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Sicarius Vita

Custos Vitae I
von

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Anfang und Ende

Diese Geschichte beginnt am Ende...
 

Die beiden Männer standen sich mit Schwertern gegenüber.

Der Regen fiel unaufhörlich auf sie nieder, ließ ihre Kleidung an ihren Körpern kleben und die schwitzenden Leiber dampfen.

Der Weg hierher war lang und hart gewesen. Zumindest für einen von beiden.
 

... am Ende einer langen Reise.
 

Dem Jüngeren, Braunhaarigen, fielen die wenigen blonden Strähnen in die Stirn. Die Haare des Älteren, Silberhaarigen, waren kurz geschnitten, so dass sie nicht störten.

Ihre Haltung schien locker, aber in Wahrheit waren sie beide angespannt und warteten nur darauf, dass der jeweils andere seinen ersten Zug machte.
 

Die Geschichte zweier Freunde...
 

„Wie lange willst du mich noch warten lassen, Landis?“, fragte der Silberhaarige. „Du weißt doch, Frediano Caulfield wartet nicht gerne.“

Landis wischte sich das nasse Haar aus der Stirn. Ein verhaltenes Lächeln, das nicht seine Augen erreichte, zierte sein Gesicht. „Daran erinnere ich mich noch.“
 

... die zu Konkurrenten wurden.
 

Frediano lächelte ebenfalls, allerdings war es bei ihm ein selbstsicheres Lächeln. „Wann haben wir das letzte Mal gegeneinander gekämpft?“

„Vor acht Jahren, fast auf den Tag genau.“

Verachtung und Hass lag in Landis' Stimme, während er diese Worte sprach.

„Dann ist das hier sowas wie eine Wiedervereinigung, hm?“
 

Eine Geschichte, in der nichts ist wie es scheint.
 

„Ich habe unsere Kämpfe vermisst, Landis“, sagte Frediano mit einem leicht sarkastischen Unterton in der Stimme.

„Ich nicht“, erwiderte der andere. „Ich habe mir nur gewünscht... dich endlich für alles bezahlen zu lassen. Die ganzen sieben Jahre, in denen ich nicht hier war, habe ich nur davon geträumt, dich sterben zu sehen.“

„Oh, denkt der kleine Versager wirklich, dass er mich besiegen könnte?“
 

Eine Geschichte in der weiß zu schwarz...
 

„Ich will dich nicht nur besiegen. Ich will dich vernichten. Langsam und schmerzhaft.“

Landis hob sein Schwert und bewegte sich langsam seitwärts.

Frediano glich jeden Schritt mit einer eigenen Bewegung in die jeweils andere Richtung aus.
 

... und schwarz zu weiß wird.
 

„Na, ob dir das gelingen wird?“, spottete Frediano. „Wenn deine Technik dieselbe wie damals ist, sehe ich schwarz für dich, mein Freund.“

„Wir sind schon lange keine Freunde mehr.“

Landis' Gesicht war düster, kein Hauch von Freude oder Zufriedenheit.
 

Eine Geschichte voller Liebe...
 

Die schwarzhaarige Frau blieb schwer atmend in der Tür stehen. Ungläubig sah sie auf die beiden Männer, die sich auf dem Platz, mitten im Regen, mit erhobenen Schwertern umkreisten.

„Landis... Frediano...“

Sie wusste nicht, welchen von beiden sie aufhalten, welchen sie retten wollte.
 

... Neid...
 

Ihr Blick wanderte zwischen beiden hin und her.

Keiner der Männer beachtete sie. Ihre Blicke waren auf den jeweils anderen fixiert.

Oriana hatte immer geahnt, dass es eines Tages zu diesem Kampf kommen würde. Warum konnte sie nicht gerade diesmal im Unrecht sein?
 

... Verrat...
 

„Sag mir, wie schmerzhaft war es, als Oriana es dir sagte?“, fragte Frediano. „Als sie dir sagte, dass sie mich heiraten wird und nicht dich?“

Landis antwortete nicht, aber allein die Erinnerung schnürte ihm wieder die Kehle zu.

Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Silberhaarigen aus.
 

... und Missgunst.
 

„Jemand wie du hat Oriana nicht verdient“, fauchte Landis.

„Oh, darum geht es dir also? Eifersüchtig, mein Bester? Ich kann dir dazu nur sagen, dass ich besser bin für sie als du, du Mörder. Irgendwie ironisch oder? Hast du nicht jahrelang dagegen angekämpft, ein Mörder zu werden? Nun, irgendwann gibt wohl jeder nach.“

„Du hast keine Ahnung.“
 

Das Schicksal trennte ihre Wege...
 

Landis verschätze sich in einem seiner Schritte und stolperte über seine eigene Füße. Frediano grinste. „Immer noch so tollpatschig wie früher?“

Der Gestrauchelte fing sich wieder und setzte seinen Weg fort.

„Ich habe gehört, deine Mutter hat sich aus Kummer das Leben genommen, nachdem du weggegangen warst“, versuchte Frediano ihn zu provozieren.

„Das ist nicht wahr.“
 

... und brachte sie wieder zusammen...
 

„Warum ist sie dann gestorben?“, fragte Frediano weiter.

„Das weißt du genau.“

„Vermisst du deine Mama nicht, Versager?“

Landis lächelte spöttisch. „Das hat früher funktioniert. Heute kannst du mich damit nicht mehr reizen. Nicht nur du bist älter und reifer geworden.“
 

... um ein letztes Duell zu schlagen.
 

Oriana hielt den Atem an.

Sie konnte nicht hören, worüber die beiden redeten, sie wollte sich nicht einmischen, aus Angst zwischen die Fronten zu geraten – und außerdem wusste sie immer noch nicht, für wen sie Partei ergreifen sollte.

Der Startpfiff schien gefallen zu sein. Frediano griff Landis an.

Oriana schloss die Augen und hörte nur noch wie Metall auf Metall traf.

Das Duell hatte begonnen.
 

***********************************

A/N:

Kurzer Prolog, wie so oft bei mir.

Allerdings ist der Prolog mal anders aufgemacht als sonst.

Es hat Spaß gemacht, mal mas Neues zu probieren.

Ich werde mich bemühen, das erste Kapitel schnell nachzuliefern.

Geburtstagsüberraschung

Um zu erfahren, wie es zu diesem schicksalhaften Duell kam, drehen wir das Rad der Zeit zurück, zurück zu dem Tag, der alles veränderte.
 

Den Morgen ihres 25. Geburtstages hatte sich Oriana Caulfield vollkommen anders vorgestellt.

Die Sonne schien, die vereinzelten Wolken wirkten wie kleine Wattebäuschen, die jemand an den azurblauen Himmel geklebt hatte.

Oriana hatte mit Regen gerechnet, so wie an ihren sechs letzten Geburtstagen. Sie hatte sich sogar darauf gefreut, von Regentropfen geweckt zu werden, die an ihr Fenster klopften. Dass sie von einem vorwitzigen Sonnenstrahl, der sich in ihr Schlafzimmer verirrt hatte, aus dem Schlaf gerissen wurde, ließ ihre Stimmung bereits sinken, bevor sie richtig wach war.

Der Blick in den Spiegel sorgte für eine weitere Senkung derselben.

Ihr schwarzes Haar fiel stumpf und kraftlos, ihr Gesicht wirkte besonders wegen der dunklen Schatten unter ihren Augen um einiges älter als 25.

Ihre einstmals leuchtenden Augen hatten jeden Glanz von früher verloren, nur noch selten kam es vor, dass ein Lächeln auch ihre Augen erreichten.

Seitdem sie den - wie ihre Freunde es nannten - größten Fehler ihres Lebens gemacht hatte, war es ihr aber auch egal.

Es war eine Entscheidung, zu der sie stand. Bis vor fünf Jahren schien auch alles richtig zu sein, aber an diesem einen Tag war eine Veränderung eingetreten, die sie selbst manchmal zweifeln ließ.

Inzwischen gab es nur noch zwei Gründe, wegen denen sich das Weiterkämpfen lohnte. Zum Einen war da die Hoffnung auf bessere Zeiten und zum anderen -

Die Tür ihres Schlafzimmers öffnete sich und der hauptsächliche Grund, warum sie noch lebte, kam herein. „Mama!“

Ein fünfjähriges Mädchen mit schwarzem Haar kam herein und schlang ihre dünnen Ärmchen um Orianas Körper. „Alles Gute zum Geburtstag, Mama!“

Oriana lächelte, eines ihrer seltenen echten Lächeln, das nur ihrer Tochter galt. „Danke, Milly.“

Im Gegensatz zu ihrer Mutter war Milly ein lebenslustiges kleines Mädchen, das am liebsten die ganzen Welt umarmen wollte und das von quasi jedem gemocht wurde. Sie trug viel von dem vergangenen Ich ihrer Mutter in sich.

Oriana war froh über diese Tatsache, besonders da sie ihren größten Halt in dieser Welt darstellte. Auch wenn sie sich im Klaren darüber war, dass es egoistisch von ihr war, sich an ein kleines Mädchen zu klammern und sich auf sie zu lehnen, wenn sie nicht mehr konnte.

Milly dagegen schien es nichts auszumachen, wenn sie denn überhaupt verstand, was ihre Mutter mit ihr tat.

Das Mädchen sah sich suchend um. „Wo ist Papa?“

Orianas Augen wurden wieder leblos. Seit der Geburt seiner Tochter zeigte Frediano kein großes Interesse mehr an seiner Frau.

Es war bekannt, dass er sich einen Sohn gewünscht hatte, der seinen Familiennamen weitertragen würde. Dass Oriana ihm nur eine Tochter geboren hatte, schien er ihr immer noch nicht verzeihen zu können.

Gerüchten zufolge hatte er mehrere Geliebten, die ihm nun einen Sohn verschaffen sollten. Aber auch das seit fünf Jahren vergeblich, wenn das Gerede richtig war.

Oriana kümmerte es nicht wirklich. Egal, was die anderen redete oder wie kalt Frediano sich ihr gegenüber verhielt, in gewisser Weise vertraute sie ihm immer noch. Doch vielleicht wollte sie nur nicht wahrhaben, dass die Liebe vorbei war und Frediano sie nur wegen seines Rufs bei sich behielt, bis er einen Sohn bekommen würde.

„Wahrscheinlich ist er schon bei der Arbeit“, antwortete Oriana auf die Frage ihrer Tochter.

Milly runzelte ihre Stirn. „Warum ist Papa nie da an deinem Geburtstag?“

„Dein Papa ist eben ein vielbeschäftigter Mensch", verteidigte Oriana ihn automatisch, da sie es als ihre Pflicht ansah.

Was immer dieser Mann ihr antat, Milly musste nichts davon wissen, es hätte nur das Bild ihres Vaters zerstört.

Eigentlich war Oriana sogar froh, dass er nicht da war. Zwar hegte sie immer noch Gefühle für ihn, aber in seiner Gegenwart... wurde ihr kalt.

„Du darfst ihm nicht böse sein.“

„Ich bin ihm aber böse. Für mich hat er auch nie Zeit.“

Wann immer Frediano hier war, ignorierte er seine Tochter weitgehend und mit seiner Frau tat er dasselbe. Während Milly sichtlich darunter litt, kümmerte es Oriana nicht wirklich. Sie fühlte sich nicht auf Frediano angewiesen und das wollte sie ihm auch zeigen. Niemals würde sie wegen ihm oder einem anderen Mann zerbrechen, das hatte sie sich geschworen. Aber es tat ihr Leid um ihre Tochter.

Doch Milly zeigte stets, wie einfallsreich sie war, sogar bei ihrer Suche nach einer Vaterfigur.

Da aber Orianas Eltern nicht in der Stadt wohnten und Fredianos Eltern kurz nach ihrer Geburt verstorben waren und Milly so nicht auf ihre Großväter zurückgreifen konnte, hatte sie sich kurzerhand einen alten Mann in der Nachbarschaft ausgesucht. Es war ein netter Mann und Oriana vertraute ihm blind – immerhin war es der Vater eines früheren Freundes und beinahe wäre er ihr Schwiegervater geworden. Wenn sie nicht diesen Fehler begangen hätte.

Sie verwarf ihre trübseligen Gedanken wieder. „Ach, Milly. Sei ihm nicht böse, ja? Er ist immerhin dein Vater. Lass uns lieber runtergehen. Bestimmt kommen bald die ersten Gäste.“

Jedes Jahr an ihrem Geburtstag dasselbe Lied: Kurz nach dem Aufstehen standen ihre Freunde in ihrem Haus, um zu feiern, selbst wenn Oriana davor gebeten hatte, das im aktuellen Jahr nicht zu wiederholen.

Inzwischen war es keine Überraschung mehr und bislang hatte es Oriana nichts ausgemacht, auch wenn ihre Bitten, die Überraschungsfeiern einzustellen, wieder einmal ignoriert worden waren. Immerhin waren es ihre Freunde und wollten ihr nur Gutes tun, selbst wenn sie ihr auf die Nerven gingen.

An diesem Tag allerdings war sie trübsinnig genug, dass allein der Gedanke an Besuch ihr schlimm erschien. Sie war sich nicht sicher, ob sie die betont gute Laune ihrer Freunde ertragen könnte.

Milly nickte und lief hinaus.

Oriana warf sich ein paar Kleidungsstücke über, ohne sich darum zu kümmern, ob etwas davon zusammenpasste oder nicht, was sie ohnehin nie getan hatte.

Schließlich folgte sie Milly, die bereits in der Küche stand und Gläser auf ein Tablett stellte.

Erneut überkamen ihre Mutter Gewissensbisse. Sie bürdete ihrer Tochter so viel auf, wann hatte das Mädchen etwas von seiner Kindheit?

Es klopfte laut an der Haustür und der Gedanke verflog.

„Milly, kannst du mal aufmachen? Ich kümmere mich hier um alles.“

Das Mädchen nickte und lief hastig davon, um die Tür zu öffnen.

Oriana füllte die Gläser inzwischen.

Noch bevor sie fertig war, kam ein kräftiger schwarzhaariger Mann herein. Er trug Milly auf dem Arm, beide grinsten glücklich, so wie üblich. Oriana hatte es noch nie erlebt, dass er zu Beginn eines Besuchs schlecht gelaunt gewesen war. Meistens kam das erst im Laufe eines Gesprächs.

„Mama, Onkel Nolan ist da!“, verkündete Milly juchzend.

Oriana lächelte die beiden an. „Das sehe ich.“

Nolan warf neugierig einen Blick auf die gefüllten Gläser und pickte sich gedanklich bereits ein bestimmtes heraus. „Ah, Ria, hast du schon alles vorbereitet? Ken kann übrigens nicht kommen.“

„Warum nicht?“, fragte Milly schmollend.

„Er muss leider arbeiten.“

Ein leiser Vorwurf schwang in Nolans Stimme mit. Nolan und Kenton waren seit Kindertagen mit Oriana befreundet. Inzwischen war Kenton Berater der Königin von Király und Nolan ein Kavallerist unter Führung von Frediano.

Das traditionsreiche Königreich rühmte sich seit Jahrhunderten seiner berittenen Kavallerie, die in Kriegszeiten stets den Boden unter den Hufen ihrer Pferde erzittern ließ und die Feinde allein damit schon einschüchtern konnte.

Seit über fünfzig Jahren war die Kavallerie aber nicht mehr im Krieg gewesen. Die Königsfamilie von Király bemühte sich um ein freundschaftliches oder zumindest neutrales Verhältnis zu ihren Nachbarländern. Bislang war das Unterfangen erfolgreich und selbst jeglicher Putschversuch konnte mittels gezielt eingesetzter Spione vereitelt werden.

Königin Juno, die seit dem Tod ihres Ehemanns das Reich allein führte, bis ihr Sohn übernehmen könnte, wirkte auf das Volk vorausschauend und weise, wenngleich sie meist nur die Vorschläge ihres Beraters absegnete oder ablehnte. Da immer noch Frieden in Király herrschte, schien für ihre Untergebenen jede ihrer Entscheidungen richtig zu sein.

Frediano entstammte einer treuen Familie, die allesamt aus Kavalleristen bestand, so dass es fast schon selbstverständlich gewesen war, als er nach dem Tod seines Vaters, der Kommandant der Kavallerie gewesen war und der Absetzung seines Nachfolgers, ebenfalls Kommdant geworden war.

Sehr zum Verdruss seiner ehemaligen Mitauszubildenden - und besonders Nolan.

Nolan neigte dazu, alle möglichen Namen abzukürzen - sofern er den Träger des Namens mochte. Er sagte dazu immer, dass das Leben zu kurz wäre, um alle Namen jederzeit voll auszusprechen. Auch wenn niemanden diese Ausrede überzeugt hatte.

„Ist denn irgend etwas passiert?“, fragte Oriana besorgt.

Es kam selten vor, dass Kenton wirklich dermaßen eingespannt war, dass er nicht zumindest für wenige Stunden freimachen konnte. Und die Zeit hätte gereicht, um sie zu besuchen. Da Kenton nicht sehr gesellig war, blieb er ohnehin nie mehr als ein paar Stunden.

Nolan ließ Milly wieder herunter. „Mil, kannst du deinem Onkel Nolan mal das Bilderbuch vom letzten Mal holen?“

Sie sah ihn gespielt beleidigt an. „Wenn du allein mit Mama reden willst, musst du das nur sagen. Ich bin nicht dumm.“

Er lachte nervös. „Okay, ich will mal allein mit deiner Mama sprechen.“

„Na bitte, geht doch“, sagte sie zufrieden lächelnd.

Milly verließ die Küche und ließ die beiden Erwachsenen damit allein.

„Also, was ist los?“

Oriana ahnte es bereits, aber sie wollte es erst hören, bevor sie es wirklich glaubte.

Sicarius Vita hat in Cherrygrove zugeschlagen.“

Die Stimmung in der Küche schlug sofort um. Oriana runzelte nachdenklich ihre Stirn.

In Cherrygrove waren Oriana, Nolan und Kenton aufgewachsen. Es war die nächste Stadt von New Kinging, der Hauptstadt des Königreichs Király, aus.

Sicarius Vita war eine Organisation, die seit knapp zwei Jahren in unregelmäßigen Abständen in verschiedenen Städten von Király Leute tötete. Scheinbar ohne Grund und wahllos. Zumindest hatte noch niemand das Motiv dahinter entdeckt.

Ein einziges Mal hatte man einen von ihnen erwischt, aber es war nur eine Art Marionette gewesen, die in ihre Einzelteile zerfallen war.

Niemand wusste, wer sich hinter der Gruppe verbarg, wo ihr Hauptquartier war, wie sie ihre Opfer aussuchten und wo sie als Nächstes zuschlagen würden.

Deswegen waren sie gefürchtet.

Der einzige Fakt war, dass jedes ihrer Opfer auf grausame Art und Weise getötet und die Leiche danach zur Schau gestellt worden war.

Ein stummes Mahnmal... fragte sich nur für wen oder was.

„Die Königin hat also ein Treffen einberufen?“, vermutete Oriana.

Nolan nickte. „Genau. Sie will die Stadt schützen, immerhin weiß niemand, wer als nächstes angegriffen wird...“

„Wer wurde in Cherrygrove getötet?“, fragte Oriana schließlich.

Bislang hatte sie die Frage vermeiden wollen, aus Furcht, dass es jemand sein könnte, der ihr etwas bedeutete. Aber früher oder später musste sie es erfahren.

„Der Bürgermeister.“

Oriana hätte lügen müssen, wenn sie gesagt hätte, dass sie darüber traurig war. Cherrygrove war eine wundervolle Stadt und die Erinnerungen daran stimmten sie immer wieder fröhlich, aber der Bürgermeister war kein guter Mensch gewesen. Ganz und gar nicht.

Nolan grinste, als er ihre Gedanken erahnte. „Jeder gönnt es dem Bürgermeister von Herzen, dass er endlich weg ist, auch wenn es so brutal geschehen musste. Aber wie gesagt, der Königin bereitet es mehr Sorgen, wen es als Nächstes treffen könnte.“

Oriana nickte. „Ich verstehe. Das ist schon in Ordnung.“

„Du hast heute ohnehin keinen Sinn zum Feiern, nicht?“

Nolan sah sie besorgt an.

„Woher weißt du das nur?“, fragte sie seufzend.

Sie meinte die Frage nicht ernst, immerhin hatte sie erst gestern erneut darum gebeten, nicht zu feiern. Doch Nolan antwortete trotzdem: „Ach, ich hab einen sechsten Sinn für so etwas.“

Er grinste darauf, um zu zeigen, dass er es ebenfalls nicht ernst meinte.

Sie lächelte sanft, um weiter auf das Spiel einzugehen. „Du kennst mich einfach zu gut.“

Er tätschelte ihren Kopf, so wie er es früher immer getan hatte und lächelte dabei. „Hast du eigentlich mal wieder was von Landis gehört?“
 

Während Nolan und Oriana sich unterhielten, ging ein junger Mann gerade die Treppe im Gasthaus hinunter. Am unteren Absatz blieb er stehen und streckte sich noch einmal.

Er war erst in der Nacht davor sehr spät in der Stadt angekommen, hatte für diesen Tag aber bereits einen festen Plan. Seine Freunde würden bestimmt Augen machen - lediglich auf eine Person konnte er dabei verzichten. Aber wie er von dem Besitzer des Gasthauses gehört hatte, war die Wahrscheinlichkeit diese Person zu treffen an diesem Tag äußerst gering.

Doch selbst wenn er den Kommandanten hätte sehen müssen, wäre er hingegangen. Die Sehnsucht, die er in den letzten sieben Jahren erfolgreich verdrängt hatte, war inzwischen mit aller Macht über ihn hereingebrochen. Er wollte - nein, er musste - seine Freunde wiedersehen.

Dementsprechend aufgeregt und ungeduldig war er auch, als er auf die Person wartete, die er mitnehmen wollte.

Das kleine Mädchen schien noch müde zu sein, als es die Treppe herunterkam, aber darauf konnte er im Moment keine Rücksicht nehmen. Sie würde es verstehen, da war er sich sicher.

Lächelnd sah er sie an. „Na, bist du bereit?“

Verschlafen sah sie ihn an, als sie nickte. Schweigend fuhr sie sich noch einmal über die Augen.

„Soll ich dich tragen?“, fragte er lachend.

Hastig schüttelte sie ihren Kopf und ging bereits an ihm vorbei, um zu zeigen, dass sie selbst laufen konnte.

Lächelnd folgte er ihr, um das Gasthaus zu verlassen. Vergnügt summend machte er sich mit dem Mädchen auf den Weg.

In wenigen Minuten würde er der Liebe seines Lebens wieder gegenüberstehen... hoffentlich würde sie ihn noch erkennen.
 

Der plötzliche Themenwechsel warf Oriana aus der Bahn. Besonders weil sie just am Tag zuvor noch darüber nachgedacht hatte, wo er wohl gerade war.

Landis stammte ebenfalls aus Cherrygrove. Nolan war sein bester Freund gewesen und Oriana diejenige, die er hatte heiraten wollen – bis sie sich für seinen Konkurrenten Frediano entschieden hatte. Der größte Fehler ihres Lebens, wie Nolan immer wieder betonte. Oriana sah es nur insofern als Fehler als dass sie Landis dadurch verloren hatte, ansonsten stand sie zu ihrer Entscheidung.

Noch in der Hochzeitsnacht hatte Landis die Stadt verlassen und war quasi vom Erdboden verschwunden, obwohl er sich Gerüchten zufolge immer noch im Königreich aufhielt.

Sie schüttelte mit dem Kopf. „Nein, habe ich nicht...“

Allein der Gedanke an Landis und das Loch, das er in ihrem Freundeskreis hinterlassen hatte, ließ ihre Stimmung noch weiter sinken. Aber in sieben Jahren war er nicht zurückgekommen - vielleicht vermisste er seine Freunde nicht so sehr, wie diese ihn missten. Möglicherweise erlebte er spannende Abenteuer oder aber er war bereits ebenfalls verheiratet und dachte deswegen nicht mehr an früher.

Nolan seufzte. „Ich auch nicht. Mann, er fehlt mir. Kenton ist einfach kein richtiger Ersatz.“

„Du darfst ihn nicht als Ersatz sehen“, tadelte Oriana ihn sofort. „Kenton ist auch ein Mensch.“

„Ja, ich weiß. Aber du weißt auch, wie ich das meine.“

Sie nickte. Landis war besonders für Nolan und Oriana etwas Besonderes gewesen. Etwas, das, wenn es erst einmal weg war, nicht einfach ersetzt werden konnte. Und hätte sie gewusst, dass er gehen würde, hätte sie nie geheiratet.

„Wenn du willst, dass ich auch gehe, weil du nicht feiern willst, musst du das nur sagen, Ria.“

Diesmal schüttelte sie ihren Kopf. „Schon in Ordnung. Milly freut sich auch, wenn du da bist.“

„Kaum zu glauben, dass die Kleine die Tochter unseres Kommandanten ist.“

„Rede nicht so über Frediano...“, erwiderte sie leise.

„Warum nimmst du den Kerl noch in Schutz?“

„Weil er mein Ehemann ist.“

Ihre bestimmenden Worte, die wie ein Todesurteil klangen, ließen Nolan seufzend aufgeben. Diese Unterhaltung hatten sie schon so oft geführt und sie hatte immer so geendet.

„Aber mal im Ernst, mit Lan wirst du um Längen besser dran. Der würde dich nicht betrügen.“

Diesmal war es an Oriana zu seufzen. „Woher willst du das wissen? Vielleicht würde er.“

Sie glaubte auch nicht daran. Zumindest der Landis von damals hätte das niemals getan. Wie er heute so war, wenn er überhaupt noch am Leben war, das wusste sie nicht.

Und sie wollte auch nicht darüber nachdenken. Sie war mit Frediano verheiratet, Landis war fort und mit alldem hatte sie sich arrangiert. Was brachte es auch, über verschüttete Milch zu weinen?

Nolan rollte mit den Augen. „Ja, bestimmt. Lan war ja auch immer total fies.“

„Nolan, bitte. Ich will nicht über Landis reden.“

„Ja, schon verstanden.“

Genervt griff er nach einem Glas (Oriana wusste genau, dass es das war, das er zuvor herausgepickt hatte) und trank es in wenigen Zügen leer.

Milly kam wieder herein und sah beide nacheinander an. Schließlich seufzte sie. „Jedes Jahr dasselbe. Immer wieder streitet ihr euch wegen diesem Landis.“

„Hast du etwa gelauscht?“, fragte Nolan, mit einem stillen Tadel in seiner Stimme.

„Dafür musste ich gar nicht lauschen.“

Die beiden Erwachsenen sahen sich schuldbewusst an, fast wie ein Ehepaar, das nach einem Streit vor dem gemeinsamen weinenden Kind stand und sich bewusst wurde, wie laut es gewesen war.

„Vertragt ihr euch jetzt wieder?“

Ohne zu zögern umarmte Nolan Oriana sofort. „Tut mir Leid, Ria.“

Sie erwiderte die Umarmung nicht. „Mir auch.“

Milly lächelte. „So gefällt mir das. Sehr schön, ihr beiden.“

Die beiden lösten sich wieder voneinander.

Das Mädchen nahm das Tablett mit den Gläsern an sich. „Gehen wir doch lieber ins Wohnzimmer, da redet es sich leichter.“

Manchmal war Oriana das erwachsene Verhalten ihrer Tochter unheimlich. Aber manchmal war sie auch einfach nur dankbar, so wie in diesem Moment.

Die Erwachsenen folgten ihr und ließen sich auf dem Sofa nieder.

„Kommt Onkel Rich eigentlich auch noch rüber?“, fragte Nolan.

„Opa Richard hat gesagt, er kommt noch“, antwortete Milly.

Richard war Landis' Vater und Millys Ersatzopa.

Nach dem Tod seiner Frau war er aus Cherrygrove nach New Kinging gezogen. Er hatte in seinem Leben zwei schwere Verluste erlitten, da wollte er nicht durch sein leeres Haus, in dem er mit jeder Erinnerungen verband, immer daran erinnert werden.

