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Vampirdämon

Untergang der Schattenfürsten
von

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Wind, der über das Land streicht (1)

Schon bald bedauerte Mireylle ihren spätabendlichen Aufbruch. Es war sehr schnell dunkel geworden. Im Wald machte sich völlige Finsternis breit und gab dem Zwielicht nur hier und da Platz, wenn das fade Licht des Mondes sich durch einen Riss im Blätterdach stahl. Kühler Wind strich durch das Unterholz und zwang Mireylle ihren Pullover aus dem Rucksack zu kramen. Das von den Bewegungen des Reiters verwirrte Pferd tänzelte auf der Stelle hin und her und beinahe hätte Mireylle ihre Tasche verloren.

Das Gefühl, viel zu langsam voran zu kommen, erfasste Mireylle und machte sie unruhig. Auch das Pferd spürte diese Unruhe und erschwerte Mireylle zunehmend seine Lenkung. Mireylles einziger Gedanke war es, sich so schnell wie möglich von dem Lager und damit Shahaan zu entfernen. Wer wusste schon, wie stark die Wahrnehmung des Lords und seines Gefolges sein konnten, wenn sie jemanden suchten. Und ob Traumprinz Schutz wirklich funktionierte, ob all das, was er ihr erzählt hatte zutraf, konnte sie nicht sicher wissen. Sie hoffte, wie versprochen, irgendwann einen magischen Pfad wahrzunehmen und diesem bis zu einem der Hauptpfade folgen zu können. Dort würde sie versuchen, in ihre Welt zurückzukehren und all das hier zu vergessen. Was sie täte, wenn sie trotz allem nicht zu ihrer Welt wechseln konnte, wusste Mireylle nicht.

Die Dummheit ihres Unterfangens wurde ihr umso klarer, je tiefer die Dunkelheit unter den Bäumen wurde. Sie kannte sich trotz Arianas und Surells Bemühungen kaum in dieser Welt aus, sie kannte ihre Geschöpfe, ihre Regeln noch immer nicht. Die fremdartigen Tierschreie konnte Mireylle nicht identifizieren und auch das Rascheln und Knacken im Unterholz machten sie nervös.

Erschrocken zuckte Mireylle zusammen, als alles um sie herum zu vibrieren begann. Ihre Sinne nahmen nur zwiespältige Dinge wahr, doch bald war sie sich sicher, dass es sich nicht um ein Erdbeben handelte. Nicht die Erde sondern die Welt selbst schien zu schwingen. Es musste die Magie sein, die Magie der Welt, die erzitterte.

Plötzlich erstrahlte der Wald in grellem Licht und geblendet schrie Mireylle auf. Ihr Arm huschte mechanisch schützend vor ihre Augen, doch selbst er strahlte in diesem seltsamen Licht, das alles zu durchströmen schien. Von dem Aufschrei erschrocken bäumte sich das bereits sehr nervöse das Pferd auf und Mireylle stürzte zu Boden. Geblendet sah sie die strahlende Gestalt des Pferdes zwischen den leuchtenden Pflanzen verschwinden. Das Geklapper der Hufe verschwand bald in der Ferne.

Mireylle sah dem Geschöpf nach, doch das Sehen, über das sie nun verfügte, zeigte ihr keine gewohnten Konturen. Vielmehr blendete es sie mit der Vielfalt seiner Eindrücke. Das Lebenslicht jedes Wesens, einer jeden Lebensform, strahlte und glitt in friedlicher Eintracht und fließenden Übergängen eines ewigen Kreislaufs durch die Welt. Hier spürte Mireylle nichts von dem Sog des fernen Nichts. Doch sie konnte die Erschütterung wahrnehmen, die sich durch alle Lebensenergie zog, als sei ein Grundpfeiler der Welt gefallen.

Wie blind stolperte Mireylle durch das Unterholz und versuchte ihr Gepäck mehr durch Tasten denn durch Sicht wieder zu finden. Irgendwo raschelte etwas. Das Schaben von Metall erklang und ließ Mireylle das Blut gefrieren. Die Klinge war ganz nah. Langsam drehte sie sich um und erblickte eine hell leuchtende Gestalt. Die Klinge selbst konnte sie nicht erkennen, doch sie sah die Magie, die auf dem schweren Metall lag.

So plötzlich, wie sie gekommen war, verschwand die magische Sicht und Mireylle fand sich in völliger Finsternis, an die sich ihre Augen nur mit Mühe wieder gewöhnten.

„Wer bist du?“, fragte die scharfe Stimme eines jungen Mannes. Sie war voller Entschlossenheit. Etwas blitzte metallisch dicht vor ihr.

„Nur ein einfaches Mädchen auf der Durchreise“, antwortete Mireylle vielleicht etwas zu schnell.

„Du bist mit Sicherheit kein einfacher Mensch. Bis eben gerade haben meine Sinne dich nicht erfassen können, wer also bist du?“

„Auf mir liegt ein schützender Zauber, da hast du Recht“, erwiderte sie langsam. Er verfügte über Magie. Ein Dämon also. Hatte man sie so schnell entdeckt? Panisch fragte sie sich, was er wohl hören wollte. „Aber ich selbst besitze weder Macht noch Waffen, also nimm bitte die deine weg.“

Der junge Dämon rührte sich einen Moment lang nicht, dann glitt das Schwert geräuschvoll in seine Scheide zurück.

„Bist du auf der Flucht? Keine Sorge, ich gehöre nicht zu den Rubintruppen.“, erklärte er.

Mireylle atmete auf. Schließlich hatte er die Waffe weggesteckt. „Ja“

„Mein Name ist Finior. Und falls du nicht auf der Seite des Vampirlords bist, so bist du auf meiner Seite. Wie heißt du?“

Ihr Name würde sie vielleicht verraten. Spätestens, wenn man öffentlich nach ihr suchte. „Ich bin Mira“.

„Nun, Mira. Dein Pferd ist auf und davon.“

Mireylle erhob sich und sah einen Augenblick lang in die Richtung, in die ihr Reittier verschwunden war. „Ja. Ich hoffe, dass ich trotzdem fliehen kann.“

„Dämonen sind gute Sucher. Ihre Sinne leiten sie“, erwiderte Finior mit fester Stimme. „Allerdings besteht durchaus die Möglichkeit, dass genau diese Sinne ihnen auf der Suche nach dir nicht weiterhelfen. Deine Aura ist selbst aus dieser Nähe für mich kaum fassbar und meine Macht gehört nicht zu den Geringen. Was ist dein Ziel?“.

Unentschlossenheit bestimmte Mireylles Denken. Sie kannte ihr Gegenüber nicht und selbst wenn, sie würde einem Dämon nicht so schnell trauen. Allerdings wusste er möglicherweise, wo sie den Magiefluss finden konnte. „Bisher hatte ich kein bestimmtes Ziel“, antwortete sie. „Ich wollte nur weglaufen und meinen eigenen Weg suchen“. Es war mehr, als sie hatte sagen wollen, aber die aufmerksame Stille ihres Gegenübers lud geradezu zum Sprechen ein. Auch eine Art von Magie. Sie schwieg.

„Das ist es?“, fragte Finior nach einer Weile. Etwas Abschätziges klang in seiner Stimme mit. „Nun, ich empfehle dir, in diese Richtung zu gehen“. Er zeigte zwischen eine Baumgruppe.

„Es ist die Gegend, die vom Rubinheer bereits heimgesucht wurde. Der gesamte Südwestliche Bereich unseres Landes ist verwüstet worden. Allerdings hat der Lord dort kaum Truppen zurückgelassen. Ich wünsche dir Glück, Mira“. Damit drehte er sich um und marschierte in Richtung des Zeltlagers davon.

Mireylle sah ihm nach und gleich zwei Gründe bewegten sie, als sie ihm nachrannte. Er hatte sie gesehen und er würde Shahaan mit Sicherheit unterliegen.

