Zum Inhalt der Seite

Vampirdämon

Untergang der Schattenfürsten
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kräfte, die binden

Ein leises Summen weckte Mireylle. Die Sonne stand schon sehr hoch und tauchte ihr Schlafzimmer in helles Licht. Ein Schatten fiel auf das Bett und als Mireylle hochsah, um seinen Ursprung zu suchen, erschrak sie. Traumprinz saß kopfüber an der Decke und starrte sie an.

„Die Leere…“, begann Mireylle.

Traumprinz drehte sich in der Luft um und schwebte über dem Bett. „Du hast versucht, es aufzuhalten. Was für eine Anmaßung. Und was für eine Ironie!“

„Wie meinst du das?“, fragte Mireylle verwirrt, aber der Dämon lächelte und winkte ab.

„Fürchtest du die Leere, die alles zu sich zieht? Spürst du die Erschütterung der Welt, ihre Verzweiflung?“, fragte er.

Mireylle zögerte. „Das und viel mehr. Es ist das Grauen. Wieso geschieht das? Sind es Risse in der Welt? Es fällt mir schwer, mir das vorzustellen. Aber andererseits bin ich seitdem ich in diese Welt gekommen bin Unglaublichem gegenüber nicht mehr so skeptisch.“

„Du bist auf dem richtigen Weg. Es sind die Risse, durch die die Leere zu uns gelangt. Doch du verstehst nicht. Gar nichts. Die Astrale binden die uralte Magie.“

„Aber… dann ist es meine Schuld? Ich habe sie von ihren Bestimmungsorten entfernt!“

Er lächelte. „Natürlich. Schuld ist etwas, das die Ewigkeit überdauert.“

Mireylle spürte es in dem Klang seiner Stimme. Er meinte etwas anderes. Unsicherheit und Verwirrung brandete in ihr auf. Wieso vertraute sie seinen Worten so sehr? Ein Name lag ihr auf der Zunge, doch sie wagte nicht, ihn auszusprechen. Würde er sie nur verwirrt ansehen, oder, viel schlimmer, würde er antworten? Sie brannte darauf. „Lumini?“

Traumprinz Lächeln erstarrte. Seine Stimme war tief und ernst, als er sprach: „Die Lumini. Suchst du deinen Ursprung? Ich warne dich. Dort wird auch deine Bestimmung lauern, Serenha Tsiu Linn. Der Schatten wird durch dich das Schicksal erfüllen.

Falls du die Vergangenheit suchst, Serenha, dann lass dich vom Prinz Ha di Sha zu den Ruinen der Lumini führen, zu der Oase Shi Wahlh Veresh, er kennt sie gut. Gehe zu den stillen Riesen von Au Tiu Ainn, Serenha. Suche die Wahrheit, ich werde dich nicht halten.“ Traumprinz Augen wurden schmal. „Traumprinz wird dich beobachten.“

„Was soll das alles bedeuten? Ich verstehe kein Wort! Serenha? Du meinst nicht mich!“, begann Mireylle, doch Traumprinz unterbrach sie.

„Ich kann dein Ahnen spüren. Ja, erinnere dich, Serenha!
 

Wind im Schatten,

Licht in den Blättern,

Feuer im Herzen,

Blut in der Luft…
 

Wärme in den Flügeln,

Kälte in der Ahnung,

Flucht in der Unschuld,

Trug in der Wahrheit…
 

Wind, der über das Land streicht…
 

Oh, ja. Ich erinnere mich.“ Und Traumprinz verschwand, löste sich vor ihren Augen auf.

Noch immer hallte die Melodie des fremdsprachigen Liedes in Mireylle wider, das Traumprinz gesungen hatte. Mireylle verstand jedes Wort, auch wenn sie sie vermutlich nicht nachsprechen konnte. Serenha, die Hohepriesterin. Erst jetzt wurde Mireylle die Bedeutung des Wortes klar. Doch wer war Prinz Ha di Sha, Prinz Wind-des-Schattens? Und diese Oase. Der Name war ihr so bekannt vorgekommen, so vertraut. Shi Wahlh Veresh, der Hain von Luft und Seele.

Traumprinz behielt Recht, Mireylle ahnte, dies alles schon vorher gekannt zu haben. War sie einst die Serenha gewesen? Welches Schicksal war es, von dem der Dämon gesprochen hatte?

War es ein Schicksal, das sie suchen wollte? Hatte sie mit Shahaan diese Welt zerstört? Zu viele Fragen drängten sich ihr auf. Traumprinz, wer war dieser seltsame Dämon? Er schien der Serenha nicht wohlgesinnt zu sein, doch Mireylle hatte er bei der Flucht geholfen.

Schritte näherten sich und die Tür schwang knarrend auf. Surell trat ein und näherte sich dem Bett. „Es geht dir schon besser?“

Düstere Entschlossenheit war in Mireylles Herzen immer stärker geworden. Es war eine Welt, und vermutlich war es auch ihre Welt, die Welt aus der sie stammte. All das wäre ihr als Mensch ihrer Welt nicht möglich gewesen. Das Wissen, das sie eigentlich nicht haben dürfte, die Erinnerungen, welche nicht die ihren sein konnten. Die Vergangenheit griff nach ihr und Mireylle spürte eine Sicherheit, die tief in der Erde wurzelte. Vielleicht konnte sie etwas tun, bestimmt sogar. Schließlich hatte ihre Magie dem Sog entgegenzuwirken vermocht! Sie musste es wissen.

