Zum Inhalt der Seite

Dei Gratia

Gottesgnadentum
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Im Kristallwald

„Wohin gehen wir eigentlich genau?“, fragte Seline am nächsten Morgen.

Sie saß gerade mit Aurora und Asterea an einem nahgelegenen Fluss, um sich dort zu waschen, was aufgrund der angenehmen Temperaturen von beiden Naturgeistern gleich zu einem richtigen Bad ausgedehnt worden war. Seline hatte allerdings darauf bestanden, wesentlich früher wieder aus dem Fluss zu steigen und war inzwischen angezogen.

Während sie die anderen beiden beobachtete, kam ihr der Gedanke, dass sie fragen könnte, wohin genau sie eigentlich gehen wollten. Sie erinnerte sich noch, dass sie Fileons Kristallhälfte suchten, damit Cronus sie wieder nach Hause bringen könnten – aber durch die Begegnung mit Ladon hatten sie bereits die ganzen Details wieder vergessen.

Asterea stieg gerade selbst wieder aus dem Fluss und sah ratlos zu Aurora, die tatsächlich die Antwort wusste: „Lika sagte, sie will nach Südwesten und sich da mit Cerise treffen.“

Während die Sternennymphe darauf verstehend nickte und sich dem Anziehen widmete, runzelte Seline die Stirn. Unwillkürlich erinnerte sie sich daran, wie ihre Kammerdienerin sie früher stets dafür zurechtgewiesen hatte. Stirnrunzeln führte zur vorzeitigen Faltenbildung und wie sollte ein Mann sich denn jemals für sie entscheiden, wenn sie Falten hatte?

Aber jetzt kümmerte sie das nicht mehr im Mindesten, schon allein deswegen, weil sie gerade ganz andere Dinge beschäftigten. „Wer ist Cerise?“

„Sie kommt auch aus einer anderen Welt“, erklärte Aurora. „Aber einer, die mittels mehrerer Portale mit unserer verbunden ist.“

Selines Kopf schwirrte bereits, weswegen sie beschloss, lieber nicht mehr zu viel über diese Welt nachzudenken. Sie kannte nicht einmal viele Dinge über ihre eigene, vielleicht war es dann falsch, wenn sie versuchte, so viel über andere in Erfahrung zu bringen.

„Südwesten also“, sagte sie daher. „Und du glaubst, sie ist dort?“

Aurora zog sich ihren Mantel wieder über. „Ich hoffe es. Wenn nicht, müssen wir weiter nach ihr suchen.“

Da sie offenbar bemerkte, dass diese Antwort zu keiner großen Freude bei ihren beiden Begleitern führte, fügte sie lächelnd noch etwas hinzu: „Wir werden sie schon finden, macht euch nur keine Sorgen. Warum seid ihr nur alle so negativ?“

Seline verkniff sich das Lächeln, spritzte sich noch einmal Wasser ins Gesicht und stand dann auf. „Wir sollten dann mal zurück, die anderen warten bestimmt schon.“

Also begaben sie sich wieder zu den Männern, die an diesem Morgen überraschend ruhig waren. Fileon, Ambrose und Asric saßen zusammen und unterhielten sich flüsternd, während Russel ein wenig abseits stand, den Rücken gegen einen Baum gelehnt und lächelte unschuldig – zu unschuldig, wie Seline fand. Während die Naturgeister Fileon von den anderen beiden Männern loseisten, um mit ihm über das weitere Vorgehen zu sprechen, ging Seline zu Russel hinüber. „Du bist heute so gut gelaunt.“

„Ist das ein Verbrechen?“, erwiderte er immer noch lächelnd.

„Bei dir schon.“ Sie stemmte die Arme in die Hüften und schenkte ihm ein kokettes Lächeln.

Er hob eine Augenbraue. „Du hast mich durchschaut, hm?“

Aufgrund all der Literatur in der Vergangenheit und auch der Erziehung durch ihre Diener, wusste sie, dass sie eigentlich verärgert sein müsste, aber stattdessen fühlte sie sich sogar ein wenig geehrt. „Hat dir wenigstens gefallen, was du gesehen hast?“

„Ja, Asterea und Aurora sind echt heiß.“

Er zwinkerte ihr zu und lachte dann, als sie ihm einen kraftlosen Schlag gegen den Arm verpasste. Dann wandte sie sich von ihm ab und bemerkte, dass die Gruppe inzwischen zusammengetreten war und nur noch sie fehlten. „Wir sollten uns den anderen vielleicht auch mal anschließen.“

Sie warfen sich noch einmal einen lächelnden Blick zu, dann gingen sie zu den anderen hinüber, die sie bereits erwarteten.

