aufeinander ein, Apemon gingen sich mit schrillen Schreien an die Gurgel, über dem zahnarztbohrerhohen Sirren der Erde schwoll ein Chor aus Schreien, Grunzen und Brüllen an. Zwei hornlose Fugamon rammten ihre Köpfe zusammen, wieder und wieder, bis eines von ihnen blutend zu Boden ging und das zweite sich herumwarf – genau in das Schwert eines Ninjamons, das seine Wurfsterne in die Menge warf und nicht Acht gab, ob es vielleicht Kameraden traf. Ein hundeartiges Dobermon zerfleischte ein Kokatorimon, ließ dann plötzlich von ihm ab, um gegen eine Gruppe verbündeter Gotsumon zu kämfen, die übereinander herfielen.

„Sie … sie haben den Verstand verloren“, murmelte Tai. Kalter Schweiß lief ihm übers Gesicht. So schrecklich die Schlacht an sich schon war, der Anblick der verbrüderten Digimon, die sich plötzlich bis aufs Blut bekämpften, war beinahe mehr, als er ertragen konnte. Das war kein Kampf mehr, den jemand gewinnen wollte, um seine Ziele durchzusetzen. Das war ein kaltblütiges Abmetzeln, ein furchtbares Deathmatch, aus dem höchstens ein einziges Digimon schwer verletzt als Sieger hervorgehen konnte. „Izzy!“, rief er laut in sein Mikrofon und war erschrocken, wie schrill seine Stimme klang. „Izzy, was ist da los? Sie gehen aufeinander los!“

Zwei Moyamon lösten sich aus dem Getümmel und traten auf sie zu; eines von ihnen schleuderte seinen Knochenbumerang auf sie.

Musikfaust!“ Eine Druckwelle kam aus ShogunGekomons Trompeten, fegte den Bumerang zur Seite und wehte die Moyamon davon.

„Prinzessin, wir müssen uns verstecken“, rief eines der Gekomon, aber Mimi rührte sich nicht.

Was ist hier nur los?“, formten ihre Lippen, hören konnte Tai kein Wort. Sie war kreideweiß geworden.

Ein grüner Blitz am Himmel kündigte Rapidmons Kommen an, doch das Digimon hielt nicht nur auf sie zu, sondern schoss auch unaufhörlich aus allen Rohren, sprengte Felsen aus der Wand und tötete eigene wie feindliche Digimon. Als es sie sah, flog es mit vorgestreckten Armkanonen heran.

„Tai, Mimi, passt auf“, rief WarGreymon und warf sich ihm entgegen. Die Raketen zerplatzten an seinem Schild, das es vor sich zusammenschlug, dann prallte er gegen das Androidendigimon und riss es irgendwo im Schlachtgetümmel zu Boden.
 

„Zudomon, was ist denn los mit dir? Hör sofort auf!“, redete Joe hysterisch auf seinen Digimonpartner ein, doch es brachte nichts. Zudomon schien sein Gerufe eher zu irritieren, denn es wandte sich mehrmals um, als hätte vergessen, dass er auf seinem Rücken saß, und versuchte ihn zu orten. Wieder und wieder ließ es seinen blitzenden Vulkanhammer auf die Digimon zu seinen Füßen niedergehen, dass die Erde aufglühte und aufgerissen wurde. Scherben wie auch Allianz-Digimon fielen unter dem mächtigen Stück Digi-Mega-Chrom. Dabei hastete es ziellos auf dem Schlachtfeld hin und her, hektisch, nein, gehetzt, so dass es Joe fast abwarf und er sich nur mit Mühe an einer grünen Panzerzacke festhalten konnte. Panisch sah er sich um. Überall kämpften Digimon gegeneinander, aber nicht so, wie es sein sollte. Ein lautes Brüllen ließ ihn herumfahren. Er sah MetalGarurumon und wollte ihm schon zuwinken, aber das Metalldigimon tauchte eben miteinander ringende Apemon und Ogremon in flüssiges Eis, während ein Gotsumon auf seinem Rücken saß und wirkungslos auf es einprügelte. Joe biss die Zähne zusammen. Nicht auch noch MetalGarurumon …
 

Wo war sie? Es war so finster …

Keine Angst. Du bist bei mir.

„Wer bist du?“, wollte sie fragen, aber kein Wort verließ ihre Lippen. Es war auch gar nicht nötig.

Ich bin der, der dich vor dieser Welt beschützt.

Sie spürte etwas, sie spürte lange, lederne Flügel, die jemand wie eine Decke um sie geschlagen hatte, eine einsame Umarmung, mitten in der Finsternis.

Wie heißt du, Kleines?

Sie fühlte sich müde. Sie wollte nicht reden, sie wollte nicht einmal denken. Trotzdem antwortete sie und dachte an ihren Namen. Es fiel ihr sogar schwer, sich daran zu erinnern. Yolei …

Sag mir, Yolei, bist du müde?

Ja, das war sie. Unendlich müde. Sie fühlte sich leicht wie eine Feder, allein ihre Gedanken zerrten sie nach unten, hinderten sie an vollkommener Schwerelosigkeit. Sie versuchte an nichts zu denken, aber da waren immer diese Gesichter, die sich vor ihr inneres Auge schoben, Gesichter von Menschen, die sie kannte, die ihr aber so fremd vorkamen, als hätte sie sie noch nie zuvor gesehen, und das gefiederte Gesicht eines Digimons.

Ich kann dir helfen, zu schlafen. Ich helfe dir, den Sorgen zu entfliehen, die dich quälen.

Die Stimme klang einlullend, und so freundlich … Yolei seufzte in Gedanken auf. Ihr Körper gehorchte ihr nicht. Sie fühlte eine Hand, eine große Hand mit dürren Fingern, und das Gefühl weckte unangenehme Erinnerungen, doch diese Hand hier war freundlich. Sie lag auf ihrer Schulter, unaufdringlich, und doch spürbar. Angenehme Kühle strömte von ihr ausgehend durch ihren Körper, besänftigte den Schmerz in ihren Gliedern. Du hilfst mir?

Sag, was du dir wünschst. Ich werde es dir erfüllen, hauchte die Stimme in ihre Gedanken.

Yolei atmete aus und spürte, dass sie keinen Sauerstoff mehr brauchte. Ich will schlafen, sagte sie der Stimme. Sie war so müde, so unendlich müde … Die Stimme sollte ihr helfen, die Gedanken, die sie wachhielten, wegzusperren. Es war so verlockend, so angenehm.

Schlafen. Einfach nur schlafen. Sterben.

Dein Wunsch ist mir Befehl, säuselte die Stimme und der Griff um ihre Schulter verstärkte sich.
 

„Gib sie sofort wieder frei!“, schrie Ken dem Devimon zu.

„So sieht man sich wieder, Pirat“, sagte das finstere Digimon. Obwohl es die Flügel um Yolei geschlagen hatte, schwebte es auf der Stelle. „Wie fühlt es sich an, auf der Verliererseite zu stehen?“

„Ich weiß nicht, was du meinst“, knurrte Ken.

„O weh“, machte Devimon bedauernd. „Hast du etwa schon unser Zusammentreffen vergessen? Hast du vergessen, wie du im Ozean vor der zerstörten Festung mit uns gespielt hast? Nun spiele ich mit dir, Pirat. Und es macht mir großen Spaß.“

„Lass sofort Yolei frei!“, forderte Ken gebieterisch.

„Wieso sollte ich? Sie wünscht es sich doch selbst. Sie zu töten wäre ein Akt der Gnade. Und ich bin gerne gnädig …“

„Du … Monster“, zischte Ken.

„Ken, was machen wir?“, fragte Aquilamon, das vor Devimon mit den Flügeln schlug.

Wenn er das wüsste. Noch einmal einfrieren wollte er Yolei nicht, das würde sie garantiert nicht überleben.

„So zerbrechlich ist das menschliche Leben“, fuhr Devimon fort. „Ich kann direkt fühlen, wie es sie verlässt.“

„Was muss ich tun, damit du sie gehen lässt?“, fragte Ken hysterisch.

Devimon lachte. „Ich werde sie nicht gehen lassen. Sie will nicht gehen. Todeskralle!

Nein!“, schrie Ken auf und Aquilamon stürzte sich fauchend auf das Digimon, doch Devimon ließ sich ein paar Meter nach unten fallen und der Angriff ging ins Leere. Tränen standen in Kens Augen. Unter Devimons Flügeln blitzte es rot und schwarz. „Yolei!“

Unter ihnen, vom Schlachtfeld herauf, drang ein Rumoren. Etwas klingelte in Kens Ohren und Aquilamon erzitterte. Ken sah, wie sein Gefieder sich sträubte. Dann schien es, als würde der Sturm der kämpfenden Digimon an Stärke zunehmen. Etwas, das aussah wie eine Ogremon-Kaiserfaust, schoss zu ihnen hoch und streifte Devimon. Mit einem eher überraschten Aufschrei prallte das Digimon zurück und entfaltete die Flügel. Yoleis schlaffer Körper fiel ihm aus den Armen.

„Aquilamon!“, rief Ken und sprang. Während der Adler nach unten tauchte, beschwor Ken die Kraft, die er von T.K. kopiert hatte. In beiden Händen je eine Albtraumkralle, schlug er die roten Peitschen überkreuzt auf Devimon, das sich mit einem röchelnden Schrei in Daten auflöste. Dann fiel er.

Die Welt drehte sich um ihn herum. Attacken flatterten an ihm vorbei – schließlich prallte er gegen etwas Weiches und lag wieder auf dem Gefieder von Aquilamon. Direkt hinter ihm entdeckte er Yolei, die fast vom Rücken ihres Digimonpartners rutschte. Er zog sie hoch und erschrak. Ihr Körper war eiskalt und weiß. Er tastete nach ihrem Puls. Nichts. Er fühlte nur seinen eigenen, rasenden Herzschlag in seinen Fingerspitzen. „Yolei …“, flüsterte er erstickt.
 

General Muysamon starrte kostbare Minuten auf seine Soldaten, die ein Gemetzel in den eigenen Reihen veranstalteten. Dann wusste es Bescheid. „Alle zurück!“, brüllte es so laut es konnte. „Weg von der Mitte! Alle …“ Sein Befehl verwandelte sich in einem Röcheln, als sich ein eisiger Schmerz durch seinen Hals bohrte. Aus den Augenwinkeln sah er die Spitze eines schwarzen Stachels aus seinem Kehlkopf ragen.

„Du bist so schlau, wie man sagt“, hörte es eine Stimme hinter sich. Ein Schatten war hinter ihm erschienen.

„Ihr steckt also dahinter“, krächzte Musyamon. Blut quoll seinen Hals hoch.

Der Dunkle riss den Stachel aus seinem Fleisch und verschwand, und das Digimon brach auf alle Viere zusammen, spuckte blutigen Speichel aus und löste sich in Daten auf.
 

„Die sind alle durchgedreht, verdammt!“ Tai raufte sich die Haare. Ihre Truppen, die noch bei klarem Verstand waren, mussten sich nun plötzlich gegen ihre eigenen Leute, gegen die Scherben und gegen die Reste der Maschinenarmee der Dunklen verteidigen.

SaberLeomon kam zu ihnen gelaufen. Zunächst spannte Tai sich an, doch dann sah er Matt auf dessen Rücken sitzen.

„Habt ihr eine Ahnung, was hier los ist?“, fragte Matt, als er absprang.

Tai schüttelte den Kopf. „Und keine Nachricht von Izzy.“ Er sah zu SaberLeomon hoch. „Wenigstens scheint es nicht alle Digimon zu betreffen.“

„Ja, aber auch nicht nur die Maschinendigimon“, erinnerte sich Matt an Meramons Warnung.

„Irgendwas muss die … Oh nein“, murmelte Tai. Matt sah, wie er blass um die Nase herum wurde, und fuhr herum.

MetalGarurumon stand vor ihnen. Es scharrte mit den Krallen wie ein wilder Stier und ruckte aufgekratzt mit dem Kopf herum. Ein Knurren verließ sein Maul.

„Es ist auch besessen!“, rief ShogunGekomon. „Musikfaust!“ Die Druckwelle fuhr über MetalGarurumon hinweg, aber es rührte sich nicht von der Stelle. „Es ist zu stark!“, rief der riesige Frosch.

Mit einem verzweifelten Kriegsruf stürzten sich die Gekomon und Otamamon auf MetalGarurumon, aber es beachtete sie gar nicht. Stattdessen begann sein Maul weißblau aufzuglühen.

„Passt auf!“, schrie Matt.

Unter wölfigem Gebrüll stürzte eine Wand aus glühendem Eis auf sie hernieder. Die DigiRitter schrien durcheinander, stolperten rückwärts, aber die Felswand war in ihrem Rücken. Tai schloss die Augen. Er hörte es zischen und rauschen, aber er spürte nichts. Zögerlich öffnete er die Lider. Ein großer Vogel war zwischen ihnen und MetalGarurumon aufgetaucht, und eine hoch aufgerichtete Gestalt hielt die Attacke mit der bloßen Hand auf. Tai war sprachlos, dann erkannte er Ken. Die Metallische Wolfskralle schien von seiner Hand abzugleiten. Eis strahlte in alle Richtungen aus, verlor aber nach ein paar Metern seine Substanz. Als der Angriff verebbte, taumelte Ken und fiel von Aquilamons Rücken.

„Ken!“ Tai, Matt und Mimi stürzten gleichzeitig auf ihren Freund zu, während SaberLeomon MetalGarurumon mit einem waghalsigen Sprung von den Füßen riss und die beiden Digimon ineinander verbissen über den Boden rollten.

„Alles … in Ordnung“, keuchte Ken. „Ich habe nur noch nie eine … Mega-Attacke aufgehalten. Es geht mir gut.“ Obwohl er das sagte, verzog er schmerzerfüllt das Gesicht und tastete mit spitzen Fingern über seine Narbe, die wie eine zweite Sonne strahlte, und Tai konnte sehen, wie seine Haut Wellen schlug wie kochendes Wasser.

„Bist du sicher? Wir …“

„Ich bringe Yolei zum Lazarett“, unterbrach ihn Aquilamon und schlug kräftig mit den Flügeln, um über dem südlichen Felslabyrinth zu verschwinden.

„Was ist mit ihr?“, fragte Tai erschrocken.

Tränen sammelten sich in Kens Augen. Er schüttelte den Kopf.

„Warte, das meinst du nicht ernst?“ Matts Stimme hatte einen hysterischen Unterton angenommen, als er Ken grob auf die Beine zog und ihn wie einen nassen Sack an sich zerrte. „Was immer sie hat, Sora und die Cutemon können ihr sicher helfen!“

Ken wandte nur den Blick ab. Ehe Matt etwas sagen konnte, empfingen sie einen Funkspruch von Izzy auf offener Frequenz, sodass sie ihn alle hören konnten. „Leute, hört zu! Ich weiß, was mit den Digimon los ist!“
 

Der Rotschopf hatte auf seinem Laptop mehrere Fenster gleichzeitig offen. Er verglich die Bilder, die er von Andromon erhielt, mit den geografischen und geologischen Karten der Umgebung. „Das heißt, es ist nur eine Theorie, aber …“

„Spuck‘s schon aus!“, drängte Tai.

„Okay. Es liegt an den Summenden Feldern. Sie senden Vibrationen aus, so etwas wie Schallwellen, nur dass wir sie nicht hören können.“ Er verglich weiterhin seine Diagramme, aber je mehr er darüber nachdachte, desto sicherer wurde er. „Ich habe mal in einer Zeitschrift gelesen, dass man Menschen mit extrem hohen oder tiefen Tönen in den Wahnsinn treiben kann. Sie bekommen davon Halluzinationen und handeln völlig unkontrolliert. Ich glaube, diese Schwingungen bewirken das Gleiche bei den Digimon. Die Vibrationen bringen ihre Daten durcheinander, vor allem die, die ihren Verstand bilden. So wie ich das sehe, sind nur die Digimon betroffen, die im Zentrum des Schlachtfelds waren, als das Summen sich verändert hat. Ich vermute, nur dort sind die Vibrationen stark genug, um die Digimon Amok laufen zu lassen.“

„Willst du damit sagen, unsere Digimon sind auf irgendeinem Trip mit Halluzinationen und so?“, fragte Tais Stimme ungläubig.

„Ich bin mir mittlerweile ziemlich sicher, dass es so ist.“

„Das ist Unsinn!“, sagte Vademon mit seiner Eunuchenstimme.

„Sei Anbeginn der Zeit haben sich die Vibrationen der Summenden Felder niemals auf die Digimon ausgewirkt“, sagte Jerrymon.

„Dafür habe ich auch eine Erklärung“, sagte Izzy, sowohl zu seinen Stabsmitgliedern als auch zu seinen Freunden. „Die Summenden Felder summen eigentlich gar nicht.“ Er sah, dass Vademon wieder etwas wenig Konstruktives entgegnen wollte, und fuhr schnell fort: „Sie sind, meiner Theorie nach, ganz ruhig, bis ein Lebewesen in ihre Nähe kommt. Lasst es mich so ausdrücken: Die Summenden Felder sind eine Art Empfänger. Sie reagieren auf das kleinste Signal, ein Atmen, einen Herzschlag, Schritte, irgendwas, und senden daraufhin Vibrationen aus. Stellt sie euch wie ein unglaublich heißes Lagerfeuer vor: Egal, was ihr hineinwerft, es wird alles zu Asche umgewandelt. So ähnlich funktionieren die Summenden Felder.“ Er deutete auf seinen Laptop, was freilich nur Vademon und Jerrymon sehen konnten. „Seit ein paar Minuten sendet irgendjemand ein starkes elektromagnetisches Signal. Es führt eine wahnsinnig große Energiemenge mit sich, aber seine Frequenz ist vermutlich so beschaffen, dass weder Menschen noch Digimon es spüren und selbst mein Laptop es kaum erkennt. Die Summenden Felder sind ein viel feinerer Sensor. Es ist, als würde man das Feuer mit so viel Brennstoff füttern, dass die Asche kaum noch Platz hat.“

„Aber ist es nicht ziemlich unwahrscheinlich, dass sowas funktioniert?“, knarzte Matts Stimme aus den Lautsprechern.

„Das ist es, aber genau das macht die Kombination so genial. Jemand schickt den Summenden Feldern ein Signal, das so stark ist, dass die Summenden Felder wiederum so stark summen, dass Digimon davon wahnsinnig werden. Eine Kette genialer Berechnungen.“

„Und wer oder was sendet dieses Signal?“, fragte Tai. „Ein Digimon?“

Izzy senkte die Stimme. „Wer ist momentan in dieser Schlacht im klaren Nachteil?“

Kurzes Schweigen. Die anderen verstanden. „Verdammt, wir müssen uns diese Kerle ein für alle Mal vom Hals schaffen!“, rief Matt. „Izzy, kannst du herausfinden, von wo aus das Signal gesendet wird?“ Ein Krachen ertönte, und als Matt fortfuhr, klang er gehetzt. „Und zwar schnell, sonst hat die Asche hier auch bald keinen Platz mehr!“

„Tut mir leid“, murmelte Izzy entmutigt. „Ich weiß nur, dass das Signal da ist, wo es herkommt, kann ich nicht …“ Da fiel ihm etwas ein. „Oder wartet! Ich melde mich gleich wieder.“ Er wandte sich zu Tentomon um, das wieder zu ihm zurückgekehrt war. „Tentomon, ich brauche deine Hilfe! Kannst du nochmal zu Kabuterimon digitieren?“

„Wenn ich mich anstrenge, schaff ich’s schon. Aber was hast du vor?“

Izzy löste Andromons Kabel von seinem Laptop und setzte eine grimmige Miene auf. „Ich fordere diesen Kentarou zu einem Hackerduell heraus.“
 

Fields of humming air

Where the heat of battle burned

Suffered heavy losses

And the tide of war was turned

Driving back the Alliance

Fighting on three fronts

Hunt them out of the mountains

Out of the Digital World!
 

Bluray-Gebirge, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

20:01 Uhr
 

„Runter!“, kommandierte Cody. Die Knightmon und er duckten sich hinter den mannshohen Felsen, als blecherne Schritte vor ihnen laut wurden. Auf einem schmalen Gebirgspfad marschierte ein Trupp der Scherben, der nur aus Ultra-Digimon bestand: knochigen SkullGreymon, die ob ihrer Größe nur hintereinander den Pfad um die schroffen Bergwände herum folgen konnten, und mehr SkullMeramon, als sich Cody auf einem Fleck vorstellen konnte. Die Digimon marschierten zügig und folgten dem kürzesten Weg zu den Summenden Feldern, wahrscheinlich waren sie der Nachschub für die Albtraumsoldaten. „Weiter.“ Cody sprang auf und lief den Weg entlang, den sie gekommen waren, kaum dass sich die Digimon außer Sichtweite befanden. Meramon und Centarumon schlossen zu ihm auf und das Dutzend Knightmon, das den Stoßtrupp begleitete, marschierte im Gleichschritt hinter ihnen her. Armadillomon hockte auf Centarumons Rücken, da seine kurzen Beinchen von dem langen Weg erschöpft waren.

Sie mussten dem Gebirgspfad noch etwa zehn Minuten lang folgen, dann endete er vor der steinernen Wand eines riesigen Berges. Sie drängten sich unter einen Felsvorsprung und spähten auf die koboldhaften Impmon, die gelangweilt vor dem gewaltigen schwarzen Steintor herumspielten. An der Felswand klebten Dokugumon; ihre Netze hingen weit auf den Weg hinab.

„Cody an Izzy“, sagte Cody leise in sein tragbares Funkgerät. „Ich glaube, wir haben die Zitadelle gefunden.“ Jetzt wusste er auch, warum die Scherben nicht versuchten, ihre Festung zu verteidigen, sondern auf offenem Feld gegen die Dunklen in den Kampf zogen. Die Finsterzitadelle konnte man nicht verteidigen, jedenfalls nicht mit einer Armee. Es gab keine Zinnen, keine Schießscharten, nichts, womit sie ihre zahlenmäßige Überlegenheit irgendwie ausspielen konnten, nur einen schwarzen, tiefen Schlund, der mit zwei riesigen Torflügeln versiegelt war. „Hier gibt es keine nennenswerte Gegenwehr, also werden wir gleich angreifen. Ein paar SkullGreymon und SkullMeramon sind übrigens auf dem Weg zu euch.“ Er wartete die Antwort nicht ab, sondern nickte den Digimon zu. „Los!“

Die Dokugumon und Impmon hatten kaum Zeit zu reagieren. Ankylomons stachelige Schwanzspitze krachte gegen die Felswand, zermalmte Spinnenkörper und zerriss ihre Netze. Die Giftfäden aus ihren Mäulern schlossen sich wirkungslos um die glänzenden Rüstungen der Knightmon, die sie mit ihren Schwertern in Stücke hackten. Die Flammen der Impmon richteten noch viel weniger aus.

Meramon lachte, als die fingergroßen Feuerbälle auf seinem brennenden Körper zerplatzten. „So geht das!“ Es warf eine viel größere Feuerkugel auf die Feinde und verwandelte zwei Impmon auf einmal in Daten.

Eine Fingerflamme streifte Codys Kleidung, aber er klopfte den Funken aus und riss sein Ninjamon-Katana aus der Gürtelschlaufe. Das Impmon quiekte erbärmlich und Cody zögerte, seinen Streich zu setzen, als sich auch schon Ankylomon mit vollem Gewicht auf das Digimon warf. „Cody, es sind immer noch böse Digimon“, grollte es.

Cody nickte und sah sich um. Die Torgarde war restlos ausgelöscht worden und sie selbst hatten kein einziges Digimon verloren.

„Machen wir uns an die Arbeit, das Ding zu zertrümmern“, sagte Ankylomon und schaute zu dem Tor hoch. „Ist das riesig …“

„Das war eigentlich fast zu leicht“, knurrte Meramon.

„Du sagst es“, stimmte Centarumon zu. „Es fällt mir schwer zu glauben, dass die Scherben ihre Festung so unbewacht …“

Es wurde unterbrochen, als ein Schatten vom Himmel fiel, der aus irgendeiner Felsnische gesprungen war. Zwei Knightmon wankten plötzlich, und ein drittes stürzte mit einem Loch im Brustpanzer zu Boden und löste sich in einen Datensturm auf.

„Was ist da los?“, rief Cody, als der Schatten mit einem gewaltigen Sprung über sie hinwegsetzte und vor dem Tor landete.

So ein Digimon hatte Cody noch nie gesehen. Es trug eine grauschwarze Rüstung, aus der ihn an den unmöglichsten Stellen riesige Augäpfel anglotzten. Unter dem dämonischen, gehörnten Helm wucherte eine blonde Haarmähne hervor. Die Hände des Digimons waren schwarze Ungeheuerschädel, aus dessen Mäulern gekrümmte, rote Schwerter sprossen. „Bis hierher und nicht weiter“, rief das Digimon herrisch. „Habt ihr geglaubt, wir würden die Finsterzitadelle nur von diesen Schwächlingen bewachen lassen?“ Es musterte die Stoßtruppe. „Ihr seid von der DigiAllianz, wie ich sehe. Ihr habt euch also bis hierher durchgekämpft? Nun, das macht nichts, dafür bin ich ja da. Ich bin Duskmon, der Torwächter – und das letzte, was eure müden Augen erblicken werden.“

„Schwätzer“, zischte Meramon abfällig. „Brennende Faust!“ Duskmon wich dem Feuerball mühelos aus. Ohne dass es sich zusätzlich bewegen musste, richteten sich die Augen in seiner Rüstung auf Meramon, rote Strahlen schossen aus den Pupillen und warfen das Flammendigimon mit einem Schrei rückwärts.

Die Knightmon stürmten, schweigend und mit erhobenen Schwertern, auf Duskmon zu. Das finstere Digimon war viel schneller als die Ritter in ihren schweren Rüstungen, wich bevorzugt den Hieben aus und parierte ihre gewaltigen Schwerter nur in Ausnahmefällen, doch wenn es selbst zuschlug, durchdrangen die gewellten roten Klingen fast jedesmal einen Panzer. Auch Ankylomon wollte sich auf es werfen, doch Duskmon war zu schnell. Ehe Cody sich versah, stand das Digimon direkt vor ihm, aber die zahlreichen Augen waren auf Centarumon gerichtet, das in weitem Bogen galoppierend Schüsse auf es abfeuerte. Duskmon sah in Cody wohl keine Bedrohung.

Er packte das Schwert fester und führte einen zackigen Kendo-Hieb gegen das Digimon. Im letzten Moment reagierte Duskmon und blockte ab. Noch ehe es seine Überraschung zum Ausdruck bringen konnte, ließ er weitere, senkrechte Hiebe folgen, während er in Kendo-Manier, die Beine eng aneinander, das Schwert von sich gestreckt, seinen Gegner zurückdrängte. Duskmon sah aus, als würde es überrascht taumeln, also führte Cody einen Stoß von schräg unten und machte dabei einen großen Schritt vorwärts, doch die Schwäche war nur gespielt gewesen. Duskmon sprang mit einem Salto über ihn hinweg und schlug seinerseits zu. Cody wirbelte herum und drosch die rote Klinge zur Seite.

Duskmons echte, blutrote Augen sahen ihn erstaunt an, als ihr Kampf zum Ruhen kam. Seltsamerweise konnte Cody keine Feindseligkeit darin erkennen – allerhöchstens Pflichtgefühl. „Ein Mensch, der selbst zu den Waffen greift?“, fragte das Digimon.

„Es ist schließlich Krieg“, sagte Cody ernst. „Da wird jeder Kämpfer und jedes Schwert gebraucht.“

Duskmon schnaubte. „Du hast Mut, Kleiner. Nun gut, einem tapferen Gegner sollte man einen fairen Kampf liefern.“ Seine linke Klinge zog sich zurück und die Rüstungsaugen, die Cody bedrohlich fixiert hatten, starrten wieder ins Leere. „Ich brenne darauf, gegen dich zu kämpfen. Sollte sich jemand einmischen“, sagte Duskmon drohend und die Augen glitten über die Knightmon, die sich kreisförmig um die beiden herum aufstellten, „werde ich dich aber sofort töten. Sind wir uns einig?“

Duskmon war schnell, und vielleicht wähnte es sich schon als Sieger. Die Augen auf seiner Rüstung konnten tatsächlich gefährlich werden, falls es sich entscheiden sollte, der Unehrlichkeit doch noch den Vorrang zu geben. A wenn er es besiegen konnte, würde er dadurch keine Knightmon verlieren, und vielleicht kam ja bald Verstärkung. Außerdem war Duskmon mit nur einem Schwert nicht ganz so gefährlich. Cody nickte.

„Dann sag mir deinen Namen.“

„Ich bin Iori Hida“, erklärte er.

Duskmon nickte. „Für Blut und Ehre. Möge man sich an den Namen des Verlierers erinnern.“

„Kämpfen wir!“, schrie Cody.
 

Summende Felder, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

20:22 Uhr
 

„Tai! Matt!“, drang Izzys Stimme aus dem Lautsprecher.

Die DigiRitter hatten sich in die Labyrinthöhlen zurückgezogen. Auf dem Schlachtfeld war es einfach nicht mehr sicher genug. Die Digimon, die noch bei Verstand waren, drängten ihre verwirrten Kameraden so gut es ging zum Zentrum der Summenden Felder zurück.

„Wie sieht‘s aus?“, fragte Tai, dessen Nerven eine unglaubliche Tortur hinter sich hatten.

„Ich habe herausgefunden, von wo aus das Signal gesendet wird! Ich schicke euch die Koordinaten!“

Tai sah Matt und Mimi erleichtert an. „Gut, wir organisieren dir Verstärkung.“
 

Bluray-Gebirge, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

20:26 Uhr
 

Kentarou verfolgte auf seinem Bildschirm den Verlauf des Kampfes. Ein klares Bild hatte er nicht, aber er sah die Datenmuster der kämpfenden Digimon. Hinter ihm surrten die gewaltigen Verstärker und der mächtige Prozessor seines Hochleistungs-PCs ließ den Lüfter so heiß werden, dass man sich die Hand verbrennen konnte. Ein ratternder Notstromaggregator fütterte die Anlage mit Energie und würde wohl noch bis tief in die Nacht hinein durchhalten. Da fiel Kentarou auf, wie sich mehrere feindliche Punkte sternförmig auf ihn zubewegten. Einen stummen Fluch auf den Lippen, vergewisserte er sich, dass die Tarndecke über ihm geschlossen war. Eigentlich müsste er inmitten der kahlen Felslandschaft unsichtbar sein … Plötzlich riss etwas die graue Decke über ihm fort und ließ sie flatternd davonfliegen. Kentarou konnte gerade noch aufspringen, als er sich auch schon umzingelt sah. Flugeinheiten, natürlich. Zu Fuß konnte man dieses Plateau nicht erreichen.

Stromschlag!

„Scheiße!“, entfuhr es ihm und er warf sich zur Seite, als ein Ball aus reiner Elektrizität in seine teure Anlage fuhr. Der Computer gab einen Knall von sich, als das Netzteil explodierte, und der Monitor wurde schwarz. Aus den Verstärkern drang nur noch schwarzer Rauch anstatt der elektromagnetischen Wellen. Der Generator fing Feuer und die eingebaute Sicherung schaltete ihn ab.

Kentarou beschattete die Augen gegen den roten Ball der untergehenden Sonne. Fünf Unimon waren um ihn herum gelandet und richteten drohend die Hörner auf ihn; weiter vorne surrten die Insektenflügel eines Kabuterimons vor der Sonne, und auf dessen Kopf stand eine Gestalt, deren feuerrotes Haar wie glühende Kohlen im Abendlicht strahlte. „Kentarou, nehme ich an?“, rief er ihm zu.

„Verdammt, wie hast du mich gefunden?“, schrie Kentarou. „Das Signal war nicht zurückverfolgbar, dafür habe ich gesorgt!“

„Das stimmt. Trotzdem hat es dich verraten“, sagte der Junge auf dem Kabuterimon. „Es war im Grunde nicht weiter schwierig. Ob WLAN, Bluetooth oder sonst etwas, jedes Signal hat eine gewisse Reichweite. Der Laptop, den mir die Allianz gegeben hat, konnte dein elektromagnetisches Signal aufspüren; ich nehme stark an, dass es früher einmal deiner war, zumal der Admin-Benutzername auch deiner gewesen ist. Ich bin mit Kabuterimon einfach die Umgebung abgeflogen und habe nachgesehen, wo ich dein Signal gerade nicht mehr empfangen kann. So habe ich im Endeffekt ein kreisrundes Gebiet gehabt, in dem das Signal wirksam war, und in dessen Zentrum warst du.“

Kentarou schnaubte. „Nicht schlecht. Das hätte ich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nicht verhindern können.“ Er putzte sich beiläufig die Brille. „Ich glaube, ich weiß jetzt, wer du bist. Du bist dieses Computergenie, mit dem Jagari Morino kurz vor seinem Tod gechattet hat.“

„Ich hab mir schon gedacht, dass du Ansatsu dabei geholfen hast, unsere Identitäten herauszufinden. Das Spiel ist jetzt aus.“

Kentarou lächelte. „Wenn du das glaubst …“ Er riss die Hände auseinander und zapfte die Kraft seines DigiVices an. Weiße Puppenfäden schossen aus seinen Fingerspitzen, schlossen sich um zwei der Unimon und ließ sie mit einem protestierenden Wiehern auf die anderen losgehen, zertrümmtere Knochen mit den Hufen des einen und ließ das andere seine Pferdezähne in den Hals eines weiteren graben.

Der DigiRitter – Koshiro, wenn er sich nicht täuschte – schrie auf, wagte es aber nicht, Kabuterimon näher zu lotsen.

„Glaubst du, ich könnte mich nicht wehren?“, lachte Kentarou.

„Das … das ist Puppetmons …“

„Puppetmons Marionettentechnik, genau! Da staunst du, was?“, rief Kentarou triumphierend. Die Unimon wagten es nicht, ihre Kameraden anzugreifen, und sobald er diese verdammten lächerlichen Pferde erledigt hätte, würde er auf dem Rücken eines von ihnen entkommen, und Koshiro konnte dann seinetwegen der Teufel holen. Oder noch besser, Ansatsu.

„Die haben wir schon einmal besiegt!“, rief da eine weitere Stimme.

Kentarou fuhr herum. Mist.

Über die Kante des Plateaus schoss ein metallischer Wolf, auf dessen Rücken noch ein DigiRitter saß. Diesmal erkannte er ihn sofort. Es war dieser Casanova, in dessen Musik sich Miyuki so verschossen hatte, Matt Ishida. „Metallische Wolfskralle!“ Flüssiges Eis strömte aus dem Maul von MetalGarurumon, das so nahe kam, dass Kentarou es auf seiner Haut prickeln fühlte. Die Fäden an seinen Fingern rissen ab und es setzte ihn auf den Allerwertesten. Direkt vor ihm landete der Eisenwolf mit glühenden Augen. „Ich habe gehört, du hast mit meinem Verstand gespielt“, knurrte er kehlig.

„He, he“, wehrte Kentarou ab und kroch rückwärts. „Nimms mir … nicht persönlich, ja? Im Krieg ist alles erlaubt.“ Ein Schweißtropfen bahnte sich den Weg von seiner Schläfe über seine Wange.

„Stimmt“, sagte Matt von hinten und trat mit voller Wucht auf Kentarous Hand. Der Dunkle schrie auf, als seine Fingerknochen wie Zweige brachen, und noch einmal, als sich die Klinge eines kurzen, fiesen Eisenschwerts in seine zweite Hand bohrte. Matt trat zurück und ließ ihn die verletzten Hände gegen die Brust pressen. „Und das nimmst du mir nicht persönlich, ja?“, äffte er ihn nach. Er klang wirklich ungehalten … Kentarou wimmerte. Eine Träne hatte sich in sein linkes Auge gekämpft, und er wehrte sich nicht, als Matt ihm sein DigiVice vom Gürtel riss und es mit seinem Schwert durchbohrte. „So, weg mit dem Ding.“

„Heh“, zischte Kentarou und rappelte sich in die Höhe. „Glaubt nicht, ihr könntet das Blatt auf diese Art herumreißen. Auch wenn ihr mich erledigt, wird euch Taneo alle zur Hölle schicken! Er hat noch ein Ass im Ärmel, mit dem ihr niemals rechnen werdet!“

Zufrieden sah Kentarou, wie Matt die Augenbrauen zusammenzog. Natürlich war das eine schlechte Nachricht, da auch niemand mit Kentarous Plan gerechnet hatte. „Erzähl mir mehr davon“, verlangte der DigiRitter.

„Also …“ Kentarou tat, als würde er überlegen, dann setzte er ein dümmliches Grinsen auf und sagte formell: „Sie sind nicht autorisiert, auf diese Information zuzugreifen.“

Matt stieß ihn grob von sich und stieg auf MetalGarurumon. „Izzy, sieh zu, dass er gefesselt wird. Bring ihn zu den Taktikern, vielleicht kriegt ihr was aus ihm heraus. Ohne sein DigiVice ist er nur ein Mensch. Wir müssen zurück zum Schlachtfeld.“

„Das nützt euch nichts!“, rief Kentarou ihm nach. „Ansatsu holt mich da im Nu wieder raus!“

Matt sah ihn nur verächtlich an. „Das glaubst du doch selbst nicht.“ Sein Digimon machte einen Satz und verschwand über der Felskante.

Und das Blöde war, dachte Kentarou, dass er recht hatte.
 

Summende Felder, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

20:34 Uhr
 

In dem Moment, in dem Kentarous Anlage zerstört worden war, änderte sich das Summen unter dem Schlachtfeld erneut und die Vibrationen waren wie Balsam für die überstrapazierten Nerven der kämpfenden Digimon. Sofort formierten sie sich neu und nahmen die Reste der Dunklen in die Zange; fast schien es, als hätten sich Scherben und DigiAllianz gegen die Maschinen verbrüdert.

„Los, los, alle raus!“, kommandierte Tai. Die Allianzdigimon strömten wieder aus dem Labyrinth. Das Schlachtfeld war merklich leerer geworden, aber ein klarer Sieger stand immer noch nicht fest. Drüben in der Nordhälfte wogte immer noch die grünschwarze Armee der Scherben. Matt kam zurück, von zwei Unimon begleitet. Die Gekomon und Otamamon warfen sich in die Schlacht und WarGreymon, SaberLeomon, MetalGarurumon und Rapidmon kämpften wieder Seite an Seite.

Von seiner Bergspitze aus sandte T.K. seine Reserven in die Schlacht, die Reste der Marine, die an Land gehen konnten: die grässlichen, giftspuckenden Raremon.
 

Tor zur Finsterzitadelle, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

20:34 Uhr
 

Cody und Duskmon stürmten unbarmherzig aufeinander ein. Er bereute es bereits, gegen ein Digimon zu kämpfen. Er trainierte Kendo schon, seit er klein war, und sein Großvater hatte ihm eine ausgezeichnete Ausbildung zukommen lassen, aber Duskmon … nun, er konnte nicht einschäten, auf welchem Level es war, aber das Digimon war auf jeden Fall viel schneller und auch stärker als er, auch wenn es nur mit einer Klinge kämpfte.

Er drängte Duskmon mit präzisen Kendoschritten zurück, unterließ die typischen Kampfschreie jedoch, um Kraft zu sparen. Das Digimon blockte jeden seiner Hiebe. „Interessanter Stil“, stellte Duskmon fest, sprang zurück und ging seinerseits zum Angriff über. Es schnellte auf ihn zu, stach blitzschnell auf ihn ein, ließ sich von ihm zurückstoßen, schoss wieder nach vorn – ein ewiger Tanz. Cody hoffte, dass Ankylomon – und Duskmon selbst – sich an ihre Duellvereinbarung hielten, denn sollte es sein zweites Schwert zuhilfe nehmen, war er erledigt. Schließlich, als er nicht glaubte, noch viel länger durchzuhalten, versuchte er einen riskanten Zug.

Duskmon stieß gerade wieder zu, als er sich, anstatt zu parieren, zur Seite drehte. Die Klinge schlitzte durch den Stoff seiner Jacke und seines T-Shirts, und er warf sich abermals herum, stülpte noch einen Jackenzipfel über die Klingenspitze, wickelte sich regelrecht um das Schwert und riss Duskmons Arm somit herum. Duskmon zog die Klinge mit einem Ruck zurück, aber im gleichen Moment schlug auch Cody zu und traf das glotzende Auge an Duskmons Schulter.

Mit einem Schrei ging das Digimon in die Knie. Blut tropfte zu Boden, das Glubschauge sah grässlicher aus als vorher. Die Knightmon traten einen Schritt näher und Ankylomon baute sich schützend vor Cody auf. „Nicht schlecht“, sagte Duskmon, als es sich wieder erhob. „Nur weiß ich nicht, ob das noch unter Fairplay fällt.“

„Na hör mal!“, rief Cody. „Mit den Augen auf deiner Rüstung kannst du meine Bewegungen viel besser sehen als mit deinen richtigen, oder? Außerdem ist sie so geformt, dass ich richtig aufpassen musste, mich nicht an den Spitzen zu verletzen. Da ist es nur recht und billig, wenn ich meine Kleidung auch bei dem Kampf einsetze!“

Duskmon lachte heiser. „Schätze, da ist was dran. Aber ich habe dich auch erwischt.“

„Cody, du bist verletzt?“, rief Ankylomon entsetzt.

Cody hob den zerfetzten Jackenzipfel. Eine dünne rote Linie zog sich über seine Haut, und sein T-Shirt war ein wenig blutverschmiert. „Nur ein Kratzer, ich spüre ihn kaum.“

„Das erste Blut hat unser Duell beendet“, sagte Duskmon. „Ich würde es ein Unentschieden nennen.“

Cody nickte. „Das meine ich auch.“ Das war eine beachtliche Leistung bei so einem Digimon, wie er fand.

„Trotzdem kann ich euch nicht durchlassen. Meine Ehre gebietet mir, dich, Iori Hida, Schwertmeister der Menschen, gehen zu lassen, aber ihr könnt hier nicht passieren.“ Duskmon sprang wieder vor das Tor.

„Wir müssen aber auf jeden Fall hinein“, sagte Cody.

„Cody, lass das einfach uns erledigen“, knurrte Ankylomon. Meramon, Centarumon und die Knightmon traten an seine Seite. Sie wirkten noch entschlossener als vorher, durch Codys Kampf ermutigt.

Ohne dass Duskmon sich bewegen musste, fixierten seine Augen das nächste Knightmon und der Laser zerfetzte dessen Rüstung. „Das funktioniert so nie“, murmelte Cody. Dann kam ihm eine Idee. „Ankylomon! Wir machen eine Armor-Digitation!“

„Okay“, rief das Digimon und digitierte zu Armadillomon zurück.

Cody streckte sein DigiVice zu seinem Partner hin. „DigiArmorEi der Zuverlässigkeit, erstrahle!“ Duskmon kniff misstrauisch die Augen zusammen, als Armadillomon zu Submarinemon digitierte. „Meramon! Sieh zu, dass du so nah wie möglich an Duskmon herankommst!“

„Ha, ich glaube, ich weiß, was du vorhast“, sagte das Flammendigimon und rannte los.