Ganz von allein suchten Mireylles Hände den Weg in Surells. Ihr Blick musterte sein irritiertes Gesicht. Dämonen spürten, was in anderen vor sich ging. „Was sagt dir der Begriff Lumini, Surell?“

Der Heerführer überlegte kurz uns schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung, eigentlich nichts. Wie kommst du darauf?“

Seine Frage missachtend suchte sie einen anderen Hinweis. „Serenha? Shi Wahlh Veresh? Au Tiu Ainn? Die stillen Riesen?“ Doch Surell schüttelte weiterhin nur den Kopf.

„Die Menhire“, antwortete eine Stimme von der Tür. Finior betrat den Raum. „So wurden sie früher genannt. Stille Riesen. Es stand in einigen alten Schriften unserer Bibliothek. Sie sind die letzten Zeugen Jahrtausende alter Kulturen. Es gibt viele von ihnen, allein im Achatreich sind es ein Dutzend. Warum fragst du nach ihnen?“ Er trat näher und Mireylle konnte die Blässe in seinem Gesicht erkennen. Doch er wirkte ganz anders als sonst, wenn er trainierte, sich für den Kampf rüstete oder Pläne diskutierte. Die sture Verbissenheit hatte sich seit dem Tod seines Freundes in Finiors Züge gefressen, doch nun wich sie weitgehend einem Ausdruck, der schon fast philosophisch anmutete.

Mireylle zögerte, etwas von ihrem neu erlangten Wissen preis zu geben, vor allem, da es sich um Ahnungen und die Worte eines Fremden handelte.

„Was für eine Magie war es, die du gestern gewoben hast? Ich habe noch nie einen solchen Bannkreis gesehen.“, fragte Surell. „Eins steht fest. Du bist keinesfalls ein Mensch. Menschen haben keine Magie.“

„Das ist nicht wahr“, wandte Finior ein. „Ich fand es in den alten Schriften des Achatpalastes. Die Mythen von magisch begabten Menschen, die man Zauberer nannte. Sie sind wie viele andere Arten von dieser Welt verschwunden. Doch du kannst aus mehreren Gründen keine von ihnen sein. Der wichtigste ist aber die fein gesponnene Magie, die du gewirkt hast. Die Magie der Zauberer soll wesentlich gröbere Züge getragen haben, als die der Dämonen, und Surell war über die Feinsinnigkeit deiner Magie erstaunt.“

Surell nickte zustimmend. Seine Augen musterten Mireylles Gesicht, als versuchte er, ihre Gedanken zu erahnen. Diese Geste erinnerte sie an Lord Shahaan und sie wandte sich ab. Sie schlang das Tuch, mit dem sie zugedeckt worden war, enger um sich und stand auf. „Hast du sicher nichts über die Namen der Stillen Riesen gelesen, Finior? Sagen dir die Worte Shi Wahlh Veresh oder Au Tiu Ainn etwas?

Ich möchte diese Orte besuchen und herausfinden, wer ich bin.“

Unvermittelt stand Surell hinter ihr. „Was ist nur los mit dir, Mireylle? Woher die plötzliche Entschlossenheit?“

Finior sog den Atem zischend ein.

„Surell!“. Mireylle drehte sich zu Finior um, raste an ihm vorbei und verschloss krachend die Tür. „Achte auf deine Worte!“

„Ich bin ein Dämon, Mireylle. Ich weiß immer, was ich sage, und du willst diesen Ort doch sowieso verlassen, stimmts? Dann können wir auch etwas ehrlicher sein, nicht wahr?“

Surells provokante Stimmführung verfehlte ihre Wirkung nicht. Doch Mireylle gestattete es sich nicht, ihren Zorn zu zeigen. Sie hatte sich zu lange in der Gesellschaft von Dämonen aufgehalten, um sich nicht nach den Zweck dieser offensichtlichen Falle zu fragen. Mireylle war sicher, dass er das Rebellenlager tatsächlich verlassen wollte. In einem Streit würde sie mehr verraten, als in einem besonnenen Gespräch. Vermutlich war es das. Sie atmete langsam durch und setzte eine freundliche Miene auf. „Ich denke nicht, dass wir das tun sollten, Surell. Bitte zerbrich nicht das, was mich schützt.“ Sie warf einen prüfenden Blick auf Finiors Gesicht und las darin stummes Einverständnis. Ihr Verstand wollte diesem Eindruck nicht ganz trauen, doch sie gab sich vorerst zufrieden und ging zu Surell, der beleidigt aus dem Fenster starrte. Ein ungewöhnliches Bild des streitfreudigen Heerführers, dachte sie. Mireylle legte ihre Hände auf Surells Arme und suchte den Blick des Dämons. Dieser grinste das Fenster an, umschlang sie sanft und drückte sie an sich. Der letzte Rest von Mireylles Ärger verflog im warmen Rasen ihres Herzens. Sie war sich nicht sicher, ob dieses Rasen, die Freude, ihn zu sehen, ihm nahe zu sein, bereits Liebe war, doch das Gefühl war stärker als jedes andere Gefühl dieser Art, das sie jemals gehabt hatte. Kein Wunder, dass so man die Liebe als eine Schwäche bezeichnete.

Als Surell sich bückte, um sie zu küssen, blickten seine Augen über sie hinweg. Sie fixierten Finior, der hinter Mireylle bei der Tür stand, und verengten sich, ehe ihre Lippen sich berührten.