„Wohin jetzt?“, fragte Russel.

„Laut Aurora müssen wir in den Südwesten“, antwortete Fileon. „Dazu müssen wir durch einen Wald über dessen Zustand ich mir nicht ganz im Klaren bin. Es könnte ein normaler Wald sein oder er ist aus Kristall, so wie dieser Baum, den wir am Anfang der Reise gesehen haben.“

„Wahrscheinlich Kristall“, sagte Asterea. „In dieser Gegend ist die Regeneration noch nicht sonderlich weit fortgeschritten.“

Seline fragte sich, wie ein ganzer Wald, der aus solchen Bäumen bestand, wohl aussehen mochte. War es ein schöner Anblick? Ein unheimlicher? Brach sich das Licht in den Kristallen? Beim ersten Mal hatte sie gar nicht so sehr darauf geachtet, deswegen war sie sich da gerade gar nicht so sicher.

„Bedeutet das, dass es gefährlich werden wird?“, fragte Russel.

Fileon schüttelte mit dem Kopf. „So lange man sich nicht aus Versehen die Haut an den Kanten der Kristalle aufschneidet, dürfte nichts geschehen.“

Asric warf einen bedeutungsvollen Blick zu Ambrose, der das allerdings gar nicht registrierte und sich eher darauf zu freuen schien, dass sie so etwas Aufregendes planten. Russel kümmerte sich vorerst auch nicht darum. „Gut, dann machen wir das.“

Als die Gruppe ihn ansah, fragte Seline sich unwillkürlich, wann sie eigentlich bestimmt hatten, dass er ihr Anführer war. Da keiner ihm widersprach, zweifelte wohl auch niemand an, dass er dafür geeignet war und sie wäre ohnehin die letzte, die sich darüber beklagte, nachdem sie ihm schon in ihrer alten Welt vertraut hatte.

Schließlich setzten sie ihre Reise fort, in Richtung Südwesten, nur mit der Hoffnung, dass sie Lika auch dort finden würden – zumindest bevor Ladon das nächste Mal auftauchte. Sie fragte sich ohnehin, worauf er wartete und weswegen er ihnen eine derart große Atempause ließ, aber sie zweifelte keine Sekunde, dass es zu seiner neuen Strategie gehörte.

Als sie dann am Kristallwald ankamen, war Seline ein wenig enttäuscht von dessen Anblick. Ein einzelner Baum, der aus diesem pupurfarbenem Gestein bestand, mochte vielleicht wunderschön sein, aber wenn man sich gleich einem ganzen Wald davon gegenübersah, verlor es ein wenig. Außerdem brach sich das Licht nicht in diesen Kristallen, weswegen der Wald finster und gerade undurchdringbar schien. Schon nach wenigen Schritten hinein befanden sie sich in einer düsteren Umgebung, die nur von wenigen Lichtstrahlen durchdrungen wurde, gerade genug, dass sie sich zurechtfinden könnten.

Russel, Asterea und Asric blieben stehen, während Seline mit Ambrose, Aurora und Fileon bereits weiterging, um sich den Wald genauer anzusehen. Sie spürte keinerlei Gefahr, weswegen sie nicht davon ausging, dass es eine schlechte Idee wäre, sich von den anderen zu entfernen.

„Und die sind alle total scharf?“, fragte Ambrose im Laufen.

„Du kannst es ja ausprobieren“, schlug Aurora vor, wogegen Fileon sofort protestierte: „Das ist wirklich gefährlich! Du solltest das doch wissen.“

Sie lachte leise und sah ihn mit einem entschuldigenden Lächeln an. „Ja, ja, ich weiß.“

Seline wollte gar nicht erst selbst in Erfahrung bringen, was der Nymphe wohl zugestoßen war, dass sie das unbedingt wissen müsste und blieb stattdessen auf einer Lichtung wieder stehen. Mehrere Wege zweigten von dieser ab, was ihr sagte, dass sie nicht weitergehen sollten, wenn sie sich nicht verlaufen und von den anderen getrennt werden wollten.

Also fuhr sie herum. „Wir sollten zurück.“

Von hier aus konnte sie noch bis zum Eingang des Waldes sehen, wo Russel, Asric und Asterea immer noch standen und sich miteinander unterhielten. Es gab ihr ein Gefühl von Sicherheit – bis sie jedenfalls eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahrnahm. Irritiert blickte sie zur Seite und bemerkte erschrocken, dass sich die Bäume zu bewegen begonnen hatten. Als sie genauer hinsah, fiel ihr allerdings auf, dass das eine falsche Beschreibung war. Die Bäume bewegten sich nicht – die Kristalle wuchsen einfach nur und das mit einer rapiden Geschwindigkeit.