Duskmon zischte abfällig und sprang über Meramon hinweg, tötete ein weiteres Knightmon. Meramon schlug einen Haken, um es zu verfolgen aber es war zu schnell. „Mist“, fluchte es, als Centarumon an seine Seite galloppierte.

„Spring auf!“

Meramon zögerte einen Moment. „Wenn du meinst“, murmelte es dann und setzte sich auf Centarumons Rücken. Das Zentauren-Digimon stöhnte auf, und man konnte zischend verbrennende Haut und Haare riechen. Dann bäumte es sich auf und galloppierte los, als wäre der Teufel hinter ihm her.

Duskmon tänzelte zurück, wich den Schüssen des Digimon aus, und stand schließlich wieder mit dem Rücken zum Tor – und Centarumon kam mit wirbelnden Vorderbeinen vor ihm zu stehen. Sein Huf traf den Torwächter gegen die Brust, der ächzend gegen den schwarzen Stein gestoßen wurde.

„Jetzt!“, rief Meramon und warf sich nach dem finsteren Digimon, während sich der Zentaur schnell in Sicherheit brachte.

„Submarinemon!“, rief Cody. „Den Sauerstofftorpedo!“

Sein Digimon öffnete die Klappen an seinem Kopf. Die Sauerstoffbomben sahen nicht halb so eindrucksvoll aus wie im Wasser, man sah kaum, dass sie da waren.

Als sie Meramon jedoch trafen, war der Effekt viel großartiger.

Der reine Sauerstoff gab den Flammen so plötzliche und so reichhaltige Nahrung, dass sich das Flammendigimon in einen tobenden Sturm verwandelte; Hitze- und die anschließenden Druckwellen hatten etwas von einer Explosion an sich und sie klangen auch so. Gleißendes Licht begleitete ein Krachen, das berstenden Stein übertönte. Als sich die gewaltige Glutwolke legte, war Duskmons Körper in das Gestein des Tores gedrückt; die Augen auf seiner Rüstung waren blind, die Rüstung selbst zerrissen und zerfetzt. Nur ein Stöhnen entkam dem Digimon, dann bohrten sich die Schwerter der verbleibenden Knightmon in seinen Körper. Duskmon löste sich in Daten auf, und die Knightmon mussten zurückspringen, als mit brüllendem Getöse das schwere Steintor zerbröckelte und in sich zusammenfiel.

Die Staubwolke trieb Cody Hustenreiz in den Hals, als er gerade tief durchatmete. Er ging zu Meramon hin, das keuchend am Boden lag. „Das war der Wahnsinn“, stieß das Digimon hervor. „Ich dachte, es würde mich zerreißen.“

„Tut mir leid, dass ich euch so in Gefahr gebracht habe. Ich habe das Ganze auch unterschätzt.“

„Nicht der Rede wert“, winkte Meramon ab. „Wie geht es dir?“, fragte es Centarumon. Auf dem Rücken des Zentauren sah man deutlich Brandblasen, wo Meramon gesessen war.

„Ich kann weiterkämpfen“, erklärte es. „Es wird wieder verheilen.“

„Seht mal!“, rief Submarinemon. Die drei wandten sich um und sahen, dass die Staubwolke sich wieder legte.

Als Cody den finsteren Schlund sehen konnte, der ins Innere des Berges führte, fischte er sein Funkgerät heraus. An alle seine Freunde sendete er gleichzeitig: „Hier Cody. Wir haben das Tor zur Finsterzitadelle aufgebrochen.“
 

Summende Felder, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

20:45 Uhr
 

Auf dem Schlachtfeld brachen die Allianzdigimon in verhaltenen Jubel aus, als sie die Neuigkeiten erfuhren, und ihr Kampfgeist erwachte zu neuem Leben. Zudomon, das wieder bei Besinnung war, machte sich mit Joe daran, die letzten Tankmon der Dunklen zu zertrümmern.
 

Reinforce the front line

Force the Dark Ones to retreat

Send in all the reserves

Securing their defeat

Soldiers of the Alliance

Broke the citadel

Ruins of an army

Dark Ones, rest in hell!
 

„Hast du dieses elende Digimon immer noch nicht erledigt?“ Rapidmon war neben Garudamon aufgetaucht, dem langsam die Puste ausging. Soras Digimon hielt mittlerweile respektvollen Abstand zu Megadramon.

„Es ist schnell“, gab Garudamon zurück.

Schnell“, antwortete Rapidmon abfällig. „Ich zeig dir, was schnell ist!“ Wie ein grüner Blitz flog es um Megadramon herum und beschoss es aus allen Rohren. Das Drachendigimon brüllte verärgert.

Garudamon war nahe dran, Rapidmon zu fragen, wo es denn die ganze Zeit war, wenn es glaubte, das Problem hier so einfach in die Hand nehmen zu können, aber es hielt sich im Zaum. Rapidmon war nicht für seine übermäßige Geduld und Vernunft berühmt. Es dauerte auch nicht lange, bis das grüne Androidendigimon in einem unachtsamen Moment von Megadramons peitschendem Schwanz erwischt und davongeschleudert wurde. Aber seine Waffen hatten das Digimon verwundet und langsamer gemacht, und mehr brauchte Garudamon nicht. Eine rot glühende Flügelklinge zerfetzte eine der Schwingen des Megadramons und mit einem schrillen Fauchen stürzte der Drache ab. Nun konnten sich die anderen um es kümmern. Garudamon flog eine Ebene tiefer und half dem Geschwader gegen das Vilemon-Battailon, in das sich nun auch einige massige Devidramon gemischt hatten. Unter sich sah es, wie die Allianz und die Scherben die letzten Maschinendigimon der Dunklen aufrieben. Ihr erster Feind war endlich der Vernichtung nahe.
 

The end of the Dark Ones draws near

Their time has come to an end

The end of an era is here

It's time to attack!

Into the mountain land the DigiAlliance marches

Comrades stand side by side to stop the Shards‘ charge

Panzers on quaking soil, a thunder in the east

Thousands of Digimon

Darkness‘ wrath unleashed!
 

„Nicht nachlassen!“, brüllte SaberLeomon. „Löscht die Dunklen aus, ehe sie eine neue Teufelei aushecken! Vorwärts! Für die DigiWelt!“ Die Allianz stürmte härter denn je gegen ihre Feinde.

Mit der Hilfe von Garudamon war das Vilemon-Battailon schnell restlos vernichtet. Einige wenige Vilemon zogen sich auf T.K.s Befehl hin zurück. Vom Geschwader der Allianz waren nur zwei Dutzend Snimon übrig geblieben, die den Luftkampf entschieden hatten. Sie sanken nun herab, um ihre Sicheln gegen die Bodentruppen einzusetzen.
 

Onward comrads! Onwards for the Digital World! Charge!
 

T.K. beeindruckte der Ansturm der Allianz nicht sonderlich. Er hatte erwartet, dass mithilfe seiner ehemaligen Freunde das Vilemon-Battailon früher oder später aufgerieben wurde, aber die Fledermausdigimon hatten sogar länger durchgehalten, als erwartet.

„Sagt allen, sie sollen als geschlossene Linie weiter vorrücken“, wies er eines der überlebenden Vilemon an. Da MarineDevimon und Musyamon beide tot waren – letzteres musste irgendwann in der Schlacht gefallen sein, da er es nirgends entdecken konnte –, war es an ihm als letzter der Generäle, Anweisungen für sämtliche Truppen zu geben.

„Sehr wohl, Meister Takeru“, sagte das Vilemon unterwürfig.

In dem Moment flatterte ein zweites heran. „Erhabener Meister“, lispelte es, „es freut Euch sicher zu hören, dass die Digimon der Dunklen restlos ausgelöscht wurden.“

T.K. lächelte. Auch wenn der Kampf nicht ganz nach Plan verlaufen war, hatten sie die Maschinen also erledigt. Nun blieben den Dunklen nur noch ihre eigenen Fähigkeiten – die Karten würden bald an ihrem Platz sein.
 

Oh mother DigiWorld

Union of lands

Will of the Digimon

Strong in command

Oh mother DigiWorld

Union of lands

Once more victorious the Nightmare Soldiers stand!
 

„Die Dunklen sind besiegt!“, schallte es von überall auf dem Schlachtfeld.

„Verstärkt die Reihen“, kommandierte SaberLeomon. „Jetzt müssen wir nur noch die Scherben bezwingen, und der Sieg ist unser!“ Die Allianzdigimon antworteten mit vielstimmigem Gebrüll.

Tai fand das ein wenig leicht dahergesagt, immerhin hatten die Albtraumsoldaten immer noch eine riesige Armee, und er konnte von hier aus gar nicht sagen, ob ihre eigene größer war.

Matt schien zu denken, dass sie es ohne Probleme schaffen konnten. „Wir überlassen das Schlachtfeld euch, in Ordnung?“ Garudamon, WarGreymon und MetalGarurumon stießen soeben zu ihnen.

„Tut das. Ich bin sicher, wir können es schaffen“, sagte der Säbelzahntiger.

„Gut.“ Matt nickte. „Dann werden wir zusehen, dass wir T.K. erwischen.“ Er sagte es gimmig, ohne einen Hauch von Gefühlsregung, und Tai fragte sich, ob er an seiner Stelle so gefasst hätte sein können. Matt schien seine Gedanken zu erahnen. „Wir werden ihn entweder zur Vernunft bringen oder gefangen nehmen“, sagte er.

„Es tut mir leid“, sagte Ken, „aber das könnt ihr auch ohne mich. Ich muss zu Yolei. Ich will sie noch einmal sehen, bevor sie … bevor … der Kampf vorbei ist.“ Tai sah ihm an, dass er etwas anderes hatte sagen wollen, etwas, das so schrecklich war, dass es ihm den Magen umdrehen musste.

„Kein Problem“, sagte er mit belegter Stimme. „Mit unseren Digimon sollten wir es schon schaffen, immerhin haben wir WarGreymon und MetalGarurumon. Aber schick Sora her, damit wenigstens sie dabei ist“, fügte er mit einem Blick auf Garudamon hinzu.

„Das mache ich. Vielen Dank.“ Ken verschwand im Labyrinth.

„Geht jetzt“, sagte SaberLeomon. „Die Dunklen sind besiegt. Von nun an heißt es, Albtraumsoldaten oder DigiAllianz.“
 

The end of the Dark Ones is here

Their time has come to an end

The end of an era is here

It's time to attack!

Into the mountain land the DigiAlliance marches

Comrades stand side by side to stop the Shards‘ charge

Panzers on quaking soil, a thunder in the east

Thousands of Digimon

Darkness‘ wrath unleashed!
 

Die DigiRitter nickten und wollten sich schon auf den Weg machen, um sich in den Höhlen mit Sora zu treffen, als sie einen Funkspruch von Izzy erhielten. „Leute, da kommt ein Digimon auf uns zu – von Westen!“

„Westen?“ Tai zückte sein Fernglas – es war weit größer als das kleine Taschenteleskop, das er früher sein Eigen genannt hatte, und spähte hindurch. Vor dem rot glühenden Ball der untergehenden Sonne war etwas aufgetaucht, das rasch näher kam. Zuerst dachte er, es wäre schon wieder ein Megadramon, doch der Irrtum fiel ihm auf, als das Digimon das Schlachtfeld erreichte. Teile seines Körpers und die Flügel waren aus Metall. Es war ein Gigadramon, ein Android, und es war unschwer zu erkennen, unter wessen Kontrolle es stand, da auch die Tankmon nach Kentarous Festnahme weitergekämpft hatten.

Auf dem Kopf des stählernen Drachen stand Taneo.

Ein Aufschrei ging durch die Digimon der Allianz, als sie ihn erkannten. Attacken flogen in die Höhe, kratzten aber höchstens Gigadramons Metallvisier. Jetzt konnte Tai auch die zweite Gestalt auf dem Digimon erkennen, ein Mädchen, dessen langes blondes Haar im Wind wehte und das sich ein wenig unbeholfen an Gigadramons Helmzacken klammerte. Das Androidendigimon sauste in weiten Kreisen über das Schlachtfeld.

„Ihr habt unsere Armee also wirklich dem Erdboden gleichgemacht“, erklang Taneos melodische Stimme. Die Kämpfe kamen fast zum Erliegen, als alles, was Verstand genug besaß, den Worten des Dunklen lauschte. „Na dann, ruht euch auf euren Lorbeeren aus. Solange ihr könnt!“ Er streckte in einer herrischen Geste die Arme von sich. Sein sandfarbener, fast bodenlanger Mantel flatterte wie verrückt im Flugwind, und das DigiVice an seinem Gürtel erstrahlte in grünem Licht. „Flammeninferno!“, schrie Taneo donnernd.

Tosende Feuerstrahlen schossen aus seinen Handflächen, Kegel aus purer Hitze, die ganze Häuser in Schutt und Asche hätten legen können, und tauchten das gesamte Schlachtfeld in ein Meer aus Flammen.

Sun is going down

Bluray-Gebirge, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

20:58 Uhr
 

Ihr Hals tat weh.

Das war das erste, was sie fühlte. Ihre anderen Glieder spürte sie nicht, aber in Anbetracht dieses drückenden Schmerzes war es vielleicht besser. Das Grau vor ihren Augen löste sich auf, wurde zu einem verschwommenen, karottenroten Fleck. Sie bekam mit, dass sie auf einer weichen Decke lag, unter der kantige Steine in ihren Rücken stachen. Ihre Gedanken ließen sich nicht ordnen, sie konnte nicht sagen, wo sie war, wie sie hierhergekommen war … nicht einmal, wer sie überhaupt war. Es machte ihr Angst, doch der Schmerz hinderte sie am Sprechen.

„..lei?“, hörte sie eine Stimme wie durch Wasser.

Sie bewegte die Lippen, aber selbst einfache Worte zu sagen schien sie verlernt zu haben. Sie blinzelte. Ihre Augen fühlten sich eiskalt an, als ob eine Schneeschicht darüber liegen würde. Jetzt konnte sie Einzelheiten in dem Gesicht über ihrem Kopf erkennen, hellbraune Augen. Sie kannte dieses Gesicht, aber woher?

„Yolei? Bist du wach?“ Sie sah, wie sich die Lippen des Mädchens bewegten, aber die Worte hörte sie erst Sekunden später.

Das Gesicht verschwand, das einzig Bekannte hier, an dem sie sich festhalten konnte. Sie war verzweifelt. Nun war da nichts mehr über ihr, nur ein Himmel, auf der einen Seite blauschwarz, auf der anderen von einem markanten Violett. Am Rand ihres Gesichtsfeldes konnte sie einen blutroten Streifen sehen, wo die Sonne unterging.

Winzige Beinchen liefen auf ihr herum. Etwas Rosafarbenes huschte an ihrem Gesicht vorbei, so schnell, dass es verschwamm, und der Schmerz an ihrem Hals ließ nach. Gleichzeitig klärte sich ihr Geist. Das Gesicht von vorhin hatte plötzlich einen Namen. „Sora“, brachte Yolei krächzend hervor. Es fühlte sich an, als raspelten scharfe Steinchen durch ihre Luftröhre.

Sora beugte sich wieder über sie und Erleichterung spiegelte sich in ihren Augen wider. Yolei nahm nun auch Gerüche wahr; Honig und den scharfen Geruch von Alkohol und noch etwas anderes, das sie nicht identifizieren konnte. Sie hob ein wenig den Kopf und sah rosafarbene, kaninchenähnliche Digimon, deren Hände grün glühten, während sie die Schrammen an ihrem Körper, aber auch andere Digimon, die neben ihr lagen, behandelten. Cutemon, wenn sie sich nicht täuschte. Sie war im Lazarett der DigiAllianz, in einer Talsenke am südlichen Ende des Felslabyrinths, das zu den Summenden Feldern führte. War sie denn verletzt?

„Bleib ruhig liegen“, sagte Sora sanft und setzte ihr eine Schüssel an den Mund. „Hier, trink das vorsichtig.“

Yolei schmeckte seltsamerweise noch nichts, aber auch die zähe Flüssigkeit duftete nach Honig oder Met. In dem Moment flatterte etwas neben ihr Gesicht, und sie wäre erschrocken, hätte sie die Bewegung nicht erst mitbekommen, als sie schon in Hawkmons Vogelaugen sah.

„Yolei!“, rief es erfreut. „Du bist wohlauf! Wir hatten schon das Schlimmste befürchtet.“

Yolei lächelte ihr Digimon kurz an. „Wie komme ich hierher? Was ist passiert?“

Sora und Hawkmon fuhren herum, und wie zuvor hörte Yolei das Geräusch der Schritte zu spät. Sie drehte mühsam den Kopf und sah Ken angerannt kommen. Er sah furchtbar aus, das Haar zerzaust und klebrig, die Kleidung dreckig, an manchen Stellen rußverschmiert. Er wurde langsamer, als er Yolei sah, und ging schließlich vor ihr in die Knie. Ein Lächeln erstrahlte in seinem schmutzigen Gesicht und sein Blick wurde weich. „Du bist wohlauf“, flüsterte er und streckte die Hand aus, ohne sie jedoch zu berühren. Oder tat er es? Sie fühlte jedenfalls nichts.

„Natürlich, was glaubst du denn?“ Yolei versuchte sich in einem Lächeln, aber der Schmerz in ihrem Hals, der ihre krächzenden Worte begleitete, ließ es zu einer Grimasse entgleisen.

„Ein Glück“, seufzte er und schloss die Augen, als fürchtete er, ansonsten aus einem Traum aufwachen zu können. Er fiel ihr nicht um den Hals oder so, aber Yolei hatte das Gefühl, dass er es zumindest in Gedanken tat. „Aber wie … Sie hatte keinen Puls mehr, jedenfalls habe ich keinen gefühlt“, wandte er sich an Sora und seine Stimme klang nun sachlich, fast wissenschaftlich. Vielleicht hätte diese Unnahbarkeit Yolei verletzt, doch sie begriff immer noch nur langsam, was eigentlich mit ihr geschehen war. Hatten sie sich solche Sorgen machen müssen? Yolei, werd bloß nicht unvorsichtig. Wer hatte das noch gleich zu ihr gesagt? War sie zu weit vorgeprescht?

„Sie hatte noch einen Puls, aber er war sehr schwach. Du konntest ihn auf Aquilamons Rücken einfach nicht ertasten“, erklärte Sora. „Die Cutemon haben sich gut um sie gekümmert.“

Kens Lächeln war wieder da, milde und verständnisvoll. „Die Dunklen sind übrigens erledigt“, sagte er zu Sora. „Ich soll dich zu Matt und den anderen schicken. Garudamon und ihre Digimon sind auch alle da, sie warten am Eingang zum Schlachtfeld und wollen T.K. fangen.“

Sora war anzusehen, dass sie nicht unbedingt scharf darauf war, mitzukommen, aber sie nickte. Dann schoss hinter Ken plötzlich eine Feuersäule in die Höhe, riesengroß und brodelnd, und Yolei sah, wie seine Pupillen schrumpften und er die Augen aufriss. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, fuhr dann aber herum.

„Was ist das?“, rief Sora schrill und presste die Hand vor den Mund. Ken war wie erstarrt, seine Hände zitterten.

„Das Schlachtfeld“, murmelte er.

Yolei sah im Liegen nicht genau, was vor sich ging, aber es versetzte Sora, Ken und die Cutemon in helle Aufregung. „Oh nein“, flüsterte Sora. „Dann sind Matt und Garudamon und …“ Sie stürmte davon, Ken packte sie am Arm, aber sie riss sich los.

„Lass wenigstens mich gehen!“, rief er ihr hinterher. „Ich kann kämpfen!“

Yolei sah, wie Sora etwas aus einer Felsnische holte, und das Licht der bis zum Himmel leckenden Flammen brach sich auf einer breiten, glänzenden Klinge. „Ich auch“, antwortete das Mädchen. „Und ich hab keine Ruhe, wenn ich nicht selbst nachsehen gehe!“

„Sora!“ Ken machte Anstalten, ihr zu folgen, aber dann ließ er sich neben Yolei zu Boden fallen.

Schweigend sahen sie dem feurigen Spektakel am Abendhimmel zu.
 

Summende Felder, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

21:05 Uhr
 

Die Hölle konnte nicht heißer sein.

Matt fühlte, wie er geschmolzene Luft atmete. Sie verbrannte seine Atemwege, schien seine Lunge zu rösten. Überall waren die Flammen, über, neben, sogar unter ihm, überall züngelten sie aus dem infernalischen Schlund, in den sich das Schlachtfeld verwandelt hatte. Die Schreie vereinigten sich zu einem qualvollen Chor, und überall rauschten Datenwirbel. Sehen konnte Matt nicht; selbst durch die geschlossenen Lider schienen seine Augen zu schmelzen, aber er fühlte etwas kaum merklich Kühleres, Metallenes, das sich gegen ihn presste, hörte rings um sich herum Steine bröckeln. Etwas Heißes setzte sich auf seiner Stirn fest und der Schmerz wollte nicht weichen.

Auch Tai fühlte sich von einem tosenden Sturm umgeben, der ihn ins Zentrum der Flammen ziehen wollte, heiße Luft, die das Feuer nachzog, um zu atmen. Er hielt sich an etwas Eisernem fest, das so heiß war, dass er sich durch seine Handschuhe hindurch die Finger verbrannte. Glut und Funken brannten sich durch seine Kleidung, er spürte, wie er in einem Herd aus lodernden Flammen stand, die seine Schenkel hoch leckten und wie glühende Klingen in seine Haut schnitten. Wo war Mimi? Er zwang sich die Augen zu öffnen, aber er sah so gut wie nichts. Überall nur Flammen und Verwüstung, geschmolzene Felsen und endlose, orangerote Leere. Ein riesiger Schatten schälte sich aus dem Feuer, als Tai wider besseren Wissens vortorkelte, sich immernoch an WarGreymon festhaltend. Er sah den Umriss von ShogunGekomon, der halb auf etwas lag. Tai kniff seine brennenden Augen zusammen. Eine Wand, mitten im Feuer, aus der kleine, brennende Stückchen fielen, schreiend und in Daten zerberstend. Die Gekomon und Otamamon. Tai konnte nur hoffen, dass dieser lebendige Schild Mimi galt. Er brach in die Knie, als ihm die Luft ausging. Hier in der Hölle konnte man nicht atmen.
 

T.K. sah mit steinerner Miene zu, wie das gesamte Schlachtfeld in Flammen aufging. Sehen konnte man kaum etwas vor wirbelnden Flammen, aber die Datenreste, die daraus hervorquollen wie dichter Rauch, zeigten ein Massensterben digitalen Lebens an.

Das Gigadramon wirbelte herum und flog über ihm hinweg. Für einen Augenblick kreuzten sich T.K.s und Taneos Blicke, er konnte ein hinterhältiges Lächeln in den Augen des Dunklen funkeln sehen, dann war das gewaltige Digimon fort, verschwunden in der Dämmerung.

T.K. ballte die Fäuste. So eine Kraft hätte er den Dunklen nie zugetraut … Flammeninferno. Er erinnerte sich noch daran, als wäre es gestern gewesen. Der dunkle Himmel, das violette Leuchten von Kens DigiVice. Deemon, das nur die Hand hob und drohte, ein ganzes Hochhaus auszulöschen. Die Verzweiflung, die Angst, die Anspannung. Ken, der schrie, Yolei und Cody, die starr vor Angst waren, Davis, der ihre Herzen wärmte. Sie hatten Deemon zum Meer der Dunkelheit verbannt, weil sie es nicht besiegen konnten. Und nun beherrschte Taneo dessen Attacke. Die Dunklen waren mächtiger als sie, die DigiRitter, in ihren besten Zeiten. Die Erkenntnis ließ ihm einen Schauer über den Rücken rieseln. Vielleicht war dieser Gedankengang nicht ganz richtig. Vielleicht hatten sie ihre Digimonsklaven zum Meer der Dunkelheit mitgenommen, oder Deemon hatte lange gegen den Herrscher des Meeres, Dragomon, gekämpft und war erschöpft gewesen.

Dennoch, wie man es auch drehte und wendete: Taneo hatte eine Attacke in seinem DigiVice gespeichert, der sogar die größten Armeen, die die DigiWelt je gesehen hatte, nichts entgegenzusetzen hatten.

„T.K, sollen wir nicht hinterher?“, fragte Angemon.

„Noch nicht. Ich will erst sehen, ob da unten noch irgendwas am Leben ist.“ Er sah wieder über die Felskante zum Schlachtfeld. Selbst hier spürte er die Hitze, die einem den Atem raubte. Unten musste sie bestialisch sein. Es sah tatsächlich nicht so aus, als ob in dieser Hölle noch jemand am Leben war, aber falls doch, brauchten sie ihn als General. Taneo lief ihm nicht weg; er hatte vorsorglich zwei Karten bei sich selbst behalten.
 

Bluray-Gebirge, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

21:09 Uhr
 

Taneo ließ das Gigadramon zwei Kilometer westlich der Finsterzitadelle landen. Kentarou hatte das Androidendigimon so umprogrammiert, dass es auf einfache mündliche Befehle reagierte. Kaum dass der Schlangenkörper den Boden berührte, erschien Ansatsu bei ihnen und half Miyuki von dem gepanzerten Kopf. Taneo betrachtete sein DigiVice, das rot blinkte. Deemons Flammeninferno hatte seine Energie komplett aufgebraucht. „Ich fliege mit Gigadramon zur Ladestation“, erklärte er den anderen. „Ihr zwei geht schon mal vor und säubert die Zitadelle.“

„Kannst du gehen?“, fragte Ansatsu, als das Gigadramon mit ihrem Anführer davongeschlängelt war. Es war eine Frage ohne Sorge oder Mitleid, sondern rein aus geschäftlichem Interesse.

„Klar. Ich spür kaum was, dank der Schmerzmittel, mit denen ihr mich vollgepumpt habt“, schnaubte Miyuki und tastete über ihr dick verbundene Hüfte. „Aber warum gehen, wenn einer von uns durch die Dimensionen reisen kann?“ Ungefragt nahm sie Ansatsus Hand, was dieser mit einem leichten Zusammenziehen der Augenbrauen quittierte. „Was denn? Hat der unterkühlte Assassine Angst vor warmem, lebendigem Fleisch?“, fragte sie grinsend.

„Lass das Geschwafel.“ Die Realität um sie herum löste sich auf, sie fielen durch einen Strudel voller Illusionen, landeten kurz auf einem im Licht der Abendsonne glänzenden Getreidefeld in der Realen Welt und standen gleich darauf in einer Felsnische nahe der Finsterzitadelle, die so schmal war, dass sie sich eng aneinander pressen mussten. Miyuki bemerkte belustigt, wie Ansatsu sich verkrampfte.

„Beeindruckend, wie du den kuscheligsten aller Orte in diesen verdammten Bergen ausgesucht hast“, neckte sie ihn.

„Halt den Mund“, murmelte er ungehalten und spähte um die Ecke. „Es gibt sicher Wachen.“

„Warum teleportierst du uns nicht gleich in die Festung hinein? Müssen wir unbedingt Geheimagenten spielen?“

„Erinnerst du dich an das Abwehrnetz, das Kentarou installiert hat, als die Zitadelle noch uns gehört hat?“

„Das, was verhindert, dass ein Digimon den Berg zerstört?“

„Genau. Es ist anscheinend immer noch aktiv, und es erkennt Parallelmons Dimensionsreise-Fähigkeit als Attacke. Ich hab schon versucht, hineinzukommen, aber es geht nicht.“

Miyuki seufzte. „Also durch das Tor.“

„Genau. Und jetzt sei still, dort ist jemand.“
 

Tor zur Finsterzitadelle, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

21:09 Uhr
 

„Izzy, hörst du mich?“ Aus dem Funkgerät kam nur Rauschen und etwas wie Vogelgezwitscher.

„Kein Glück?“, fragte Digmon. Armadillomon war zu ihm anstatt zu Ankylomon digitiert, weil es so nicht so viel Platz brauchte, von dem sie in den Gängen der Zitadelle vielleicht ohnehin zu wenig hatten.

„Irgendwas stört die Verbindung“, murmelte Cody. „Izzy? Hörst du mich? Wir versuchen jetzt, in die Zitadelle vorzudringen.“ Als immer noch keine Antwort kam, zuckte er mit den Schultern. „Gehen wir!“

In Zweierreihen marschierte der Stoßtrupp durch das geborstene Tor. Direkt dahinter lag ein breiter, schnurgerader Gang, der etwa fünfzig Schritte weit in die Dunkelheit führte. Die Decke wurde beidseitig von Säulen gestützt, zwischen denen in regelmäßigen Abständen große, steinerne Sarkophage standen, aufrecht wie steinerne Wächter. Cody musste an die geheimen Grabkammern aus Horrorfilmen denken, die mit Fallen geschützt waren.

Die schweren Schritte der Knightmon hallten von der hohen Decke wider und kündigten ihr Kommen lautstark an. Cody packte seinen Schwertgriff fester.

Als sie die Eingangshalle zur Hälfte durchquert hatten, ertönte aus allen Richtungen ein Schaben und Quietschen. Stein auf Stein. Sofort bildeten die Knightmon einen Kreis um Cody, Meramon und Centarumon. Die Steinsärge öffneten sich, die wuchtigen Schieferplatten schoben sich zur Seite, klappten auf und knallten auf den Boden. „Als ob ich‘s geahnt hätte“, murmelte Cody und hob sein Schwert. Genau wie in dem Film, den er kürzlich im Kino gesehen hatte. Die Abenteurer hatten alle Fallen überwunden und waren in der Grabkammer des Pharaos gelandet, und der alte Monarch hatte beschlossen, sie persönlich davon abzuhalten, die Grabbeigaben zu rauben. Auch in dem Film war er als Mumie aus seinem Sarkophag getorkelt.

Nur waren die bandagierten Gestalten, die unsicheren Schrittes aus ihren Särgen traten, zu zwölft. Und es waren auch keine einfachen Mumien, es waren Mummymon, die schwere Maschinenpistolen in ihren Händen schwenkten.

„Lauft! Raus hier!“, schrie Cody und rannte als erster los. Hier konnten sie nicht gegen diese Digimon kämpfen, nicht solange sie umzingelt waren.

Knisternde Lichtschlangen blitzten aus den Mündungen der Waffen, streiften den Boden neben ihm und zischten über Säulen, rissen Steinbrocken heraus. Ein Knightmon wurde rücklings getroffen und stürzte, und sofort feuerten fünf Mummymon auf einmal auf das wehrlose Digimon, bis es sich schreiend in einen Datenwirbel auflöste.

Cody hetzte mit brennenden Lungen dem schwachen Licht am Ende des Tunnels entgegen, das den Ausgang markierte. Er sah weitere Schüsse an sich vorbeiblitzen, und kaum dass er über die Trümmer des schwarzen Tores gesprungen war, warf er sich nach rechts und aus der Schusslinie. Centarumon galloppierte als nächstes aus der Zitadelle, gefolgt von Meramon und den anderen Knightmon. Sie verteilten sich um den Eingang, um den Mummymon kein Ziel mehr zu bieten. Das Empfangskomitee der Scherben schien nicht vorzuhaben, den Eingang zu ihrer Bastion von innen zu verteidigen, sondern folgte seinen Feinden nach draußen. Während Cody noch fieberhaft überlegte, wie sie den Ultra-Digimon beikommen könnten, ging der Tanz schon von neuem los – Gewehre gegen Schwerter. Die Knightmon waren zu langsam und mittlerweile auch zu wenige, um groß etwas gegen die Mumiendigimon ausrichten zu können, aber auch Meramon und Centarumon mischten kräftig mit. Digmon schoss seine Bohrer auf eines der Ultra-Digimon ab und riss es von den Füßen, aber es brauchte noch zwei Knightmon, die es mit ihren Großschwertern durchbohrten, um es zu besiegen.

Mitten im Kampf erklang eine weibliche Stimme vom Bergpfad her. „Sieh an, wen wir da haben.“

Cody fuhr herum, und mit ihm seine Digimon; sogar die Mummymon hörten kurz mit ihren Angriffen auf. Dort drüben, kurz bevor der Weg, der zum Tor führte, in ein Gefälle überging, standen die junge Frau aus Andromons Projektion und Ansatsu.

„Die Dunklen!“, rief Meramon aus.

„Jaja, wir sind’s“, sagte das Mädchen lässig. „Miyuki und Ansatsu, die Schrecken aller Digimon. Wir würden ja wahnsinnig gern mitansehen, wie ihr euch gegenseitig zerlegt, aber wir haben‘s eilig.“

Noch ehe sie ausgeredet hatte, war Ansatsu verschwunden und tauchte einen Herzschlag später in ihren Reihen wieder auf. Cody bekam nur mit, wie ein Mummymon strauchelte und sich in Daten auflöste, aber ehe er den Assassinen mit seinem Blick verfolgen konnte, war er schon wieder verschwunden, teleportierte sich zwischen den Mummymon hin und her und stieß jedem von ihnen den schwarzen Stachel, in den sich seine rechte Hand verwandelt hatte, in den Schädel oder die Brust. Er war jedes Mal kaum für mehr als einen Wimpernschlag zu sehen und noch während ein Mummymon sich auflöste, meuchelte er schon zwei weitere. In weniger als fünf Sekunden waren alle Wächter der Scherben verschwunden.

„Na wartet!“, rief Centarumon und die Kanone in seiner Handfläche klappte auf. „Solarstrahl!“ Eine gelbe Energiekugel sauste auf die blonde Frau zu, die, warum auch immer, nicht auswich. Im letzten Moment flimmerte die Luft vor ihr und Ansatsu erschien, ein Knie auf dem Boden, und zerschlug die Kugel mit einer Art Krallenhandschuh, der sich daraufhin auflöste. Unter dem anderen Arm trug er ein Mummymon im Schwitzkasten, das sich eben erst auflöste.

„Du bist ja doch zu was zu gebrauchen“, sagte das Mädchen – Miyuki, wenn Cody sie richtig verstanden hatte – und hob ihr neuartiges DigiVice. Die Daten des Mummymons wurden in das kleine Gerät gesaugt.

Ansatsu richtete sich auf. „Der Rest gehört dir“, sagte er kühl.

„Aber mit Freuden!“ Ansatsu trat zur Seite und Miyuki einen steifen Schritt vor – es sah für Cody so aus, als trüge sie eine Art Korsett unter ihrer Ledermontur, das ihre Bewegungen einschränkte. Sie ließ das erglühende DigiVice fallen – es baumelte an einer kleinen, silbernen Kette an ihrem Gürtel – und streckte die Arme aus. „Gargo-Schrot!

Zwei kurze Gatling-Rohre erschienen an ihren Händen und begannen sich knatternd im Kreis zu drehen und ein verheerendes Sperrfeuer auf Codys Stoßtrupp zu entladen. Er sah nur noch spritzendes Gestein und zerspringende Rüstungen, die Kugeln durchschlugen sogar die Panzerung der Knightmon, rissen pflaumengroße Löcher hinein, ramponierten die Digimon so sehr, bis sie sich schließlich ganz in Daten auflösten. „Wie geht denn das?“, rief Cody entsetzt. „Sie zerstört Ultra-Digimon mit einem Champion-Angriff?“ Eines nach dem anderen vernichtete Miyuki, unbarmherzig, und selbst das einzelne Knightmon, das Zeit fand, sich mit seinem Großschild zu schützen, wurde nach einem ergiebigen Kugelhagel am Bein getroffen, brach in die Knie und ein dreifacher Kopfschuss beendete sein Leben, und das Gatlinggewitter ratterte über den Felsboden zu Cody herüber, der immer noch wie erstarrt war, und – Centarumon warf sich dazwischen, stöhnte auf, als die Kugeln sich in seinen Pferdekörper bohrten, brach zusammen und fiel halb auf Cody, sodass ihm die Luft wegblieb. Das unheilvolle Knattern endete so abrupt, wie es begonnen hatte.

„Centarumon“, murmelte er. Das Digimon atmete schwer und blutete aus dutzenden Einschusslöchern.

„Die Stadt des Ewigen Anfangs ist wieder unser“, sagte das Pferdedigimon mit brüchiger Stimme. „Also habe ich … nichts zu befürchten.“ Seine behandschuhte Hand ergriff Cody lasch am Jackenkragen. „DigiRitter … damit die Stadt frei bleibt, müsst ihr die Scherben … heute … besiegen … Versprich es mir …“

Cody schluckte. „Ich verspreche es“, sagte er ernst.

Centarumon atmete aus und es klang erleichtert. In einem Datensturm verging es.

„Ihr elenden Missgeburten!“, hörte Cody Meramon brüllen. Die Kugeln hatten dem Flammendigimon nichts anhaben können. „Brennende Faust!

Flackerndes Licht erhellte die mittlerweile im Dunkeln liegenden Felswände. Ein Feuerball explodierte direkt neben Miyuki, die sich nicht schnell genug in Sicherheit bringen konnte. Mit einem spitzen Aufschrei zuckte sie zurück. Cody konnte den Gestank von verbranntem Haar bis hierher riechen. Wütend zischte das Mädchen: „Das wirst du bereuen!“ Vor ihr erschien ein Mummymon-Gewehr in der Luft, das sie mit einer Hand ergriff. Als sie abdrückte, quoll die elektrische Energieschlange aus der Mündung, traf Meramon gegen die Brust und warf es zurück, presste es auf einem Meter Höhe gegen die Felswand, wobei der Flammenkörper zischte und flackerte und Meramon ein Stöhnen von sich gab.

Auch Cody hatte die Fassung wieder erlangt. Er sprang auf und zog sein Katana. „Na wartet!“, rief er laut. „Ihr habt schon viel zu lange ungestraft Digimon ermordet!“ Mit einem lauten Kampfschrei stürmte er los.

„Cody, warte!“, rief Digmon irgendwo hinter ihm.

Ansatsu begegnete seinem Blick und seine Hand verwandelte sich wieder in einen schwarzen Stachel. Der Attentäter sprintete ihm mit wehendem Mantel entgegen, und als er ihn herannahen sah, ohne das geringste Anzeichen von Furcht, kroch Cody Unsicherheit ins Herz. Dieser Kerl hatte gegen Lilymon und WarGreymon und eine ganze Gruppe Mummymon gekämpft … Aber es gab kein Zurück mehr!

Steinbrecher!

Cody schrie auf, als der Boden unter ihm erzitterte und entzweibrach. Ein gähnender, finsterer Spalt verschlang ihn, das Schwert entglitt seinen Fingern. Er sah Ansatsu ebenfalls fallen, dann verschwamm seine Gestalt und er war fort.

Cody konnte sich nicht wegteleportieren. Immer noch schreiend und sich überschlagend, stürzte er der Finsternis entgegen, und als er fürchtete, bald aufschlagen zu müssen, summte ein großes Insekt heran und packte ihn mit Händen, aus denen Bohrer sprossen.
 

Ansatsu materialisierte sich neben neben Miyuki, die immer noch Meramon mit ihrem Gewehrstrahl festhielt. „Ich verfolge den DigiRitter“, verkündete er und war schon wieder weg.

„Hey! Verdammt, lass mich nicht mit dem hier alleine!“, schrie Miyuki. Der flackernde Strahl aus ihrem Gewehr erlosch und Meramon rutschte zu Boden. Knurrend und schwer atmend richtete es sich auf. „Mistkerl“, murmelte sie, und rief dann: „He, Meramon, für den Fall, dass du das Meramon von der File-Insel bist: Deine Yokomon-Schützlinge vermissen dich!“

„Ihr dreckigen Fleischklumpen“, knurrte Meramon. „Was habt ihr ihnen angetan?“

„Ich würde dir ja eine Yokomon-Tentakel-Massage empfehlen, aber ich fürchte, du würdest die Kleinen verbrennen.“ Ihr DigiVice glühte wieder auf und sie hob die Arme mit geballten Fäusten. „Wusstest du übrigens, dass man Feuer mit Explosionen löschen kann?“ Während Meramon sich abstützen musste, um nicht umzufallen, erschienen um Miyukis Handgelenke metallene Ringe. „Granaten!“ Eine kleine Rakete mit aufgemaltem Gesicht, das eine Trillerpfeife im Mund hatte, flog aus jedem Ring und zerplatzte mit einem Krachen auf Meramons Brust, riss die Flammen auseinander und streute Feuer auf die Felswände, sodass nichts mehr von ihm übrig war, das sich hätte auflösen können.
 

Summende Felder, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

21:10 Uhr
 

Fünf Minuten dauerte die Feuersbrunst an. Fünf Minuten, die Tai wie eine Ewigkeit vorkamen. Fünf Minuten, in denen er Flammen atmete, in denen der Felsen unter ihm durch seine Turnschuhe glühte, in denen, woran er sich auch klammerte, ihm alles die Finger verbrannte. Er spürte WarGreymons Schild, doch auch der war irgendwann weg, vielleicht geschmolzen, und der Backofen, in dem er war, brannte noch heißer. Als es endlich vorbei war, lag er auf dem Boden und hatte die Arme vor das Gesicht gepresst. Die Hitze schien im ersten Moment gar nicht nachzulassen, war immer noch tausendmal so heiß wie die Restglut eines Grillers, und die Brandwunden überall an seinem Körper schienen immer noch so heiß wie das Feuer, das sie erschaffen hatte.

Langsam richtete er sich auf und warf einen Blick über das Schachtfeld. Es war ein Blick über eine Vulkanlandschaft. Der Boden war teilweise geschmolzen und grauschwarz; Glutnester hockten hartnäckig darin. An manchen Stellen nagten die Flammen noch an undefinierbaren Brennstoffen, doch der größte Teil der Summenden Felder schwelte und war rauchverhangen. Das Flammeninferno hatte niemanden unversehrt gelassen, doch nicht alle Digimon waren gestorben, wie er erkannte. In den Rauchwolken regte sich Leben; er sah Devidramon, die sich erhoben und Asche von ihren Rücken schüttelten, manche von ihnen waren blind. Ogremon und Fugamon stapften aus Felsnischen, mit halb verbrannten Gliedmaßen, andere Digimon hatten nur überlebt, weil sie sich im Augenblick der Feuersbrunst gegenseitig vor den Flammen abgeschirmt hatten. Die Meramon der DigiAllianz waren natürlich ebenfalls noch da, aber sie wirkten erschöpft, als hätten sie den größten Rausch ihres Lebens hinter sich. ShogunGekomon war verschwunden, einige Gekomon und Otamamon lebten noch; ein paar Snimon hatten, weshalb auch immer, ebenfalls überlebt; vielleicht waren sie den Flammen mit ihren Flügeln entkommen, obwohl die Luft dort oben sicherlich ebenso vernichtend gewesen war. Viele Digimon lagen verletzt oder im Sterben oder auch einfach nur ohnmächtig am Boden. Tai war fassungslos. Aus den Tausenden, die hier gekämpft hatten, waren binnen fünf Minuten weniger als hundert geworden.