Mireylle löste sich von Surell und drehte sich Finior zu. „Wärst du bereit, mich zu den Stillen Riesen zu führen, Finior? Ich möchte nach Hinweisen meiner Herkunft suchen.

Mach dir bitte keine Gedanken wegen meines Namens. Ich wusste damals nur nicht, ob ich dir vertrauen kann, und habe deshalb gelogen. Ich dachte, meine Verfolger würden sich nach mir erkundigen, aber Surell hat mich auch ohne dies gefunden.

Was ist deine Antwort?“

Finiors Augen strahlten die Intelligenz geradezu aus. Sie flimmerten kurz, als er eine Entscheidung traf. „Soweit ich Minas nicht allzu lange im Stich lassen muss, bin ich bereit, dir einige der Stillen Riesen zu zeigen.

Du suchst nach deiner Herkunft und kennst sie nicht. Ich bin neugierig auf das, was du in Erfahrung bringst. Deine magische Begabung ist ein faszinierendes Thema.“

„Ich bin froh, dass du das so siehst. Ich brauche wirklich deine Hilfe.“

Surell legte eine Hand auf ihre Schulter. „Ich werde mitkommen.“

Die Tür flog krachend auf. „Und wohin geht die Reise?“, donnerte Minas. Sein Schwert deutete auf Mireylle und Surell. „Geh beiseite.“, sagte er zu Finior und schob ihn mit der Linken in Richtung der Tür. „Das ist Surell Haguren, ein Heerführer des Rubinlords. Und auch sein treuer Freund, wie man sagt. Kämpfe, Haguren!“

Mireylle trat auf Minas zu und hob besänftigend die Hände. „Hör zu Minas, er ist nicht in Shahaans Auftrag hier. Er ist nur…“

„Aus dem Weg, Mädel!“, donnerte Minas und schleuderte ihr etwas entgegen.

Noch ehe Mireylle die Schwingung von Magie als solche erkannte hob Finior die Stimme und brach den auf sie zukommenden Zauber mit einem Gegenspruch. Minas Blick traf ihn wie der Schlag einer Peitsche, doch das wahre Ziel des Rebellen blieb Surell, den er nun belauerte. Surell hingegen stand ruhig da, seine Hand lag auf dem Schwertgriff und ein Grinsen zierte seine Züge.

Minas verzog als Antwort einen Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln.

Mireylle stand neben Finior, der sie am Arm zurückhielt. Auch er hatte die Hand an der Waffe, doch er machte nicht den Eindruck, sich einmischen zu wollen. Sie beobachtete die beiden Kämpfer wie gebannt. Surell in seiner bedrohlichen Ruhe und Minas, der ihn mit gezückter Waffe lauernd umrundete. Sie beide trugen die Euphorie der Kampflust auf ihren Gesichtern.
 

„Wie steht es um deinen Auftrag, mein Diener? Was gibt es neues aus dem Rubinpalast zu berichten?“ Die Stimme der Mylady reflektierte an den Steinwänden und verlor sich in der Weite eines großen Raumes.

Die Stimme ihres Dieners antwortete nach einer kurzen Pause des Überlegens. „Mit meinem Auftrag geht es nicht voran, Mylady. Adriana lässt den Raum der Astrale nicht aus den Augen und erneuert die Schutzbanne jeden Tag. Sie lässt sämtliche Zugänge von der Palastgarde bewachen. Ich habe schon einiges versucht, um die Wachen weg zu locken und die Banne zu umgehen, aber meine Bemühungen blieben bis jetzt erfolglos. Ich kann nicht mehr viel unternehmen, Herrin, ohne meine Identität preis zu geben und nun kommt erschwerend hinzu...“

Die Lippen der Mylady wurden schmal. Das alles dauerte zu lange. „Ich brauche Ergebnisse, und zwar sofort!“

„Herrin, der Lord ist zurückgekehrt! Er ist gestern Abend eingetroffen!“ Seine Stimme tiefte von Unterwürfigkeit.

Mylady Deiedra unterdrückte einen Wutausbruch, doch ihre Stimme wurde dünn und zuckersüß. „Und warum, mein Diener, ist das nicht die erste Nachricht, die du mir weitergibst? Ich denke doch, dass dieses Wissen so fundamental wichtig ist, dass ich mein Vorgehen komplett umstellen muss. Also wäre es sinnvoll, dass du solche Nachrichten demnächst SOFORT ausrichtest.“

Er keuchte am Ende der langen Leine, die ihn in die Hände der Mylady legte. „Vergebung, Herrin!“

Deidara ließ den Zauber vergehen und wartete ab, während der Diener nach Atem heischte. „Ist das Mädchen bei ihm?“

„Nein, Herrin. Man sagt, sie wäre ihm entkommen und er hätte ihr den Heerführer Haguren nachgesandt.“

„Surell?“, sie wirkte erstaunt. „Dass er sich eine solch langweilige Aufgabe geben lässt ist höchst seltsam. Aber vielleicht ist diese Aufgabe ja gar nicht so anspruchslos, wie es sich im ersten Moment anhört. Schließlich hat sie es geschafft, Lord Remon Shahaan zu entkommen. Faszinierend und höchst bemerkenswert.“ Die Mylady ließ ihre Gedanken schweifen und von ganz allein entwickelten sie Theorien und spannen Szenarien. „Nun, was die Astrale angeht, werde ich wohl wieder meinen Diener Girall einschalten müssen. Ich habe ihn seit dem Vorfall mit dem Mädchen nicht mehr gesprochen, doch er hat gute Arbeit mit Shahaans kleinem Menschenkind geleistet.

