Trauer und Wahrheiten
Also..ich habs endlich geschafft und hab meine "kleine" Blockade überwunden..und es auch geschafft, dieses Kapitel mal fertig zu schreiben!
ich wünsch euch gaaanz viel spaß damit
glg
*knuddel*
„Sie verbrannte uns…“
Immer und immer wider hallte dieser eine Satz in ihrem Kopf wider.
Was hatte sie damals nur getan? War sie es gewesen, die das Feuer gelegt hatte? Aber ihre Mutter, Farina, sie hatte gesagt, das ihre Eltern von einem fremden Mann getötet wurden und das dieser das Feuer gelegt hatte. Hatten sie gelogen?
Warum?
War es wahr?
Hatte sie das Leben ihrer Eltern und das der ganzen Bewohner auf dem Gewissen?
„Kaighley, ist alles ok? Du hast im Schlaf geweint und geschrieen.“
Erst jetzt wurde Kaighley sich wieder der Hand auf ihrer Schulter bewusst und die damit verbundene Anwesenheit ihrer Freundin. Aber unwirsch fegte sie diese von ihrer Schulter und stand wankend auf.
„Alles Bestens. Habe nur schlecht geträumt. Deshalb geh ich auch kurz raus. Brauche frische Luft.“
Sie sah Lilithel noch nicht einmal in die Augen, als sie aus dem Raum verschwand. Hätte sie es getan, hätte ihre Freundin mit Sicherheit gewusst, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.
Als Kaighley auf den staubigen Flur trat, musste sie sich erst einen Moment gegen die alte Wand lehnen. Alles drehte sich vor ihr und immer wieder zwischendrin hörte sie die verzweifelte Stimme ihrer Mutter.
Sie bemerkte die Tränen, die ihre jetzt über das Gesicht liefen. Alles war so real gewesen. Ihre Stimme. Diese pure Verzweiflung und diese schier endlose Trauer. Und trotz allem hatte sie nur versucht ihr zu helfen. Hatte sie immer noch geliebt.
Schluchzer schüttelten ihren Körper als sie die morsche Treppe hinunterlief. Sie hatte keine Ahnung wohin sie wollte. Nur weg von diesem Zimmer, weg von diesen Erinnerungen. Blind vor Tränen taumelte sie durch die große Eingangstür und direkt gegen die zwei, vor der Tür postierten, Männer. Doch den Sturz auf den Boden bekam sie nicht mal richtig mit. Kaighley blieb einfach dort sitzen wo sie war und versuchte die Schluchzer, die ihren schmalen Körper immer wieder aufs Neue schüttelten zu unterdrücken. Doch sie missglückte jämmerlich.
„Kaighley? Was ist los Kleine?“
Sachte wurde ihr Kopf angehoben und sie blickte in die grünen Augen Saemils.
Ohne weiter darüber nachzudenken zog sie ihn an sich und vergrub ihren Kopf an seiner Brust. Sie hatte den Kampf gegen ihre Tränen und die Trauer verloren. Es war ihr aber auch egal. Ungehemmt liefen jetzt die Tränen über ihr Gesicht und auf Saemils Kleidung.
„Schhh, meine Kleine. Alles wird gut. Alles wird wieder gut!“
Sie merkte wie er sie auf seinen Schoß zog und immer wieder beruhigend über ihren Rücken strich. Aufgelöst wurde ihr Griff immer stärker. Er war der einzige Halt den sie jetzt hatte und den würde sie nicht mehr loslassen.
Kaighley wusste nicht, wie lange sie schon so dasaßen und Saemil ihr immer wieder beruhigende Worte zuflüstert, aber mit der Zeit hatten ihre Tränen aufgehört und auch die Schluchzer waren weniger geworden und hatten dann aufgehört. Trotz allem hatte sie sich immer noch nicht von ihm gelöst. Seine Nähe tat ihr einfach viel zu gut. Und nach allem was sie in den letzten Stunden erlebt hatte brauchte sie das jetzt dringend.