„Warte“, keuchte sie. Er war sehr schnell. „Warte! Finior!“. Er reagierte nicht. „Verdammt! Du wirst genauso sterben, wie dieser Junge!“

Der Dämon hielt inne und eine gespannte Stille lag in der Luft. „Wie war sein Name?“, erklang Finiors Stimme flüsternd.

Sie konnte sich kaum entsinnen. „Seine Familie hieß Ad.. Adiva?“

„Adivian.“, flüsterte er erneut. „Haleas, mein Jugendfreund“. Er ließ sich zu Boden fallen und Mireylle nutzte die Gelegenheit, um das letzte Stück Weg zwischen ihnen beiden zurückzulegen und sich neben Finior zu setzen. Dieser hatte den Kopf in den Knien versenkt und beide Arme darüber geschlagen. Silbrig schimmerndes Haar floss über seine gesenkten Schultern. Auf ein Mal wirkte er mit dem riesigen Schwert an seinem Gürtel unbeholfen. Seine Kleidung erschien wie eine Maskerade, die bei der ersten Verunsicherung aufgeflogen war.

Mehr ahnte sie das Schluchzen, als sie es hörte, doch sie tat nichts. Sie konnte ihm nicht helfen. Die Trauer um einen geliebten Freund musste unerträglich sein und Mireylle glaubte nicht, etwas Aufbauendes sagen zu können. Er hatte nicht langen leiden müssen, doch das half nicht. Sie blieb einfach nur sitzen. Irgendwie wollte sie ihn nicht alleine lassen.

Nach einer Weile sah er auf. Die Arme um die Knie geschlungen starrte er geradeaus und das Mondlicht gab vage Umrisse seiner Züge preis. „Wie ist er gestorben? Ist er dem Lord gegenübergetreten?“.

Mireylle nickte automatisch. Der Dunkelheit gewahr werdend fügte sie ein leises „Ja“ hinzu. Einzelheiten waren unwichtig.

Eine schiere Ewigkeit lang hockten sie still nebeneinander, dann begann der junge Dämon zu reden. „Ich könnte jetzt da hinunter rennen und dem Lord all meine Wut und Macht entgegenschleudern. Es würde mir sofortige Genugtuung geben und mich auch augenblicklich töten. Ich weiß um die Mächte, die die Lords schützen, ebenso wie um die Kraft des Vampirdämons. Dem habe ich derzeit nichts entgegen zu setzen.

Ich frage mich, warum Haleas dies für sich nicht ebenso erkennen und einen anderen Weg suchen konnte.

Vielleicht… nein, mit Sicherheit bin ich ein Feigling unter den Dämonen. Auch ich habe eine Familie zu rächen, doch ich wäre nie so weit gegangen. Ich bin kein Held. Ich habe nicht die Kraft, mein Land zu retten. Nicht einmal Haleas habe ich retten können.“ Eine Pause trat ein.

„Ich hänge zu sehr am Leben, auch wenn ich nichts mehr habe. Alles, woran mein Herz hing, ist nun fort, doch ich möchte leben. Auch wenn mein Leben von nun an von Rache gesteuert werden wird. Tod und Verderben für das Rubinheer und ihren Lord werden meine Ziele sein.

Aber zunächst muss ich mächtiger werden, ich muss mich zurückziehen und planen.“

Mireylle seufzte unwillkürlich. Es war, wie Shahaan es ihr gesagt hatte. Aber dies rief nur die Brutalität hervor, mit der Shahaan gegen dieses Reich vorging.

„Ich gehe auch, ich werde untertauchen. Du kannst mich gern begleiten, wenn du mir trauen willst“.

Mireylle überlegte nicht lange. Ohne Begleiter war sie orientierungslos. Außerdem hatte dieser Dämon etwas Ehrliches an sich. Innerlich musste sie sich belächeln. Vermutlich war sie bereits das Opfer seiner dämonischen Überzeugungskräfte geworden. Doch obwohl sie die Einsamkeit hätte gewohnt sein müssen, scheute Mireylle sich, allein durch diese fremde Welt zu ziehen. Die wenigen Menschen, mit denen sie hatte sprechen können, hatten ihr von den Gefahren erzählt. Magie und magische Geschöpfe, gegen die sie machtlos sein würde. Sie nickte. „Ja, gerne. Aber ich bin langsam. Ihr Dämonen habt einen äußerst schnellen Schritt“.

Finior nickte und wies in eine Richtung. „Wir beschleunigen unseren Gang auf magischem Weg. Man könnte sagen, wir bremsen die Zeit. Aber Ich werde keine Magie anwenden, ehe wir nicht eine gewisse Sicherheitsentfernung zum Heerlager haben. Ich werde versuchen, keine magischen Spuren zu hinterlassen, denen ein Sucher folgen könnte.“.
 

Traumprinz hockte nahe dem Lager auf einem Baum und starrte gedankenverloren in die Ferne. Shahaan musste die Abwesenheit seines neuen Spielzeugs bald bemerken. Er war gespannt, wie der Lord darauf reagieren würde. Plötzlich seiner Umgebung gewahr werdend fühlte er sich tief in die Rinde des Baumes und folgte seinem Lebenssaft bis in die Seele des Lebewesens, um das junge Geschöpf nach seinem Namen zu fragen. Es war ein gesunder und starker Baum. Vielleicht würde er eines Tages zu einer wichtigen Stütze der Welt heranwachsen und von großer Bedeutung für die Geschichte sein. Doch das hing allein von der Zeit ab. Ob sie ihm wohl noch reichen würde? Noch war er zu jung, als dass Traumprinz seinen Namen hätte kennen können. Eggdragell.

Traumprinz war sich seiner Leichtsinnigkeit durchaus bewusst. Aus dieser Entfernung konnte Shahaan ihn zufällig erspüren, besonders, da er nach dem Mädchen suchen würde. Trotzdem war er bereit, diese Gefahr einzugehen.

Im Lager regte sich etwas und der Dämon spitzte die Ohren.

Surell Haguren rannte über den Platz auf Lord Shahaan zu. Sein Gesicht wies einen Zug der Sorge auf. Lord Shahaan wendete sich dem eilenden Dämon zu, noch ehe dieser etwas gerufen hatte. Alarmiert forderte sein Blick den Heerführer zu reden auf.

„Ich habe nach ihr gesehen. Nach Mireylle. Sie ist nicht in ihrem Zelt. Außerdem hat sie ihr Kleid abgelegt und ist mit der Bekleidung aus ihrer Welt, ihren anderen Sachen und einigen Vorräten verschwunden. Ich denke, sie ist geflohen, Remon.“

Der Lord nickte. Traumprinz konnte den sanften Hauch seines Ärgers erspüren, ehe sich die Sinne des Lords seinem Aufenthaltsort näherten und ihn zwangen, schnell zu verschwinden.

„Sie muss schon ein ganzes Stück weit weg sein, ich erfasse sie nicht mehr.“

„Ich weiß. Aber könnte es nicht an…“, begann der Heerführer.

„Eigentlich habe ich mich an die Art ihres Manas gewöhnt, Surell. Zumindest habe ich das angenommen. Du hast Recht. Möglicherweise ist ihr magischer Schutz nun, da sie sich auf der Flucht befindet, stärker, als zuvor.

Du bist sicher, dass es keine Entführung war? Es könnte auch ein starker Schutzzauber eines Feindes sein.“

„Jemand, der sie alles hat mitnehmen lassen? Ich glaube es eher nicht. Weshalb sollte jemand Interesse an ihr haben? Vermutlich ist sie nur vor dir geflohen. Aber deshalb ist sie trotzdem in Gefahr.“

„Jetzt erweist es sich als Dummheit, die anderen Dämonen auf ihre Bedeutung hingewiesen zu haben.“. Er brauchte sie noch. Diese Tatsache und eine irrationale Regung riefen in Shahaan den Wunsch hervor, sich gleich auf die Suche nach dem Mädchen zu machen. Doch das würde er einem anderen Dämon überlassen müssen. Der Krieg konnte nicht warten und der Tag, da Lamerian sich ihm stellen musste, nahte. „Meredas! Ich habe einen Auftrag für dich.“

Überrascht beobachtete der Lord, wie sein Heerführer die Fäuste ballte und zu Boden starrte.