Seine Freunde waren gottlob am Leben. Weit enfernt von der Unversehrtheit, aber am Leben. Agumon, Gabumon und Piyomon lagen rußig und reglos am Boden, aber anstatt sich aufzulösen, waren sie offenbar nur zurückdigitiert. Matt rappelte sich soeben auf und nickte ihm zu. Er hatte eine furchtbare Brandwunde über dem linken Auge. Mimis Augen begegneten seinen hellwach und unendlich erleichtert. Ihr schien nichts passiert zu sein, außer dass ihr Haar und ihre Hosenbeine angesengt waren. Die Headsets, die die DigiRitter getragen hatten, waren von der Hitze verformt oder gar geschmolzen. Kein Ton kam mehr heraus.

Auch Leomon war zurückdigitiert. Es rammte sein Schwert in den Boden und stemmte sich daran hoch. „Es sieht so aus, als hätten wenigstens ein paar von uns Glück im Unglück gehabt.“ Rapidmon landete neben ihm, es war rußverschmiert, eher grau als grün, aber wohlauf.

Matt nickte und setzte dazu an, etwas zu sagen, als eine Stimme über die Ebene schallte. Nun, ohne den Kampfeslärm, war es geradezu abartig ruhig, sogar das namensgebende Summen dieser Felder schien von den Flammen erstickt worden zu sein, denn es war kaum spürbar. So waren T.K.s Worte klar und deutlich zu verstehen.

„Der Kampf ist noch nicht vorbei! Albtraumsoldaten, eure Arbeit ist noch nicht getan! Vorwärts, zerschlagt, was von ihnen übrig ist!“

Matt biss die Zähne zusammen. „T.K. …“

„Da vorne!“, rief Mimi. Eine Windbö hatte einen Teil des Rauchvorhangs zur Seite geweht und gab den Blick auf eine Linie Scherben frei. Sie mussten neu hinzugekommen sein, denn sie waren weder verletzt noch verbrannt. Auf den ersten Blick erkannte Tai sechs furchteinflößende SkullGreymon, umgeben von mindestens dreimal so vielen metallischen SkullMeramon.

„Wo kommen die denn plötzlich her?“, murmelte er.

„SkullSatamons Garde“, sagte Leomon grimmig. „Wenn die Gerüchte stimmen. Es wird nicht einfach, gegen sie zu kämpfen.“

„Dann kommen wir ja weder zu früh, noch zu spät“, schnarrte eine Stimme hinter ihnen. Aus den Labyrinthgängen kam ein Scorpiomon gekrochen, das momentan den Oberbefehl über die Marine der DigiAllianz hatte. Hinter ihm schleppten sich weitere Meeresdigimon heran: Coelamon, Crabmon, Octomon und andere; alles, was sich an Land fortbewegen konnte, war ebenfalls zu den Summenden Feldern beordert worden; dadurch, dass die Meeresdigimon aber nur langsam durch die Berglandschaft kamen, waren sie ein Stück zurückgeblieben und hatten es nicht rechtzeitig zum Beginn der Schlacht geschafft.

„Gerade rechtzeitig“, sagte Leomon grimmig.

„Oh weh, das sieht ja übel aus. Haben wir doch drei Tage gebraucht, weil hier schon alles zerstört ist?“, witzelte Scorpiomon.

„Ein Angriff der Dunklen, von dem wir hoffen, dass es der letzte war“, knurrte Leomon. „Als nächstes müssen wir uns wohl …“

„Joe!“, schrie Tai. Er hatte seinen Freund fast vergessen, doch er stand soeben auf, mitten im einsamen Niemandsland der Summenden Felder. Tai lief zu ihm und stellte fest, dass der Weg weiter war, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Joe war ziemlich nahe an der Front gewesen, als der Feuersturm losgegangen war. Jeder Schritt mit seinen verbrannten Beinen war eine Qual, aber Tai spornte sich sogar noch mehr an, auch aus Schuldgefühlen, weil er einfach nicht an Joe gedacht hatte. „Hey, Joe. Alles klar?“

Joe hustete und wischte Asche von seiner deformierten Brille, deren Gläser gesprungen waren. „Mehr oder weniger“, sagte er. „Mir tut alles weh … Zudomon hat mich unter seinem Körper beschützt.“ Er sah sich suchend um. „Zudomon?“

„Es wird zurückdigitiert sein“, sagte Tai und half Joe suchen. „Da!“ Aus einem Aschehaufen zehn Schritte weiter ragte etwas Weißes, das aussah wie Gomamons Schwanz. Tai lief los, darauf achtend, dass er nicht auf die verletzten oder bewusstlosen Digimon trat, die hier überall herumlagen. Er konnte nur hoffen, dass Gomamon besser …

Kaiserfaust!

Er sah den Schatten zu spät. Durch eine Rauchwolke hindurch schoss eine violette Energieladung und streifte Tai am Kopf. Mit einem lautstarken Ächzen wurde er von den Füßen gerissen, segelte zwei Meter durch die Luft und schlug hart auf dem Boden auf. Kurz schwand sein Bewusstsein, aber nur für wenige Sekunden, denn dann hörte er Mimi seinen Namen kreischen.

Er wollte sich aufrappeln, aber etwas hinderte ihn daran. Tai blinzelte. Etwas silbrig Glänzendes war da über ihm, einen halben Meter etwa. Es schimmerte im Licht der Feuer, und das obere Ende war rot verschmiert. Etwas tropfte davon auf seine Brust, saugte sich in sein verkohltes Hemd, etwas Warmes, Klebriges.

Er starrte die Klinge aus verständnislosen Augen an, diese Klinge, die einfach da war und von der Blut tropfte. Es dauerte einen Moment, bis er bemerkte, dass es sein Blut war. Die Snimon-Sichel ragte aus seinem Bauch.

At the End of Nightfall

Summende Felder, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

21:16 Uhr
 

„Tai! Mein Gott, Tai!“

Er musste wieder kurz ohnmächtig gewesen sein, denn plötzlich kniete Mimi über ihm. Er sah ihr Gesicht mit brillanter Klarheit, ihre fast kindlichen Wangen, ihre glitzernden Augen. Als er sie ansah, schienen ihre Pupillen zu zittern und sie stieß ein helles Kreischen aus. „Tai! Oh, bitte … bitte nicht … Nein, nein, nein, nein, nein, nein! Taiiii!“ Es tat in seinen eigenen Ohren weh. Er wollte etwas sagen, aber anstatt der Worte quoll ihm Blut über die Lippen.

„Bitte Tai, stirb nicht! Das kannst du mir nicht antun!“, rief Mimi in Tränen aufgelöst. Sie liefen ihr über die Wangen, zogen saubere Spuren in den Ascheschmutz.

Hinter ihr schoben sich zwei grünhäutige Gestalten in Tais Sichtfeld. Er wollte Mimi warnen, die Hand heben, aber er verschluckte sich an seinem Blut und hustete. Nun spürte er auch den Schmerz, diesen unbeschreiblichen, bestialischen Schmerz, der in seinem Bauch wühlte … Er hätte geschrien, laut losgebrüllt, hätte er nur die Kraft dazu gehabt. Die Ränder seines Blickfelds verschwammen in roter Farbe, aber er sah, wie die Ogremon Mimi gackernd lachend an Händen und Schultern packten und sie fortzerrten.

„Nein! Nein, lasst mich! Tai! Taiii!“ Sie schlug um sich, biss und kratzte, aber die Ogremon verstärkten einfach ihren Griff und schleiften sie brutal weiter, auf ihre Seite des Schlachtfelds. Tais Schmerzen wurden von Angst übertönt, Angst um Mimi, und er rief ihren Namen, versuchte, sich aufzusetzen, musste aber aufgeben. Keine Kraft war in seinen Gliedern geblieben. Sein Blut lief über sein Kinn. Hilflos sah er zu, wie sie sie von ihm fortschleppten.

Ein drittes Ogremon trat hinter sie und hob seine Knochenkeule. Mit einem grausamen Schlag zertrümmerte es dem einen Ogremon den Schädel und stieß die Keule dem anderen in der gleichen Bewegung in den Magen, dann schoss es eine Kaiserfaust auf es ab, die es von den Füßen beförderte. Mimi landete mit einem Aufschrei am Boden. Das letzte Ogremon hob sie hoch und trug sie zu Tai zurück. Sie wehrte sich nach Kräften, schlug mit den Fäusten auf das Ogremon ein und schaffte es, das Schwert aus ihrem Gürtel zu ziehen, aber das grünhäutige Digimon riss es ihr einfach aus der Hand. „Also echt“, sagte es genervt, „egal in welcher Stimmung du grade bist, du bist unausstehlich.“

Mimi erstarrte. „O…Ogremon?“, flüsterte sie.

„Ja, ich bin‘s“, gab das Oger-Digimon zurück. Es ließ sie neben Tai hinunter und schüttelte den Kopf, als es ihn ansah. „Ach du Schande. Auf die Sichel eines ohnmächtigen Snimons zu fallen ist nicht grade ein Heldentod.“

„Hör auf, so zu reden!“, fuhr Mimi es energisch an.

Auch Matt und die anderen erreichten sie. Matt starrte seinen Freund mit offenem Mund an, dann die Sichel, die blutverschmiert aus seinem Bauch ragte, dann wieder ihn und vor allem sein leichenblasses Gesicht. „Tai …“ Wieviel konnte er ihm sagen? Er sah nicht so aus, wie ein lebendiger Mensch aussieht, ganz und gar nicht. „Bleib ganz ruhig liegen“, sagte er schließlich nur und verfluchte sich dafür, dass ihm die Worte fehlten.

„Keine Sorge, ich … lauf schon nicht weg“, brachte Tai mühsam hervor.

„Und versuch nicht zu sprechen“, sagte Matt eine Spur schärfer und bückte sich. Die Klinge des bewusstlosen Snimons hatte sauber durch seinen Bauch geschnitten, aber wie es aussah, waren sein Brustkorb und seine Lunge unversehrt. Trotzdem, eine Bauchwunde … Matt wagte gar nicht sich vorzustellen, welche Höllenqualen sein Freund gerade durchmachte. „Wir müssen ihn sofort ins Lazarett bringen. Aber wir können ihn nicht von der Sichel heben, ohne ihn noch mehr zu verletzen.“

„Wenn’s weiter nichts ist“, erklärte Ogremon großspurig. „Da kenn ich bei Digimon ein gutes Mittel.“ Es stieg dem Snimon, das seitlich von Tai lag, auf den Brustkorb und zielte mit der Faust auf den Kopf des Insektendigimons. „Kaiserfaust!“ Der Körper der Gottesanbeterin zuckte nur ganz leicht, da Ogremon mit vollem Gewicht darauf stand, dann löste er sich mitsamt der Sichel in Daten auf. Tais Wunde begann stärker zu bluten. Der Schnitt war äußerlich kaum zu sehen, aber der Schaden, der im Inneren entstanden war …

„Okay, ich versuche, ob ich Sora rankriege“, sagte Matt und drehte am Frequenzregler seines Headsets, oder eher daran, was davon übrig war. Seine Stimme zitterte ganz leicht. Das war anders, als mitten in der Schlacht Kommandos zu geben. Hier floss das Leben seines besten Freundes dahin.

Mimi ging mit feuchten Augen vor Tai in die Knie.

„Mach nicht so ein Gesicht“, hauchte er. Die Sehnen an seinem Hals traten hervor, als er versuchte, nicht vor Schmerz aufzuschreien.

„Ich will dich nicht verlieren“, sagte sie mit erstickter Stimme. Immer noch zitterten Tränen in ihren Augen. „Nicht nach alledem.“

„Wirst du schon nicht“, sagte er heiser. Das Blutrinnsal, das aus seinem Mundwinkel lief, strafte seine Worte Lügen. „Ist ja nichts … Wichtiges … verletzt …“ Er brach in einem Schmerzlaut ab, kniff die Augen zusammen und verkrampfte sich, presste Blut aus der Wunde.

„Tai …“ Mimi streichelte über sein Gesicht. Er versuchte zu lächeln, aber der Schmerz ließ ihn eine Grimasse schneiden.

„Alles … okay …“ Wieder stöhnte er auf, hob zitternd die Arme, presste eine Hand auf seinen Bauch. Immer mehr Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. „Mach dir … keine Sorgen …“ Das nächste Stöhnen glitt in einen Schrei über. Er atmete schwer, sein Lebenssaft pulsierte aus dem Schnitt. Mimi erstickte ein Schluchzen und presste die Hand vor den Mund.

„So ein Mist, das Ding funktioniert nicht mehr!“ In Matts Stimme schlich sich ein panischer Unterton, als er sich das Headset vom Kopf riss und zu Boden schleuderte. „Verdammt!“ Er trat einen glühenden Stein davon, der Funken hinter sich hertanzen ließ.

In dem Moment erfüllte ein Surren die Luft. Erst dachte Matt, die Summenden Felder wären wieder erwacht, doch es war Kabuterimon, das bei ihnen landete. „Izzy schickt mich“, erklärte es mit seiner tiefen Stimme. „Andromon hat alles aufgezeichnet. Bereit für einen Flug, Tai?“

Tai lächelte schwach und schrie dann wieder auf.

„Beeil dich!“, drängte Matt. Kabuterimon streckte seine dünnen Finger aus und schloss vorsichtig die Hand um Tai.

„Ich komme auch mit!“, bestimmte Mimi.

„Dann halt dich fest.“ Kabuterimon wartete, bis sie sich an sein Bein geklammert hatte, dann hob das Käferdigimon ab und sauste über das Schlachtfeld davon. Kaum eine Minute verging, und es landete wieder bei den anderen. Matts Magen zog sich zusammen, als er die blutverschmierte Klaue des Digimons sah. „Ihr kommt am besten auch“, grollte Kabuterimon. „Izzy sagt, ihr sollt euch ausruhen.“

„Da hat er wohl recht“, murmelte Matt zögerlich. „Unsere Digimon müssen sich erholen, sonst können wir T.K. nie gegenübertreten.“ Er ballte in kalter Wut die Fäuste. „Ausgerechnet jetzt, wo uns sowieso die Zeit davonläuft!“

„Na komm“, sagte Joe und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Es ist vernünftiger so.“

Leomon versicherte ihnen, mit Rapidmon und Scorpiomon schon irgendwie gegen SkullSatamons Garde anzukommen, und Kabuterimon flog los. Unterwegs las es noch Agumon, Gabumon und Piyomon auf, außerdem Sora, die in diesem Moment aus dem Labyrinth trat. Als sie Matts starren Blick bemerkte, ahnte sie, dass etwas Schreckliches passiert war.
 

Bluray-Gebirge, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

21:27 Uhr
 

„Ich frage mich, wann er uns findet“, murmelte Cody in die Finsternis. Er hatte seinen Schwertgriff fest gepackt – zum Glück hatte er es wiedergefunden –, denn er war durchaus bereit zu glauben, dass Ansatsu sie auch in dieser völligen Dunkelheit unter Tage angreifen würde.

Digmons Bohrer ratterten durch das Gestein, verräterisch laut. „Auch wenn er ein Assassine ist“, brummte das Digimon, „glaube ich nicht, dass er uns hier unten findet. Außerdem ist er hier im Nachteil.“

„Hoffentlich hast du recht“, murmelte Cody und überlegte, ob es nicht vielleicht klüger war, wenn Digmon zu bohren aufhörte, auch wenn sie dann nicht weiterkämen.

Digmon hatte sich so schnell und so tief wie möglich in den Felsen gebohrt und sie waren auf ein kleines Tunnelnetz gestoßen, das wohl Drimogemon angelegt hatten. „Seltsam“, sagte Digmon soeben, als seine Bohrer ein höheres Geräusch als üblich verursachten.

„Was ist?“, fragte Cody. Er war praktisch blind hier unten. Ohne Digmons Käferaugen wäre er verloren gewesen.

„Ich kann hier nicht weiterbohren. Das Gestein bekommt keinen Kratzer.“

Cody tastete sich zu ihm nach vorn, aber er spürte nur den gewohnten kühlen Fels. „Vielleicht liegt dahinter die Finsterzitadelle, und sie ist durch irgendwas geschützt“, vermutete er.

„Und was jetzt?“

„Bring uns nach oben“, bestimmte Cody. „Vielleicht kann ich das Mikrofon wieder zum Funktionieren bringen und Verstärkung holen. Hier unten hat es keinen Empfang.“
 

Gleich fünf Cutemon behandelten Tais Wunde, die trotzdem nicht so aussah, als würde sie besser werden. Joe half beim Verarzten. Zu Mimis Grauen hatte er die Wunde mit einem in Alkohol getränkten Schwert vergrößert, damit die Cutemon auch so gut wie möglich an die inneren Verletzungen herankamen. Mimi mochte gar nicht hinsehen, und sie fürchtete, dass alles umsonst war. Immer noch sah sie diese schreckliche Sichel, von der er durchbohrt worden war … So eine Verletzung konnte nicht verheilen, oder? Sein Bauch war bereits angeschwollen und seine Haut kreideweiß geworden.

„Hier“, sagte Sora. Ihre Hände zitterten ein wenig, als sie Tai eine Schüssel mit lilafarbenem Inhalt an den Mund hielt. „Trink das. Das ist verdünntes Dokugumon-Gift. Es hat eine betäubende Wirkung.“ Sie hob Tais Kopf an und flößte ihm das Schmerzmittel ein.

Er brachte ein schwaches Grinsen zustande. „Wollen wir hoffen … dass es nicht wieder unten ausläuft, was?“

„Hör sofort auf, so den Coolen raushängen zu lassen!“, zischte Mimi. Sie hielt seine Hand fest umklammert, die Tränen wollten trotz allem nicht aus ihren Augen weichen. „Tapferkeit hin oder her … Du musst doch wahnsinnige Schmerzen haben!“

Zu ihrer Überraschung lächelte Tai auch jetzt wieder. „Ich habe … in den letzten Wochen … die schlimmste seelische Qual, die ich je erlebt habe, überstanden … weil du da warst, Mimi.“ Sie biss sich auf die Lippen, um nicht loszuheulen. Verdammt, warum krampfte es ihr nur so das Herz zusammen? „Lass mich dich … einfach nur ansehen, dann wird es schon wieder …“

Mimi hielt die Tränen nicht mehr zurück. Sie beugte sich vor und küsste ihn.

„Tut mir leid, dass ich dich nicht beschützen konnte, Tai“, sagte Agumon geknickt.

„Machst du Witze?“, presste Tai hervor. „Ohne dich wäre ich … verbrutzelt.“

„Aber …“

„Genug jetzt“, mischte sich Sora ein und drückte Tai sanft auf das Deckenlager zurück. „Hör jetzt auf zu reden und ruh dich aus.“

Kabuterimon hatte auch Izzy geholt. Schweigend wachten sie über die Verletzten. Yolei ging es schon wieder so gut, dass sie sich aufsetzen konnte; ganz aufzustehen fiel ihr noch schwer. Vom Schlachtfeld wehten das Klirren von Stahl und das Krachen von Explosionen herüber. Die Nacht brach an, und mit ihr kam das Geräusch von Flügelschlägen. Schattenhafte Digimon bahnten sich den Weg durch die Dunkelheit. Zwei Devidramon schälten sich aus der Nacht, schwärzer als der Himmel, zwischen ihnen zwei Vilemon, die ein Banner trugen, eine im Wind flatternde Standarte mit dem Wappen der Hoffnung darauf, blassrot auf Schwarz. Hinter ihnen war MagnaAngemons strahlende Gestalt zu sehen.

„Das gibt Ärger“, murmelte Izzy.

Kabuterimon, das von allen Digimon am ausgeruhtesten war, vollzog die Ultradigitation und füllte das Lazarett beinahe mit seinem riesigen Käferkörper aus. Agumon, Gabumon, Piyomon und Gomamon waren von dem Flammeninferno noch zu erschöpft. „Wir kämpfen auch, Hawkmon!“, rief Yolei und hob ihr DigiVice. „DigiArmorEi der Aufrichtigkeit, erstrahle!“

In einer geschlossenen Reihe traten Matt, Izzy, Sora, Joe, Ken, Shurimon und Megakabuterimon den Scherben gegenüber, als diese landeten. Die Rookie-Digimon stellten sich an die Seite ihrer Partner.

Die Devidramon legten die Flügel an und T.K. sprang vom Rücken des einen. Bei Nacht wirkte er in seinem Kapuzenumhang noch fremder. Er ließ die Augen über die Verletzten gleiten. „Ihr habt ja einige Ausfälle zu beklagen“, stellte er fest.

„Sei ruhig“, rief Agumon. „Im Gegensatz zu dir haben wir in der Schlacht mitgekämpft!“

„Dann seid ihr im Gegensatz zu mir ziemlich dumm gewesen“, sagte er ruhig. MagnaAngemon landete hinter ihm; es trug eine metallene Kiste mit fingernagelgroßen Löchern darin.

„Was willst du?“, rief ihm Mimi feindselig entgegen. Sie hockte immer noch bei Tai.

„Da ihr noch lebt, besteht die Gefahr, dass ihr versuchen werdet, meine Pläne heute Nacht zu stören“, sagte T.K. „Deswegen werde ich mich dieser Gefahr entledigen.“

Da ihr noch lebt. Matt zog die Augenbrauen zusammen.

„Das werden wir nicht zulassen“, sagte MegaKabuterimon und machte einen Schritt, der den Boden erzittern ließ. T.K. verzog keine Miene.

„Du hättest nicht … mit so wenig Leuten kommen sollen“, brachte Tai hervor, der immer noch bei Bewusstsein war und die Konfrontation aus den Augenwinkeln betrachtete. „Du hast keine … Chance …“

„Hm.“ T.K. schmunzelte. „Ich habe hier etwas, das euch eure Einstellung überdenken lassen wird.“

MagnaAngemon öffnete einen Riegel der Metallkiste und klappte den Deckel auf. Als es etwas Kleines, Grünes herausholte, schrie Mimi auf. „Tanemon!“

Die DigiRitter erstarrten. Das kleine Pflanzendigimon sah sie aus großen, traurigen Augen an. „Ich habe die Vilemon angewiesen, mir jedes Digimon aus der Stadt des Ewigen Anfangs zu bringen, das zu einem Palmon werden kann – noch bevor ihr die Stadt überfallen habt. Da Mimi immer noch allein ist, schätze ich, ich habe das richtige erwischt.“

Deswegen hatten sie es nicht finden können. „Was hast du mit ihm vor?“, fauchte Mimi fuchsteufelswild und stapfte zu den anderen.

„Das kommt auf euch an.“ MagnaAngemon senkte sein violett glühendes Schwert. Die DigiRitter hielten den Atem an. „Wenn ihr nicht tut, was ich sage, verbannen wir Tanemon in das Himmelstor. Selbst wenn ihr MagnaAngemon angreift, wird es dazu genügend Zeit haben. Dann wird Palmon nie wieder in der Stadt des Ewigen Anfangs auftauchen“, sagte T.K. düster.

„Was … verlangst du?“, fragte Mimi geschockt.

„Es ist ein großzügiges Angebot. Ihr gebt mir eure DigiVices, dann kannst du dein Digimon wieder in die Arme schließen.“

Stille senkte sich über den Platz. Ohne die DigiVices würden die Digimon nicht digitieren können. T.K. hatte sie einmal mehr überrumpelt. „Was ist nur aus dir geworden“, murmelte Matt fassungslos.

T.K. sah ihn direkt an. „Und du, Bruder? Was ist aus dir geworden, aus euch allen? Seht euch an. Und so wolltet ihr den Dunklen die Stirn bieten.“

„MagnaAngemon!“, rief Agumon wütend. „Was ist los mit dir? Wie kannst du nur zulassen, dass T.K. so etwas tut?“

„Du weißt, wie stark das Band zwischen einem Digimon und seinem Partner ist“, sagte T.K. an MagnaAngemons Stelle. „Was ist jetzt? Ich lasse euch als gewöhnliche Menschen und Rookie-Digimon in der DigiWelt weiterleben.“

„Da“, krächzte Tai. Mit zittrigen Händen hatte er sein DigiVice vom Gürtel gelöst und warf es in T.K.s Richtung. „Ich hoffe, es gibt dir einen Stromschlag.“

Auch Mimi holte ihr DigiVice hervor. „Nimm schon“, sagte sie bitter. „Solange du mir Tanemon gibst.“

T.K. nickte. „Und ihr anderen?“

„Gebt sie ihm schon!“, rief Tai.

„Verdammt“, knurrte Matt. Er schleuderte sein DigiVice seinem Bruder zu Füßen. „Da hast du es!“

Nacheinander rückten auch die anderen ihre DigiVices heraus. Shurimon und MegaKabuterimon wurden ungetaner Dinge wieder zu Hawkmon und Tentomon. T.K. wandte sich an Ken. „Und deines?“

„Ich habe es nicht mehr“, sagte Ken ehrlich. „Es ging bei einem Kampf gegen die Dunklen kaputt. Du kannst mich gerne untersuchen.“ Er hob die Arme.

T.K. musterte ihn kurz forschend, dann schien er sich zu entscheiden, ihm zu glauben. „Wo ist Cody?“, fragte er. Er schien sich zu erinnern, dass Davis schon bei ihrer letzten Begegnung gefehlt hatte.

Matt wandte den Blick ab. „Du wirst ihn nie wiedersehen“, murmelte er.

T.K. lachte leise. „Matt, Matt, du bist ein Dummkopf. Glaubst du nicht, ich durchschaue deine Lügen?“ Er nickte MagnaAngemon zu, das die DigiVices einsammelte und in den Metallkasten warf. Mit einem Klicken rastete der Riegel ein. In der gleichen Bewegung warf es Mimi Tanemon zu, das es mit einem leisen Schrei auffing und fest an sich drückte. „Na schön, wir sind hier fertig. Seht am besten zu, dass ihr von hier fortkommt, wenn ihr leben wollt.“ Er streifte den verwundeten Tai mit einem letzten Blick und stieg wieder auf Devidramons Rücken.

„T.K!“, rief Matt ihm hinterher. „Das werde ich dir nie verzeihen!“

Was wirst du mir nie verzeihen?“, fragte T.K. desinteressiert.

Matt reckte das Kinn vor und sah ihn finster an. „Dass du dich je meinen Bruder genannt hast. Das verzeihe ich dir niemals.“

T.K. trat dem Devidramon ohne ein weiteres Wort in die Flanken und es trampelte herum und schwang sich in die Luft. Die DigiRitter sahen zu, wie die Digimon in der Nacht verschwanden. Als sie außer Sichtweite war, bröckelte Matts Maske ab. Mit einem wütenden Schrei sank er auf die Knie und hieb auf den Boden. „Verdammt!“

„Es tut mir leid“, piepste Tanemon niedergeschlagen. „Das ist alles meine Schuld.“

Mimi streichelte ihrem Digimon über den Kopf. „Vergiss es. Hauptsache, wir haben dich wieder.“

„Was machen wir jetzt?“, fragte Joe. „Ich meine … sollen wir wirklich fliehen? T.K. wird jetzt sicher zur Finsterzitadelle fliegen, und Taneo ist wahrscheinlich schon dort. Und wir können nicht mehr digitieren oder kämpfen. Wir sind aus dem Rennen. Egal, ob die Scherben oder die Dunklen gewinnen, das Tor wird sich öffnen und Piedmon wiederkehren.“

„Wir sind noch nicht am Ende“, knurrte Matt grimmig und stand auf, hielt den Kopf gesenkt. Die Brandwunde an seiner Stirn und seine zerzausten, lang gewordenen Haare verliehen ihm etwas Wildes. „Wir müssen auf Cody vertrauen.“

„Ich kann auch noch kämpfen“, sagte Ken und trat an seine Seite. „Ich habe T.K. schon einmal fast besiegt.“

Matt drehte sich zu den anderen um. „Ist das etwa das erste Mal, dass wir glauben, wir könnten nichts mehr ausrichen? Wir haben immer noch uns! Auch wenn unsere Digimon auf dem Rookie-Level sind und wir nur diese lächerlichen Schwerter haben, wir müssen es zumindest versuchen!“

„Ach, Matt“, seufzte Sora mutlos. „Wo nimmst du nur diese Entschlossenheit her?“

„Ich habe noch meine Pistole!“, rief Yolei plötzlich und fügte kleinlaut hinzu: „Auch wenn ich eigentlich gehofft habe, sie nicht benutzen zu müssen …“

„Wir sind nach wie vor an eurer Seite“, erklärte Gabumon und sah zu Matt hoch. „Gemeinsam können wir noch etwas bewirken.“

„Ich danke dir, Gabumon.“ Matt sah zum Schlachtfeld hin. „Ich würde ja sagen, helfen wir Leomon und den anderen in der Schlacht und gehen dann mit ihnen zur Zitadelle, aber wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass sie gewinnen werden. Eine ganze Horde Ultra-Digimon ist erschienen, und die Allianz hat nur noch Reste. Selbst wenn wir alle Digimon von hier und vom Taktischen Stab in den Kampf schicken, wird das zu wenig sein.“ Die anderen schwiegen betreten. Matt fuhr fort: „Aber vielleicht können sie noch eine Weile durchhalten. Wir wissen ja, wie zäh sie sind. Wir brauchen nur einen fliegenden Untersatz, der uns zur Zitadelle bringt. Izzy, du hast doch die Koordinaten von Cody bekommen, oder?“ Der Rotschopf nickte. „Gut. Wir werden da hineingehen und unser Möglichstes tun, um T.K. aufzuhalten. Was meint ihr?“

„Ich bin dabei!“, rief Gabumon begeistert. „Du hast völlig recht. Auch wenn es keinen Ausweg mehr gibt – dann prügeln wir eben auf die Sackgasse ein, bis die Wand umfällt!“

„Auf mich kannst du zählen“, sagte Ken.

„Auf mich auch“, sagte Sora und schüttelte den Kopf, als er etwas entgegnen wollte. „Nein. Diesmal werde ich mitkämpfen, und ich lasse mich nicht von dir davon abbringen!“

„Ich komme auch mit. Und diesmal werde ich vorsichtiger sein, versprochen“, sagte Yolei und kratzte sich verlegen am Kopf.

„Wir sind auch dabei, stimmts, Izzy?“, fragte Joe.

„Auf jeden Fall! Der Taktische Stab versucht gerade, aus Kentarou etwas über die Finsterzitadelle herauszubringen. Mein Headset funktioniert noch, also verlieren wir keine Zeit.“

„Vergesst uns nicht.“ Tentomon und die anderen Digimon trippelten nach vorn. „Wir sind jetzt vielleicht klein, aber wir können immer noch ganz schön schocken, wenn wir wollen.“

„Ich danke euch.“ Matt sah zu Mimi und bemerkte, wie sie den Blick senkte. „Mimi, würdest du mir einen Gefallen tun und solange auf Tai aufpassen? Tanemon und Agumon sollten auch bleiben.“

Sie wirkte erleichtert, auch wenn sie es zu verbergen versuchte. „Mach ich“, sagte sie.

„Dann wäre das entschieden.“ Matt sah sich in seiner Gruppe um. „Wir gehen in die Finsterzitadelle!“
 

Vor der Finsterzitadelle, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

21:48 Uhr
 

Mond und Sterne standen am Himmel und beleuchteten Codys Schwertklinge, die silbern glänzte. Er hockte im Eingang der Finsterzitadelle und wartete. Ansatsu hatte sich nicht blicken lassen; wahrscheinlich hatte er die Suche aufgegeben und war schon in die Zitadelle eingedrungen, um seiner Freundin zu helfen. Cody hatte Izzy angefunkt und die neuesten Ereignisse erfahren. Grimmige Entschlossenheit hatte sich in ihm breitgemacht, und je länger er warten musste, desto unruhiger wurde er. Mit dem Rücken lehnte er an Ankylomons dickem Panzer, das das Innere der Festung im Auge behielt. Es schien verdächtig ruhig dort drin zu sein.

Dann erschienen sie. Reitend auf einem finsteren Devidramon tauchte er auf, Takeru Takaishi, der letzte General und dritte Triumvirator der Scherben. Der junge Mann, der sie verraten hatte. Das Wappen der Hoffnung war bleich auf der Standarte zu sehen, die zwei Vilemon trugen.

„Da bist du, Cody“, sagte T.K, als er absaß. „Du hast es also bis zu unserem Tor geschafft.“

„Euer Torwächter hat meine Klinge gespürt“, sagte Cody finster.

„Und du hast kurzerhand seinen Platz eingenommen“, erwiderte T.K. „Geht zur Seite.“

„Nein.“ Cody stand auf.

Das rechte Devidramon fauchte und stapfte langsam heran. Ankylomon richtete sich mit einem Brüllen auf und schleuderte einen Brocken des schwarzen Gesteins, aus dem das Tor bestanden hatte, mit seinem Schwanz auf das Drachendigimon, das röhrend umgeworfen wurde.

„Was ist nur los mit dir, T.K?“, fragte Cody verzweifelt. „So kenn ich dich ja gar nicht. Wie kannst du nur deine Freunde erpressen? Rück sofort ihre DigiVices heraus!“

„Das werde ich nicht tun.“

„Verdammt, was ist in dich gefahren?“ Cody schüttelte ratlos den Kopf. „Ich dachte, ich verstehe, was in deinem Kopf vorgeht. Wir haben immerhin eine DNA-Digitation hingekriegt! Aber so, wie du dich in letzter Zeit benimmst …“

„Du dachtest, du verstehst mich?“, sagte T.K. leise. „Du verstehst überhaupt nichts. Du wirst es nie verstehen.“

„Ich weiß noch, als wir in der Festung des DigimonKaisers waren, und er in diesem Strudel Devimon absorbiert hat, da warst du außer dir vor Wut! Und jetzt befehligst du selbst andere Devimon? Ich dachte, du hasst die Macht der Dunkelheit!“ Cody redete sich richtig in Rage. All die Fragen, all das Unverständnis ließ er auf T.K. prallen, um endlich Antworten zu bekommen.

„Tja, schon verrückt, wie das Leben so läuft, was?“, gab T.K. gleichgültig zurück.

„Stimmt es denn nicht, was Matt gesagt hat? Dass du so bist, weil Angemon einmal im Kampf gegen Devimon gestorben ist, als du klein warst? Hat Angemon es denn verdient, dass du jetzt mit der Macht der Dunkelheit gemeinsame Sache machst?“

„Halt den Mund!“, schrie T.K. „Du hast keine Ahnung, wovon du redest!“ Er machte eine ruckartige Kopfbewegung. „Tötet ihn!“, befahl er.

Vorfreudig kreischend flatterten seine Digimon los. Ankylomon erhob sich einmal mehr aus den Schatten und zerquetschte ein Devidramon mit seiner schieren Körpermasse, dem anderen zertrümmerte es die Knochen mit seinem Stachelschweif. Vor den Albtraumschocks der Vilemon zogen sich Cody und sein Digimon gerade so lange in die Eingangshalle der Zitadelle zurück, um Armadillomon zu Digmon digitieren zu lassen. Seine Bohrer flogen aus der Dunkelheit hervor und trafen die Vilemon im Flug. Nun war nur noch MagnaAngemon bei T.K, das die metallene Kiste mit den DigiVices in den Händen hielt.

Cody trat wieder hervor und als er weitersprach, klang seine Stimme bitter. „Bevor wir die DNA-Digitation geschafft haben, hab ich mir mal gedacht, dass du zwei Gesichter hast. Eines ist der gutmütige, freundliche T.K, der alles für seine Freunde tun würde. Und das andere ist ein zorniger T.K, der nichts unversucht lassen würde, um die Macht der Dunkelheit zu vernichten. Aber es muss wohl noch ein drittes Gesicht geben, denn der T.K. vor mir ist ein völlig anderer Mensch.“

„Schön“, sagte T.K. gereizt. „Das ist dir also aufgefallen, ich gratuliere. Weißt du, Menschen verändern sich zuweilen.“

Cody glaubte, tiefe Resignation und Schmerz in T.K. zu spüren, den er unterdrückte. „Ich weiß, dass dich Karis Tod schwer getroffen hat“, sagte er langsam. „Aber glaubst du, sie hätte gewollt, dass du ihre Freunde und Familienmitglieder bekämpfst, und die Digimon, die sie so sehr geliebt hat?“ Seine Stimme wurde lauter, bis er schrie. „Verdammt nochmal, T.K, du schändest Karis Vermächtnis, ist dir das eigentlich klar?!“

Aber T.K. blieb ruhig, wirkte nachdenklich. „Weißt du“, begann er und strich mit dem Finger über den pikförmigen Schwertknauf, der über seiner Schulter aufragte, „in der Nacht, bevor Kari getötet wurde, habe ich zu ihr gesagt, dass es mir egal ist, was mit der DigiWelt passiert, solange sie bei mir ist.“ Er atmete tief durch. „Ich habe mich getäuscht. Jetzt, nachdem ich sie verloren habe, jetzt ist es mir egal, was um mich herum geschieht.“

„Aber wozu dann das alles?“, rief Cody. „Warum legst du dann nicht die Hände in den Schoß und siehst zu, wie die Welt untergeht? Musst du den Untergang unbedingt selbst herbeiführen?“

T.K. schmunzelte. „Cody, Cody. Du solltest wissen, dass man als DigiRitter niemals einfach nur dasitzt und zusieht. Ich musste irgendetwas tun. Bei euch konnte ich nicht bleiben, ihr wart genauso verzweifelt wie ich. Und die Dunklen haben Kari ermordet; undenkbar, dass ich mich ihnen anschließe. So habe ich die Scherben gewählt. Bei ihnen wusste ich von Anfang an, woran ich war. Es ist alles viel klarer, seit ich für sie arbeite.“ Er lachte leise. „Und hier stehe ich, als Triumvirator, und obwohl ich an der DigiWelt nichts mehr finde, werde ich es sein, der den Krieg beendet. Ironisch, nicht wahr?“

Cody hatte vor Zorn die Fäuste geballt. „Glaubst du denn im Ernst“, stieß er mühsam beherrscht hervor, „dass Piedmon dich leben lassen wird, wenn du es befreist?“

„Wohl kaum“, sagte T.K. leichthin. „Aber das macht nichts. Sieh mich an; ich bin nur der Schatten, den Karis Licht wirft. Und jetzt, da sie verschwunden ist, ist es nur eine Frage der Zeit, bis ich auch verblasse. Ich hab mich damit abgefunden.“

„Ich kann’s nicht glauben“, murmelte Cody fassungslos. „Ich kann‘s einfach nicht glauben! Was du tust, macht doch keinen Sinn! Warum bist du nicht einfach wieder in die Reale Welt zurückgekehrt, wenn dir die DigiWelt nichts mehr bedeutet?“

„Ich habe darüber nachgedacht“, sagte T.K. „Aber was würde mich dort erwarten? Meine Mutter. Mein Vater. Irgendwann vielleicht mein Bruder. Karis Familie. Sie werden in Trauer ertrinken. Vielleicht geben sie mir die Schuld. Vielleicht bemitleiden sie mich auch, den armen Jungen mit der verlorenen Liebe. Meine sogenannten Freunde werden versuchen mich aufzubauen. Es wird eine Bestattung geben, hunderte Beileidsbekundungen. Ich werde die Orte aufsuchen, die wir zu zweit immer besucht haben, und werde endlos im Strom ihrer Trauer schwimmen. Die Leute werden mir auf die Schulter klopfen, mitleidig sein und mir Mut machen wollen – und sie werden gar nicht merken, wie sie alten Wunden wieder aufreißen.“

„Aber manchmal ist es eben notwendig, alte Wunden aufzureißen, um den giftigen Stachel herauszuholen!“, warf Cody ein.

T.K. hatte dafür nur ein abfälliges Schnauben übrig. „Dumme Sprüche. Ich werde mir das nicht antun. Und die DigiWelt ist fast genauso schlimm. Ich will die Ebene vor der Rauchenden Krone nie wieder sehen. Dort wächst das Gras auf dem Boden, der mit Karis Blut getränkt wurde. Dort liegt sie begraben und verwest in einem Erdloch!“ Seine Stimme klang erstickt und er musste schlucken. Tränen schlucken, vermutete Cody. „Und ich will die zerstörte Stadt nie wieder sehen, die wir betreten haben, als wir zu unserem letzten gemeinsamen Abenteuer in die DigiWelt gekommen sind. Und diese verdammten Berge hier, von denen aus alles angefangen hat. Solange sie so bleiben, werden mich die Erinnerungen quälen, jedesmal, wenn ich sie sehe oder jemand davon redet.“

„Du willst Kari vergessen?“, fragte Cody. Er war zu entsetzt, um auch nur die geringste Gefühlsregung in seine Worte legen zu können.

„Kari vergessen?“ T.K. lachte zu laut. „Wie könnte ich sie vergessen? Sie ist das Beste, was mir je passiert ist! Ich will vergessen, wie sie gestorben ist – denn das ist das Schlimmste, was mir passiert ist.“ Wieder musste er tief durchatmen, um fortfahren zu können. „Das ist einer der Vorteile, wenn Piedmon wiederkehrt. Du warst nicht dabei, aber damals haben die Meister der Dunkelheit die DigiWelt nach ihren Vorlieben verformt. Vielleicht wird es das wieder tun, und diese verdorbene Welt, in der Kari gestorben ist, wird neu entstehen, wie ein Phönix aus der Asche! Und wenn jemand Geschichten über die DigiRitterin Kari erzählt, wird er nicht beweisen können, dass sie gestorben ist. Er wird keinen Ort nennen können, an dem sie getötet wurde.“

„Aber …“ Cody war angesichts dieses verrückten, weitreichenden Plans unfähig, auch nur annähernd sein Entsetzen auszudrücken. „Aber die Welt, die enstehen wird, wird eine Welt der Dunkelheit sein!“

„Das macht nichts“, lächelte T.K. „Wie gesagt, was aus der DigiWelt wird, interessiert mich nicht.“

„Das kannst du nicht ernst meinen … Die Macht der Dunkelheit wird regieren! Vielleicht wird sogar unsere Welt in Gefahr sein! Und unschuldige Digimon werden leiden müssen!“

„Unschuldige Digimon?“ Er lachte heiser. „Wenn du mich fragst, wird es dann keine gutartigen Digimon mehr geben, Cody. Und die bösen Digimon werden sich prächtig verstehen. Es wird wohl eine Gnade sein, gutartige Digimon zu töten, kaum dass sie aus den Eiern schlüpfen.“

Das war zuviel. Mit einem wütenden Aufschrei riss Cody das Katana hoch und ging auf T.K. los. Dieser zog Piedmons Schwert aus der Schlaufe unter seinem Umhang und Funken sprühend prallten die Klingen aneinander. „Hasst du mich jetzt?“, sagte T.K; seine Stimme zitterte vor Anstrengung, als er Cody zurückzudrücken versuchte. „Hast du endlich verstanden, dass du mich nicht verstehen kannst?“ Er stieß ihn von sich und setzte einen Hieb nach, den Cody mühelos parierte.

„Ich habe verstanden, dass du völlig übergeschnappt bist“, sagte Cody und nahm seine Kendostellung ein. „Und dass ich dich aufhalten muss.“ Er trat auf ihn zu, schlug mit dem Katana in seinen altbewährten Manövern auf ihn ein. T.K. tat sich schwer, zu parieren. Er hatte den Schwertkampf geübt, das war klar, aber nur kurz und ohne Lehrmeister. Als er nach einigen wütenden Schlägen ein wenig von ihm abließ, stand T.K. Schweiß auf der Stirn.

„Du begreifst es wirklich nicht“, sagte er schwer atmend. „Wir wissen beide, dass die Macht der Dunkelheit nie ganz aussterben wird. Selbst wenn ihr uns besiegt, wird es danach wieder Scherben geben, und danach wieder und danach wieder, und sie alle werden versuchen ihren Meister zu befreien, und es werden wieder und wieder Kriege ausbrechen. Sollen wir wirklich darauf vertrauen, dass neue DigiRitter auserwählt werden, die sie aufhalten? Und wieder und wieder? Wir haben gesehen, wie zuverlässig neue DigiRitter sind, wie wackelig dieses System ist. Wenn Piedmon erst befreit ist, wird es keinen Krieg mehr geben.“

„Ja, weil das Böse dann gewonnen hat!“, rief Cody und setzte zum Angriff an, doch diesmal kam ihm T.K. zuvor. Mit weit ausschweifenden Hieben seines längeren Schwerts hielt er Cody auf Distanz und drängte ihn zurück. Dann schaffte es Cody, einem Schlag auszuweichen und hieb von der Seite zu. T.K. rollte sich ab und sprang wieder auf die Beine. Sie umkreisten einander mit gereckten Klingen. Cody ging in die Offensive, täuschte links an und schlug rechts zu, auf T.K.s schwache Seite, wie er festgestellt hatte. Es entlockte ihm ein Ächzen, als T.K. parierte, und einmal mehr verharrten sie und versuchten den jeweils anderen fortzudrücken.

„Cody!“, grollte Digmon.

„Du mischst dich nicht ein!“, gebot MagnaAngemon und stellte sich dem gelben Käfer in den Weg.

„Sind da die DigiVices der anderen drin?“, wollte Digmon wissen und deutete auf die eiserne Kiste in den Händen des Engeldigimons. Es wartete die Antwort gar nicht ab. „Goldsturm!“ MagnaAngemon machte seinen Satz zurück; die meisten Bohrer schossen in den Nachthimmel hinein, aber zwei rissen faustgroße Löcher in die Kiste.

MagnaAngemon fuhr sein Schwert aus, aber T.K. rief: „Verschwende nicht deine Energie, MagnaAngemon!“ Er löste eine Hand vom Schwertgriff und streckte sie nach Digmon aus. Eine Albtraumkralle riss das Digimon von den Füßen. Cody wich zurück, schlug das Schwert, das T.K. nun nur noch einhändig hielt, zur Seite und verpasste ihm mit der Faust einen Kinnhaken, der ihn zurückstolpern ließ, und er ließ einen Rückhandhieb auf T.K.s Hüfte folgen, der seine Kleidung aufschlitzte und seinen Gürtel durchtrennte. Das DigiVice, das er dem Dunklen abgenommen hatte, flog im hohen Bogen davon.

Flügelrauschen alarmierte ihn. Cody fuhr herum und parierte die violette Klinge aus MagnaAngemons Handgelenksmanschette. Die Wucht des Zusammenpralls ließ seine Zähne klappern und jagte einen stechenden Schmerz bis zu seiner Schulter hoch, und fast entglitt ihm das Schwert. T.K.s herannahende Schritte ließen ihn abermals herumwirbeln. Er parierte zwei energische, beidhändige Hiebe, entdeckte eine Lücke in T.K.s Deckung, fädelte das Katana unterhalb seiner Parierstange ein und zog die Klinge durch. T.K. schrie auf, als die blitzscharfe Klinge zwei Finger seiner linken Hand abtrennte. Er fiel auf die Knie, das Schwert landete vor ihm. Cody stieß es zur Seite, während T.K. stöhnend seine Hand umklammerte.

Wieder hörte er MagnaAngemon herannahen, wieder sausten Bohrer durch die Luft. Cody legte T.K. das Schwert auf die Schulter. „Es ist vorbei“, sagte er keuchend.

„Es ist erst vorbei, wenn du mich tötest“, sagte T.K. atemlos. Er lächelte, die verletzte Hand immer noch an die Brust gepresst, wo sich sein Hemd langsam rot färbte. „Aber kannst du das?“

„Zuerst beantwortest du mir noch eine Frage“, verlangte Cody.

„T.K!“, rief MagnaAngemon.

„Du sollst dich raushalten!“, rief T.K. „Was willst du wissen?“

„Wie kommt es, dass dein Digimon immer noch aufs Ultra-Level digitieren kann, wo du doch dein Wappen verraten hast?“

„Das liegt daran, dass ich es nicht verraten habe.“

„Du hast die DigiRitter betrogen und dich den Albtraumsoldaten angeschlossen“, erinnerte Cody. „Und jetzt malst du dein Wappen auf ihre Banner!“

„Trotzdem.“ T.K. lächelte. „Weißt du noch, wie Azulongmon uns gesagt hat, dass Karis und mein Wappen sich von euren unterscheidet? Nun, meines unterscheidet sich außerdem von Karis. Denn Licht bringt nur den Mächten des Lichts etwas. Aber Hoffnung können auch die verzweifelten Truppen der Dunkelheit empfinden, die Hoffnung, dass ihre zersplitterte Macht eines Tages wieder ein Ganzes wird!“

Cody hatte genug gehört. „Ich dachte, du zeigst ein neues Gesicht, das ich noch nicht kenne, eine neue Facette des alten T.K.s. Aber du bist ein völlig anderer Mensch geworden. Du bist verabscheungswürdig.“ Seine Klinge begann auf Höhe von T.K.s Schlüsselbein zu zittern.

„Und trotzdem kannst du mich nich töten“, sagte T.K. ruhig. Er hob langsam die linke Hand. Wo Ring- und kleiner Finger gewesen waren, waren nur blutige Stümpfe. Er schloss die verbleibenden Finger um Codys Klinge. Blut tropfte zu Boden, als er sie zur Seite drückte. Cody war unfähig, sich zu rühren. T.K. war doch sein Freund …

Der Triumvirator der Scherben stemmte das Schwert zur Seite, schnellte in die Höhe und rammte Cody die Faust ins Gesicht, was ihn rückwärts taumeln ließ. T.K. hob sein Schwert auf und stürmte auf ihn zu, parierte einen einzigen Schlag, von dem er keinen zweiten hätte einstecken können, aber er blieb nicht stehen. Mit seinem ganzen Gewicht warf er sich gegen Cody, riss den Jungen zu Boden, wälzte ihn über sich und stieß ihn dann von sich – genau über die Kante der Erdspalte, die Digmon im Kampf gegen Ansatsu aufgerissen hatte. Cody gab einen überraschten Laut von sich, aber seine Hand fand eine Nische im Fels. Er biss die Zähne zusammen, als steinerne Krallen sich in seine Haut bohrten und ihm Blut über den Arm lief, aber er ließ nicht los. Ein zweites Mal an diesem Tag klimperte sein Schwert in die Tiefe.

T.K. sah keuchend zu ihm hinunter und legte sein Schwert über seine Schulter. „Eines muss ich zugeben. Du bist der bessere Schwertkämpfer von uns beiden.“

„Cody!“ Digmon trampelte auf den Abgrund zu, als MagnaAngemon vor T.K. landete und ihm das DigiVice der Dunklen wiedergab.

„Danke.“ T.K. holte aus und peitschte Digmon mit einer heftigen Albtraumkralle über die Kante, wobei es zurückdigitierte.

„Armadillomon!“, schrie Cody atemlos und verrenkte sich den Hals, um das gelbe Gürteltier-Digimon in die Tiefe fallen zu sehen.

„Komm, MagnaAngemon“, sagte T.K. „Wir haben uns lange genug aufhalten lassen. Es ist an der Zeit, die Karten für Piedmons Beschwörung zu vereinen.“

Bullet Maiden

Vor der Finsterzitadelle, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

22:13 Uhr
 

Codys Schulter schmerzte. Seine Hand fand in der Felsnische zwar guten Halt, aber damit sein gesamtes Gewicht zu halten, war anstrengend, und die zweite Hand hatte keinen Platz darin. Seine Ober- und Unterarmmuskeln brüllten schon vor Schmerz. Er war jedoch wild entschlossen, nicht aufzugeben, nicht in diesen Abgrund zu fallen, den sein eigenes Digimon geöffnet hatte. Als das Knacken seiner Kopfhörer ertönte, war das Balsam für seine Nerven. „Cody?“, knarzte Izzys Stimme durch das Rauschen. „Cody, wo bist du? Wir kommen jetzt zur Zitadelle!“

„Macht schnell“, ächzte er. „Ich kann mich nicht mehr lange halten.“ Es vergingen keine zwei Minuten, da hörte er die Flügelschläge.

Izzy hatte die zwei Unimon glücklicherweise dazu abommandiert, Kentarou zu bewachen, daher waren sie dem Flammeninferno entkommen. Die Einhorn-Digimon setzten Izzy, Matt und Gabumon, Sora und Joe und Gomamon ab. Piyomon und Tentomon flogen nebenher. Während das eine Unimon Cody auf seinen Rücken sinken ließ und ihn aus der Felsspalte flog, machte sich das zweite auf den Weg um Ken und Yolei zu holen. „Armadillomon ist irgendo dort unten“, sagte Cody besorgt, und Matt flog mit der Sturmlampe, die bei Kentarous Ausrüstung dabei gewesen war, auf einem Unimon in die Tiefe. Sie sahen den Lichtschein herumstochern, dann kehrten sie zurück und Matt hielt Armadillomon im Arm. Das Digimon schien bewusstlos, schlug aber die Augen auf, als es Cody hörte. Sein Panzer war zerkratzt und schmutzig, aber es war hart im Nehmen. Kurz darauf kamen auch Ken, Yolei und Hawkmon an. Matt brachte Cody auf den neuesten Stand, was Tai und Mimi anging.

„Kommen die Unimon nicht mit?“, fragte Cody, als die Pegasus-Digimon davonflogen.

Izzy schüttelte den Kopf. „Sie werden unsere Leute auf dem Schlachtfeld unterstützen. Es kann sein, dass Leomon und die anderen bald einen Rückzug machen müssen. Außerdem sind sie zu groß und ihre Hufe machen auf dem Steinboden Lärm. Unsere einzige Chance ist es, dass wir irgendwie unbemerkt zu Myotismons Tor kommen.“

„Demnach steht es in der Schlacht auch nicht gerade zu unserem Besten?“, flüsterte Cody, als sie die Eingangshalle der Zitadelle betraten.

„Sagen wir einfach, wir sollten uns darauf konzentrieren, die Karten in die Finger zu bekommen“, antwortete Matt und fügte grimmig hinzu: „Ich hätte Kentarous DigiVice nicht zerstören sollen. Dann könnten wir die Karten in die Reale Welt bringen.“

Sora legte ihm die Hand auf den Unterarm. „Die Dunklen wären uns ja doch gefolgt. Und T.K. hätte dir sein DigiVice auch noch weggenommen.“

Hinter der Säulenhalle, in der vorhin die Mummymon auf sie gelauert hatten, führte ein Gewölbegang tief in den Berg hinein. Statuen mit Dämonenfratzen säumten den Weg, doch zu Codys Erleichterung erwachten sie wenigstens nicht zum Leben. Der Boden bestand aus grauen Steinfliesen, die spiegelglatten Wände und die Decke waren pechschwarz. In regelmäßigen Abständen brannten Fackeln in gusseisernen Haltern, doch der Gang war dennoch zum größten Teil in Schatten getaucht. Nach einer Weile stießen die DigiRitter auf eine Dreifachgabelung. „Wir teilen uns auf“, entschied Matt. „Das ist wahrscheinlich sowieso besser. Irgendeiner von uns muss es bis in den Thronsaal schaffen und mindestens eine Karte erwischen.“

Sie entschieden, dass Matt und Sora dem linken, Yolei, Ken und Joe dem mittleren und Izzy und Cody dem rechten Gang folgen sollten. So teilten sie sich auf, während sie weiter in die Höhle des Löwen vordrangen.
 

Finsterzitadelle, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

22:25 Uhr
 

Miyuki pustete den Staub von dem Zahlenkästchen und unterdrückte ein Niesen. Die Scherben hatten es in Ruhe gelassen, das war zu sehen. Die stählerne Tür zierte eine Vielzahl von Kratzern und Dellen, aber aufgebrochen hatten sie sie nicht. „Dann wollen wir mal“, sagte sie. Es war ihr gar nicht leicht gefallen, diesen Raum tief im Herzen der Festung zu finden, zumal sie sich auf Schleichwegen vorwärtsgetastet hatte. Sie tippte den Geheimcode ein und stellte zufrieden fest, dass das Teil noch funktionierte. Es klickte, dann schoben sich schwere Riegel zur Seite und die Tür sprang ein Stück weit auf. Miyuki schlüpfte in den Raum dahinter und zog sie mit all ihrer Kraft zu. Sie spürte, wie die Wunde an ihrer Hüfte wieder aufriss, denn die Verbände fühlten sich feucht an, aber solange sie keinen Schmerz verspürte, war es ja nicht so schlimm. Sie verstärkte den Verband einfach mit ein paar Mummymon-Schlangenbandagen.

Blind tastete sie an der Wand entlang, bis sie eine kleine Einkerbung spürte, und strich mit dem Finger das Schriftzeichen dort durch. Licht aus runden, weißen Deckenlampen erhellten den kleinen Raum, Taneos versteckten Bunker. Miyuki ließ sich auf den knarzenden Bürosessel sinken und sah zu, wie die Monitore über dem Bedienpult einer nach dem anderen aufflammten. „Wer sagt’s denn“, murmelte sie. Die Überwachungsanlage funktionierte noch. Sie schüttelte den Kopf, als sie sah, auf wie vielen der Bildschirme Eindringlinge zu sehen waren. Das war ja ein verdammter Auflauf hier! Der Kleine vom Tor hatte offenbar Verstärkung bekommen, denn die DigiRitter durchstreiften in drei Gruppen die Zitadelle. Noch ziemlich am Eingang jagte ein Digimon den Gang entlang, auf dem jemand zu sitzen schien, und sogar ein Mekanorimon stiefelte irgendwo in den Gängen herum. War das eins von ihren?

Dann sah sie die schlanke Gestalt in Schwarz, die langsam eine kleine Halle mit leeren Stühlen und Bänken durchschritt, und drückte eine Taste auf dem Bedienpult. „Ansatsu, ich sehe dich“, flötete sie in das Stabmikrofon vor ihr.

Ansatsu fuhr herum und sie musste lächeln, als sein Blick sie in der düsteren Halle suchte. Dann sah er zur Decke, etwa dorthin, wo das Bild aufgenommen wurde, und führte den Finger zu den Lippen.

„Jaja“, sagte sie. „Aber ich dachte, es interessiert dich vielleicht, dass wir Gesellschaft haben. Eine Truppe Wanzen ist hereinspaziert. Drei von ihnen sind schon in dem Seitengang, der zum Thronsaal führt.“

Ansatsu schien aufzuhorchen, dann deutete er nach links und dann nach rechts.

„Auf der linken Seite“, sagte Miyuki.

Der Assassine nickte und beschleunigte seine Schritte, bis er aus dem Bild verschwand. Miyuki lehnte sich zurück und betrachtete, was die anderen taten. Wenn Taneo ihnen doch nur schon die Karten mitgegeben hätte, aber anscheinend war das etwas, das er selbst erledigen sollte. Sie und Ansatsu sollten nur den Weg freihalten. Die Zitadelle war zwar ein Irrgarten, aber irgendwann mündeten alle Wege in den Gang, der zum Thronsaal führte. Von dem gab es keine Aufnahme, wohl aber von dem Tor dorthin, und soeben trat ein Mensch mit Umhang und zurückgeschlagener Kapuze, unter der blondes Haar zum Vorschein kam, ein. Ein Engel flog neben ihm her. Bei der Erinnerung an das Schwert dieses Jungen stieß es Miyuki sauer auf. Trotzdem, vorrangig war ironischerweise, dass sie den Kerl beschützte – wenn die DigiRitter ihn überwältigten und Myotismons Karten in die Finger bekamen, würden sie wohl kaum brav beim Steintisch auf Taneo warten. Vielleicht sollte sie Ansatsu anweisen, in den Thronsaal einzubrechen und den Kerl gleich umzulegen und die Karten sicherzustellen, aber immerhin hatte sie selbst noch eine Rechnung mit ihm offen.

Sie lehnte sich zurück und beobachtete die zwei, die ganz links im unteren Bereich der Zitadelle herumirrten, dort, wo die Dunklen früher eine Küche und eine Waffenkammer unterbracht hatten, gar nicht so weit von dem Bunker entfernt. Als die den Jungen auf dem Monitor erkannte, musste sie lächeln.
 

„Ich habe schlechte Nachrichten“, sagte T.K, als er den Thronsaal betrat. Die drei Throne waren etwas nach vorn gerückt worden; ganz hinten auf der Empore stand nun das gewaltige eiserne Tor aus Myotismons Schloss. Es war eine Heidenarbeit gewesen, es hierherzubringen. Sein ganzes Battailon hatte es nicht tragen können; nur mit der Hilfe von Megadramon und der Devidramon war es möglich gewesen, es durch das Eingangstor der Zitadelle und den Hauptgang bis in den Thronsaal zu ziehen, liegend, da es sonst gar nicht durchgepasst hätte. Vor dem Tor stand der Steintisch, um den eine eiserne, in regelmäßigen Abständen elektrisch blitzende Apparatur geschnallt war.

SkullSatamon und Phantomon saßen auf ihren Thronen und sahen ihn erwartungsvoll an.

„Unsere Armee wurde vernichtet“, ließ T.K. die Bombe platzen.

Was?!“, schrie SkullSatamon und sprang kraftvoll in die Höhe. „Du dummer Mensch! Was hast du getan?!“

„Auch die Armee der DigiAllianz wurde vernichtet, ebenso wie die Maschinen der Dunklen“, fuhr T.K. ruhig fort. „Die Dunklen haben sozusagen das Schlachtfeld in die Luft gejagt. Einige wenige Digimon kämpfen noch, darunter Eure Leibgarde, SkullSatamon.“ Er sah sich demonstrativ um. „Ich gehe nicht davon aus, dass Ihr Taneo schon gesehen habt?“

„Sollten wir das?“, fragte SkullSatamon lauernd.

T.K. schenkte ihm ein abfälliges Lächeln. „Die Triumviratoren haben keine Ahnung, was direkt vor ihrer Tür passiert?“

„Du frecher, kleiner …“

„Er ist auf dem Weg hierher“, fiel ihm T.K. ins Wort. „Und die Festung ist so gut wie leer. Die Mummymon-Wächter sind fort, wie ich bemerkt habe.“

„Das sind wahrlich schlechte Nachrichten“, sagte Phantomon leise.

„Es gibt aber auch eine gute Nachricht. Die einzigen, die uns beim Kampf um die Karten noch im Weg gestanden sind, sind entwaffnet. Wir haben ihre DigiVices in das Lager gesperrt.“ T.K. neigte herausfordernd den Kopf. „Vielleicht geruht sich auch einer der anderen Triumviratoren, an unserem Sieg mitzuwirken. Wenn nur ich etwas tue, frage ich mich, warum ich nicht gleich der Alleinherrscher geworden bin.“

SkullSatamon sah ihn aus blitzenden Augen an und packte seinen Stab fester. „Ich gehe“, blaffte es. „Und ich setze dieser Plage ein Ende.“ T.K. nahm an, dass es die Dunklen meinte.

Als das Skelettdigimon fortgestapft war, kicherte Phantomon. „Man könnte meinen, Ihr manipuliert es, Meister Takeru. Seht es Euch an, es ist so dünn – zu viel Bewegung wird ihm nicht guttun.“

„Vielleicht legt es ja ein paar Muskeln zu“, sagte T.K. trocken und setzte sich auf den mittleren Thron; MagnaAngemon stellte sich hinter ihn.
 

„Es sieht gar nicht aus wie eine Festung“, sagte Sora. „Eher wie … eine Gruft.“

Matt konnte den modrigen Geruch nicht abstreiten. „Sie haben alle Digimon zur Schlacht rausgeschickt. Wahrscheinlich sind nur noch beim Thronsaal ein paar Wachen, wenn überhaupt.“ Sora hatte seine Hand genommen, aber auch ihm tat es gut, sich an etwas festhalten zu können. So viel war in letzter Zeit zu Bruch gegangen, dass sein Verstand wohl das nächste wäre, wenn er sie nicht hätte.

Ihr Weg hatte einige Treppen abwärts beinhaltet, doch was sprach dagegen, dass der Thronsaal, wo laut T.K. Myotismons Tor aufgebaut worden war, weit unter der Erde lag?

Sie gingen an einer der unzähligen eisernen Türen vorbei – in sie hineinzuschauen machten sie sich nicht mehr die Mühe; dahinter war zumeist nur Staub und gähnende Leere, wenn sie sich überhaupt öffnen ließen, und den Thronsaal würde auch niemand hinter eine Tür stecken, durch die man nur gebückt treten können. Doch diese Tür schwang auf, als sie vorübergingen.

Und blendend weiße Bandagen schnellten daraus hervor.

Matt kam nicht einmal dazu, einen Schrei auszustoßen. Die Mullbinden wickelten sich um seine Füße und rissen ihn um. Er schlug hart mit dem Kopf auf den Steinboden auf. Neben sich hörte noch Sora schreien und Piyomon und Gabumon Attacken brüllen. Er spürte, wie er über den glatten Boden geschleift wurde, dann wurde es neblig um sein Bewusstsein.
 

„Und du bist dir sicher, dass du keine Pause brauchst?“, flüsterte Hawkmon besorgt.

„Ach, ich hab‘s dir doch schon gesagt, mir geht’s gut“, wehrte Yolei genervt ab.

„Aber du wurdest von einer Todeskralle berührt“, erinnerte sie das Vogel-Digimon.

„Na vielen Dank auch, sollte ich also tot sein oder was?“

„Seid still, ihr zwei“, hauchte Ken, der die Führung übernommen hatte. Er leuchtete den Weg mit einem Meramon-Feuerball ab; es gab hier zwar Fackeln, aber in viel größeren Abständen als in den Hauptgängen und sie waren allesamt erloschen. Das hier sah fast aus wie ein Geheimgang, in den sie zufällig geraten waren; er war so schmal, dass mehr als zwei Leute mit ausgestreckten Armen nebeneinander nicht Platz hatten – kein Vergleich zu den riesigen burgartigen Hauptgängen, durch die schließlich Kolosse wie SkullGreymon passen mussten. Trotzdem war der Gang hoch und oben nach rechts gewölbt, als ob er sich an einen anderen Tunnel schmiegte.

„Was hast du?“, fragte Joe, als sie im Schritt verharrten.

„Ich dachte, ich hätte was gehört“, sagte Ken und ging weiter.

Sie bogen um die nächste Ecke und eine finstere Gestalt versperrte ihnen den Weg.

Die DigiRitter erstarrten in der Bewegung. Ken schluckte und zwang sich ruhig zu atmen. Ansatsu hatte die schwarze Kapuze abgenommen und sein ebenfalls rabenschwarzes Haar verschmolz mit der Dunkelheit hinter ihm. Die rote Tätowierung auf seiner Stirn glühte im Licht von Kens Flamme förmlich auf, während Ansatsus Gesicht unheimlich unbewegt blieb.

„Das gibt’s ja nicht“, entfuhr es Yolei. „Wie hast du uns gefunden? Die Zitadelle ist riesig!“

„Dann können wir einen Teil davon getrost als Mausoleum verwenden“, sagte Ansatsu tonlos. Man sah es nicht genau, aber es schien so, als würde sich seine rechte Hand in einen schwarz glänzenden, nadeldürren Stachel verwandeln.

„Yolei, Joe, lauft sofort zurück“, raunte Ken den anderen zu.

„Aber …“, begann Yolei.

„Es ist vielleicht kein Zufall, dass er uns hier abfängt“, teilte Ken seine Gedanken mit ihr. „Nein, das ist es sicher nicht, sonst wäre es ein zu großer Zufall. Wir sind immerhin in einem unscheinbaren Nebengang. Vermutlich liegt in dieser Richtung der Thronsaal.“

„Nicht übel für einen Vagabunden“, sagte Ansatsu, der Ken trotz seiner leisen Worte gehört hatte.

„Merkt euch die Richtung und sucht einen anderen Weg. Ich übernehme ihn“, sagte Ken grimmig und machte sich nicht mehr die Mühe, leise zu sein.

„Du denkst, ich würde sie entkommen lassen?“, fragte Ansatsu gefährlich leise.

„Du kommst an mir genauso wenig vorbei wie wir an dir“, sagte Ken und schoss die Flamme auf den Fackelhalter zwischen ihnen ab. Sie standen nun am Rande eines Lichtballs inmitten noch tieferer Finsternis. „Außerdem habe ich noch eine Rechnung mit dir offen.“ Nun war die Zeit gekommen, Wormmon zu rächen. Yolei und Joe sahen einander an und nickten. Vorsichtig gingen sie rückwärts.

„Was ist mit uns?“, fragte Hawkmon.

„Ja“, sagte Gomamon. „Sollen wir auch fliehen?“

Ken überlegte. „Ja. Passt auf die beiden auf.“

Yolei verzog das Gesicht. „Du tust ja geradeso, als wären wir zwei hilflose Babys.“

Joe legte ihr die Hand auf die Schulter. „Komm, Yolei“, sagte er.

Ken lächelte schwach. „Tut mir leid, aber im Moment kann ich wohl mehr ausrichten als ihr. Wir treffen uns beim Thronsaal.“

Yolei nickte ernst. Ihre Brillengläser reflektierten das Fackellicht und ließen den Ausdruck ihrer Augen nicht durch. „Pass auf dich auf, okay?“

Zur Antwort streckte Ken den Arm aus und ließ seine Finger zu scharfen, blutroten Drachenkrallen werden. Yolei zog sich ohne ein weiteres Wort zurück, aber sie fand, dass Ken in dem Moment verdammt cool aussah.
 

Als Matt erwachte, spürte er noch einen dumpfen Schmerz am Hinterkopf. Die Bandagen um seinen Oberkörper fesselten ihn an einen Holzstuhl mit elegant geschwungener Lehne, und waren so reißfest, dass sie seiner ganzen Kraft standhielten. Er hob schwerfällig den Kopf und blinzelte in ein blasses Gesicht, das von langen, goldenen Locken umrahmt wurde. Erfreut stellte die Frau fest, dass er wieder wach war.

„Matt, ich will ein Kind von dir!“, rief sie.

Matt starrte sie perplex an. Sora, die er in dem Moment ihm gegenüber, hinter der Frau, sah, genauso gefesselt wie er selbst, schnappte empört nach Luft. Links und rechts von ihr lagen Gabumon und Piyomon auf dem Boden, so dick einbandagiert, dass nur ihre Augen zu sehen waren.

Die Frau kicherte, zog sich von irgendwo einen Schreibtischsessel mit Rollen heran, warf sich darauf und überschlug die Beine. „Sowas hörst du öfter, stimmt‘s?“ Sie stieß sich mit dem Fuß vom Boden ab, was den Sessel herumschwenken ließ, sodass sie nun Sora ansah. „Und du bist seine Freundin, oder? Muss ja ganz schön anstrengend sein.“

„Wer bist du?“, fragte Sora und bemühte sich, ihre Fesseln loszuwerden, ohne Erfolg.

„Wenn mir dein Lover ein Autogramm gibt, kann er für Miyuki draufschreiben“, erklärte das Mädchen. „Also“, sagte sie gedehnt und drehte sich wieder zu Matt. „Es ist wirklich schade, dass wir Feinde sind. Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du nie wieder so tolle Lieder spielen können. Wobei ich sagen muss, dass deine neue Band sowieso zu wünschen übrig lässt.“

„Toll“, sagte Matt trocken. „Noch ein hysterischer Fan ist genau, was ich jetzt brauche.“

Miyuki Augenbrauen zuckten kurz zusammen. Dann seufzte sie und sagte sarkastisch: „Falls du den Witz nicht gecheckt haben solltest – nein, ich will kein Kind von dir. Mich würden nämlich die Verwandtschaftsbeziehungen ankotzen. Dein verdammter kleiner Bruder ist nämlich ein verdammter Aufschneider, im wahrsten Sinne des Wortes!“ Anklagend deutete sie auf ihre Hüfte, die mit den gleichen Mullbinden umwickelt war.

„Soll ich jetzt Mitleid bekommen, oder was?“, fragte Matt.

„Du sollst nur tun, was ich sage. Dann überleg ich mir das mit dem Töten vielleicht nochmal.“

Matt bewegte die Schultern. Die Bandagen saßen wirklich fest. „Solang ich dir kein Kind machen soll“, sagte er sarkastisch.

Diesmal blitze wirklich so etwas wie Wut in Miyukis Augen auf. „Jetzt hör mir mal zu“, sagte sie gefährlich leise, stand auf und ging auf Sora zu. Matts Magen verkrampfte sich, als sie die Spitze eines Eisenschwerts an ihren Hals setzte. Seines Schwerts. „Es liegt allein in meiner Hand, was mit deiner Freundin passiert. Und mit deinem Digimon; was ich gehört habe, seid ihr DigiRitter mit denen ja so stark verbunden, als wären sie eure Familie.“ Sie hob das Schwert weg und sah es sich an. „Mit diesem Dingern und Rookie-Digimon wolltet ihr uns bekämpfen?“, spottete sie. „Das sind doch keine Waffen.“ Klimpernd warf sie das Schwert weg und ließ eine doppelläufige Pistole in ihrer Hand erscheinen, die sie auf Sora richtete, deren Augen sich vor Angst weiteten.

„Okay, okay“, beeilte sich Matt zu versichern und atmete tief durch, als die Pistole wieder verschwand. „Was willst du?“

Miyuki grinste. Sie verschwand kurz in den Schatten auf der Seite des Raumes – Matt glaubte, riesige Stapel Kartons und Kisten zu erkennen – und kehrte mit einer schnittigen blauen E-Gitarre zurück. „Die hab ich aus der Menschenwelt geholt“, erklärte sie. „Leider hab ich auf die Schnelle keinen Verstärker auftreiben können, aber es geht ja wohl auch so.“ Sie zupfte ein wenig an den Saiten. Die Gitarre klang verstimmt, fand Matt.

Die Bandagen um seinen Oberklörper lockerten sich wie von selbst und schlängelten sich nach unten, um seine Beine fest an die Stuhlbeine zu binden. Miyuki reichte ihm die Gitarre. „Spiel was für mich. Versuch mich zu verzaubern. Wenn du das schaffst, kann ich dich durch den PC in unserem Bunker in die Reale Welt zurückschicken, und der ganze Albtraum hier hat ein Ende und du darfst fröhlich weiterkomponieren. Wenn du deine alte Band wieder zusammenführst, heißt das.“ Sie lächelte hinterhältig. „Deine neue ist sowieso gerade nicht bühnentauglich.“

Matt erstarrte. „Was hast du mit ihnen gemacht?“, knurrte er.

„Reg dich ab, Ansatsu hat ihnen ein wenig die Nasen verbogen. Sonst geht’s ihnen gut. Das kann sich natürlich noch ändern, wenn du nicht tust, was ich sage. Spiel jetzt. Ansatsu und ich sollen nur die Luft für Taneo freihalten, und mit mehr als zwei von euch beschäftige ich mich heute nicht. Wir werden also hier sitzenbleiben und deiner Musik zuhören, bis er Piedmons Schwert hat. Oder bis diese verdammte Welt untergeht, was auch immer noch bei der Sache herauskommt.“

Matt machte immer noch keine Anstalten zu spielen. Kurz sah er in Soras flehende Augen. „Lässt du Sora und die Digimon auch gehen?“

Miyuki seufzte. „Da hält man ihm einen Finger hin, und er will die ganze Hand. Ich überleg‘s mir. Fang jetzt endlich an, wenn du bei deinen Kämpfen und Digimon-Rumscheuchen und uns im Weg stehen nicht verlernt hast, wie man spielt.“

„Taneo wird aber nicht gefallen, was du hier abziehst.“

„Taneo ist mir scheißegal“, zischte Miyuki. „Mach endlich, bevor ich die Lust verlier. Spiel ein Lied, nur für mich, und sieh zu, dass es nicht so ein Creators-of-Darkness‘-Fear-Dreck wird.“

Also begann Matt, mit einem letzten Blick auf Sora und Gabumon, zu spielen.
 

„Wartet kurz.“ Yolei stützte sich an der Wand ab und musste verschnaufen. Ihr Körper wollte noch nicht so recht.

Hawkmon flatterte vor ihrem Gesicht herum. „Wie fühlst du dich? Hast du Schmerzen?“

„Nein, nein … Nur … müde …“ Auf ihrer Stirn glitzerten Schweißperlen und sie hatte das Gefühl, total verkatert zu sein, so sehr tat ihr nach dem kurzen Sprint alles weh. Sie sah nach links und rechts und schließlich zu Joe, der genauso ratlos dreinblickte. „Wir haben uns verirrt!“, schrie sie ihren Frust heraus. Die Gänge waren einfach zu verwinkelt gewesen.

„Psst“, machte Joe erschrocken. „Wenn uns jemand hört!“

„Dann kann er uns wenigstens sagen, wo wir sind“, murmelte sie sarkastisch.

„Joe, Yolei, seht mal!“, sagte in dem Moment Gomamon. Sie traten an die Seite des kleinen weißen Digimons und sahen das kleine Kästchen mit Ziffertasten, das neben einer Tür angebracht war.

Joe beugte sich vor, um etwas erkennen zu können. „Verstehe, die Tür ist mit einem Code gesichert. Seht mal, da hat jemand erst kürzlich etwas eingegeben.“

Yolei betrachtete die Tasten genauer. Eine dünne, hartnäckige Staubschicht klebte daran; die Sorte Staub, die man nur mit feuchten Tüchern wegbekam. Kaum sichtbare Fingerabdrücke waren an einigen Tasten zu sehen.

„Die Ziffern haben wir, also müssen wir nur noch die Reihenfolge herausfinden. Was immer dahinter ist, es ist sicher wertvoll.“ Joe versuchte einen Code und drückte auf die Eingabetaste, aber nichts geschah. Er reihte die Ziffern anders und hatte wieder keinen Erfolg. Beim dritten Versuch allerdings ertönte ein Klicken und Knirschen und die Tür sprang auf. Joe zog sie vollends auf und sie schlüpften dahinter.

Staunend betrachtete Yolei den hell erleuchteten Raum. Über einer Steuerkonsole waren Dutzende Bildschirme angebracht, die die verschlungenen Gänge der Zitadelle zeigten. „Sieh mal!“, rief Yolei und deutete auf den Schirm links oben. Eine Art Lagerraum war dort zu sehen, in dem Sora und Matt an Stühle gefesselt waren. „Das ist die Dunkle, die auf dem Krankenhausdach mit einem Scharfschützengewehr auf die anderen geschossen hat!“, rief sie aufgeregt und zeigte auf die blonde Frau mit dem schwarzen Lederoutfit. „Wir müssen Sora und Matt helfen!“

Joe schob sich die Brille zurecht. „Wir müssen zuerst herausfinden, wo dieser Raum ist.“ Er tippte vorsichtig auf der Konsole herum. „Ich bin vielleicht nicht so findig wie Izzy, wenn es um Computer geht, aber ich sollte … Ah, hier.“ Auf einem bisher schwarzen LCD-Schirm erschien eine Karte der gesamten Zitadelle.

„Oh nein, sind das viele!“, stöhnte Yolei, als sie die zahlreichen verwinkelten Gänge sah.

„Warte, lass mich nachdenken … Wir sind hier.“ Joe deutete auf den rot blinkenden Punkt auf der linken Seite. „Da draußen der Gang, das muss dieser Bildschirm sein. Dann darüber … Ja, das wird wahrscheinlich der hier sein. Dann zeigt der vermutlich … nein, das stimmt nicht. Aber einer von denen könnte es sein … Ah, der nächste biegt sich so um die Ecke, siehst du? Dann ist das Bild auf dem Monitor dieser Gang hier … Ich glaube, ich hab sie.“

Yolei hörte ihm gar nicht zu. „Joe, sieh mal“, sagte sie leise und deutete mit zittrigem Finger auf einen bestimmten Bildschirm. Darauf war SkullSatamon zu sehen, das energisch durch die Gänge marschierte.

Joe leckte sich über die Lippen und rechnete kurz durch, welchen Weg das Digimon nahm. „Oh nein“, sagte er dann. „Wenn es in die Richtung weitergeht, trifft es genau auf Izzy und Cody!“ Er deutete auf die beiden, die auf dem Bildschirm ahnungslos einer langen Gerade folgten. „Sie sind fast beim Thronsaal, wahrscheinlich will es sie aufhalten!“

„Was machen wir denn jetzt?“

Joe überlegte nicht lange. „Wir trennen uns“, sagte er. „Du gehst mit Hawkmon zu Sora und Matt, das ist nicht so weit. Ich laufe los und versuche Izzy und Cody zu warnen, vielleicht schaffe ich es noch rechtzeitig. In den Gängen ist sonst niemand mehr, siehst du? Nur dieses Mekanorimon, und das ist ein ganzes Stück weit weg.“

„Was war das?“, fragte Yolei und zeigte auf einen Schirm in der Mitte.

„Was?“

„Da war gerade etwas. Irgendwas ist pfeilschnell da durchgerannt.“ Eine Gänsehaut kroch über Yoleis Rücken.

Joe haderte mit sich. „Wir könnten warten, bis es auf dem nächsten Monitor zu sehen ist …“

Yolei schüttelte den Kopf. „Nein, das dauert zu lang. Erklär mir, wo ich lang muss.“

„Okay, also draußen biegst du rechts ab, dann geradeaus, dann kommt irgendwo ein Treppenabgang, dort gehst du hinunter. Dann den Gang entlang, zweimal links abbiegen, einmal rechts, geradeaus, wieder links, und dann kommt eine Biegung und die dritte Tür links ist es dann.“

„Gut. Hawkmon, komm.“ Ob sie sich das merken würde? Sie musste einfach. Yolei lief sofort los. Unbewusst griff sie zu der Pistole in ihrer Hosentaschte.

Joe wartete kurz, ob er das fremde Ding noch einmal sah, dann hob er Gomamon hoch und machte sich ebenfalls auf den Weg.
 

Matt stimmte die Gitarre, bis ihm der Klang zusagte, und begann darauf zu spielen. Er schloss die Augen und stellte sich vor, nicht hier zu sein, am Ende der Welt in einer düsteren Zitadelle, im letzten Kampf um das Überleben seiner Freunde und der Digimon, in den Krallen einer Feindin. Mit klarer Stimme begann er zu singen.

Jeder von uns geht seinen eigenen Weg … es war ‘ne gute Zeit, doch auch die vergeht … In Gedanken sind wir uns nicht so nah … wie‘s früher war …

Miyuki wippte mit der Fußspitze den Takt mit. „Oh ja, das ist eins meiner Lieblingslieder“, sagte sie zufrieden.

Gib ein Zeichen deiner Freundschaft, das gibt uns die Kraft … weiter gemeinsam zu geh‘n und die Sonne zu seh‘n …

Ein Knall riss ihn aus dem Text. Sora schrie schrill und kurz auf. Matt riss die Augen mit einem Keuchen auf und sah gerade noch, wie Soras Stuhl umkippte und sie hart am Boden aufschlug. Zwischen den Stuhlbeinen qualmte ein Loch im Boden. Soras Brustkorb hob und senkte sich schnell; sie selbst war erstarrt und kein Ton verließ mehr ihre Lippen.

Miyuki nahm die Pistole hinunter und sah Matt abfällig an. „Das ist alles, was du zustandebringst? Leg mal ein bisschen mehr Gefühl hinein. Wo bleiben die Emotion und die Ehrlichkeit in deiner Stimme? Glaubst du, du kannst deine Freundin mit so ‘ner schlaffen Nummer retten?“

Matt biss die Zähne zusammen und ließ die Gitarre sinken. Seine Hand klammerte sich so fest um deren Hals, dass er die Saiten hart gegen seinen Handballen drücken spürte. „Ich habe diese Songs für Leute geschrieben, die wissen, was Freundschaft und Treue sind. Ich hab sie geschrieben um ihnen den Rücken zu stärken und ihre Freundschaft zu festigen … Und nicht um psychopathische Killerinnen damit anzustacheln!“

Miyukis Augen wurden schmal. „Vorsicht“, sagte sie, stand betont langsam auf und ging auf Matt zu. Sie brachte ihr Gesicht ganz nah an seines und sagte leise: „Ist das so, ja? Nun, dann geb ich dir einen Rat, Yami.“ Sie presste Matt die Fußspitze in den Bauch, und mit Sicherheit war es kein Zufall, dass der Absatz ihrer Bikerstiefel dabei in seinen Schritt drückte. „Wirf deinen Stolz über Bord und tu, was nötig ist, um deine Freundin vor einer psychopathischen Killerin zu schützen. Ich hab’s, warum singst du nicht als nächstes ein hübsches Lied darüber, wie freundlich die Welt doch ist?“

Matt starrte sie nur hasserfüllt an, als Sora plötzlich rief: „Hör sofort auf!“

Miyuki verzog das Gesicht und drehte sich gefährlich langsam zu ihr um. „Was willst du?“, fragte sie, als wäre Sora nur ein lästiges kleines Kind, das sie bei der Arbeit störte.

„Hör sofort auf, Matt zu demütigen! Ich werde das nicht länger zulassen!“

„Ach nein?“ Miyuki kam auf sie zu und beugte sich zu ihr hinunter. „Was will das am Boden liegende Fräulein denn dagegen machen?“

Sora starrte sie an, als würde sie ihr am liebsten ins Gesicht spucken. Matt fühlte tiefe Dankbarkeit, ein wenig Stolz und unsägliche Angst um sie. „Du bist abscheulich“, warf sie der Dunklen entgegen. „Wie kann ein Mensch nur so etwas tun? Ich verstehe das nicht – wie kannst du ruhigen Gewissens Menschen töten und verletzen?“

„Willst du das wirklich wissen?“ Miyuki lächelte überlegen und hockte sich neben sie. „Weißt du, Liebes“, sagte sie, „ich sehe die Gesichter von den Leuten, die ich getötet habe, jedes Mal, wenn ich ins Bett gehe.“ Ihr Grinsen nahm eine teuflische Note an. „Ich habe nämlich ihre Bilder über meinem Bett aufgehängt. Jede Nacht, bevor ich einschlafe, sehe ich sie mir an und verspotte sie, genauso wie diese verdammten Mexikaner mich verspottet haben, als ich geweint und gefleht habe …“ Ihre Stimme wurde lauter und ihre Augen schweiften in die Ferne. „Sie haben meinen Bruder blutig geschlagen und meine Mutter vergewaltigt, vor meinen Augen, und mir wollten sie einen Finger abschneiden um ihn meinem Vater zu schicken, damit er ihnen Lösegeld zahlt … Aber ich habe mich befreien können. Ich habe dem einen Kerl die Knarre abgenommen und sie kaltgemacht.“ Sie lachte leise. „Die Typen hätten nie gedacht, dass eine Zwölfjährige so gut zielen kann! Ich war auch überrascht.“ Während Sora sie aus großen Augen stumm ansah, atmete Miyuki tief durch. „Du kannst dir sicher vorstellen, dass ich, als wir wieder in Japan waren, nicht mehr dieselbe war. Wir haben auch nie wieder Urlaub im Ausland gemacht, obwohl ich nichts dagegen gehabt hätte.“ Sie seufzte und stellte Soras Stuhl mit einiger Mühe wieder auf. „Tja, gewisse Dinge prägen einen eben.“ Dann, als sie in Soras Gesicht blickte, stutzte sie und fuhr sie an: „Was siehst du mich so mitleidig an?“

Sora schluckte und zögerte mit ihrer Antwort. „Vielleicht, weil ich wirklich … Mitleid mit dir habe.“

Die Dunkle schnaubte abfällig. „Hast du das gehört, Matt?“, rief sie. „Eine besonders gutherzige Freundin hast du. Im Gegensatz zu dir hat sie Mitleid mit mir. Darauf scheiß ich doch!“ Grob stieß sie Sora wieder um, sodass diese einen erstickten Schrei ausstieß. Miyuki zückte wieder ihre Pistole und richtete sie beidhändig auf Sora. „Ich hab’s mir überlegt. Ich kann die Kleine nicht leiden.“

„Hör sofort auf!“, schrie Matt. „Sora!“

„Schone deine Stimmbänder, am Ende kannst du nicht mehr singen“, spottete Miyuki. Ihre Finger krümmten sich um den Abzug. „Patronentorpe…“

„Stopp! Keine Bewegung!“, schallte eine andere Stimme durch den Raum.

Miyuki drehte den Kopf. In der Tür stand Yolei mit bebenden Schultern und völlig außer Atem. Sie hatte die Pistole ihres Onkels auf die Dunkle gerichtet. „Nimm sofort die Waffe runter!“, keuchte sie.

Miyuki zog nur die Mundwinkel hoch. „Sieh an, das Mädchen, das nicht schießen kann.“ Sie wandte sich von Yolei ab, als existierte sie gar nicht, und Matt sah seiner Freundin an, dass sie verunsichert zitterte. „Wo waren wir? Ah ja. Patronentorpedo!

„Nein!“, schrie Matt, doch er wurde von dem Schuss übertönt.

Dann schrie Miyuki überrascht auf und taumelte zur Seite. In ihrem Handrücken steckte eine rotgelbe Feder. „Schnell, Yolei!“, rief Hawkmon und flatterte in den Raum.

„Ja!“, rief das Mädchen, rannte zu Sora und zertrennte die Schlangenbandagen mit ihrem Kurzschwert. Sie hielten mehr aus, als erwartet.

„Yolei“, hauchte Sora. Ihr Gesicht war vor Schreck weiß wie Schnee. Die Kugel aus Miyukis Pistole war so knapp neben ihrer Schläfe in den Boden gefahren, dass sie den Luftzug gespürt hatte und die Funken des Einschlags auf ihrer Haut gebrannt hatten.

„Du kleine, verdammte …“, knurrte Miyuki und fuchtelte mit ihrer Pistole, um Hawkmon zu vertreiben, das sich mit den Krallen in ihr Haar klammerte und ihr Gesicht mit seinem Schnabel bearbeitete.

Nacheinander befreite Yolei Sora, Piyomon, Gabumon und schließlich Matt. „Lauft schnell raus!“ Miyuki erwischte Hawkmon mit dem Pistolenlauf und schleuderte es von sich. Gabumon und Piyomon schossen bunte Feuerstrahlen auf die Frau ab, die mit einem Aufschrei zurückstolperte und hinter einer der Kisten im hinteren Teil des Raumes in Deckung ging. Dabei schoss sie vier, fünf Mal auf die Digimon, ohne sie zu treffen, obwohl ihre Kugeln ihnen jedesmal gefährlich nahe kamen.

„Langsam werdet ihr lästig!“ Miyuki ließ ihre Pistole verschwinden und hielt plötzlich ein Gewehr in der Hand, das Yolei von Mummymon kannte. Ein elektrischer Strahl schoss quer durch den Raum und fegte die Digimon eines nach dem anderen von den Füßen.

„Hawkmon!“, rief Yolei und wollte zu ihrem Digimon-Partner laufen, als Miyuki sich aus ihrer Deckung hervorrollte. Sie hielt nun zwei kleine Revolver in der Hand. Aus der Hocke blies sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und richtete die Waffen auf die DigiRitter.

Gerechtigkeitsflash!

Yolei schrie auf, doch die Kugeln waren für Sora und Matt bestimmt. Er merkte es rechtzeitig und riss sie zu Boden, aber ein Schuss streifte seine Schulter. Matt stöhnte auf.

Yolei umklammerte ihre eigene Pistole wie den sprichwörtlichen letzten Strohhalm. Alles in ihr sträubte sich dagegen zu schießen, aber wenn sie es nicht tat, wenn sie es nicht tat … Sie kniff die Augen zusammen, schrie, und drückte ab. Sie hörte das metallische Geräusch eines Querschlägers. Ohne hinzusehen, nur in Miyukis etwaige Richtung zielend, drückte sie noch einmal ab, und noch einmal und noch einmal.

Miyuki rollte sich wieder hinter die Kiste zurück. Ein leises mechanisches Klicken sagte ihr, dass Yolei ihr Magazin leergeschossen hatte. „Wie wäre es mit einem letzten Lied, Matt Ishida?“, fragte sie, während sie ihre Waffen auflöste und ihr DigiVice um neue Energie anzapfte. „Spiel mir das Lied vom Tod!“ Sie wirbelte um die Kante der Kiste und deckte den ganzen Raum mit einem Gargoschrot-Angriff ein. Knatternd wirbelten ihre Gatlingrohre im Kreis und Funken sprühten überall von den Steinen – doch es war niemand mehr da. Die Tür zur Kammer stand immer noch sperrangelweit offen, sich eilig entferndende Schritte waren zu hören. Abfällig zischend ließ Miyuki die Kanonen verschwinden. „Recht so, haut nur ab!“, rief sie nach draußen. „Ich erwisch euch schon noch! Selbst wenn du richtig auf Menschen zielen könntest, mit einem leeren Magazin gewinnst du keinen Blutstropfen!“

Sie hörte hinter sich etwas rascheln und fuhr herum, das DigiVice glühend, die Hand erhoben, um die erscheinende Waffe zu packen – als Yolei ihr mit voller Wucht den Pistolengriff gegen die Schläfe schmetterte. Benommen taumelte Miyuki zurück, stolperte über ihre Füße und fiel zu Boden. „Ich hab’s dir doch schon mal gesagt“, sagte Yolei trocken. „So eine Waffe ist vielseitig.“ Während die anderen durch die Tür gelaufen waren, hatte sie sich auf der anderen Seite der Kiste versteckt, um während Miyukis Gatling-Angriff ganz dahinter zu verschwinden. „Ich hab sie!“, rief sie nach draußen.

Die Schützin murmelte einen Fluch und streckte schon wieder die Hand aus, aber Yolei warf sich regelrecht auf sie, packte ihre Handgelenke und drückte sie zu Boden. Wenn sie die Dunkle richtig einschätzte, konnte sie so keine Attacke ausführen. Nur wenige Sekunden später waren Matt und Sora bei ihr, gerade rechtzeitig, um ihr beim Festhalten zu helfen, denn Miyuki bäumte sich wild auf wie eine Kobra. Matt riss mit einer kraftvollen Bewegung ihr DigiVice von der Kette und steckte es ein.

„Rück das sofort wieder raus!“, zischte Miyuki.

„Ich habe singen müssen“, sagte Matt. „Was wirst du tun?“ Miyuki starrte ihn nur böse an.

In dem Moment ertönte ein dumpfes Krachen und der Boden erzitterte. Staub rieselte von der Decke. Ein Riss breitete sich darin aus, zuerst fingerbreit, dann immer größer werdend, dann polterten plötzlich kürbisgroße Steine herunter.

„Was ist da los?“, rief Yolei.

Matt riss sie in die Höhe. „Raus hier!“

Mit Sora und den Digimon im Schlepptau hasteten sie zur Tür. Der Riss pflanzte sich über die Decke bis zur Wand fort und immer mehr polierte Steine krachten in die Tiefe, dann sogar ein ganzes Mauersegment inklusive einer erloschenen Fackel. Yolei warf einen Blick über die Schulter. Miyuki versuchte gerade sich aufzusetzen, als sie ein Steinbrocken an der Brust trat und sie ächzend wieder zu Boden geschleudert wurde.

Yolei blieb auf der Türschwelle stehen. „Wir müssen ihr helfen!“, rief sie.

Matt zögerte einen Moment, dann hastete er in den Raum zurück. Sora rief seinen Namen. Bevor er Miyuki jedoch erreichte, brach die Decke endgültig entzwei und das Mädchen wurde unter Tonnen von zerrissenem Gestein begraben. Matt hielt sich schützend die Hand vor die Augen, als nadelspitze Steinsplitter in sein Gesicht stachen. Rings um ihn polterten immer größere Felstrümmer zu Boden, ein Stein traf seine Schulter, dass er die Knochen ächzen hörte. Darauf hoffend, dass nichts gebrochen war, und seinen Kopf mit den Händen bedeckend, stürmte er auf den Gang zu den anderen. Auch hier lösten sich die ersten Steine aus der Decke, als habe ein Stockwerk über ihnen eine Bombe eingeschlagen. „Was ist mit ihr?“, rief Yolei über das Getöse hinweg.

Matt schüttelte den Kopf. „Es hat keinen Zweck“, schrie er zurück. „Sehen wir zu, dass wir wegkommen!“ Unter einem Hagel aus Steinbrocken liefen sie los.
 

Ken erhob sich aus dem Krater, der mindestens zehn Meter Durchmesser hatte. Die Wand und die steinernen Tische im Nebenraum waren regelrecht zerfetzt worden. Der Boden rings um Ken qualmte und war löchrig wie ein Schweizer Käse und die Erschütterung hatte Risse selbst in den unbetroffenen Teil des Ganges gezeichnet; Ken selbst war jedoch unversehrt. Sein linker Arm war taub geworden und juckte, als würden Insekten mit tausend winzigen Beinen darüberlaufen, und er spürte, dass es seiner Narbe schwer fiel, die Mega-Attacke zu verarbeiten. Es war eine Qual, den Arm auch nur zu heben, ganz so als wäre er eingeschlafen und blutleer. Dennoch zwang er sich zu einem überheblichen Lächeln, das er aus seiner Zeit als DigimonKaiser imitierte. „Ist das alles, was du zu bieten hast?“

Ansatsus Lippen waren ein schmaler Strich geworden. „Ich verstehe“, sagte er. „Wenn dir meine Schwarze Planetenkraft schon nichts anhaben kann, wird es auch keine meiner anderen Attacken tun. Du hast dich sehr verändert, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.“

„Es war ein weiter Weg bis hierher“, sagte Ken. „Gibst du auf?“

Auf diese Frage gab Ansatsu gar keine direkte Antwort. „Dann machen wir es auf die gute, alte Assassinen-Art“, sagte er nur.
 

Joe hetzte den Gang entlang, als hinge sein Leben davon ab. Genau genommen hingen womöglich Izzys und Codys Leben von seiner Schnelligkeit ab, doch er war nie ein großartiger Sportler gewesen und hatte das auch in den letzten Jahren nicht geändert. Seine Lungen schienen seinen Brustkorb sprengen zu wollen, um endlich an genügend frische Luft zu kommen, sein Herz schien zu bersten. Er hatte Seitenstechen an allen möglichen Stellen seines Körpers, und Gomamon mitzuschleppen war seinem Tempo auch nicht gerade zuträglich.

Als er endlich um die letzte Ecke hastete, warteten Cody und Izzy schon angespannt auf die Ursache des lauten Trampelns; Izzy hatte sein Schwert abwehrbereit erhoben. „Ach, du bist es, Joe“, sagte er erleichtert.

Joe bremste ab und stützte sich schwer amtend auf seine Knie. „Hört mir zu, ihr müsst … ihr müsst …“

Was müssen sie?“, knarzte eine eklige Sitmme von der anderen Seite des Raumes. Die DigiRitter fuhren herum und Joe fühlte sich wie mit Eiswasser übergossen. Aus den Schatten dort vorne trat eine Gestalt, die nur aus rostbraunen Knochen zu bestehen schien, in einer schwarzen Lederhose steckte und einen hölzernen Stab mit fein ausgearbeitetem, ebenfalls knöchernem Ende in der Hand hielt.

SkullSatamon, einer der Triumviratoren der Scherben.

Hope dies last

Finsterzitadelle, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

23:08 Uhr
 

„Ihr kleinen Plagegeister seid also schon so weit gekommen?“, kratzte SkullSatamons Stimme über Codys Hörnerven. Er erinnerte sich noch gut daran, als sie das letzte Mal gegen ein SkullSatamon gekämpft hatten. Es war blitzschnell gewesen und hatte die anderen Ultra-Digimon eines nach dem anderen kampfunfähig gemacht. Selbst Imperialdramon hatte es erst nach einer Weile geschafft, es zu besiegen.

„Cody, du musst mich digitieren lassen“, sagte Armadillomon.

Er sah seinen Partner an. Armadillomon war völlig erschöpft, sein Panzer ganz zerkratzt von seinem Sturz in die Felsspalte. Er war sich nicht einmal sicher, ob es genügen Energie aufbringen konnte, um noch einmal zu digitieren – vor allem nach den zahlreichen Digitationen, die es heute schon hinter sich hatte. Die nicht aufhören wollende Reihe von Kämpfen forderte ihren Tribut. „Gib mir das“, sagte er und nahm Izzy das Kurzschwert aus der Hand. Sein Katana hatten sie in dem Graben nicht mehr finden können. Entschlossen nahm er seine Kendo-Haltung ein. „Gebt mir mit euren Attacken Rückendeckung“, wies er Armadillomon, Gomamon und Tentomon an, während ein Schweißtropfen sein Kinn entlang rollte.

SkullSatamon kicherte gackernd. „Ein Spielzeug“, stellte es fest – und sprang schnell wie ein Pfeil in die Höhe, landete mit den Beinen voraus an der Decke, und noch ehe Tentomons eiliger Stromschlag es erwischen konnte, hatte es sich schon wieder abgestoßen und landete direkt vor Cody, der so plötzlich in das hässliche Gesicht starrte, dass er einen Schritt zurück machte. SkullSatamons Nagelknochen war nur als verschwommener Schemen zu sehen, als es ihm mit solcher Wucht das Schwert aus der Hand schlug, dass Cody spürte, wie sein Handgelenk brach. Die eiserne Klinge wirbelte gegen die Wand, prallte davon ab und flatterte in die Dunkelheit des Ganges davon. Erschrocken starrte er das Digimon an, dann entschlossen. Dieses Digimon war mit Schuld an dem Krieg, der heute so vielen anderen das Leben gekostet hatte. Wenn es sein musste, würde er es mit bloßen Händen zu Knochenmehl verarbeiten!

„Mir gefallen deine Augen nicht, Junge“, befand Skullsatamon mit einem Totenkopfgrinsen.

Hätte es Zeit gehabt, den Stab zu heben, wäre es im Bruchteil einer Sekunde um Cody geschehen gewesen. Doch gerade, als es Anstalten machte, genau das zu tun, schoss etwas blendend Helles über Codys Schulter und traf das Digimon in die Brust. Mit einem Aufschrei wurde SkullSatamon fortgerissen. Cody hielt sich geblendet die Hand vor die Augen.

„Davis!“, hörte er Izzy rufen und fuhr herum.

Der Blitz hatte sich in seine Netzhaut gebrannt und er sah überall, wo er hinblickte, rote Figuren aufleuchten, doch ganz langsam schob sich der Anblick von Davis und Raidramon davor.

„Wo warst du die ganze Zeit?“, fragte Izzy aufgeregt.

„Was macht ihr denn hier?“, fragte Davis, als könnte er nicht glauben, was er sah. „Wollt ihr wirklich schon so schnell sterben? Macht, dass ihr hier rauskommt!“ Seine Zunge klang schwer, als wäre er betrunken. Als Cody nähertrat, sah er, dass er sich irrte. Davis‘ Wangen waren gerötet, die Augen glasig mit tiefen Ringen darunter, seine Haut bleich und kaltschweißig. Er war nicht betrunken, er war krank.

„Ihihihi …“, gackerte SkullSatamon und kam wieder näher. „Es ist egal, wie viele ihr seid. Die Rückkehr unseres Meisters steht bevor und ihr werdet uns nicht stören!“

Raidramon sprang brüllend vor. „Gewitterklinge!

Diesmal war SkullSatamon vorbereitet. Es wehrte den Blitz aus Raidramons Horn mit seinem Stab ab, sprang zur Seite und dann wie ein Ping-Pong-Ball von einer Wand zur anderen und landete direkt vor Raidramon. Es gab dem Digimon eine Sekunde, es verblüfft anzusehen. „Nagelknochen!“ Mit fürchterlicher Wucht schmetterte es seinen Stab gegen Raidramons Flanke, das gegen die Wand krachte und in gelbem Licht zurückdigitierte.

„Soviel dazu“, kicherte SkullSatamon. „Und jetzt …“ Es stockte, als Davis sich vor ihm aufbaute, und kniff eines seiner tiefschwarzen Augen zu.

„Du stehst mir im Weg!“, sagte Davis und klang genervt.

SkullSatamon gelang es nicht, seine Überraschung zu verbergen. Dann setzte es Davis den Nagelknochen an die Kehle. „Das nennen die Menschen, glaube ich, Galgenhumor.“

„Ich werde nicht sterben“, sagte Davis überzeugt. „Sicher nicht. Sicher nicht vor den anderen.“

Der Triumvirator legte den Kopf schief. „Ah, jetzt spüre ich es. Du bist der Junge mit Soulmons Fluch.“

„Davis!“, rief Veemon. „Mach keinen Blödsinn!“

„Was ist denn mit ihm?“, fragte Joe das Digimon.

Veemon schüttelte nur den Kopf. „Er ist schon so, seit er aus dem Albtraumschloss zurück ist.“

SkullSatamon schien irgendeine Falle zu erwarten, denn es zögerte. Und wie vorher bei Cody tauchte auch nun wieder etwas aus dem Gang hinter ihnen auf, ein rotes Glühen, das das Skelettdigimon dazu veranlasste, von Davis abzulassen und mit einem Salto zurückzuspringen. Ein roter Laserstrahl schoss auf es zu, und es blockte ihn präzise mit seinem Knochenstab. „Da hinten ist wohl ein Nest, was?“, krächzte es.

Ein Mekanorimon trampelte mit mechanischen Schritten aus der Dunkelheit. „Vorsicht!“, rief Joe. „Es gehört sicher zu den Dunkeln!“

„Nein, DigiRitter“, hörten sie eine bekannte Stimme, als die Maschine anhielt. Die Klappe auf Mekanorimons Kopf öffnete sich und eine hoch gewachsene Gestalt in einer cremefarbenen Kutte stieg heraus.

Die DigiRitter erkannten ihn sofort. „Gennai!“
 

Ansatsu stürmte mit wehendem Mantel auf Ken zu. Betäubungsblitze zischten aus Kens Hand, doch der Attentäter schaffte es jedesmal auszuweichen. Einmal sprang er sogar und lief zwei Schritte auf der Wand weiter, dann war er bei Ken und stieß mit der Faust zu.

Ken riss die linke Hand hoch, um die vermeintliche Attacke abzuwehren, doch Ansatsu schlug sie nur beiseite, verpasste ihm mit der linken eine Ohrfeige, leicht, wie um seine Reaktion zu teste, dann wirbelte er unter Kens Albtraumkralle hindurch und stieß ihm beide Handflächen vor die Brust, schlug seine beiden Hände abermals zur Seite, verpasste ihm einen Faustschlag, der seine Lippe aufplatzen ließ, und trat ihm wuchtig gegen den Brustkorb, was Ken gegen die Wand warf.

„So ist das also“, sagte er ruhig. Sein Atem war kaum merklich schneller geworden. „Du kannst nur Digimon-Attacken kopieren, und das tust du offenbar mit deinem linken Arm.“

Ken wischte sich das Blut von den Lippen. „Und du kannst dich hier drin anscheinend nicht teleportieren“, stellte er fest.

Ansatsu zog etwas Kleines, Flaches aus dem Gürtel, das wie eine altmodische Füllfeder aussah. Mit einer ruckartigen Bewegung ließ er die Kappe davonfliegen und hielt plötzlich eine hauchdünne, scharf blitzende Klinge zwischen den Fingern, nicht größer als die eines Stanley-Messers. Ken schluckte. Der Assassine durfte ihm nicht zu nahe kommen … Als er abermals angriff, griff Ken auf ShogunGekomons Kraft zurück. Seine Beine kribbelten und er setzte mit einem mächtigen Königssprung weit über Ansatsu hinweg. Noch im Flug warf er sich herum und schoss eine Spiralblume nach ihm. Ansatsu wich der rotierenden Blüte aus, packte die Ranke und riss Ken daran zu sich.

Als er kopfüber auf Ansatsu zuraste, merkte Ken, dass das Jucken seiner Narbe nachgelassen hatte. Die Schwarze Planetenkraft war verarbeitet. Er holte aus und warf einen dunkelroten Energieball auf den Attentäter, dessen DigiVice aufglühte. Ansatsu führte die Hände zusammen und ließ ebenfalls eine Schwarze Planetenkraft dazwischen aufglühen, warf sie im letzten Moment Kens Attacke entgegen. Die Druckwelle, als die beiden Kugeln aufeinandertrafen, warf Ken erneut aus der Flugbahn. Er überschlug sich, landete aber sicher auf seinen Füßen, die den Aufprall dank ShogunGekomons Kraft schmerzlos abfederten.

Wo die Attacken explodiert waren, tobte jetzt eine Staubwolke – ein Risiko, das Ken nicht eingehen wollte. Einen Attentäter musste man sehen, man musste ihn aus den Schatten ziehen, wenn man ihm entkommen wollte. „Gefrierblick!“ Seine Augen wurden eisig kalt und feucht. Tränen liefen ihm über die Wangen und gefroren zu glitzernden Eiskristallen, während feine Sprühnebel aus Eistropfen aus seinen Augen strömten. Die Staubpartikel wuchsen, als sich ihnen Eis anlegte, wurden schwer und fielen glitzernd und mit dem Geräusch von rieselndem Sand zu Boden, mehr und mehr, bis die ganze Staubwolke getilgt war. Gerade rechtzeitig, damit er sehen konnte, wie Ansatsu einen DemiDevimon-Giftpfeil nach ihm warf. Ken wich aus und die Spritze zersplitterte klirrend am Boden. Ansatsu setzte über den Eiskristallhaufen, der wie verschütteter Zucker glitzerte und langsam taute, hinweg und drang auf Ken ein, und obwohl dieser wusste, dass der schwarze Stachel, zu dem seine Hand geworden war, eine Digimon-Attacke war, riss er aus Reflex die linke Hand zurück, als Ansatsu danach zielte – die menschliche Reaktion auf spitze Gegenstände, die auf einen zuflogen. Der Assassine wirbelte wie in einem grotesken Tanz rechts um Ken herum und trieb den Dunklen Speer in dessen Oberschenkel. Mit einem Aufschrei ging Ken in die Knie und schlug blind mit einer Albtraumkralle hinter sich, aber Ansatsu hatte sich schon wieder außer Reichweite gebracht.

„Ich habe dich in der Schlacht gesehen“, sagte der Assassine kühl, während Ken mit zusammengebissenen Zähnen aufstand. Der Stich war tief gegangen und hatte irgendeinen wichtigen Muskel erwischt. Er konnte das rechte Bein kaum noch belasten. Wahrscheinlich musste er froh sein, dass Ansatsu sich nicht gleich seine Niere oder sein Herz vorgenommen hatte. „Du hast ununterbrochen gekämpft und selbst jetzt kannst du noch Attacken einsetzen“, fuhr Ansatsu fort. „Du musst seine Energie nicht aufladen, so wie wir. Ich werde es zuende bringen, bevor du mich erschöpfen kannst.“ Während seine rechte Hand ein schwarzer Stachel blieb, erschien auf seiner linken ein Aufsatz, aus dem ein violett glühender erschien. Stingmons Attacke, wie Ken wütend erkannte. „Kannst du zwei Attacken gleichzeitig aufhalten?“, fragte Ansatsu und ging abermals in die Offensive.
 

„Es tut mir leid, dass ich mich euch erst so spät persönlich zeige“, sagte Gennai und tat etwas im Inneren des Mekanorimons. Als er zu Boden sprang, schüttelte das Metalldigimon sich und deckte SkullSatamon mit einer Fernlichtersalve ein, die der Triumvirator mühelos abwehrte, die ihn aber wenigstens beschäftigt hielt.

„Gennai, wir haben ein Problem!“, rief Joe. „T.K. hat unsere DigiVices, unsere Digimon können nicht mehr digitieren!“

„Eins nach dem anderen“, sagte Gennai. Er sah noch so aus, wie sie ihn in Erinnerung hatten: Ein junger Mann mit kantigem Gesicht und nussbraunem Haar, an der Stirn kurz und im Nacken zu einem Zopf gebunden. „Als ich mitbekommen habe, das jemand die Karten von der Fliegenden Insel genommen hat, beschloss ich, auch selbst wieder auf die Bildfläche zu treten. Ich nahm an, dass ihr wieder hier in der DigiWelt seid, und fortan habe ich nach einem Weg gesucht, euch zu helfen.“ Er sah zu SkullSatamon, das mit wirbelndem Stab leise fluchend die Laserstrahlen seines Mekanorimons abwehrte. „Wie es der Zufall will, war ich früher schon einmal in dieser Festung. Deswegen habe ich euch so schnell gefunden. Und weil ich Davis gefolgt bin. Ich habe außerdem beschlossen, meine Hoffnungen auf ihn zu setzen.“ Davis schien ihm nicht richtig zuzuhören. Es war ihm anzusehen, dass es ihm von Minute zu Minute schlechter ging.

„Du hast nicht zufällig neue DigiVices für uns?“, fragte Joe ohne viel Hoffnung.

„Leider nein. Jedes eurer DigiVices ist ein Unikat, das nur euer Digimon digitieren lässt. Es hätte keinen Sinn, sie auszutauschen.“ Joe ließ die Schultern sinken. „Ich habe aber etwas anderes“, sagte Gennai und griff in seine Kutte. „Die Vier Souveränen sind von den Taten der Asuras noch geschwächt, aber ich konnte das weise Azulongmon bitten, mir eines seiner zwölf Lichter zu geben.“ Er holte eine blau schimmernde Kugel hervor. „Da eure Digimon jedoch so oder so nicht digitieren können, werden wir es benutzen, um das hier zu verwandeln, wie Azulongmon es schon einmal getan hat.“ Er hielt etwas Kleines, Violettes hoch, das erst auf den zweiten Blick als Wappen der Freundlichkeit zu erkennen war.

„Das ist doch Kens Wappen!“, rief Izzy.

Gennai nickte. „Ich habe es in einer Schneelandschaft im Norden entdeckt. Davis, ich möchte, das du es nimmst.“

„Was, aber wieso …?“ Als Gennai Davis sowohl das Licht als auch das Wappen in die Hand drückte, verschmolzen sie in einem hellen Licht miteinander und wurden zu einem quaderförmigen, goldenen DigiArmorEi.

„Das DigiArmorEi des Wunders hat schon einmal einen Feind auf dem Ultra-Level besiegt“, sagte Gennai. „Es wird uns auch ein zweites Mal gelingen.“

„Lass es uns versuchen, Davis!“ Veemon zupfte Davis am Ärmel.

„Äh … ja. Digi… DigiArmorEi des Wunders, erstrahle!“ Davis hielt das Ei nicht so energisch hoch wie sonst immer und seine Worte waren ebenfalls lasch, aber der Effekt war der gleiche. Veemon wurde von goldenem Licht eingehüllt, viel heller als bei einer normalen Digitation, und verwandelte sich in das prachtvolle Magnamon in seiner goldglühenden Rüstung.

SkullSatamon schrie hässlich auf, als das gleißende Licht es blendete. Magnamon baute sich in dem Gang auf, während Gennai sein Mekanorimon zum Stillstand brachte. „ Jetzt werden wir sehen, wie viel ein Triumvirator der Scherben dem Goldenen Schein des Wunders entgegensetzen kann!“

SkullSatamon fauchte wütend, aber es schien nicht einmal Magnamons strahlendem Anblick standhalten zu können. Blind fuchtelte es mit seinem Stab herum und sprang in Magnamons Richtung. Das Kriegerdigimon wich dem Knochen aus. „Magna-Kracher!“ Der Schlag in SkullSatamons Rücken schleuderte es gegen die Wand, sodass seine Knochen ächzten und Steine barsten.

Mit einem Wutschrei stürzte es sich blitzschnell wieder auf Magnamon. „Nagelknochen!“ Es ließ einen Hagel aus Stabhieben auf Magnamon niedergehen, die meisten davon konnte das goldene Digimon abwehren.

„Mach es fertig, Magnamon!“, schrie Davis in seiner alten Stärke. Das heilige Licht schien auch seine seltsame Krankheit endlich von ihm genommen zu haben.

Plasmatorpedos!“ In Magnamons Rüstung öffneten sich Klappen und ein Schwall aus goldenen Raketen ergoss sich auf SkullSatamon, das schreiend zurückgeworfen wurde. Als die Explosionen verstummten, kauerte es stöhnend auf dem Boden.

„Wenn ich dich schon nicht besiegen kann“, krächzte es mit zusammengekniffenen Augen, „werde ich euch wenigstens aufhalten! Nagelknochen!“ Kraftvoll sprang es bis zur Decke des Ganges und stieß seinen Stab senkrecht in das Gestein, krallte sich mit einer Hand in der entstehenden Lücke fest und hieb weiter auf die Decke ein.

„Es will den Gang einstürzen lassen!“, rief Cody „Magnamon, schnell!“

Magnamons Rüstungsteile glühten golden auf. „Magnastrahl!“ Ein Strahl reinen, heiligen Lichts fuhr aus seiner Rüstung und hüllte SkullSatamon vollständig ein. Unter einem langgezogenen Schrei löste sich der Tirumvirator in Daten auf. Magnamon landete vor den DigiRittern und wurde wieder zu Veemon, das erschöpft taumelte.

„Das war großartig!“, sagte Joe und die anderen stimmten in den Jubel mit ein.

„Nanu? Wo ist Davis?“, fiel es Cody plötzlich ein. Der Junge war nirgends zu sehen.

„Sag bloß, er ist schon wieder weggelaufen?“ Noch ehe Izzy fertiggesprochen hatte, gab die Decke ein gewaltiges Knarren von sich. Das zerstörte Gewölbe konnte die daraufliegenden Steinmassen nicht mehr tragen und krachte mit wildem und endgültigem Getöse in sich zusammen wie ein Kartenhaus, auf das man einen Stein gelegt hatte. Als sich die Staubwolke gelegt hatte, war der Weg so gründlich mit Felsbrocken vollgerümpelt, wie es nur ging. SkullSatamons letzter Plan war doch noch aufgegangen.

„Nein, nein nein!“ Cody rannte zu dem Trümmerberg. Die meisten der Brocken waren größer als er selbst und hundertmal so schwer. „Wir waren doch schon fast am Ziel!“
 

Davis lief den leeren Gang entlang, mit Tränen in den Augen. Sein Kopf fühlte sich wieder klar an, so als wäre eine lange Behandlung mit bewusstseinstrübenden Medikamenten abrupt abgesetzt worden. Als er dann Magnamon in all seiner Pracht gesehen hatte, musste er wieder an diesen einen, schrecklichen Tag denken, als Veemon auch zu Magnamon digitiert war, weil es Davis‘ unsägliche Wut gespürt hatte. Der Tag, an dem Kari gestorben war. Und als die Erinnerungen an ihr lachendes, freundliches und sterbendes Gesicht wieder in ihm hochquollen, hatte er es nicht mehr ausgehalten, dem Kampf bis zum Ende zuzusehen.

Taumelnd erreichte er ein hohes, eisernes Tor, dessen rechter Flügel nur angelehnt war. Er warf sich im Laufen mit seinem vollen Gewicht dagegen, drückte ihn auf – und stand plötzlich im Thronsaal der Finsterzitadelle.

Und von seinem Platz auf dem mittleren Thron in der gigantischen, grauschwarzen Halle sprang T.K. auf, als er ihn sah.

„Du!“, stieß Davis hervor und stürmte weiter. MagnaAngemon landete vor ihm, aber Davis schlüpfte einfach unter seinen ausgestreckten Händen durch, war mit wenigen Schritte bei T.K. und riss ihn mit einem wütenden Hechtsprung von den Füßen. Sie knallten auf den Hallenboden, Davis landete auf ihm. Aus den Augenwinkeln sah er ein Phantomon über einem anderen Thron schweben, aber das war ihm gleich. „Du!“, schrie er nochmal. „Verräter! Du … du mieser Hund!“

„Du kommst ganz alleine in unseren Thronsaal? Hast du den Verstand verloren?“, ächzte T.K. unter ihm. Aus seiner Kleidung strömten Fledermäuse und warfen Davis wie ein heftiger Windstoß von seiner Brust. Gleichzeitig standen die beiden auf.

Du bist es, der seinen Verstand verloren hat!“, spie Davis ihm wütend entgegen. „Du stellst dich gegen deine eigenen Freunde und stiehlst ihre DigiVices! Du bist eine Marionette der Macht der Dunkelheit geworden!“

„Das könnte interessant werden“, bemerkte Phantomon. Es rührte keinen Finger, um T.K. zu helfen, und genoss offensichtlich die Show.

„Bist du hierhergelaufen, nur um mir das zu sagen?“, fragte T.K. gelassen. „Du weißt, dass du diese Halle nicht mehr lebend verlassen wirst, oder?“

„Pah!“, gab Davis großspurig zurück. „Als ob ich hier sterben könnte! Ich werde von uns allen als letzter sterben, wenn überhaupt, und das schließt dich mit ein!“ Ganz so sicher war er sich da allerdings nicht mehr. Die Prophezeiung schien mit dem Verschwinden seiner Krankheit einiges an Glaubwürdigkeit eingebüßt zu haben.

„Was redest du da für einen Blödsinn?“

Du bist der, der hier Blödsinn redet!“ Davis geriet mehr und mehr in Rage, je länger er sich T.K.s aufgesetzt cooles Gesicht ansah. „Wie kannst du es eigentlich wagen … Wie kannst du es verdammt noch mal wagen, noch zu leben?!“

T.K. zog die Augenbrauen zusammen. „Wie war das?“, fragte er leise.

„Kari ist tot! Und du lebst immer noch und arbeitest für die Macht der Dunkelheit! Es hätte umgekehrt sein sollen! Du hast dein Leben nicht verdient, und du hattest Kari nicht verdient! Sie war so gutherzig, so grundgütig und freundlich, und du bist ein verlogener Bastard! Wie hast du sie auf deine Seite gezogen, hä? Was für Lügen hast du ihr erzählt? Wie konntest du es nur wagen, sie so auszunutzen! Sie dachte wirklich, dass du sie liebst!“

„Halt den Mund!“, schrie T.K. ihn an. „Du hast ja keine Ahnung!“

Aber Davis war nicht auzuhalten. Alles, was sich in ihm in den letzten Wochen angestaut hatte, brodelte an die Oberfläche, kochte siedend heiß über und ergoss sich auf T.K. „Du hast sie mit deinem falschen Getue von Treue und Liebe herumgekriegt! Du hast sie ausgenutzt – du wolltest sie nur ins Bett kriegen, hab ich nicht recht? Du bist das Letzte!“

„Halt endlich den Mund!“, brüllte T.K. außer sich. Jetzt war er es, der Davis mit einem Hechtsprung von den Füßen riss. Seine Faust knallte hart in Davis‘ Gesicht.

„Ja, los, schlag ruhig zu!“, schie Davis, während ihm Blut über das Kinn lief. „Wir wissen beide, was du für ein Mensch bist!“

T.K. hielt inne, die Faust noch erhoben. Sein Kinn zitterte vor Wut.

„Ich habe Kari geliebt“, rief Davis mit erstickter Stimme. Tränen stiegen in seine Augen. „Ich habe sie immer geliebt, seit ich sie gekannt habe! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie weh es getan hat, als ihr zwei dann ein Paar geworden seid!“ Er zog geräuschvoll die Nase hoch. „Ich hab überlegt, euch und der ganzen Gruppe den Rücken zu kehren, mich von euch für immer zu trennen, weil es mich fast zerrissen hat, dass Kari dich mir vorzieht! Aber ich bin geblieben, ich bin bei euch geblieben und hab alles ertragen, weil wir Freunde waren und ich diese Freundschaft nicht zerstören wollte!“

T.K. horchte auf. Er hatte nicht gewusst, in welchem Dilemma sich Davis all die Zeit befunden hatte.

„Ich hab mir dann eingeredet, dass es schon in Ordnung ist, mir ist klargeworden, dass ich zufrieden bin, wenn Kari mit dir glücklich wird!“ Davis‘ Augen wurden hart, immer noch mit Tränen gefüllt. „Aber dann hast du sie hintergangen! Ich kenne Typen, die machen an einem Tag mit ihrer Freundin Schluss und am nächsten haben sie eine andere, aber was du getan hast … Kaum dass Kari tot war, hast du dich der Macht der Dunkelheit angeschlossen!“ Er packte T.K, der immer noch auf ihm saß, am Kragen, zog sein Gesicht zu sich herab und verpasste ihm eine kräftige Kopfnuss auf die Nase.

Mit einem dumpfen Aufschrei rollte sich T.K. von ihm herunter. Seine Nase blutete heftig, Tropfen fielen zu Boden. Blutstropfen wie damals, als der Engelsmörder Kari die Kehle durchgeschnitten hatte …

„Ich habe Kari geliebt“, sagte T.K. mit nasaler Stimme. „Und ich liebe sie immer noch. Ich würde alles tun, um sie ins Leben zurückzuholen, aber es geht nicht!“

„Du kannst dir deine Lügen sonstwo hinstecken!“, schrie Davis „Du kannst noch so viel von Liebe reden! Ich hätte Karis Freund werden sollen, ich hätte sie beschützt!“

„Du warst doch an jenem Tag auch da, oder? Hast du nicht gerade um Veemon gejammert, als es passiert ist?“, höhnte T.K. Dann atmete er tief durch und fand seine Ruhe wieder. „Egal, was du sagst, ich habe meinen Weg gewählt. Du wirst mich nicht davon abbringen, dafür bin ich schon zu weit gekommen!“

„Hast du denn alles vergessen?“ Davis packte den Rand seiner Kapuze an seinem Hals. Immer noch trübten Tränen seinen Blick, Tränen aus Trauer um seinen einstigen Freund. Er konnte selbst nicht glauben, dass T.K. ihnen allen etwas vorgespielt hatte, er wollte es nicht glauben! T.K, als Handlanger der Dunkelheit, von Anfang an? Was für ein bodenloser Unsinn! Auch wenn er Kari betrogen, benutzt und verraten hatte, das konnte doch nichts mit der Dunkelheit zu tun haben! Lauthals schrie er darauf los, obwohl T.K.s Gesicht nur Zentimeter von seinem eigenen entfernt war. „Wir haben so lange zusammen in der DigiWelt verbracht! Du warst sogar länger hier als ich! Wir haben zusammen gelacht und zusammen gekämpft, wir haben Spaß gehabt, wir haben zusammen Niederlagen eingesteckt und zusammen am Ende immer gewonnen!“

T.K drehte den Kopf zur Seite und wandte den Blick ab. „Das ist lange her.“

„Und wennschon!“ Davis verstärkte seinen Griff, bis seine Fingerkuppen zu explodieren schienen. „Weißt du nicht mehr, was an diesem einen Tag geschehen ist? Oikawa hat seinen Lebenstraum, in die DigiWelt zu gehen, aufgegeben, um der DigiWelt eine Zukunft zu geben! Er war als erster Erwachsener dazu auserwählt, ein DigiRitter zu werden, er hatte sogar schon ein Digimon! Und trotzdem … trotzdem hat er sich geopfert, für uns alle und für die Digimon und die DigiWelt! Du bist das genaue Gegenteil, du hattest alles, was er je wollte, und jetzt verwendest du es, um die DigiWelt zu zerstören! Wach auf, verdammt, das bist nicht du! Ich kann nicht glauben, dass du das bist! Wenn du so wärst, hätte Kari dich niemals auch nur angesehen, so dumm wäre sie nicht gewesen!“

T.K. senkte betreten den Blick. Davis ließ ihn los und trat einen Schritt zurück. Sein tränenverschleierter Blick wurde weich. Er hielt T.K. die Hand hin. „Na komm schon. Du bist immer noch ein DigiRitter. Komm mit, wir gehen zu den anderen. Sie warten draußen vor dem Tor. Magnamon kämpft gerade gegen SkullSatamon. Gemeinsam können wir das Ruder immer noch rumreißen und diesen Krieg beenden.“ Dann erst würden sie sich wieder wegen Kari streiten können, das hatte er erkannt. Vielleicht konnten sie gemeinsam trauern – oder sie schlugen sich gegenseitig die Zähne aus, aber das konnte warten, bis die DigiWelt gerettet war.

Aus den Augenwinkeln sah Davis, wie Phantomon sich anspannte. Wie zufällig klirrte die Kette an seiner Sense. T.K. sah zu Boden, seine Haare verdeckten seine Augen. Als er sprach, war seine Stimme leise, kaum hörbar. „Du warst schon immer so, Davis. Du bist so herzensgut, ehrlich und nobel … Du bist ein Mensch, der immer einen Weg findet, zu anderen durchzudringen.“ T.K. hob den Blick und seine Augen waren hart und kalt. „Aber ich habe meine Entscheidung getroffen. Piedmon wird wiederauferstehen!“

„Du bist verrückt!“, schrie Davis und stürzte sich mit bloßen Händen auf ihn. „Du verdammter, verdammter Verräter!“

T.K. stieß ihn von sich. Sein DigiVice leuchtete auf. Sein Umhang flatterte und ein Schatten in Form von Myotismons Maske stülpte sich über Davis und legte sich über ihn wie Spinnweben. Sämtliche Kraft wurde aus seinen Gliedern gezogen und plötzlich sah er alles nur noch in Schwarzweiß. T.K. stürzte sich auf ihn und riss ihn zu Boden, doch er spürte den Aufschlag nicht mehr. Davis war unfähig, sich zu bewegen.

Genau das hat der Engelsmörder mit Ex-Veemon gemacht …

„Du … benutzt sogar die Attacken von … Karis Mörder“, brachte Davis mühsam hervor. In T.K.s Augen flackerte wieder Zorn auf. „Du … kannst nicht gegen mich gewinnen …“, murmelte Davis. „Ich … kann nicht sterben … ich sollte doch länger leben als … ihr alle …“

„Du vergisst ein ganz bekanntes Sprichwort, Davis“, sagte T.K. und zog Piedmons Schwert aus der Schlaufe. Davis hörte und spürte das Singen des Stahls, als sein Freund die Klinge an seine Kehle setzte. „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“

Er holte aus und stieß zu.

Hör auf!

T.K. stutzte. Die Schwertspitze prallte einen Fingerbreit neben Davis‘ Hals gegen den Steinboden. Eine hauchfeine, rote Linie wurde auf seiner Haut sichtbar, kaum tief genug, um einen Blutstropfen herzugeben. Was war das für eine Stimme gewesen?

Tu es nicht!

Er sah sich suchend um. Kurz glaubte er, am Rande seines Blickfelds etwas glitzern zu sehen, aber als er den Kopf drehte, war da nichts. Davis hatte das Bewusstsein verloren. Phantomon sah nicht so aus, als hätte es etwas gehört. Das Geistdigimon schwebte näher.

„Das war eine sehr emotionale Vorstellung, Meister Takeru“, sagte es. „Was werdet Ihr mit ihm tun? Wollt Ihr ihn etwa leben lassen?“

T.K.s Augen flackerten zu Davis zurück. Er hatte es nicht vorgehabt. Davis hatte ihn so sehr in Rage gebracht, dass er ihn getötet hätte. Aber diese Stimme hatte ihn zurückgehalten … Er lächelte bitter. Natürlich. Sein Gewissen versuchte erneut, ihn zu quälen, weil es sich nicht so einfach abstreifen lassen wollte. Die Zeit an Karis Seite hatte sein Herz eben doch zu weich gemacht. Er straffte die Schultern und stemmte sich an seinem Schwert hoch. „Das ist vielleicht eine gute Idee. Wenn er die Wahrheit gesagt hat, sind die anderen DigiRitter ganz in der Nähe und werden wohl in Kürze hier hereinstürmen. Ich dachte eigentlich, dass ich ihren Kampfeswillen gebrochen habe, aber scheinbar hab ich sie unterschätzt. Wenn wir ihn als Geisel haben, können wir sie vielleicht endgültig in die Flucht schlagen.“

Als er seinen Umhang glattstrich, ertönte ein Geräusch vom Tor her. Jemand klatschte in die Hände, demonstrativ langsam. Dann trat ein Junge mit sandfarbenem Mantel hinter dem halb geöffneten Torflügel hervor. Taneo. Phantomons Kette rasselte angespannt und MagnaAngemon brachte sich hinter T.K. in Position.

„Ich muss Phantomon Recht geben, es war tatsächlich eine herzergreifende Konfrontation alter Freunde.“ Taneos Stimme klang immer noch melodisch wie die eines Sängers, der sein Talent selbst im normalen Gespräch nicht zurückhalten konnte. „Verzeiht mir, wenn ich vor euch nicht auf die Knie falle, aber warum sollte ich euch Respekt erweisen, wenn ich es LadyDevimon gegenüber auch nicht getan habe?“

Phantomon wiegte seine Sense in der Hand. „Da SkullSatamon draußen im Hauptgang kämpft, nehme ich an, du bist über einen Geheimgang bis zum Tor gekommen. Habe ich recht?“

Taneo grinste so breit, dass sich die Narbe, die sich von seiner Nase bis über seine Wange zog, verzerrte. Seine Locken waren leicht zerzaust von seinem Flug auf Gigadramon. „Immerhin haben wir diese Zitadelle noch vor euch erkundet. Ihr hättet sie digital abscannen oder mit Echolot durchchecken sollen. Es gibt zwei geheime Gänge zum Thronsaal. Im linken wird gerade heftig gekämpft, also habe ich den rechten genommen.“

„Du wirst es bereuen, diese Hallen je betreten zu haben!“, fauchte Phantomon.

Taneo hatte nur ein Lächeln für es übrig und deutete mit dem Kinn auf Myotismons Tor und den Steintisch. „Ah, ich sehe, es ist schon alles vorbereitet?“

„Fast alles“, sagte T.K. Sein neues DigiVice erglühte. „Albtraumkralle!“ Eine rot zuckende Lichtschlange schnellte aus seiner Hand und durchschlug Phantomons Körper der Länge nach. Das Geistdigimon starrte ihn aus großen, gelben Augen an, ehe es sich in einen glitzernden Datensturm auflöste. „Jetzt ist alles vorbereitet“, sagte T.K. und senkte den Arm wieder.

Taneo lächelte und trat näher. „Alle Achtung. Du bist wirklich ein begnadeter Schauspieler, Senpai. Ich bereu’s nicht, dass ich auf deinen Vorschlag eingegangen bin.“

„Sagen wir, ich habe mir Mühe gegeben“, meinte T.K. achselzuckend. „War es eigentlich nötig, dass du deine Freunde nicht eingeweiht hast? Sie hätten mich beinahe Kopf und Kragen gekostet.“

Nun zuckte Taneo mit den Schultern. „Wenn sie dich getötet hätten, wärst du es doch nicht wert gewesen, mit mir zusammenzuarbeiten, oder was meinst du?“ Sie gingen gemeinsam die Stufen zur Empore hoch, auf der der Steintisch stand. „Außerdem“, fuhr Taneo fort, „hast du ja Aki besiegt – und das hat ihn Kopf und Kragen gekostet. Ich finde, die Risiken waren gerecht verteilt.“

„Durch Akis Tod bin ich überhaupt erst so weit gekommen. Die Scherben hätten mich sonst nie akzeptiert. Sie hätten nie die restichen Karten gefunden, und selbst wenn – ich war der einzige, der wusste, welche Karten ihr schon habt. Außerdem hätten die Scherben von alleine nie den Zug gemacht, euch zum entscheidenden Kampf herauszufordern, und das Geplänkel wäre ewig weitergegangen.“

„Mit deiner Schauspielkunst hab ich eigentlich gemeint, dass du deine Freunde hinters Licht führst. Das war doch sicher nicht leicht?“

„Eigentlich war’s der einfachere Teil“, meinte T.K. leichthin. „Ob ich nun für die Scherben arbeite oder für die Dunklen, hätte für sie sicher keinen Unterschied gemacht. Und für die DigiAllianz auch nicht.“

„Nun, was das Bekämpfen der DigiAllianz angeht, warst du wirklich verdammt gut“, sagte Taneo amüsiert. „Was uns angeht, auch. Verdammt, du hast unsere Festung echt zu Kleinholz verarbeitet.“ Er lachte.

„Was meinst du, werden es deine Freunde schaffen?“, fragte T.K.

Wieder erhielt er nur ein Achselzucken als Antwort. „Die feindlichen Armeen sind so gut wie ausgelöscht, also brauche ich sie nicht mehr zwingend.“ Er deutete auf den Apparat, der den Steintisch umgab und von dem ein elektrisches Knistern ausging. „Was ist das?“

„Die Scherben haben es gebaut. Der Steintisch hat seine Tücken; je nachdem, wie man die Karten auslegt, öffnen sich Tore zu den verschiedensten Welten. Wenn man in die Reale Welt will, muss man sich zum Beispiel an das Level und den Typus der Digimon auf den Karten halten. Durch Probieren das Tor zu finden, das zu Piedmon und der Welt hinter dem Himmelstor führt, ist viel zu langwierig. Diese Apparatur überprüft die Kombination und findet heraus, ob sie das richtige Tor öffnet. Dank ihr haben sie sogar schon das System herausgefunden, wie die Karten anzureihen sind.“

T.K. legte die Karten, die er bei sich trug, auf ihre Plätze. Um das richtige Tor zu öffnen, musste man die Vertikale und die Horizontale vertauschen, sodass die Virus-Digimon ganz unten lagen, und außerdem musste man darauf achten, dass man jene Digimon, die fliegen konnten, in die erste Spalte legte und Drimogemon, das unter der Erde lebte, in die letzte. Der Rest schien ziemlich willkürlich zu sein, aber die Scherben hatten auch für diese Karten die richtigen Positionen gefunden.

Taneo schnalzte mit der Zunge und grinste T.K. an. „Das ist ja wunderbar.“ Er zog seine eigenen Karten aus der Manteltasche. „Dann wollen wir mal einen traurigen Clown befreien.“

Hellclown

Finsterzitadelle, DigiWelt

Montag, 3. September 2007

23:43 Uhr
 

Ken war auf der Flucht. Mit seinem heilen Bein sprang er, so gut es ShogunGekomons Königssprung erlaubte, durch den Gang. Ansatsu verfolgte ihn im Zick-Zack-Kurs, die beiden Stacheln angriffslustig nach vorn gereckt. Ken wusste nicht, was er tun sollte. Er könnte seine rechte Faust mit Gotsumon-Felsen überziehen und hätte dann je eine Hand für beide Stacheln zur Verfügung. Allerdings fühlte er langsam die bleierne Müdigkeit. Von der Schlacht und dem vielen Kämpfen schmerzten seine Glieder. Ansatsu war vielleicht zu schnell, um beide Stacheln abzuwehren … Wenn er ihn doch nur von sich fernhalten könnte!

Ein kurzer Blick nach hinten sagte ihm, dass der Gang zuende war. Die Detonationen von vorhin hatten die brüchige Decke so weit erschüttert, dass einer der Pfeiler, der sie hielt, komplett in sich zusammengebrochen war. Der Rückweg zu den anderen war ihm also versperrt.

Ansatsu legte noch einen Zahn zu, wollte es so schnell wie möglich hinter sich bringen. Ken deckte ihn mit Blitzen und Feuerbällen ein, doch der Attentäter wich ihnen mit akrobatisch anmutenden Bewegungen aus. Ken biss sich auf die Lippen. Wenn er ihn doch nur einfrieren könnte … Aber IceDevimons Gefrierblick war nicht stark genug um ihn zu lähmen und besaß nicht genug Wirkungsradius … Er brauchte mehr, mehr Eis, mehr Kälte …

Wie ein Blitz durchfuhr es ihn. Seine Freunde auf dem Schlachtfeld, MetalGarurumon, das verrückt spielte. Und er, wie er dessen Mega-Attacke abfing.

Ansatsu war gefährlich nahe. Jetzt oder nie! „Metallische Wolfskralle!“, befahl Ken donnernd und hoffte, dass seine Worte die Wirkung noch verstärkten. Er streckte die Hand aus und die Luft davor schlug Wellen, und eine Lawine aus flüssigem Eis rauschte auf Ansatsu zu. Der Assassine schaffte es, sich darunter hindurchzuwerfen, doch das Eis erwischte seine Füße und hüllte sie in klobige Eisblöcke. Ansatsu rutschte auf dem Boden weiter, machte eine harsche Bewegung und Ken sah mit blitzender Nadel eine DemiDevimon-Giftspritze auf sich zusausen. Die Zeit schien den Atem anzuhalten. Nein, er würde diesmal nicht zurückzucken! Er sah Yoleis Gesicht vor sich, das ihn bewundernd ansah, auch wenn er nicht wusste, wieso. Entschlossen ballte er die Faust. Er hatte es ihr versprochen. In Windeseile, noch während er zuschlug, überwuchsen Steinsplitter seine Haut. Die Spritze zerbarst klirrend an der Felsenfaust. Als Ken den Blick hob, sah er, dass sich Ansatsu nur mit den Händen vom Boden abstieß, mehr oder weniger auf seinen vereisten Füßen landete und genau in Kens Arme stolperte, die linke Hand mit dem violetten Stachel ausgestreckt.

Oh nein, er würde Ken nicht mit Stingsmons Attacke erledigen! Diesmal hielt sich der Pirat nicht zurück. Er stieß ihm die linke Handfläche entgegen. Der Letzte Stich löste sich einen halben Zentimeter vor seinem Handballen auf, seine Finger umschlossen Ansatsus Faust. Der Assassine fiel schwer gegen ihn und riss den rechten Arm hoch, der in dem schwarzen LadyDevimon-Stachel endete, und stieß senkrecht nach Kens Augen. Ken sammelte die eben kopierte Energie und ließ Stingmons Stachel aus seinem rechten Handgelenk wachsen, und noch ehe Ansatsu ihn erwischte, rammte er ihm den Letzten Stich über dem Schlüsselbein quer in den Hals.

Ansatsus Muskeln zuckten. Kurz vor Kens Gesicht löste sich der Stachel auf, der Arm fiel schlaff herab. Sein Kinn lag plötzlich schwer auf Kens Schulter. Der Assassine bebte. Ken wurde sich bewusst, dass er tonlos lachte. „Stingmon …“ Ein Röcheln begleitete seine Worte. „Natürlich. So schließt sich der Kreis. Ich war ein Künstler, und meine Kunst war der Tod. Und ein jeder Todeskünstler endet als Kunstwerk eines anderen. Das ist das Schicksal eines Assassinen …“ Warmes Blut benetzte Kens Schulter und Brust, als Ansatsus Körper erschlaffte und von ihm abfiel.

Ken starrte den Dunklen an, sein Kinn zitterte. Er hatte einen Menschen … einen Menschen … Er fiel neben Ansatsus Leiche auf die Knie und begann hemmungslos zu schluchzen.
 

„Hier müsste der rechte Geheimgang sein!“, sagte Joe, der die anderen durch die Festung führte. Er hatte ihnen erzählt, dass Ken wahrscheinlich immer noch auf der linken Seite kämpfte, und es laut dem Plan im Bunker noch einen rechts gab. Sie bogen um die Ecke, wo sie das kaum erkennbare Loch in der Wand vorzufinden hofften – und blickten direkt in ein hässliches Auge. Mit einem Aufschrei prallten sie zurück. „Gigadramon!“, stieß Izzy aus. Das Drachendigimon lag ausgestreckt in dem Gang und knurrte die DigiRitter an. Seine Kanonen waren irgendwo unter seinem massigen Körper verschwunden; es lag wie eine große Nacktschnecke da. Kein Zweifel, dass es sie nicht vorbeilassen würde, und scharfe Zähne hatte es immer noch.

„Ich wisst, was das heißt“, sagte Gennai düster.

„Hallo, Leute!“ Fröhlich winkend rannte Yolei auf die Gruppe zu, Sora und Matt und ihre Digimon hinter ihr. Matt schien an der Schulter verletzt zu sein, denn sein Hemd hatte sich ein wenig rot verfärbt und er hielt den Arm seltsam steif, aber ansonsten schien es ihnen gut zu gehen. „Nanu, Gennai, Sie sind auch hier?“

„Wo wart ihr?“, fragte Cody.

„Das ist eine lange Geschichte“, sagte Yolei und kratzte sich verlegen im Genick. „Also, zuerst wollten wir Ken unterstützen, aber der Gang zu ihm ist verschüttet. Dann haben wir den Hauptweg zum Tor genommen, aber das war auch verschüttet … also dachten wir uns, ihr seid alle hier beim rechten Geheimgang.“

„Hier scheint es aber auch nicht weiterzugehen“, sagte Sora leise.

„Gigadramon.“ Matt sah das Digimon finster an. „Das heißt, Taneo ist auch schon auf dem Weg zum Thronsaal.“

„Davis ist auch dort“, berichtete Cody.

„Dann hoffen wir, dass er dort etwas erreichen kann.“
 

„Das ist die letzte“, sagte Taneo und legte Gomamons Karte auf ihren Platz. Gespannt warteten er und T.K, dass sich das Tor öffnete. Nichts geschah. „Ist das Ding kaputt?“, fragte Taneo ärgerlich und deutete auf den elektrischen Apparat.

T.K. legte die Stirn in Falten. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Rookie-Serum-Karte auf diesen Platz gehört. Alle anderen Karten stimmen auch. Eigentlich müsste die Apparatur jetzt das Tor aktivieren. Es sei denn …“ Er senkte düster den Blick. „Natürlich. Ich weiß, warum es nicht aufgeht.“

„Und zwar?“

„Es gibt noch eine andere Rookie-Serum-Karte. Es gibt zwei Karten von Gomamon, und noch eine, auf der Agumon ist.“

Taneo horchte auf. „Bist du sicher? Woher willst du das wissen?“

„Als Myotismon damals in die Reale Welt gereist ist, hat es nur neun Karten gehabt. Wir haben von Gennai zehn Karten bekommen, und Tai hat zwischen Agumon und Gomamon entschieden. Oikawa hat später, glaube ich, Agumon statt Gomamon verwendet und ist in die Welt gekommen, in der Myotismon sich später versteckt hat, also ist Agumons Karte genauso gültig wie die anderen auch. Wahrscheinlich brauchen wir sie, damit der Apparat anschlägt.“

„Toll. Sag mir, dass du weißt, wo sie ist, und wir nicht den ganzen Kampf umsonst veranstaltet haben.“ Taneo tippte ungeduldig mit den Fingern auf seinen verschränkten Armen herum.

Eine Bild stieg aus T.K.s Erinnerung auf wie eine Luftblase in einem See. Das verschneite Feriencamp, die grenzenlose Erleichterung, wieder zuhause zu sein … Koromon, das Tai fragte: Warum hast du nicht meine Karte genommen? Und Tai, der scherzhaft antwortete: Die wollte ich als Souvenir behalten. „Tai muss sie noch haben“, sagte er. „Aber er hat sie sicher irgendwo bei sich zuhause – ich muss in die Reale Welt.“

Taneo schnaubte. „Haben wir ein Glück, dass ich mein Tablet dabei habe.“ Er fischte das kleine Gerät aus einer Tasche seines weiten Mantels, reaktivierte es und stellte es auf den Marmorboden.

T.K. musste lächeln. „Also zu meiner Zeit hat man die DigiWelt noch über Fernseher verlassen.“

„Wo willst du hin?“

„Mach mir ein Tor nach Odaiba auf.“

Taneo tippte auf dem Touchpad herum. „Fertig. Lass dir nicht zu lange Zeit.“

„Ich bin gleich wieder da.“ T.K. hielt Akis DigiVice hoch. „Öffne dich!“ Eine Sekunde später wurde er in den kleinen Bildschirm gesaugt, während Taneo und Angemon im Thronsaal der Finsterzitadelle blieben.
 

Tokio, Japan

Montag, 3. September 2007

23:54 Uhr
 

Er wurde aus einem Computer geschleudert, der in einer maroden Garage stand. T.K. fragte sich, ob die Dunklen sich immer hier materialisiert hatten. Er trat auf die Straße hinaus. Es waren kaum noch Autos untwegs, aber er sollte wohl ein Taxi bekommen … da fiel ihm auf, welche Sachen er anhatte. Ein dunkler Umhang und ein Schwert auf dem Rücken waren vielleicht nichts, was er der Öffentlichkeit zumuten sollte. Als er ein Pärchen sah, das Arm in Arm die Straße herunterkam, duckte er sich hinter einen Müllcontainer. Ohne ein Fortbewegungsmittel war er aufgeschmissen.

In dem Moment hätte er sich am liebsten gegen die Stirn geklatscht. Als ob er ein Auto bräuchte! Er schlich durch die von Straßenlaternen erhellte Stadt, um sich zu orientieren. Alles hier sah so vertraut aus, das An- und Abschwellen von fernen Motoren, die kühle Nachtluft, das warme Leuchten der Laternen … Wie lange war er jetzt schon nicht mehr in dieser Welt gewesen?

Genau einen Monat, sagte er sich. Er schüttelte den Gedanken ab. Das zählte jetzt nichts mehr.

Nachdem er wusste, wo er war, rief der Myotismons Fledermäuse, und genau wie das Digimon vor acht Jahren ließ er sich von ihnen über den Nachthimmel tragen, sodass er von unten nur ein träger Schemen war, wie eine Wolke, die sich vor die Sterne schob.

In der Nähe von dem Apartmenthaus, in dem Tais Familie ihre Wohnung besaß, ließ er sich sanft zu Boden sinken. Er ging die Stufen bis zu der Wohnungstür hinauf, als er sah, dass jemand direkt davorstand. Schon wollte er kehrtmachen und sich verstecken, aber die Person hatte ihn nicht nur gesehen, sondern offenbar auch gleich erkannt. „Hey, hallo!“

Niemand anders als Davis‘ ältere Schwester Jun lief nun auf ihn zu und strahlte übers ganze Gesicht. Ausgerechnet! Wie viel Pech konnte man haben? „Du bist doch Matts süßer kleiner Bruder! Was machst du denn hier?“

T.K. sah verlegen in ihr gut gelauntes Gesicht. Das kirschrote Haar stand immer noch in alle Richtungen ab. Soweit er wusste, hatte Jun an Joes älterem Bruder ebenso schnell das Interesse verloren, wie es geweckt worden war, und war in letzter Zeit von einer kurzlebigen Beziehung in die nächste gestolpert. Einzelheiten hatte Davis nie erzählt, nur, wie sehr in das doch alles nerve.

Davis. Der Junge, der jetzt bewusstlos in der Finsterzitadelle lag. Ob Taneo die Gelegenheit nutzen würde, ihn umzubringen?

„Hallo? Ist irgendwas?“, weckte ihn Juns hohe Stimme aus seinen Gedanken.

„Äh, nein, nichts. Aber was machst du denn hier, mitten in der Nacht?“

Sie blies beleidigt die Backen auf. „Na hör mal, ihr seid ja alle schon eine Ewigkeit weg. Davis hat gesagt, dass ihr campen fahrt, aber einen ganzen Monat … Unsere Eltern sind schon ganz aus dem Häuschen, sag ihm das, wenn du ihn siehst. Ich hab sie gerade noch von einer Vermisstenanzeige abhalten können, weil es wahrscheinlich wieder was mit Digimon zu tun hat, stimmt’s? Ach ja, und ich war gerade in der Nähe und dachte, ich schau mal bei Tai vorbei. Vielleicht weiß er ja, wo Davis steckt, aber es macht niemand auf.“

Dann waren Tais Eltern wohl gerade nicht zuhause, das war gut. Kari war tot in der DigiWelt begraben, und Tai war schwer verletzt gewesen, als er ihn das letzte Mal gesehen hatte.

Nachdem Juns Wortfluss endlich versiegte, sagte T.K: „Das ist ja ein Zufall, ich suche ihn nämlich auch gerade.“

Juns Miene wurde mutlos. „Ihr wart also nicht beisammen?“

„Doch, schon, aber nur für unseren Campingurlaub. Er hat ein wenig länger gedauert, als geplant“, schwindelte er. „Wir wollten alle noch zu einer Party gehen.“

„Eine Party?“

T.K. versuchte vergeblich an ihrer Stimme festzustellen, ob diese Behauptung jetzt ein Riesenfehler gewesen war, der sie unrettbar an ihn kleben würde. „Ja, zum Abschluss unseres Urlaubs, aber ich … Ich weiß nicht, wo genau sie steigen soll. Ein Fußballfreund von Tai organisiert sie, darum bin ich hier.“

„Ach so.“ Jun wirkte nicht überzeugt, aber das war T.K. im Grunde ja egal. Sie sollte einfach von hier verschwinden! Jetzt erst bemerkte sie seinen Umhang. „Was ist das für ein Aufzug? Kommst du gerade von einer Anime-Convention?“

„Äh, ja, genau.“ T.K. kratzte sich verlegen am Hinterkopf und versteckte die verletzte Hand hinter seinem Rücken. Wie lange würde er noch den harmlosen Jungen spielen müssen? „Hat ein wenig länger gedauert, als sie sollte. Naja, die anderen sind sicher schon auf dieser Party, ich werde mal nach Hause gehen und meine E-Mails checken, vielleicht hat mir ja einer geschrieben. Also, mach’s gut!“ Er drehte sich um und wollte die Treppe hinunterlaufen, aber Jun hielt ihn zurück.

„Moment.“

„Ja …?“

T.K. überlegte schon, was er tun sollte, wenn sie nicht locker ließ, aber da sagte sie nur: „Sag Davis, er soll sofort nach Hause kommen, wenn ihr fertig seid. Wenn er in der DigiWelt wäre, um dort wieder mal den Polizisten raushängen zu lassen, würden unsere Eltern vielleicht ein Auge zudrücken, wenn er nicht zur Schule geht, aber wenn ihr nur Party und Urlaub macht, gibt’s Stunk!“

Was für eine pflichtbewusste Familie. „Ich sag’s ihm“, versprach T.K.

„Gut. Und grüß Matt von mir, ja?“ Jun zwinkerte und begleitete ihn dann noch die Treppe runter. Sie verabschiedeten sich überschwänglich und das Mädchen machte sich auf den Weg. T.K. ging in die andere Richtung und wartete hinter der nächsten Hausmauer, bis er sicher war, dass sie fort war. Dann schlich er auf leisen Sohlen zu Tais Wohnung zurück.

Es war also niemand zu Hause? Bestens. Er streckte die Hand aus und schlug mit einer Albtraumkralle das Schloss aus der Tür, dann zertrennte er die Sicherheitskette und trat ein. Aus der Hausapotheke klaute er einen sauberen Verband und bandagierte seine linke Hand ein. Dann stellte er Tais Zimmer auf den Kopf – wie konnte er nur in so einer Unordnung leben? – und wurde in einem Wandschrank, ganz hinten, von Fußballpokalen und alten Zeitschriften versteckt, fündig. Triumphierend hob er die verstaubte Karte mit Agumons Abbild hoch.

Kurzerhand ging er in das Arbeitszimmer von Tais Vater, startete den PC und öffnete mit seinem neuen DigiVice das Tor zur Finsterzitadelle.
 

Finsterzitadelle, DigiWelt

Dienstag, 4. September 2007

0:35 Uhr
 

„Na endlich“, sagte Taneo ungeduldig. „Hast du sie?“

Zum Beweis hielt T.K. die Karte hoch.

„Gut. Dann gib her.“ Er schnappte sich die Karte aus T.K.s Fingern und legte sie an Gomamons Stelle. Summend tasteten die Blitze über die Kartenkombination, dann gab die Apparatur ein Rattern von sich, das auf das Tor übergriff – und mit lautem Knarren öffneten sich schwerfällig die gigantischen metallenen Torflügel. T.K. hielt die Luft an. Es ging tatsächlich auf! Alles Licht schien aus dem Thronsaal zu verschwinden; nur noch aus dem Tor drang schummrige Helligkeit. Kreisförmige Wellen zogen sich über das Licht hinter dem Tor, das lange Schatten in die Halle warf. Sonst war nichts zu sehen. So sah es also hinter MagnaAngemons Himmelstor aus?

„Es ist soweit“, flüsterte Taneo zufrieden. Er starrte einen Moment begeistert in das wabernde Licht, dann fand er mit einem Ruck seine Geschäftigkeit wieder. „Okay, hör zu. Sobald Piedmon da ist, bringen wir es dazu, seine Schwerter auf uns zu werfen. Ich habe eine Attacke gespeichert, die uns schützen wird.“

„Wenn du Piedmons Schwerter zerstörst, erscheinen sie wieder an seinem Rücken“, warnte ihn T.K.

„Das hab ich vermutet. Es wird klappen. Senpai, sobald wir die Schwerter haben, muss MagnaAngemon Piedmon wieder in sein Himmelstor verbannen. Ich habe überlegt, ihm die Karten hinterherzuwerfen, aber das ist zu riskant. Wer weiß, ob es nicht auch dort so ein Tor gibt. Also teilen wir uns die Karten auf und verwahren sie gemeinsam, und es kann auf ewig dort versauern.“

„Ein einfacher Plan“, stellte T.K. fest. „Aber wie kriegen wir Piedmon dazu, herauszukommen?“ Noch tat sich gar nichts zwischen den Torflügeln.

„Die Welt, die hinter dem Tor liegt, hat ein eigenes Konzept von Raum und Zeit“, sagte MagnaAngemon. „Man wird nicht sehen, ob und wo ein Tor offen ist. Versucht Piedmon zu rufen, vielleicht klappt es.“

T.K. und Taneo sahen sich an. „Einen Versuch ist es wert“, sagte T.K. Taneo nickte.

Mit lauter Stimme riefen sie beide: „Piedmon!

Und das Licht, das durch das Tor fiel, veränderte sich, und der Schatten einer einzelnen, winzig erscheinenden Gestalt fiel in den Thronsaal.
 

„Das dauert ja ewig!“, stöhnte Yolei. Sie waren wieder im Hauptgang und Digmon versuchte, sich einen Weg durch die Trümmer zu bohren. „Da drin kann mittlerweile sonstwas im Gange sein!“

„Davon, dass du dich beschwerst, geht’s auch nicht schneller“, sagte Cody gereizt.

Gennai hatte sich wieder in sein Mekanorimon gesetzt und half mit, Stein zu schmelzen und Trümmer mit den Pranken des Maschinendigimons aus dem Weg zu räumen.

„Wir können leider nichts anderes tun als geduldig zu sein“, sagte Matt und musterte den riesigen Schutthaufen mutlos.
 

T.K. fühlte sich wie in der Zeit zurückversetzt. Als er die Schritte auf dem Steinboden hörte, den schlanken Körper des Clowns auf sich zukommen sah, einen Fuß vor den anderen setzend, ruhig, umständlich in seinen Pluderhosen, da dachte er an den Tag vor acht Jahren, als er ihnen auf der Spitze des Spiralsbergs entgegengekommen war, gelassen, und wie ein endgültiger Geschmack auf T.K.s Zunge gelegen war. So fühlte er auch heute die eisigen Nadeln, die die Angst über seinen Rücken sandte, als Piedmon in der völligen Stille aus dem Tor in die DigiWelt trat. Reiß dich zusammen, sagte er sich.

Piedmon blieb stehen und das einzige Geräusch, das die Halle erfüllt hatte, erstarb. Es sah anders aus, als T.K. es in Erinnerung gehabt hatte. Nicht so furchterregend, nicht so groß. Aber in seinen Augen lag eindeutig ein anderer Ausdruck als damals. Immer noch funkelten sie vor Boshaftigtkeit, aber sie schienen trübe zu sein, müde. Alt.

„Na sieh mal einer an“, durchschnitt Piedmons Stimme die Stille. Genau, das war seine Stimme gewesen, kein Zweifel. Nie würde er sie vergessen. Aus seinen ungewohnten, alten Augen musterte das Digimon Taneo, den am Boden liegenden Davis und schließlich T.K. „Tausend Jahre sind vergangen, und ich habe diesen schicksalhaften Tag immer noch in Erinnerung, als wäre er gestern gewesen. Und jetzt, wo mich endlich wieder jemand in die DigiWelt gerufen hat, erkenne ich das Gesicht wieder, das mich damals verbannt hat.“

Seine Augen brannten sich in T.K.s. Den anderen schien das Digimon gar keine Beachtung zu schenken, aber es hatte ihn erkannt. Tausend Jahre? Wie war das möglich?

Beim schneidenden Klang seiner Stimme fühlte T.K. eine längst vergessen geglaubte Angst in sich aufsteigen. Er sah sich noch einmal vor Piedmon fliehen, panisch, während es einen seiner Freunde nach dem anderen in Schlüsselanhänger verwandelte. Dann fielen sie. Und fielen und fielen und fielen … Er gab sich innerlich einen Ruck, würgte den Gedanken entschlossen ab. Er war nicht mehr das Kind von damals! Er war stärker geworden – viel stärker! „Schön, dass du dich an mich erinnerst, Piedmon“, sagte er bewusst lässig. „Fällt dir etwas auf? Ich habe jetzt alles, was einmal dir gehört hat. Ich habe dein Schwert, deine Vilemon und deine Albtraumsoldaten, und mir gehört der Thron über die DigiWelt.“

„Wie nett von dir, ihn mir warmzuhalten“, sagte Piedmon höhnisch. „Wie ich sehe, hast du neue Spielkameraden gefunden, mein Kleiner.“

„Du siehst hier die DigiRitter aus drei verschiedenen Generationen“, sagte T.K. und deutete auf sich selbst, Taneo, der stumm neben ihm stand, und Davis.

„Ist das so? Ihr wart schon immer ein jämmerlicher Haufen, aber das …“ Piedmon lächelte schmal. „Dann werde ich mich wohl besser an die Arbeit machen. Trumpfkarte!“ Es wirbelte herum, riss seine drei verbleibenden Schwerter aus den Scheiden und schleuderte sie auf T.K. und Taneo.

„Jetzt!“, schrie T.K.

Taneo streckte die Hände aus. Sein DigiVice glühte grünlich auf und mit blauen Flammen bedeckte Ketten schossen zwischen seinen Fingern hervor wie lebendige Krallen, fingen die herannahenden Schwerter ab und verflochten sie in ein Netz aus Stahl und Feuer. Taneo holte die Ketten wieder ein; sie klimperten mit den Schwertern zu Boden.

Piedmon zischte abfällig. „Dann versteckt ihr also noch irgendwo hier Digimon? Dieses Spiel könnte interessant sein.“

MagnaAngemon landete vor ihm. „Ich bin dein Gegner!“, proklamierte es.

„Wie du willst. Diesmal wirst du nicht so viel Glück haben.“ Piedmon formte mit seinen Händen eine Pistole.

„Nein, du wirst nicht so viel Glück haben!“ T.K. war hinter es gelaufen und zapfte Akis DigiVice an. Rot glühende Albtraumkrallen quollen aus seinen Händen wie dunkle Flammen.

Piedmon starrte ihn an. „Wie kann das sein?“, rief es, als er auch schon angriff. Die roten Peitschen schlugen auf Piedmons Schultern und ließen es ächzend in die Knie gehen. Von vorn flog MagnaAngemon heran und schlitzte Piedmons Seite mit seinem Schwert auf. Der Meister der Dunkelheit schrie auf, doch es klang eher wütend.

T.K. fuhr seine Geisterkralle aus, schloss sie um Piedmons Wespentaille und zog sich zu ihm heran. Im Sprung riss er sein Schwert aus der Schlaufe und rammte es in Piedmons Brust. Das Clowndigimon starrte ihn ungläubig aus geweiteten Augen an. „Unmöglich“, sagte es. „Wie kann ein Mensch … Mein eigenes Schwert … Ich bin doch eben erst wieder frei geworden!“ Piedmon stieß einen wütenden Schrei aus, dann löste es sich in Daten auf.

T.K. atmete tief durch. Er hatte für einen Moment befürchtet, es gäbe in seinem Repertoire keine Attacke, die es besiegen konnte, aber Piedmons eigenes Schwert hatte seinen Untergang besiegeln können. Einen Sekundenbruchteil nach dem Meister der Dunkelheit zerbarst auch das Schwert in seiner Hand zu Datenstaub, und dem Geräusch nach zu urteilen lösten sich auch die Schwerter in Taneos Kettennetz soeben auf.

„Was … hast du getan …“ Taneos Stimme war tonlos, zitterte aber ein wenig.

„Du hast es selbst gesagt.“ T.K. scannte Piedmons Daten mit seinem neuen DigiVice, dann drehte er sich um und schenkte Taneo ein Lächeln. „Ich bin ein begnadeter Schauspieler.“

Taneo starrte ungläubig auf die leeren Ketten, ehe er sie verschwinden ließ. „Das war also dein Plan.“ Er stieß ein schrilles Lachen aus. „Respekt, Senpai! Du hast uns alle betrogen, jeden einzelnen in der DigiWelt, du hast alle hinters Licht geführt!“ Das Lachen endete und Taneo murmelte finster, aber wieder seltsam gefasst: „Wie lange hast du das schon geplant?“

„Als dein Anhänger Kari getötet hat, fühlte ich mich innerlich leer“, sagte T.K. „Dann fand ich wieder Mut zu kämpfen. Ich musste etwas tun – ein DigiRitter ist dazu bestimmt, etwas zu tun. Ich habe diesen Plan gefasst, er war meine Hoffnung, für ihn habe ich dann gelebt. Mir war klar, dass bereits zu viel Dunkelheit in dieser Welt war, um den Krieg einfach auf der Seite des Lichts zu gewinnen. Also habe ich ein doppeltes, ein dreifaches Spiel gespielt. Ich habe euch und die Scherben gegeneinander ausgespielt, und nun ist die Macht der Dunkelheit zerbrochen und Piedmon ist entgültig tot. Nie mehr wird man um die Karten kämpfen, das ist vorbei.“ T.K. senkte die Stimme. „Ich wusste, auf was ich mich da einlasse. Wenn ich sterbe, werde ich wohl kaum dorthin kommen, wo Kari ist. Aber ich wollte einfach, dass dieser ganze Irrsinn endet. Und wenn es mein Leben kostet. Dieser ganze verrückte Krieg, der sie mir weggenommen hat, sollte einfach nur vorbei sein. Und wenn ich jeden aus dem Weg räumen muss, der mich daran hindern will. Du weißt, was das für dich heißt, Taneo.“

Taneos Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepresst. „So fühlte sich das also an“, knurrte er leise. „Von jemandem verraten zu werden, dem man vertraut hat.“

„Eine Kunst, die du gut beherrschst, oder?“

„Du verdammter … Du verdammter Mistkerl!“, brüllte der Dunkle. Sein DigiVice erglühte, und ein grüner Energieball wie von einem Etemon erschien in seiner Hand. Wütend schleuderte er ihn auf T.K.

Dieser zapfte die soeben gescannten Daten an. „Kartentrick!“ Genau wie Piedmon damals riss er eine Hand hoch, und ein Windstoß, so kräftig, dass der Marmorboden aufbrach, zerriss die Kugel und wehte Taneo von den Füßen. Ächzend und schlitternd landete der Dunkle auf dem harten Boden. T.K. schob das Kinn vor. „Du bist am Ende, Taneo. Du hast es mir selbst gesagt. Ohne Piedmons Schwerter werden die Vier Souveränen weiter erstarken, und wenn sie ihre alte Macht wiederhaben, werden sie dich vernichten. Du hast ja keine Vorstellung davon, wie mächtig sie sind! Mit diesem DigiVice kann ich jetzt zwar die Trumpfkarte beschwören, aber das sind nur Kopien, mit denen man kämpfen kann, aber die sonst keinen Nutzen haben. Oder irre ich mich?“

Er irrte sich nicht, das machte Taneos Knurren deutlich. Mühsam rappelte er sich auf. „Dann habe ich also nur die Wahl, in die Menschenwelt zurückzugehen“, sagte er. „Dort wird mich der Zorn der Souveränen vielleicht nicht erreichen. Aber die Menschenwelt besteht nicht aus Daten, also wird sich mein DigiVice dort auch nicht mehr aufladen.“

T.K. nickte. „Du wirst wieder ein ganz normaler Junge sein. So, wie es sich gehört. Ein Junge, der einen Haufen schlimmer Verbrechen begangen hat.“

Taneos Mundwinkel zuckten. „Ich habe also die Wahl zwischen einem Leben als gewöhnlicher Mensch und dem Tod?“ Sein DigiVice begann zu glühen. „Glaub nicht, dass du mir ungeschoren davonkommst, Takeru! Lichtspeer!“ Ein gleißender Pfeil aus Elektrizität schoss auf T.K. zu. MagnaAngemon sauste heran, packte ihn und flog mit ihm aus der Gefahrenzone. Der Lichtspeer fuhr in einen der Throne und zertrümmerte ihn, sodass spitze Steinchen durch die Halle rieselten.

Noch während sie flogen, faltete T.K. die Hände zu einer Pistole. „Zauberschuss!“ Ein Schwall wirbelnder, duchsichtiger Energie verließ seine Fingerspitzen, doch durch MagnaAngemons Bewegung traf er nicht Taneo, sondern nur den Boden neben ihm. Krachend riss der Marmor auf und schleuderte den Dunklen von den Füßen. Ein brunnengroßer Krater reichte meterweit in die Tiefe. „Setz mich ab“, bat er MagnaAngemon, das daraufhin landete.

„Ha!“, rief Taneo. „Die Mega-Attacken werden deinen Vorrat an Energie schneller erschöpfen, als dir lieb ist! Koko-Kracher!“ Auf seinem Körper sprossen kleine, vulkanartige Noppen, aus denen er einen rauchenden Kugelhagel auf T.K. losließ. Schwefelgeruch erfüllte die Luft. Mitten durch das Kreuzfeuer hastete er durch den Saal und ging hinter seinem Thron in Deckung. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Wie er befürchtet hatte, Taneo hatte einige exotische und gefährliche Attacken drauf. Außerdem war er erschöpft; es war ein langer Tag gewesen, noch bevor er in eine noch längere Nacht übergegangen war. Er würde einige Gänge zurückschrauben müssen. Als das Sperrfeuer aufhörte, holte T.K. tief Luft und sprang aus seinem Versteck. „Kaiserfaust!“ Er schlug einen violetten Energieblitz in Taneos Richtung, der auswich und seinerseits eine Kaiserfaust zurückschoss. Während sie beide seitwärts liefen, schossen sie noch einige Ogremon-Attacken ab, die Risse in den Boden und die Wände des Saals brachen. Als sie beide stehen blieben, riss sich Taneo den Mantel vom Leib, der ihn einengte. Darunter trug er einen sandfarbenen Anzug, wie ihn Regenwaldforscher oft trugen, der außerdem mit Metallstreifen verstärkt war.

T.K. schlug mit seiner Albtraumkralle nach Taneo, aber dieser ließ wieder seine brennenden SkullMeramon-Ketten erscheinen, die die Attacke zur Seite schlugen und sich, als hätten sie einen eigenen Willen, um T.K.s Arme und Beine schlangen und ihn hochrissen, um ihn auf einem Meter Höhe in der Luft festzuhalten. Er stöhnte auf, als die blauen Flammen über seine Haut tanzten. Sie brannten gleichzeitig heiß und kalt.

„Na, jetzt spuckst du nicht mehr so größe Töne, was?“ Taneos melodische Stimme war vor Wut ganz verzerrt. „Lichtspeer!“ Noch während er die Ketten hielt, rauschte Elektrizität durch sie in T.K.s Körper, der gepeinigt aufschrie.

„T.K!“ MagnaAngemon schoss heran, flog dicht über den Ketten hinweg und schlug mit dem Schwert nach Taneo, der knurrend einen Satz zurückmachte. Das violette Schwert zielte auf seine Finger, und er ließ die Ketten los. Ächzend stürzte T.K. zu Boden.

Taneo verschaffte sich mit einem wütenden Lichtspeer Luft und drehte sich wieder zu T.K. um. „Jetzt mach ich dich fertig! Panzersteine!“ Dutzende steinerne Stacheln tauchten vor ihm auf und sausten auf T.K. zu, der, noch im Liegen, seine Hand hochriss. Der reißende Windstoß fegte die Stacheln davon, doch diese Mega-Attacke ließ das grüne Licht von Akis DigiVice erlöschen und das Display blinkte rot.

„Ha!“, rief Taneo. „Na, hast du heute schon zu viele Attacken eingesetzt?“ Er hob drohend die Hand. MagnaAngemon stellte sich schützend vor T.K, der immer noch am Boden lag. Von dem Sturz taten sämtliche Knochen in seinem Leib weh, doch es schien nichts gebrochen zu sein.

„Weißt du, ich konnte diese Attacke hier nicht einsetzen, solange mein DigiVice voll aufgeladen war“, sagte Taneo und kam auf sie zu. „Sie hätte wohl den ganzen verdammten Thronsaal geschmolzen und uns noch dazu! Aber jetzt, wo mir auch langsam die Energie ausgeht, dürfte sie nicht ganz so zerstörerisch sein – gerade richtig, um einen Verräter zu grillen. Sieh gut hin, denn es wird das Letzte sein, was du siehst! Flammeninferno!

Eine lodernde Stichflamme flackerte aus seiner Hand, tauchte den Thronsaal in blutrotes Licht, dann senkte sich das Feuer auf den Boden und rollte wie eine alles verzehrende Walze heran. MagnaAngemon warf sich herum und nahm T.K. in die Arme. „MagnaAngemon!“, schrie T.K. „Bring dich in Sicherheit!“

„Niemals!“ Schon sah T.K. brennendes Gefieder auf dem Rücken seines Digimon-Partners. „Fällt dir nichts ein, was wir tun könnten?“, rief es. T.K. biss die Zähne zusammen. Das Feuer kreiste sie ein, seine Haut schien von seinem Körper zu blättern. Er hörte, wie zischend der Boden schmolz. Hinter ihnen schlossen sich die Flammen wie eine Flutwelle, die von einem Felsen in der Brandung geteilt wurde, und wucherten in ihre Richtung.

Als der tobende Feuersturm vorüber war, stand keiner der drei Throne mehr. Nur noch klobige Haufen geschmolzenen Gesteins waren übrig. Taneo ließ den Arm sinken. Sein DigiVice blinkte rot. Als der Rauch verschwand, sah er gerade noch, wie sich ein geschlossenes Himmelstor in Daten auflöste. Davor lag ein Patamon mit Brandflecken auf dem ganzen Körper. Taneo hob es an den Ohren hoch. „Na, kleines Schweinchen? Hat dein Freund ein Leben in Verbannung dem Feuertod vorgezogen?“ Er schüttelte Patamon durch, bis es die Augen aufschlug. „Ist mir auch recht. Hast du noch ein paar letzte Worte, bevor ich dich zur Hölle schicke?“

Patamon sah ihn aus klaren Augen an, die plötzlich einen grimmigen Ausdruck annehmen. Taneo wollte gerade ob der Entschlossenheit des kleinen Digimons lächeln, als es mit lauter Stimme rief: „T.K!“

Taneos Lächeln erstarb. Er wandte den Blick. In Myotismons Tor, das immer noch offen stand, flackerte das Licht. Ein Schatten tauchte auf, wie schon zuvor. „Du …“, hauchte Taneo.

„Ich habe dich ein weiteres Mal ausgetrickst, was?“, sagte T.K, als er aus dem Tor trat. Patamon blies sich auf und schleuderte Taneo einen Schwall Luft ins Gesicht, der ihn taumeln ließ. Zornig schleuderte er das Digimon von sich.

T.K. hob die Hand. „Kartentrick!“, schrie er herrisch.

Was?!“ Zu überrascht, um zu reagieren, wurde Taneo von dem Wind von den Füßen gerissen und mit ausgestreckten Gliedern gegen die Wand geschleudert.

T.K. ließ Piedmons vier Schwerter vor sich erscheinen. „Trumpfkarte!

„Das ist unmöglich!“, kreischte Taneo, als sie Schwerter sich direkt neben seinem Gesicht und seiner Hüfte in den Stein bohrten. Seine Kleidung wurde aufgeschlitzt, aber er wurde nicht verletzt. „Du dürfest keine Energie mehr haben!“

Als T.K. lächelnd näherkam, sah Taneo, dass dessen DigiVice wieder leuchtete. „Piedmon hat mich darauf gebracht, als es sagte, es habe Tausend Jahre hinter dem Himmelstor verbracht. Für dich waren es vielleicht zwei Minuten, aber als Patamon mich gerufen hat, war ich schon über sechs Stunden dort!“

Taneos Mund klappte auf. „Du … Das ist doch …“

„Und die Welt dort besteht auch aus Daten“, fuhr T.K. fort und ließ die Schwerter verschwinden. Taneo rührte sich nicht. „Aus vielen verbannten Digimon, die man zwar nicht sieht und mit denen man nicht reden kann, aber das DigiVice hat seine Energie an ihren Daten aufgeladen, wie du siehst.“ Er baute sich vor Taneo auf und faltete die Finger wieder zu Piedmons Pistole. „Aber deine Energie ist aufgebraucht. Das Spiel ist aus, Taneo“, sagte er. „Gib mir dein DigiVice, und ich schicke dich in die Reale Welt zurück.“

Taneo seufzte, löste mit steifen Fingern das DigiVice von seinem Gürtel und legte es vor sich ab. „Du hast nur etwas vergessen, Senpai.“

T.K. zog die Augenbrauen zusammen – und etwas knallte mit voller Wucht in sein Gesicht. Mit einem Aufschrei stolperte er zurück. Knisternd liefen kleine, juckende Blitze über seine Haut. Etwas surrte ihm um die Ohren und traf ihn dann wie eine Kanonenkugel in den Magen. Nach Luft ringend wirbelte herum und gab blind einen Zauberschuss ab. Er sauste weit an Taneo vorbei, traf das Tor zum Thronsaal, verbog die eisernen Torflügel und riss sie aus den Angeln und verschwand krachend und berstend im Gang dahinter. Das Surren war immer noch da, es säuselte um T.K.s Kopf herum wie eine überdimensionale, unsichtbare Mücke, dann schlug etwas seine Hände zur Seite und stieß ihn zu Boden.

„T.K! Alles in Ordnung?“ Patamon flatterte heran, doch auch es wurde wie von einem unsichtbaren Hammerschlag mit einem Aufschrei zurückgeschleudert. T.K. spürte etwas an seinem Gürtel zerren und hatte den Eindruck von einer fußballgroßen, dunklen Kugel. Nein, bevor Taneo sein DigiVice bekam, würde er dessen Energie aufbrauchen! Mit einem lauten Wutschrei ließ er den Boden erzittern, als er ihn in einen Tornado aus Wind und Steinbröckchen tauchte. Dann versagte sein DigiVice und blinkte rot, und vor Taneo erschien wie hingezaubert ein kugelförmiges Digimon mit Armen und Beinen und einem Blitz, der auf seinem Kopf prangte wie eine Galeonsfigur.

Taneo lachte. „Nein, du hast es nicht vergessen, Senpai, stimmts? Du hast von Anfang an nicht daran gedacht.“ Er öffnete den Reißverschluss seines Anzugs. An einer dünnen Schnur um seinen Hals baumelte ein weiteres DigiVice, das wie ein aufklappbares Handy aussah. Es war dasselbe, das auch Fumiko gehabt hatte. Das DigiVice der letzten DigiRitter. Verdammt, daran hatte er wirklich nicht gedacht!

„Ich lasse nicht zu, dass du Taneo weiterhin wehtust!“, sagte das Digimon mit hoher Stimme.

„Thunderboltmon“, murmelte T.K. „Es ist so schnell, dass man es nicht sieht … Sag bloß, es ist die ganze Zeit schon um dich herumgeschwirrt?“

Taneo streichelte dem Digimon über den Kopf. „Es ist mein letzter Schutz, wenn alles andere versagt.“

„Taneo, bitte lass mich diesmal gegen ihn kämpfen! Ich werde deine Sache rächen!“, flehte Thunderboltmon.

Taneos Stimme wurde weich. „Ich überlasse ihn dir.“

Shards

Finsterzitadelle, DigiWelt

Dienstag, 4. September 2007

0:51 Uhr
 

„Schnell! Beeilt euch!“ Matts Stimme wehte ihnen voran. Gerade eben hatte eine Attacke den Schutthaufen von hinten getroffen und Felsbrocken herunterrutschen lassen. So war ein kleiner Spalt ganz oben bei der Decke entstanden, durch den sie hindurchschlüpfen konnten. Gennai hatte das Mekanorimon stehen lassen und war ihnen gefolgt. Nach der Kletterpartie waren Matts Finger zerschunden und blutig, aber es galt keine Zeit mehr zu verlieren!

Der Thronsaal kam in Sicht, das Tor dorthin war zerstört worden und lag wellig und scharfkantig ausgefranst auf dem Boden. Die DigiRitter stürmten in den Thronsaal. Dort waren sie.

T.K. hockte auf dem Boden. Blut lief aus seiner Nase, sein Umhang war an den Rändern verkohlt. Patamon flatterte neben ihm und war sichtlich mitgenommen. Und dort an der Wand stand Taneo, ein Thunderboltmon schwebte vor ihm in der Luft, aber was Matt am meisten irritierte, war Myotismons Tor. Es war geöffnet.

„Oh nein!“, rief Cody. „Haben sie Piedmon etwa schon befreit?“

„Davis!“, rief Veemon und rannte zu seinem Partner, der ohnmächtig auf der anderen Seite des Raumes lag. Rings um ihn zierten Brandflecken und Krater den Boden; er hatte mächtig Glück gehabt, nicht von den Attacken erwischt worden zu sein.

„Was geht hier vor?“, fragte Matt scharf.

Taneo wandte sich zu ihnen um. „Sieh an, deine Freunde wollen bei deinem Ende auch zusehen. Ihr kommt gerade richtig.“

„Taneo, bitte“, sagte Gennai ruhig. „Sei vernünftig.“

„Du hast mir nichts zu sagen, digitaler Mann, merk dir das endlich!“, schrie der Dunkle. „Ihr werdet heute alle sterben, und wenn es das letzte ist, was ich tue!“

Yolei richtete ihre Pistole auf ihn. Das Magazin war leer, das wusste sie, und gerade deshalb konnte die die Waffe ruhig halten. Taneo schien zu glauben, dass sie geladen war, denn er wurde blass um die Nase. Im nächsten Moment schoss Thunderboltmon wie ein Blitz heran und prallte gegen Yoleis Hand, die erschrocken aufschrie. Die Pistole flog im hohen Bogen davon.

Den Moment, in dem Thunderboltmon abgelenkt war, nutzte Matt und rannte los. „Matt!“, rief Sora und machte Anstalten, ihm zu folgen, aber er kniete sich neben T.K. und sah seinen Bruder mit starrer Miene an.

„Wo ist Piedmon?“, fragte er eisig.

„Tot“, antwortete T.K. knapp und hustete. „Jetzt fehlt nur noch Taneo.“

Matt sah ihn forschend an. Was sollte er von ihm halten? Sein Bruder hatte sich so weit von ihm entfernt, wie es nur möglich war. Dennoch tat es ihm weh, ihn so zu sehen, verletzt und am Ende seiner Kräfte. Er sah, dass das DigiVice der Dunklen an seinem Gürtel rot blinkte. Zumindest ging von ihm keine Gefahr aus. „Halt dich raus“, knurrte er und lief zu den anderen zurück. Gabumon und die anderen hatten bereits eine Front gegen Thunderboltmon gebildet.

„Da scheinen ja noch ein paar Kampfeswillen zu haben“, sagte Taneo amüsiert. „Treiben wir ihnen das aus, ja, Thunderboltmon?“ Das DigiVice, das an seinem Hals baumelte, verströmte gleißendes Licht, das seinen Digimon-Partner einhüllte. Thunderboltmons Körper wurde etwas, das wie ein Drachenkopf aussah, aus dem ein Körper wuchs, größer und größer. Kräftige Arme und Beine mit scharfen Krallen entstanden, und zwei paar roter Flügel sprossen aus seinem Rücken.

„Oh nein, was ist das denn?“, rief Yolei, als sie das Digimon sah. So ein Wesen hatte keiner der DigiRitter je gesehen.

„Das ist Cyberdramon!“, verkündete Taneo triumphierend, während er auf den Rücken des Digimons kletterte, sich auf seine Schulter setzte und sich an dem dicken Hals festhielt. „Mein Digimon kann zwar ohne Weiteres auf dem Champion-Level bleiben, aber von uns haben nur Renji und Fumiko ihre Digimon je auf das Mega-Level gebracht.“ Er lächelte grimmig. „Aber das macht wohl auch keinen Unterschied mehr, oder?“

„Was ist los …“, murmelte Davis, der in diesem Moment die leeren Augen aufschlug.

„Bleib einfach liegen und überlass uns das Feld“, sagte Veemon heroisch. Davis atmete tief durch und nickte, und sein DigiVice versprühte Licht und ließ Veemon zu Ex-Veemon digitieren.

„Sieht so aus, als würde es an uns liegen“, brummte Digmon. „Goldsturm!“ Die Bohrer schossen auf Cyberdramon zu, das dreien auswich und die verbleibenden zwei mit den Klingen an seinen Armen abwehrte. Es flog elegant um einen heransausenden Vee-Laser herum und prallte gegen Ex-Veemon, drückte es knurrend gegen die Wand und versenkte seine Zähne in dessen Schultern. Das blaue Digimon brüllte auf.

„Patamon! Kannst du ihm nicht helfen?“, rief T.K. „Schaffst du noch eine einzige Digitation?“

„Ich kann‘s versuchen.“ Vor seinen Augen wurde Patamon zu Angemon, mehr Energie konnte es nicht aufbringen. Der Engel flog zu den kämpfenden Drachen.

„T.K, ruf sofort Angemon zurück!“, schrie Matt.

„Ohne mich verliert ihr diesen Kampf!“, gab T.K. zurück.

Sein Bruder rannte zu ihm und starrte ihn zornig an. „Du wirst nichts unternehmen, ehe wir nicht wissen, auf welcher Seite du stehst!“

„Aber sie verlieren, siehst du das nicht?“ Warum war Matt nur so stur? Gut, er konnte es sich eigentlich denken. Nichts anderes hatte er verdient.

Cyberdramon ließ ein wenig von Ex-Veemon ab und seine Klauen leuchteten auf. „Ausradier-Kralle!“, grollte es. Ein grün glitzernder Energiestrahl traf Ex-Veemon in die Brust und ließ es mit einem Aufschrei zu Boden fallen und zurückdigitieren.

„Das sind doch keine Gegner!“, höhnte Taneo. „Cyberdramon, töte jetzt den Verräter!“

Sein Digimon wandte sich in der Luft herum und sammelte neue Energie in seinen Krallen. Matt erkannte sofort, was es vorhatte.

„Nein!“, schrie er und warf sich zwischen T.K. und den Strahl, den es auf ihn abschoss. Sora kreischte auf, die DigiRitter schrien ebenfalls – und T.K. verpasste seinem Bruder einen kräftigen Stoß, der ihn zur Seite warf. Der Strahl streifte ihn selbst und schleuderte ihn davon.
 

Bluray-Gebirge, DigiWelt

Dienstag, 4. September 2007

0:58 Uhr
 

Mimi saß schweigend neben Tai und hielt seine Hand. Das Blitzen und Kämpfen auf den Summenden Feldern, das nun schon so lange andauerte, wurde immer weniger, doch niemand im Lazarett konnte sagen, ob sie am Gewinnen oder Verlieren waren. Stumm hing sie ihren eigenen Gedanken nach. Tais Wunde war dank der Cutemon bereits verheilt, doch er war durch den Blutverlust noch immer sehr schwach und blass. Plötzlich schlug er die Augen auf. „Da … da kommt was“, hauchte er.

Eine Sekunde später packten zwei kräftige Hände die Kante der Plattform, auf der das Lazarett errichtet war, und ein gewaltiges SkullMeramon zog sich herauf. Seine Stiefel klirrten metallisch, als es auftrat. „Sieh mal an, was wir hier haben“, sagte es, wobei sein metallener Kiefer knirschte.

Sofort trat Agumon vor und spie einen Feuerball auf das Digimon, den dieses lachend mit der Faust abfing. „Ich zeig dir mal, wie man das macht“, grunzte es und ein blau glühender Feuerstrahl verließ seinen Mund.

Mimi kniff die Augen zu und kauerte sich zusammen, doch die erwartete Hitze blieb aus. Verblüfft drehte sie sich um.

Der Taktische Stab war vor ihnen erschienen. Sie standen in einer Piximon-Tarnkappe, die das Feuer abgefangen und daher sichtbar geworden war. Außer den Piximon waren noch Jerrymon, Vademon und der gefesselte Dunkle, den Matt und Izzy erwischt hatten, dabei. „Wenn es nichts mehr zu koordinieren gibt“, befand Jerrymon, „können wir ebensogut selbst kämpfen.“

„Ha!“, rief SkullMeramon. „Und ich dachte schon, mir würde langweilig werden.“ Vier glitschige Raremon quälten sich im Schneckentempo hinter ihm auf die Plattform hoch. „Spiralschwert!

SkullMeramon fuhr herum, sah, wie von der Seite eine Klinge angerast kam, und wehrte sie mit seiner Kette ab. Andromon trat auf es zu. „Ich bin dein Gegner“, sagte das Androidendigimon mit mechanischer Stimme.

SkullMeramon schnaubte, was kleine blaue Funken vor seinen Nasenlöchern tanzen ließ. „Dann komm her.“
 

Finsterzitadelle, DigiWelt

Dienstag, 4. September 2007

0:58 Uhr
 

Matt sprang auf. „T.K!“

Auch Cody kam angelaufen. T.K. sah nicht gut aus; wo der Strahl seine Brust gestreift hatte, breiteten sich schwarze Flecken auf seinem Körper aus. Schwerfällig stemmte sich T.K. in die Höhe. „Warum … Warum wolltest du mich schützen?“, murmelte er schwach. „Ich hab euch doch … so viel … angetan …“

Matt wich seinem Blick aus. „Du bist immer noch mein Bruder“, sagte er ernst.

„Cyberdramon, jetzt!“, befahl Taneo. Das Drachendigimon wollte soeben wieder neue Energie sammeln, als von hinten Digmons Bohrer gegen es prallten. Taneo wurde durchgeschüttelt, und als sie sich umdrehten, sah er, wie auch die Rookie-Digimon sie angriffen. Die Flammen und Tentomons Elektrizität kitzelten das Ultra-Digimon kaum, aber auch Angemon schoss einen Strahl reinen Lichts auf sie ab, und Cyberdramon hatte plötzlich alle Hände voll zu tun, ihm und Digmons Attacken auszuweichen, um Taneo zu schützen.

„Nach alledem … siehst du mich immer noch als deinen Bruder?“, seufzte T.K.

Matt zögerte, sah ihm dann aber doch fest in die Augen. „Du bist immer noch einer von uns. Wir haben uns alle Sorgen um dich gemacht. Komm zurück.“

T.K. starrte ihn an, dann, plötzlich, füllten Tränen seine Augen, Tränen von der Sorte, wie er sie nie wieder zu weinen vorgehabt hatte. Es war ohnehin alles verloren … „Es tut mir leid, Matt“, flüsterte er. „Es tut mir leid, was ich euch alles angetan habe. Ich wollte nur … ich wollte nur diesen elenden Krieg beenden, der Kari das Leben gekostet hat. Und dafür bin ich über Leichen gegangen.“

„Du hast Piedmon getötet, oder?“, fragte Cody.

T.K. antwortete nicht darauf. Matt zögerte kurz, dann nahm er seinen kleinen Bruder in den Arm. „Vielleicht waren wir die ganze Zeit über im Irrtum“, sagte er leise. „Schon damals bei Apocalymon ist es uns nicht gelungen, die DigiWelt vor der Zerstörung zu retten. Aber sie ist neu entstanden und so schön geworden wie vorher. Vielleicht ist das auch dieses Mal wieder notwendig. Vielleicht war diese Welt bereits zu dunkel, um sie nur mit der Macht des Lichtes zu bekämpfen. Vielleicht war das alles notwendig. So hart das auch klingen mag.“

T.K. löste sich von ihm. „Trotzdem … Ich bin ein DigiRitter. Ich habe schreckliche Dinge getan.“

Hinter ihnen krachten die Attacken von Cyberdramon auf die wehrlosen Rookie-Digimon ein. Digmon digitierte zu Armadillomon zurück und wurde dann zu Ankylomon; sein stacheliger Panzer schützte die anderen vor der Ausradier-Kralle, nahm aber selbst dabei Schaden und wurde nach und nach von dunklen Flecken überzogen.

„Vergiss das jetzt mit den DigiRittern!“, rief Cody energisch. T.K. sah ihn verständnislos an. „Das ist doch nicht alles, was uns ausmacht! Wir sind Freunde, oder nicht? Wir helfen dir, den giftigen Stachel rauszuziehen, verstehst du? Was der eine Schlechtes tut, das bügeln die anderen wieder aus!“

„Cody …“, murmelte T.K.

„Als wir draußen vor der Zitadelle gekämpft haben, da hatte ich das Gefühl, dass du etwas zurückhältst, dass du mir nicht die Wahrheit erzählst.“

T.K. lächelte traurig. „Ich habe dir nicht mal ansatzweise die Wahrheit erzählt.“ Er schüttelte den Kopf, als sie etwas erwidern wollten. „Nein, sagt nichts mehr. Ihr könnt mir nicht vertrauen. Ich bin euer Feind. Taneo kann nicht mehr gewinnen. Piedmons Schwerter sind mit ihm verschwunden. Es ist vorbei. Geht, lauft davon, zurück zu eurer Armee.“

Matt legte ihm die Hand auf die Schulter. „Nicht ohne dich.“ Er zögerte. „Was ich vorhin gesagt habe … das tut mir leid. Ich hätte wissen müssen, dass du immer noch du selbst bist. Ich habe nur einen Wunsch. Komm mit uns.“

„Bin ich denn noch ich selbst?“, fragte T.K. „Wie könnt ihr mir nur vertrauen, nach allem, was ich getan habe?“

„Es liegt nicht an dir, zu entscheiden, wer dir traut und wer nicht!“, warf Cody ein. „Sicherlich hängt es von deinen Taten ab, aber letztendlich müssen wir entscheiden, ob wir dich zurückhaben wollen oder nicht!“

„Ich weiß, du hast eine Menge durchgemacht, kleiner Bruder“, sagte Matt leise. „Bitte, komm jetzt nach Hause.“

T.K.s Tränen fanden ihren Weg seine Wangen hinunter. „Ihr seid … Nein, es war trotzdem ein Fehler! Ich dachte, ihr wärt ebenso gebrochen wie ich. Aber das war ein Irrtum.“

„Ich weiß, dass du noch ziemlich durcheinander bist und dass dich Karis Tod sehr schmerzt“, sagte Cody einfühlsam. „Ich habe auch einen lieben Menschen verloren. Ich war noch sehr klein, als mein Vater starb. Der Schmerz ist vielleicht nicht derselbe, aber ich glaube, ich kann ein wenig nachempfinden, was dich quält, zumindest ein kleines bisschen.“ Er drückte T.K.s Hände, die eiskalt waren. „Hör mir zu“, sagte er eindringlich. „Du glaubst, wir wären zerbrochen, und wahrscheinlich stimmt das. Aber sieh dich um! Die Scherben waren auch eine gebrochene Macht, und sie haben trotzdem wieder zueinander gefunden! Sicher sind die Ränder der Splitter scharf und es tut weh, aber sie sind immer noch Teil eines Ganzen und sie passen zueinander! Kari ist in jedem von uns, in allen, die sie gekannt haben!“ T.K. schluckte bange. Ihm fiel keine Antwort mehr ein. Stumm hörte er Cody zu. „Du hast uns eine neue Seite deiner selbst gezeigt. Deine freundliche Seite gibt es noch immer! Du bist kein DigimonKaiser, du bist nicht von der Saat der Dunkelheit befallen und du hast dich auch nicht der Macht der Dunkelheit angeschlossen.“

„Ich hasse die Macht der Dunkelheit“, murmelte T.K. tonlos.

„Du hast gesagt, du willst die DigiWelt neu formen. Das wird jetzt nicht mehr möglich sein, aber wir können sie gemeinsam immer noch in eine bessere, schönere Welt verwandeln, eine Welt, die auch Kari gefallen würde!“ Cody ließ ihn los und streckte ihm seine Hand entgegen. „Was meinst du?“

Die Kälte, die von T.K. Besitz ergriffen hatte, wich langsam. Er spürte sein Herz schmerzhaft pochen. Er lächelte, während Tränen seine Wangen hinabglitzerten. Ein Schluchzen entkam seinen Lippen und er blinzelte heftig. Seine Augen brannten. Dann ergriff er Codys Hand.

Und ihre DigiVices erstrahlten.

„Nanu, was ist das?“, grollte Ankylomon, als es sich in einen gelben Lichtstrahl verwandelte. Ebenso wurde Angemon in grünes Licht gehüllt, und die Lichtsäulen umtanzten einander, nahmen feste Form an – und schließlich wirbelte Shakkoumon aus dem Licht hervor.

„Sie sind digitiert!“, rief Cody begeistert. Er spürte T.K.s Herzschlag, und er spürte nun auch seinen Gedanken. Seinen Schmerz, seine Zweifel, seine Sehnsucht, seine Hoffnungen … Nun verstand er ihn endlich wieder. T.K. konnte nicht glauben, dass ihre Digimon zu Shakkoumon geworden waren.

„Sie haben eine DNA-Digitation ohne den Heiligen Ring geschafft“, sagte Gennai, während die anderen DigiRitter das glänzende Digimon, das wie eine kunstvolle Tonfigur aussah, verblüfft anstarrten. „Das ist erstaunlich.“

„Sie sind verschmolzen? Was ist das für eine verschrobene Digitation?“, rief Taneo und bedeckte seine Augen, während das Licht erst langsam abklang. „Vernichte dieses Ding, Cyberdramon!“

Knurrend ließ sein Digimon-Partner seine Klauen aufleuchten. „Ausradier-Kralle!“ Der Lichtblitz schoss stärker als je zuvor auf Shakkoumon zu – und wurde von dessen Bauchklappe absorbiert. Zischend entwich Dampf aus Shakkoumons Kopf.

Angemons und Ankylomons Stimmen schallten im Einklang durch den Saal. „Deine finsteren Machenschaften haben jetzt ein Ende, Dunkler!“ Die Klappe in seinem Bauch öffnete sich erneut. „Tonbomben!“ Tonscheiben mit rotierenden Klingen verließen die Luke. Cyberdramon schlug mit den Flügeln und versuchte auszuweichen, doch die Scheiben änderten ihre Richtung und trafen es in den Rücken. Taneo wurde mit einem Schrei von der Schulter seines Digimons geschleudert und landete hart auf dem steinernen Boden.

Cyberdramon fing sich und ging mit den Klingen an seinen Oberarmen auf Shakkoumon los, zerkratzte dessen Rüstung. Shakkouman packte das Digimon mit seinen Greifarmen und schoss rote Strahlen aus seinen Augen auf es. Cyberdramon brüllte.

Taneo stand auf, er hielt die rechte Hand gegen die Brust gepresst, wo sein DigiVice glühte. „Lass dich nicht von ihm aufhalten! Zerstör den Thronsaal! Vernichte alle hier drin!“

Das drachenähnliche Digimon brüllte auf, sammelte abermals Energie und schoss blindlings um sich. Die Ausradier-Krallen rissen Löcher in die Wände und die Decke, die sich wie Wucherpflanzen ausbreiteten.

„Schnell, Shakkoumon, mach dem ein Ende!“, schrie Cody über das Geräusch berstenden Steins hinweg.

Tonbomben!“ Eine neuerliche Welle klingenbewehrter Scheiben traf Cyberdramon mit ungeminderter Wucht. Brüllend leuchtete es auf und digitierte zurück. Ein winziges Ausbildungsdigimon mit buschigem Schwanz und einem stacheligen Helm auf dem Kopf fiel zu Boden, als seine gesamte Energie verbraucht war. Auch Shakkoumon wurde wieder zu Armadillomon und Patamon. Die DigiRitter brachen in lauten Jubel aus.

Ein knirschendes Geräusch ertönte und ließ sie verstummen. „Nicht schon wieder!“, rief Yolei.

„Schnell raus hier, sonst stürzt hier noch alles ein!“, kommandierte Izzy. Matt und Cody stützten T.K, während Joe Davis auf die Füße half. Seine Haut war noch etwas grau, aber die Wirkung von Myotismons Attacke schien nachgelassen zu haben, als T.K.s DigiVice erschöpft war.

„Wartet – was ist mit Taneo?“, rief er, als sie ihn zum Tor hinaus zerrten.

„Schnell, wir müssen weiter!“, drängte ihn Matt, als die ersten Felsbrocken, so groß wie Häuser, auf den Steintisch mit den Karten krachten.
 

„Es ist vorbei, Kapurimon“, murmelte Taneo tonlos. „Endgültig. Wir haben verloren. Wir sind am Ende.“

„Es tut mir leid. Ich habe mein Bestes gegeben“, piepste das Digimon.

Taneo nahm es in die Arme und drückte es an sich. „Ist schon in Ordnung. Es lässt sich nicht mehr ändern. Vielleicht erwischt es diesen Takeru ja auch noch, das wäre nur fair.“ Er streichelte das Fell des kleinen Digimons, während rings um ihn herum Wände zersplitterten und Gewölbebrocken den Boden durchschlugen. Selbst wenn er fliehen könnte, würde ihn das nicht retten. „Wenigstens muss ich nicht alleine sterben.Wenn du wiedergeboren wirst, genieße den Frieden.“

„Ach, Taneo“, seufzte Kapurimon, als die Decke vollends einbrach und sie zermalmte.
 

Nicht nur der Thronsaal war betroffen. Als der größte Saal der Zitadelle seine Decke verlor, griff der Zusammenbruch auch auf die anderen Räume über und pflanzte sich wie eine Lawine fort, genauso rumorend und genauso tödlich.

„Wartet“, keuchte T.K. plötzlich und riss sich von Matts Griff los.

„Was hast du?“, rief Davis, dem es von Minute zu Minute besser ging. „Schnell, sonst werden wir zermatscht!“

„Da vorne, die Treppe“, brachte T.K. schwer atmend hervor. „Die dritte Tür dort oben. Dahinter sind eure DigiVices.“

„Dann nichts wie hin!“, rief Yolei, doch T.K. öffnete eine Tür zu ihrer Linken. Dahinter war eine steile Wendeltreppe zu sehen. „Wo willst du hin?“

„Ich muss noch was erledigen“, sagte er. „Bevor hier alles einstürzt, muss ich eine Nachricht an die anderen Stellungen der Scherben übermitteln. Sie müssen sofort die Waffen strecken. Mir werden die Wachen dort oben nichts tun. Geht schon mal vor, ich komme mit Pegasusmon nach.“ Damit warf er die Tür hinter sich zu. Cody machte auch einen Schritt darauf zu, unsicher, ob er ihn nicht begleiten sollte. Das Ende der DNA-Digitation hatte auch das Ende ihrer Gedankengleichheit markiert.

„Komm schon, Cody!“, rief Davis ungeduldig. Der Boden wackelte und zahlreiche Risse wanderten über die Decke der ohnehin maroden Zitadelle.

„Leute!“, hörten sie jemanden rufen.

„Ken! Hallo, wir sind hier!“, rief Yolei und winkte. Ken kam ihnen von vorne entgegengehumpelt. Sein Bein war mit einem Streifen seiner Kleidung dick verbunden. Yolei strahlte über das ganze Gesicht. „Gut, dass du auch wieder da bist! Auf zu unseren DigiVices, DigiRitter, und dann nichts wie weg!“
 

Bluray-Gebirge, DigiWelt

Dienstag, 4. September 2007

1:20 Uhr
 

„Rapidmon, du sollst dich zurückziehen!“, rief Leomon. Die DigiAllianz hatte vom Schlachtfeld abgelassen und sich in die Gänge des Labyrinths zurückgezogen, wo sie ihre Stellung relativ gut verteidigen hatten können, ehe die SkullGreymon angefangen hatten, die Felswände einfach einzureißen. Rapidmon war jedoch zu stolz, um sich an den Rückzug zu machen. Es sauste zwischen den Feinden umher, zersplitterte Knochen mit seinen Raketen und wich blauen Feuerbällen aus – als es plötzlich eine Kette am Bein erwischte. Kurz abgebremst, schlangen die SkullMeramon weitere Ketten um das Digimon, bis es wie eine Fliege in einem Netz zwischen ihnen hing. Ein riesiges, furchteinflößendes SkullGreymon baute sich vor ihm auf. Die Rakete auf seinem Rücken löste sich und löschte Rapidmon in einer gewaltigen Explosion aus.

Ogremon ließ sich erschöpft gegen Leomons Rücken sinken, das sich seinerseits mehr an Ogremon abstützte, als dass es ihm den Rücken freihielt. Sie hielten ihre Waffen abwehrend von sich gestreckt und waren von SkullMeramon umzingelt, in der Mitte eines Kraters, den die SkullGreymon-Raketen ins Labyrinth gerissen hatten. „Verdammt nochmal, das hätte ich mir nie träumen lassen“, knurrte Ogremon außer Atem. „Dass wir mal Seite an Seite sterben würden – wir sind doch Erzfeinde!“

Leomon kniff die Augen zusammen und lauschte. „Ich glaube, ich muss dich enttäuschen“, sagte es. „Das ist noch nicht das Ende.“ Die DigiRitter waren wieder da.

Dank Azulongmons Kugel waren ihnen letztendlich noch einmal ihre Digitationen gelungen. SkullSatamons Garde, von den langen Kämpfen geschwächt, hatte keine Chance. Ein Hornschlag von MegaKabuterimon löschte ein SkullMeramon aus, Ken und Aquilamon nahmen ein SkullGreymon aufs Korn. Garudamon setzte Joe und Sora ab und vernichtete einen weiteren Feind mit seiner Flügelklinge, und Gomamon digitierte zu Zudomon und stampfte mit seinem Hammer im Alleingang ein SkullGreymon in den Boden.

„Wir laufen weiter zu Tai und Mimi!“, rief Matt und Metalgarurumon sprang von MegaKabuterimons Rücken und setzte über das Labyrinth hinweg.
 

Andromon und SkullMeramon lieferten sich einen erbitterten Kampf. Unermüdlich schlugen und prügelten sie aufeinander ein. Vademon beschoss die Raremon mit seiner Laserpistole, und die Piximon und Jerrymon bekämpften die drei SkullGreymon, die auf die Plattform gesprungen waren, wobei sie gleichzeitig versuchten, die Verletzten zu beschützen. Ein Brüllen unterbrach die Kampfgeräusche und MetalGarurumon sprang über die Kante und tauchte die Raremon in eine Metallische Wolfskralle. „Tai! Mimi!“, rief Matt und warf den beiden ihre DigiVices zu.

Mimi fing sie auf und reichte Tai seines. „Sie haben es geschafft“, flüsterte sie mit Tränen in den Augen. „Sie müssen es einfach geschafft haben!“

„Matt, du alter Haudegen“, sagte Tai und grinste schwach. „Ich lass dich sicher nicht allein im Rampenlicht stehen, hörst du!“

Ihre DigiVices erglühten. Tanemon wurde zu Palmon und Agumon, das inzwischen ausgeruht und von den Notvorräten gestärkt war, gelang sogar die Warp-Digitation zu WarGreymon. Es war, als hätte sich im Laufe dieser Nacht der finstere Schleier gelichtet, der die DigiWelt umschlungen hielt, und das Licht der Digitation strahlte heller denn je.

Matt trat neben seine Freunde. „Wie in alten Zeiten?“, fragte er.

Tai nickte. „Wie in alten Zeiten.“

MetalGarurumons und WarGreymons Körper verschwanden in ihren Helmen, aus denen Licht strahlte und einen ritterlichen Körper annahm, der alle anderen überragte. Die SkullGreymon und das SkullMeramon wichen eingeschüchtert zurück.

„Los, Omnimon!“, riefen Matt und Tai wie aus einem Munde.

Omnimon stürzte mit wehendem Mantel auf die Feinde zu. Sein Schwert zerteilte die drei SkullGreymon mit einem einzigen Streich und SkullMeramon mit einem weiteren. Dann stieß es sich ab und flog in den Himmel hinein, bis es die kämpfenden Digimon im Labyrinth ins Auge fassen konnte. Die verbliebenen Scherben hatten in Windeseile eine Front gebildet und hielten den Attacken der DigiAllianz verbissen stand. Omnimon zückte seine Kanone, und ein einziger Schuss pulverisierte die Feinde, sodass nur noch ein riesiger Krater übrig blieb.

Seine Energie war so schnell verbraucht, wie es sie erhalten hatte. Während es zu Koromon und Zunomon wurde und die DigiAllianz laut grölend aufjubelte, flogen auch die anderen DigiRitter zum Lazarett, fielen einander in die Arme und beglückwünschten sich. Yolei und Mimi lachten und weinten Arm in Arm, Davis scherzte ob Tais miserablen Zustands, und Ken stand lächelnd daneben und schien nicht zu wissen, was er sagten sollte. Der Taktische Stab nahm Izzy in seine Mitte und riss ihn mit in einen ausgelassenen Siegestanz, während Joe die Cutemon nach Tais Befinden fragte und dann erschöpft gegen einen Felsen sank. Sora drückte Matts Hand fest und lächelte. Er lächelte zurück und schloss sie fest in die Arme. Es war überstanden.

„Was ist jetzt mit T.K? Wollte er nicht auch kommen?“, fragte Davis.

„Ich glaube nicht, dass er kommt“, murmelte Cody finster, der in Richtung der Finsterzitadelle sah. Die anderen starrten ihn an. Er senkte niedergeschlagen den Kopf. „Er hat uns schon wieder angelogen.“
 

Finsterzitadelle, DigiWelt

Dienstag, 4. September 2007

1:28 Uhr
 

„Findest du das in Ordnung, T.K?“, fragte Patamon, während von draußen das Donnern und Knirschen mahlenden Gesteins hereindrang.

T.K. saß auf seinem Bett in der Kammer, in der er in der Zitadelle immer geschlafen hatte, und starrte in die Düsterheit. Durch einen Riss in der Wand schwebte Sternenlicht in den Raum. „Ich habe mein Ziel erreicht“, murmelte er heiser. „Wenn ich mitgekommen wäre, hätte es nur Probleme gegeben. Die DigiAllianz hasst mich, und ich will das meinen Freunden ersparen.“ Matt drehte er den Kopf zu Patamon. „Du musst nicht hier bleiben. Dort geht es hinaus; flieg los.“

Patamon schüttelte den Kopf. „Wenn, dann musst du mit mir fliegen.“

T.K. lächelte und strich sanft über Patamons Haut. „Das geht nicht. Du hast keine Kraft mehr, um zu digitieren. So wie ich keine Kraft mehr habe …“ Seine Muskeln waren verkrampft und sein Atem ging stoßweise. Cyberdramons Attacke hatte ihn nur gestreift, aber dennoch mehr verletzt, als er es zugegeben hatte. Er spürte, wie die schwarzen Flecken auf seiner Haut seine Lebenskraft aus ihm zogen. Schon jetzt fühlte er bleierne Müdigkeit, aber keine Schmerzen. Wenigstens keine Schmerzen. Zitternd atmete er aus, und ein, und aus. Seine Arme und Beine wollten nicht mehr, aber er brauchte sie ja nicht mehr. Der Krieg war vorbei. Die DigiWelt konnte neu entstehen.

„T.K, kann ich nicht noch irgendwas für dich tun?“, fragte Patamon, das sich neben seinen kalten Körper drängte.

Er sah es aus müden, trüben Augen an. Selbst zum Kopfschütteln fand er keine Kraft. „Danke, dass du an meiner Seite warst, als es sonst keiner war“, flüsterte er, während seine Augen schwer wurden.

„Aber T.K. …“

Seine Finger hörten auf, Patamon zu streicheln. Er schloss die Augen und völlige Dunkelheit umgab ihn, während seine Gedanken langsamer und ruhig wurden.
 

T.K!

Eine Stimme? Woher kam sie? Mitten aus der Finsternis?

T.K, sei stark!

„Kari?“ Er öffnete die Augen.

Kannst du mich endlich hören … Ein Seufzen ließ seinen Kopf herumfahren. Wo war sie? Wo? Nein, sie war nicht hier, sie war tot, er halluzinierte …

Wie lange wirst du dich mir noch verschließen? Er fühlte etwas, eine sanfte Berührung auf der Haut, ein Kribbeln an seiner Wange, an seinen Lippen. Ein Kuss? T.K. meinte, ein goldenes Glänzen am Rand seines Gesichtfelds zu sehen. Wie damals, als ihn diese Stimme davon abgehalten hatte, Davis zu töten. „Wo bist du?“, flüsterte er. Patamon sah ihn fragend an. „Bist du nicht tot?“

Ich fürchte, das bin ich, seufzte die Stimme traurig. Sie kam von überallher, merkte er, und nicht aus seinem eigenen Kopf. Es war Karis Stimme, eindeutig! Sein Herz klopfte Leben in seinen geschundenen Leib zurück.

„Wieso kann ich dich dann hören?“ Er schaffte es, sich weiter aufzusetzen, drehte den Oberkörper, immer noch suchend, obwohl er wusste, dass er sie nicht sehen würde.

Gennai hat es uns erzählt, oder?, hauchte sie, leise wie fallender Schnee. Die DigiWelt besteht zum Teil aus Daten und zum Teil aus Wünschen. T.K, es ist dein inniger Wunsch, der meinen Geist hier hält. Ich war immer bei dir, als wandernder Datenrest, so wie Oikawa. Ich habe dich gerufen, doch du hast nie geantwortet.

„Du warst … die ganze Zeit …“ T.K. spürte einen Knoten in seinem Hals, an dem er meinte ersticken zu müssen. Stumme Tränen liefen über seine Wangen. „Kari … Ach Kari, wenn du wüsstest, wie leid mir das alles tut … Ich habe die Hoffnung verloren. Anstatt auf die Stimme meines Herzens zu hören, habe ich alles getan, um sie zum Schweigen zu bringen … Ich schäme mich, es tut mir so leid, so unendlich leid …“

Er begann zu schluchzen. Der Knoten in seinem Hals verstärkte sich. Da fühlte er eine sanfte Berührung an seinem Kinn, als würde sie es in ihre Hand nehmen, und er hob den Kopf. Fast glaubte er, sie vor sich zu sehen, goldenen Staub, der ihre Gestalt nachbildete. Weine nicht mehr, flüsterte sie. Ich habe dir längst verziehen. Ich habe dir schon am Anfang deines langen Weges verziehen.

„Kari!“, schrie er und schlang die Arme um seine Schultern, als könnte er sie damit festhalten. Hemmungslos schluchzend weinte er seine Einsamkeit von sich. Er wusste nicht, ob es Freudentränen waren oder ob er traurig war, sie nun zu hören, aber nicht zu sehen, oder ob er einfach vor Scham weinte. „Kari! Bitte, bitte, bleib bei mir! Rede mit mir, es genügt, wenn du mit mir redest! Mehr will ich nicht – ich will … nur … nie wieder … allein sein …“ Er brach ab und weinte und schluchzte, bis seine Tränen auf die Bettdecke tropften. Eine flüchtige Berührung strich beruhigend über sein Haar.