„Kaighley, willst du mir sagen was los war?“
Auch der junge Mann musste bemerkt haben, dass es ihr dementsprechend wieder besser ging und wollte jetzt den Grund für ihre Aufgelöstheit wissen.
Das blauhaarige Mädchen kniff kurz die Augen zusammen, ehe sie stockend zu einer Antwort ansetzte. Über das Vergangene zu reden war schwer. Denn, so kam es ihr vor, wenn sie es erstmal laut sagen würde, würde es der Wahrheit entsprechen. Und das konnte einfach nicht sein. Es konnte nicht sein, dass sie ihrer eigenen Mutter so etwas angetan hatte. Dem Menschen, der sich am Meisten für sie eingesetzt hatte, der alles für sie getan hatte.
Aber sie konnte doch auch nicht alles einfach so in sich hineinfressen? Irgendwann würde sie wahnsinnig werden, würde der Schmerz über die Tatsachen sie von innen her zerstören. Sie wusste es nur zu genau. Und Saemils Stimmt klang so beruhigend, so verständnisvoll.
Dennoch, wenn noch nicht mal sie die Wahrheit ertrug, wie konnte es dann ein Außenstehender? Was wäre, wenn Saemil sie nicht verstand, sie für ein Scheusal hielt? Noch mehr Personen in ihrem Umfeld wollte und konnte sie einfach nicht mehr verlieren, dass würde sie weder körperlich noch geistig überstehen.
Doch ein kurzer Blick in seine ruhigen, verständnisvollen Augen ließ sie Hoffnung schöpfen. Er war da, die ganze Zeit schon und streichelte ihr beruhigend über den Rücken. Wenn er sie schon nicht verstehen würde, wer sonst?
Deswegen öffnete sie langsam ihren Mund und begann ihm stockend über das Erlebte zu erzählen.
Nachdem sie geendet hatte, herrschte für ein paar Augenblicke schweigen, in denen Kaighley seine Hand auf ihrem Rücken auf und ab fahren spürte.
„Kaighley, das war nur ein Traum. Du solltest solche Sachen nicht zu ernst nehmen.“
Es wäre um so vieles leichter seinen Worten Glauben zu schenken, aber sie konnte es nicht. Sie hatte schon mal einen ähnlichen Traum gehabt. Und da war es um ihren Bruder gegangen und dass sie irgendwann gegen einander antreten mussten. Und auch das war wahr geworden. Außerdem war alles so real gewesen, so glaubhaft.
„Und was wenn nicht? Es war zu real, zu wahr. Du hast sie nicht gesehen Saemil! Du hast nicht ihre Stimme gehört und in ihre Augen gesehen. Ich…sie war meine Mutter. Meine Eltern…die Bewohner dieser Stadt. Ich…ich habe sie ver…“
„NEIN! Nein das hast du nicht!“
Durch seine plötzliche Lautstärke zuckte sie zusammen und sah in verunsichert an.
Was war plötzlich los mit ihm?
Der junge Mann war aufgesprungen und lief aufgeregt vor ihr hin und her.
„Du hast nichts getan! Das war nur ein blöder Traum. Nur ein Traum!“
Kaighley wusste nicht, was mit ihm los war, aber irgendetwas schien ihn gewaltig aus der Fassung zu bringen. Vorsichtig stand sie auf und lief auf ihn zu. Ihre Hände erfassten die seine und zwangen ihn zum Anhalten, dann sah sie ihm fest in die Augen und öffnete den Mund,
„Es war kein Traum. Das weißt du. Ich habe sie verbrannt. Meine Eltern, die Bewohner dieser Stadt. Ich habe sie verbrannt.“
Tränen liefen ihr wieder über das gerötete Gesicht, doch sie war noch nicht mit ihrer Antwort fertig,
„Ich habe die wichtigsten Menschen in meinem Leben getötet. Getötet! Ich bin eine Mör..“
Sie konnte den Satz wieder einmal nicht zu ende bringen, denn Saemil hatte sie gestoppt, indem er einfach seinen Mund auf den ihren legte.