„Er bringt dann wieder einen Kuchen mit“, ergänzte das Mädchen.

Oriana seufzte. Toll, ich werde nicht nur alt, sondern auch fett.

Ihr wurde bewusst, wie übertrieben dieser Gedanke war, besonders weil sie sich früher nie sonderlich für ihre Figur interessiert hatte. Oh Mann, ich werde zu einer Frau, wie die, die ich nicht leiden kann...

Zumindest hatte Richard das Backen gelernt und so schmeckten seine Kuchen jedes Jahr aufs Neue gut.

Wieder klopfte es an der Tür. Nolan stand sofort auf. „Bleib nur sitzen, Ria, ich mache schon auf.“

Er ging in den Flur hinaus und öffnete die Tür.

Oriana lauschte. Sie konnte nicht genau hören, was geredet wurde und wer überhaupt an der Tür war. Zumindest kam ihr die fremde Stimme nicht wirklich bekannt vor.

Sie hoffte, dass Nolan den Fremden gleich wieder wegschickte, wahrscheinlich wollte er ohnehin nur zum Kommandanten der Kavallerie.

Die Tür wurde wieder geschlossen, aufgeregt kam Nolan zurück ins Wohnzimmer. „Ria! Ria, rate mal, wer da ist! Das wirst du nicht glauben!“

„Ich habe keine Lust zu raten.“

Vielleicht hatte man Frediano tot aufgefunden - das wäre zumindest mal eine gute Nachricht für ihren Geburtstag gewesen.

Schritte erklangen und im nächsten Moment stand ein fremder Mann in der Tür. Er hatte sich stark verändert, aber Oriana erkannte ihn dennoch sofort. Schlagartig blieb ihr die Luft weg.

Als er lächelte, verkrampfte sich das Herz in ihrer Brust. „L-landis...“

Alte Liebe rostet nicht

Landis lächelte. „Hallo, Oriana.“

Sein Gesicht war genau dasselbe wie früher, auch wenn er ungewohnt reif wirkte. Die grünen Augen glitzerten allerdings immer noch lebenslustig, wenn er lächelte, das hatte sich nicht verändert. Im Gegensatz zu seinem Haar. Blonde Strähnen hatten sich in den Pony der ansonsten braunen Haare verirrt.

„H-hallo, Landis...“

Orianas Stimme erinnerte mehr an ein Krächzen.

Begeistert sah Nolan zwischen beiden hin und her, schwieg aber sicherheitshalber.

„W-wo warst du solange?“, fragte Oriana weiter, hätte sich aber am liebsten gleich dafür geohrfeigt.

Das hörte sich an als hätte sie jahrelang nur auf ihn gewartet. Aber hatte sie das nicht in gewissem Sinne auch?

Wie oft hatte sie davon geträumt, dass Landis wieder auftauchen und sie fortbringen würde? Fort von Frediano und dem trostlosen Leben in New Kinging.

Aber es war nicht mehr als ein Traum. Auch wenn Landis nun wirklich hier war, er kein Prinz auf einem weißen Pferd und bestimmt würde er sie auch nicht wegbringen.

„Mal hier, mal dort“, antwortete Landis ausweichend. „Ich bin in ganzem Reich herumgereist.“

Er klang nicht wie ein Heimkehrender, er klang wie ein Reisender, der sich gedanklich darauf vorbereitete, in einigen Tagen wieder aufzubrechen, um mehr von der Welt zu sehen.

Lag es daran, dass er seine Heimat in Cherrygrove sah?

Orianas Blick ging nach unten, als sie etwas Störendes an ihm bemerkte. Ein Mädchen, ungefähr in Millys Alter, klammerte sich an Landis' Bein und sah sich ein eingeschüchtert um.

Die Eifersucht erwachte in Oriana, aber sie verneinte diese und verdrängte sie hastig, bevor das Gefühl die Oberhand gewinnen konnte. „Wer ist denn das?“

Landis sah auf das Mädchen hinunter und strich ihm liebevoll über das pinkfarbene Haar. „Das ist Dawn. Sie ist ein Waisenkind, ich habe sie unterwegs gefunden und mitgenommen.“

Die roten Augen musterten Oriana, die schmunzeln musste. Landis hatte schon von Beginn an eine Schwäche für Außergewöhnliches gehabt, was immer wieder zu lustigen oder tragischen Situationen geführt hatte.

Oriana erinnerte sich noch zu gut an das kleine Frosttiger-Junge, das Landis eines Tages angeschleppt und das er unbedingt hatte behalten wollen. Seine Mutter war allerdings dagegen gewesen und so hatte er den Kleinen widerwillig freigelassen, ihn heimlich aber weiterhin mit Essen versorgt. Inzwischen war der Frosttiger größer als ein Pferd, dafür aber unglaublich zutraulich. Ab und an besuchte Milly ihn gemeinsam mit Richard oder Nolan, daher wusste Oriana darüber so gut Bescheid.

Milly musterte Dawn neugierig aus der Entfernung, noch unentschlossen, ob sie einfach auf sie zutreten konnte und ob sie überhaupt eine gute Spielkameradin abgeben würde. Doch wie sollte sie das je herausfinden, wenn nicht durch den ersten Schritt?

Lächelnd ging sie auf Dawn zu. „He, ich bin Milly. Willst du mit mir spielen?“

Das Mädchen antwortete nicht, sah ihren Gegenüber nur ratlos an. Landis kniete sich hin. „Hallo, Milly. Dawn kann leider nicht sprechen. Aber ich bin sicher, dass sie gern mit dir spielen würde. Stimmts, Dawn?“

Sie sah ihn an, Unsicherheit lag in ihrem Blick und konkurrierte mit seiner Zuversicht, die er ausstrahlte. Es dauerte nur Bruchteile von Sekunden (wenngleich es für Oriana, die nur untätig daneben stand, aufgrund des Schweigens eine halbe Ewigkeit zu dauern schien), dann siegte Landis. Dawn nickte lächelnd.

Milly nahm ihre Hand und ging gemeinsam mit dem Mädchen davon.

Landis richtete sich wieder auf und sah den beiden hinterher, auch als sie bereits aus seinem Blickfeld verschwunden waren. „Wer ist die Kleine?“

„Meine Tochter“, antwortete Oriana sofort.

„Das hätte ich mir denken können. Sie ist genauso hübsch wie du.“

Errötend senkte sie den Blick, dabei wusste sie nicht einmal, was genau sie in Verlegenheit brachte.

Die Tatsache, dass Landis ihr sagte, dass sie hübsch war?

Dabei war sie sich absolut sicher, dass er es nicht so meinte. Entweder wollte er ihr nur schmeicheln (aus welchem Grund auch immer) oder er redete von früher - oder er machte sich über sie lustig, aber diese Wahrscheinlichkeit wollte sie nicht näher in Betracht ziehen.

Nolan lächelte. „Soll ich euch beide allein lassen?“

„Nein!“, entfuhr es Oriana sofort.

Hastig griff sie nach seinem Arm, damit er nicht wirklich noch ging und sie einfach so in dieser Atmosphäre zurückließ.

„Du kannst mich nicht mit ihm allein lassen!“, zischte sie. „Wer weiß, was ich mit ihm anstelle!?“

Sie biss sich auf die Zunge. Nolan grinste. „Oh la la. Willst du es Frediano heimzahlen?“

Oriana knurrte leise und verpasste ihm einen leichten Schlag auf den Arm. Er lachte dazu nur, diese Behandlung war er von ihr bereits gewohnt.

Landis lächelte und endlich sah es auch aus wie das melancholische Lächeln eines Reisenden, der heimgekehrt war. „Einiges ändert sich wohl nie, hmm?“

„Niemals“, stimmte Nolan enthusiastisch zu. „Komm schon, setz dich doch, erzähl uns, was du so gemacht hast.“

„Nolan, das ist mein Haus“, fuhr Oriana scharf dazwischen.

„Gar nicht wahr, das ist Fredianos Haus", wurde sie gleich darauf belehrt. "Du wohnst nur hier.“

Die Frau sah ihn mit zornfunkelnden Augen an. Er konnte es einfach nicht lassen, sie immer wieder an diesen Mann zu erinnern und das machte sie wütend. Besonders, wenn er es vor Landis tat.

„Streitet euch doch nicht“, bat Landis inständig.

Oriana kämpfte um ihre Fassung. Ruhig sah sie Landis an. „Setz dich ruhig und nimm dir ein Glas.“

Ihre einladende Geste zum Sofa, zeugte von ihrem Talent als perfekte Gastgeberin.

Er nickte und folgte ihrer Aufforderung, während Oriana Nolan forsch mit sich in den Flur zog.

„Führ dich vor Landis nicht so auf!“, zischte sie ihm zu. „Er muss nicht wissen, dass Frediano nur noch mit mir verheiratet ist, um den Schein zu wahren.“

„Hat der Kommandant dir das gesagt?“, fragte er lauernd.

Frediano war trotz seiner Geburt in New Kinging mit den vier Kindern in Cherrygrove befreundet gewesen. Zwar war er nie der Beliebteste in der Gruppe gewesen – hauptsächlich weil er Oriana immer offen den Hof gemacht hatte, obwohl alle sie mit Landis hatten zusammensehen wollten – aber er hatte zweifellos zu ihnen gehört.

Doch seit Frediano Oriana so behandelte, war Nolans freundschaftlicher Respekt ihm gegenüber verschwunden. Schneller geschmolzen als Schnee in der Sonne, wie er immer zu sagen pflegte.

Er war nur noch der Kommandant der Kavallerie und das zeigte Nolan auch deutlich - auch wenn das Ziel seines Angriffs gar nicht in der Nähe war.

Frediano hatte das mit einem Schulterzucken abgetan, als er damit konfrontiert worden war und war zu einer seiner unzähligen Geliebten gegangen.

„Er muss mir das nicht sagen, damit ich das weiß“, erwiderte Oriana.

„Ria... so etwas hast du nicht verdient. Warum siehst du das nicht ein? Du hast doch inzwischen auch eingesehen, dass du dich falsch entschieden hast. Warum kannst du nicht die Konsequenzen daraus ziehen und ihn endlich verlassen. Und jetzt, wo Lan wieder da ist...“

„Du weißt doch noch gar nichts von Landis. Vielleicht hat er sich inzwischen neu verliebt. Es sind immerhin ganze sieben Jahre vergangen.“

Sie wollte keine Hoffnungen wecken, wo diese möglicherweise gar nicht zu nähren war. Sie zog es vor, hoffnungslos zu sein, als diese zerschlagen zu lassen.

Ersteres war ein langsames Dahinsiechen, eine Qual durch jeden einzelnen Tag, letzteres dagegen war jedesmal ein neuer Tod.

„Dann sollten wir ihn vielleicht danach fragen“, schlug Nolan gut gelaunt vor.

„Und woher willst du überhaupt wissen, ob ich-“

„Ach komm, Ria, das sieht doch ein Blinder. Du liebst Landis, ganz genau wie früher.“

Oriana gab seufzend auf und hob ihre Hände. Mit dieser Geste erklärte sie die Diskussion für beendet. Aus Erfahrung wusste sie, dass, sobald sie diesen Punkt erreicht hatten, es nur noch "Nein" und "Doch" als Argumente gab, die hin und her gingen.

Gemeinsam kehrten sie ins Wohnzimmer zurück. Oriana setzte sich wieder und sah Landis an. Nolan setzte sich grinsend auf Landis' andere Seite. „Also, Lan, erzähl doch mal.“

„Erzähl lieber du, No. Was hast du bislang angestellt?“

Es war nicht ungewöhnlich, dass Landis von sich selbst ablenkte, was hauptsächlich an seiner Neugier lag.

„Ich bin Mitglied bei der Kavallerie – und ganz nebenbei der beste Reiter", antwortete Nolan stolz. "Zumindest seit Oriana nicht mehr da ist.“

„Und was macht die Liebe?“, fragte sein Freund schmunzelnd.

Nolan grinste. „Hier mal ne Freundin, da mal ne Freundin. Was Festes wurde daraus noch nicht. Aber ich bin zuversichtlich.“

„Nur nie aufgeben“, sagte Landis lächelnd, zuversichtlich wie eh und je.

Der Kavallerist stieß ihm mit dem Ellenbogen leicht in die Rippen. „Und? Wie sieht es bei dir aus? Was macht die Liebe bei dir?“

Landis warf einen Blick zu Oriana hinüber, dann sah er wieder Nolan an. „Nicht viel. Wenn du ständig unterwegs bist und das auch noch mit einem kleinen Kind, hast du nicht viel Zeit, um mit jemandem anzubändeln.“

„Das kann ich mir vorstellen. Wie lange willst du hierbleiben?“

„Ich weiß noch nicht...", kam die ausweichende Antwort, "aber eine Weile werde ich schon bleiben."

Es war wieder die Aussage eines Reisenden, der sich davor fürchtete, sich irgendwo zu lange niederzulassen.

Bedrückung schlich sich in Orianas Gemüt, als ihr klar wurde, dass dies hieß, dass Landis vielleicht wieder gehen könnte. Vielleicht, wenn sie sich gerade an seine Rückkehr gewohnt hatten.

Aber was war sein Ziel?

"Ist Kenton nicht hier?“, fragte Landis plötzlich.

Nolan schüttelte den Kopf und erklärte ihm dasselbe wie zuvor schon Oriana.

Landis nickte wissend. „Ich verstehe. Von Sicarius Vita habe ich auch schon gehört. Aber viel mehr auch nicht. Die Leute fürchten sie anscheinend.“

„Tust du das nicht?“, fragte Nolan. „Sie ziehen durch die Gegend und bringen Leute um.“

Sein Freund zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Na ja, ich habe mit denen nichts zu tun und ich selbst habe auch keine Angst vor denen.“

„Die Ruhe selbst, hä?“, fragte Nolan beeindruckt. „Nicht einmal ich kann dabei so still bleiben, aber du bist wahrscheinlich einfach entspannter.“

Landis lächelte. „Na ja, wenn man so viel herumgekommen ist...“

Es war deutlich, dass er das Thema wechseln wollte, wenngleich Oriana nicht wusste, weswegen. Aber sie hatte direkt eine Ausrede dafür parat: Er redete nicht gern über Mörder und andere Verbrecher, das war schon immer so gewesen und hing gerüchteweise mit seiner Mutter zusammen.

„Du musst uns alles von deiner Reise erzählen", stieg Nolan sofort auf den Themenwechsel ein. "Hast du das Königreich auch mal verlassen? Wie und wo hast du Dawn aufgegriffen?“

„Nun... ich habe das Königreich nie verlassen. Ich hatte genug in diesem Land zu tun. Ich wusste gar nicht, dass es so groß ist. Da bist du wirklich ewig unterwegs."

Mit seinen Armen zeigte er eine Entfernungsspanne an, die mehr symbolisch gemeint war. "Dawn traf ich in Jenkan. Sie war dort in einer Art... Klinik. Da sie nicht spricht, nahm man an, sie wäre geisteskrank oder besessen. Ich habe sie dort rausgeholt und seitdem sind wir zusammen unterwegs.“

Oriana runzelte ihre Stirn, als ihr etwas auffiel.

In Jenkan hatte Sicarius Vita zuerst angegriffen. Und zwar war der Leiter dieser Klinik getötet worden. So wie Jenkan pflegte, ihre Geisteskranken loszuwerden: Er war auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden.

War das ein Zufall?

Ja, es musste einfach sein. Landis konnte nichts mit dieser Attentäter-Organisation zu tun haben. Dafür war der junge Mann viel zu nett, viel zu liebevoll.

Wie hatte sie überhaupt auf diesen Gedanken kommen können?

Es klopfte wieder an der Tür.

Nolan sprang sofort auf und lief hin, um zu öffnen. Als er draußen war, erfüllte Schweigen den Raum auf eine unangenehme Art und Weise. Zuletzt hatten sie sich angeschwiegen, als sie sich fünf Minuten vor Orianas und Fredianos Hochzeit noch einmal gegenübergestanden hatten - nur um dann wortlos wieder auseinanderzugehen.

Landis warf einen Blick umher. „Du lebst hier also mit Frediano?“

Oriana nickte schweigend.

„Und wie... ist eure Ehe so? Bist du glücklich?“

Sie lachte trocken und humorlos. „Frediano ist an meinem Geburtstag nicht hier und er kümmert sich nie um seine Tochter. Denkst du, dass ich glücklich bin?“

Wieder biss sie sich auf die Zunge. Warum hatte sie ihm das erzählt?

Andererseits hätte er es früher oder später ohnehin noch erfahren. Also warum nicht gleich von ihr?

Landis sah sie schweigend an, einen Hauch von Mitleid im Blick. Und dann war da noch etwas. Was war es nur? Entschlossenheit? Aber für was?

Oriana wurde nicht schlau aus ihm.

Nolan kam wieder herein. „Onkel Richard ist da.“

Ihm folgte ein Mann, der eine entfernte Ähnlichkeit mit Landis hatte. Einige Falten hatten sich bereits in seinem Gesicht gebildet, besonders deutlich die Lachfältchen um seine Augen. Graue Strähnen hatten sich in sein braunes Haar verirrt. Aber die braunen Augen leuchteten nach wie vor mit Schalk.

„Alles Gute zum Geburtstag, Oriana.“

Er umarmte die junge Frau herzlich. Sie lächelte. „Danke, Onkel Richard.“

Schließlich fiel sein Blick auf Landis. „Und wer ist das? Ein neuer Freund von dir?“

„Nein, eher ein alter Freund“, bemerkte der junge Mann mit einem verunsicherten Lächeln.

„Diese Stimme...“

Richard ging näher, Landis stand auf, damit der Mann ihm in die Augen sehen konnte.

Oriana konnte sehen, wie er zitterte, während er darauf wartete, dass sein Vater ihn erkannte. Sie wusste nicht, was er dachte oder fürchtete, aber sie konnte es sich vorstellen. Landis hatte immer an seinen Eltern gehangen, besonders an seiner Mutter, während er seinen Vater stets bewundert hatte. Wenn sein Vater ihn nun nicht mehr erkennen würde, würde das wahrscheinlich Landis' Welt zerbrechen, soweit war sich Oriana im Klaren.

Doch in Richards Augen leuchtete ein Funke des Wiedererkennens. „Landis, bist das wirklich du?“

Landis nickte, sein Lächeln zeigte Erleichterung. „Ja.“

Oriana und Nolan sahen ergriffen und angespannt zwischen den beiden hin und her.

Vater und Sohn standen sich gegenüber und blickten sich neutral an. Es war nicht rauszusehen, was die beiden dachten oder wie sie als nächstes handeln würden. Wenngleich Oriana hoffte, dass alles gut ging und Richard seinem Sohn keine Vorwürfe machen, sondern ihn einfach in die Arme nehmen würde.

Aber es schien wie eine Ewigkeit, dass die beiden einfach nur dastanden und sich ansahen.

Doch schließlich lächelte Richard und nahm Landis in den Arm. „Du bist endlich wieder da. Ich habe gedacht, ich würde dich nie wiedersehen.“

Landis erwiderte die Umarmung. „Ich bin froh, wieder bei dir zu sein, Papa. Bei dir und Mama.“

Sein letzter Satz trübte die Stimmung wieder.

„Was ist los?“, fragte er. „Habe ich etwas Falsches gesagt? Wo ist Mama denn überhaupt? Wollte sie nicht herkommen?“

Richard löste die Umarmung wieder und legte die Hände auf seine Schultern. „Landis, ich muss dir etwas sagen. Weißt du, nachdem du gegangen bist, war deine Mutter... sehr traurig. Sie wurde krank und starb.“

Landis' Gesicht wurde schlagartig bitter. „Mama ist... tot?“

Die anderen beiden senkten betrübt die Köpfe. Nie hätten sie gedacht, dass er es erfahren müsste. Und vor allem nicht so. Nicht mit einer Lüge.

Richard nickte. „Ja. Leider konnten wir nichts tun, um ihr zu helfen. Deswegen bin ich auch hierhergezogen. Hier ist der Schmerz nicht ganz so schlimm.“

„Ich... ich verstehe.“

Landis schluckte einmal. Es schien Oriana, dass er gegen die Tränen ankämpfte, aber es war anders als früher, es wirkte einstudiert. Plötzlich lächelte er wieder, wenn auch ein wenig bitter und verzweifelt. „Es tut mir Leid... das wollte ich nicht.“

Richard schüttelte mit dem Kopf. „Ist schon in Ordnung. Hauptsache, du bist wieder hier. Bleibst du eine Weile?“

„Ja. Dawn und ich wollten eigentlich hier in New Kinging bleiben.“

Oriana hob eine Augenbraue. Vorhin sagte er noch, er wüsste nicht, wie lange er bleiben will...

Weder sie noch Nolan sagten, was sie gerade dachten.

„Wer ist Dawn?“

Das Lächeln auf Landis' Gesicht wurde wieder echt. „Dawn ist meine Adoptivtochter.“

Er erzählte seinem Vater, wie er sie in Jenkan gefunden und mitgenommen hatte und dass sie nicht sprechen konnte.

Richard lächelte väterlich. „Wie wäre es, wenn ihr beide bei mir wohnt? Ich hätte nichts dagegen und Platz genug habe ich auch dafür.“

Oriana glaubte, noch Gründe zu erahnen, die Richard nicht sagen konnte oder wollte. So war er schon immer gewesen. Landis war damit aufgewachsen und kannte es auch, deswegen zeigte er sie nicht enttäuscht.

„Gern. Das würde uns auch prima passen, denn wir haben kein Geld mehr. Auch ein Grund, warum wir jetzt hier sind. Ich wollte im Palast nämlich nach einer Anstellung fragen.“

„Du hast doch auch die Ausbildung zum Kavalleristen abgeschlossen“, erinnerte Nolan ihn.

„Ich will aber nicht zur Kavallerie“, erwiderte Landis knapp.

Die anderen drei nickten verstehend. Keiner von ihnen wäre zur Kavallerie gegangen, wenn der Kommandant so schlecht auf sie zu sprechen war - oder sie auf den Kommandanten.

Nolan hatte seine eigenen Gründe, warum er noch bei der Kavallerie war. Oriana war bereits vor Jahren ausgestiegen. Fredianos Anwesenheit reichte ihr bereits für die Zeit, die er zuhause verbrachte.

Sie lächelte. „Aber keine Sorge, der Palast hat bestimmt noch genug andere Stellen, für die er Mitarbeiter sucht.“

Da war sie sich sogar sehr sicher. Seit sie nicht mehr bei der Kavallerie war, wurde sie immer wieder gefragt, ob sie nicht gern an der ein oder anderen Stelle im Palast arbeiten wollen würde. Aber bislang hatte sie stets abgelehnt.

Erstens musste sie als Frau des Kommandanten nicht arbeiten und zweitens wollte sie nicht einer von Fredianos Geliebten über den Weg laufen.

„Hast du heute keinen Kuchen mitgebracht?“, fragte Oriana.

Richard grinste. „Natürlich. Aber ich habe ihn in die Küche gebracht, damit Nolan ihn nicht gleich vollständig vertilgt.“

„Das schafft er auch so“, erwiderte Landis und deutete auf die Stelle an der Nolan eben noch gestanden hatte und an der nun niemand mehr war.

Richard stöhnte auf. „Oh nein! Jedes Jahr dasselbe.“

Er lief hastig in die Küche hinaus.

Oriana lächelte melancholisch. Ja, es war wie jedes Jahr.

Sie sah wieder zu Landis. Wie jedes Jahr, nur noch besser.

Nachtschwärmer

Der Tag verging schnell mit vielen Gesprächen und Erinnerungen an die alte Zeit.

Frediano tauchte während dieser Zeit nicht auf, aber Landis war recht froh darum. Er war sich nicht sicher, wie er reagiert hätte, wenn er dem Mann gegenübergestanden hätte, der ihm seine große Liebe ausgespannt hatte.

Am Ende des Abends saß er mit Dawn im Haus seines Vaters.

Richard und das kleine Mädchen hatten sich sofort bestens verstanden, auch wenn die Kleine nicht redete.

Landis war erleichtert, dass die beiden sich mochten und freute sich auch darüber. Immerhin gab es also in diesem Bereich keine Probleme.

Es reichte, wenn es in anderen Bereichen zu Problemen kam - und das würde bestimmt geschehen.

Richard und Landis saßen gemeinsam auf dem Sofa, Dawn hatte sich an den Älteren gekuschelt und schlief bereits.

Wie der Jüngere erwartet hatte, begann damit das Gespräch, das wohl wirklich sein musste.

„Landis, was hast du dir damals eigentlich gedacht? Du bist über Nacht verschwunden, keiner wusste wohin oder ob du jemals wieder zurückkommst.“

Landis wägte seine Worte ab. Es war wichtig, dass er nicht einfach irgendwie antwortete, denn er wusste, wie lange die anderen auf diese Antwort gewartet hatten.

Und er wusste, dass sie mehr hören wollten als ein einfaches „Mir war danach“ oder "Es war ein Unfall".

Auch wenn die beiden Dinge wohl am nächsten an der Antwort waren.

„Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte“, erklärte er schließlich. „Oriana war die einzige für mich und Kavallerist der Beruf, den ich erlernt hatte, Frediano ein Freund von mir. Ich war mir sicher, dass ich nicht weiterleben konnte, so wie es war.“

Er machte eine kurze Pause.

„Ich war nach der Hochzeit ganz schön betrunken und bin dann kurzerhand einfach losgegangen.“

Landis war zur Feier eingeladen worden, auch wenn er sich immer noch sicher war, dass Frediano das nur getan hatte, um sich zu profilieren und ihn weiter auf den Boden zu drücken.

Dafür hatte Landis den Großteil der Feier in einem Nebenraum des Wirtshauses verbracht und sich dort hemmungslos betrunken, in der Hoffnung, den Abend einfach zu überleben.

In derselben Nacht war es zu einem lautstarken Streit zwischen ihm und Nolan gekommen und danach war er gegangen.

„Eigentlich hatte ich nicht vor, lange wegzubleiben... aber die sieben Jahre vergingen wie im Flug.“

„Wo hattest du denn das ganze Geld her? Ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Ersparnisse wirklich die ganze Zeit über gereicht haben.“

Landis lächelte. „Natürlich nicht. Aber hin und wieder habe ich eine Tätigkeit irgendwo angenommen. Vom Tellerwäscher bis zum Leibwächter. Ich habe alles getan, wenn die Bezahlung stimmte.“

Richard sah seinen Sohn besorgt schweigend an.

Landis wusste, woran er dachte. Seine Mutter Asterea war einst eine Art Söldnerin gewesen. Sie hatte wirklich alles getan, wofür sie bezahlt worden war.

So hatte sie auch Richard kennen gelernt, der sie als Stadtwache von Cherrygrove eingefangen hatte, als sie den Auftrag gehabt hatte, ein wertvolles Juwel zu stehlen.

Es war nicht Liebe auf den ersten Blick gewesen, es hatte sich sehr langsam entwickelt.

Zumindest von Richards Seite aus.

Landis hatte von seiner Mutter erfahren, dass sie Richard sofort gemocht hatte, weswegen sie immer wieder Aufträge in Cherrygrove angenommen hatte, nur um ihn wiederzusehen.

Aber es hatte eine ganze Weile gedauert, bis sie eingesehen hatte, dass sie sich ihm anders nähern musste, wenn sie wollte, dass er sie genauso mochte wie sie ihn.

Und bei Richard hatte es lange gedauert, bis er sie nicht mehr als Verbrecherin sehen konnte.

Der absolute Einbruch war kurz vor der Hochzeit gewesen, als Richard erfahren hatte, dass sie sogar für Geld gemordet und auch ihren Körper verkauft hatte.

Nach diesem Vertrauensbruch hatte es viel Zeit gekostet, bis sie sich wieder hatten annähern und die Hochzeit durchziehen konnten.

Immer, wenn sie von ihrer Vergangenheit erzählt hatte, hatte Asterea hinzugefügt “Ich habe alles getan, wenn die Bezahlung stimmte“.