Und du, mein Diener, wirst mich genauestens über jeden Schritt informieren, den Lord Shahaan tut. Ich will wissen, was er tut, mit wem er redet, wohin er geht, was er liest, selbst was er isst und trinkt. Alles. Mir darf nicht das kleinste Detail entgehen.

Ich werde weitere Dämonen einschalten, um ihn aus dem Palast fort zu locken. Ich will diese Astrale, sie alle. Und bald, schon sehr bald, werde ich mir die Urzauber des Rubinreiches aneignen.“ Sie belächelte sich selbst. Man redete nicht so viel von seinen Wünschen, sonst wandten sich diese gegen einen. Diesen Fehler hatte sie schon sein über einem Jahrhundert nicht mehr begangen. Vielleicht wurde sie ja langsam alt. Undenkbar, wenn man sie ansah, doch sie gehörte zu den ältesten Dämonen ihrer Zeit. „Nun gut“, sagte sie. „Ich überlasse dich deinem Auftrag und…“

Der Diener keuchte plötzlich und fiel ihr ins Wort. „Verzeiht Herrin, ich muss abbrechen. Etwas geschieht!“ Die Verbindung verschwand augenblicklich.

Mylady Deidara öffnete die Augen und blinzelte gegen das grelle Licht der Kerzen. Was konnte geschehen sein? Eine Entdeckung. Diese Art der Kommunikation war doch gefährlich, auffällig. Und sie musste ihre anderen Diener dringend aktivieren, ehe die Sache aus dem Ruder lief.

Shahaan war zurückgekehrt und er ließ nach diesem Mädchen suchen, was die Vermutung nur bestätigte, dass das Menschenkind etwas mit den Astralen zu tun hatte. Irgendwie war sie ihm beim Diebstahl der Astrale behilflich. Möglicherweise war etwas an ihrer magischen Begabung dran, von der Girall geredet hatte.

Und diese Schwankungen im magischen Gefüge, die sich immer mehr häuften, machten der Mylady Sorgen. Wenn sie mit dem Entfernen der Astrale von ihren Bestimmungsorten zusammen hingen, dann hatte Remon sich sehr verändert. Sie lächelte. Oder er hatte sich kein bisschen verändert und war noch immer der abenteuerlustige Genius, der er schon immer gewesen ist. Auf dem Gebiet der Magie gab es dieser Tage wohl keinen solchen Pionier wie Remon Shahaan.

Wie auch immer. Sie spürte einen Schatten über der Zukunft liegen und Remon war des Unheils Vorreiter. Sie musste ihn aufhalten, ehe es zu spät war. Und wenn sie dabei an seine Macht und sein Reich gelangte, war dies durchaus nicht zu verachten.

Die Welt war im Wandel, und sie, Mylady Deiedra, war zum ersten Mal sein fünf Tausend Jahren wieder unsicher. Sein Sieg hatte Shahaan so mächtig gemacht.

Die Tür knarrte leise und nur aus Entgegenkommen sah die Mylady auf und betrachtete den goldhaarigen Jungen, der verkrampft an den Türrahmen lehnte und sie mit Feuer in den Augen fixierte. Die Statur eines Knaben vermochte nicht die Macht zu kaschieren, die der Lord in sich trug.

„Einen guten Abend, Villian, mein Gemahl. Welch seltener Besuch mich heute beehrt.“

Der Knabe stand mit einem Mal dicht vor ihr und seine Puppenlocken zitterten vor Wut. „Wage es nicht, mich zu verspotten, Deiedra.“, zischte Lord Alesan. „Deine zweihundert Jahre mehr machen dich nicht viel weiser als mich, Mylady. Und auch nicht mächtiger“.

Die Mylady lächelte. Nein, mächtiger machten sie sie tatsächlich nicht. Doch für die Weisheit spielte Zeit keine Rolle. „Wie ihr wünscht, mein Lord. Womit also kann ich euch behilflich sein? Hat Euer Gespiele Anareas Euch heute nicht zufriedengestellt?“

Das Dämonenfeuer glühte in den Augen des Lords auf. „Lass ihn aus dem Spiel!“, ertönte seine Stimme in ihrer vollen Höhe. „Sonst überlege ich mir vielleicht, meine Rechte als Gemahl einzufordern, Mylady.“

„Daran habt Ihr schon lange das Interesse verloren, mein Herr. Weswegen seid Ihr hier?“

Sie massierte eine ihrer Schläfen, während der Lord vor ihr sich sichtbar entspannte.

„Weißt du, was Shahaan plant? Ihr beide kennt euch schon so lange.

Er hat den Krieg gewonnen, in den Lamerian ihn verstrickt hat. Und er hat es trotz der alten Gesetze des Fürsten gewagt, den Thron des Achatreichs an sich zu nehmen. Das hat es noch nie gegeben. Doch warum bestraft der Fürst ihn nicht?“

„Ihr denkt sicher an das Gerücht um Shahaans Besuch im Fürstenpalast?“. Sie wusste, worauf die Frage hinauslief, doch auch sich selbst hatte Deiedra dies nicht beantworten können.

„Hälst du es für möglich, dass Remon Shahaan im Auftrag des Fürsten handelt?

Er erobert eines der Reiche und stiehlt die Astrale, die diese Welt stützen. Doch trotzdem ereilt ihn keine Bestrafung. Der Fürst ist gnadenlos, das bleibt unbestritten.“

„Und die Welt…“, begann sie.

Mit einer nervösen Handbewegung strich der Lord eine Locke aus dem Gesicht. „Die Welt beginnt zu schwinden. Diese Schwankungen der Magie, sie verschlingen sie nach und nach. Was ist, wenn der Fürst unserer überdrüssig ist?“. Der gewohnte hysterische Unterton schlich sich in die Stimme Alesans.

Doch Deiedra schenkte ihm nur einen spöttischen Blick. „Was, mein Lord, würdest du denn dann tun? Würdest du hinausziehen, um gegen den Fürsten anzutreten?

Welchen Sinn hat es, darüber nachzudenken, ob Shahaan mit ihm im Bunde ist? Es ändert nichts an dem, was du als nächstes zu tun gedenkst. Nur, weil er den Schutz des Fürsten genießen könnte, willst du ihm doch sicher nicht die Astrale überlassen, die die Magie unseres Landes seit dem Beginn der Zeit stützen? Auf diese Weise würdest du ihm das Saphirreich schenken.“

„Was also empfiehlst du mir zu tun, Deiedra? Soll ich mein Heer auf das Rubinreich losschicken? Soll ich meinen Hals und vielleicht auch den deinen riskieren, indem ich den Günstling des Fürsten herausfordere?“

Deiedra erhob sich und blickte tief in die Augen ihres Gemahls. „Wenn Shahaan sein Werk fortsetzt, wird diese Welt Stück für Stück zerfallen! Sieh, was es schon jetzt mit der Magie anrichtet! Es gibt Zeiten, da schwindet meine Macht! Und die eines jeden magischen Wesens ebenso. Was fühlst du in den düsteren Stunden, wenn das Gefüge der Magie zu schwanken beginnt, wenn sie in uns schwindet und nichts zurücklässt, als Leere und Hoffnungslosigkeit? Kannst du die Welt nicht vergehen fühlen, nicht den Schatten des Untergangs spüren, der auf ihr lastet?“ Langsam sank die Mylady in die weichen Polster ihres Sessels und schloss die Augen. Sie atmete langsam durch, ehe sie erneut die Stimme erhob. „Ich versuche herauszufinden, was Lord Shahaan plant und wie man ihn aufhalten kann. Gleichzeitig werde ich versuchen, seine Macht im Rubinpalast zu untergraben. Du, mein Gemahl, solltest deine Truppen an beiden Grenzen verstärken. Jetzt, da Lord Karigurou gesehen hat, dass der Fürst es zulässt, könnte er auf den Gedanken kommen, seine Macht zu verstärken, um Shahaan zu trotzen. Vielleicht auch, um sich zu einem neuen Fürsten aufzuschwingen, einem Herrscher, der alle vier Länder und deren Urmächte besitzt. Und das Saphirreich wird nur ein Meilenstein auf seinem Weg zu diesem Ziel sein.

Shahaan ist zurzeit mit anderem beschäftigt. Er sucht nach dem Gör, das er zur Mylady seines Landes gemacht hat. Sie scheint ihm entwischt zu sein, was nur bestätigt, dass es keine törichte Wahl gewesen ist.“

„Wir müssen also versuchen, Shahaan zu schwächen, ohne Karigurou zu stärken, nicht wahr? Ich denke, du hast Recht.

Es wird wie in alten Zeiten sein, Deiedra, nicht wahr? Wir arbeiten wieder ausnahmsweise demselben Ziel entgegen.“

„Ich habe deine Pläne immer unterstützt, wenn es die meinen nicht durchkreuzt hat, Villian.“

Der Lord lachte auf. „Sicher, wenn sie dich auf dem Thron hielten. Aber genug davon.

Ich frage dich: Kann man ihn nicht mit der Eigenart seiner Spezies drankriegen, Mylady? So, wie es damals mit allen seiner Art gemacht wurde? Es müsste auch bei ihm wirken.“

Deiedra schwieg und erhob sich. Nachdenklich streifte sie durch den Raum, den Blick Alesans im Rücken. Am Kamin blieb sie stehen und ihre behandschuhten Finger strichen seidig über einige Flakons, die auf dem Sims standen.

Die Relikte uralter Machtkämpfe, bunte Kristalle mit einst wertvollen Flüssigkeiten. Der Lord öffnete eine Hintertür des Raumes und begab sich tiefer in die Gemächer der Mylady.

Als er zurückkehrte hielt er lächelnd ein vergilbtes altes Buch in der Hand. „Du hast nicht viel verändert, meine Liebe. Ich habe es auf Anhieb wieder gefunden.“

Sie nickte stumm und er begann umsichtig, das Werk uralter Magie durchzublättern. Als er bei einer Seite verharrte, trat Deiedra zu ihm und überflog die vergilbenden Zeilen und die Skizzen.

„Er ist sehr mächtig geworden. Niemand kann sagen, wie er es damals überlebt hat, doch nun wird es schwer sein, ihn auf diese Weise zu besiegen. Die Mächte zweier Länder ruhen in ihm. Ich bin nicht scher, ob ein dreidimensionales Pentagramm dieser Art ihn auch nur halten könnte. Das heißt…“ Sie drehte sich weg und ging erneut nachdenklich auf und ab.

Alesan klappte das Buch zu und legte es auf einen der feingliedrigen Sofatische. „Kerumenium.“, sagte er. „Könntest du es zusammenbrauen?“

Die Mylady wandte sich mit einem vorwurfsvollen Blick zu ihm um. „Selbst wenn ich eine Dienerin die Zutaten zusammenmischen lasse, würde ich dennoch für Tage meine Magie verlieren, denn sie können die nötigen Zauber nicht wirken und ich könnte es nicht aus der Entfernung tun!“

Doch anstatt den Gedanken zu verwerfen, nickte Alesan nur. „Und die Schutzzauber der Mylady würden dich ebenfalls vorübergehend verlassen, ich weiß.“

Entgeistert sah Deiedra den Lord an. „Ich wäre völlig ausgeliefert!“

Lord Alesan kam auf sie zu und legte eine seiner Knabenhände auf ihre Schulter. „Und ich werde dich schützen. Du weißt, ich habe meine Wahl nie bereut, im Gegenteil.

Ich geben natürlich zu, dich ab und an von Herzen gehasst zu haben, meine Liebe, aber ich habe nie deine Bedeutung für unsere Herrschaft über dieses Reich verkannt. Wenn du dich bereit erklärst, das Kerumenium zu brauen, werde ich dich daraufhin schützen, persönlich. Und wenn es dein Wunsch ist, werde ich Anareas töten. Dies ist mir wichtiger.

Keiner beherrscht die alten Zauber der Tränkebrauerei so wie du.“. Er grinste auf eine Weise, die ihn wirklich wie den siebzehnjährigen Knaben erscheinen ließ, dessen Körper er hatte.

„Lass dein Spielzeug ruhig am Leben. Nach ihm werden andere kommen.

Aber ich werde den Trank brauen, so sehr es mir um meinen Jugendfreund Leid tut. Du hast Recht, Villian. Dies ist wichtiger.“
 

Die kalten Flure der Katakomben reflektierten seine Schritte, als der Vampirdämon sie im Eilschritt durchquerte. Seine Wahrnehmung war bis ans Äußerste angespannt, ihm durfte nichts entgehen. Und da war es wieder, eine Kräuselung im Fluss der Magie, die er als uncharakteristisch erkannte. Eine hauchdünne Spur durchzog die Gänge und sie stammte weder von ihm, noch von denen, die als einzige hier gewesen sein durften.

Remon Shahaan erspürte die starken, warmen Stränge von Surells Magie, die Vorboten eines mächtigen Schutzbannes. Auch Arianas Macht durchströmte Luft und Gestein, verstärkte und nährte den Zauber des Heerführers. Über all dem lag der kaum wahrnehmbare Nachgeschmack einer magischen Entladung, an der eindeutig Mireylles ungewöhnliche Art der Magie beteiligt gewesen war. Nur schwer konnte der Dämonenlord sich von der Betrachtung der feingliedrigen magischen Gespinste lösen, die die Zeugen ihrer ehemaligen Anwesenheit in den Katakomben waren. Die fremdartige Schönheit dieser Magie erstaunte und fesselte Remon Shahaan noch immer.

Doch er war nicht deswegen hierher gekommen. Der Lord war einem Duft innerhalb des Bouquets von Magie gefolgt, der nicht hierher gehörte. Er folgte der Spur des Eindringlings. Arianas Zauber schienen den Eindringling nicht abzuschrecken, denn viele der Spuren waren nicht älter als drei Tage. Er lächelte innerlich. Vor drei Tagen hatte er selbst eine Nachricht an den Rubinpalast geschickt und seine Statthalter über den Sieg des Rubinreiches informiert. Möglicher Weise hatte es sich um einen Agenten des Achatreiches gehandelt, der nach dieser Nachricht keinen weiteren Sinn sah, in Shahaans heiligstes einzudringen. Die Rache der Vampirdämonen war berüchtigt. Zudem besaß der Vampirlord nun die Macht zweier Lords. Dies war eine überwältigende Erfahrung gewesen.

Die Schlachten um das Achatreich hatten sich lange hingezogen, denn Lamerian war immer tiefer in das Land hinein geflohen. Ohne den Lord des Reiches besiegt zu haben, konnte man es nicht wirklich einnehmen und so fanden sich immer wieder Dämonen im Reich, die ihr Leben für ihren Lord opferten. Auch das vordringen ins Reichsinnere hatte sich schwierig gestaltet. Die durch das fehlende Astral entfesselten Urmächte hatten Stürme und Gewitter unheimlicher Ausmaße verursacht. Magie war ziellos umher geflogen und hatte sich an den unmöglichsten Stellen in den undenkbarsten Gestalten manifestiert und für Unruhen, Krankheiten und Verletzungen im Heer gesorgt. Gestalten, die schon längst ihren Platz in den Sagen dieser Welt gefunden hatten, gingen, plötzlich befreit, umher und stifteten Unheil, wo sie auch waren. Nur durch seine Kenntnisse der alten Magie hatte Shahaan einen Schutz gegen diese Monster der Urzeit entwickeln können, doch im Achatreich selbst kämpfte die Bevölkerung schwer mit den Plagen der Vergangenheit.

Doch die Teile des Landes, die das Heer des Vampirdämonen bereits erobert hatte, wurden nach und nach von der Urmagie des Rubinreiches erfasst und geschützt.

Remon Shahaan erinnerte sich genau daran, wie ihm schließlich der Geduldsfaden gerissen war. Wie lange hätte er dem Achatlord noch nachjagen sollen?

Die Nacht war finster gewesen, als Remon es erneut gespürt hatte. Den Sog, der der Welt die Magie nahm. Jene mit großem magischem Talent litten am meisten darunter. Doch es war nicht die Art des Vampirdämons, sich der Verzweiflung dieser dunklen Stunde zu ergeben. Rasende Wut erfasste den Lord und zerschmetterte alles im Umkreis einer halben Meile, als die Magie zu ihm zurückkehrte. Augenblicklich sandte er sein Gespür in alle Richtungen aus um Lamerian zu erspüren. Seine Sinne bis an ihre Grenzen angespannt schuf er einen magischen Suchkreis und durchforstete das Achatreich geistig nach einer winzigen Spur fremder Lordmagie.

Das Heer hinter sich lassend folgte Remon Shahaan der Spur Lamerians bis tief ins Land. Dort, in den Bergen von She Re, stellte er den flüchtigen Lord.

Lord Shahaan fand das Lager Lamerians zur Mittagsstunde des folgenden Tages in einem Pass des She Re Gebirges. Der Achatlord, der sein Nahen im letzten Augenblick gespürt hatte, gab es auf, seine magische Aura zu verstecken und schleuderte dem nahenden Rubinlord all seine Macht entgegen. Shahaan hatte nur lächeln können, als er die grobe magische Verteidigung mit wesentlich weniger Machteinsatz durchbrach.

Der Uralte Bann der Lordmagie baute sich undurchdringlich um Lamerian auf. Mit seinem treuen Schwert Hadesschatten zerschlug Remon nach und nach die Eckpunkte des Schutzbannes, während seine Magie das Grundgerüst der Schutzmagie zu erhalten suchte. Eine magische Entladung würde ihn seinem Ziel nicht näher bringen. Er durfte das magische Gefüge nicht unkontrolliert zusammenbrechen lassen.

Lamerian schleuderte seinem Angreifer Flüche entgegen und der Rubinlord wurde unter dem Gewicht der Bannzauber langsamer. Wer einen Lord angriff tat das immer auf eigene Gefahr. Shahaan hatte seine Schutzmagie unterdrückt, denn sonst hätten die Lordmagien einen Kampf der beiden Herrscher unterbunden. Und nun stand er nur einen halben Meter vor dem Achatlord und atmete schwer unter der Last der Magie. Siegessicher zog Lamerian sein Schwert und führte einen Streich gegen den Rubinlord. Ein blutiger Striemen durchzog den Oberkörper des Vampirdämonen, der nicht einmal gezuckt hatte. Ein magischer Schutz hatte verhindert, dass das Schwert Lamerians den Rubinlord in der Mitte durchtrennte. Und erst jetzt erkannte der Achatlord, welch einen Fehler er begangen hatte.

Die Augen des Vampirdämonen glühten durch das fließende Blut rot auf und die sagenumwobene Macht seiner Rasse flammte heiß auf. Mit Leichtigkeit bewegte der Vampirdämon sich vorwärts und durchstieß das Herz Lamerians. Hadesschatten glühte heiß in der Wunde, als die Urmächte des Achatreiches sich vor Schreck zusammenkrümmten und verwirrt nach einem Ausweg suchten.

Lamerian strauchelte rückwärts. Keine Magie der Welt konnte eine solche Wunde heilen. Nicht eine Wunde, die von diesem Metall verursacht wurde. Benommen betrachtete Lamerian die schwarze Klinge, die durch die Schwertmagie leise surrte. Blut triefte von der Klinge. Mit glühenden Augen stieß der Vampirdämon erneut zu.

Durch eine trübrote Schicht blickend sah Lamerian, wie der Rubinlord genussvoll das Blut von der Klinge leckte, während die Urmagien zweier Reiche um sie herum miteinander kämpften und alles zerstörten, das ihnen in den Weg kam.

Die Erinnerung an den Moment, in dem die beiden Urmächte der Reiche verschmolzen, ließ das Herz Remon Shahaans höher schlagen. Eine Lordmacht an sich zu binden, sie in sich aufzunehmen, war wie schon beim ersten Mal eine eckstatische Erfahrung gewesen. Dieser Höhepunkt wurde von zahlreichen magischen Entladungen begleitet, in denen sich die inkompatible Magie aus den alten Zaubern löste. Doch nach der Vereinigung beider Mächte hatte eine nie gekannte Kraft den Körper des Lords durchströmt. Und ein Teil von ihm fühlte sich an die grenzenlose Macht des Fürsten erinnert. Vielleicht fühlte es sich ja so an.

Nach seinem Sieg war der Vampirdämonenlord mit dem Siegelring des Achatreiches zur Hauptstadt des Reiches, Messine, geeilt und hatte dort seine Macht demonstriert.

Systematisch hatte Remon Shahaan alle politischen Gegner festnehmen und ausschalten lassen, die seiner Vormachtstellung gefährlich werden konnten. Doch er hatte nicht vor, den Sieg länger als unbedingt nötig auszukosten. Er wusste, dass er in den Rubinpalast zurückkehren musste. Deshalb setzte er einen seiner Heerführer als Statthalter ein und gab ihm die wichtigsten militärischen Befehle. Perijdos würde sich um die letzten versprenkelten Truppen Lamerians kümmern.

Shahaan hatte dringende Dinge im Rubinreich zu erledigen und außerdem hasste er dieses Land. Das Achatreich befand sich jenseits jedes Gleichgewichtes. Der Lord hielt nichts davon, schwächere Wesen als Sklaven zu behandeln. Das machte einem am Ende nur Probleme. Aus diesem Grund waren das Achat- und das Jadereich die Urkessel von Rebellentruppen.

Zudem brachten die roten Berge von Messine lange verdrängte Erinnerungen zurück.

Und nun ging Lord Shahaan durch die Katakomben seines eigenen Palastes und suchte nach der Spur eines Intriganten oder Spions, der es gewagt hatte, bis zur Schatzkammer vorzudringen.

Eine plötzliche magische Verbindung explodierte in der angespannten Wahrnehmung des Lords und ließ ihn leise fluchen. Jemand baute einen Fernsprechzauber auf, eine sehr verdächtige Magie. Sie wurde von Dämonen deshalb nicht genutzt, da dafür eine der sprechenden Parteien seinen Geist der jeweils anderen unterwerfen musste. Nur auf diese Weise funktionierte die Übertragung und kein Dämon sank für gewöhnlich soweit, sich einem anderen im Geiste zu unterwerfen. Nur Spione taten das.

Noch ehe der erste Impuls verklungen war, raste der Lord durch die Gänge. Er musste den Ursprung der Magie finden. Als er die Treppen zum Palast erklommen hatte, war er sich sicher, dass die Magie in einem Teil der Katakomben gewirkt wurde. Im Laufen band er sein langes Haar zu einem Zopf und instinktiv tastete seine linke Hand nach der Schwertscheide. Er folgte der Spur in westlicher Richtung. Die Türen des Palastes flogen auf, als er auf sie zukam und viele bedienstete wichen hektisch zurück, um ihm nicht in die Quere zu kommen. Der Lord wank einigen der Palastwachen zu ihm zu folgen.

An einer Treppe hieß er sie zu warten und eilte diese auf Samtsohlen hinab. Vielleicht konnte er das Gespräch erst belauschen. Er dachte kurz nach, entschied sich dann für einen Zauber und legte diesen um sich, um verräterische Geräusche zu unterdrücken. Ein weiterer wesentlich komplexerer Zauber begrenzte die magische Strahlung seiner Aura.

Er gelangte zu einer versteckten Tür, die er sofort erkannte. Die Geheimnisse des Palastes waren für ihn kein Hindernis, er hatte ihn einst ausführlichst erkundet und innerlich kartografisiert.

Ein Ohr an die Tür gelegt schloss Shahaan die Augen und lauschte in das Gestein. Seine Finger glitten über die Wand und bewegten in ihrem Inneren einen komplexen Schließmechanismus. Etwas klickte am Rande des Hörbaren und auf leichten Druck schwang ein Teil der Steinwand beiseite.

Eine Frauenstimme schlang sich sie Wendeltreppe hinauf: „…dich deinem Auftrag und…“.

Jemand ließ ein keuchen erlauten, als Shahaan sich dem Gewölbe am Fuß der Treppe näherte und die Stimme verstummte.

„Verzeiht Herrin, ich muss abbrechen. Etwas geschieht!“, sagte die verängstigte Stimme eines Mannes. Er trug eine schwarze Kutte und stand inmitten eines sorgfältig gezeichneten Bannkreises. Der Lord bemerkte allerdings einige Stellen, an denen die Kreide leicht verwischt und verweht worden war. Dieser Bannkreis wurde schon seit einiger Zeit genutzt. Ein weiterer Bannkreis rotierte im Inneren des ersten und vervollständigte damit den zweidimensionalen Zauber. Er zerfiel und prasselte in feinen Funken wie Staub zu Boden, als der Vermummte sich umwandte.

Remon stieg die letzten Stufen hinunter und lehnte sich an den Türrahmen. Er fragte sich, ob der Spion soviel Mut hatte, der geheimen Tür an der gegenüberliegenden Wand des Raumes entgegenzueilen. Doch sein Gegner zog es vor, ihn zu enttäuschen. Der Lord hörte ein Knacken und rannte los. Er ergriff den Dämon an den Schultern und schüttelte ihn. Sein Blick drang tief in die Augen des Spions und zwang ihn, bei Bewusstsein zu bleiben.

„Was waren deine Befehle?“, fauchte der Lord.

Grüner Schaum troff aus dem Mund des Dämons und angewidert ließ Remon ihn fallen. Manche Gifte waren der Magie nicht zugänglich. Dieses war mit einem entsprechenden Bann belegt worden.

„Verdammter Mist“, kommentierte der Lord nur, als er mit dem Stiefel die kreidespur verwischte. Langsam begab er sich wieder auf den Weg nach oben. Die Leiche würde er dort verrotten lassen.

Ein feines Lächeln stahl sich auf seine Züge. Ohne das Gift hätte er die Frauenstimme wohl nicht erkannt. Sie hatte durch den Zauber so verzerrt geklungen. Deiedra ließ ihn also noch immer ordnungsgemäß ausspionieren. Sie konnte durchaus für das fehlende Astral verantwortlich sein. Die Frage war jetzt nur noch, was ihr Diener mit dem Astral gemacht hatte.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Armida
2008-09-28T18:48:39+00:00 28.09.2008 20:48
Hey,
tut mir leid das ich jetzt erst dazu komme einen Kommi zu hinter lassen, aber ich hab in letzter Zeit echt viel zu tun.
Ich fand das Kapitel wieder klasse.
Langsam hab ich das Gefühl das Mireylle in diese Welt gehört (also dort geboren ist) und irgendwie als sie klein war in die andere Welt geraten ist.
Ich freu mich schon auf das nächste Kapitel.

LG Armida


Zurück