Nach ein paar Sekunden löste er sich wieder von ihr und sah ihr in die geröteten Augen.
„Du bist keine Mörderin. Egal was passiert ist, du hättest es niemals gewollte. Du magst viel sein, aber eine Mörderin bist du nicht.“
„Woher…“
„Woher ich das wissen will? ICH weiß, was ein Mörder ist. Und glaub mir, du bist keiner.“
Noch immer stand sie nahe vor ihm und sah ihm in die grünen Augen, in denen es schmerzhaft aufleuchtete.
„Saemil, was ist passiert, damals?“, es war nur eine geflüsterte Frage, aber sie erreichte sein Ohr und er zuckte fast schon schmerzhaft zusammen, ehe er ihr wieder in die Augen sah.
„Willst du es wissen?“
Kaighley nickte nur.
„Ich…wir wohnten damals in einer heruntergekommen Gegend in der Nähe von Zaar. Wir hatten nicht viel. Fast gar nichts. Mein Vater war Hafenarbeiter und meine Mutter, nun ja, sie hat für etwas Geld alles getan. Ich musste damals auf meine kleinen Geschwister aufpassen. Lily und Kai. Sie war sechs, er vier. Ich…mein Vater, er hat uns nie wirklich gut behandelt. Meistens war er sturzbesoffen und lungerte in irgendeiner Ecke rum oder trieb es mal wieder mit einer Hure. Mir war es immer egal, so lange er uns in Ruhe ließ.“
Kaighley konnte genau beobachten, wie sich Saemils Hände in seinem Schoß zu Fäusten ballten. Es tat ihr selbst weh, ihn so verletzt zu sehen, deswegen legte sie sanft ihre Hand auf seine verkrampften. Doch er achtete nicht einmal darauf sondern fuhr mit einer tonlosen Stimme fort,
„Ich versuchte es Lily und Kai so angenehm wir möglich zu machen. Sie waren alles für mich. Aber irgendwann, ich weiß nicht warum, vergriff er sich das erste Mal an ihr. Ich war nicht da. War einkaufen für die beiden und konnte es nicht verhindern. Ich hab mir noch nie solche Vorwürfe wie an diesem Abend gemacht. Ich hätte daheim sein sollen. An dem Abend stellte ich ihn auch gleich zur Rede.
Na ja, das war wohl auch das erste Mal das ich mich vor schmerzen nicht mehr bewegen konnte. Er hatte eine ziemlich starke Rechte.
Ich war damals zehn.
Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Danach vergriff er sich immer öfters an ihr. Lily verkraftete das nicht. Sie ging kaum noch raus. Saß immer nur da und starrte vor sich hin.“
Das blauhaarige Mädchen musste mit sich kämpfen um nicht schon wieder in Tränen auszubrechen. Sie hatte nicht gewusste, was er in seiner Kindheit durchmachen musste. Doch der Erzählende selbst zeigte keine Regung. Er saß nur da und sprach mit einem emotionslosen Gesicht, von der Hölle, die er gerade mal als Zehnjähriger durchleben musste.
„Meine Mutter war auch keine große Hilfe. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Mein Vater kam später nach Hause. Ich war noch draußen bei ein paar Freunden. Als ich nach Hause kam war er da.
Lily hat versucht sich zu wehren.
Er war viel stärker als sie.
Ich…ich weiß nicht, was mich dazu bewegt hat, aber ich hab ein Messer genommen und es ihm in den Rücken gejagt.
Er war sofort tot.
Ich hatte sein Herz getroffen.
Danach wollte ich ihr helfen. Aber Lily sah mich aus großen ängstlichen Augen an und schrie, als ich sie anfasste.
Sie hatte Angst vor mir! Ich hatte ihr geholfen und sie hatte Angst.
Auch meine Mutter sah mich mit diesen großen angsterfüllten Augen an.
Sie schrie mich an, ich solle verschwinden, nie wieder herkommen.
Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich hatte meinen Vater getötet, für sie. Und sie hatten Angst. Nannten mich Mörder und schickten mich weg. Ich hatte es für sie getan! Ich weiß gar nicht mehr, wohin ich in dieser Nacht eigentlich gerannt bin. Ich wollte nicht fort. Es war mein Zuhause und ich war noch jung.“
Es brach ihr das Herz ihn so zu sehen. Saemils Gesicht zeigte keinerlei Regung, als ob er die Geschichte eines Bekannten erzählen würde. Kaighley wusste genau, dass das seine Art war mit dem Erlebten umzugehen. Wahrscheinlich war es gerade diese Distanz, die ihn davor bewahrte zusammenzubrechen.
„Ich glaub, dass war die längste Nacht in meinem Leben. Ich versteckte mich in einer heruntergekommenen Fabrik und hoffte, dass das alles bloß ein schrecklicher Alptraum gewesen war und wenn ich wieder zurückgehen würde, alles wieder beim Alten wäre.
Naja, du kannst dir denken, dass es nicht so war.
Ich weiß auch gar nicht, wie sie es so schnell herausgefunden hatten, aber als ich am nächsten Nachmittag nach Hause kam waren sie da.
Freunde von meinem Vater.
Hatten wohl von seinem Tod erfahren oder meine Mutter hatte es ihnen erzählt. Ich glaube heute, es war letzteres. Sie hatte Angst vor mir. Meine Mutter! Sie fielen über mich her. Schrieen immer wider „Vatermörder“ und anderes.
Alles weiß ich nicht mehr genau. Ich konnte mich nicht wehren.
Ich war zehn!
Sie prügelten so lange auf mich ein bis ich ohnmächtig wurde und ich glaube auch lange danach noch. Ich glaube, so lange bis sie glaubten ich wäre tot.
Meine Mutter hat dabei zugesehen. Sie hat nicht einen einzigen Finger gerührt.
Im Gegensatz zu Kai.
Ich weiß bis heute nicht, wer genau ihn getötet hat, oder was passiert ist. Ich kann mich nur noch an seine Schreie erinnern, dass sie mich in Ruhe lassen sollten.
Er war ihnen wohl im Weg gewesen.
Er war vier!
Er war vier gewesen und hatte versucht mich zu retten! Mich! Einen Mörder!“
Saemil war von ihr weggegangen und hatte die Hände zu Fäusten geballt. Trotz all seinen Anstrengungen konnte sie doch diesen Schmerz in seinen Augen erkennen. Langsam schritt sie wieder zu ihm.
„Du bist kein Mörder. Du magst vieles sein, aber kein Mörder. Du hast es getan um ihnen zu helfen. Das war sehr mutig.“
Sie beugte sich vor und küsste ihn sacht auf seine Wange. Einen Moment war er einfach nur wie paralysiert. Er starrte in ihre Augen und konnte nicht fassen, was sie gesagt hatte.
„Wir sind schon was besonderes, findest du nicht? Wir zwei Mörder.“
Eigentlich war es kein Grund zu lachen, eher einer zum Weinen. Aber trotzdem huschte ein Lächeln über sein Gesicht, ehe er sie wieder in seine Arme schloss.
„Du hast Recht.“
Die Sonne ging gerade auf, als er zum zweiten Mal seine Lippen auf die ihren legte. Die Tränen, die wieder über ihr Gesicht liefen wischte er mit seinem Daumen zärtlich weg.
„Auf dich werde ich aufpassen! Ich schwöre es dir!“, flüsterte er ihr ins Ohr, ehe er sie wieder sanft von sich weg schob.
„Versprichst du es mir?“
„Ich verspreche es. Wenn du dem Wort eines Mörders noch vertrauen kannst.“
„Ich vertraue dir.“
Und wieder näherte sie sich seinen Lippen, als plötzlich ein Räuspern sie inne halten ließ.
„Ich möchte euch echt nicht stören, aber ich hab das mit deinem Traum mitbekommen.“
Überrascht fuhren Saemil und Kaighley zu der Stimmer herum und fanden sich Lazar gegenüber, der beide ernst ansah.
„Es tut mir Leid, wenn ich dich damit verletzt habe, aber jetzt ist es zu spät es ungeschehen zu machen. Ich weiß von deinem Traum. Kaighley ich rate dir so etwas ernst zu nehmen. Egal wie weh es tut. Träume können ein Tor zu der Vergangenheit öffnen, vor allem, wenn man so eng mit einem Ort verbunden ist.
Verwirrt entfernte sich das Mädchen etwas von Saemil ehe sie sich vollständig zu Lazar umdrehte. Leichtes Unbehagen spiegelte sich auf ihrem hübschen Gesicht wider.
„Was genau meinst du damit?“
„Versteh mich bitte nicht falsch. Ich weiß, dass du dich im Moment schrecklich fühlen musst. Aber dieser Traum…Du hast doch erzählt, dass du diese…Frau auf einem Marktplatz das erste Mal gesehen hast. Das könnte ein Anhaltspunkt für unsere Suche sein. Wir haben sonst nicht die geringste Ahnung wo wir beginnen sollen und das ist immerhin besser als nichts!“
Unschlüssig sah sie den Größeren an. Wenn sie Lazars Rat befolgen würden…das würde bedeuten vielleicht mehr von ihrer Vergangenheit zu erfahren. Aber wollte sie das wirklich? Wenn dieser Traum, wenn er der Wahrheit entsprechen würde, könnte sie damit klar kommen?
Allein bei dem Gedanken daran spürte sie wie sich ihre Brust zusammenzog und die Tränen wieder in ihrer Augen traten.
Sie hatte womöglich etwas Schreckliches getan. Das Leben ihrer Eltern und das der Bewohner dieser Stadt auf fürchterliche Weise beendet.
Wie hatte so was nur passieren können?
Doch bevor sie zu weit in diese trüben Gedanken abrutschen konnte, spürte sie einen leichten Druck auf ihrer Schulter und vernahm Worte, die ihr sanft ins Ohr geflüstert wurden.
„Mach dir keine Gedanken. Ich bin für dich da und werde auf dich aufpassen. Ich hab es doch versprochen.“
Sie merkte wie sich eine Art Wärme in ihrem Innern ausbreitete und lächelte Lazar aufmunternd entgegen.
„Du hast wohl Recht. Lass und morgen danach suchen gehen.“
Ihr Gegenüber nahm ihre Entscheidung mit wohlwollen entgegen, nickte ihr noch einmal kurz zu und verschwand dann im Schatten der Haustür.
„Das hast du gut gemacht.“, hörte sie noch einmal Saemils Stimme bevor er wieder seine Lippen sanft auf ihre legte. Kaighley genoss diesen Kuss in vollen Zügen, zog Wärme und Vertrauen daraus. Sie wusste, dass sie diese Sachen später noch brauchen würde.
Was auch immer auf sie zukommen würde…
Der nächste Tag brach nach Kaighleys Meinung viel zu früh an. Ihr Körper fühlte sich müde und unbeholfen an. Sie schaffte es nur mit größter Selbstbeherrschung überhaupt erst aufzustehen und das auch nur, weil sie wusste, wie wichtig der heutige Tag sein würde. Vielleicht würde sie heute mehr über ihre Vergangenheit erfahren. Ob das jetzt Positiv oder Negativ war blieb mal so dahin gestellt. Aber sie würde es bestimmt bald erfahren.
Auch Lilithel schien an diesem Morgen nicht ganz sie selbst zu sein. Denn trotz Kaighleys seltsamem Verhalten in der letzten Nacht, verlor ihre beste Freundin nicht ein einziges Wort darüber, sondern sah sie nur ein paar Augenblicke komisch an, wandte sich dann aber wieder ab und trottete verschlafen die Treppe hinunter.
Kaighley sah ihr ein paar Momente sprachlos hinterher ehe sie den Kopf schüttelte und Lilithel die Treppe hinunter folgte.