„Was passiert hier?“

„Ich weiß nicht“, sagte Fileon. „Das habe ich auch noch nie gesehen.“

Zu spät bemerkte Seline, dass die Kristalle eine Wand bildeten, die sie von dem Rest der Gruppe abzuschneiden versuchten. Sie holte erschrocken Luft und rief dann unwillkürlich Russels Namen.

Er wandte sich ihr zu und im selben Moment, in dem er ebenfalls bemerkte, dass der Kristall nur noch ein schmales Sichtfenster ließ, rannte er auf sie zu – doch das Fenster schloss sich, ehe er sie erreichen konnte und so war es ihr nur noch möglich, ihn auf der anderen Seite leise fluchen zu hören.

Zum ersten Mal, seit sie in dieser Welt angekommen war, fühlte sie sich plötzlich vollkommen verloren. Sie war nicht allein und doch kam es ihr vor, als wäre genau das der Fall.

Sie sah zu Aurora und Fileon hinüber. „Was ist gerade geschehen?“

Die beiden zuckten ratlos mit den Schultern, weswegen sie, ohne große Hoffnung, zu Ambrose hinübersah. Dieser war bereits an die Kristallwand herangetreten und legte eine Hand darauf. Sein Gesicht war überraschend ernst, was sie so nicht von ihm kannte, ihr aber half, Asrics Geschichte der letzten Nacht tatsächlich zu glauben.

Jenseits der Wand hörte sie, wie Russel mit Asterea diskutierte, aber es schien nicht so, als kämen sie zu einer Lösung, also blieb ihr nur, weiter auf Ambrose zu vertrauen. Dieser betastete vorsichtig den Kristall, ohne sich dabei zu verletzen und trat schließlich zurück. „Diese Wand besteht aus einem anderen Material, als die Bäume, auch wenn sie sich ähneln. ... Was ist?“

Als er sie verwirrt ansah, erkannte Seline Ambrose tatsächlich endlich wieder, davor war alles an ihm, inklusive seiner Stimme, vollkommen fremd gewesen. Aber das wollte sie ihm gerade nicht sagen, weswegen sie mit dem Kopf schüttelte. „Gar nichts.“

Sie fragte sich, woher der Kristall kam, wenn er anders war als der Rest des Waldes und fürchtete bereits, dass Ladon sie doch erwischt hätte – aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass er ihnen eine solche Falle stellen würde. Bislang war er immer eher offensiv gewesen, wenn man von der versuchten Entführung absah, wegen der sie Russel überhaupt erst begegnet war.

„Denkst du, wir können irgendetwas dagegen tun?“

„Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube es aber nicht. Wir können es aber versuchen.“

Auffordernd sahen sie zu Aurora, die sofort verstand und mit einem Lächeln die Hand hob. „Ja, überlasst das nur mir, meine Lieben und tretet einen Schritt zurück.“

Die beiden folgten dieser Aufforderung. Eine Flamme umspielte ihre Hand und wurde rasch größer, ehe Aurora sie gegen die Wand schleuderte. Für einen Moment schien der Kristall zu leuchten, er erstrahlte regelrecht in einem orange-farbenem Licht – aber schon einen Atemzug später erlosch es wieder.

Aurora runzelte die Stirn, als sie das bemerkte. „Es bringt absolut gar nichts.“

Um sicherzugehen, betastete Ambrose die Wand noch einmal, schüttelte dann aber den Kopf. „Es hat wirklich nichts gebracht.“

Von der anderen Seite erklang Russels Stimme: „Was macht ihr da drüben!?“

„Experimentieren!“, rief Ambrose zur Antwort. „Habt ihr eine bessere Idee?“

Wieder erklang ein Murmeln auf der anderen Seite, ehe Russel antwortete: „Asterea sagt, ihr müsst einen der Wege nehmen, der tiefer in den Wald hineinführt. Ist euch das möglich?“

Seline blickte über ihre Schulter, es waren immer noch zwei Pfade, die sie sehen konnte, also bejahte sie die Frage und fügte dann eine eigene hinzu: „Aber welchen sollen wir nehmen?“

Noch ein Murmeln, dann die Antwort: „Sie weiß es nicht. Sucht euch einfach einen der beiden aus, wir treffen uns dann schon irgendwo.“