Meredas trat zu den Beiden und salutierte. Noch ehe der Lord sich mit seiner Anweisung an den Leutnant richten konnte, ergriff Surell das Wort.

„Lass mich nach ihr suchen, Remon! Ich habe viel Zeit mit ihr verbracht und kenne nicht nur ihr Mana, sondern auch ihre Gewohnheiten und Eigenarten. Ich denke, ich werde bei dieser Suche schneller Erfolg haben.“

Der Lord musterte seinen Freund durchdringend. „Du weißt, dass ich dir schon einen anderen Auftrag anvertraut habe, Surell Haguren. Du musst zu diesem zurückkehren.“

„Aber im Palast ist ein Spion, der seinem Herrn bereits von ihr berichtet haben wird. Es kommt jetzt auf Geschwindigkeit an.“

„Du weißt, dass ich wütend bin, Surell. Hier erwartet sie durchaus kein besseres Geschick“, bemerkte der Lord mit Spott.

Surell verbeugte sich steif. „Ich werde sie in jedem Fall suchen gehen, Remon. Entscheide du, ob du mir den Auftrag geben willst.“

„Du entziehst mir deine Treue, Heerführer? Wegen einem einfachen Menschenkind? Bist du des Wahnsinns?“, donnerte die Stimme Shahaans nun. Mit einem Mal war es völlig ruhig. Sämtliche Gespräche um sie herum verstummten in gespannter Erwartung.

Surell reckte den Hals und legte den Kopf herausfordernd schief. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich kann mich nicht entsinnen, einem Lord jemals die Treue geschworen zu haben. Ich bin ein Dämon und meine Natur ist der Eigensinn. Ich folge nur, wohin ich auch selbst gegangen wäre.

Mireylle ist keinesfalls ein einfaches Menschenkind, wie du sehr wohl weißt. Ihre Fähigkeiten haben meine Neugier geweckt.“

„Es reicht!“, donnerte der Lord erneut. Eine unangenehme Spannung breitete sich aus. Man konnte den nahenden Kampf förmlich spüren. „Ich war stets froh, dich in meinem Gefolge zu wissen, mein Freund. Ich möchte dir auch weiterhin bedenkenlos den Rücken zuwenden können, Surell. Auch wenn ich diese Regung eines Dämons unwürdig achte, will ich deinem Wunsch ein letztes Mal nachgeben. Geh. Such nach ihr. Ein Beschützer wie du ist einer Mylady würdig, da hast du recht.“

Samtene Entspannung breitete sich aus, als Surell nickte und sich noch einmal verbeugte. „Ich danke dir, Lord. Dann mache ich mich bereit.“. Stürmisch schritt der Heerführer davon und überließ die gespannte Masse sich selbst.

Der Lord aber wandte sich an Meredas: „Mach dich bereit“, sagte er leise. „Du wirst ihm in sicherer Entfernung folgen und sehen, dass er sie auch zu mir zurückbringt.“

Der Lord sah dem pflichtbewussten Leutnant eine Weile nach, doch seine Gedanken verharrten bei Surell. Hatte das verwirrende Mana dieses Mädchens auch ihn gefangen genommen? Ihre Seelenmagie unterschied sich von denen der Dämonen. Seine feinen Sinne hatten jede Einzelheit erspürt, die die oberste Schicht ihres Manas ihm hatte freigeben wollen und einem Kunstliebhaber gleich betrachtete es das Meisterwerk der Natur und staunte über seine Schönheit und Komplexität. Es erinnerte ihn an das Sinnesraubende Staunen, das ihn beim magischen Anblick des Fürsten erfasst hatte.

Ebenso fesselnd war das Mana des Mädchens über ihn hereingebrochen und hatte einen Funken in ihm entzündet, der ihm ebenso ekel wie wertvoll war.

Gedankenverloren betrat der Lord sein Zelt und ließ sich einer jugendlichen Regung folgend auf sein Bett fallen, um das Gefühl zu ergründen, das es gewagt hatte, seine vampirische Kälte zu durchbrechen. Ihr von Abscheu erfüllter Blick hatte zu verletzten vermocht.
 

Mireylle folgte Finior nun schon einige Stunden. Ihr Weg führte die beiden durch dichtes Unterholz, über eine hügelreiche Waldlandschaft. Mit voranschreitender Zeit lichtete sich der Himmel jenseits des Blätterdaches und hüllte den Wald in nebliges Zwielicht. Erste vereinzelte Vogelrufe erklangen von den Baumwipfeln.

Obwohl Finior seinen Schritt nicht magisch beschleunigte, kam er unheimlich schnell voran und zwang Mireylle damit zu einem leichten Trab. Jedoch wagte sie es nicht, um einen langsameren Marsch zu bitten, denn mit fortschreitender Zeit wuchs ihre Angst, von einem Verfolger eingeholt zu werden. Schließlich kam ein Dämon, der sich nicht verstecken musste, unheimlich schnell voran. Der Rücken des jungen Dämons wurde bald zu einer gewohnten Aussicht und ihre Augen gewöhnten sich zunehmend an das verzierte braune Leder seines Wamses.

Bald rasteten sie unter einem Baum, dessen dicke Wurzeln aus der Erde hervorstanden und hervorragende Sitzgelegenheiten boten. Mireylle teilte etwas von ihrer Verpflegung mit Finior, der die Nahrung dankend annahm. Ihre Rast währte jedoch nicht lange. Finiors angespannter Blick in die Ferne erlaubte auch jetzt keinerlei Widerspruch. Mireylles an Märsche nicht gewohnte Beine schmerzten, als sie sich wieder auf den Weg machten.

Zügig packte sie ihren Vorratsbeutel wieder zusammen und nickte zum Zeichen ihrer Aufbruchsbereitschaft. Sie hatten kein Wort gewechselt.

Aus ihren Gedanken schreckend stellte Mireylle fest, dass Finior schon ein ganzes Stück Vorsprung hatte und rannte, um ihn einzuholen. „Wie groß ist die Gefahr, dass wir gefunden werden?“, fragte sie den jungen Dämon, der mit sturer Miene voranschritt.

Es dauerte eine Weile, ehe er zu einer Antwort ansetzte: „Du wirst also definitiv verfolgt, hm? Ich habe der Sicherheit halber einen Verschleierungszauber über uns gelegt. Der betreffende Verfolger wird es also schwer haben, unsere Fährte aufzunehmen. Es kommt ganz auf seine magischen Fähigkeiten an. Ich kann dir nicht sagen, wie schnell er vorankommt. Ich weiß nur, dass sich im Abstand mehrerer Kilometer hinter uns kein Dämon aufhält. Hier im Wald sind die Sinne sehr klar.“ Er wandte sich ab und ging wieder etwas schneller.

Mireylle hastete hinter ihm her. Er war viel schweigsamer und verschlossener als bei ihrer Begegnung. Vielleicht war es nur ein Gefühlsausbruch gewesen.

Einige Stunden später wurden der Schmerz in ihren Beinen und die Müdigkeit unerträglich. Sie wurde zunehmend langsamer und immer öfter blieb Finior stehen, um mit kaltem Blick und angespannter Haltung auf sie zu warten.

Doch diesmal hielt Finior grundlos an und drehte sich einer Richtung des Waldes zu, aus der Augenblicke später Rascheln zu vernehmen war. Es kam immer näher und Mireylle beobachtete, wie Finiors Hand sich langsam auf das Heft seines Schwertes zu bewegte. Augenblicklich blieb sie stehen und starrte angespannt in dieselbe Richtung.

Blitzschnell schoss ein Dämon aus dem Gebüsch hervor und noch ehe Mireylle die Situation erfasst hatte, waren die Klingen der beiden Dämonen aufeinander geknallt. Ein Kräftemessen.