Unten angekommen sah sie schon ihre Freunde ungeduldig um die Treppe herum stehen.
„Wurde auch langsam Mal Zeit!“
Lazar war wirklich noch nie der Mensch für freundliche Worte gewesen. Im Gegensatz zu Gilian, der ihr fröhlich entgegen blickte und ihr auch sogleich einen schönen Morgen wünschte.
Der Rest ihrer Freunde folgte dem Beispiel des Kleinen.
„Also, da wir ja jetzt alle endlich da sind sollten wir anfangen. Wir haben nicht viel Zeit! Kaighley, du wirst uns führen. Saemil,Gilian und ich werden dir folgen. Layla, Lilithel und Bishop ihr werdet euch gesondert von und etwas in der Stadt umschauen. Vielleicht findet ihr etwas.Wenn jemand von uns in Schwierigkeiten geraten sollte…“
„Hey wart mal einen Moment Mister-ich-entscheide-hier-über-alles! Was soll der scheiß? Warum ende ich in deiner Einteilung immer mit dieser Kuh! Ich will verdammt noch mal endlich mit Kaighley zusammen sein. Nix gegen dich, Bishop,“, fügte Lilithel noch schnell mit einem Seitenblick auf ihren Gefährten hinzu, „aber ich habe es echt satt!!“
Wütend verschränkte sie ihre Arme und sah Lazar aufgebracht entgegen.
Dieser schien im ersten Moment regelrecht sprachlos über solch einen Ausbruch, ehe er sich wieder fasste und nun seinerseits dem Mädchen wütend entgegen blickte.
„Lilithel“, fing er ruhig an, „ich kann ja verstehen, dass du bei Kaighley sein willst. Aber im Augenblick ist das nicht möglich. Wie du ja sicherlich schon festgestellt hast, wird sie von ihrem verrückten Bruder verfolgt, der sie sehr gerne tot sehen würde. Und wie du sicherlich auch weißt, bist du leider nicht im Stande dazu, sie auch nur ansatzweise zu verteidigen. Das mag hart klingen, ist aber so. Saemil und ich wissen mit eine Schwert umzugehen und selbst Gilian ist um Längen besser darin als du. Außerdem bist du mit Bishop und Layla auch sicherer.“
Stille.
Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.
Selbst Lazar war von seinen harschen Worten im ersten Moment erschrocken, ehe er sich umwandte und nach draußen ging.
Die anderen blieben noch einen Moment unschlüssig stehen und vor allem Kaighley machte sich Sorgen um Lilithel, die stumm weiter vor sich auf den Boden starrte. Sie konnte nicht erkennen, was für ein Gesicht ihre Freundin gerade machte. Weinte sie oder war sie wütend?
Doch bevor sie ihre Hand ausstrecken konnte um ihrer Freundin aufmunternd durch das Haar zu fahren, hob diese wieder ihren Blick, sah die anderen ausdruckslos an und sagte mit emotionsloser Stimme, „Ihr habt ihn ja gehört. Lasst uns losgehen.“
Schnurstracks beeilte sie sich an ihren Freunden vorbei zu kommen und verschwand, wie zuvor Lazar, durch die große Eingangstür.
Zurück ließ sie ihre sprachlosen Freunde.
„Sie wird ihn jetzt aber nicht umbringen, oder?“
Gilian sah die anderen mit beinahe ängstlichen Augen an.
„Ich…ich glaube nicht. Lass es uns zumindest hoffen.“
Kaighley versuchte ihm beruhigend zuzulächeln, ehe sie dem Beispiel ihrer Freunde folgte und nach draußen verschwand.
Gilian sah die Älteren noch einmal fragend an, die alle jedoch unsicher mit den Schultern zuckten und dann durch die Eingangstüre gingen.
„Was ist heute Morgen bloß los?“
Der Jüngste blieb noch einen Augenblick unschlüssig an Ort und Stelle stehen, ehe ihn Lazars Stimmt nach draußen rief.