Schsch ... Es ist alles gut … Aber du darfst jetzt nicht einfach hier bleiben. Ich wäre sehr traurig, wenn du sterben würdest. Ich weiß nicht, ob wir uns noch unterhalten könnten, wenn auch du nur noch ein umherwirbelnder Datenrest bist.

„Kari …“ T.K. schniefte. Er konnte nicht anders, er musste immer und immer wieder ihren Namen sagen, um all die Male wettzumachen, an denen er stattdessen stumm geblieben war, weil sie nicht bei ihm gewesen war.

Steh jetzt auf, T.K, sagte sie und klang diesmal drängend, flehend. Er wollte nicht, dass sie ihn anflehte. Wenn, dann war er es, der sie um Vergebung anflehen sollte. Er nahm all seine Kraft zusammen und hievte sich aus dem Bett. Versprich mir, dass du Gatomon suchst, flüsterte Karis Stimme.

„Das werde ich. Bestimmt.“ Immer noch kamen Tränen, aber diesmal war er sich sicher, dass sie seinem Frohsinn entsprangen. Er konnte sie nicht aufhalten, er fühlte sich gar nicht mehr traurig, aber sie wollten nicht aufhören.

Karis Stimme seufzte und er fühlte, wie die Wärme in seinen Körper zurückkam. „Was ...?“, ließ Patamon vernehmen. „T.K! Was geschieht hier? Ich fühle … da ist irgendeine Energie …“

T.K. lächelte. „Warst du das?“, fragte er.

Er konnte Karis Lächeln spüren. Das war mein Wunsch für euch. Geht zu den anderen. Bleibt nicht hier. Wie um ihre Worte zu bekräftigen, krachte draußen eine weitere Ebene der Festung in sich zusammen. Staub rieselte von der Decke der Kammer. Der Riss in der Mauer wurde größer.

„Patamon?“, sagte T.K. mit fester Stimme. Seine Lebensgeister waren wieder geweckt. Er hatte nun einen Grund, am Leben zu bleiben, noch lange am Leben zu bleiben, und er würde Kari nicht allein lassen, nicht schon wieder. „Meinst du, du schaffst mit der Energie noch eine Armor-Digitation?“

„Ich kann es versuchen.“

T.K. hob sein DigiVice. „Danke, Kari“, flüsterte er und rief dann laut: „DigiArmorEi der Hoffnung, erstrahle!“
 

Bluray-Gebirge, DigiWelt

Dienstag, 4. September 2007

6:25 Uhr
 

Als die Sonne am Morgen aufging, veredelten ihre Strahlen eine verwüstete Gebirgslandschaft. Die Mitglieder der DigiAllianz ließen sich von ihrer Wärme küssen, die die Kälte der langen Nacht aus ihren Gliedern vertrieb.

Viel war von der einst so stolzen Armee nicht geblieben, kaum mehr als eine Handvoll tapferer Digimon, und doch kehrten sie als Sieger aus diesem Krieg heim. Zurück in Locomotown schloss Ken Wormmon glücklich in die Arme. T.K, der sich auf Karis Drängen hin seinen Freunden gezeigt und für die Verspätung entschuldigt hatte, nahm sich vor den anderen Digimon sehr in Acht, die ihm mit offenem Misstrauen begegneten. Zwar überredeten seine Freunde die Cutemon, ihn zu heilen, aber sie ließen durchblicken, dass sie ihn lieber seinem Schicksal überlassen hätten. Auch Mimi hatte Palmons Tod und anschließende Geiselnahme nicht vergessen und sprach wütend über ihn, als wäre er gar nicht da. Vielleicht würde sie ihm vergeben, irgendwann einmal. T.K. wusste, dass es ihn eigentlich nicht verletzen durfte. Tai geriet in einen heftigen Streit mit ihr, und so beschloss T.K, in die Reale Welt vorauszugehen. Nach ernstem Händeschütteln benutzte er Akis DigiVice, um nach Hause zu gehen. Er hatte den anderen noch nicht von Kari erzählt, nahm sich aber vor, es noch zu tun. Patamon blieb, um mit gemeinsam mit den anderen Partnerdigimon beim Aufbau zu helfen. Auch die anderen DigiRitter blieben noch, um für Recht und Ordnung in der vom Krieg gebeutelten Welt zu sorgen.

Eines Abends, als Matt und Sora an einer Küstenstadt, mit deren Wiederaufbau gerade begonnen worden war, auf der Kaimauer saßen und die Beine baumeln ließen, sagte sie, während eine warme Brise ihr Haar verwehte: „Ich hätte nie gedacht, dass es je wieder so friedlich werden würde.“

Matt nickte.

„Meinst du, T.K. kommt wieder in Ordnung?“

Er spielte mit einem Gänseblümchen und drehte es zwischen den Fingern hin und her, als er sagte: „Ich hoffe es. Wir sollten auch nicht mehr allzu lange hier blieben.“

„Tai tut mir leid“, murmelte Sora. „Er muss das alles seinen Eltern beibringen.“

Matt seufzte. „Ja. Es wird eine schwierige Zeit. Aber wir schaffen auch das, wir alle gemeinsam.“

Als sie einige Tage später die DigiWelt ebenfalls mit Ansatsus DigiVice verließen, nahmen sie auch Kentarou mit. Es hatte etliche Digimon gegeben, die seinen Kopf gefordert hatten, aber Leomon hatte streng erklärt, dass wahrlich genug Blut geflossen wäre. „Und keine krummen Dinger, ja?“, schärfte ihm Tai ein, ehe sie ihn durch das Tor ließen. Tai war fast schon wieder so fit wie eh und je, und es bestand eher die Gefahr, dass er sich nicht ausreichend schonte. Mimi hatte die Rolle als Aufpasserin übernommen und führte diese fast zu gewissenhaft aus: Oft hörte man die beiden noch drei Häuser weiter miteinander streiten. „Was sich liebt, das neckt sich“, sagte Yolei dann immer grinsend.

„Keine Sorge“, erwiderte Kentarou auf Tais Warnung. „So auf Dauer hab ich sowieso die Schnauze voll von den Digimon. Dauernd hier zu sein, das ist, als würde ein Maurer in einem Schloss aus Mörtel wohnen. Oder so ähnlich.“ Nachdem sie wieder in der Menschenwelt waren, stahl er sich ohne ein einziges Dankeswort davon, und seither hörten sie nie wieder etwas von ihm.

Die Stadt des Ewigen Anfangs erstrahlte bald wieder in all ihrer Pracht, und mit Tausenden DigiEiern pulsierte sie bald in neuem Leben. Es war ganz wie damals, nach Apocalymons Ende. Die DigiWelt würde wieder schön und von Unmengen von Digimon bewohnt werden. Izzy erhielt regelmäßig Nachrichten von Gennai, was ihn sehr freute. Die Macht der Dunkelheit hatte sich einmal mehr in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Es mochte nur eine Frage der Zeit sein, bis irgendein finsteres Digimon wieder nach der Macht griff, doch für diesen Zweck würde es neue DigiRitter geben, und Gennai versprach, alles zu tun, damit so ein schrecklicher Verrat, wie er durch Taneo begangen worden war, nie wieder vorkam.

So drehte sich das Rad der Zeit und ein weiterer Vers wurde in das Lied der Gekomon aufgenommen.
 

Tokio, Japan

Sonntag, 1. Mai 2016

17:40 Uhr
 

T.K. saß vor seinem Computer und lauschte dem Vogelgezwitscher, das friedlich durch die gekippten Fenster hereinwehte. Ein frischer Luftzug mit dem Duft des Frühlings erfüllte sein Arbeitszimmer. In dem gepolsterten Hundekörbchen neben dem Schreibtisch dösten Patamon und Gatomon vor sich hin. T.K. holte sie mit Akis DigiVice immer noch hin und wieder zu sich. Auch die anderen hatten Ansatsus DigiVice behalten, um kleine Reisen in die DigiWelt tätigen zu können. Das Tor ließ sich damit immer noch öffnen, doch wie es schien, hatte es Gennai irgendwie geschafft, die Fähigkeit der DigiVices, Digimon-Attacken zu benutzen, zu blockieren.

Schriftzeichen erschienen vor T.K. auf dem Bildschirm. Und? Wie war die Feier?

Er lächelte. „Du kennst ja Yolei“, sagte er in das Mikrofon. „Sie war so zappelig, als stünde sie unter Strom. Und Ken, tja … der sah auf einmal so unsicher aus, als würde er am liebsten wieder kehrt machen.“

O weh. Ist es trotzdem gut gegangen?

„Klar. Als es darauf ankam, hat er wild entschlossen sein Ja-Wort gegeben.“ Er schmunzelte. „Davis hat dann gemeint, wahrscheinlich würde Yolei letztendlich Ken über die Schwelle tragen und nicht umgekehrt.“

Ein Glück. Hast du ihnen meine Glückwünsche übermittelt?

„Natürlich.“ T.K. zögerte ein wenig. „Hör mal … Ich hab mir etwas überlegt. Ich will gerne ein Buch über unsere Abenteuer in der DigiWelt schreiben.“

Das ist eine tolle Idee!

„Findest du?“, fragte er hoffnungsvoll. „Ich werde aber diese letzte Geschichte auslassen, denke ich. Sie sitzt mir noch zu tief in den Knochen, weißt du. Es stimmt schon, dass alte Wunden heilen, aber die Narben hat man ein Leben lang.“ Er sah auf seine Hand, bewegte die Fingerstümpfe.

Es ist deine Entscheidung, T.K. Wenn du es so schreiben willst, dann wird es das Beste sein.

„Ich werde auch einen kleinen Epilog schreiben“, fuhr T.K. fort. „Was wir noch aus unserem Leben gemacht haben und so. Ich will, dass du darin vorkommst.“

Er glaubte, etwas wie Belustigung zwischen den Zeilen zu spüren, als er ihre Antwort las: Aber gerne doch.

„Du wärst doch immer gern Kindergärtnerin geworden, oder? Ich kann mir dich so richtig mit den kleinen Rackern vorstellen. Wäre es dir Recht, wenn ich das für dich schreibe?“

Natürlich, wieso nicht? Es wird Spaß machen, das zu lesen. Kurze Pause. Was wirst du sonst noch schreiben? Über uns beide, meine ich.

„Ich weiß nicht.“ Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Aber mir fällt bestimmt etwas ein.“ Er sah abermals zu Patamon und Gatomon, dann zu den beiden DigiVices, die er vor sich liegen hatte. „Bis dahin – was hältst du davon, wenn wir wieder mal ein wenig gemeinsam durch die DigiWelt reisen?“
 

ENDE


Nachwort zu diesem Kapitel:
Es ist nun doch The Abacus' Prophecy anstatt The Slide Rule's Prophecy geworden, nur falls sich jemand wundert^^
Hoffe es hat euch gefallen :) Viel ist zwar nicht passiert, aber es hat einen weiteren Grundstein für später gelegt ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Zu dem Kapitel hab ich so einiges zu sagen^^ Der erste Teil sollte wieder mal recht harte Action beinhalten, mit einem Schuss Psycho. Der zweite, mit Matt und Sora, sollte ein ganz bestimmtes Gefühl zum Ausdruck bringen, dieses endlose Warten in der Dunkelheit, während man in jeder Sekunde mit einer Gefahr rechnen muss, und die grenzenlose Erleichterung, dass dann im Endeffekt nichts passiert ist (ja, ich kann auch so^^), die Angst umeinander, während der Morgen noch so fern scheint ... Schwer in Worte zu fassen, ich hoffe, ihr konntet in dem Kapitel das Gefühl zumindest erahnen ;) Dieser Teil, samt Matts Albtraum (ich dachte, es könne nicht schaden, auch ihn mal ein wenig aus der Fassung zu bringen^^) und dem Titel ist übrigens von dem Lied New Dawn von In Flames inspiriert. Das Lied, das Matt "abgekupfert" hat von der Band, die Sora erwähnt, gibt's übrigens wirklich, es ist Halt mich von Schandmaul. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich glaube, man merkt, dass die Story jetzt langsam eine epischere Richtung einschlägt, es gab ja recht viele Schauplatzwechsel und alles. Der Teil in der Realen Welt war ein bisschen als Auflockerung gedacht ;) Zu den Dunkeln: Ich weiß nicht warum, aber es macht mir irre Spaß, ein wenig ihren "Alltag" und ihre Interaktionen untereinander zu beleuchten, sowohl im letzten Kapitel als auch in diesem. Ich mag sie komischerweise mittlerweile recht gern^^ Mja, und wie man sieht, haben sie Probleme, ihre Festung wieder in die Luft zu bekommen^^
Und wieder mal zu Ken. Bei ihm kristallisiert sich langsam etwas heraus und er wird demnächst wieder eine größere Rolle spielen als bisher ;)
Was demnächst passiert, lässt sich vielleicht schon erahnen - das nächste Kapitel wird "Sword and Scythe" heißen. An der Stelle sag ich nochmal danke für eure Kommis :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich bin richtig stolz auf das Kapitel, vor allem auf den Kampf, auch wenn er ziemlich, äh, hart war, wie ich beim Korrekturlesen gemerkt habe^^
Mich würde interessieren, wie ihr Aki findet, also seine Persönlichkeit und seinen Hintergrund :)
Der Anfang, diese Lagebesprechung, hat mir auch Spaß gemacht zu schreiben, ich hoffe, es war nachvollziehbar und nicht trocken ;)
Ja, und Ken bekommt jetzt langsam seine Rolle^^
Alles in allem hoffe ich wieder mal, dass es euch gefallen hat :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Wie ihr merkt, die Kapitel werden länger^^ Dieses hier war zur Abwechslung mal ziemlich Ken-lastig und sollte eigentlich so ziemlich alle Fragen um ihn klären. Die zweite Hälfte war nicht sehr actionreich, gebe ich zu, aber seht es einfach als kleine Atempause nach dem letzten Kapitel XD Das Seil, das T.K. und Kari im Kampf gegen Piedmon hochgeklettert sind, fand ich immer schon interessant - das hier ist meine Interpretation davon, wo es wohl hinführen könnte ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das Kapitel hier war auch eines ohne Action, dafür (zumindest hoffe ich das) eines mit mehr Emotionen. Ich hatte großen Spaß, es zu schreiben, vor allem die Szene mit Phantomon und T.K. Ich fand es witzig, ihn von den anderen Digimon mit "Erhabener Meister Takeru" anreden zu lassen XD Hach ja^^
Die Ankunft bei der DigiAllianz wollte ich nicht extra in die Länge ziehen und nicht noch riesige Problematiken dabei aufkommen lassen. Daher darf Leomon nun Anführer sein^^
Das nächste Kapitel heißt "Déjà-vu", vielleicht kommt ihr dahinter, worum es gehen wird ;)
Ich komme mit der FF langsam in den Endspurt, was man vielleicht auch daran sieht, dass die Kapitel jetzt so lang sind XD Trotzdem noch eine offizielle Benachrichtigung: Wer sonst noch eine ENS von mir will, wenn es neue Kapitel gibt, möge sich bitte auf irgendeinem Weg bei mir melden :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hm, mir ist eben erst aufgefallen, dass das Kapitel rein von T.K. und Ken handelt^^
Drei Dinge: Erstens hoffe ich, es ist niemand enttäuscht, weil in der geheimnisvollen Büchse "nur" die verbleibenden Karten sind ... es erschien mir interessanter, sie auf diese Art zusammenzupacken, als sie von den einzelnen Fraktionen mühsam in Felsspalten suchen zu lassen. Zweitens, ich fand es ... sagen wir mal, interessant, die Szene aus Folge 19 zu wiederholen, daher auch der Kapiteltitel, nur eben mit vertauschten Rollen - und man sieht auch, inwiefern sich T.K. verändert hat, in der Folge hat er sich ja schlagen lassen ;)
Und schließlich, drittens, das Übliche^^ Ich hoffe, die Kampfszene kam mitreißend und nachvollziehbar rüber^^
Ach ja, und doch noch viertens - ich hoffe außerdem, dass es niemanden gestört hat, dass die Perspektive während des Kampfes ein paar Mal gewechselt hat, ich hab mich bemüht, das nicht zu abrupt zu machen.
Hui, somit hätten wir Kapitel 30 und die 100.000-Wörter-Grenze geknackt :) Im nächsten Kapitel sehen wir uns wieder in Locomotown ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das Kapitel war ziemlich informationslastig, ich weiß, aber ich entwickle eine rege Freude daran, so Ratssitzungen und dergleichen zu schreiben, etwas, was ich noch vor einem Jahr vielleicht gar nicht gewollt hätte^^ Ich glaube, es ist nicht jedermanns Sache, und hoffe daher, dass es nicht langweilig war; auf jeden Fall ist es eine gute Zusammenfassung des Ist-Zustands im DigiKrieg :) Eine Schlacht gibt's dann dafür im nächsten Kapitel, aber auch wieder etwas Romantik^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Soooorry die Verspätung^^ Dafür ist das Kapitel länger als die anderen :D Ich hätte es zwar schön in der Mitte teilen können, aber ich wollte sowohl die Action als auch den Ausklang hier drin haben.
Es war bisher die größte Schlacht, ich hoffe, sie hat euch gefallen :) Die Feier im Anschluss war für mich auch wieder witzig zu schreiben (ich bin ein richtiger Ogremon-Fan geworden XD) und so ein Lied, das die Vorgeschichte noch ein wenig zusammenfasst, wollte ich auch unbedingt drin haben :) Ich bin richtig stolz darauf, wie es geworden ist XD Und es hatte ja so gesehen auch eine tiefere Bedeutung. Man beachte, dass Matts Teil sich tatsächlich nicht so schön reimt wie der von den Gekomon, die das Lied ja lange vorbereitet haben XD Von Matts letzten Zeilen ist übrigens auch der Kapiteltitel abgewandelt.
Vom Schluss hoffe ich, dass er nicht langatmig oder kitschig war, den zu schreiben ist mir gar nicht so leicht gefallen^^
Das nächste Kapitel heißt dann: The Pirate’s final Harbor ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich bin zwar todmüde nach diesem Wochenende, aber ich hab euch nicht vergessen ;D Hoffe, es hat euch gefallen^^ Es waren eher Zusammenfassungen, wer was macht, bevor die Schlacht losgeht. Ich bin überrascht, dass das wieder fast 4000 Wörter hergegeben hat XD
Ums nächste Wochenende herum geht es dann mit der großen finalen Schlacht los :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Danke, wenn ihr bis hierher durchgehalten habt XD Ich verspreche euch, ein so langes Kapitel wird es nicht mehr geben, aber ein wenig hat es mich schon auch gereizt, so ein Bomberkapitel zu schreiben ;)
Ich hoffe, dass ich die Logikfehler, die mir beim Korrekturlesen noch aufgefallen sind, alle ausgemerzt habe^^ (Und verdammt, das setzen der Kursiv-Tags war der Horror O.o)
Ich hab mich bemüht, den DigiRittern alle eine eigene Rolle zuzuteilen, sodass sie nicht in einer Linie nebeneinander in die Schlacht laufen, das wäre mir zu langweilig gewesen^^ Mit der Menge an Charakteren ist es, denke ich, richtig episch geworden, und ich hoffe, der Überblick ging nicht verloren.
Mir ist klar, dass diese eine Sache - Ken muss Yolei retten - ein ziemliches Helden/hilflose Jungfrau-Klischee ist, aber irgendwie war Yolei die einzige, die so unüberlegt in die Schlacht fliegen würde, und Ken der einzige, der sich gegen Digimon zur Wehr setzen kann XD Von daher fand ich es wieder passend^^
Ich hatte jedenfalls riesigen Spaß, das Kapitel zu schreiben, und hoffe, es war auch spannend zu lesen ;) Und ich glaube, nach diesem Brocken kann ich mir mit dem nächsten Kapitel ein wenig Zeit lassen ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hm, was kann ich dazu sagen ... Centarumon und Meramon hatten es einfach verdient, einmal ein bisschen mehr im Mittelpunkt zu stehen^^ Und die Sache bei Cody sieht jetzt natürlich wieder ganz anders aus ... Ich bin recht stolz auf das Kapitel, hoffe, es gefällt euch ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Fast hätte ich das Kapitel geteilt, aber dann hab ich mich entschlossen, es euch doch in seiner ganzen Pracht zu präsentieren :) Diesmal war es, auf seine Weise, wieder ziemlich T.K.-lastig. Ich glaube, man hat jetzt einen guten Einblick in seine Gedankenwelt gewonnen. Und ja, er ist extrem hartnäckig XD So einem Schwertkampf zwischen den beiden konnte ich auch nicht widerstehen^^
Der erste Teil sollte übrigens die typische Entschlossenheit der DigiRitter in der Serie widerspiegeln ;)
Ah ja, und ich hoffe, das mit Tanemon hat niemand von euch kommen sehen XD
Das nächste Kapitel trägt den Titel "Bullet Maiden" - ihr werdet erraten, wer damit gemeint ist ;) "At the End of Nightfall" war übrigens eine Zeitlang der Titel, den ich für Shards vorgesehen hatte, aber für dieses Kapitel passt er besser^^
Hoffe mal wieder, dass es euch gefallen hat, und bis zum nächsten dann :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, großer Auftritt von Yolei :) Und Showdown in der Zitadelle. Merkt man, dass ich keine Lust mehr habe, meine Kapitel auf handliche 3000-Wörter-Portionen aufzuteilen?^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das Wortspiel mit der Hoffnung musste einfach hier rein^^ Und ich hoffe, dass mir die Überraschung gelungen ist, die Konfrontation mit Davis emotional und spannend war, et cetera.
Sonst hab ich nicht viel zu sagen ... Noch zwei Kapitel bis zum Schluss. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich wollte mit dem Kapitel noch ein bisschen die Möglichkeiten ausschöpfen, diese Besonderheit bei den Karten, dass es eben noch eine Agumon-Karte gibt. Und Jun noch einzubauen fand ich auch witzig^^
Der Titel ist übrigens an den der entsprechenden Digimon-Folge angelehnt. Ich hab ihn zusammengeschrieben, weil das knackiger klingt XD
Und wer von euch hat wirklich daran gedacht, dass Taneo ja noch seinen Digimon-Partner hat? :D
Nächste Woche - das große Finale! :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, meine Lieben, das war Shards!
Ich wollte den Endkampf so realistisch wie möglich machen, ohne eine neue Überdrüber-Digitation. Die Herausforderung war, aus dem kläglichen Rest der DigiVices noch ein annähernd mächtiges Digimon herauszubekommen; wie es der Zufall will, hat das gerade für Shakkoumon gepasst.
Dass die meisten von euch unentwegt an T.K.s gute Seite geglaubt hat, hat mich in der Entscheidung bestärkt, dass auch seine langjährigen Freunde im letztenlich vergeben können.
Zu Kari: Ich habe mich hier der simplen Tatsache bedient, dass nie jemand der DigiRitter in der DigiWelt gestorben ist, ergo niemand wusste, was danach mit einem geschieht.
Ich danke euch, dass ihr mir bis hierher treu wart, danke euch für die Kommis, und freue mich, wenn es euch gefallen hat :) Weitere geplante Digimon-FFs findet ihr übrigens in meinem Steckbrief ;)
Es gibt nun auch das versprochene "Nachwort" mit Hintergrundfakten und Anekdoten zur Entstehungsgeschichte von Shards, woher die Ideen stammen, die Namen, etc. Ihr findet es hier.

UrrSharrador Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (302)
[1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11...20] [21...30]
/ 30

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  L-San
2013-12-19T10:41:01+00:00 19.12.2013 11:41


Yo!^^


Da bin ich wieder.
Das Kapitel habe ich schnell durchgelesen, weil spannend.
Dachte mir schon, dass mit dem 'Fan' was nicht stimmte.
Aber ich wollte es zu dem Zeitpunkt einfach nicht wahrhaben.
Ich hätte nicht gedacht, dass er es mit einem Digimon aufnehmen kann.
Vielleicht hat er ein Spezialtraining absolviert für solche Fälle.^^
Vielleicht lese ich ja einen Einblick in sein Leben, mal schauen, was mich erwarten wird.
Den Anfang hast du schön gestaltet, recht friedlich, und dann eben die Action.^^
Die ist dir gut gelungen.
Steigerung ist sicherlich noch drin, denke ich.^^
Und ich vermute, dass die Verletzung nicht ohne sein wird, wahrscheinlich eine Vergiftung?
Nun ja, ich lasse mich überraschen. ;]
So, damit hab ich nun wieder eine gerade Zahl zu diesem Kapitel und zur FF überhaupt. DDD
Gutes Kapitel!


LG
L-San


Von:  L-San
2013-12-18T09:15:27+00:00 18.12.2013 10:15


Yo!^^


So, was Yami/Matt anging, ich wusste das nicht.
Dachte zuerst, ich hätte irgendwas verpasst oder so.
Aber der Name Matt sagt mir was.
Zunächst dachte ich, das wäre dieser Braunhaarige, bis dann klar wurde, dass es der Blonde sein muss.
So, weiter zum nächsten Punkt.
Das 'Alltagsleben' hast du schön zusammenfassend wiedergegeben, mit der Action habe ich nicht gerechnet.
Umso mehr freut es mich.^^
Mir hat vor allem die Stelle gefallen, wo er den Stein nimmt und es seinem Gegner schmettert. ;DD
Nicht, dass ich mit dem Mitleid hätte, denn das hat er ja verdient. ;DD
Aber, ich frage mich, was es mit dieser Jagd auf sich hat.
Es bleibt spannend, und an dieser Stelle würde ich sagen, ich freue mich schon auf's nächste Kapitel.
Bis zum nächsten Mal. ;]


LG
L-San


Von:  L-San
2013-11-22T11:26:58+00:00 22.11.2013 12:26


Da ich Mathe ja so mag, ist die Zahl zehn ein Muss. ;DDD
Gutes Kapitel! ;D

LG
L-San


Von:  L-San
2013-11-22T11:23:09+00:00 22.11.2013 12:23


Yo Urr.


Ich komme nun endlich zum Lesen.^^
Interessantes Kapitel. ;]
Aber erstmal schleudere ich dir einen Fehler entgegen:
Es war ein Junge, um die vierzehn vielleicht, mit langem blondem Haar, das er sich über ein Auge gegelt hatte.
Deutsch ist zwar nicht meine Muttersprache, und ich beherrsche es auch nicht perfekt, aber müsste es nicht [block]langem blonden Haar[/block] heißen?
Ich meine, m und m vertragen sich nicht und sollten nicht im Doppelpack auftreten. ;]
An manchen Stellen haben Kommas gefehlt.
Wenn du willst, zeige ich sie dir auf, aber ich glaube, die sind wohl alles Ansichtssache.^^

So, jetzt zum Inhalt.
Er ist sehr interessant und motiviert zum Weiterlesen.
Die ganzen Adjektiven runden den Text schön ab. ;]
Dass nur noch ein guter DigiRitter der neuen Generation am Leben ist, finde ich interessant.
Ist dann also nur noch die erste Generation übrig?
Und dann der neue Bösewicht.
Ich hätte nicht damit gerechnet, dass er mal einer von den Digi-Ritter war.
Es muss irgendwas vorgefallen sein, dass er böse wurde.
Vielleicht ein schwarzes Zahnrad oder irgendwas, das ihn manipuliert/kontrolliert?
Oder er fühlt sich zu der dunklen Macht hingezogen.^^
Nicht verraten, ich lass mich überraschen.

Bis zum nächsten Mal! ;D


LG
L-San


Von:  4FIVE
2013-11-18T10:15:51+00:00 18.11.2013 11:15
So, ich wieder mal

Ich muss gestehen, ich bereue es inzwischen, diese FF nicht früher entdeckt zu haben. Das hat einen negativen und einen positiven Grund: der positive ist, dass es sicherlich eine der wenigen geworden wäre, die ich tatsächlich mit Begeisterung verfolgt hätte. Der negative ist, dass es wirklich sehr anstrengend ist, diese ganze Action zu lesen. Ich bin ein Fan von Action/Thriller/Gen, das bietet Shards en maß, bloß wird es langsam ein wenig viel. Zu Anfang war der Fokus auf die Charaktere gelegt, alles hat sich aufgebaut, es waren Rätsel dabei, mittlerweile ist es mir persönlich ein wenig zu viel. Hätte ich alle paar Wochen so einen Happen bekommen, wäre ich sicherlich weniger unzufrieden damit gewesen.

Weil's mir gerade einfällt: einmal schreibst du "kann`s" und einmal "kann´s" innerhalb zwei aufeinanderfolgender Sätze. Ist rein grammatikalisch kein schwerer Fehler, bloß schaut's ein wenig seltsam aus. ^^

Zum eigentlichen Inhalt der letzten beiden Kapitel: habe ich es richtig verstanden, dass Tai diesen Feuerwirbel überlebt hat und dann halb verreckt, weil er auf ne beknackte Sense eines toten Digimon fällt? Es tut mir im Nachhinein sehr leid, aber ich hab einfach nur gelacht! Das ist so unepisch, dass es bereits wieder episch ist.
Codys und T.K.s Gespräch hat mir auch besonders gut gefallen, es hat diese actionlastige Atmosphäre mal für ein paar Zeilen gelockert (trotzdem noch zu viel für mich, tut leid ^^"). Ich hab das Gefühl, dass du sehr viel Arbeit in T.K.s Charakterentwicklung gesteckt hast. Ich finde alle Charaktere sehr stimmig, aber er topt das dann noch einmal. Seine Gründe haben mich echt umgehauen, alles ergibt so schön Sinn! Ich habe es schon oft erlebt, dass die "Bösen" keine richtige Begründung haben. Hier passt alles zusammen.
Die Romantik allerdings - tut mir leid - kauf ich dir einfach nicht recht ab. Da hab ich das Gefühl, dass wir uns sehr ähnlich sind vom Schreibstil her. Es ist nicht so, dass Mimi/Tai und Ken/Jolei nicht niedlich waren (vor allem Ken und Jolei!), aber so recht kommt's bei mir einfach nicht durch. Dazu bietet die Geschichte zu viel Action und Epik. Es stört nicht, aber Tai und Mimi zB hab ich dir einfach nicht abgekauft. Ich seh das aber jetzt gar nicht als Negativpunkt, im Gegenteil. Es gibt eh zu wenig FFs, die ohne Romantik auskommen könn(t)en.

Was ich noch anfügen möchte, obwohl ich nicht weiß, ob ich es nicht eh schon erwähnt hab: dafür, dass ich mein Leben lang nur Sora, Joey und Matt mochte, hast du mir hier fast alle Charaktere furchtbar sympathisch gemacht. Ken ist da ganz vorne mit dabei, dicht gefolgt von mittlerweile Izzy, Cody und Jolei.

Ehe ich nun also noch zu schwafeln beginne, mache ich hier Schluss und werde mal schauen, ob ich das nächste Kapitel heute noch schaffe.

LG
Von:  4FIVE
2013-11-15T20:32:16+00:00 15.11.2013 21:32
Hey Urr,

kaum zu glauben: ich habe nun wie lange gebraucht, um das Kapitel zu lesen? Ach, 2 Monate waren's bestimmt! Aber gestern in meiner Mittagspause war's dann fällig und ich hab die letzte Seite geschafft.
Paradoxerweise bin ich nach wie vor so erschlagen, dass ich eigentlich gar nichts sagen kann. Die Schlacht war extrem gut beschrieben. Ich bewundere dich dafür, wie hervorragend du ohne Kitsch/Quietsch/Fluff/Pairing oder sonst was auskommst, ohne dass es langweilig wird. Das hat man auch hier gemerkt. Man, oder zumindest ich merke, wie dein Stil sich über diese FF verändert hat, zumindest bilde ich es mir ein. Am Anfang dachte ich noch so "ja, cool, aha, aha, toll geschrieben", inzwischen bin ich aber begeistert. Ich kann nicht oft genug wie betonen, dass Digimon absolut dein Fandom ist, da kommt keine andere deiner FFs ran.

Zum Kapitel generell, wie gesagt, kann ich einfach nichts Spezifisches anmerken, vornehmlich weil ich es nicht übers Herz bringe, es zu zerpflücken. Ichb weiß, ich fasle ohne konstruktiv zu werden, aber hey, was solls, ne?

Liebe Grüße,
4FIVE.
Antwort von:  4FIVE
15.11.2013 21:34
Übrigens musst du bei den Songzeilen nochmal über die Kursiv-Tags drübergehen. Für jede Zeile extra, weil er die hier nur immer die erste genommen hat. Ist mir auch immer passiert, keine Ahnung wieso die nicht über die Absätze drübergehen...
Von:  L-San
2013-10-30T12:16:27+00:00 30.10.2013 13:16


Ich habe doch noch nachgezählt, mehr als dein Prolog ... WTF. O.O
Und, yes!
10. Kommentar.^^


LG
L-San


Von:  L-San
2013-10-30T12:13:57+00:00 30.10.2013 13:13


Hallo!


Durch mehrere Umwegen und Empfehlungen hab ich mich doch noch durchgerungen, mal in deinen Digimon-FFs zu schnuppern, sonst lese ich ja fast nur Naruto-FFs.^^
Wie dem auch sei, ich denke, ich kann diese FF problemlos lesen, vor allem, da ich die allererste Generation von Digimon gesehen habe, die mir irgendwie immer noch im Gedächtnis haftet.
Ein bisschen googlen bei Unklarheiten, wird mir nicht schaden.^^
Ich sollte mal anfangen, sonst artet mein Kommentar noch zu einem riesigen Roman, der deinen Prolog übertrifft. ;]


Kurzbeschreibung:
Wie bereits von dir gewohnt, klingt die Kurzbeschreibung immer sehr interessant, und du entwirfst anscheinend immer Trailer zu deiner FF, was ich beeindruckend finde.^^
Was mich ein wenig stört, ist die Masse der Kurzbeschreibung, die mich doch etwas überschlägt und ein wenig verschreckt.
Ich bin jemand, der gerne kurze und aussagekräftige Kurzbeschreibungen mag, aber das ist ja nur mein subjektives Empfinden, und jeder Autor soll nach seiner Façon handeln.
Was ich schön gefunden hätte, wäre, wenn du beim Text oben und unten ein wenig Luft gemacht hättest, sodass es eben besser und angenehmer auffällt.
Des weiteren hätte man vielleicht das Autorenvorwort erst am Ende, zum Schluss schreiben sollen, und nicht in der Mitte, denn wenn man eine FF anklickt, dann schaut man als Leser in der Regel direkt auf die Mitte, wo der Inhalt steht, der einem sagt, worum es in der Geschichte geht.
Also die Inhaltsangabe hätte man vielleicht deutlicher machen können.
Zum Beispiel durch Fett, oder die Angabe Inhalt:, oder gleich am Anfang, noch unter dem Zitat einfügen, usw.
Ähm, ich glaub, mehr hab ich nicht zu sagen.
Cover und Bilder zu den Charakteren sehen ansprechend aus.
Auch die Charakterbeschreibung klingt interessant und hilft mir beim Erfassen deiner FF, da es schon lange her, seit ich Digimon gesehen habe.^^
Ein paar kleine formale Fehler sind eingeschlichen in der Charakterbeschreibung, die Gedankenstriche sind mal kurz, mal lang.
Es wäre vielleicht besser, sich nur auf eine Länge festzulegen, im Idealfall also lang.
Ich gehe einfach davon aus, dass du das unabsichtlich getan hast, also, was ich sagen will, ist, dass Animexx deine gewünschte Formatierung nicht übernommen hat.
Gesetz dem Fall, dann muss man umständlicher Weise die Formatierung aus Word übernehmen, kopieren also.
So, jetzt sollte ich einen Schlussstrich setzen, sonst hat mein Kommentar mehr Wörter als dein Prolog. O.o


Inhalt: Prolog
Ein ganz normaler Anfang, erst ruhig und friedlich, doch dann kommt die mehr oder weniger unerwartete Wendung.
Du hast die Eindrücke gut dargestellt, ebenso die Atmosphäre, die plötzlich von Ruhe auf Spannung/Angst wechselte, als ob du einen Schalter umgelegt hättest.
Beschreibungsfanatiker, der ich bin, konnte ich mich sehr gut mit deinen Darstellungen anfreunden.
Ich konnte mir schön alles vorstellen.
Ich finde, du hast ein Händchen dafür, denn sie sind nicht zu viel und nicht zu wenig, zudem klingen sie bei dir immer so interessant, dass man weiterlesen will.
Vielleicht irre ich mich ja, aber mein Eindruck ist der, dass du in deinen FFs versuchst, etwas Unausgesprochenes festzuhalten, sie je nach Szene subtil oder ganz deutlich umsetzt, was ich sehr gut finde, da das nicht jeder Autor kann, dafür braucht man schon ein gewisses Talent und natürlich ein Händchen dafür, was du ja besitzt. ;]
Natürlich ist das jetzt nur meine subjektive Meinung, und ich kann natürlich im Unrecht liegen.^^
Ich schweife ab, was ich sagen wollte, ist, dass ich mir bei dir alles gut vorstellen kann, und das gefällt mir bei dir. ;]
*lol, klingt fast nach Shounen-Ai*, aber du weißt ja, was ich meine. ;DD
Die Stelle, wo der Protagonist scheinbar aufgespießt wurde, fand ich richtig cool. @.@
Ich hab 'n seltsamen Geschmack, aber ich mag es, wenn ein Autor keine Hemmungen hat, solche Szenen niederzuschreiben.^^
Mich beschleicht mich mehr und mehr das Gefühl, dass ich tatsächlich einen Roman schreibe, was soll's. ;]
So, mehr hab ich zum Inhalt nicht zu sagen.


Charaktere:
Mangels meiner Kenntnisse in Digimon kann ich dazu kaum was sagen.
Muss ich mehr lesen und mich informieren.^^


Rechtschreibung/Grammatik:
Wirklich darauf geachtet habe ich nicht, weil dein Prolog mich doch mitgerissen hat, aber ich meine, da waren keine oder kaum Fehler, was ich ja von dir gewöhnt bin, Herr Fast-Fehlerlos.^^
Mir ist nur aufgefallen, dass du etwas zu oft die Auslassungspunkte (...) verwendest, das könnte man vielleicht ein wenig entschärfen.
Ich weiß, was du damit erzielen willst, doch wäre es vielleicht besser, Beistriche oder Gedankenstriche zu benutzen, und die Punkte wirklich nur in sehr wenigen Fällen zu verwende, so meine Ansicht.


Schreibstil:
Du arbeitest gerne mit Adjektiven.
Immer schön auffallend, das mag ich, und das ist wohl einer der Gründe, weshalb ich deine Beschreibungen immer so mag.
Mehr zum Schreibstil gibt es im Verlauf meiner Kommentare.


Fazit:
Ein durch und durch gelungener Anfang.
Ich bin erstaunt, dass diese FF offenbar deine erste im Fandom Digimon ist.
Das ist schon richtig gut, was du da schreibst.
Zugegeben, bis jetzt fand ich den Prolog nur gut, aber so richtig umgehauen hat es mich persönlich noch nicht, da fehlt irgendwie das gewisse Etwas, aber das ist Ansichtssache, und du schreibst diese FF ja nicht für mich.
Ich bin mir sicher, dass ich im Verlauf sicher überrascht und begeistert sein werde, wie in all deinen anderen Geschichten, die ich bis jetzt gelesen habe.
So, ich hoffe, ich hab dich mit meinem Review nicht allzu sehr an den Kopf gestoßen, vermutlich aber durch die Länge erschlagen. ;DDDDD
Wann ich weiterlesen werde, weiß ich noch nicht, da die Uni mich schon so ziemlich stresst, aber verfolgen werde ich deine FF auf jeden Fall. ;]
Ich bin jetzt zu faul, um nachzuschauen, ob mein Kommentar jetzt wirklich länger ist als dein Prolog, vielleicht hast du ja die Motivation und machst das.^^
Wie dem auch sei, ich verabschiede mich hier und wünsche dir noch einen schönen blauen Tag (im Sinne von strahlend blauer Tag und nicht das "blau-sein"). ;DD


LG
L-San


Von:  4FIVE
2013-09-22T09:09:23+00:00 22.09.2013 11:09
Huhu~ da bin ich wieder! Nachdem ich jetzt endlich mal wieder ein wenig Luft habe, dachte ich mir, beende ich, was ich angefangen habe. :)

Das Kapitel an sich hat mir gut gefallen. Nicht durchschnittlich und nicht sehr gut. Es war eines der besseren, aber keines der sehr guten. Aus einem Grund: Tai/Mimi. Ich mag das Pairing, darum habe ich mich über die Tatsache, dass du es (nach den letzten Kapiteln ja nicht mehr so überraschend) explizit machst. Allerdings hat mir die Szene dazu nicht so gut reingepasst. Ich vermute, du wolltest einen Kontrast zu der Schlacht schaffen, das ist dir auch gelungen, ich persönlich lese in dieser Geschichte aber lieber keine expliziten Pairings. Da geht mir fast ein wenig die Epik verloren.

Wie dem auch sei, das alles hat dieses Gedicht wettgemacht. An diesem Punkt bin ich mir fast sicher, dieses Kapitel schon einmal kommentiert zu haben, aber ich habe nachgesehen, also scheinbar doch nicht. Hmm, das ist verwirrend und flasht mich grad total, aber was soll's.
Anyways, das Gedich war toll. Matts Part klang in der Tat holpriger, was man ihm verzeihen kann, weil aus dem Stehgreif zu reimen ab der dritte Zeile echt schwer ist.

Generell habe ich das Kapitel gerne gelesen, es hat mich aber nicht so mitgerissen wie die ersten und die Mitte. Vielleicht fiebere ich gegen Ende hin noch mal total mit! Bin mir dessen fast sicher.

Liebe Grüße,
4FIVE.
Von:  4FIVE
2013-08-21T07:48:55+00:00 21.08.2013 09:48
Zum vorangegangenen Kapitel kann ich nicht wirklich etwas sagen, weil es ja nur aus einem Kampf bestanden hat. War ne schöne Dynamik, mir aber einfach zu lang.

Noble Ambitions hat mich wieder amüsiert. Die Bösen sind bei dir einfach klasse und ich mag sie inzwischen fast mehr als die eigentlichen Helden. Wie schön, dass bei den Dunklen alles so super klappt; ich frage mich schon, was das für ne Attacke ist.
Ich finde, dass ein Militärlager zu beschreiben, immer eine recht schwierige Angelegenheit ist. Alles zu erwähnen, was als Vorbereitung zu einer Schlacht dient, ohne fad zu werden, ist für mich immer recht diffizil. Du hast es sehr gut gelöst. Der Leser hat einen Überblick über diese Tage, in denen nichts sonderlich Wichtiges passiert, die aber doch wichtig sind. Ich freue mich, dass es so flüssig zu lesen ist. :)

So, für heute war's das wieder. Ich verabschiede mich zu meinen nächsten - hoffentlich konstruktiveren - Kommentaren.

Liebe Grüße,
4FIVE.


Zurück