Der Angreifer sah verwahrlost aus. Er trug eine zerfranste Lederrüstung und hatte einen seltsamen Behälter auf dem Rücken, der verschiedenste Waffen beherbergte. Diese waren so befestigt, dass der Träger leicht nach ihnen greifen konnte, wenn er eine Waffe brauchte.

Mireylle hätte ihn auf 20 Jahre geschätzt, hätten seine Augen nicht das Leuchten höheren Alters gezeigt.

„Unterstehst du dem Befehl eines Lords?“, presste er unter zusammengebissenen Zähnen hervor.

Finior machte einige Ausfallschritte, um sich in eine bessere Position zu bringen und nutzte die Augenblicke um nachzudenken. „Nein“, antwortete er wahrheitsgemäß.

Die Züge des Fremden entspannten sich und einen Augenblick später rutschte seine Klinge geräuschvoll in eine der Halterungen. „Gut. Wartet einen Moment.“, versetzte er und rauschte davon. Als der Fremde kurz darauf zurückkehrte, trug er ein Kind in den Armen. Eilig setzte er das Mädchen vor ihnen ab.

„Passt bitte auf sie auf. Ich hole sie wieder ab.“ Sogleich war er erneut im Dickicht verschwunden und überließ Finior und Mireylle ihrer Verwunderung.

Das Kind stand verunsichert zwischen ihnen. Ihre kleinen Hände umklammerten eine zerrissene Kette. Es sah erbärmlich aus. Die Augen in dem kleinen Gesicht wirkten eingefallen, die zerfransten Stellen des verdreckten Kleides offenbarten Schürfwunden.

Mitleid und Wut erfassten Mireylle. Sie hockte sich hin und sprach das Kind mit sanfter Stimme an. Zu ihrer Verwunderung wich das Mädchen zurück. Nach Hilfe suchend sah Mireylle hoch zu Finior. Auf seinen Lippen war ein freudloses Lächeln erstarrt. Er nickte ihr zu.

Erneut redete Mireylle freundlich auf das Mädchen ein, doch das Kind wich abermals zurück. Mireylle sah Angst in ihren Augen. Sie strich sich die Haare zurück und zeigte dem Kind ihr Ohr. „Ich bin ein Mensch, kein Dämon. Ich tue dir nichts.“ Diesmal wich sie nicht zurück. Der Blick des Mädchens klammerte sich unsicher an Mireylles Gesicht. „Ich bin Mira. Und du?“

Es dauerte einen Moment, ehe sich die Lippen des Kindes lautlos zu bewegen begannen.

„Lazina“, flüsterte das Mädchen ihr mit rauer Stimme zu.

Mireylle lächelte aufmunternd. Vorsichtig ergriff sie die Hand des Kindes. „Lass uns gehen, Lazina. Wir müssen jetzt weiter. Dein Begleiter holt dich später ab, hat er gesagt. Solange passen wir auf dich auf, ja?“.

Die Kleine nickte und sah zu Boden.

„Gehen wir?“, fragte Mireylle. Das neuerliche Nicken veranlasste Mireylle sich mit dem Mädchen an der Hand aufzurichten und Finior einen auffordernden Blick zuzuwerfen. Sie setzten ihren Weg nun wesentlich langsamer fort. Auch dies besprachen sie mit keinem Wort.

Ein Dämon, der mit einem Menschenkind durch den Wald jagte, war offensichtlich ungewöhnlich.

„Finior! Weißt du, wer das war?“, erkundigte Mireylle sich.

„Nein. Ein Fremder.“, antwortete dieser nach einer Weile.

Gerade als Mireylle ansetzte, ihn wegen des Mädchens zu fragen, drehte er den Kopf in Voraussicht des nahenden Raschelns und einen Augenblick später erschien der Fremde wieder vor ihnen.

Erstaunt beobachtete Mireylle, wie sich Finiors Züge weiter verhärteten. Er zog sein Schwert. „Geht beiseite!“, donnerte seine Stimme und seine Anspannung ließ Mireylle gehorchen. Sie suchte mit dem Mädchen hinter einem breiten Baumstamm Schutz.

Irgendetwas berührte einen Sinn, der Mireylle noch ungewohnt war, doch sie ahnte ein Nahen. Bald darauf konnte sie drei große nahende Gestalten erkennen und sie fragte sich, ob dieser neue Sinn ihre magische Sicht ersetzte. Sie drückte das Kind an sich und starrte zu Finior und dem Fremden hinüber.

Beide hielten sich in kampfbereiter Position.

Ein letzter Farnstrauch wurde beiseite geschoben und zwei massige Dämonen mit gewaltigen Klingen erschienen in Begleitung eines Thevirs auf der Lichtung.

„Haben wir dich!“, knurrte der größere von beiden, der den Thevir am Zügel führte.

„Jetzt sterbt ihr!“, sagte der andere mit einem gehässigen Grinsen auf den Lippen.

Mireylle beobachtete, wie Finior und der Fremde die Angriffe der schweren Waffen abwehrten. Auch der Thevir griff an und entblößte dabei gewaltige Reißzähne.

Verzweifelt parierte Finior die Klinge des Größeren und wich dabei den Zähnen und Klauen des Tieres aus, doch er geriet zunehmend in Bedrängnis. Doch auch der andere Angreifer erwies sich als guter Kämpfer und so konnte der Fremde Finior nicht helfen. Die Angreifer drängten die beiden systematisch zusammen und gegen den breiten Stamm, hinter dem Mireylle kaum zu atmen wagte.

Finior ächzte, als er über eine Wurzel stolperte. Er schwankte, schaffte es jedoch, das Gleichgewicht zu halten. Schweiß bedeckte sein Gesicht, während er den Kampf in hohem Tempo fortsetzte. Der Fremde hatte alarmiert zu Finior hinüber gesehen und sprang bei der nächsten Gelegenheit auf den großen Dämon zu. In perfekter Zusammenarbeit hatten die beiden den Großen mit wenigen Zügen entwaffnet, doch sein Gefährte nahte und holte aus. Zu spät bemerkte der Fremde den Angriff. Er hätte sowieso nicht früher ausweichen können, ohne den Erfolg seiner Aktion zu gefährden. Nun war das Schwert ihm bereits zu nahe, um ihm zu entkommen. Trotzdem schaffte er es, das Schlimmste zu verhindern. Energischer als zuvor führte er den Schlagabtausch weiter, obwohl ihm Blut in dicken Strömen aus Wange und Schulter quoll und seine Kleider in dunkles Rot tauchte.

Finior musste sowohl den Thevir abwehren, als auch den großen Dämon von der Suche nach seiner Waffe abhalten. Ein Schatten lief über sein Gesicht, ehe er entschlossen die Waffe hob und den Großen köpfte. Der Thevir heulte auf und beendete seinen Angriff. Stattdessen wandte er sich dem Überlebenden Angreifer zu und attackierte plötzlich diesen. Wenige Augenblicke später durchtrennte der Fremde den zweiten Angreifer auf Taillenhöhe.

Finior ließ sich, den Baum im Rücken, zu Boden gleiten. Der Fremde hingegen setzte eine fröhliche Miene auf, wischte sich mit dem Ärmel das Blut aus dem Gesicht und Mireylle bemerkte, dass die Wunde sich bereits geschlossen hatte. Eine feine weiße Narbe war zurückgeblieben. Er schritt zum Thevir und strich diesem verträumten Blickes über das Fell, ehe er sich zu Boden fallen ließ und mit einem Band aus seiner Tasche den Oberarm verband.

Mit zornigem Blick verfolgte Finior die Bewegungen des Fremden. Der Schweiß des jungen Dämons funkelte als letztes Zeichen der Anstrengung in dem durch das Walddach einfallenden Licht.

Der Fremde bemerkte das Starren und wandte sich nach Finior um. „Danke, mein Freund. Alle Drei waren mir deutlich zu viele.“. Nach einem prüfenden Blick in Finiors Gesicht setzte er beschwichtigend noch hinzu: „Du bist wirklich gut“.

Selbst Mireylle, die inzwischen mit dem Mädchen vorgetreten war und sich nun nahe Finior auf eine Wurzel setzte, bemerkte den Anflug eines stolzen Lächelns, der sich auf den Zügen des jungen Dämonen zeigte. Sie drehte das Mädchen vom Anblick der Leichen weg und mit einem zweiten Blick erkannte sie den Zug der Ironie, der auf seinen Lippen lag.

„Wie ist dein Name?“, fragte Finior nach einem langen Moment des Schweigens, in dem Mireylle sich wünschte, sie würden weiterziehen. Noch immer fühlte sie sich wie paralysiert.

„Mein Name ist Minas Tinir. Ich bin ein Rebell. Falls ihr also doch einem Fürsten folgt, sollten wir den Kampf hier und jetzt austragen.“ Minas Antwort kam prompt. Er sprach so schnell wie er kämpfte und seine raschen Bewegungen zeigten seine energische Natur. Die leicht schief gelegten Dämonenaugen hatten einen neckischen Zug.

„Schicksalsbote.“, sagte Finior und fixierte den Älteren. „Wer gab dir solch einen Namen, Rebell?“.

Minas lachte auf. „Es ist der Name, den mir unsere Aufstandsbewegung gegeben hat. Ich legte den Namen meiner Geburt dafür ab.“.

Finior nickte bedächtig und erhob sich. „Ich bin Finior aus dem Hause der Veredas. Ich werde keinem Lord mehr folgen. Die egoistischen Wünsche dieser machtgierigen Tyrannen haben sowohl meine Familie, als auch meinen Kindheitsfreund zugrunde gerichtet. Ich würde mir euren Aufstand gerne ansehen, Minas.“
 

Der Wind riss rau an den Wipfeln der Bäume, fegte über das Rubinlager hinweg und ließ die Zeltplanen in der einbrechenden Dunkelheit flattern. Barmherzig trug er den scharfen Geruch des Todes hinweg und brachte Frische. Allmählich stieg die Luftfeuchtigkeit an und schon bald erhob sich der Duft nasser Erde, bevor letztendlich ein Platzregen einsetzte.

Entgegen seinem Willen war Traumprinz hierher zurückgekehrt. Er stand in sicherer Entfernung nahe dem Waldrand und beobachtete das Geschehen mit fremden Augen. Alles um ihn strömte, es atmete, schrie, hoffte, litt. Müde sammelte er sich, um die Wahrnehmung auf das zu konzentrieren, weswegen seine Füße ihn hierher getragen hatten.

Er sah hinüber, erfasste das Wesen des Lords mit allem, was es war. Seine Sinne zerlegten alle Farben der Seele, alle Nuancen der Magie, alle Sphären des Seins. Und er genoss jede Facette dieser Existenz, alles, was dieser Dämon war, gewesen war, was er sich angeeignet hatte und was ihm noch offen stand.

Die Sorge in den Zügen des Lords erzürnte ihn, mehr denn irgendein Ereignis jemals zuvor.

Das Fremde in Traumprinz fällte eine grimmige Entscheidung. Traumprinz schloss die Augen und atmete schwer. Er würde der Anweisung folgen, doch darüber hinaus hatte er keinerlei Gehorsam versprochen und würde sich seinen Spieltrieb keinesfalls nehmen lassen. Sie würden ja sehen, wer von ihnen stärker war.

Er lächelte.

Es kostete kaum Konzentration, sich in die vierte Sphäre zu versetzen. Innerhalb kürzester Zeit befand er sich mitten im Opalpalast und musterte Karigurou. Wie immer beugte sich der greise Dämon über einige Schriftrollen und versuchte ihnen die Wahrheit des Vergangenen zu entlocken. Es bereitete Traumprinz stets ein gewisses Vergnügen, den Lord bei seinen Bemühungen um die alten Sprachen zu beobachten, die Traumprinz selbst makellos beherrschte. Doch diesen Gefallen würde er dem alten Karigurou nicht tun. So blieb die Sache interessanter. Zunächst.

Traumprinz trat der Aufforderung des Lords folgend aus dem Schatten. Karigurou las noch einige Zeilen, ehe er die Schriftrolle beiseite legte und Traumprinz aufwendigen Begrüßungsritus mit gleichgültigem Blick musterte. Diesen Spott hatte der kleine Dämon sich nicht entgehen lassen wollen.

„Was führt dich hierher, kleiner Wanderer? Wie du siehst studiere ich noch immer die araguanischen Künste und wünsche deshalb durchaus nicht, von einem dreisten Eindringling wegen irgendwelchen Nichtigkeiten unterbrochen zu werden.“. Der Lord sprach ebenso langsam wie scharf, obwohl seine Züge noch immer völlige Ruhe demonstrierten.

Traumprinz schenkte ihm ein schelmisches Grinsen. Er legte den Kopf schief und sprach gleichsam zu einem Kind. „Ohhh. Ich dachte, es würde Euch interessieren, mein lieber Lord, wie es zurzeit um Euren geliebten Rivalen, den Vampirlord steht.“

„Durchaus“, erwiderte der Lord gelassen.

„Nun“, begann Traumprinz und hockte sich der fehlenden Sitzgelegenheit wegen auf den Teppich. „Wisst Ihr von dem Mädchen, das er sich ins Haus geholt hat?“.

„Meine Quellen behaupten, er habe sie sogar zur Mylady ernannt. Ein Schritt, der mich zutiefst überrascht hat. Ich wähnte uns beide diese Angelegenheit betreffend in derselben Überzeugung.

Es heißt, sie mute wie ein Menschenkind an, doch verschiedene Dinge liefern Hinweise auf eine andere, mir noch unklare Abstammung. Möglicherweise ist sie die Nachkommin der araguanischen Sagengestalten, der magisch begabten Menschen, von denen die alten Schriftrollen undeutlich Kunde tun? Derer, die diese als Zauberer und Zauberfrauen bezeichnen? Ich glaubte diese Rasse ausgerottet.

Doch andererseits habe ich auch die Rasse der Vampirdämonen einst für ausgelöscht gehalten.“

Traumprinz machte die ehrfurchtsvollste Verbeugung, die ihm das Sitzen gestattete. „Ihr seid ein gelehrter Mann, Lord. Und ich muss der Wahrheit genüge tun und Euch berichten, wie diffus die Hinweise auf die Herkunft des Mädchens sind.“. Er schwieg.

„Nach meinem Ermessen ist die nun einzig interessante Frage, was der Lord mit diesem Mädchen vorhat. Er wird wohl kaum sein Herz verschenkt haben.“

Traumprinz grinste. „Ich denke nicht, dass dies sein Wunsch war. Etwas anderes macht sie für ihn interessant, Lord Karigurou.“.

Der Lord kniff ein wenig die Augen zusammen, während er überlegte, wie viel er dem wankelmütigen Dämon verraten konnte. Doch die herausfordernden Worte des Dämons und die Erfahrung aus langem Umgang mit Traumprinz räumten diesem einen gewissen Spielraum ein. „Es hat mit den Astralen zu tun, würde ich annehmen. Obwohl er sich schon seit einiger Zeit nicht in Besitz eines weiteren Astrals gebracht hat.“

„Es liegt im Bereich des Denkbaren, dass ihn die Kriegsherausforderungen zweier Reiche davon abgehalten haben“, spottete Traumprinz.

Erneut überging Karigurou die Frechheit. „Was also ist es, das du mir sagen wolltest? Du wolltest sicher nicht auf einen Plausch über mir bereits bekannte Tatsachen vorbeikommen?“

„Ihr habt Recht!“. Traumprinz sprang auf. „Dieses Mädchen… es ist aus seinem Kriegslager geflohen. Lord Shahaan hat sogar Heerführer Haguren auf ihre Fährte gesetzt, Lord.