Einst war Maine bestimmt eine wunderschöne Stadt gewesen, denn trotz des Rußes und der Zerstörung besaß die Stadt immer noch diese friedliche Atmosphäre, die es den Menschen leicht machte sich an einem Ort wohl zufühlen und man konnte hier und da unter all dem Schmutz immer noch wunderschöne, filigrane Verzierungen an manchen Häusern entdecken. Kaighley konnte nicht anders als immer wieder stehen zu bleiben, um das eine oder andere Haus zu betrachten. Es tat ihr weh, die Stadt, ihre Stadt in so einem Zustand zu sehen und sie fragte sich, wie es wohl gewesen wäre hier zusammen mit ihren Eltern und ihrem Bruder aufzuwachsen.
Den aufkommenden Seufzer versuchte sie so gut es ging zu unterdrücken. Sie wollte nicht schon wieder einen besorgten Blick seitens ihrer Freundin bekommen. Diese befand sich diesen Morgen eh nicht in der besten Stimmung und seit ihrem Streit mit Lazar verhielt sie sich sogar noch merkwürdiger als normal, falls das überhaupt möglich war.
Kaighley hoffte einfach nur, dass alles gut ging.
Während sie in Gedanken versunken hinter ihren Freunden herging, bemerkte sie nicht, wie die Sonne sich langsam ihren Weg über die rußigen Dächer suchte und die ganze Ruine in ein fast schon unwirkliches Licht tauchte. Ruhe und Still breitete sich über der ganzen Gegend aus und hinterließ ein beklemmendes Gefühl der Einsamkeit, das sich schon bald auf die ganze Gruppe übertrug.
„Ich weiß nicht ganz, aber fühlt ihr euch hier nicht auch komisch? Irgendwas liegt in der Luft, ich kann es fühlen.“
Überrascht sahen sich die anderen nach Layla um, die sich nervös am Kopf kratzte.
„Hey, schaut mich nicht so an! Ich kann auch nichts dafür, aber diese Gegend macht mich irgendwie ganz nervös. Könnten wir uns einfach beeilen und die Sache schnell hinter uns bringen?“
„Ich kann dich verstehen. Mir geht’s es auch nicht anders. Hier stimmt was nicht.“ Bishop sah sich aufmerksam nach allen Seiten um.
„Man kann die Seelen der Opfer fühlen.“
„Man kann WAS? Und WO?“, ängstlich klammerte sich Lilithel an Kaighleys Arm, die zuvor gar nicht mitbekommen hatte, das die Gruppe stehen geblieben war und ohne Lilithels Eingreifen wohl frontal gegen eine zerstörte Hausmauer gerannt wäre und sah Bishop mit großen Augen an
„Wiederhol das noch mal!!“
„Du brauchst dich nicht zu fürchten. Sie werden dir wohl kaum etwas tun! Man kann sie nur fühlen, oder besser ausgedrückt ICH kann sie nur fühlen.“
Unsicher sah Lilithel sich nach allen Seiten um, bevor sie sich wieder Bishop zuwandte und dabei versuchte ein Schütteln zu unterdrücken.
„Ah ja. Und sie tun mir wirklich nichts?“
„Lil. Du hättest doch gar nichts gemerkt, hätte Bishop nichts gesagt. Also komm runter.“ Kaighley versuchte sich aus dem äußerst schmerzhaften Griff ihrer Freundin zu befreien und sah ihr aufmunternd ins Gesicht.
„Wir beeilen uns und verschwinden dann schnell wieder von hier. Ich verspreche es dir!“
„Wenn du meinst….“, immer noch leicht verängstigt schlich sie schon fast ihrer Freundin hinterher, die jetzt die Führung der Gruppe übernommen hatte.
Kaighley wusste nicht genau warum, aber der Weg, den die jetzt zusammen mit ihren Freunden betrat kam ihr bekannt vor. Was das nicht der gleiche gewesen, den sie genommen hatte, als sie dieser Frau, ihrer Mutter gefolgt war?