Landis seufzte leise. „Es tut mir Leid. Hätte ich gewusst, dass es Mama danach so schlimm gehen würde... wäre ich nicht gegangen oder hätte ihr zumindest mal geschrieben.“

Dabei hätte er dafür keine Gelegenheit gehabt. Selbst wenn er nur an die Dinge dachte, die er erlebt hatte, in diesem Moment aber noch mit niemandem teilen wollte, blieb ihm wieder die Luft weg.

„Ist schon in Ordnung“, erwiderte Richard. „Du hast getan, was du für richtig hieltst. Deine Mutter trägt dir das bestimmt nicht nach.“

„Nein, tut sie nicht“, meinte Landis lächelnd.

Richard sah seinen Sohn fragend an. Dieser winkte ab. „Vergiss es einfach."

"Ich bin nur froh, dass du wieder da bist. Warst du schon in Cherrygrove?“

„Ja. Aber nicht lange. Nachdem ich gehört habe, dass du weggezogen bist, habe ich mir nur die Stadt angesehen und bin dann wieder gegangen.“

Es erschien Richard als würde Landis ihm etwas verschweigen, aber er kümmerte sich nicht darum. Sie hatten sich sieben Jahre lang nicht gesehen, natürlich erzählte sein Sohn ihm da nicht alles. „Hast du Hunger?“

Landis winkte lachend ab. „Nein, nein. Ich habe bei Oriana so viel gegessen, das reicht bis nächsten Monat. Aber sie kocht einfach zu lecker.“

Richard nickte zustimmend. „Oh ja. Rias Essen ist einfach das Beste in ganz Király.“

„Oh ja, das stimmt. Und inzwischen muss ich es ja wissen.“

Die beiden Männer lächelten sich an und verfielen wieder in Schweigen.

Dawns lautes gleichmäßiges Atmen beruhigte beide gleichermaßen, machten das Schweigen aber auch ein wenig unangenehm.

Sie hatten sich immer angeschwiegen. Früher hatte Asterea das Reden übernommen. Sie hatte für die Kommunikation im Haus gesorgt und das hatte sie gut gemacht. Obwohl Landis und Richard gleichermaßen davon genervt gewesen waren, hatten inzwischen beide gemerkt, dass es etwas Wohltuendes gewesen war, was nun fehlte.

Auch wenn Landis seinen Vater bewunderte und Richard seinen Sohn liebte, so hatten sie sich noch nie viel zu sagen gehabt. Ein normales Gespräch zwischen ihnen hatte bislang immer nur aus den üblichen Begrüßungsfloskeln und einigen netten Worten bestanden.

Für sie beide war die neue Situation ungewohnt und zermürbend zugleich.

Landis räusperte sich schließlich. „Ich habe gehört, dass es im Untergrund von New Kinging eine Revolution gegen die Königin gibt. Stimmt das?“

Richard runzelte seine Stirn, während er darüber nachdachte, was er antworten sollte, stellte aber stattdessen lieber eine Gegenfrage: „Warum fragst du das?“

„Wenn du unterwegs bist, hörst du allerlei Gerüchte. Ich will nur wissen, was dran ist.“

„Es ist wahr. Im Untergrund gibt es eine Revolution gegen unsere Königin, auch wenn ich nicht verstehe, weswegen. Sie hat immer kluge Entscheidungen getroffen.“

„Anscheinend denkt da jemand anders.“

Richard nickte und beide versanken wieder in Schweigen.

Nach langer Zeit rang sich Landis zu einer weiteren Frage durch: „Papa... wie genau steht es eigentlich mit der Ehe zwischen Frediano und Oriana?“

„Hast du das nicht schon selbst mitbekommen? Nolan freut sich schon wie ein Schneekönig, weil er denkt, du würdest Oriana aus der Ehe retten. Und ich wette, für Oriana wirkst du auch wie ein Prinz auf einem schneeweißen Pferd. Aber sag mal... empfindest du etwa noch etwas für Ria?“

Landis senkte den Blick. „Ich... habe Ria nie vergessen. Und auch nicht, dass wir uns unter einem Baum in Cherrygrove die ewige Liebe geschworen haben.“

Alten Sagen zufolgend hielt eine Liebe ewig, wenn ein Paar sie sich unter einem der zahlreichen Kirschbäume schwor.

„Das beantwortet meine Frage nicht“, erinnerte Richard ihn. „In sieben Jahren kann viel passieren.“

„Bei mir hat sich nichts geändert. Ich liebe sie immer noch. Aber ich weiß nicht, ob ich mich wirklich in eine Ehe einmischen kann.“

„Bei dieser Ehe schon. Was denkst du, wo Frediano heute wohl war? Bei der Arbeit war er jedenfalls nicht.“

Landis seufzte. Immerhin hatte er nun die Hoffnung, dass es noch etwas mit ihm und Oriana werden konnte. Aber andererseits war da noch...

Er verdrängte den Gedanken wieder.

„Papa, ist Mama wirklich an einer Krankheit gestorben?“

Es dauerte lange, bis Richard antwortete: „Ja, ist sie.“

Landis glaubte ihm nicht und Richard wusste das. Dennoch machte er sich nichts daraus. Auch das war wie immer.

Der Ältere sah auf Dawn hinunter, um das Thema zu wechseln. „Sie hat ein sehr außergewöhnliches Äußeres...“

„Ja. Dadurch fiel sie mir auf. Sie ist wirklich ein tolles Mädchen und sehr intelligent, auch wenn sie nicht sprechen kann.“

„Seltsam. Sogar bei deinem Adoptivkind setzt du auf das Ausgefallene.“

Landis runzelte seine Stirn. Er hörte den nicht ausgesprochenen Vorwurf in den Worten seines Vaters und musste sich beherrschen, nichts Scharfes darauf zu erwidern.

„Ich werde dann mal ins Bett gehen“, sagte er stattdessen.

Er hob Dawn hoch und ging grußlos nach oben in sein Zimmer.

Richard seufzte leise.

So hatte ich mir das Wiedersehen mit Landis nicht vorgestellt...
 

Spät in der Nacht wachte Landis auf, weil jemand an seine Schulter griff und ihn leicht rüttelte.

Er öffnete seine Augen und wandte suchend den Kopf. „Mhm, Aurora?“

Es war dunkel in seinem Zimmer, aber die junge Frau, die neben seinem Bett stand, leuchtete in einer sanften Aura.

Die goldenen Augen blitzten belustigt auf. „Ah, ich hatte schon befürchtet, du würdest Oriana sagen.“

„Die hätte mich wesentlich unsanfter geweckt.“

„Verstehe.“

Sie kicherte leise. Landis richtete sich auf. „Ist es schon soweit?“

Aurora nickte so heftig, dass ihr feuerrotes Haar flatterte. „Also komm, steh auf. Dein Vater schläft tief und fest. Ich hab es getestet.“

Er sah sie skeptisch an. Sie lachte leise. „Ich hab ihn ein paarmal angesprochen, aber er hat nicht reagiert.“

„Papa schläft immer sehr tief. Dann wird es wohl so sein.“

Aurora trat einige Schritte zurück, damit Landis aufstehen konnte. „Du musst deinen leichten Schlaf wohl von deiner Mutter haben.“

„Ja, das glaube ich auch. Mama ist schon aufgewacht, wenn irgendwo im Haus eine Stecknadel auf den Boden gefallen ist. Ich konnte mich nie wegschleichen.“

„Wolltest du denn?“, fragte sie lächelnd.

„Klar. Nolan und ich haben uns nachts immer in der Stadt rumgetrieben – zumindest als ich älter war, da hatte Mama nichts mehr dagegen.“

Aurora lachte wieder leise. „Nun, kommst du dann? Wir haben nur noch wenig Zeit bis zum verabredeten Treffen.“

„Ich bin schon dabei.“

Er stand endlich aus dem Bett auf und öffnete das Fenster. „Dann lass uns mal abhauen. Merk dir aber Fenster und Haus, wir müssen hier nachher immerhin wieder rein.“

„Warum merkst du es dir nicht selber?“

„Schlechtes Gedächtnis, meine Liebe. Komm.“

Aurora lachte noch einmal. „Gut, gehen wir.“
 

New Kinging bei Nacht erschien Landis wie jede andere Stadt. Es war dunkel, niemand war auf den Straßen der Höhergestellten und kein Laut durchbrach die Stille.

In regelmäßigen Abständen brannten Laternen, um zumindest einen Teil der Dunkelheit zu vertreiben. Aber das Licht sorgte nur dafür, dass die Gebiete ohne Laternen nur umso dunkler erschienen.

Erst als Landis und Aurora in die Slums einbogen, wurde es etwas lebhafter.

Schlaflose Nachtschwärmer und heimatlose Tiere streunten durch die Straßen und zwischen den heruntergekommenen Gebäuden herum.

Mehrere Feuer brannten in Tonnen auf den Straßen. Leute scharten sich darum, um sich zu wärmen.

Landis sah sich um, aber er kannte niemanden von den Leuten, die er sehen konnte.

Aurora lotste ihn durch die verwinkelten Gassen.

Es war irgendwie lächerlich, wenn er so darüber nachdachte, aber die Slums von New Kinging waren weitaus größer als der Stadtteil der Höhergestellten.

Es gab auch mehr Arme als Reiche, von daher war es verständlich. Eine Mittelschicht existierte in der Königsstadt nicht.

Landis fand es deprimierend, aber es war nicht zu ändern – zumindest nicht von ihm.

Vor einem verlassen aussehenden Haus blieben sie wieder stehen.

„Sind wir da?“, fragte er überflüssigerweise.

Aurora nickte. „Das hier ist der Treffpunkt.“

Die beiden gingen hinein. Zuerst war es dunkel, aber Auroras Körper wurde wieder von einem leichten Glühen erleuchtet, so dass auch Landis sich zurechtfinden konnte.

Soweit er das in dem spärlichen Licht erkennen konnte, war dieses Haus wirklich verlassen. Spinnen und andere Insekten huschten in Panik davon, Staub wirbelte bei jedem ihrer Schritte auf.

Schließlich betraten sie einen erleuchteten Raum. Mehrere Männer in abgewetzter Kleidung und auch vereinzelt Frauen in alten Kleidern standen um ein Feuer herum.

Die Blicke, die sie ihnen zuwarfen waren weitaus weniger freundlich als man es hier vermutet hätte.

Automatisch fragte er sich, wie diese Leute hereingekommen waren, ohne Spuren zu hinterlassen. Gab es noch einen anderen Eingang?

Aurora zog Landis zum Feuer. „Hallo. Wir sind Aurora und Landis, schon vergessen?“

Lächelnd sah sie in die Runde. Die misstrauischen Gesichter entspannten sich ein wenig, ein älterer Mann, anscheinend der Anführer, lächelte sogar mild. „Freut mich, dass ihr es doch noch geschafft habt. Ihr habt noch nichts verpasst. Leute, das hier sind unsere zwei neue Verbündete gegen die Königsfamilie von Király.“

Die anderen murmelten irgendwelche Begrüßungen. Landis erwiderte das Murmeln ohne genauen Wortlaut, genau wie Aurora.

Irgendwie hatten beide das Gefühl, dass die anderen jemand ganz anderen als Gäste erwartet hatten.

Aber wen nur?

Der Anführer räusperte sich. „Also, unser Plan ist es, in den Palast einzudringen und die Prinzessin zu entführen. Dafür brauchen wir aber immer noch einen Plan des Schlosses und wir müssen wissen, wie es mit den Wachen aussieht. Wer kann sich darum kümmern?“

Eisiges Schweigen zog ein.

Das war für Landis das Übelste an diesen Rebellen: Sie alle wollten Änderungen, aber keiner von ihnen war bereit, irgend etwas dafür zu tun.

Warum auch?

Sie waren so viele, da konnte man doch erwarten, dass ein anderer ihnen das abnahm.

Plötzlich bemerkte Landis, dass jemand seine Hand genommen und sie hochgehalten hatte.

„Landis macht das“, verkündete Aurora.

Verwirrt sah er sie an. „Hä?“

Sie erwiderte seinen Blick lächelnd. „Du hattest doch ohnehin vor, im Palast zu arbeiten, oder?“

„Ja, aber-“

„Also ist es abgemacht.“

Die Stimme des Anführers schnitt Landis das Wort ab. „Denk daran: Wir brauchen einen genauen Plan des Schlosses, einen Wachplan und die besten Wege rein und wieder raus. Denkst du, du wirst das hinbekommen?“

Zaghaft erleichterte Blicke waren auf ihn gerichtet.

Von allen Seiten eingeschlossen, gab er schließlich auf. „In Ordnung. Ich mache das.“

Die anderen ließen ihrer Erleichterung schließlich vollen Lauf.

Aurora lächelte.

Nur Landis fühlte sich wie so oft übergangen.

Der neue Page

Das gemeinsame Frühstück ging wortlos vonstatten.

Landis trank schweigend seinen Tee, Richard knabberte genauso leise an seinem Brötchen und Dawn schwieg ohnehin immer.

Landis wollte direkt nach dem Frühstück in den Palast gehen und dort nach einer Stelle fragen. Obwohl es ihm immer noch sauer aufstieß, dass Aurora ihn zu dieser Untergrundaktion gedrängt hatte.

Natürlich war es sein Wunsch im Palast zu arbeiten, aber nicht um den Rebellen zu helfen. Sein Ziel war ein gänzlich anderes gewesen.

Was war nur in Aurora gefahren, ihn zu dieser Aktion anzumelden, obwohl sie es genau wusste?

Landis sah aus den Augenwinkeln zu Dawn hinüber.

Das Mädchen aß konzentriert sein Marmeladenbrötchen und beachtete ihn nicht.

In diesem Moment vermisste Landis seine Mutter noch mehr als am letzten Abend. Für Asterea wäre es ein Leichtes gewesen, die beiden ihren Streit vergessen zu lassen ohne dass einer von ihnen den Anfang dazu hätte machen müssen.

Aber er wollte Richard etwas fragen, also musste Landis wohl oder übel das Schweigen brechen. „Sag mal, Papa, arbeitest du eigentlich noch?“

Sein Vater sah ihn überrascht an, dann schüttelte er seinen Kopf. „Nein. Ich kriege einmal im Jahr eine Art Rente vom Schloss, dafür, dass ich so lange in Cherrygrove als Wache gearbeitet habe.“

„Ah, verstehe.“

Sein Vater sah ihn mit gerunzelter Stirn an. „Gehst du heute ins Schloss wegen einer Stellung?“

Landis nickte. „Ja. Wird Zeit, dass ich wieder Geld verdiene.“

Richards gerunzelte Stirn zeigte deutliche Sorgenfalten. In seinen Augen glaubte Landis eine Spur Angst zu erkennen. Womöglich fürchtete er sich davor, dass sein Sohn wieder gehen und ihn allein zurücklassen könnte.

Der Jüngere schüttelte den Kopf. „Nein, ich will eigentlich nicht wieder losziehen. So wie es aussieht, werde ich hier bleiben.“

Richard nickte. Er sagte nichts, er lächelte nicht, aber Landis wusste, dass er sich freute, auch wenn er es nicht zeigte.

„Kann ich Dawn bei dir lassen?“, fragte der Jüngere.

Sein Vater nickte lächelnd. „Natürlich. Wir werden wahrscheinlich zu Milly gehen. Ich glaube, die beiden Mädchen verstehen sich wirklich gut.“

Landis schmunzelte.

Mädchen, huh? Das wird Aurora mir später wieder vorhalten.

Dawn sah die beiden nur an, während sie vor sich hinkaute.

„Was ist denn los?“, fragte Richard misstrauisch.

Landis schüttelte den Kopf. „Gar nichts.“

Er beendete sein Frühstück und stand auf. „Okay, ich bin dann mal unterwegs. Wir sehen uns später.“

Er lächelte seinem Vater noch einmal zu und fuhr Dawn durch die Haare, dann verließ er das Haus.

Das Mädchen sah Richard fragend an, während sie weiterhin ihr Brötchen kaute.

Der Mann lächelte sie an. „Na dann machen wir uns einen tollen Tag heute, ja?“

Sie nickte zufrieden und aß weiter.
 

Das Büro des Beraters war ganz schön prunkvoll eingerichtet. Landis hatte Mühe, seinen Freund Kenton darin zu erkennen.

Der Junge war nie so gewesen. Er war immer sehr genügsam und zurückhaltend gewesen - zumindest hatte Landis ihn so in Erinnerung behalten.

Auf dem Tisch standen mehrere gerahmte Bilder.

An den Familienbildern erkannte Landis, dass es tatsächlich Kentons Büro war. Der Junge hing anscheinend immer noch an seiner kleinen Schwester, die inzwischen verheiratet zu sein schien.

Ein weiteres Bild stach Landis ins Auge. Es war ein altes Gruppenbild ihrer Klasse nach den Abschlussprüfungen.

Warum hatte Kenton überhaupt die Ausbildung zum Kavalleristen gemacht, wenn er doch nicht als solcher arbeitete?

Vielleicht sollte er ihn danach fragen, wenn er ihn traf.

Die Tür wurde geöffnet. Ein braunhaariger Mann mit leuchtend grünen Augen trat herein. Er trug einen weißen Anzug, der fast an eine Uniform erinnerte.

Er musterte seinen lächelnden Besucher. „Landis? Bist das wirklich du?“

„Klar. Hat Nolan dir nicht davon erzählt?“

Obwohl Nolan immer Landis' bester Freund gewesen war, hatte er viel Zeit mit Kenton verbracht, besonders nachdem Landis gegangen war. Allerdings war das nicht weiter verwunderlich, immerhin waren Nolan und Kenton von klein auf direkte Nachbarn gewesen.

Und jetzt war letzterer Berater der Königin.

„Ich habe ihn seit gestern Vormittag nicht mehr gesehen“, antwortete Kenton. „Aber mir kamen bereits Gerüchte zu Ohren, dass du wieder in der Stadt wärst.“

Landis legte den Kopf schräg. „Du siehst aber nicht sehr glücklich aus.“

Kenton seufzte. „Ach, weißt du... wir haben seit dem Vorfall in Cherrygrove so viel zu tun. Wir müssen unsere Spione neu einweisen und auch unsere Sicherheitsvorkehrungen überdenken. Da bleibt nicht viel Zeit für Glück oder Freude. Aber natürlich freue ich mich, dass du wieder da bist.“

Er lächelte erschöpft.

„Was ist denn los?“, fragte Landis besorgt. „Es sieht dir nicht ähnlich, so müde zu sein.“

„Eigentlich sollte ich nicht mit einem Zivilisten darüber reden. Aber na ja... dir kann ich es ja sagen. Wir wappnen uns gerade gegen einen Angriff von Sicarius Vita.“

Landis runzelte seine Stirn. Genau wie er sich gedacht hatte. „Haben sie denn einen angekündigt?“

„Nein, natürlich nicht. Aber du weißt ja: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Und dann sind da noch die Rebellen im Untergrund.“

Kenton seufzte noch einmal. „Ich sage dir, es ist nicht leicht, der Berater der Königin zu sein. Unsere Informanten sagten uns, dass die Rebellen jemanden einschmuggeln wollen, um die Entführung der Prinzessin voranzutreiben.“

Landis lächelte nervös.

Die Informanten von Király waren wirklich aufgeweckt. Hoffentlich hatten sie nicht mitbekommen, wen die Rebellen schicken wollten, sonst wäre seine Reise hier am Ende angelangt.

Aber Kenton zeigte keine Regung, also schienen die Informanten selbst keine Ahnung gehabt zu haben.

„Aber was führt dich nach sieben Jahren wieder nach New Kinging? Nicht, dass es mich stören würde, wir hatten nur gedacht, dass wir dich nie wiedersehen würden.“

Landis erklärte ihm das Problem mit dem ausgegangenen Geld und fügte sein Heimweh noch hinzu.

Kenton nickte verstehend. „Dann möchtest du hier nach einer Stellung fragen?“

Er nickte. „Ganz genau. Dich dabei zu sehen war ein toller Nebeneffekt.“

„In die Kavallerie möchtest du aber bestimmt nicht, oder? Dachte ich mir.“

Kenton legte ein nachdenkliches Gesicht auf, er setzte sich auf seinen Stuhl und blätterte durch die Unterlagen auf seinem Schreibtisch. Dabei murmelte er nachdenklich vor sich her.

Landis setzte sich auf den Stuhl gegenüber und wartete geduldig.

„Kochen kannst du nicht, oder?“

„Nicht im Geringsten“, erwiderte Landis lachend.

Kenton nickte und murmelte weiter.

Köche werden hier also auch gesucht, hm? Gut, das werde ich mir merken.

Mehrere Minuten verstrichen, bevor Kenton wieder seufzte. „Eigentlich werden so viele Leute gesucht... aber du bist ein ganz schön schwerer Fall. Immerhin habe ich dich als Tollpatsch in Erinnerung. Oder hat sich daran etwas geändert?“

Landis schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, nicht wirklich.“

„Dachte ich mir. Aber ich habe da einen idealen Platz für dich. Wir brauchen einen neuen Pagen, speziell für Prinz Svarog.“

„Der ist noch hier? Ich dachte, er wäre längst verheiratet oder so.“

Eigentlich war allen klar gewesen, dass Svarog endlich heiraten würde, sobald er die Volljährigkeit erreicht hatte. Aber vermutlich hingen die königlichen Geschwister einfach zu sehr aneinander.

Kenton schüttelte den Kopf. „Die Prinzessin ist auch noch hier. Beide sind unverheiratet und haben auch noch keine Ehegefährten in Aussicht.“

„Was ist mit Svarogs letztem Pagen?“

„Hat geheiratet und New Kinging verlassen. Es ist nicht leicht, den Prinzen zufriedenzustellen, weißt du? Eigentlich ist es sogar ganz schön nervenaufreibend.“

Landis schmunzelte. „Und das soll mein idealer Platz sein?“

„Ich habe dich als ehrgeizigen, zielorientierten und durchhaltenden jungen Mann in Erinnerung. Daran wird sich doch nichts geändert haben?“

Kenton sah ihn forschend an. Geschmeichelt und ein wenig verlegen schüttelte Landis den Kopf. „Alles wie zuvor.“

Kenton nickte zufrieden und legte eines der Blätter auf einen wesentlich kleineren Stapel.

Man konnte sehen, wie sehr ihn diese offene Stelle gestört hatte, wahrscheinlich hatte niemand das machen wollen oder der Prinz hatte niemanden akzeptiert.

Es hieß, dass er sehr pingelig war. Nicht nur bei der Wahl seiner Frau, sondern auch bei der Wahl seiner Dienerschaft.

Aber Landis war sich sicher, dass er das schon schaffen würde.

„Kenton, kann ich dich noch etwas fragen?“

„Ich bin eigentlich viel beschäftigt... können wir uns nicht heute Abend treffen? Wir könnten essen gehen und dann über so viel reden wie du willst. Nolan kann auch kommen.“

Einen Moment lang wollte Landis ablehnen, weil ihm das Thema zu pikant war, um es in der Öffentlichkeit zu besprechen. Aber er konnte sehen, wie wichtig es Kenton war, jetzt weiterzuarbeiten. Also nickte er. „In Ordnung.“

„Du kannst dich gleich umziehen gehen und dich dann bei Seiner Hoheit vorstellen.“

Kenton beschrieb ihm den Weg zur Kleiderkammer, dann verabschiedete er sich knapp von Landis und gab ihm zu verstehen, dass er nun arbeiten wollte.

Landis nickte und folgte dem beschriebenen Weg zur Kleiderkammer, während er sich ausgiebig umsah.

Der gesamte Palast schien aus weißem Marmor gefertigt zu sein, der Boden war so sehr auf Hochglanz poliert, dass sich alles darin spiegelte. Es musste eine mühevolle Arbeit sein, das alles sauberzumachen.

Aus dieser Sichtweise gesehen war Landis froh, dass er nicht in die Putzkolonne gekommen war. Er scheute keine harte Arbeit, aber putzen gehörte definitiv nicht zu seinen Leidenschaften oder seinen Fähigkeiten.

Als er in die Kleiderkammer trat, blieb ihm fast die Luft weg. Dutzende von Regalen reihten sich an der rechten Wand entlang, jedes einzelne mit mehreren Fächern versehen, die wiederum mit Schildern versehen und mit Kleidung oder Schuhen gefüllt waren.

An der linken Wand standen beschriftete Garderobenständer an denen Jacketts und Kleider hingen, die keine Falten werfen durften.

Am Ende des Raumes stand etwas, das wie eine Umkleidekabine aussah.

Er hatte noch nie so viel Kleidung gesehen – besonders nicht in solch geordneten Verhältnissen.

Vor lauter Erstaunen bemerkte er nicht das Pult direkt neben der Tür.

Erst ein leises Räuspern ließ ihn auf die junge Frau daneben aufmerksam werden.

Sie trug die typische Uniform der weiblichen Bediensteten des Palastes. Ein dunkelblaues, knielanges Kleid und dazu die weiße Spitzenschürze mit Taschen.

Landis war wirklich froh, dass er keine Frau war.

„Kann ich helfen?“, fragte die Frau mit piepsiger Stimme.

Wenn Landis weiter darüber nachdachte, war sie wohl doch eher ein Mädchen.

Er nickte. „Mein Name ist Landis. Ich soll der neue Page Seiner Hoheit werden.“

Sie lächelte glücklich. „Wirklich? Das ist gut. Ich bin Celia und für die Kleiderkammer zuständig. Ich werde dir deine Sachen raussuchen.“

Damit verließ sie ihr Pult und ging an die Regale, wobei sie ihn zu sich winkte.

„Musst du nicht... meine Größe wissen?“, fragte er überrascht.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann das gut einschätzen, allein von deiner Statur her.“

Erstaunt folgte er ihr zu den Regalen, wo sie zielsicher eine Hose, ein Hemd und ein paar Schuhe herauszog und ihm in den Arm legte.

„Probier das hier an. Aber es müsste dir passen.“

Sie deutete auf die Umkleidekabine.

Landis nickte und ging hinüber, um sich in der Kabine umzuziehen. Dabei fragte er sich, wie alt das Mädchen wohl war und wie lange sie schon hier arbeitete, um solche Dinge einschätzen zu können.

Wie Celia gesagt hatte, passten ihm die Sachen wie angegossen. Auch wenn er die schwarze Hose und das weiße Hemd in Verbindung mit den glänzenden schwarzen Schuhen nicht wirklich für sich passend fand.

Celia lächelte zufrieden, als er wieder heraustrat und hielt ihm bereits ein dunkelblaues Jackett hin. „Das gehört auch zu deiner Arbeitskleidung. Ich werde deine Sachen hier aufbewahren. Du kannst sie später hier abholen.“

Landis streifte sich das Jackett über und knöpfte es zu. „Gut. Aber sag mal, wo ist denn das Zimmer des Prinzen? Oder wo muss ich mich bei ihm vorstellen?“

Celia erklärte ihm den weiteren Weg. „Ich hoffe, dass du es länger aushältst als so manch anderer, der er vor dir versucht hat. Ich glaube, du bist nett.“

„Oh, danke.“

Sie lächelte noch einmal, dann verabschiedete sie sich von Landis.

Erneut folgte er dem beschriebenem Weg. Aber in der Kleidung der Bediensteten fühlte er sich, zumindest im Palast, um einiges wohler als zuvor. Wenigstens bekam er jetzt keine seltsamen Blicke mehr zugeworfen.

Der Palast hatte so viele Bedienstete, dass es nicht auffiel, wenn einer mehr oder weniger durch die Gegend lief. Wahrscheinlich kannte nicht einmal der Dienstälteste alle seine Kollegen.

Auf dem Gang mit den Zimmern des Prinzen und der Prinzessin war ein roter Teppich ausgelegt. Höchstwahrscheinlich um die Schritte zu dämpfen, damit die Hoheiten nachts nicht immer hochschreckten.

Vor Svarogs Zimmer blieb Landis wieder stehen. Er holte noch einmal tief Luft und klopfte.

Ein herrisches „Herein!“ erklang.

Na das fängt ja gut an.

Landis trat ein und verneigte sich vor Svarog. Die braunen Augen des Prinzen musterten ihn erbarmungslos von Kopf bis Fuß Sehr begeistert war der Prinz auf jeden Fall nicht. „Sieh mal einer an. Bist du mein neuer Page?“

„Ja, mein Name ist Landis.“

Der Prinz verzog sein Gesicht. „Ich habe dich nicht nach deinem Namen gefragt, oder? Aber... das kommt mir irgendwie bekannt vor. Kommst du aus Cherrygrove?“

Landis nickte stumm. Svarog zog die Mundwinkel wieder hoch. „Wenigstens lernst du schnell. Als mein Page wird deine Hauptaufgabe sein, alles zu tun, was ich sage. Hast du verstanden?“

Er nickte erneut. Der Prinz klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. „Sehr gut. Dann komm. Für heute Nachmittag habe ich einen Ausritt geplant. Ich hoffe, du kannst reiten.“

Er lächelte hinterhältig.

Landis seufzte innerlich und folgte Svarog schließlich zu den Ställen. Er bereute bereits, nicht zuvor nach dem Verdienst gefragt zu haben.

Ein Abend unter Freunden

A/N: Viel Zeit ist seit dem letzten Kapitel vergangen... Es ist viel passiert bei mir, aber egal. Hier ist Kapitel 5. Viel Spaß!
 

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Am Abend, nach einem entspannendem Bad, saß Landis in dem kleinen Restaurant, in dem er sich mit Kenton und Nolan treffen wollte. Celia hatte ihm den Weg hierher erklärt, als er seine Sachen wieder abgeholt hatte.

Im Stall hatte Svarog ihm eröffnet, dass er zwar vorhatte zu reiten – sein Page aber gefälligst hinterher zu laufen hatte.

Das Spiel hatten sie den ganzen Nachmittag durchgeführt.

Eigentlich hatte Landis sich gleich ins Bett fallen lassen wollen, um die nächsten drei Tage durchzuschlafen, aber nach dem Bad hatte er sich wieder wach genug für das Essen gefühlt.

Außerdem hatte Aurora angekündigt, dass sie gegen später auch vorbeikommen würde.

Landis kannte dieses Restaurant nicht und es schien auch noch nicht so alt zu sein. Anhand der Gespräche zwischen der Bedienung und den anderen Gästen erfuhr er sogar, dass das Restaurant erst vor ein paar Wochen eröffnet worden war und dass noch Leute als Bedienung gesucht wurden.

Interessant. Muss ich mir merken.

Zum dutzendsten Male an diesem Abend ging die Tür auf. Nolan kam herein, sah sich nur schnell um und setzte sich dann an Landis' Tisch. „Na, Lan, wie war dein erster Tag im Palast?“

„Furchtbar. Weißt du, wenn du auf einem Pferd sitzt und darauf reitest, kommt dir das gar nicht so schnell vor. Aber wenn du einem hinterherläufst... puh.“

Er erzählte Nolan wie der Nachmittag gelaufen war.

Sein Freund grinste. „Ich bin froh, dass ich auf den Pferden reite anstatt ihnen zu folgen.“

„Kannst du auch sein, No. Wenn der Prinz das jeden Tag macht, bin ich auch wieder draußen.“

Die Bedienung kam, nahm Nolans Bestellung auf und ließ die beiden wieder allein.

Landis lächelte andächtig. Wenn Nolan früher bestellt hatte, war er erst einmal ausgelacht worden und hatte anschließend ein Glas Milch bekommen. Er selbst hatte sich immer gleich lediglich einen Saft bestellt.

„Und was sagst du zu unserem beschäftigten Kenton?“, fragte Nolan plötzlich.

Landis nahm einen großen Schluck aus seinem Glas. „Armer Kerl. Er muss wirklich viel arbeiten, hm?“

Sein Freund nickte bestätigend. „Oh ja, das muss er. Würde mich nicht wundern, wenn er nachher auftaucht und nur fünf Minuten bleibt. Seit diese Attentäter immer näher an New Kinging herankommen, muss er immer mehr arbeiten.“

„Attentäter? Oh ja... Sicarius Vita.“

Nolan nickte, urplötzlich war er ernst geworden. „Aber eigentlich ist da noch mehr. Alle im Schloss wissen es, nur die wenigsten reden darüber.“

Landis hob fragend eine Augenbraue. „Was ist da denn noch? Meinst du die Sache mit den Rebellen gegen die Königin?“

Nolan schüttelte den Kopf. „Nein, auch nicht. Das nimmt auch nur einen kleinen Teil von Kentons Arbeit ein.“

Er beugte sich zu Landis hinüber und senkte verschwörerisch die Stimme. „Der eigentliche Hauptgrund für Kentons Mehrarbeit ist -“

„Nolan, Landis, schön euch zu sehen.“

Die beiden Angesprochenen zuckten zusammen. Kenton zog den Stuhl zurück und setzte sich zu ihnen an den Tisch. „Worüber redet ihr?“

„Wir haben uns nur darüber unterhalten wie toll die Bedienung aussieht“, antwortete Nolan.

Er blinzelte der jungen Frau zu, die ihm in dem Augenblick gerade sein Glas brachte und danach Kentons Bestellung aufnahm und sie erneut alleine ließ.

„Na, Ken, heute mal nicht nur fünf Minuten Zeit für uns?“

Nolan sah ihn belustigt an, Kenton nickte. „Ihre Majestät hat mir in Anbetracht meiner Leistungen für heute freigegeben.“

„Gutes Stichwort“, bemerkte Landis. „Kenton, wie kommt es, dass du schon Berater der Königin bist und noch dazu diese absolute Entscheidungsfreiheit hast?“

Verlegen sah der Gefragte auf den Tisch, um dem Blick seines Freundes auszuweichen. Ein seltsames Gefühl der Vorahnung erfüllte Landis.

Bestimmt hatte Frediano etwas damit zu tun. Der Mann hatte schon immer Beziehungen zum Königshaus gehabt. Immerhin hatte schon sein Vater den Posten des Kavallerie-Kommandanten inne gehabt.

Schließlich seufzte Kenton. „Um ehrlich zu sein hat Frediano mir dabei geholfen. Er hat bei der Königin ein gutes Wort für mich eingelegt, sie hat sich ein Jahr lang meine Fähigkeiten angesehen und mich dann fest eingestellt.“

Ich wusste es.

„Verstehe. Frediano hat ja ganz schönen Einfluss. Aber wie kann es sein, dass er schon Kommandant ist? Und was ist mit seinem Vater?“

„War es das, was du vorhin fragen wolltest?“, hakte Kenton nach.

Landis nickte, worauf sein Freund antwortete: „Sir Caulfield verstarb vor drei Jahren überraschend und die Senatsmitglieder haben dafür gestimmt, dass Frediano sein Nachfolger wird.“

Nolan verzog sein Gesicht, aber ein warnender Blick von Kenton hielt ihn davon ab, etwas zu sagen. Landis merkte sich das für ein zukünftiges Gespräch allein mit Nolan. Immerhin gab es da auch noch etwas, was er ihm hatte sagen wollen.

Die Kellnerin brachte Kenton sein Getränk und wuselte dann wieder davon. Langsam wurde das Lokal wirklich voll. Mundpropaganda funktionierte in New Kinging offensichtlich sehr gut.

„Ich hab gehört, die Ehe zwischen Frediano und Oriana soll nicht so gut sein“, spann Landis das Gespräch schließlich weiter.

Nolan holte tief Luft, aber gerade als er enthusiastisch antworten wollte, fuhr Kenton dazwischen: „Aus Respekt gegenüber Oriana und Frediano sollten wir darüber nicht reden, wenn nicht zumindest einer von beiden oder beide anwesend sind.“

Diesmal verzog Landis sein Gesicht. Von Kenton konnte er also keine Informationen über Frediano erwarten. Vielleicht war es dann ganz gut, dass Aurora noch kommen würde. Immerhin würde sie den Berater hoffentlich ausreichend ablenken können.

Kenton sah Landis an. „Und? Was hast du so gemacht in den letzten Jahren?“

Der Mann wiederholte die Ausführungen, die er auch gegenüber den anderen schon gemacht hatte, erzählte von Dawn und teilweise von irgendwelchen Aufträgen, die er durchgeführt hatte.

Kenton schmunzelte. „Klingt als kämst du ganz nach deiner Mutter.“

Landis nickte. „Stimmt irgendwie.“

Er war sich nicht sicher, wie Kenton das gemeint hatte, aber sehr nett hatte es nicht geklungen. Seine verantwortungsvolle Stelle musste den Freund wirklich sehr verändert haben. Oder Kenton war schon immer so gewesen und Frediano hatte das erst zum Vorschein gebracht. Landis hoffte, dass letztere Möglichkeit grundlegend falsch war. Normalerweise ließ ihn seine Menschenkenntnis nicht so sehr im Stich.

Wortlos saßen die Freunde sich nun gegenüber.

Es gab so viel zu erzählen, aber doch so wenig zu sagen.

In den letzten sieben Jahren hatte Landis sich so viele Dinge gemerkt, die er seinen alten Freunden irgendwann hatte mitteilen wollen. Und nun erkannte er, dass er möglicherweise keine alten Freunde mehr hatte. Dass er sich all die Jahre nur etwas vorgemacht hatte.

Gerade als das Schweigen zwischen ihnen erdrückend zu werden schien, wurde die Tür geöffnet. Der rote Haarschopf gehörte unverkennbar zu einer einzigen Person.

Landis stand auf und winkte sie herüber.

Nolan, der mit dem Rücken zur Tür saß, sah Landis überrascht an. „Willst du schon gehen oder warum winkst du der Bedienung?“

„Oh, mein Lieber, ich hoffe doch, dass du nicht jede Frau als Kellnerin bezeichnest.“

Aurora stand inzwischen neben dem Tisch und sah ihn lächelnd an. Nolan sah sie erstaunt und mit leicht geöffnetem Mund an. Er schluckte, während er verzweifelt nach Worten zu suchen schien, die ihr imponieren könnten – oder die zumindest spontan klangen.

Kenton musterte sie ebenfalls stumm. Sein Gesichtsausdruck war völlig neutral, aber an seinen nervösen Fingern konnte Landis sehen, dass er ebenfalls um Fassung rang.

Innerlich grinste er, denn es erinnerte ihn an seine erste Begegnung mit Aurora – damals hatte er eine Mischung aus Nolan und Kenton dargestellt.

Landis legte eine Hand auf ihre Schulter. „Aurora, das sind Nolan und Kenton. Leute, das ist Aurora. Eine junge Frau, die ich ebenfalls während meiner Reise traf.“

Sie begrüßte die beiden Männer lächelnd, dann setzten sie und Landis sich wieder.

Nolan schaffte es immer noch nicht, seinen Mund zu schließen, Kenton dagegen hatte seine Fassung zurückgewonnen. „Es freut mich sehr, Euch kennen zu lernen.“

„Oh bitte,“, erwiderte Aurora lächelnd, „ich bin einfach nur Aurora. Es ist mir unangenehm, wenn Ihr mich so vornehm behandelt.“

Nolan schmolz regelrecht dahin. „Wow...“

Aufgrund des großen Andrangs schien die Kellnerin nicht zu bemerken, dass ein neuer Gast gekommen war.

Landis nutzte die Gelegenheit. Er stand wieder auf. „No, lass uns für Aurora was zu trinken holen.“

Wie er seinen Freund kannte, würde er sich diese Gelegenheit, Eindruck zu schinden, nicht entgehen lassen. Nolan nickte heftig und stand auf.

Landis klopfte Aurora auf die Schulter, gab ihr damit das vereinbarte Zeichen und ging dann mit seinem Freund an die Bar hinüber. Auch hier herrschte großer Andrang, was Landis nur ganz recht war. Damit hatte er schon eine Ausrede, warum sie so lange weg waren.

Nolan sah zu ihrem Tisch zurück. Aurora schien Kenton inzwischen in ein sehr anregendes Gespräch verwickelt zu haben.

Ein sehnsuchtsvolles Seufzen entfuhr dem Schwarzhaarigen. „Wow, du hast es so gut. Gehst sieben Jahre auf Reisen und triffst so eine tolle Frau.“

„Mhm, ja, Aurora ist nett.“

Ungläubig sah Nolan ihn an. „Nett!? Alter, die Frau ist mehr als nett!“

„Alter?“, fragte Landis verwirrt.

„Ja, das sagen die Jugendlichen heute so.“

Der Braunhaarige hob eine Augenbraue. „So so, die Jugendlichen.“

Nolan schnitt eine Grimasse, direkt gefolgt von einem Seufzen. Sicher machte er sich Sorgen darum, dass Aurora und Kenton sich näherkommen würden, während er hier darauf wartete an die Reihe zu kommen.

„Mach dir keinen Kopf“, riet Landis ihm. „Aurora flirtet nur auf meine Anweisung mit ihm. Da wird nichts Ernstes draus.“

Nolan sah ihn fragend an. „Huh? Warum hast du ihr diese Anweisung gegeben?“

„Weil ich allein mit dir reden wollte, No.“

„Oh, geht es wieder um Frediano?“

Landis nickte.

„Du stellst ganz schön viele Fragen über ihn“, stellte Nolan stirnrunzelnd fest.

Er erwiderte darauf nichts. Es war ihm klar, dass es irgendwann auffallen musste, aber immerhin hatte er nur ein geringes Zeitfenster zur Verfügung.

Wenn Frediano vorher Wind bekam, dass er wieder hier war und er Nachforschungen über ihn anstellte, dauerte es sicherlich nicht lange, bis der Kommandant eins und eins zusammenzählte und sich seinen eigenen Reim auf die vergangenen Ereignisse machte. Und wenn das erst einmal geschehen war, war es zu spät, noch etwas zu tun.

Landis nickte. „Glaub mir, es ist wichtig. Ich muss so viel wie möglich über ihn wissen.“

„Ich weiß zwar nicht, warum, aber... na ja, wenn es wichtig ist... Bestimmt willst du wissen, wie Frediano so jung zum Kommandanten werden konnte.“

Er nickte noch einmal und warf einen besorgten Blick auf die anderen Gäste an der Bar.

Nolan winkte ab. „Mach dir keine Gedanken um die. Das normale Volk hält eh nicht viel von Fredi. Also... wo soll ich anfangen?“

Der Schwarzhaarige dachte nach. „Nun, vor sechs Jahren wurde Sir Caulfield plötzlich schwer krank. Kein Arzt und kein Medikament konnte ihm helfen. Er quälte sich gut ein Jahr und dann starb er. Sein Nachfolger war Sir Dorugon, der damals dienstälteste Kavallerist.“

Landis erinnerte sich an den Mann, der ab und zu auch als ihr Lehrmeister gedient hatte. Das furchteinflößende Äußere des Kavalleristen hatte über seine Nettigkeit hinweggetäuscht.

Nolan räusperte sich. „Sir Dorugon war etwa sechs Monate der Kommandant und wir waren alle glücklich... aber dann... Frediano beschuldigte Sir Dorugon, Kontakte zu ausländischen Aggressoren zu haben.“

„Das ist doch lächerlich“, entfuhr es Landis.

Der Schwarzhaarige nickte. „Aber Frediano schaffte es, das sogar nachzuweisen und genügend Beweise zu sammeln, dass Sir Dorugons Erklärungen alle blass erschienen. Sir Dorugon wurde also in den Kerker gesperrt, wo er heute immer noch ist. Danach ging es darum, einen neuen Kommandanten zu bestimmen. Die Mehrheit der Senatsmitglieder entschied sich für Frediano in Anbetracht seiner Leistung, Sir Dorugon einzukerkern.“

„Das klingt als wäre noch mehr daran faul.“

Nolan nickte zustimmend. „Genau das habe ich mir auch gedacht – genau wie viele andere. Die meisten Kavalleristen haben die Kavallerie aus Protest verlassen und sich neue Berufe gesucht.“

„Warum bist du geblieben?“

„Das hatte viele Gründe. Vor allem aber wollte ich in der Kavallerie bleiben, um die Wahrheit herauszufinden. Schau mich nicht so an. Ich meine, was hinter dem Tod von Sir Caulfield und den Vorwürfen gegen Sir Dorugon steckt.“

„Hattest du schon Glück?“

Bedauernd schüttelte Nolan den Kopf. „Nein, leider nicht. Frediano hütet seine Geheimnisse besser als unsere Königin ihre Schätze.“

Ein enttäuschter Ausdruck hatte sich in sein Gesicht geschlichen. Landis verspürte den Drang, ihn aufzumuntern, wusste aber nicht, was er sagen sollte. Also klopfte er ihm lächelnd auf die Schulter und sagte das Nächstbeste, was ihm einfiel: „Mach dir keine Gedanken, No. Du hast bestimmt getan, was du konntest.“

„Aber genau das ist ja das Schlimme. Ich kann anscheinend gar nichts. Irgendwie muss man diese Barriere des Schweigens doch durchbrechen können, oder?“

Landis nickte. „Irgendwie.“

Und ich habe das Gefühl, ich weiß auch wie.
 

Viel Zeit hatten die drei Freunde nicht mehr zusammen verbracht.

Kurz nachdem Landis und Nolan an den Tisch zurückgekehrt waren, hatte Kenton sich entschuldigt und war nach Hause gegangen, um sich auf den morgigen Tag vorzubereiten.

Eine halbe Stunde waren sie dann noch zu dritt am Tisch gesessen, dann hatte auch Landis sich entschieden, zu gehen.

Nolan hatte ein langes Gesicht gemacht, sich dann aber doch noch wortreich von Aurora verabschiedet.

Doch Landis und Aurora hatten noch andere Pläne, weswegen sie den Weg zum Gasthaus wählten.

Der Gastwirt begrüßte sie mit einem knappen Nicken und wies sie in den Schankraum, der fast vollständig leer war.

An der Bar saß eine braunhaarige junge Frau vor einem Glas Wasser. Egal wie mürrisch sie ihr Gesicht verzog, niemand nahm ihr ab, dass sie schon volljährig war. Ihre braunen Augen wirkten einfach zu groß und unschuldig.

Aurora blieb in der Tür stehen, Landis setzte sich ebenfalls an die Bar. „He Nadia.“

Erschrocken sah sie ihn an. „Oh, Landis, du bist es.“

Er lächelte. „Ganz genau. Na, immer noch keinen Alkohol für dich?“

„Nein.“

Noch einmal verzog sie ihr Gesicht. „Das ist so unfair. So viele Jahre bis zur Volljährigkeit sind es nun auch nicht mehr.“

„Na ja, ich hab dennoch einen Job für dich. Ich war gerade in einem Lokal, dort braucht man noch gutaussehende Bedienungen.“

Nadia lächelte geschmeichelt und spielte mit ihrem Zopf. „Danke, Lan, dass du dabei direkt an mich denkst.“

„Ja, ich dachte mir, die Uniform würde dir gut stehen.“

Sie lachte leise. „In Ordnung, ich werde mich dort vorstellen. Wo ist das denn?“

Landis erklärte ihr den Weg zu dem Lokal aus dem er eben gekommen war.

Hastig gab sie ihm einen Kuss auf die Wange. „Danke, Lan.“

Er verabschiedete sich von ihr und ging wieder zu Aurora.

„Gehen wir wieder zu Richard?“, fragte sie.

„Ja, ich bin todmüde.“

Lächelnd hakte sie sich unter und ging gemeinsam wieder mit ihm hinaus, um den Tag endlich abzuschließen.

Der erste Verdacht

Drei Tage später hatte Svarog beschlossen, Landis dauerhaft einzustellen.

Damit endeten die vollkommen unmöglichen Aufträge des Prinzen und machten trivialen Aufgaben wie dem Putzen von Schuhen oder Waffen Platz.

Landis seufzte leise, während er wieder einmal Schuhe putzte. Im Prinzip machte ihm diese Aufgabe nichts, er hatte schon Schlimmeres getan - aber es war sehr ermüdend und wenig erfüllend.

Die Dienstmädchen tuschelten amüsiert, wenn sie an ihm vorbeikamen. Er machte sich nichts daraus, sondern konzentrierte sich voll und ganz auf seine Aufgabe.

Irgendwann hörte er schwere Schritte und dann mehrere Stimmen, auch die von Nolan. Anscheinend kamen die Kavalleristen hier entlang.

Landis seufzte noch einmal, diesmal innerlich.

Warum hatte Prinz Svarog ihn auch einen Platz mitten im Gang zugewiesen?

Vermutlich nur ein weiterer Punkt, um ihn zu demütigen.

Die Kavalleristen gingen an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten. Nicht einmal Nolan kümmerte sich um ihn. Vielleicht hatte er ihn auch nicht erkannt. In der Uniform erkannte er sich selbst nicht einmal.

Für eine Weile herrschte Stille auf dem Gang.

Landis genoss es. Zumindest brauchte er damit nichts zu befürchten.

In all den Jahren, in denen er unterwegs war, hatte er gelernt, immer auf der Hut zu sein. Und das konnte er nicht einmal hier im Palast abstellen.

Plötzlich erklangen noch einmal Schritte.

Landis putzte unverdrossen weiter und hoffte, dass die Person bald vorbei war.

Doch direkt hinter ihm stoppten die Schritte wieder.

Er zwängte den Drang, sich umzusehen, nieder und machte weiter.

„Sieh mal einer an... hat Prinz Svarog einen neuen Stiefelputzer gefunden?“

Landis erstarrte.

Er kannte diese kühle, leicht spöttische Stimme. Es war Frediano.

„Was ist los? So eingeschüchtert vom Kommandanten der Kavallerie?“

Landis schluckte.

Er spürte den Umschwung in der Stimmung des Kommandanten, ohne ihn ansehen oder gar hören zu müssen. „Antworte mir gefälligst!“

Landis schmunzelte. „Warum sollte ich von dir eingeschüchtert sein?“

„Wie kannst du...!? Wer bist du?“

Der Page ließ die Sachen liegen und stand auf. Ganz langsam fuhr er herum und sah dem silberhaarigen Kommandanten lächelnd an. „Hallo, Frediano. Lange her, nicht wahr?“

Fassungslos sah Frediano ihn an. Er rang sichtlich um Fassung, gewann sie schließlich zurück und lächelte. „Hallo, Landis. Ich habe gehört, dass du wieder hier bist. Aber dass du als Svarogs Page arbeitest... wie tief bist du gesunken?“

Landis musste sich sichtlich bemühen, ihm nicht einfach an die Gurgel zu gehen. In Gedanken rief er sich selbst zur Ordnung. Er musste die Ruhe finden, die er brauchte, um kein unnötiges Aufsehen zu erregen.

„Immer noch besser als ein betrügerischer Knilch zu sein, der einem anderen einfach die Freundinnen ausspannt, sie dann heiratet und schlecht behandelt.“

„Ah, ich verstehe. Armer verbitterter Landis.“

Frediano schüttelte seufzend mit dem Kopf. „Du kannst es einfach nicht mitansehen, wenn jemand anderes etwas bekommt, was du haben willst, nicht wahr?“

„Wenn Oriana wenigstens glücklich wäre...“

Der Kommandant schnaubte. „Tut mir Leid, wenn ich jetzt einfach weitergehe, aber ich vergeude ohnehin nur meine Zeit mit dir.“

„Ich habe kein Problem damit.“

Frediano warf den Kopf zurück und ging weiter. Landis sah ihm hinterher. In diesem Moment war er glücklich, dass er keine Waffe dabei hatte. Er war sich sicher, dass er Frediano ansonsten direkt die Kehle durchgeschnitten hätte.

Der Kommandant verschwand schnell und wieder kehrte Ruhe ein.

Seufzend sah Landis auf die Schuhe und Stiefel hinunter, die er noch putzen musste.

Ich hasse diesen Job. Nein, wirklich.

Er setzte sich wieder und machte mit seiner Arbeit weiter.
 

Oriana hatte noch nie zu Tagträumereien geneigt, aber seit Landis' Rückkehr erwischte sie sich immer wieder dabei, wie sie am Küchentisch saß und sich vorstellte, wie es wohl wäre, wenn sie mit ihm statt mit Frediano verheiratet wäre.

Sie war sich sicher, dass er sie auch noch liebte, zumindest stellte er laut Nolans Aussage jede Menge Fragen über ihre Ehe und hatte dabei dieses verliebte Glitzern in seinen Augen.

Aber Oriana wusste, dass Frediano sie niemals gehen lassen würde.

Erstens würde das seinem Ruf schaden und zweitens würde er damit Landis nachgeben und genau das wollte er nicht.

Sie versuchte, sich nicht zu sehr in ihren Träumereien zu verlieren, aber es passierte dennoch immer wieder. Sogar Milly hatte es bereits mitbekommen und ging deswegen zum Spielen immer zu Richard und Dawn.

Doch Oriana wusste, dass es so nicht ewig weitergehen konnte. Sie musste mit Landis darüber sprechen und möglicherweise ihn sogar darum bitten, die Stadt wieder zu verlassen.

Verzweifelt entfuhr ihr ein Seufzen.

Das konnte sie nicht tun. Schon allein wegen Richard, der sich über die Rückkehr seines Sohns sehr gefreut hatte und immer noch glücklich über seine Anwesenheit war.

Und Milly hing sehr an Dawn, die Landis bestimmt auch mitnehmen würde, wenn er denn überhaupt gehen würde.

Und eigentlich wollte Oriana auch nicht, dass er wieder ging, jetzt wo er endlich wieder da war.

Während sie in Gedanken versunken war, stand plötzlich jemand in ihrer Küche.

„Oriana.“

Erschrocken zuckte sie zusammen und hob den Blick. „Oh... Kenton. Was gibt’s?“

„Niemand hat geöffnet, als ich geklopft habe, aber die Tür war offen. Störe ich?“

„Nein, gar nicht. Setz dich doch.“

Sie deutete auf einen Stuhl. Kenton folgte der Aufforderung. Er erkundigte sich nach ihrem Befinden, Oriana merkte sofort, dass er nur um den heißen Brei herumschlich.

Schließlich seufzte sie. „Komm schon, Kenton. Ich weiß, dass du viel zu tun hast. Du bist bestimmt nicht hier, um Smalltalk mit mir zu halten. Was willst du?“

Der Berater räusperte sich. „Es geht um Landis.“

Es war so klar gewesen.

„Was ist passiert?“

Kenton strich sich nachdenklich über die Schläfen. „Wie soll ich das sagen? Landis stellt ganz schön viele Fragen über dich und Frediano. Der Kommandant wird langsam misstrauisch.“

„Ist das mein Problem?“, fragte sie betont ruhig.

„Es könnte für alle, die Landis mögen, ein Problem werden.“

Ihr fragender Blick veranlasste ihn, weiterzureden: „Der Kommandant möchte Landis wieder aus der Stadt haben, wenn er weiterhin solche Fragen stellt. Er sagt, es ziemt sich nicht, dass er so neugierig ist und dass da etwas dahinterstecken muss.“

Sie seufzte genervt. „Frediano ist ein kleiner paranoider Mistkerl! Und das weißt du genauso gut wie ich. Wenn jemand hinter ihm redet, denkt er sofort, dass jemand einen Mordanschlag auf ihn verüben will. Du musst das wissen, du verbringst noch mehr Zeit mit ihm als ich.“

Kenton überging ihren Einwand. „Ist dir außerdem aufgefallen, dass zeitgleich mit ihm seltsame Leute in die Stadt kamen? Eine arbeitet nun in der Taverne, ein weiterer ist bei uns Koch und ein sehr zwielichtiger Geselle hat sich ebenfalls im Gasthaus einquartiert. Sie alle drei stehen in Verbindung mit Landis – ganz zu schweigen von dieser rothaarigen Frau, die man bevorzugt nachts sehen kann.“

„Und was willst du mir sagen?“

„Ich habe Grund zur Annahme, dass Landis Mitglied bei Sicarius Vita ist.“

Sein Satz raubte Oriana die Luft, die sie gebraucht hätte, um spöttisch aufzulachen, so wie sie es eigentlich wollte. „Das ist doch... ein Witz, oder? Wie kommst du darauf?“

Kenton schien genau diese Reaktion erwartet zu haben. Er schlug die Beine übereinander. „Ich habe mich bei den anderen Städten erkundigt. Landis und diese ganze Bande waren jedesmal kurz vor einem Attentat aufgetaucht und danach wieder verschwunden. Das ist für mich kein Zufall mehr. Außerdem hat jeder Angst vor dieser Organisation, nur er nicht. Nein, er scheint das Interesse daran nur vorzuheucheln oder schnell wieder das Thema zu wechseln.“

„Und was denkst du, wem er etwas antun will?“, fragte Oriana, immer noch zweifelnd.

„Frediano oder dem Prinzen. Oder, wenn er mit den Rebellen zu tun hat, unserer Prinzessin.“

„Wie kommst du jetzt auf die Rebellen?“

Oriana hatte schon immer Probleme damit gehabt, seinen Gedanken zu folgen und so war es auch diesmal, aber Kenton antwortete bereits: „Wir haben überall unsere Spione, auch bei den Rebellen. Und die haben Landis und Aurora bei einer dieser Versammlungen gesehen.“

Sie versank in Schweigen.

Solange sie Kenton kannte, hatte er nie wilde Spekulationen angestellt. Jede Äußerung, die er tat, basierte auf Tatsachen und konnte durch Fakten untermauert werden.

Auch diese Behauptung schien nicht aus der Luft gegriffen zu sein, aber daran glauben wollte sie immer noch nicht.

Kenton schien ihre Gedanken zu erahnen. „Es war auch für mich schwer zu glauben, aber in Anbetracht der Geschichte seiner Mutter -“

„Oh, bitte! Hör endlich auf damit, seine Mutter mit einzubeziehen! Landis ist nicht Asterea! Und außerdem war sie keine schlechte Frau!“

Er seufzte. „Du redest genau wie Nolan.“

„Hast du ihm das etwa auch schon gesagt!?“

„Ja, natürlich.“

Oriana schnaubte. „Wie kannst du nur herumlaufen und Lügen über Landis erzählen!?“

„Es sind nur Vermutungen und wenn du mich fragst, ziemlich stichhaltige. Aber ich hätte mir denken können, dass du mir nicht glaubst. Dir ist es wahrscheinlich egal, ob er ein Mörder ist oder nicht, dich interessiert nur, ob er dich mit sich nimmt, wenn er verschwindet!“

Raus!“

Ihre Stimme war nur noch ein einziges, kaltes Zischen.

„Ria...“

Sie fuhr so abrupt hoch, dass ihr Stuhl krachend zu Boden fiel. Mit der Hand deutete sie zur Tür. „RAUS!“

Seufzend stand Kenton auf. Er sah Oriana mitleidsvoll an, dann ging er hinaus. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, stellte sie den Stuhl wieder aufrecht hin.

Mit heftig klopfendem Herzen dachte sie darüber nach, was er gesagt hatte.

Landis sollte ein Mitglied dieser Organisation sein?

Er sollte für den Tod diverser Menschen verantwortlich sein?

Wie sehr musste er sich verändert haben?

Der Landis von damals hätte das nie gemacht.

Aber vielleicht gab es den Landis von damals nicht mehr.

Allein der Gedanke schmerzte Oriana. So lange hatte sie auf seine Rückkehr gewartet und dann sollte er nur noch sein Aussehen mit seinem früheren Ich gemeinsam haben?

Es durfte nicht sein. Nicht gerade jetzt.

Kenton hatte recht, zum Teil: Oriana war es egal, ob Landis gemordet hatte oder nicht – aber sie konnte niemals mit ihm zusammen sein, wenn er damit weitermachen würde.

Hastig schüttelte sie den Kopf.

So darf ich nicht denken. Es ist noch nichts bewiesen. Und selbst wenn Landis ein Mitglied von denen ist, so heißt es nicht, dass er auch ein Mörder ist. Daran muss ich mich erinnern. Landis...

Sie atmete tief durch. Noch ist es nicht erwiesen, dass Lan zu ihnen gehört.

Ihr Blick wanderte zu dem noch zu spülenden Geschirr.

Sie beschloss, sich darum zu kümmern, um abgelenkt zu werden.

Waschen und putzen half ihr dabei immer.

Kurzentschlossen krempelte sie die Ärmel hoch und begann mit dem Abwasch.
 

Prinz Svarog hatte das Ergebnis von Landis' Arbeit persönlich und gründlich unter die Lupe genommen und sie schließlich für gut befunden und seinen Pagen für den Rest des Tages entlassen.

Müde und erschöpft, schleppte Landis sich in die Küche, in der Hoffnung, dort noch etwas zu essen zu bekommen.

Da es nicht Zeit für eine Mahlzeit war, befanden sich nicht viele Leute in der Küche. Aber einen von ihnen kannte Landis nur zu gut. „Aidan!“

Der braunhaarige Junge mit den gleichfarbigen Augen, sah von seiner Arbeit auf. „Oh, Lan!“

Landis setzte sich an die Theke, an der Aidan gerade Gemüse schnitt. „Und, hast du dich hier schon eingearbeitet?“

Der Junge nickte. „Oh ja. Ich finde es toll. Es macht richtig Spaß, hier zu arbeiten.“

„Wie geht es deiner Zwillingsschwester?“

„Nadia sagt, es gefällt ihr gut in dem Restaurant und die Kollegen sind sehr nett.“

Landis lächelte. „Das ist gut.“

Aidan stellte ihm ungefragt etwas zu essen hin. „Das ist vom Mittagessen übrig geblieben. Lass es dir schmecken, du kannst es vertragen.“

Der Page bedankte sich lächelnd und begann gierig zu essen.

Man konnte gegen den Palast sagen, was man wollte, aber das Essen schmeckte wirklich ausgezeichnet. Inzwischen bereute Landis es, nicht doch Kavallerist geworden zu sein. Immerhin hätte er das dann jeden Tag essen können.

Als Page bekam er nur die Reste. Und er war sich sicher, dass Frediano bestimmt alle Hebel in Bewegung setzen würde, damit es zukünftig keine Reste mehr geben würde.

Aidan schnitt unterdessen weiter. „Übrigens gibt es schon einige Gerüchte über dich. Sie sagen, du gehörst zu Sicarius Vita.“

„Oh ja?“

Landis schmunzelte, während er weiteraß.

„Und sie sagen, du wärst Mitglied der Rebellen.“

„Aha.“

Aidan beendete das Schneiden und gab das geschnittene Gemüse in eine Schüssel. „Willst du nichts dazu sagen?“

Landis schob den leeren Teller von sich. „Aidan, du musst unbedingt lernen, wie man mit Gerüchten umgeht. Wenn du einem widersprichst, heißt das für alle anderen nur, dass es wahr ist. Bei Gerüchten musst du einfach still sein und wenn du darauf angesprochen wirst, einfach vielsagend lächelnd und gar nichts sagen. Wenn du es verneinst, schürt das nur noch mehr Gerüchte.“

„Verstehe. Also wirst du nichts zu den Gerüchten sagen?“

„Absolut nichts. Und du gefälligst auch nicht. Hast du verstanden?“

Aidan nickte.

Zufrieden lächelnd stand Landis wieder auf. „Mein Kompliment an die Küche. Ich geh mich mal umziehen und dann nach Hause.“

Der Junge nickte noch einmal und sah Landis besorgt hinterher.

Ich hab ein ganz ungutes Gefühl dabei.
 

„Herein!“

Frediano betrat das Zimmer des Prinzen, schloss die Tür hinter sich und verneigte sich. „Mein Prinz.“

Svarog runzelte seine Stirn. „Was kann ich für Euch tun, Kommandant?“

Frediano stellte sich wieder aufrecht hin. „Mein Prinz, ich wollte wissen, wie zufrieden Ihr mit Eurem neuen Pagen seid.“

„Ihr stellt seltsame Fragen, Kommandant. Liegt es daran, weil Ihr Landis misstraut? Ich habe gehört, dass Ihr bereits Gerüchte geschürt habt. Habt Ihr ihn zumindest endlich getroffen?“

„Oh, vorhin während seiner Arbeit für Euch. Er ist immer noch genau so aufmüpfig wie früher.“

Svarog warf sein Haar zurück. „Ich finde, er ist ein sehr guter Page. Er tut alles, was ich ihm auftrage, ohne zu meckern oder zu jammern. Und er ist immer noch da.“

Frediano schmunzelte. „Ich rate Euch, vorsichtig zu sein, mein Prinz. Ich kenne Landis schon lange und weiß, dass er etwas im Schilde führt.“

„Danke für Eure Fürsorge, Kommandant. Ich möchte Euch nun bitten, mein Zimmer zu verlassen und Gerüchte über meinen Pagen zu unterlassen.“

Der Kommandant verneigte sich erneut, verabschiedete sich und ging wieder hinaus.

Genervt ließ Svarog sich auf seinem Stuhl nieder.

Ich muss darüber nachdenken, was ich gegen diese Gerüchte tun kann. Er ist ein guter Arbeiter und ich will ihn nur ungern deswegen wieder verlieren. Hmm, ich werde da als Prinz einschreiten. Anders geht es wohl nicht.

Er griff nach Pergament, Feder und Tinte und begann einen palastinternen Befehl aufzusetzen.

Im Kerker

Bald darauf herrschte wieder Schweigen im Palast, was Landis anging.

Aber in der Stadt kursierten die Gerüchte und wurden immer wilder. Es wurde sogar spekuliert, dass Landis Königin Juno vom Thron stoßen wollte.

Er hielt sich an seinen eigenen Ratschlag und beachtete die Gerüchte nicht. Genausowenig wie er Frediano beachtete, den er immer öfter traf.

Der Kommandant regte sich jedesmal ein wenig mehr darüber auf, was Landis ungemein freute.

Die Rebellen, mit denen er sich nachts traf, wurden allerdings immer eindringlicher, was die Pläne für die Entführung der Prinzessin anging.

Landis wollte die Prinzessin nicht entführen, er sah einfach keinen Sinn darin und genau das hatte er auch versucht, Aurora zu erklären, die allerdings immer nur lächelnd abgewunken und das Thema gewechselt hatte.

Da er nicht Prinz Svarogs Vertrauen enttäuschen wollte, wies Landis Aidan an, Fragen zu stellen und die Pläne zu beschaffen, was der Junge auch nur zu gern tat. Er war einfach der geborene Spion. Unauffällig, unschuldig aussehend und in den Augen vieler Frauen zu süß, um wahr zu sein.

So konnte Landis einen Monat nach seiner Ankunft in New Kinging endlich Ergebnisse bei den Rebellen abliefern.

Nicht nur hatte er detaillierte Karten des Palastes und des Kanalsystems bekommen, sondern auch die genauen Wachpläne, um den Wächtern zu entgehen.

Der Rebellenführer wirkte mehr als zufrieden. „Gute Arbeit, Landis. Das bringt uns einen sehr großen Schritt weiter.“

Landis schmunzelte, während die anderen miteinander flüsterten. Aurora dagegen ließ lächelnd den Blick schweifen.

Er hatte den Eindruck, dass sie jemanden suchte, möglicherweise hielt sie Ausschau nach dem Spion aus dem Palast, den Kenton damals Landis gegenüber erwähnt hatte.

Und wie es aussah, hatte sie ihn bereits entdeckt. Ihr Blick war auf einen Mann fixiert, der sein Möglichstes getan hatte, um sich den anderen anzupassen, aber eindeutig Geld hatte und um einiges gepflegter war.

Schlampige Vorbereitung, fuhr es Landis durch den Sinn. Wundert mich nur, dass er mich bei Kenton noch nicht...

Er hielt in seinen eigenen Gedanken inne. Möglicherweise hatte der Spion bereits etwas gesagt und genau deswegen hatte er die Arbeit im Palast überhaupt bekommen. Kenton wollte ihn im Auge behalten und ihn in flagranti erwischen, falls er etwas anstellen wollte.

Zumindest konnte er sich seinen früheren Freund so vorstellen.

Enttäuscht senkte er den Blick.

Habe ich hier überhaupt noch Freunde?

Aurora bemerkte seinen Stimmungswandel und griff nach seiner Hand, um diese zu drücken.

Die junge Frau lächelte ihm aufmunternd zu, er erwiderte das Lächeln.

Der Rebellenführer räusperte sich, um die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. „Jetzt haben wir alles, um einen Plan zu entwickeln. Bis zu unserem nächsten Treffen in einer Woche werden wir einen ausgereiften Plan haben.“

Landis runzelte seine Stirn.

Eine Woche und ausgereift, das passt irgendwie nicht zusammen.

„Damit löse ich das Treffen für heute auf, gehabt euch wohl.“

Kaum hatte er das gesagt, packte er die Karten zusammen und verschwand.

Die Versammlung dagegen löste sich nur langsam auf, kleinere Gruppen standen zusammen und unterhielten sich leise.

Nur der vermeintliche Spion lief bereits davon.

Aurora packte Landis' Arm und zog ihn eilig mit sich, als sie dem Mann folgte.

„Warum ziehst du mich da mit rein?“, zischte Landis.

„Weil es dich genauso angeht. Du weißt, dass er dich bereits verraten hat! Willst du das auf dir sitzen lassen?“

„Aber ich gehöre doch zu den Rebellen...“, erwiderte er lahm.

Aurora ignorierte ihn und zog ihn weiter mit sich.

Plötzlich blieb der Spion stehen und fuhr herum. „Warum verfolgt ihr mich?“

Die beiden blieben ebenfalls stehen, so dass zwischen ihnen einige Meter Abstand herrschten.

Der Blick des Spion war auf Landis gerichtet, aber Aurora ergriff das Wort: „Wir wollten wissen, wo du hingehst.“

„N-nach Hause.“

Aurora schmunzelte. Sie ließ Landis los und ging um die nächste Ecke. Nach kurzer Zeit kam sie mit Kenton am Arm wieder zurück. „Ich wusste nicht, dass es sich für Palastangestellte schickt, sich mitten in der Nacht in der Stadt zu treffen.“

Kenton riss sich von ihrem Arm los. „Das machen wir nur, um uns vor den Rebellen zu schützen, die unsere Königin stürzen wollen.“

Seine Augen blitzten Landis an. „Und ich dachte, deine Rückkehr würde uns alle freuen. Stattdessen gehst du zu den Rebellen und unterstützt sie.“

Bevor der Angeklagte sich verteidigen konnte, übernahm schon wieder Aurora das Wort: „Landis kann nichts dafür, Kenton. Ich habe ihn mitgeschleppt und ihn zu allem gezwungen. Er wollte den Rebellen gar nicht helfen.“

Der Spion schnaubte missbilligend.

Landis verkniff sich ein Seufzen. Natürlich war es die Wahrheit, aber warum sagte sie ihm das? Damit brachte sie sich doch nur in noch mehr Schwierigkeiten.

Kenton runzelte seine Stirn und sah Landis an. „Ist das wahr?“

Der junge Mann nickte. „Ja, ist es.“

Während der Berater ganz offensichtlich darüber nachdachte, ob er seinem alten Freund vertrauen konnte, schnaubte der Spion noch einmal. Etwas anderes konnte er wohl nicht.

„In Ordnung“, sagte Kenton schließlich. „Ich gebe dir noch eine Chance, Landis. Aber dich, Aurora, werde ich wegen Hochverrats festnehmen lassen.“

„Ich verstehe.“

Der Spion griff nach den Handfesseln, die er bei sich getragen hatte und legte sie der jungen Frau an.

„K-Kenton, willst du das wirklich tun?“, fragte Landis.

„Es ist meine Pflicht, Lan. Sie hat eine entscheidende Rolle bei diesem Komplott gespielt.“

Aurora lächelte Landis zu. „Es ist schon in Ordnung, mach dir keine Gedanken deswegen.“

Sie zwinkerte ihm zu. Es war also Teil ihres Plans, wann immer sie diesen gefasst oder ihn auch nicht eingeweiht hatte.

Landis spielte mit und senkte den Blick. „Versteh schon. Wenn es also sein muss...“

Kenton lächelte dankbar, dann nahm er Auroras Arm. „Lass uns gehen.“

Sie nickte.

Gemeinsam verschwanden Kenton, Aurora und der Spion in der Nacht.

Landis sah ihnen nachdenklich hinterher.

Was hat Aurora wohl vor?

Hier, in einer Seitenstraße von New Kinging, mitten in der Nacht, würde er keine Antwort bekommen, also ging er wieder in Richtung von Richards Haus, um darüber zu schlafen.

Vielleicht würde ihm ja am Morgen etwas einfallen, was Aurora erwähnt hatte und ihre Pläne offenbarte.
 

Kenton ging schweigend und bedrückt neben Aurora her, die ebenfalls still war, aber ununterbrochen lächelte.

Schließlich brach der Berater das Schweigen, indem er den Spion nach Hause schickte.

Der Mann bedankte sich und verließ die beiden eilig.

„Ich bin wirklich enttäuscht von dir“, seufzte Kenton schließlich. „Ich dachte, du wärst eine gute Person... und dann bist du Mitglied der Rebellen.“

Auroras Lächeln erlosch. „Denkst du wirklich, es ist so einfach, Kenton? Die Dinge sind komplizierter als sie dir erscheinen.“

„Dann erklär es mir!“, verlangte er. „Warum tust du das? Warum opferst du dich für Landis? Was hat er dir dafür versprochen?“

„Er hat mir gar nichts versprochen“, antwortete sie ernst. „Warum denkst du, dass jeder käuflich ist? Ich tue das, weil ich Landis mag. Nicht mehr und nicht weniger.“

Kenton schnaubte. „So so. Du tust das, weil du ihn magst. Wer tut das nicht?“

Sauer zog er an ihrem Arm, um sie weiterzuzerren.

„Du bist... eifersüchtig auf ihn, oder?“

„Eifersüchtig? Auf den beliebtesten Kerl von ganz Cherrygrove? Wie kommst du nur darauf?“

Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte auch noch ausgespuckt, da war sich Aurora sicher. Er verzog sein Gesicht. „Er kommt nach sieben Jahren wieder nach Hause und keiner ist sauer auf ihn, nein, alle freuen sich und tun so als wäre er nie fort gewesen! Und obwohl begründeter Verdacht besteht, dass er ein mehrfacher Mörder ist, will mir keiner zuhören! Und jetzt gehst du für ihn auch noch in den Kerker! Das hast du nicht verdient...“

„Ach, Kenton...“

Trotz der Ketten klammerte sie sich an seinen Arm. „Landis hat, unumstritten, eine besondere Aura an sich, die Leute anzieht. Aber... du bist nicht schlechter als er. Das darfst du nicht glauben. Und mach dir keine Sorgen... ich komme bestimmt wieder aus dem Kerker heraus, das weiß ich.“

Er sagte nichts, schüttelte sie nur ab, packte wieder ihren Arm und zog sie weiter.

Aurora senkte den Blick.

Hoffentlich merkt Landis schnell, worauf ich hinauswill...
 

Landis wurde am nächsten Morgen unsanft geweckt, als Richard panisch in sein Zimmer stürmte. „Landis! Dawn ist weg!“

Verschlafen richtete er sich auf. „Wer?“

„Dawn! Deine Adoptivtochter!“

Verständnislos sah sein Vater ihn an.

Da fielen Landis die Geschehnisse der letzten Nacht wieder ein.

Oh, verdammt! Was soll ich jetzt machen? Ich habe gar nicht darüber nachgedacht, was ich Papa sagen soll.

Auf die Schnelle versuchte er, sich irgend eine Ausrede einfallen zu lassen, aber Richards prüfender Blick machte es ihm nicht gerade einfach.

„Ähm, ist sie nirgends im Haus?“

„Ich habe sie schon überall gesucht, aber ich finde sie nicht. Denkst du, ihr ist etwas passiert?“

Es fiel Landis nicht leicht, Richard in das besorgte Gesicht zu sehen und ihm die Wahrheit vorzuenthalten, aber es musste sein. „Keine Sorge. Dawn ist eine Überlebenskünstlerin.“

„Sie ist ein kleines Mädchen“, erwiderte sein Vater.

Landis seufzte. „Keine Sorge, sie ist bald wieder da, ich kümmere mich darum.“

„Dann weißt du, wo sie ist?“

„So in etwa?“, antwortete er ausweichend.

Richard sah ihn mit gerunzelter Stirn an, dann wandte er sich um und verließ den Raum.

Landis schlug sich gegen die Stirn.

Ich bin so ein Idiot! Jetzt muss er mir ja misstrauen! Aber was hätte ich sonst sagen sollen? Ich kann ihm auch schlecht sagen, dass sie eigentlich eine erwachsene Frau ist, die letzte Nacht festgenommen wurde, nur weil wir bei den Rebellen gewesen waren.

Schließlich stand er auf. Immerhin musste er auch noch arbeiten gehen und vielleicht würde ihn das ein wenig ablenken.
 

Svarog fing ihn direkt am Hintereingang ab. „Landis, ich habe gehört, dass eine Freundin von dir im Kerker sitzt.“

Verwirrt sah Landis den Prinzen an. „Ähm, ja... und... nun? Bin ich entlassen?“

„Wo denkst du hin? Natürlich nicht. Ich bin nur etwas irritiert darüber, dass man euch beide bei den Rebellen gesehen hat.“

Der Page verzog sein Gesicht. „Ich wollte da ja gar nicht hin. Aurora hat mich gezwungen hinzugehen.“

Es war nicht einmal gelogen.

Svarog wirkte außerordentlich erleichtert. „Sehr gut. Ich hätte dich ungern als Pagen verloren.“

Landis schmunzelte. „Ich bin froh, dass ich eine so große Hilfe für Euch bin, Eure Hoheit.“

„Ich könnte mir vorstellen, dass du dich mit deiner Freundin noch einmal unterhalten möchtest, oder?“

„Noch einmal... was geschieht denn mit ihr?“

„Hochverräter werden mit dem Tode bestraft“, erklärte Svarog, offensichtlich verwundert darüber, dass Landis das nicht wusste.

Für seine Dummheit hätte der Page sich am liebsten geohrfeigt. Er hätte sich selbst denken können, dass New Kinging so mit seinen Rebellen umging.

Aber warum wurden die anderen Rebellen nicht belangt, wenn man schon einen Spion dort hatte?

Er stellte dem Prinzen die Frage. Dieser runzelte seine Stirn. „Sir Kenton hat gesagt, dass Aurora der Kopf der Rebellen ist. Das hat sie ihm selbst gesagt.“

Aber das ist gelogen. Warum tut Kenton das?

„Willst du jetzt noch mit ihr reden?“, fragte der Prinz.

Landis nickte. Er ließ sich den Weg zu den Kerkern erklären und ging dann direkt dorthin.

Warum tut Kenton das nur? Oder hat Aurora wirklich behauptet, dass sie die Anführerin der Rebellen ist? Aber warum sollte sie? Ach, ich verstehe diese Frau einfach nicht.

Der Kerker lag, wie er es auch aus unzähligen Büchern und Geschichten kannte, im Kellergeschoss des Palastes. Aber im Gegensatz zu den Geschichten war es nicht feucht und dunkel.

Viele Fackeln erhellten das Untergeschoss, eine angenehme Wärme erfüllte den Keller. An einem Tisch saß ein Wächter und blätterte in einem Buch. Viel zu tun gab es wohl nicht.

Der Mann sah auf. „Kann ich helfen? Es ist noch keine Essenszeit.“

„N-nein, ich möchte eine Gefangene besuchen.“

„Oh, die rothaarige Frau?“

Bei Landis' überraschten Gesichtsausdruck brach der Wächter in Lachen aus. „Derzeit gibt es nur eine Gefangene. Ganz davon abgesehen, dass wir auch nur noch einen anderen Gefangenen haben und das ist Sir Dorugon.“

„Király hat wohl nicht viele Feinde, hm?“

Der Wächter schmunzelte. „Die Feinde arbeiten alle mit Frediano.“

Kaum hatte er bemerkt, was er gesagt hatte, zog er den Kopf zwischen die Schultern. Landis winkte hastig ab, bevor der Mann sich entschuldigen konnte. „Schon in Ordnung. Kann ich jetzt zu Aurora?“

Erleichtert deutete der Wächter auf eine weitere Treppe. Ein Gitter lehnte an der Wand. Es diente wohl dazu, die Treppe nachts oder bei einem eventuellen Ausbruch abzusperren.

Landis bedankte sich freundlich und ging hinunter.

Im richtigen Kerkertrakt war es düsterer, die Fackeln zehrten von ihrem flüssigen Brennstoff.

Die Zellentüren waren aus dickem Stahl, mit einem vergitterten Sichtfenster darin.

Die erste Zelle, in die Landis blickte, war besetzt. Aber nicht mit Aurora.

„Sir Dorugon?“

Der alte Mann hob seinen Kopf. Sein Gesicht wirkte ausgemergelt, aber keinesfalls krank. Zumindest wurden die Gefangenen also gut behandelt.

„Sir Dorugon, Ihr seid es wirklich?“

Fragend sah er ihn an. „Wer bist du, Junge?“

„Mein Name ist Landis, ich bin der Sohn von Richard und Asterea. Erinnert Ihr Euch nicht an mich?“

Noch mehr Falten erschienen auf Dorugons Stirn, während er darüber nachdachte, ob er den Namen wirklich kannte.

Landis rechnete natürlich nicht damit. Er war nur einer von vielen Auszubildenden gewesen, aber plötzlich erschien in Dorugons Augen der Funke des Wiedererkennens. „Natürlich. Du und Nolan, ihr habt mir während eurer Ausbildung viel Ärger beschert. Ihr beide wart unzertrennlich... und dann bist du gegangen.“

Es war traurig, was aus dem einstmals stolzen Mann geworden war, aber immerhin erkannte er noch, wen er vor sich hatte.

Landis nickte. „Das ist richtig. Ähm... Sir Dorugon, ich wollte Euch etwas fragen.“

„Was machst du hier?“, fragte der alte Mann weiter. „Warum bist du wieder nach New Kinging gekommen?“

Er schien Landis' Frage gar nicht gehört zu haben.

„Ich bin wegen -“

„Landis!“

Auroras Stimme ließ ihn inne halten.

Er sah zu der Zelle, direkt daneben. Aurora sah ihn durch die Gitter hindurch an und schüttelte sacht den Kopf. „Sprich ihn nicht darauf an. Ich habe es gestern gemacht und es hat Stunden gedauert, bis er sich wieder beruhigt hatte.“

Landis sah noch einmal in Dorugons Zelle. Da der Mann bereits wieder in seine eigenen Gedanken vertieft zu sein schien, ging der Page zu Aurora hinüber. „Wie geht es dir?“

Sie lächelte. „Sehr gut. Man kümmert sich gut um mich. Kenton hört mir sogar immer zu, wenn ich etwas zu sagen habe~“

Offensichtlich hatte sie ihren Spaß bei der ganzen Sache, auch wenn Landis nicht wusste, wie sie sich über diese Situation amüsieren konnte. Außerdem überkam ihn der Eindruck, dass sie ihm mit dem letzten Satz noch mehr sagen wollte, aber seine eigenen Fragen ließen nicht zu, dass er darüber im Moment nachdachte.

„Sag mal, hast du denen wirklich erzählt, dass du die Anführerin der Rebellen ist?“

Ihr Lächeln wurde zu einer entschuldigenden Grimasse. „Ich habe nur nicht gesagt, dass ich es nicht bin. Kenton hat seine eigenen Schlüsse gezogen.“

Er griff sich seufzend an die Stirn.

Sie entschuldigte sich eilig, aber er winkte ab. „Ich hole dich hier schon irgendwie raus, aber trotzdem... was wolltest du eigentlich hiermit erreichen?“

Als ob sie nur darauf gewartet hätte, brach es sofort aus ihr heraus: „Ich habe deinen Sir Dorugon über den Grund seines Hierseins genauer befragt.“

„Und? Was kam heraus?“

„Dein alter Freund hat sich wirklich sehr angestrengt und sich in Unkosten gestürzt. Er hat sich Leute aus den Nachbarländern gekauft, um Sir Dorugon glaubhaft zu beschuldigen. Und auch die angeblichen Beweise sind gefälscht worden.“

„Dann brauche ich Beweise dafür“, sagte Landis nachdenklich.