Dies fand ich durchaus interessant.“

Wie schon so oft zerfiel der freche Dämon plötzlich in Schatten.

Drei wesentliche Hinweise. Sie war von einer ganz besonderen Art. Etwas, worüber sich nachzuforschen lohnte. Zudem war sie entflohen, irgendwo an der Grenze zwischen Achat- und Rubinreich. Also musste er sehen, wie er sie gefangen nehmen konnte. Dies konnte durchaus interessant werden.

Ein weiterer interessanter Hinweis war der Ausdruck „Ich denke nicht, dass dies sein Wunsch war.“ gewesen. Es eröffnete Möglichkeiten.

Auch das würde er noch herausfinden.
 

Die hoch stehende Sonne schenkte der Welt eine Welle der Hitze. Ihre Strahlen brannten heiß auf Mireylles Rücken. Sie scheuerte das Wäschestück noch einmal und spülte es im Flusswasser aus, ehe sie es auswrang, geschickt faltete und in den Trog legte, der am flachen Ufer stand. Vorwurfsvoll sah sie zum Himmel auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es würde ein harter Tag werden.

Ihr Blick wanderte über das Dorf, das ihr inzwischen so vertraut geworden war und die Frauen, die sich an der seichten Flussbiegung versammelt hatten, um zu waschen. Sie spähte über die Ebene hinüber zu dem Lager, wo die Männer trainierten, die nicht auf Missionen waren. Abends würde sie zusammen mit einigen Knaben das Bogenschießen üben und danach würde Finior sie vielleicht wieder in Selbstverteidigung oder Schwertkampf unterrichten. Doch nur wenn seine Gruppe nicht allzu spät von der Mission zurückkehrte.

Zwar war es den Menschenfrauen untersagt, in die Schlacht zu ziehen, doch die Rebellen hatten sich über diese alten Regeln hinweggesetzt und boten auch Frauen Lehrgänge in der Kampfkunst an. Gewöhnlich mussten die Frauen Prüfungen in Kraft, Geschick und Willenskraft absolvieren, doch Mireylle wurde aus anderen Gründen ausgebildet. Genau genommen hatte Finior mit Minas ihre magische Begabung diskutiert, welche sie nicht nur schützte, sondern sie auch vor den Blicken ihrer Feinde verbarg, und sich durchgesetzt.

Mireylle war ihm dankbar. Auf seltsame Art verstand Finior sie. Ohne allzu viel über Mireylle zu wissen, erriet er, wie dringend sie sich schützen können wollte. Vielleicht wirkte sie hilflos auf ihn.

Während sie sich wieder an die Arbeit machte, gedachte Mireylle der Enttäuschung bezüglich der magischen Pfade. Sie hatte zusammen mit Finior einen der Pfade nahe dem Dorf aufgesucht, doch auch dort hatte sie nicht zurückkehren können. Finior hatte ihre Versuche stumm beobachtet und sie ebenso wortlos zurückgeleitet. Ihre letzte Hoffnung war ein stärkerer magischer Pfad geworden, nachdem einer von Minas Männern, Litian, ihr erklärt hatte, dass es sich bei dem von ihr besuchten Pfad um einen der Nebenpfade handelte.

Ihr Blick glitt gen Westen, zu den Bergen, hinter denen irgendwo der große Pfad verlief, mitten im Territorium Lord Lamerians und unerreichbar fern.

Und obwohl sie begonnen hatte, sich im Dorf der Rebellen sicher zu fühlen, wünschte Mireylle sich, weiterzukommen, nicht auf ewig hier zu verharren. Dieser neue Zug an sich überraschte Mireylle. Sie wollte mehr. Mehr sehen und hören von dieser fremden Welt. Und sie war entgegen ihrer früheren Art bereit, Gefahren einzugehen. Deshalb wollte sie lernen, sich selbst in dieser Welt schützen zu können. Die ersten Schritte zur Unabhängigkeit waren schon gemacht. Hier bei den Rebellen fühlte sie sich frier als je zuvor, obwohl es auch hier fesselnde Regeln und Gesetze gab.

Und Mireylle fühlte hier einen Ort des Rückzuges gefunden zu haben. Bei Maviane, der Frau, die sie in ihr Heim aufgenommen und gleich einer Tochter in ihr Herz geschlossen hatte, und bei den anderen Menschen, die so freundlich und aufgeschlossen waren. Sie alle trugen den Traum der Freiheit in sich und sie alle hatten dafür eigene Gründe. Dies war ein Punkt, der Mireylle manchmal sogar Angst machte. Nach einem vollen Monat friedlicher Eintracht war eines Abends die Meldung einer gescheiterten Mission gekommen und die rundliche, liebevolle und gutmütige Maviane brach in kopflosen Zorn aus. Erst da erfuhr Mireylle, wie Maviane ihren Ehemann, zwei Töchter und vier Söhne durch die Dämonenkrieger eines Landverwalters verloren hatte. Ihr war nichts geblieben, nur der Hass. Zielstrebigkeit und Überzeugung waren in der wütenden Stimme der Frau gewesen, als sie von ihrem Beitritt bei den Rebellen berichtete. Sie wollte sie unterstützen, um den Preis ihres Lebens, wenn es nötig war. Sie half den Kriegern, indem sie sich mit anderen Frauen um Medizin, Unterkunft und Verpflegung kümmerte.

Mireylles lieb gewonnene Hausherrin hatte sich in ihrer Wut verändert, ein Zug des Wahnsinns, Nachkomme der Verzweiflung, war auf ihre Züge getreten. Doch mit dem Moment verflog dieses Gefühl in Mireylles Wahrnehmung und nur der Schleier einer dumpfen Ahnung blieb in ihr zurück.

Erneut wischte Mireylle sich über die verschwitzte Stirn und spähte zum Waldrand. Noch immer konnte sie keinen zurückkehrenden Trupp sehen. Möglicherweise wurden die Rebellen im anderen nahegelegenen Lager, dem Dorf Wegzweig, aufgehalten. Mireylle wagte nicht am Erfolg der Mission zu zweifeln. Minas plante immer nur sichere Züge und er war ebenso bei dieser Waffenbeschaffungsmission dabei wie Finior, Elantes und Lemond. Diese vier zählten zu den mächtigsten Dämonenkriegern des Lagers. Der Übergriff auf den Waffentransport Lord Lamerians musste einfach geglückt sein.

Aus dem Augenwinkel bemerkte Mireylle eine Bewegung und sah die kleine Lazina auf dem Feldweg zum Fluss rennen. Mireylle freute sich, sie so aufgeweckt zu sehen. Nach dem Verlust ihrer Familie und aller, die sie gekannt hatte, und den anderen schrecklichen Erlebnissen, die das Mädchen danach im Wald gehabt hatte begann sie nun endlich sich zu erholen und wieder die Wesenszüge eines Kindes anzunehmen. Nur durch Glück war das Mädchen dem Übergriff auf ihr Dorf entkommen und war auf ihrer Flucht vor den Soldaten Minas Trupp über den Weg gelaufen. Außer Minas und dem Mädchen war niemand der Übermacht entkommen.

Mireylle beeilte sich mit den restlichen Wäschestücken. Gerade als sie das letzte Stück auswrang, war Lazina am Strand angekommen. „Mira, bist du schon fertig?“, rief sie Mireylle zu. Diese nickte und nahm den Wäschetrog, um zum Ufer zu stapfen. Lazina kam ihr ungeachtet ihres langen Rockes entgegen. „Hängen wir die Wäsche jetzt auf?“, fragte sie.

„Ja. Hat Mavi dich geschickt?“

Lazina nickte eifrig. „Mhm, das Essen ist bald fertig. Mavi sagt, die Männer sollten längst zurück sein. Sie hat Mimbakuchen gebacken und ich hab geholfen. Ich durfte die Eier holen.“

Während das Mädchen plapperte, gingen sie zu den Wäscheleinen und Mireylle hängte die sauberen Wäschestücke auf. Verblüffend, wie schnell sie sich an die fast mittelalterlichen Methoden dieser Welt gewöhnt hatte.