Sie wusste es nicht mehr genau. Aber spätestens hinter der nächsten Biegung würde sich zeigen, ob ihre Vermutung stimmte oder nicht. Denn wenn sie richtig lag müssten sie auf den großen Marktplatz stoßen, wenn nicht…na dann mal schauen wohin sie die andren als nächstes führen würde.
`Spürst du das?`
Farths dunkle Stimme erschreckt sie im ersten Moment. Sie hatte ihn lange nicht mehr gehört.
`Was genau meinst du?`
`Irgendwas ist hier.`
`Hä? Wie genau meinst du das? Was ist hier? Und wie hier? „Hier“ ist ein verdammt dehnbarer Begriff…`
`Stell dich nicht noch dümmer an, als du eigentlich bist.`
Vor Wut wusste Kaighley noch nicht mal, was sie erwidern sollte. Was zu Hölle war jetzt wieder mit diesem dämlichen Gott los? Er hatte noch größere Stimmungsschwankungen als jedes Mädchen, sogar mehr als Lilithel und das sollte schon was heißen.
Aber irgendwie verunsicherten seine Kommentare sie schon. Was war hier? Und wenn Bishop und jetzt sogar Farth was fühlten, dann musste es doch stimmen, oder?
Unsicher sah sie sich nach beiden Seiten um, aber außer verkohlten, halb eingestürzten Häusermauern konnte sie nichts entdecken.
<Trotzdem sollte ich vorsichtig sein.>
Kaighley sah aufmerksam nach vorne, als sie ihre Freunde um die nächste Biegung führte. Als sie sah, was sich vor ihr befand setzte ihr Herzschlag für eine Sekunde aus. Sie hatte Recht gehabt!
Vor ihr erstreckte sich der Marktplatz. Überall sah man eingestürzte Häusermauern, die diesen wie einen Ring umschlossen. Die vielen kleinen Straßen, die vom Zentrum des Platzes wegführten waren mit Geröll und Schutt überseht, manche so schwer, das es kein Durchkommen mehr gab.
„Ich denke, wir sollten mit unserer Suche hier beginnen.“, leicht blass im Gesicht drehte sie sich zu ihren Freunden um, die den Platz vor sich immer noch musterten. Manche traurig, andere, wie Lazar fast schon gleichgültig. Der Schock darüber, dass ihre Vermutung gestimmt hatte, saß ihr immer noch in den Knochen. Musste das nicht bedeuten, dass ihr Traum der Wahrheit entsprach.
War sie schuldig? Hatte sie wirklich ihre Eltern auf dem Gewissen?
Noch während sie in ihren Gedanken versunken war, schob sich die Sonne noch ein Stückchen weiter über die Dächer der Ruine und beschien alles mit ihrem bleichen Licht, dem Licht, welches alles so unwirklich erscheinen ließ.
Und eine unheimliche Ruhe und Stille breitete sich über der zerstörten Stadt aus. So dass niemand auf den sachten Wind achtete, der durch die zerstörte Stadt wehte. So still und unsichtbar, von niemandem bemerkt. So lange schon.
Niemand bemerkt ihn, den Wind mit der Silhouette einer Frau.
Niemand hörte ihr schluchzen und weinen.
Niemand hörte sie…
…oder?
Kaighley wusste nicht genau was es war, als eine Gänsehaut ihren Rücken hinunterfuhr. Irgendwas war hier, das spürte sie genau. Irgendwas mit einer so unendlich traurigen und verzweifelten Aura. Irgendetwas…
…aber sie wusste einfach nicht was es war. Auch nicht als sie den sachten Wind, gleich einer tröstenden Hand, auf ihrer Wange spürte, der sie zu beruhigen versuchte und die sanfte Stimmt hörte, die so leise war, das sie glaubte sie sich nur einzubilden.
Maine war gefallen.
Vor 15 Jahren schon.
Die Ruine gleicht nunmehr einem stillen Beobachter.
Leise und doch lauernd.
Nur wenn sie vergeben können, werden sie es erreichen.
Das wonach sie suchen.
Ihre Amulette.
Und vielleicht sogar mehr.