„Viel Erfolg“, erwiderte Aurora. „Ich hoffe, du schaffst es.“

In Gedanken setzte er es auf seine Liste der noch zu erledigenden Dinge.

Eine Liste, die immer länger zu werden schien. Langsam wusste er nicht mehr, was er noch tun sollte.

Aurora räusperte sich. „Lan, derjenige, der Frediano dem Kontakt zu den Ausländern verschafft hat, ist vor kurzem verstorben.“

„Du meinst, es war der Bürgermeister von Cherrygrove?“

Sie nickte heftig.

Das könnte meine Chance sein!, durchfuhr es ihn triumphierend. Dazu muss ich nur mit ihr reden.

„Okay, danke Aurora. Ich verspreche dir, dass ich dich bald wieder hier raushole.“

„Ich vertraue dir, Lan. Ich weiß, dass du es schaffen wirst.“

Er nickte lächelnd.

Ich weiß zwar noch nicht wie, aber irgendwie werde ich das schon hinkriegen.

Ein Tag ohne Landis

Wenig später hatte Landis bereits Urlaub bekommen und New Kinging mit unbekanntem Ziel verlassen. Allerdings hatte er Svarog versprochen, wirklich wiederzukommen.

Der Prinz glaubte ihm das. Er sah keinen Grund, Landis zu misstrauen, egal was Frediano und Kenton über ihn erzählten.

Es war bekannt, dass die beiden Männer eifersüchtig auf den Pagen waren. Svarog konnte den Grund verstehen. Egal, was Landis tat oder wie dumm er sich bei etwas anstellte, er hatte eine derart sympathische Ausstrahlung, dass jeder sofort in seinen Bann gezogen war.

Auch der Prinz war fasziniert von dem jungen Mann, weswegen ihm die Dunkelheit, die unter der Oberfläche seiner Auge schimmerte, auch herzlich egal war.

Wichtig war ihm nur, dass Landis seine Arbeit erledigte. Und das tat er, ohne zu jammern. Eine Tatsache, die Svarog wirklich respektierte, bislang hatte jeder seiner Pagen sich immerzu beklagt.

Obwohl er sich nicht für Landis' Vergangenheit interessierte, interessierte er sich doch für dessen Freunde, weswegen er den Küchenjungen Aidan für heute mit zwei Tassen Tee in sein Zimmer bestellt hatte.

Der Junge schien nicht im Mindesten nervös zu sein, während er auf einem Stuhl saß und sich eingehend umsah.

Svarog lächelte ihn an. „Du bist also Aidan, nicht wahr? Ich habe gehört, dass du ein Freund von Landis bist.“

Aidan richtete seine Aufmerksamkeit auf den Prinzen und nickte. „Das ist richtig. Landis hat meiner Schwester und mir geholfen, als wir ein wenig jünger waren und hat uns dann mit sich genommen.“

„Du hast eine Schwester?“

„Ja. Meine Zwillingsschwester Nadia arbeitet in einer Taverne hier in der Stadt. Wir haben unsere Mutter schon früh verloren und unseren Vater kennen wir nicht. Wir haben uns alleine durchgeschlagen, bis Landis kam und uns aufnahm.“

Die Worte flossen ungefragt aus ihm heraus als ob er nur auf die Gelegenheit gewartet hätte, jemandem davon zu erzählen. Svarog störte sich nicht daran, er begrüßte dieses Verhalten sogar.

Der Prinz hob die Tasse an seine Lippen und nahm einen Schluck Tee, bevor er eine weitere Frage stellte: „Hat Landis nicht schon eine Adoptivtochter?“

Aidan schien sich verpflichtet zu fühlen, ebenfalls einen Schluck zu trinken, bevor er antwortete: „Ja, Dawn. Die hatte er aber schon, als wir ihn kennenlernten.“

„Müsste sie dann nicht schon ziemlich alt sein?“

Misstrauisch geworden sah Aidan ihn mit gerunzelter Stirn an. „Ihr stellt ziemlich viele Fragen.“

Die Stimmung war plötzlich angespannt, der Prinz räusperte sich. „Es tut mir Leid, ich wollte nicht zu neugierig werden. Eigentlich interessiere ich mich auch mehr für deine Geschichte als für die von Landis.“

Doch hatte er geglaubt, dass das Misstrauen damit verschwinden würde, so hatte er sich geirrt.

„Weswegen?“

Svarog hatte nicht mit dieser Frage gerechnet, so dass es ihn aus dem Konzept brachte. Gerade eben hatte Aidan noch so freimütig von sich geredet, nun schien er verschlossen und undurchdringlich zu sein.

Der Junge betrachtete ihn neugierig, während er auf die Antwort wartete.

Schließlich räusperte der Prinz sich noch einmal. „Nenn es Neugier. Landis polarisiert die Menschen, die ihn kennen. Entweder man hasst oder man liebt ihn. Und mich interessieren die Umstände derjenigen, die seine Freunde sind.“

Aidans Gesicht hellte sich auf. „Ich dachte schon, Ihr wolltet mich nur über Landis ausfragen.“

„Wenn es um ihn geht, bist du ziemlich vorsichtig, hm?“

Der Küchenjunge nickte. „Natürlich, immerhin...“

Er unterbrach sich selbst.

Svarog sah ihn neugierig an, aber egal wie lange er wartete, Aidan beendete den Satz nicht.

Schließlich winkte der Prinz ab. „Schon in Ordnung, reden wir über ein anderes Thema. Erzähl mir mehr von dir und deiner Schwester, in Ordnung?“

Aidan nickte erleichtert und begann zu erzählen.
 

Unterdessen saß Nolan, der einen freien Tag hatte, in dem Restaurant, in dem er sich auch damals mit Landis, Kenton und Aurora getroffen hatte.

So viele Dinge waren seitdem geschehen.

Landis stand im Verdacht, Mitglied einer terroristischen Einheit zu sein.

Kenton verbreitete diesen Verdacht so gut er konnte.

Aurora saß im Gefängnis und Oriana war immer öfter geistig abwesend. Er war sich sicher, dass sie über Landis und Kentons Äußerungen nachdachte.

Nolan seufzte. Prima. Meine Freunde verändern sich alle, nur ich bleibe derselbe. Vielleicht sollte ich mir neue Freunde besorgen. Nein, das wäre zu einfach. Aber ich werde irgendwie herausfinden müssen, was es mit Lan und diesen Verdachtsmomenten auf sich hat.

Es war noch recht früh am Tag, weswegen das Restaurant ziemlich leer war. Dementsprechend saß die einzige Kellnerin am Bartresen und wartete darauf, dass sie von Nolan oder dem finsteren Gast in der Ecke gerufen wurde.

Er kannte die junge Frau nicht, sie musste von außerhalb kommen. Vielleicht hatte Landis sie auch mitgebracht.

Jedenfalls stand ihr die Uniform gut, auch wenn sie leicht an die Kleidung der weiblichen Palastangestellten erinnerte. Vielleicht war das Absicht – oder das Zeichen eines unkreativen Schneiders.

Auch ihr Zopf stand ihr gut zu Gesicht. Alles in allem entsprach sie genau seinem Geschmack, aber er war sich nicht sicher, ob er wirklich mit ihr flirten sollte. Immerhin wollte er noch öfter in dieses Restaurant kommen und er wusste nicht, wie Landis zu ihr stand.

Er trank das Glas aus und rief schließlich nach der Bedienung.

Sie stand auf und lief zu ihm hinüber. „Kann ich Ihnen noch etwas bringen?“

Ihr Lächeln wirkte aufgesetzt, aber Nolan erwiderte es mit einem richtigen Lächeln. „Ich könnte ein wenig Gesellschaft vertragen.“

Sie verzog ihr Gesicht. „Uh, ich fürchte...“

Sie warf einen Blick zu dem Mann, der in der Ecke saß.

Nolan glaubte, ihren Gedankengang sehen zu können. Hastig winkte er ab. „Nein, nein, so meinte ich das nicht! Verzeiht mir!“

Er stand auf und verneigte sich. „Es ist nur so, dass meine Freunde derzeit alle beschäftigt sind und auch noch niemand anderes hier ist. Warum sollten wir uns also nicht unterhalten, statt uns beide zu langweilen?“

Sie schien zu überlegen, doch schließlich reichte sie ihm die Hand. „Mein Name ist Nadia.“

„Nolan.“

Er schüttelte ihre Hand. In ihrem Gesicht konnte er die Überraschung erkennen. „Oh, dann bist du... Landis' Freund?“

Er bat sie, Platz zu nehmen und setzte sich ebenfalls. „Du kennst Landis?“

Sie waren ohne Vorwarnung auf eine persönliche Ebene gewechselt, aber keinen von beiden schien es zu stören.

Nadia nickte. „Oh ja. Landis hat mich hierher gebracht und mir auch von diesem Job erzählt. Kellnern ist zwar nicht so mein Spezialgebiet, aber immer noch besser als so manch andere Sache.“

Nolan schmunzelte. „Wie schafft Landis es nur, immer solche hübschen Frauen aufzutreiben?“

„Oh, du hast also Aurora getroffen? Sie ist wunderschön, nicht?“

„Ja, das stimmt. Aber jetzt ist sie ja im Kerker, nicht?“

Die Nachricht, dass diese schöne Frau zu den Rebellen gehörte und nun hingerichtet werden sollte, hatte ihn ziemlich hart getroffen. Aber man konnte an der Entscheidung nichts mehr ändern - es sei denn, es würden sich Beweise finden lassen, die auf ihre Unschuld hinwiesen.

„Ich glaube, das gehört zu ihrem Plan“, sagte Nadia nachdenklich.

Fragend sah Nolan sie an. Sie erwiderte den Blick. Plötzlich wurde ihr bewusst, was sie gesagt hatte. „Oh, oh! Vergiss das bitte wieder. Ich habe nie etwas gesagt, ja?“

Plan? Was für ein Plan? Ob es stimmt und Landis wirklich zu diesen Leuten gehört? Aber... warum? Warum sollte Landis so etwas tun? Das macht doch keinen Sinn.

Wie so oft taten sich viele Fragen in Nolans Kopf auf. Von selbst fand er keine Antworten – aber vielleicht konnte Nadia sie ihm liefern.

„Nadia, hast du von den Gerüchte gehört, die um Landis kursieren?“

Ihre Augen weiteten sich erschrocken, fast schon panisch schüttelte sie den Kopf. „Die sind nicht wahr! Gar nichts davon ist wahr!“

Der Mann in der Ecke schüttelte seufzend seinen Kopf.

Nolan runzelte seine Stirn. Beschämt senkte sie den Blick. „Oh, bitte, vergiss, was ich gesagt habe. Ich will nicht, dass Landis wegen mir Schwierigkeiten bekommt.“

„Schon gut, vergiss es. Lass uns das Thema wechseln.“

Sie atmete erleichtert aus. „Vielen Dank.“

Er lächelte. „Gut. Reden wir über etwas Interessanteres.“

„Ja. Erzähl mir von deinem Job als Kavalleristen, ja? Was muss man tun? Wie ist das so?“

Nolan lächelte und begann ihr von seinem Alltag in der Kavallerie zu erzählen.
 

Wie an vielen Tagen, verbrachte Milly ihren Nachmittag bei Richard, dem das sehr gelegen kam, wenigstens lenkte ihn das von Dawns Verschwinden und Landis' kleiner Reise ab.

Zumindest hatte er das gehofft, aber dem war nicht so.

Milly war traurig darüber, dass Dawn nicht mehr hier war und die Frage nach Landis' Aufenthaltsort ließ ihn nicht mehr los.

Seit er zurückgekommen war, verhielt sein Sohn sich seltsam. So als ob er gar nicht mehr Landis wäre. Wenn er sich nicht an Dinge aus seiner Vergangenheit erinnert und bestimmte Verhaltensmuster gezeigt hätte, hätte Richard mit Sicherheit nicht geglaubt, dass dieser Mann sein Sohn wäre.

Sieben Jahre lang war Landis weg gewesen.

In diesen Jahren hatte sich so viel verändert, vielleicht war Landis auch nicht mehr er selbst.

Und wenn er wirklich ein Teil von Sicarius Vita geworden war?

Wenn er ein Verbrecher geworden war, so wie seine Mutter? Nein, sogar noch schlimmer.

Vielleicht war Dawn gar nicht verschwunden, sondern Landis hatte sie...

Nein, so etwas wollte Richard gar nicht denken.

Sein Sohn konnte nicht in der Lage sein, ein wehrloses kleines Mädchen zu töten.

Oder etwa doch?

Möglicherweise war er nicht nur für einige Tage weg, sondern für immer.

Vielleicht...

Etwas riss ihn aus seinen Gedanken.

Richard sah hinunter. Milly zupfte an seinem Ärmel. „Opa Richard, was ist los? Warum bist du so traurig?“

„Das hat keinen Grund“, erklärte er ruhig.

„Es ist wegen Dawn, oder?“

Richard seufzte.

Die Zeit mit ihrer depressiven Mutter hatte sie für Gefühle und Gedanken anderer empfänglich werden lassen, also konnte er es wohl nicht mehr abstreiten.

Er nickte. „Und wegen Landis. Milly, was denkst du? Ist Landis ein guter Mensch?“

Das Mädchen nickte lächelnd. „Ja, das denke ich. Er verbirgt vielleicht einiges, aber man kann sehen, dass er ein guter Mensch ist. Anders als mein Papa.“

Frediano verbrachte wirklich wenig Zeit mit ihr, was einer der Gründe war, warum sie ihn nicht mochte. Ein weiterer Grund war sein Verhalten gegenüber Oriana.

Manchmal fand Richard es erschrecken, dass Milly so viel von alldem mitbekam, aber im Grunde war es nicht wirklich seine Sache.

Zumindest bei ihm konnte Milly ihre Ruhe finden.

Sie lächelte, tätschelte Richards Wange und spielte wieder weiter.

Der Mann lächelte ebenfalls und beobachtete sie dabei.

Ankündigung

Old Kinging lag mehrere Kilometer südlich von New Kinging und war die ehemalige Hauptstadt des Landes. Ein Dämonenangriff vor 53 Jahren hatte die Stadt und besonders den alten Palast verwüstet und in eine Ruine verwandelt.

Anschließend waren die Überlebenden der Königsfamilie auf ihren Sommersitz gezogen. Mit der Zeit waren die Einwohner ihnen gefolgt und so war New Kinging entstanden.

Inzwischen war Old Kinging verwaist und seit es Gerüchte über seltsame Erscheinungen gab, traute sich niemand mehr in die Nähe der Stadt.

Für Landis war sie dennoch das Ziel.

Mit langsamen Schritten lief er durch die verwaiste Stadt. Er hatte keinen Blick für die Ruinen oder leerstehenden Häuser, dafür hatte er sie vor seiner Ankunft in New Kinging zu oft gesehen und auch gründlich durchsucht.

Eine Bewegung aus dem Augenwinkel ließ ihn innehalten.

Oh-oh... verdammt.

Er sah auf den Boden und entdeckte einen kaum sichtbaren Draht unter seinem Fuß. Ganz offensichtlich hatte er eine der Fallen ausgelöst.

Ich hab Yarah gesagt, sie soll keine neuen Fallen aufbauen.

Für mehrere Sekunden verharrte er in seiner Position, er holte tief Luft. Schließlich sprang er zurück.

Der Draht schnellte hoch, eine mannsgroße Marionette baute sich vor ihm auf.

Landis seufzte. „Mann, Yarah, lass das endlich. Ich bin es nur.“

Ein Kichern erklang von der Marionette, im nächsten Moment zerfiel sie bereits in ihre Einzelteile und wurde von fast unsichtbaren Drähten wieder fortgezogen.

Er mochte die Marionetten nicht, aber sie waren immerhin sehr nützlich, weswegen er Yarah erlaubt hatte, sie weiterhin zu benutzen.

Landis setzte seinen Weg in Richtung des Palastes fort.

Tatsächlich schaffte er es, weiteren Fallen durch aufmerksames Beobachten zu entgehen und schließlich das Haupttor hinter sich zu lassen.

Nicht viel hatte sich seit seiner Abreise verändert. Eigentlich gar nichts, wenn er es richtig sah.

Der Springbrunnen spuckte immer noch kein Wasser, die Pflanzen wucherten wild in ihren Beeten und die Statuen waren entweder zerfallen oder total zugewachsen.

Der Haupteingang des Palastes war eingestürzt, so dass er außen herum laufen musste, bis er eine große Öffnung in der Wand fand, die mit einem Tuch verhangen worden war.

Landis betrat das Innere des Palastes und ignorierte die Trümmer, die herumlagen.

Zumindest einen Teil hatten sie bereits aus dem Weg geräumt, als sie sich hier niedergelassen hatten – auch wenn keiner von ihnen wusste, wie lange sie hier bleiben wollten.

Landis war sich auch nicht sicher. Einerseits würde er gern in New Kinging bleiben, bei Oriana, Nolan und seinem Vater – aber andererseits hatte er einen Plan und wenn er diesen ausgeführt hatte, konnte er unmöglich weiter in New Kinging bleiben.

Er seufzte leise, während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen.

Solange hatte er sich auf das Wiedersehen gefreut und dann würde er einfach alles wieder zurücklassen müssen. Das war bestimmt nicht im Sinne von Ephrahim gewesen, dem Anführer der Geflügelten... der Rasse, deren Auslöschung er beigewohnt hatte und von der er den Anstoß für diese Aufgabe bekommen hatte.

In einem Raum im Keller fand er schließlich eine blonde Frau mit zwei langen Zöpfen. Vergnügt pfeifend stand sie mit dem Rücken zu ihm und schien sich etwas zu essen zu machen.

„Yarah?“

Sie fuhr herum. Ihre grün-blauen Augen musterten ihn einen Moment, bevor sie schließlich fröhlich leuchteten. „Ah, Lan, du bist es!“

„Natürlich bin ich es“, meinte er genervt. „Du weißt, dass ich es bin. Du hast mich durch deine Marionette gesehen.“

Sie kicherte wieder. „Oh ja, stimmt. Du hast mich durchschaut. Was machst du hier? Ist irgend etwas passiert?“

Landis erzählte ihr von seiner Unterhaltung mit Aurora im Kerker des königlichen Palastes. Yarah hörte ihm aufmerksam und ungewohnt ernst zu. Hin und wieder nickte sie als Zeichen, dass sie verstand, ohne ihn zu unterbrechen.

„Dann bist du also hier, um mit Kureha zu sprechen“, fasste sie am Ende zusammen.

„Ganz genau. Sie ist die einzige, die mir im Moment helfen kann, um mit dem Bürgermeister zu sprechen. Möglicherweise hat er einige Informationen mehr, die Dorugons Unschuld und Fredianos Schuld beweisen.“

Yarah runzelte ihre Stirn. „Willst du Frediano hinter Gittern bringen? Dein Plan sah doch ursprünglich anders aus.“

„Na ja...“

Sie seufzte. „Du bist weich geworden, nicht? Oh, Junge. Na ja, mir kann es egal sein. Kureha ist im Palastgarten. Ein bisschen frische Luft schadet ihr nicht.“

„Danke, Yarah. Ach ja... ich habe dir gesagt, keine neuen Fallen, klar?“

„Okay, okay.“

Sie wandte sich wieder ab, um sich weiter um ihr Essen zu kümmern.

Landis verließ den Keller und kehrte wieder ins Erdgeschoss zurück.

Yarah hatte früher Theaterstücke mit Marionetten veranstaltet. Mit ein wenig Draht konnte sie diese Wesen quasi zum Leben erwecken. Sie hatte sich der Gruppe nur angeschlossen, weil ihr das zu langweilig geworden war.

Aber nichtsdestotrotz war sie sehr hilfreich – in vielen Bereichen.

Kureha dagegen hatte Landis aus einem Keller befreien müssen. Ihre Familie hatte sie dort aus Furcht eingesperrt. Deswegen genoss sie die Sonne und die frische Luft umso mehr und verbrachte viel Zeit draußen.

Landis betrat den Garten durch die zersplitterten Glastüren und folgte dem angelegten Kiesweg. Zerstörte Marmorstatuen und Springbrunnen standen am Wegesrand, die Hecken waren während des Angriffs niedergebrannt worden und wuchsen nicht mehr nach, weswegen er das schwarzhaarige Mädchen bald entdeckt hatte.

Sie saß auf einer Marmorbank und starrte mit ihren goldenen Augen die Überreste eines einstmals schönen Brunnens an. Um ihren Hals war ein Verband geschlungen, um die Narben zu verdecken, die sie von ihrer Gefangenschaft zurückbehalten hatte.

Landis setzte sich neben sie. „Und? Was hörst du gerade?“

„Viele Menschen waren hier glücklich“, antwortete sie leise.

Sie sprach immer sehr leise, was die anderen bereits gewohnt waren. Auch dass laute Geräusche sie leicht verschreckten, war allen bekannt.

Kureha lächelte leicht. „Was kann ich für dich tun, Landis?“

Wie vorhin Yarah, erzählte er nun auch dem Mädchen von seinem Gespräch mit Aurora im Kerker.

„Der Bürgermeister war ein böser Mann“, sagte sie. „Ich weiß nicht, ob ich mit ihm sprechen kann.“

„Kureha, es ist wirklich wichtig für mich.“

Das Mädchen nickte verstehend. „Ich weiß. Und deswegen werde ich versuchen, dir zu helfen.“

Er atmete erleichtert aus und bedankte sich bei ihr. „Du hilfst mir wirklich ungemein weiter, Kureha.“

Sie nickte nur leicht und stand auf. Mit ihren zwölf Jahren war sie im Stehen genauso groß wie Landis, während er saß.

Sie stellte sich vor ihn und hob ihre Hände. Eine blau schimmernde Kugel erschien zwischen ihren Handflächen. Sie schloss ihre Augen und konzentrierte sich.

Leise Stimmen erklangen aus dem Inneren der Kugel und wurden langsam lauter.

Landis erinnerte sich daran, dass ihm ihre Fähigkeit ein wenig unheimlich gewesen war. Genau wie vielen anderen Leuten, inklusive ihrer Eltern.

Doch im Gegensatz zu den anderen hatte er sich, allein aufgrund von Auroras Druck, damit auseinandergesetzt und gelernt, dass es nichts zu befürchten gab.

Kureha konnte mit kürzlich Verstorbenen in Kontakt treten, mit ihnen reden und ihre Gefühle wiedergeben. So hatte sie auch mit seiner Mutter gesprochen, kurz nachdem sie gestorben war. Er wusste, weswegen und woran sie wirklich gestorben war. Die anderen hatten ihn angelogen. Doch er konnte es ihnen nicht verübeln - sie kannten die wahren Umstände ihres Todes nicht, sahen nur das Offensichtliche und hatten es als Wahrheit angenommen. Und das Offensichtliche hatten sie ihm nicht entgegenschleudern wollen.

Schließlich erklang die Stimme des Bürgermeisters. Landis erkannte den strengen, grimmigen Ton sofort. Es war wie ein Hauch von Heimat.

Er und Nolan hatten oft Ärger bekommen, weil sie sich nicht an Regeln gehalten hatten, die grimmige Stimme brachte ihn seiner Vergangenheit näher als ihm im Augenblick lieb war.

Die verschiedenen Stimmen aus dem Jenseits sprachen durcheinander, so dass es für Außenstehende unmöglich war, einer bestimmten Stimme länger zuzuhören.

Kureha führte das Gespräch mit dem Bürgermeister in ihrem Inneren. Sie konzentrierte sich so sehr darauf, dass ihre ausgestreckten Arme zu zittern anfingen.

Landis seufzte lautlos.

Er wusste nicht, wie Kureha das aushielt. Ihn irritierten die Stimmen bereits als Außenstehender und ließen ihn fast wahnsinnig werden.

Schließlich verblasste die blaue Kugel wieder. Kureha öffnete ihre Augen. „Landis...“

„Ja?“

Schweigend sah sie ihn an.

Es dauerte immer seine Zeit, bis sie nach einem Totenanruf wieder richtig ansprechbar wurde. Ihr gequälter Gesichtsausdruck tat Landis dabei immer in der Seele weh. Es erinnerte ihn an ein Mädchen, das er als Kind gekannt hatte, Bethany. Sie hatte zu ihrem Freundeskreis gehört. Doch eines Tages war sie schwer krank geworden. Keine Medizin, kein Arzt hatte ihr helfen können.

Gegen Ende hatte sie unter dauerhaften Schmerzen gelitten und dabei denselben gequälten Ausdruck gehabt wie Kureha nach den Totenanrufen.

Aber am Ende hatte Bethany diesen vollkommen entspannten und friedlichen Gesichtsausdruck gehabt. Sie hatte gelächelt, während alle anderen geweint hatten. Er hoffte, dass er das in diesem Zusammenhang nie bei Kureha sehen müsste.

Kureha entspannte sich sich wieder. „Also, ich habe mit ihm gesprochen. Und... er sagte, er hätte das gemacht. Er hatte durch seinen Schwager Kontakt zu diesen Ausländern – und im Gegenzug für seine Hilfe hat Frediano ihm, dem Schwager und den Ausländern viel Geld gegeben.“

Landis machte ein nachdenkliches Gesicht.

Wie ich es mir dachte. Geld genug hat Frediano ja. Und vom Stil her würde es auch zu ihm passen.

„Aber warum? Was hat Frediano im Endeffekt vor?“

Kureha schüttelte ihren Kopf. „Das wusste er nicht. Es ging nur darum, dass Sir Dorugon seinen Posten verliert und Frediano als sein Nachfolger bestimmt wird.“

Er wollte also eindeutig den Posten als Kommandant der Kavallerie. Aber wofür genau? Nur deswegen würde er doch nicht dieses Risiko eingehen...

„Ich habe auch mit Owain gesprochen... dem verstorben König.“

„Dem Mann von Königin Juno?“, fragte Landis.

Kureha nickte.

Seine Majestät starb vor 18 Jahren, kurz nach der Geburt von Prinzessin Selene, am Biss einer giftigen Schlange – so wird zumindest gemunkelt. Könnte doch etwas anderes dahinterstecken? Oder war der Schlangenbiss von jemandem geplant?

„Er sagte, es wäre kein Unfall gewesen... die Schlange wäre vorsätzlich in den Wald und an seinen Ruheplatz gebracht worden.“

„Frediano kann es aber nicht gewesen sein“, meinte Landis schmunzelnd. „Der war da gerade mal acht Jahre alt.“

Lächelnd schüttelte sie ihren Kopf. „Der war es auch nicht. Aber dafür sein Vater.“

„Aber warum?“, fragte Landis. „Und wie konntest du überhaupt mit ihm reden? Sein Tod ist 18 Jahre her.“

„Manchmal kommt es vor, dass ein Toter sich so sehr anderen mitteilen will, dass er es schafft, mit mir oder einem anderen Medium Kontakt aufzunehmen. Owain gehört wohl dazu.“

Landis nickte verstehend. „Natürlich. Alle glauben, dass die Schlange ihn zufällig erwischt hätte. Und Kommandant Caulfield wirkte auch untröstlich genug, dass ihm jeder glaubte, dass es auch für ihn ein schwerer Schlag gewesen wäre.“

Wie perfide. Die Caulfields scheinen diese hinterhältigen Pläne im Blut zu haben.

„Du musst Frediano damit konfrontieren“, sagte Kureha. „Wenn du in New Kinging bleiben willst, musst du ihn dazu bringen, dass er zugibt, was er getan hat. Dann musst du ihn nicht...“

Sie hielt inne, als sie schnelle Schritte hörte.

Yarah blieb neben ihnen stehen. „Da bist du ja, Lan. Ich habe eine dringende Nachricht – von Aidan.“

Sie wedelte mit einem Zettel in der Luft herum.

„Wieso? Was ist so wichtig?“, fragte Landis leicht genervt.

Eigentlich hatte er gehofft, dass er mit Kureha noch über seine Wünsche hätte reden können, aber so ging das wohl doch nicht.

„Also, was ist los?“, fragte er noch einmal, als Yarah keine Anstalten machte, weiterzureden.

„Es wird dir nicht gefallen, Lan. Aber...“
 

Sicarius Vita hat uns einen Anschlag angesagt?“

„Korrekt, Eure Majestät.“

Königin Juno wirkte über diese Nachricht und den Brief in ihrer Hand nicht sonderlich erfreut. Die sonst so jung wirkende Königin hatte ihre Stirn gerunzelt und sah Kenton und Frediano, die ihr die Nachricht überbracht hatten, an.

Der Brief kündigte einen baldigen Anschlag auf die Königsfamilie an. In jeder Stadt waren einem Angriff eine solche Ankündigung vorausgegangen.

Juno schätzte das sehr, es hatte ihr bislang den Eindruck vermittelt, dass Sicarius Vita nicht skrupellos war, vielleicht sogar einen Grund für ihr Handeln hatte. Aber die Königin sah sich keiner Schuld bewusst und es gab keine Erklärung für diese Ankündigung.

Womit hatten sie das nur verdient?

„Kommandant Caulfield, was gedenkt Ihr zu tun?“

Frediano hob den Blick und lächelte selbstsicher. „Eure Majestät, wenn Ihr mir erlaubt, so werde ich das Versteck von Sicarius Vita ausräuchern. Es zu finden wird kein Problem für mich sein.“

„Eure Selbstsicherheit gefällt mir. Nehmt Eure Truppen und zerschlagt Sicarius Vita ein für allemal. Wir haben sie viel zu lange tun lassen, was sie wollten.“

Er verneigte sich tief. „Selbstverständlich, Eure Hoheit. Ich werde tun, was immer in meiner Macht steht, um diesen Auftrag zu Eurer Zufriedenheit auszuführen.“

Königin Juno nickte, deutlich erleichtert. „Ich lege alles in Eure Hand, Kommandant. Enttäuscht mich nicht.“

„Niemals, Eure Majestät.“

Kampfansage

„Wer von euch war das!?“

Landis hatte Nadia und Aidan in ihrem Zimmer im Gasthaus aufgesucht, lief aufgeregt hin und her und wedelte immer wieder mit dem Brief, den der Küchenjunge ihm geschrieben hatte.

Die Zwillinge schüttelten ihre Köpfe. „Wir waren das nicht. Wir dachten, du hättest eine Warnung geschrieben. Frediano tauchte plötzlich mit dem Brief auf...“

Landis blieb abrupt stehen. „Frediano tauchte damit auf?“

Aidan nickte. Landis runzelte seine Stirn.

Dann bedeutet das womöglich, dass Frediano die Ankündigung gefälscht hat. Aber warum?

Nadia verschränkte die Arme vor der Brust. „Nolan hat mir gesagt, dass Frediano unbedingt Sicarius Vita vernichten will.“

„Er hat dir das gesagt?“

Sie erzählte ihm von ihrem Gespräch mit ihm, bevor er unerwartet in den Palast geholt worden war, da Frediano sämtliche Kavalleristen um sich versammelt hatte.

„Ich verstehe“, sagte Landis schließlich. „Frediano weiß also wirklich, wer hinter der Gruppe steckt. Sonst wäre ihm das sicherlich egal.“

Die Zwillinge warfen sich besorgte Blicke zu. „Und nun?“

Seufzend ließ Landis sich auf eines der Betten fallen. „Kureha hat mir zwar erzählt, was ich wissen wollte, aber das bringt nichts, wenn Frediano es nicht auch noch einmal zugibt. Tote machen sich schlecht auf der Zeugenbank. Aber wenn er sich so selbstsicher ist, wird er es niemals sagen.“

„Das scheint unser kompliziertester Auftrag bisher zu werden“, bemerkte Nadia.

Aidan nickte zustimmend. „Warum machen wir es nicht einfach wie immer?“

Landis schwieg auf diese Frage.

Die Zwillinge warfen sich erneut Blicke zu.

Schließlich stand Landis wieder auf. „Okay. Ich werde mir etwas überlegen. Irgend etwas müssen wir immerhin machen, nicht?“

Die Geschwister nickten.

„Gut, dann werde ich jetzt wieder gehen. Wir sehen uns noch.“

Er verließ den Raum.

Aidan seufzte. „Ich dachte, das würde ganz einfach werden.“

„Landis hatte uns vor Frediano gewarnt. Wir wussten, dass er durchtrieben ist.“

Er nickte. „Ja... leider.“

Aber ich hätte nicht gedacht, dass er so extrem ist...
 

Oriana stellte das leergetrunkene Glas wieder auf den Tisch.

Richard sah sie forschend an.

Normalerweise kam Milly allein zu ihm, an diesem Tag hatte Oriana sie gebracht. Aber einen genauen Grund dafür hatte sie noch nicht genannt.

Milly spielte bereits im Wohnzimmer, während ihre Mutter und Richard in der Küche saßen.

„Nun sag schon“, drängte er schließlich ungeduldig. „Warum wolltest du mit mir reden?“

Oriana seufzte leise. „Es geht um Sicarius Vita... ich habe beschlossen, wieder in den Kampf zu ziehen, um die Gruppe endgültig zu vernichten.“

„Ist das dein Ernst? Du willst an Fredianos Seite...?“

Sie nickte. Ihr Blick schweifte zum Fenster. Gedankenverloren sah sie hinaus.

Erneut musterte er sie fragend.

Ich habe ja bereits von dieser Ankündigung gehört... aber warum will Oriana jetzt plötzlich wieder in den Kampf ziehen? Das verstehe ich nicht.

„Ich will die Königsfamilie schützen“, erklärte sie. „Es geht mir nicht um Frediano, Stolz oder sonst etwas. Es geht mir um die Königin, den Prinzen und die Prinzessin und außerdem...“

Sie hielt inne, machte eine Pause und sah auf ihre Hände, die sie nervös ineinander verkrampft hatte. „Außerdem will ich beweisen, dass Kenton Unrecht hat, dass Landis nicht... zu denen gehört.“

Richard runzelte seine Stirn.

Es geht ihr um Landis. Nur deswegen will sie in den Kampf ziehen.

„Aber was, wenn er doch etwas damit zu tun hat?“

Oriana sah ihn fassungslos an. „Glaubst du etwa auch, dass Landis zu denen gehört!?“

Er gab ihr mit einer Geste zu verstehen, dass sie sich beruhigen sollte. „Das wollte ich damit nicht sagen. Ich meine nur, dass du dich nicht darauf versteifen solltest, dass er unschuldig ist. Die Möglichkeit, dass er etwas damit zu tun, ist immerhin noch vorhanden, nicht? Es gefällt mir genausowenig wie dir, aber du musst es in Betracht ziehen.“

Sie senkte schweigend den Blick.

Richard wollte ihr über den Kopf streichen, so wie er es früher immer gemacht hatte, als sie noch klein gewesen war, aber er hielt sich zurück, damit sie sich nicht wie ein Kind vorkam.

„Onkel Richard... ich glaube an Landis. Egal, was er getan haben soll.“

Er wollte noch etwas sagen, aber da kam Milly in die Küche herein. „Mama, kann ich heute bei Opa Richard übernachten?“

Oriana sah ihn fragend an, er nickte. „In Ordnung, wenn du das willst, Schatz.“

Milly freute sich sichtlich und verschwand wieder ins Wohnzimmer.

„Ich werde langsam wieder gehen. Tut mir Leid, wenn ich deine Zeit verschwendet habe.“

Richard schüttelte seinen Kopf. „Das hast du nicht, Ria. Denk nur immer daran, vorsichtig zu sein. Manchmal sind die Dinge nicht so wie sie scheinen.“

Sie nickte und stand auf. „Danke, dass du dich um Milly kümmerst, Onkel Richard.“

„Keine Ursache.“

Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, verabschiedete sich von ihm und verließ das Haus – nur um direkt in Landis hineinzulaufen.

„Oh, Oriana“, sagte er lächelnd. „Wie geht’s?“

Einen Augenblick hatte es ihr die Sprache verschlagen, aber sie fand diese schnell wieder: „Oh, gut. Danke der Nachfrage.“

„Alles okay?“, fragte er besorgt. „Hab ich dir was getan?“

Oriana zuckte zusammen. „Nein, natürlich nicht. Tut mir Leid.“

„Gehst du gerade nach Hause? Ich könnte dich begleiten.“

Sie nickte lächelnd. „Gern.“

Gemeinsam liefen sie in Richtung ihres Hauses. Dabei erzählte Oriana ihm, dass sie Milly zu Richard gebracht hatte und das Mädchen dort übernachten wollte. Landis nickte verstehend. „Dann bist du heute allein mit Frediano?“

Sie lachte leise, aber humorlos. „Er hat mir vorhin bereits mitgeteilt, dass er heute auch nicht mehr nach Hause kommen würde. Er sagte, er hätte dringende Verpflichtungen wegen dem Kampf gegen Sicarius Vita.“

Oriana bemerkte seinen plötzlichen Stimmungswandel nicht, obwohl Landis' Lächeln erloschen war. Stattdessen fuhr sie fort: „Ich habe übrigens beschlossen, mich dem Kampf anzuschließen.“

„Was? Wirklich?“

„Oh ja. Wegen der Königsfamilie – und wegen dir.“

Sie erklärte ihm dasselbe wie Richard eben und erwartete gespannt seine Reaktion. Landis hatte den Kopf gesenkt. „Ria... meinst du das ernst? Du vertraust mir?“

Oriana nickte bestimmt. „Oh ja! Kenton hat mir von seinem Verdacht erzählt, aber ich habe ihm nicht geglaubt.“

Landis grinste und beschloss, ein altbekanntes Spiel wieder anzufangen. „Was wäre, wenn ich doch zu Sicarius Vita gehören würde?“

Im ersten Moment war sie über diese Äußerung erschrocken, aber sie erkannte seine Absicht schnell und grinste. „Ich würde glauben, dass du nicht einfach ein Mörder bist, sondern du einen Grund für das alles hast. Und das würde ich solange glauben, bis du mir das Gegenteil beweist – was du hoffentlich nie tun wirst.“

Er lächelte zufrieden. „Ich freue mich, dass du das sagst.“

Sie schwieg, aus Angst, die nächste Frage zu stellen. Doch schließlich überwand sie sich dennoch: „A-aber du gehörst nicht wirklich zu ihnen, oder?“

Er schmunzelte. „Erwartest du auf so eine Frage wirklich eine Antwort?“

„Natürlich nicht.“

Etwas anderes hatte sie auch nicht erwartet. Sie lachte leise. Vor dem Haus blieben sie stehen.

Oriana öffnete die Tür und zögerte. „Lan... willst du mit reinkommen? Ich wäre ohnehin den ganzen Tag allein und... na ja... ich würde gern mal wieder allein mit dir reden.“

„Nun, ich habe Zeit und ich komme gern mit rein.“

Ein erleichtertes Lächeln zierte ihr Gesicht. Sie ging hinein und ließ Landis folgen.

Seit dem Tag seiner Ankunft war er nicht mehr hier gewesen. Ohne Nolan und Richard war das Gefühl, hier zu sein gleich ganz anders. Auch wenn die Atmosphäre zwischen ihm und Oriana kaum spürbar geladen war.

Sie setzten sich zusammen auf das Sofa.

Oriana lehnte sich zurück. „Soll ich dir vielleicht irgendetwas bringen?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Ich brauche nichts, danke.“

Sie lächelte. „Weißt du, ich würde gern mehr über deine Reise wissen. Ich bin neugierig, immerhin kenne ich nur Cherrygrove und New Kinging.“

Landis nickte verstehend und schloss die Augen. Er erzählte Oriana von den Orten an denen er gewesen war, von verträumten kleinen Dörfern, lebhaften Handelsmetropolen, verzauberten Wäldern, dem funkelnden Meer und glitzernden Flüssen, die sich durch weite Felder schlängelten.

Oriana lauschte ihm interessiert und hingerissen. Während seines Vortrags entdeckte sie in ihm den Landis, den sie früher geliebt hatte. Der kleine neugierige Junge, der sich für die unbedeutend erscheinenden Wunder dieser Welt begeistern konnte.

Entgegen aller Gerüchte und Theorien, die herumgingen, dieser Landis war wirklich der Junge, mit dem sie damals befreundet gewesen war. Er war es und niemand anderes.

Und wieder entflammten die alten Gefühle in ihr. Die Liebe zu ihm, die sie damals nach einem Streit aufgegeben hatte. Ein unbedeutender Streit, der ihr gesamtes Leben verändert und Landis für sieben Jahre aus ihrem Leben verbannt hatte.

Schließlich beendete er seinen Vortrag. „Aber für mich ist kein Ort Heimat, an dem du nicht bist.“

„Oh, Lan...“

Überwältigt von ihren Gefühlen und seinem letzten Satz rutschte sie näher an ihn heran – und küsste ihn. Der erste Kuss seit langer Zeit, den sie von sich aus gab und bei dem sie auch keinen schlechten Nachgeschmack hatte, nicht einmal ihr Hochzeitskuss war ohne diesen Nachgeschmack ausgekommen. Die Handlung überrumpelte ihn, aber als er den Kuss erwiderte, wusste sie, dass er es genau so gewollt hatte. Genau wie sie ihn, hatte er nie aufgehört sie zu lieben.

Warum sollte sie die Dinge unnötig kompliziert machen?

Sie löste den Kuss wieder und sah ihn schüchtern an. „Lan...“

Er erwiderte ihren Blick, wenngleich nicht schüchtern, sondern eher... verlangend.

„Willst du heute Nacht hier bleiben?“, fragte sie.

„Was ist mit Frediano?“, stellte er die Gegenfrage.

„Der ist nicht hier, er ist die ganze Nacht im Palast, um seinen Kreuzzug vorzubereiten. Also?“

Nachdenklich sah er sie an. Oriana konnte nicht sagen, was er im Moment dachte, aber sie wünschte sich, dass er zu dem Schluss kommen würde, den sie sich wünschte. Auch wenn es vielleicht egoistisch von ihr war. Vor über sieben Jahren hatte sie ihn fortgestoßen und nun, wo sie seit Jahren nicht mehr mit einem Mann zusammengewesen war, wünschte sie sich nichts sehnlicher als dass er bleiben und sie die ganze Nacht lieben würde. Sie wusste, er würde nur zustimmen, wenn er denselben Wunsch hegte, selbst wenn er Frediano damit nur eins auswischen wollte.

Ihre Anspannung wich erst, als Landis schließlich nickte. „In Ordnung. Ich bleibe.“

Oriana lächelte erleichtert und küsste ihn noch einmal. Sie würde diese Nacht auskosten als wäre es das erste Mal - und das deutlich spürbare Verlangen in seinem Kuss sagte ihm, dass er das auch tun würde.

Vielen Dank.
 

Am nächsten Vormittag war Landis bereits wieder mit seiner Arbeit bei Prinz Svarog beschäftigt. Die Erinnerung an die Nacht davor erfüllte ihn immer noch mit tiefer Freude und Zufriedenheit.

Es gab für ihn immer noch Chancen bei Oriana, sogar mehr als er gedacht hatte. Ansonsten wäre es nicht dazu gekommen, dass sie auf diese Art und Weise die Nacht miteinander verbrachten.

Und vielleicht, nur vielleicht, gab es doch eine gemeinsame Zukunft für sie beide, wenngleich er noch nicht wusste, wie diese aussehen könnte.

Svarog bemerkte mit einiger Verwunderung, wie gelöst Landis zu sein schien. „Was ist denn heute mit dir los?“

„Gar nichts, Eure Majestät. Ich habe nur einen sehr guten Tag.“

Nach einer wundervollen Nacht mit meiner einzigen Liebe, fügte er in Gedanken hinzu.

„Nun gut. Ich nehme es jedenfalls freudig zur Kenntnis. Was sagst du zu Fredianos Offensive?“

Landis zuckte mit den Schultern. „Wenn es ihn glücklich macht, dass er das endlich tun darf... Sicarius Vita war ja schon lange sein Ziel, nicht?“

Der Prinz nickte zustimmend, dabei lächelte er leicht. „Ich hoffe, er wird endlich Ruhe geben, wenn er die Mitglieder dieser Organisation hat. Was denkst du, wie viele Mitglieder hat Sicarius Vita wohl? Es müssen ziemlich viele sein, oder?“

Landis schmunzelte. „Vielleicht sind es viel weniger als man denkt. Wer weiß?“

Svarog lachte leise und stand auf. „Nun komm, ich will mir ansehen, was Frediano so auf die Beine stellt.“

Obwohl Landis nicht wirklich danach war, stimmte er zu und folgte dem Prinzen hinaus.

Die letzten Kavalleristen strebten ebenfalls dem Versammlungsplatz zu und unterhielten sich dabei. Doch ihr lockeres Verhalten wirkte auf Landis wie aufgesetzt.

Hatten sie wirklich Angst vor der Konfrontation mit Sicarius Vita?

Es war wohl natürlich, denn niemand schien zu wissen, gegen wen genau sie zu kämpfen hatten - und wieviele es von ihnen gab.

Der Versammlungsplatz befand sich im kleinen Innenhof des Palastes. Es war eine sandige Fläche mit einem Podest an einem Ende. Die Kavalleristen standen davor, bereits aufgestellt in Reih und Glied, obwohl von dem Kommandanten noch nichts zu sehen war. Sie unterhielten sich leise als hätten sie Angst, von einem Lehrer entdeckt zu werden.

Inmitten der Reihen konnte Landis auch Nolan entdecken.

Landis und Svarog waren unter dem Dach stehengeblieben. Sie beide hingen ihren eigenen Gedanken nach.

Während der Prinz sich fragte, ob Frediano Erfolg haben würde, überlegte sein Page, wie er weiter vorgehen sollte. Es waren weitaus mehr Kavalleristen als er gedacht hätte, mindestens fünfzig Leute, eher mehr. Auf Pferden waren sie bestimmt tödliche Waffen.

Wenigstens beteiligten sich die normalen Soldaten und Ritter nicht an diesem Kampf.

Urplötzlich verstummten die Kavalleristen und salutierten. Frediano betrat das Podest, in Begleitung von Kenton und Oriana, die eine Kavallerieuniform trugen.

Was hat Kenton mit der ganzen Sache zu tun? Ach, egal. Er wird schon wissen, weswegen er auch hier ist.

Zufrieden und mit einem Hauch Stolz sah Frediano auf seine Kavalleristen hinunter, dann begann er zu sprechen: „Endlich ist es soweit! Wir, die Kavallerie von Király, wurden endlich mit der Jagd auf Sicarius Vita beauftragt!“

Nervöses Tuscheln in den Reihen der Kavalleristen, sie hatten alle gewusst, dass sie deswegen hier waren, aber dennoch wurde es erst in diesem Moment für alle zur Realität.

„Wir wissen nicht, aus wievielen Mitgliedern die Gruppe besteht“, fuhr er fort. „Aber das wird uns nicht davon abhalten, sie restlos zu vernichten, um den Frieden in Király wieder herzustellen.“

Diesmal waren es Jubelrufe, die auf seine Worte folgten. Landis bemerkte, dass Nolan nicht zu den Jubelnden gehörte. Der Kavallerist stand tief in Gedanken versunken da.

Kenton bemerkte das anscheinend ebenfalls, da er besorgt seine Stirn runzelte.

Plötzlich erklangen laute Stimmen. Ein Soldat stürmte heraus und lief direkt auf Svarog zu. „Eure Hoheit! Eure Hoheit!“

Der Prinz sah ihn an. „Was gibt es? Was soll diese Aufregung?“

Die Kavalleristen sahen ebenfalls hinüber. Anscheinend hatten sie die Anwesenheit von Svarog und Landis bislang gar nicht bemerkt.

Der Soldat salutierte hastig. „Eure Hoheit, die Rebellen haben Eure Schwester entführt!“

„Was!?“

Erschrocken starrte Landis ihn an.

Die Prinzessin... entführt? Von den Rebellen? Oh Mann, die hab ich schon ganz vergessen!

Ich wette, wir müssen sie retten gehen. Hmmm, vielleicht...

„Aber die Rebellen kamen nicht weit.“

„Was soll das heißen?“, verlangte Svarog zu wissen.

„Jemand fing die Rebellen ab – und nahm die Prinzessin mit sich.“

Svarog und Landis tauschten einen Blick miteinander. Der Magen des Pagen fühlte sich flau an, als wüsste er bereits was als Nächstes kommen würde.

„Wer?“, fragte der Prinz.

„Ein Mitglied von Sicarius Vita.“

Entdeckt

Der Prinz hatte Landis sofort beauftragt, zwei Pferde zu satteln, um gemeinsam mit der Kavallerie die Verfolgung seiner Schwester aufzunehmen.

Der Page hatte ein sehr ungutes Gefühl und wartete auf eine Gelegenheit, um sich von der Gruppe abzusetzen und nach Old Kinging zu reiten. Allerdings schien Frediano ihn immerzu im Auge zu behalten, weswegen er sich nicht traute.

Aber er musste irgendeinen Weg finden. Was würde nur aus den anderen werden, wenn die Kavallerie sie in Old Kinging entdeckte?

Immer wieder ließ er seinen Blick schweifen und hoffte, dass es bald irgend etwas gab, was die anderen genug ablenkte, damit er wegkommen konnte.

Und tatsächlich -

„Kommandant, dort!“

Ein Kavallerist deutete in eine Richtung, weg von Old Kinging. In einiger Entfernung war tatsächlich eine Gestalt zu sehen, die eilig vor den Kavalleristen zu fliehen versuchte.

Frediano lächelte zufrieden und gab den Befehl zur Verfolgung.

Svarog preschte als erstes vor, ohne auf seinen Pagen zu achten.

Landis nutzte den Moment und lenkte sein Pferd in eine andere Richtung. Er donnerte über das Feld, innerlich betend, dass das alles nur ein weiterer Komplott war.

Warum muss ausgerechnet hier in New Kinging alles schief laufen? Sind Frediano und Kenton wirklich zu schlau für uns? Bisher hatten wir doch keine Probleme...
 

Frediano bemerkte aus dem Augenwinkel, wie eines der Pferde aus der Gruppe in eine andere Richtung galoppierte. Er befahl seiner Kavallerie anzuhalten. Fragend sahen alle ihn an. „Was ist los, Kommandant?“

„Wer ist gerade weggeritten?“

Die Kavalleristen sahen sich um, aber es folgte nur Schweigen. Doch schließlich meldete Svarog sich zu Wort: „Landis fehlt.“

Das dachte ich mir doch.

Frediano überlegte einen Moment, wie es nun weitergehen sollte. Er konnte Landis nicht einfach wegreiten lassen, aber die Gestalt schien zu wollen, dass man sie weiter verfolgte, denn sie war stehengeblieben und schien auf sie zu warten.

Also musste man sich trennen.

„Gut. Nolan, Oriana, Kenton, ... ihr beiden“ - er deutete auf zwei andere Kavalleristen - „und ich folgen Landis – der Rest der Kavallerie folgt der Person in die andere Richtung.“

Die Kavalleristen nickten und taten wie ihnen aufgetragen. Frediano, Svarog und die anderen verbliebenen Personen wendeten die Pferde und jagten hinter Landis her.

Ich bin gespannt, wo er uns hinführen wird. Aber ich bin sicher, dass ich es schon weiß. Zum Glück sind alle Personen dabei, die dabei sein sollten. Lasst die Spiele beginnen.
 

Die Hufe schlugen laut auf dem steinernen Boden der alten Hauptstadt, während das Pferd über die Straßen galoppierte.

Hoffentlich hat Yarah die Fallen wieder entfernt, sonst...

Sein Gedanke kam zu spät.

Im vollen Lauf stolperte sein Pferd über die Fäden. Aus dem Sattel geschleudert schlug Landis hart auf dem Boden auf.

Verdammt, Yarah!

Sein Kiefer schmerzte, genau wie sein linker Arm, seine Hände waren aufgeschürft. Aber er musste unbedingt zu den anderen. Mit viel Mühe richtete er sich auf.

Das Pferd tat dasselbe, hatte jedoch einiges an Problemen dabei.

Landis ließ das Pferd stehen und lief weiter. Die Marionette lag nutzlos auf dem Boden, der Faden war gerissen.

Er betrat den Palast, doch neben Yarah und Kureha fand er zwei weitere Personen, die er absolut nicht erwartet hatte: „Aidan? Prinzessin?“

Die junge Frau mit dem goldblonden Haar hob den Blick und musterte ihn interessiert, bevor sie lächelte. „Oh, du musst Landis sein, der Page von meinem Bruder.“

Er nickte verwirrt. „Was ist hier los? Was tut sie hier?“

Aidan wollte darauf antworten, doch Prinzessin Selene nahm es ihm direkt ab: „Diese dumme Soldaten haben mich entführt und mich schon aus der Stadt geschleift, als plötzlich Aidan kam und mich gerettet hat.“

Wow, das hätte ich ihm gar nicht zugetraut.

„Aber warum hat er Euch hierher gebracht?“

Diesmal war es Aidan, der antwortete: „Ich hab mich dummerweise verraten, als ich mich den Rebellen entgegengestellt habe.“

„Ich hätte zwar nichts gesagt,“, meinte Selene, „aber da war noch ein Soldat...“

„Und der war echt“, vollendete Landis den Gedanken.

Er war es, der uns informiert hat.

Selene und Aidan nickten zustimmend.

„Also habe ich sie hierher gebracht“, fügte Aidan hinzu. „Ich dachte, hier würden sie nicht nach uns suchen. Oder uns zumindest nicht finden, selbst wenn sie suchen würden.“

„Gar nicht schlecht“, sagte Landis nachdenklich.

Plötzlich erklangen Schritte und im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet. Landis fuhr herum und erstarrte. Frediano lächelte überheblich. „Nun, sieh einer an. Die Prinzessin, inmitten von Sicarius Vita. Und habe ich es nicht gesagt, Oriana?“

Kenton erschien gemeinsam mit Oriana neben Frediano. Der Blick der jungen Frau ging verwirrt umher. „Was...?“

Selene stand auf, als auch Svarog in der Tür erschien. „Bruder!“

Sie stürzte in seine Arme. Behutsam schob er sie hinter seinen Rücken. „Landis, was hat das alles zu bedeuten? Was tust du hier?“

„Das hier ist der Stützpunkt von Sicarius Vita“, verkündete Frediano. „Was soll er hier schon tun? Er wird wohl kaum durch Zufall hierher gefunden haben. Er ist einer von ihnen.“

„Ist das wirklich wahr, Lan?“

In Orianas Frage lag die unüberhörbare Bitte nach einem Widerspruch.

Landis hatte den Blick gesenkt.

„Ich habe es von Anfang an gesagt“, merkte Kenton an.

Schweigend sahen die Versammelten auf Landis.

In seinem Inneren tobte ein Kampf, das merkte jeder der Anwesenden, weswegen sie alle abwarteten, was er zu sagen hatten.

Frediano genoss diesen Augenblick sichtlich und in vollen Zügen.

Oriana und Nolan wiederum hofften inständig, dass Landis es verneinte.

Selene zupfte ihrem Bruder am Ärmel. „Svarog, bitte, seid nicht so böse. Sie haben mir nichts getan, bitte Svarog.“

„Das ist nicht meine Entscheidung“, erwiderte der Prinz, ohne seinen Blick von dem Pagen zu wenden.

Yarah und Aidan wichen leicht zurück. Auf Befehl von Frediano huschten zwei Kavalleristen hinüber und hielten sie fest.

Da Landis immer noch keine Anstalten machte, etwas zu sagen, wandte sich der Kommandant an die beiden: „Na, ihr beiden? Wie viele Mitglieder hat eure Gruppe? Seid ruhig ehrlich.“

Yarah lachte. „Erwartest du wirklich eine Antwort? Vollidiot!“

Eine heftige Ohrfeige folgte auf ihre Worte. Als Reaktion lachte sie noch einmal. „Ist das deine einzige Antwort? Erbärmlich! Erbärmlich ist das!“

Noch eine Ohrfeige.