Zusammen gingen sie nach Hause und setzten sich an Mavianes reichlich gedeckten Tisch. Sie hatte mit der Rückkehr der Truppe gerechnet und für acht Personen gekocht. Im Gegensatz zu Mireylle schien sie sich um die Verspätung der Männer zu sorgen und ihre nervöse Erwartung steckte Mireylle und Lazina an.

Plötzlich hallte ein Gefühl in Mireylle wieder. Sie hielt inne und lauschte der Stille. Sie spürte eine Mischung aus Schmerz, Zorn und Benommenheit nahen. Unter den ankommenden erkannte sie Finiors und Minas besondere Ausstrahlung. Erschrocken stürmte Mireylle aus dem Haus und sah die deutlich reduzierte Gruppe vom Wald her nahen.

Die zurückkehrenden Krieger sahen schrecklich aus. Einige humpelten und wurden von ihren Kameraden gestützt, die meisten trugen schwere Wunden, welche sie nur notdürftig verbunden hatten. Selbst Minas an ihrer Spitze war verletzt. Mireylle rief die Rückkehr der Männer aus und eilte der Gruppe entgegen. Lazina und Maviane, die ihr aus dem Haus gefolgt waren, liefen zum Hospital um alles vorzubereiten. Mireylle spähte im Rennen nach Finior. Wieder seine Gewohnheit lief er nicht neben Minas her. Ihre Blicke durchstachen die dreißig Mann starke Gruppe und entdeckten schließlich Elantes, der Finior stützte. Vor Schreck blieb Mireylle stehen. Die silbernen Haare des Dämons standen vor getrocknetem Blut, sein Gesicht und sein Körper waren von Wunden überzogen und durch den dicken, blutgetränkten Verband um den Magen konnte man den schweren Schnitt erkennen, wo die notdürftigen Bandagen verrutscht waren. Eine Bewegung fing Mireylles Blick und sie sah Minas mit einem Lächeln winken. Irritiert fixierte sie seine Züge. Genugtuung brannte in ihnen.

Mireylle kam ihnen die letzten paar Meter entgegen und schob sich umsichtig durch die Gruppe zu Finior durch. Er war Totenbleich und schlief vor Schwäche beinahe im Gehen. Innerlich fluchte Mireylle über den Stolz der Dämonen, der Finior untersagt hatte, sich tragen zu lassen. Sein schlechter Zustand traf sie sehr. Auch wenn er nur wenige Worte mit ihr wechselte half er ihr stets.

Mireylle sah sich um und merkte sich die Anzahl der schwer Verletzten. Sie bedeutete Elantes, sich zu beeilen und rannte vor, um Krankenbetten für sie vorzubereiten. Einige Helfer eilten ihr bereits mit Tragen entgegen.

Die Heilfrauen hatten sich im Hospital eingefunden, Menschenfrauen sowie magisch begabte Dämonen liefen umher, um alles für eine schnelle Versorgung vorzubereiten. Maviane kam Mireylle mit besorgter Miene entgegen. „Was ist passiert, Kind?“

Mireylle schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, aber zehn der Männer fehlen und die anderen sind alle verwundet, viele schwer. Ich muss zu Leha, sie soll Finior zuerst behandeln. Er ist mehr tot als lebendig.“

Die mächtigste Heilerin des Dorfes stand am Kopf des Krankensaals und dirigierte die anderen. Ihr scharf geschnittenes Gesicht zeigte die prozedurale Strenge einer erfahrenen Heilkundigen. Die Augen der höchsten Heilerin fixierten Mireylle scharf, als diese sie unterbrach. „Ja?“

„Zwölf Schwerverletzte sind unterwegs und Finior sieht sehr schlecht aus. Ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt. Sein Bauch trägt eine tiefe Wunde. Kannst du…“

„Schon gut, ich kümmere mich um ihn. Hilf Maviane, das Operationszimmer vorzubereiten.“. Sofort richtete Leha ihre volle Aufmerksamkeit wieder auf die Vorbereitungen und eilte dann selbst davon, als die ersten Verletzten herein getragen wurden.

Mireylle folgte Lehas Anordnung und schon bald war das Operationszimmer bereit, einen Patienten aufzunehmen. Die Tür sprang auf und zwei Dämonen trugen Finior hinein und legten die Trage auf den Operationstisch. Mireylle schluckte bei seinem erbärmlichen Anblick betroffen. Leha betrat entschlossen den Raum und machte sich in einer Ecke fertig. Das Desinfektionsmittel glich im Geruch dem aus Mireylles Welt. Es war abscheulich.

„So, nun alle raus hier“, bellte Leha. Noch ehe Mireylle reagieren konnte, fügte sie „Ihr beiden helft mir.“, hinzu.

Mireylle und Mavi halfen Leha, den unordentlichen Verband zu entfernen und die Wunde zu waschen. Magisch zugefügte Wunden heilten nur schwer, selbst bei Dämonen. Und bei besonders schweren Flüchen musste man alle chirurgischen und magischen Mittel benutzen, damit der Patient überlebte. Mireylle hatte Leha erst ein Mal bei einer Operation geholfen. Am schlimmsten war das Blut, doch Mireylle hatte gelernt sich zusammenzureißen und den Schwindel zu unterdrücken, der sie beim Anblick offener Wunden packte. In einem Rebellenlager musste man sich mit der Zeit daran gewöhnen.

Eine tiefe Schnittwunde durchzog Finiors Bauch. Nicht nur das Fleisch hatte gelitten. Selbst das Gedärm darunter quoll blutend hervor, als sie die letzten Reste des Verbandes entfernten. Mireylle wandte den Blick ab und schluckte erneut. In ihrer Welt hätte der Patient als tot gegolten. Vermutlich wäre er das auch bereits gewesen, aber dieser Dämon hatte den ganzen Weg bis ins Dorf überstanden. Er musste einfach überleben, es fehlte ihm offensichtlich nicht an Lebenswillen. Eilig wischte Mireylle die verstohlenen Tränen beiseite und ergriff Finiors eisigen Hände, während Leha schon die erste Heilmagie zu wirken begann und langsam in Singsang versank. Maviane ergriff Nadel und Faden und vernähte das Gewebe über den magisch verheilenden Gedärmen. Kurz verschwand die Trübe aus Finiors Blick und er sah an ihr vorbei zur Decke, musterte diese verwirrt, dann schwanden seine Sinne. Mireylles aufkeimende Hoffnung verflog augenblicklich. Lehas Beschwörungen klangen immer härter, immer brüchiger. Erschrocken beobachtete Mireylle, wie der Heilerin die Kräfte schwanden. Die sonst so unbezähmbare Dämonin verwelkte unter der Anstrengung, doch noch immer beherrschte Entschlossenheit ihre Züge.

„Die Wunden heilen, aber er schwindet!“, presste sie angestrengt hervor. „Ich kann ihn kaum halten!“

Maviane verließ den Raum. Sie wollte eine weitere Heilerin rufen. Doch sie alle waren beschäftigt, das wusste Mireylle. Es hatte so viele schwer verwundete gegeben. Sie konnte ihn so nicht sehen. Sie konnte ihn nicht einfach sterben lassen. Leha stand vorn übergebeugt über Finior, die Hände auf der Wunde, in leises Murmeln verfallen. Wieso dauerte es so lange? Auch Mireylle konnte Finior schwinden spüren. Nein! Das durfte nicht passieren! Sie wollte ihn nicht sterben sehen. Sie begann zu weinen, still schluchzend hielt Mireylle die eisige Hand und die tränen rannen ihr in Strömen über die Wangen. Und mehr und mehr schwand Finior ihnen unter den Händen weg.

Ruckartig wischte sie die Tränen beiseite. Sie wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Leha tat es auch nicht. Sie kämpfte verbittert um sein Leben. Mireylle wollte diesem Beispiel folgen. Sie wünschte, ihr helfen zu können, doch selbst wenn sie irgendeine Magie besaß war sie unfähig, diese ein zu setzten. In einem irrwitzigen Anflug von Hoffnung, Wahn und Aberglauben legte Mireylle die freie Hand auf Finiors Herz. „Geh nicht!“, flüsterte sie. Spürte sie da tatsächlich Wärme unter ihrer Hand? Der letzte Rest seiner Körperwärme?

„Geh nicht, bleib bei uns Finior!“, wiederholte sie immer wieder. Ihr Herz griff nach der Wärme, um sie in ihm festzuhalten. Einbildung vermutlich, doch es half ihr.

Sie konnte es. Die Gewissheit stellte sich plötzlich und unerwartet ein und ließ jeden Zweifel verblassen. Eine Stimme hallte in Mireylles Kopf wieder:

Ja. Tu es, Tochter der Lumini.

Bei Mireylle hatte sich die magische Sicht eingestellt und zum ersten Mal erblickte sie einen schwindenden Lebensstrom. Er leuchtete nur schwach in einem blassvioletten Ton und entwand sich aus dem Raum, dem Himmel entgegen. Einem Faden gleich zog er sich hin, weg von dem Körper, der ihn so sehr brauchte. Instinktiv ergriff Mireylle de Faden mit ihrem Blick und zog ihn mit aller Kraft zurück in den kalten Körper. Sein Lebensstrom leuchtete heller, glomm und strahlte dann blendend hell. Undeutlich spürte Mireylle wie die Kraft aus ihr heraus rann und Finiors Lebensstrom umfing. Sie ächzte unter der Anstrengung. Die ungewohnte Konzentration ließ ihren Kopf schmerzen und forderte immer mehr Willenskraft, doch sie konnte bereits erkennen, wie der Lebensstrom seinen Körper zu umfangen begann und sein Mana sich wieder bildete, das magische Grundgerüst seiner Seelenmagie. Seufzend ließ sie von ihm ab und die magische Sicht verschwand. Er würde überleben.

Glücklich stellte sie fest, dass Finiors Hände wärmer geworden waren. Auch Leha beendete gerade die körperliche Heilung. Sie sah völlig fertig aus. Schweiß rann ihr über das Gesicht, das selbst blass und wächsern geworden war. Sie nickte Mireylle zu und ging zum Waschbecken, um das Blut von den Händen zu spülen und frisches abgekochtes Wasser zu holen. Mireylle wollte ihr helfen, aber Finiors Griff um ihre Hand wurde fester. Mireylle drehte sich nach ihm um und erkannte ein Leuchten in seinen verschleierten Augen. Er lächelte ihr zu. „Du hast ein wunderschönes Mana“, flüsterte er mit versonnenem Blick und schloss die Augen. Mireylle behielt das erwiderte Lächeln auf den Lippen und half Leha einen Verband um die magisch verschlossene Wunde zu wickeln. Dann wischte sie Finiors Gesicht.

Leha sah sich die Wunden darauf an und winkte müde ab. „Selbst für die reichen meine Kräfte nicht. Eine der Anderen muss das erledigen, ich brauche eine Verschnaufpause. Hoffentlich haben die anderen sich auch so gut geschlagen wie wir.“

Kurz entschlossen legte Mireylle eine Hand auf seine Gesichtswunde und konzentrierte sich, doch nichts geschah. „Heile“, sprach sie beschwörend, aber es erfolgte keine Reaktion. Verwirrt blickte sie zu Leha.

Diese nickte. „Das habe ich geahnt. Vielleicht hast du es nicht wahrgenommen, aber das was du getan hast hat keine einzige Wunde heilen können.“

Mireylle schaute erstaunt. War es doch nur Einbildung gewesen? Aber warum fühlte sie sich dann so ausgelaugt?

Doch Leha lächelte aufmunternd. Dann wurde ihr Gesicht ernst. „Es war beängstigend. Das was du mit ihm getan hast. Wir Heilerinnen sind fähig, Wunden zu heilen, die guten sind fähig, einen Körper zu retten, selbst wenn der Geist in ihm schwindet.

Das ist einer der Schocks, die eine Heilerin in ihrer Ausbildung überstehen muss. Jede von uns heilt einmal einen Körper und stellt fest, dass der Patient tot ist, obwohl sein Körper lebt. Er wird zu einer leeren Hülle.

Deswegen werden wir ausgebildet, darauf zu achten, ob es sich überhaupt noch lohnt den Körper zu retten. Manchmal gelingt es, den eist zurückzuholen, indem man schnell heilt und all seine Magie in den Körper hineinpumpt. Es gibt schwierige Beschwörungen und Rituale dazu, den Geist etwas verharren zu lassen. Doch man braucht mehrere Heilerinnen, da man nicht beides zusammen machen kann.“

„Das habe ich getan? Ihn ein wenig festgehalten?“, unterbrach Mireylle sie erstaunt.

Doch ein lächeln spielte sich auf Lehas Lippen, das nur schwer zu deuten war. „Nein“, antwortete sie. „Du vermagst etwas viel schrecklicheres zu tun. Ich frage mich, ob du ihn wohl auch tot zurückgeholt hättest.“

Mireylle verstand nicht, was Leha meinte. Verwirrt blickte sie ihr in das ironisch verzogene Gesicht.

„Du konntest seine Wunden nicht heilen, Mira. Doch deine Magie hat seine Seele gepackt und in den sterbenden Körper zurückgezogen.

Verstehst du?

Du hast seine Seele an den Körper binden können. Selbst wenn dieser bereits tot gewesen wäre. Ich weiß nicht, wie lange die Bindung halten würde, doch deine Macht hätte es vermocht, einen lebenden Geist an einen toten Körper zu fesseln.

Versteh mich nicht falsch. Diese Fähigkeit ist wunderbar. Sie gehört zu den Dingen, die man mit der Dämonenmagie nicht fassen kann. Aber auch sie birgt ihre Gefahren in sich. Du darfst sie nicht ohne Heilzauber gebrauchen, sonst wirst du etwas Widernatürliches erschaffen.“

Mireylle nickte und lehnte sich gegen eine Wand. Das verschlug ihr die Sprache.

I einem Anflug von Pflichtbewusstsein richtete sie sich auf, wusch die Hände und trat aus dem Operationszimmer, um weiter zu helfen. Der Krankensaal war in purem Chaos versunken. Der Geruch von Desinfektionsmitteln hatte sich mit dem metallischen Duft des trocknenden Blutes vermischt und erregst erneuten Ekel in Mireylle.

In ihrer Erschöpfung wankte sie nur langsam durch die Reihen und erst viel zu spät wurde sie der Schreie gewahr die von außen in die Krankenstation drangen.

Schrecken breitete sich in ihr aus, als sie zur Tür eilte und diese aufriss. Aus der Ferne näherte sich eine Gruppe von etwa Hundert Dämonen in den Söldnergewändern Lord Lamerians.

Die wenigen unverletzten Rebellenkrieger griffen zu ihren Waffen, doch die Aussichtslosigkeit dieses Kampfes war bereits abzusehen. Sie standen gegen eine Übermacht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Armida
2008-06-03T14:42:06+00:00 03.06.2008 16:42
Hey,
endlich komm ich dazu ein Kommi zu hinterlassen. Musste mir nochmal das vorherige Kapitel durchlesen.
Ich finde das neue Kapi ist dir gut gelungen. Ich hatte nur ein paar Probleme die ganzen Charaktere auseinander zu halten und musste teilweise etwas zurück gehen, um nachzuschauen wer wer war (z.B. Finior). Schwer lesbar fand ich es nicht und unverständliches war so weit ich mich erinnere nichts dabei. Schade fand ich nur das du an so einer Spannenden Stelle einen Schnitt gemacht hast.

Armida



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