„In Ordnung.“

Sonderlich überzeugt war Seline nicht. Ohne Russel fühlte sie sich allein und Ambrose war ihr plötzlich fremd, weswegen sie sich nicht sicher war, ob das alles funktionieren würde. Doch als ob Aurora das bemerkt hätte, stellte sie sich direkt neben Seline und hakte sich bei ihr unter. „Dann gehen wir dieses Abenteuer an! Fileon, welchen Weg sollen wir nehmen?“

Der Custos blickte zwischen den Pfaden hin und her, aber für Seline sahen die beiden genau gleich aus. Wäre es ihre Aufgabe gewesen, einen der beiden zu wählen, wäre sie vollkommen ratlos gewesen. Fileon fand aber schließlich eine Möglichkeit, sich zu entscheiden. „Nehmen wir den rechten. Mein Gefühl sagt, dass es der bessere ist.“

Was auch immer wohl der schlechtere beinhalten mochte, aber das wollte sie nicht einmal herausfinden, deswegen hoffte sie, dass Fileon recht behielt.

Ambrose zögerte nicht lange und lief direkt in die angegebene Richtung, wobei es sich wieder anfühlte, als wäre er nicht mehr derselbe wie zuvor. Etwas, das auch Aurora spüren konnte, wie sie gleich darauf demonstrierte, als Fileon außer Hörweite war, da er dem anderen folgte: „Was ist denn los mit Ambrose? Gestern war er noch voll süß und jetzt ... ist er so autoritär.“

„Finden wir das heraus“, sagte Seline.

Aurora grinste sie an und zog sie dann mit sich, als könnte sie es gar nicht erwarten, so schnell wie möglich herauszufinden, was denn nun mit Ambrose los sei – und Seline war fast schon glücklich darüber, endlich jemanden zu haben, mit dem sie derartige Dinge machen konnte, bei dem sie sich wie ein ganz normaler Mensch fühlen konnte.
 

Russel wandte sich derweil Asric und Asterea zu. „Wir müssen auch irgendwie tiefer in den Wald kommen. Und das bevor derjenige, der hier lebt, uns alle findet und auffrisst.“

Dabei warf er einen Blick zu Asterea, die unschuldig die Schultern hob. „Ich habe nicht gesagt, dass hier irgendetwas lebt. Ich weiß auch nicht, woher dieser Kristall kommt.“

„Deine Fähigkeit ist gerade nicht sonderlich hilfreich, was?“ Asric sah sie mit hochgezogener Augenbraue an. „Warum bist du dann überhaupt noch die Sternennymphe?“

„Es liegt ja nicht an mir“, verteidigte sie sich. „Die Sterne sagen mir, dass bald alles vorbei sein wird. Aber sie können mir nicht sagen, warum.“

Mit gerunzelter Stirn dachte Russel darüber nach, dass es möglicherweise an Ladon lag, dass der Gott etwas plante, was unweigerlich den Untergang dieser Welt zur Folge hatte. Für ihn dürfte es ohnehin vollkommen gleichgültig sein, solange seine eigene Welt noch existierte – aber Russel konnte das nicht zulassen. Er musste verhindern, dass Ladon hier jemandem schadete und er hoffte, dass er sich dabei auf die anderen verlassen konnte, soweit es ihnen möglich war.

„Was auch immer“, unterbrach er schließlich die entbrannte Diskussion zwischen den anderen beiden. „Wir müssen rein und nach Seline suchen.“

Asric warf ihm einen Blick zu, aber Russel ging nicht darauf ein. Fileon, Aurora und Ambrose konnten sicher kämpfen und sich selbst verteidigen, aber Seline schätzte er als nicht derart kampferfahren ein, weswegen sie seine Hilfe und seinen Schutz benötigte – und er wollte sie nicht zu lange darauf warten lassen.

Da er nichts darauf sagte, zuckte Asric schließlich mit den Schultern. „Okay, gehen wir. Mir ist es auch lieber, wenn wir bald wieder bei den anderen sind.“

Dabei sah er vielsagend zu Asterea, die allerdings nicht im Mindesten darauf reagierte und stattdessen lieber in jene Richtung lief, in der sie zuvor einen anderen Weg gesehen hatten.

Russel klopfte Asric aufmunternd auf die Schulter. „Komm schon, wir kriegen das hin.“

Der andere nickte ihm zu und setzte sich dann genauso in Bewegung, um Asterea zu folgen.

Russel sah noch einmal zu der Wand, die ihn von Seline trennte, hoffte, dass sie in Sicherheit war und schloss sich dann seinen beiden Begleitern an, um ebenfalls tiefer in den Wald vorzudringen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück