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Zerbrochener Spiegel

für Tsche
von

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Vogelscheuchenopferlamm

Als ich sie zum ersten Mal traf, war mein Vater noch Chefarzt in einer der großen Kliniken der Stadt.

Ich jobbte damals als Nachtwächter in der städtischen Leichenhalle. Eine Arbeit, die meiner Meinung nach nur erfunden wurde, um in Hollywood - Horrorstreifen verwendet zu werden und die Söhne reicher Ärzte dort unterzubringen.

Es war nicht so, als ob ich es nötig gehabt hätte zu arbeiten, doch mein alter Herr hatte irgendwann genug davon gehabt, dass ich sein Geld für Alkohol und Drogen hinauswarf. Teure Sportwagen und Klamotten für eine bizarre, aufgetakelte Freundin wären ihm scheinbar lieber gewesen.

Auch wenn der Job wohl eher als Abschreckung und Erziehungsmaßnahme gedacht war, genoss ich die stillen Nächte im Pförtnerhaus des großen leeren Trakts und den anhaftenden Leichengeruch.

Es brach die Zeit an, in der selbst meine Freunde begannen mich "seltsam" zu nennen.

Die Gänge einer Leichenhalle sind so kalt und Furcht einflößend wie Menschen sie in ihren Alpträumen sehen. Ich war so tief im Meskalin versunken, dass ich Teil des Alptraums war.

Wie ein Geisteskranker schlich ich durch das Labyrinth der Toten. Erschreckte überarbeitete Pathologen. Das Geschrei aus meinen Kopfhörern kündigte mich meilenweit an wie das Grollen eines Gewitters den Donnergott. Blutige Tränen meiner Kindheit rannen mir über die Wangen, bis ich sie mit den Fingern auffing. Ich malte das Lied des Feuers mit glühenden Blutfingern an die Wände. Die Moiren erschienen, auf einem schwarzen Wagen aus Eiskristallen; ich fiel flehend auf die Knie und lachte, bat um nichts. So ging es Nacht um Nacht bis der Morgen anbrach und ich aus meinem Traum erwachte.

In der Nacht, als ich sie traf, folgte ich einem Hundedämon durch den Trakt mit den Obduktionssälen, bellte und sang Lieder über Luzifers Badezimmer, bis er mich abhängte und ich röchelnd wie ein Sterbender vor einer Tür liegen blieb. Das dumpfe Leuchten, das von der Tür ausging und mich anzog, kann ich bis heute nicht genau den Geistern der Illusionen oder etwas weitaus Höherem zuordnen.

Broken liebte schon damals Bibelverse über alles.

Die Wände, die Decke, der Boden, alles war mit ihnen voll geschrieben. Ich wurde von Haus aus sehr christlich erzogen und auch wenn ich keinen Respekt davor hatte, kannte die Religion doch durch und durch. Aber was ich sah, als ich die Tür aufstieß, überstieg alles Bisherige in meinem Leben, selbst meine dunkelsten Vorstellung.

In der Mitte des Saales hatte sie es irgendwie geschafft aus allem, was sie für brennbar erachtete, Feuer zu machen. Es brannte schon mehr als einen Tag, anfangs, wie die Brandspuren verrieten, in Form eines Ankhs, nun nur noch als großes Scheiterhaufen. Das Feuer warf düsteres Licht und tanzende Schatten in den Raum. Die Wände waren von oben bis unten mit blutigen Versen beschrieben, die aussahen wie die Arbeit eines Typographen im vorgeschrittenen Krankheitsstadium. Von der Decke hingen Girlanden aus den Därmen der Ärzte. Sie selbst waren nur noch als Fleischberge auf dem Boden zu vermuten, an denen nichts menschliches mehr war. Das Blut rann von den Operationstischen, den Schränken, war einfach überall. Es klebten Eingeweide an den Wänden, waren mit Operationsbesteck fest gepfählt, hingen an Nähfäden von der Decke.

Der Rausch war weggefegt und ich wünschte ihn mir sehnlichst zurück. Die Realität vor meinen Augen überstieg zum ersten Mal in meinem Leben die Wahnvorstellungen und Visionen im meinem Kopf.

Irgendwo hatte sie angefangen ein groteskes Gerüst aus Rippen und Wirbelsäulen zu bauen.

Gelähmt vor Ekel und Entsetzen lehnte ich in der Tür. Solange bis die Faszination mich übermannte und hineintrieb.

Damals fand ich dich blutüberströmt wie ein Neugeborenes. Schlafend.

Ich wusste beim ersten Anblick, dass du und niemand sonst es gewesen sein konntest und hatte doch keinen Gedanken daran, dir ein Ende zu setzen. Hätte es vielleicht tun sollen und doch nie tun können.

Mit wankenden Schritten bewegte ich mich meinem Schicksal entgegen.
 


 

Ende des Anfangs . . . wer bis Hierhin durchgehalten hat, ohne dass es ihm zu widerlich wurde, dem kann ich versichern, dass es sich um keine Spladder-Geschichte handelt und es ab hier weniger Massaker und mehr Irrsinn gibt ^_^



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  RedSky
2008-11-04T13:08:53+00:00 04.11.2008 14:08
Sehr interessanter Anfang. ö.ö
Besonders der Anfang, der noch so schön lässig klingt, ist ein wirklich gelungener Einstieg in eine Geschichte.
Ich muss allerdings gestehen, dass ich ungefähr im Mittelteil den Verlauf ein wenig verwirrend fand. Ich war mir nicht mehr sicher was nun "Traum" und was Realität war bzw. wo der Umschwung lag. ...irgendwie kann ich mich gerade auch nicht so ausdrücken wie es vielleicht hilfreich wäre... ~.~
Deinen Schreibstil finde ich aber auf alle Fälle gut. ö.öb
Von:  Dels
2005-12-17T01:05:58+00:00 17.12.2005 02:05
Gut! Ich werde mich so kurz wie möglich fassen.
Diese Geschichte ist... ich kenne ein tolles Wort für solche Geschichten, ich glaube auch schon, du weißt, was ich meine. Düster, verwirrend, abstrus, krank, abstrakt und mit dem Verstande kaum nachvollziehbar. In einem Wort: kafkaesk (dieses Wort wurde unlängst zu einem meiner Lieblingswörter ausgewählt, zu finden im "Lieblingswörterbuch" NagelVerlag) Auch wenn es ein bisschen blutiger und noch ne Spur ekelhafter geworden ist. Surreal wäre auch noch ein gutes Wort dafür. Oder pervers. Oder auch morbid. Naja - das sowieso. Nachdem ich jetzt die allgemeine Tonalität dieser Geschichte geklärt habe, will ich nun etwas über nen Charakter loslassen:
Der Aushilfsnachtwächter ist ein Idiot. Tschuldige, das war nur mein spontaner Gedanke dazu. Ich bin noch immer beim ersten Kapitel, was mich beim zweiten Mal lesen nicht minder aufgewühlt hat. Aufgewühlt in dem Sinne, dass ich meine Phantasie mal wieder nicht zügeln kann und mir alles bildlich vorstellen muss, was bei dieser Art Story schonmal ne Gänsehaut verursacht. Aber es ist immer wieder schön und spannend zu lesen. Ich hab dir ja gesagt, dass ich gute Geschichten mehrmals lese, ja, lesen muss, um mich richtig reinzufühlen und diese ganzen versteckten Hinweise und Finessen nach und nach erst zu entdecken. Deshalb dauert das mit den Kommis bei mir auch immer so lange... also beschwer dich nicht! Und lass die Geschichten ja alle online!

Ich sollte dich auch mal analysieren. So rein tiefenpsychologisch gesehen (wenn man deine Geschichte mal als Ausgangspunkt nimmt) bist du: egoistisch, berechnend, einsam, unterfordert, zweifelnd, aufmerksamkeitsbedürftig und hast nen Hang zur Debilität. Soweit zur Psychoanalyse nach Tsche-Art. Aber zum Glück ist diese Geschichte ja nicht bezeichnend für den Autor. Hoff ich doch. Zumindest hab ich dich anders in Erinnerung ^^;
Ich könnte jetzt über diese Geschichte philosophieren. Wer oder was ist dieses Mädchen? Wieso hat sie getötet? Warum fühlt sich der Idiot so hingezogen von diesem Wesen? Warum putzt er wie Meister Proper persönlich alle Spuren weg? Was macht diese komische Maschine so zufällig da unten im Keller? Was zur Hölle ist Meskalin? Warum lässt der Masochist sich einfach halb massakrieren? Wieso steht nichts im Buch verzeichnet? Was ist mit den Ärzten passiert? War es Wirklichkeit? Und vor allem - wer überhaupt ist dieser Idiot? Das sind Fragen, mit denen man sich wohl noch länger beschäftigen müsste. Zugegeben, ich interpretiere gern in Geschichten herum, wozu ich aber länger brauche. Darum begnüg dich vorerst mit dieser Meinung, da ich mich grade außerstande fühle mit 3 Glühwein im Blut.
Sprachlich sind noch ein paar kleine Fehlerchen drinne, ein paar Wortwiederholungen aber das merkt man beim Schreiben selber nie (kennt das ja). Die Metaphern (also die kleinen dazwischen, die sofort ersichtlich werden) gefallen mir sooo sehr.. vor allem das mit dem Sandumarmen ist genial! Sehr treffend und schön.. Tsche liebt Metaphern, solange sie ned kitschig sind.

Jedenfalls, und obwohl es wirklich zwischendurch echt schleimig vor sich geht, finde ich die Story mal wieder Hammer und halt eines Shu würdig. Sehr tiefgründig, sehr bedeutungsschwanger, sehr psychologisch - in welche Richtung man das auch drehen will - sehr genial, sehr lesenswert und auf jeden Fall sehr strange.

Und zu deiner Kommentarhascherei: Ich wiederhole mich vielleicht, aber ich finde, grade wenn man nur ein kleines Publikum hat, ist man sich des Interesses auch sicher. Die, die das lesen, bringen auch die dementsprechende Lesequalifikation mit. Oder zumindest ansatzweise. Was nützen dir Massen an Kommentaren, wenn sie austauschbar und nicht wirklich ernstgemeint sind? "Je weniger Menschen sich mit deinen Gedanken identifizieren können, desto sicherer bist du: ich bin einzigartig! haha, ihr Trottel, macht's gut!" .. das war ein weiteres Zitat der T.M. aus G.

p.s. deine versteckte Botschaft zu entschlüsseln wird mich wohl noch ein bisschen Zeit kosten, ich bin nicht der Typ, dem alles sofort ins Auge springt. Wenn es denn überhaupt eine gibt - weiß der Teufel, was du dir dabei gedacht hast XD


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