„Yarah!“

Aidans Stimme klang geschockt und bestürzt. Doch die blonde Frau schüttelte nur ihren Kopf und lachte erneut. „Erbärmlicher Vollidiot!“

Frediano knurrte, wandte sich dann aber an Aidan. „Dann sag du es mir, Küchenjunge!“

Der Braunhaarige schüttelte hastig seinen Kopf. „Ich werde auch nichts sagen!“

Der Kommandant wollte auch ihn ohrfeigen, aber Landis fuhr dazwischen: „Das reicht!“

Die Versammelten wandten sich ihm wieder zu. Frediano grinste siegessicher. „Nur keine falsche Bescheidenheit, Landis. Erzähl uns, was wir wissen wollen.“

Der Page hob den Kopf und atmete tief durch. „Ich bin kein Mitglied von Sicarius Vita...“

Oriana und Nolan atmeten auf, nur Kenton behielt seine Anspannung und bemerkte als einziger, dass der Satz noch weitergehen sollte: „Aber?“

Landis machte wieder eine Pause.

Ein Knacken ertönte, gefolgt von hohlen Geräuschen als etwas auf den Boden fiel. Die Wächter, die Yarah und Aidan festgehalten hatten, hielten nun nur noch künstliche Armstümpfe in der Hand.

„Marionetten“, schnarrte Frediano. „Was Neues fällt denen auch nicht mehr ein, hm?“

Landis lachte leise. Die Versammelten sahen wieder ihn an.

„Dann sag uns, was du uns mitteilen wolltest“, forderte Frediano ihn auf.

„Ich bin kein Mitglied von Sicarius Vita – ich bin ihr Kommandant.“
 

Yarah kicherte leise, während sie mit einer ihrer Marionetten tanzte. „Ich liebe meine Puppen einfach. Sie helfen mir so oft aus der Misere.“

Noch bevor Landis Old Kinging betreten hatte, hatte Yarah sich und Aidan durch Marionetten ausgetauscht und waren gemeinsam mit Kureha nach Cherrygrove gegangen, wo Nadia bereits auf sie gewartet hatten. Nach New Kinging hatten sie nicht mehr gehen können, es war klar gewesen, dass man sie dort als Erstes suchen würde. Und hier konnten sie auch nicht lange bleiben, aber für eine Einsatzbesprechung reichte es allemal.

Nadia und Aidan sahen sich besorgt an, aber es war Kureha, die schließlich die Frage stellte, die ihnen auf der Zunge brannte: „Was wird aus Landis?“

„Keine Sorge, keine Sorge“, sprach Yarah sofort. „Es ist für alles gesorgt. Denkt ihr wirklich, Landis ist so dumm, sich erwischen zu lassen und keinen Plan zu haben?“

„Dann hat er also einen?“, fragte Nadia.

Yarah nickte, worauf die anderen erleichtert aufatmeten.

„Überlasst alles Weitere nur mir“, sagte die Puppenspielerin. „Ich kümmere mich um alles.“
 

Richard stand auf dem Friedhof in der Nähe von New Kinging und seufzte leise. „Asterea, was würdest du zu alldem sagen? Was denkst du über Landis?“

Stille antwortete ihm auf seine Fragen.

Niemals würde sie ihm darauf antworten können. Er erinnerte sich lebhaft daran, wie er sie gefunden hatte. Sie war nicht an ihrer Krankheit gestorben, wie er Landis erzählt hatte – oder vielleicht doch. Landis' Verschwinden hatte sie krank gemacht und im Zuge dieser Krankheit hatte sie sich einen Strick genommen.

Richard schauderte. Noch immer fragte er sich, weswegen sie das getan hatte, anstatt mit ihm zu reden.

Wollte sie ihn nicht belasten?

Oder glaubte sie, er würde sie ohnehin nicht verstehen?

Und warum hatte er nichts bemerkt? Er hatte gewusst, dass sie krank gewesen war, aber nie war ihm aufgefallen, wie schlecht es ihr gegangen war.

In ihrem Abschiedsbrief hatte sie ihn gebeten, ihr nicht böse zu sein, aber er hatte mehr das Gefühl, dass sie ihm böse sein müsste.

Er hatte sie immerhin vernachlässigt.

Eine laute Stimme riss ihn aus seinen Gedanken: „Richard! Sir Richard!“

Hat man nicht einmal hier seine Ruhe?

Genervt fuhr er herum. „Was ist denn?“

Der junge Soldat blieb stehen und salutierte. „Sir Richard, eine wichtige Nachricht für Euch!“

„Sprich“, forderte er ihn ungeduldig auf.

„Ich habe Nachricht aus New Kinging erhalten! Euer Sohn, Landis, wurde festgenommen!“

Richard runzelte seine Stirn. „Weswegen?“

Der Soldat schluckte leicht, bevor er antwortete: „Er hat sich selbst zu erkennen gegeben – als Kommandant von Sicarius Vita.“

Wie es begann

In New Kinging angekommen wurde Landis mit großem Brimborium durch die Straßen geführt. Er kam erst gar nicht zu einer Anhörung vor die Königin, sondern wurde direkt in den Kerker gebracht, wo er an Armen und Beinen angekettet wurde.

Seine Zelle war genau gegenüber von Auroras, aber dennoch konnte er sie von seiner Position aus nicht sehen und während die anderen bei ihm waren, auch nicht mit ihr reden.

Als Frediano den Kerker betreten hatte, hatte Dorugon erneut mit seiner Schimpftirade über den Kommandanten angefangen, aber die Gruppe ignorierte ihn gekonnt.

Hochmütig lächelnd stand Frediano gemeinsam mit Kenton, Nolan, Oriana und dem dazugekommenen Richard vor Landis, der ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht trug.

Während die ersten beiden genervt von diesem Gesichtsausdruck waren, waren die anderen drei besorgt um Landis' Gesundheitszustand.

„Also, was hast du uns zu sagen, Kommandant?“, fragte Frediano spöttisch. „Erzähl uns, wie es zu Sicarius Vita kam, erzähl uns die Geschichte deiner größten Niederlage.“

Oriana sah ihren Mann tadelnd an, aber Landis lachte leise. „Du willst es wirklich wissen? Warum?“

„Ich bin neugierig – und immerhin waren wir doch mal Freunde, oder?“

„Wir waren nie Freunde, wir haben nur das Beste aus unserer Situation gemacht. Aber bitte, wenn du darauf bestehst, dann werde ich dir mehr erzählen.“

„Ich brenne darauf.“

Landis seufzte leise, sah aber erleichtert aus. Lange hatten ihn diese Geheimniskrämerei bedrückt, nun konnte er endlich ehrlich sein und alles gestehen, musste es sogar. Und eigentlich war er dankbar für diese Möglichkeit.

„Es fing alles an deiner Hochzeit mit Oriana an...“
 

Nolan schloss die Tür zum angrenzenden Festsaal und sah mich wütend an. „Mann, Lan! Was zur Hölle sollte das gerade? Du kannst froh sein, dass du überhaupt eingeladen wurdest, musst du deswegen grundsätzlich die Feier kaputtmachen?“

„Froh sein!? Frediano hat mich eingeladen, um seinen Triumph auszukosten! Nicht, weil er so nett ist und mich lieb hat.“

Wutschnaubend ließ ich mich auf einen Stuhl fallen und verschränkte die Arme vor der Brust.

Auf diesen Tag hatte Frediano nur gewartet. Kein Wunder, dass er Oriana geraten hatte, nicht zu mir zurückzukehren, nachdem wir uns wegen einer Kleinigkeit zerstritten hatten.

Wenn ich so daran zurückdenke, hätte ich ihr ihren Willen lassen und diesen verdammten Ring kaufen sollen. Aber nun war es zu spät und Oriana hatte Frediano geheiratet.

Frediano, meinen Konkurrenten und nicht mich.

„Lan, du bist ein verdammt schlechter Verlierer, kann das sein? So kenne ich dich gar nicht.“

„Bislang ging es auch nie um Oriana. Und jetzt komm mir nicht damit, dass ich selbst schuld bin, das weiß ich nämlich auch.“

Nolan seufzte. „Das wollte ich auch gar nicht sagen. Ich kann verstehen, dass es dich frustriert, immerhin warst du ewig mit Oriana zusammen und du liebst sie. Aber trotzdem. Vielleicht war es besser, dass ihr euch getrennt habt.“

Geknickt sah ich meinen besten Freund an. Jedenfalls hatte ich bislang geglaubt, dass er mein bester Freund war. „Bist du etwa auf Fredianos Seite?“

„Na ja, nicht direkt...“

Ich stand auf und sah ihn böse an. Nolan schien mit sich selbst zu kämpfen. „Weißt du, Lan, seit Oriana dich verlassen hat, bist du wirklich unausstehlich geworden. Es ist nicht gerade einfach, es mit dir auszuhalten.“

„Fein! Dann will ich dich auch nicht länger mit meiner Anwesenheit bestrafen!“

Ich fuhr herum, stieß meine Hüfte schmerzhaft an einem Tisch und verließ das Restaurant durch den Hinterausgang, der sich in diesem Raum befand.

Ich konnte hören, wie Nolan mir noch etwas hinterherrief, blieb aber nicht stehen. In meinem Kopf hatte sich der Gedanke bereits festgesetzt. Wenn ich eine solche Zumutung war, würde ich einfach gehen.

Vermutlich war es die Mischung aus Depression und Alkohol, die mich an diesem Gedanken festhalten ließ, aber an diesem Abend erschien er mir äußerst schlüssig und als einzige praktikable Lösung – und dass Nolan mir nicht folgte, verstärkte diesen Eindruck nur noch mehr.

Dass er glaubte, dass ich nur nach Hause gehen und meinen Rausch ausschlafen würde, darauf kam ich in diesem Moment nicht.

Dabei wollte ich noch nicht nach Hause. Ziellos lief ich durch die Gegend und ließ meine Gedanken wandern. Doch immer wieder kam ich zu dem Schluss, dass ich ein Störfaktor für meine Freunde war – und deswegen inzwischen vermutlich allein war.

Ohne Nolan, ohne Kenton – und ohne Oriana, die ich mehr geliebt hatte als alles andere.

Je mehr ich durch die dunklen Straßen lief desto schwerer wurden meine Schritte und auch meine Augenlider.

Ich weiß nicht mehr genau, wie es dazu kam – aber irgendwann stieg ich auf einen mit Stroh beladenen Wagen und schlief auf diesem ein. Ich weiß noch, dass ich träumte, ich würde mich auf einem Schiff mitten in einem Sturm befinden.

Aber ich erwachte erst, als mich jemand anstieß. Mit schmerzendem Kopf und tauben Gliedern, öffnete ich meine Augen und sah die Person verschlafen an. „Hä?“

„Was tust du auf meinem Wagen?“

„Oh, tut mir Leid, ich...“

Ich richtete mich auf und sprang vom Wagen herunter. Alles drehte sich um mich, in meinem Kopf hämmerte es wie verrückt. Der Besitzer des Wagens, ein älterer Mann mit Bart, sah mich böse an. „Also wirklich, ein blinder Passagier! Kein Wunder, dass mein Pferd so schwer ziehen musste!“

Ich sah mich um. Wir standen mitten im freien Feld, eine Stadt war nicht weit entfernt zu sehen, aber es war keine, die ich kannte. Überhaupt kam mir die ganze Gegend nicht bekannt vor.

Besorgnis machte sich in mir breit und auch Verwirrung. Wo war ich nur hingeraten?

„Tut mir Leid“, sagte ich noch einmal. „Ich muss wohl eingeschlafen sein...“

Der Mann schnaubte. „Typisch! Kaum ist eine Hochzeit in New Kinging, schon sind sie alle betrunken. Die jungen Leute heutzutage...!“

Er ließ den Satz offen, spuckte dafür aber aus.

Ich schluckte eine scharfe Erwiderung herunter. „Wo sind wir denn?“

Er zeigte über seine Schulter zu der Stadt hinüber. „Das da drüben ist Jenkan.“

Ich kannte den Namen der Stadt – und auch, dass sie ziemlich weit entfernt von New Kinging lag.

Wie sollte ich nur wieder nach Hause kommen?

Der Mann, scheinbar erzürnt über mein Verhalten, kümmerte sich nicht mehr um mich, sondern ging einfach davon und zog auch sein Pferd und den Wagen mit sich.

Ich sah ihm hinterher. Es hätte ohnehin nichts gebracht, mit ihm weiterzufahren, denn ganz offensichtlich lief er in die entgegengesetzte Richtung von New Kinging.

Aber was sollte jetzt aus mir werden?

Ob ich in Jenkan Hilfe finden konnte?

Ein wenig Geld hatte ich ja dabei, vielleicht könnte ich jemanden finden, der mich dafür zurückbringt.

Wenn nicht, müsste ich laufen. Machbar, aber weit und einsam.

Als ich mich in der Stadt umsah, stellte ich mehrere Dinge fest:

Es stimmte, dass es in Jenkan viele Webereien gab. Und selbst vor normalen Wohnhäusern standen Webstühle. Ich erinnerte mich, dass Königin Juno von Király viele Webstücke aus dieser Stadt hatte.

Kein Wunder also, dass hier so fleißig gearbeitet wurde, wenn sogar das Königshaus ein Kunde hier war.

Und dann fiel mir der Scheiterhaufen auf dem Marktplatz auf. Er sah nicht aus wie ein Relikt aus alten Zeiten, eher als würde er häufig benutzt werden.

Unwillkürlich stellte ich mir vor, wie es sich wohl anfühlte, angebunden zu werden, wie der Rauch in den Lungen biss, während die Hitze einen verzehrte.

Ein Schauer lief mir über den Rücken und ließ mich trotz den warmen Temperaturen frieren. Allein die Vorstellung war grausam, wie musste dann erst die wirkliche Erfahrung sein?

Noch während ich dastand und den Scheiterhaufen begutachtete, erschienen einige Männer, die Holz transportierten und dieses aufzuschichten begannen.

Was ist denn jetzt los?

Andere Menschen gesellten sich dazu und beobachteten die Arbeiter genauso wie ich.

„Heute gibt es wieder eine Verbrennung?“, fragte eine Frau.

Der Mann neben ihr nickte. „Ja. Ein kleines Mädchen, das vom Teufel besessen ist.“

Neugierig sah ich hinüber.

„Vom Teufel besessen?“

„Ich habe sie gesehen. Sie hat rosa Haar und rote Augen und redet nicht. Sogar ihr Gesichtsausdruck bleibt immer derselbe. Es ist richtig unheimlich.“

Was für Hinterwäldler, dachte ich. Als ob irgendjemand vom Teufel besessen sein könnte.

„Das arme Kind“, seufzte eine andere Frau.

Ein vom Teufel besessenes Kind soll verbrannt werden? Das ist... nicht richtig.

Mein Gerechtigkeitssinn meldete sich laut und durchdringend. Ich konnte nicht zulassen, dass sie einem unschuldigen Kind etwas antun. Also musste ich ihr helfen.

Aber dafür musste ich erst einmal wissen, wo sie überhaupt war.

Also fragte ich mich unauffällig bei den anderen durch. Jeder nahm an, dass ich nur wissen wollte, wie das Mädchen aussah, bevor sie zu einer unkenntlichen Masse verbrannt worden war.

Schon allein beim Gedanken daran wurde mir schlecht.

Ich folgte den Beschreibungen in eine dunkle Seitengasse, die nicht sehr vertrauenserweckend auf mich wirkte. Dass sich hier eine Art Irrenanstalt, wie die Leute es bezeichneten, befand, verwunderte mich gar nicht.

Vor dem Gebäude befanden sich bereits mehrere Leute in Uniformen, die allesamt Angestellte der Anstalt zu sein schienen. Ein Mann mit Anzug befand sich zwischen ihnen, neben ihm stand ein kleines Mädchen, das auf die Beschreibung passte. Sie musste ungefähr sechs Jahre alt sein und schien sich nicht an dem zu stören, was um sie herum vorging, während sie fleißig diskutierten, wie man ein Kind am besten auf dem Scheiterhaufen verbrannte.

Ich blieb in der Entfernung stehen und sah das Mädchen interessiert an. Plötzlich hob sie den Kopf und erwiderte meinen Blick. Etwas wie Leben erschien darin, verschwand aber sofort wieder.

Ich fragte mich, wo sie herkam und was sie hier tat.

Eine solche Haarfarbe und solche Augen hatte ich noch nie zuvor gesehen. Und ich war mir sicher, dass es so etwas auch nicht so oft gab.

Die Diskussion schien beendet, die Angestellten gingen davon und ließen den Mann im Anzug und das Mädchen allein.

Ich stand eine Weile da und sah sie immer noch an. Was sollte ich tun, um dem Mädchen zu helfen?

Und warum hatte ich überhaupt den Drang, ihr zu helfen?

Ich kannte dieses Mädchen doch nicht einmal.

Aber dennoch... ich konnte nicht zulassen, dass man sie töten würde, wenn ihr einziges Verbrechen darin bestand, nicht zu reden.

Der Mann im Anzug beobachtete das Mädchen mit Argusaugen. Wie sollte ich sie da wegholen?

Als ich mich an der Wand abstützen wollte, spürte ich ein seltsames Stechen an meiner Seite.

Ich richtete mich wieder auf und sah in meine Tasche.

Ich konnte mich nicht erinnern, die Wurfnadeln meiner Mutter eingesteckt zu haben. Vor allem fragte ich mich, weswegen ich das getan hatte. Die fünf Nadellanzetten waren ihr Heiligtum, sie zu stehlen kam einem Verrat gleich.

Nur einmal hatte ich sie unerlaubterweise genommen und mich gleich daran gestochen, worauf meine Mutter ausgerastet war. Danach fasste ich sie nie wieder an.

Aber möglicherweise kamen sie mir im Moment wie gerufen.

Der Mann beachtete mich immer noch nicht.

Ich behielt nur eine Nadel in der Hand, die anderen steckte ich wieder ein. Ich zögerte nicht mehr lange. Wer wusste denn schon, wann die anderen wiederkamen.

Ich warf die Nadel. Erschrocken schrie der Mann auf und griff sich an den getroffenen Arm.

Ich preschte vor, hob das Mädchen hoch und rannte mit ihr davon.

Der Mann schrie mir einige Dinge hinterher, die ich nicht mehr verstand, zu sehr konzentrierte ich mich auf meinen Weg und darauf, nicht zu stolpern.

Das Mädchen rührte sich nicht, während sie in meinen Armen lag und sagte auch nichts. Ihr Blick blieb monoton wie zuvor.

In diesem Moment war ich froh über meine Ausbildung bei der Kavallerie. Dort hatte ich auch Konditionstraining gehabt, das mir bei einer solchen Flucht um einiges weiterhalf.

Erst als ich die Stadt weit hinter mir gelassen und in einem Wald angekommen war, blieb ich wieder stehen. Ich ließ das Mädchen herunter und lehnte mich gegen einen Baum, um Luft zu holen.

Die Kleine sah mich ausdruckslos und stumm an. Aber ich hatte auch nicht erwartet, dass sie plötzlich einfach zu sprechen anfangen würde, von daher wunderte es mich nicht.

Der Verlust der Nadel deprimierte mich. Meine Mutter würde mir bestimmt eine riesige Standpauke halten, wenn ich mit nur vier Nadeln wiederkam. Allerdings hatte ich auch nicht vor, wieder zurückzugehen und die Nadel zu holen. Das sollte sie dann schön selbst machen.

Wieder sah ich das Mädchen an. „Wie heißt du denn?“

Wie erwartet antwortete sie nicht, starrte mich nur weiter an.

Ihre roten Augen erinnerten mich ein wenig an die aufgehende Sonne. Da sie offensichtlich nicht redete und ich ihren Namen nicht kannte, beschloss ich, ihr einen zu geben. „Ich werde dich Dawn nennen, ist das in Ordnung?“

Sie neigte den Kopf. Ich nahm das als Ja.

„Gut, ich bin auf dem Weg nach Hause. Willst du mitkommen?“

Sie deutete ein Nicken an. Ich lächelte. „Also, auf geht’s!“

Ich hatte zwar kein Vehikel gefunden, um mich nach Hause zu bringen, aber immerhin würde ich nicht allein reisen – und bestimmt gab es noch andere Städte auf dem Weg, wo ich nach einer Mitfahrmöglichkeit Ausschau halten konnte.

Bei den Geflügelten

Ich hatte nie gewusst, wie groß so ein Wald sein konnte. Aber die Tage, die ich mit dem kleinen Mädchen verbrachte, um ihn zu durchqueren, kamen mir endlos vor. Und obwohl sie bei mir war, fühlte ich mich einsam. Sie redete nie und zeigte auch so gut wie gar keine Emotionen.

Es war tatsächlich fast so als würde sie gar nicht bei mir sein.

Je tiefer wir in den Wald kamen, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass wir im Kreis liefen, obwohl das nicht sein konnte, zumindest sagte mir mein gesunder Menschenverstand das.

Immerhin gingen wir nie um eine Ecke und es gab auch keine Kurven.

Wie konnten wir also im Kreis laufen?

Dawn sah mich emotionslos an, als ich schließlich stehenblieb, um mich genauer umzusehen.

„Wo sind wir nur gelandet?“, murmelte ich, um die Stille zu vertreiben.

Die Vögel waren inzwischen verstummt, auch die anderen alltäglichen Geräusche waren nicht mehr zu hören. Wann waren sie verstummt?

Es war eindeutig, dass etwas nicht stimmte. Ich wusste nur nicht, was. In solchen Dingen war ich immer sehr unaufmerksam gewesen – obwohl meine Mutter versucht hatte, mich gerade auf so etwas zu trimmen. Leider hatte sie es nicht geschafft, sonst hätte mir das sicherlich einiges erspart.

„Dawn, meinst du, wir kommen irgendwohin, wenn wir uns quer durch das Gebüsch schlagen?“

Sie antwortete nicht, aber ich hatte das auch nicht erwartet.

„Gehen wir weiter.“

Bevor wir die kleine Lichtung wieder verließen, markierte ich mit meinem Messer einen der Bäume. Nur um sicherzugehen, dass wir nicht wirklich im Kreis liefen.

Doch nicht lang danach kamen wir wieder an eine Lichtung. Mein Blick suchte sofort den Baum – ich erstarrte. Tatsächlich war die Markierung zu sehen.

„Verdammt. Was soll das?“

Dawn begutachtete inzwischen interessiert das Gebüsch. Ich weiß bis heute nicht, was sie da gesehen hat und in dem Moment war ich zu sehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt als dass ich mich darum hätte kümmern können.

Was war das nur für ein Wald?

Und wie würden wir hier wieder rauskommen?

Würden wir überhaupt wieder hinauskommen?

Ich war zum Glück immer gut darin, nicht in Panik auszubrechen, egal wie auswegslos eine Situation erschien. Allerdings suhlte ich mich immer gern in Selbstmitleid und den schlimmsten Vorstellungen. Nie wieder würde ich meine Freunde und meine Eltern wiedersehen, nie wieder zurück nach Cherrygrove kommen.

Die Tränen brannten in meinen Augen und machten mich augenblicklich völlig blind. Erst als ich spürte, wie jemand an meinem Ärmel zupfte, riss ich mich wieder zusammen.

Dawn sah zu mir hinauf. In ihrem Blick lag eine unausgesprochene Frage.

Ich schüttelte den Kopf. „Schon okay. Alles in Ordnung. Ich finde hier einen Weg heraus. Versprochen.“

Womöglich war das der Grund, warum uns niemand in den Wald gefolgt war. In der Gegend war dieser Zauber bestimmt bekannt. Aber wie hätte ich das ahnen sollen?

„Na ja, zumindest solange wir nicht im Wald der Geflügelten gelandet sind.“

Eine andere Frage erschien in ihrem Blick. Ich grinste leicht. „Na ja, weißt du, meine Mutter hat mir früher oft Geschichten erzählt. Auch von einer Rasse, die man Geflügelte nennt. Sie sind wie Menschen, nur dass sie eben... Flügel haben. Und sie leben angeblich abgeschottet von allen anderen Menschen in einem Wald in Király. Ich habe das natürlich nie geglaubt... aber wenn ich mich hier so umsehe, kommen mir Zweifel...“

Um sie und mich von unserer Situation abzulenken, erzählte ich ihr mehr darüber. Ich erzählte ihr von der Zeit, als die Geflügelten noch gemeinsam mit den Menschen gelebt hatten. Doch die Ausschreitungen zwischen den beiden Völkern waren immer brutaler und grausamer geworden.

Schließlich hatten sich die Geflügelten entschlossen, sich von den Menschen zurückzuziehen. Sie hatten sich tief in einem Wald ein neues Dorf aufgebaut und als ihr gesamtes Volk sich dorthin zurückgezogen hatten, hatten sie einen Zauber auf den Wald gelegt.

Fortan sollten sich alle Menschen, die sich dorthin verirrten, auf ewig auf den Pfaden herumirren.

Beim letzten Teil der Geschichte wurde ihr Blick wieder besorgt, genau wie meiner.

Möglicherweise hatten wir uns wirklich in eben diesem Wald verlaufen.

Würden wir dann je wieder hinausfinden?

Ich schüttelte heftig meinen Kopf und lachte über mich, als ich mir dieses Gedankens bewusst wurde. Aber das Lachen klang gekünstelt und überzeugte nicht einmal mich selbst.

Dawns Blick war ebenfalls skeptisch geworden. Wenigstens wurde das mit ihren Emotionen endlich was.

„Jetzt schau mich nicht so an. Wir kommen hier schon wieder raus. Ganz sicher. Selbst wenn wir in 'nem menschenfressenden Wald landen. Nicht, dass es so etwas geben würde, versteht sich.“

Ich lachte noch einmal, aber sie dagegen sah eher ängstlich aus.

„Nur keine Sorge, alles wird gut.“

Ich kniete mich neben sie und umarmte sie, um sie zu beruhigen. Ich konnte spüren, wie sie wieder ruhiger wurde, also ließ ich sie wieder los. „Besser jetzt?“

Sie nickte lächelnd.

„Gut, dann lass uns zusehen, wie wir den Weg nach draußen finden.“

Sie nickte noch einmal und nahm meine Hand.

Gemeinsam liefen wir in die andere Richtung weiter. Ich wusste nicht, ob die andere Richtung funktionierte, aber ein Versuch würde bestimmt nicht schaden. Aber warum hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, dass ich etwas sehr Wichtiges bei diesem Märchen vergessen hatte?

Wir liefen bis es Abend wurde. Kaum war die Sonne untergegangen, herrschte tiefe Dunkelheit im Wald. Ich beschloss, es für diesen Tag gut sein zu lassen.

Dawn und ich legten uns auf den Boden und waren schon bald vor Erschöpfung eingeschlafen.

Ich erinnerte mich nicht mehr an das, was ich träumte, aber ich erinnerte mich an das laute Geräusch, das mich plötzlich aufweckte, gefolgt von einem starken Schmerz an meinem rechten Arm.

„Au! Was zum...!?“

Als ich meine Augen öffnete, glaubte ich mich in einem Traum. Der Mann, der mich festhielt, hatte lederne Flügel, die aus seinem Rücken wuchsen.

Ein anderer hielt Dawn auf seinen Armen. Das Mädchen sah teilnahmslos zwischen allen Beteiligten hin und her.

„H-hey, können wir das nicht irgendwie anders klären?“, fragte ich. „Ihr müsst mich doch nicht gleich festnehmen und so.“

„Schweig!“

Die Stimme des Geflügelten war tief und kehlig. Ich wunderte mich, ob er immer so sprach oder ob er extra für mich eine Ausnahme machte.

„Du bist unrechtmäßig in unseren Wald eingedrungen und hast einen unserer Bäume verletzt.“

Ich erinnerte mich an den Baum, in den ich die Markierung geritzt hatte.

„Ups. Äh, weißt du, ich habe das nicht absichtlich gemacht. Ich... ich... ich... bin nicht hier aus der Gegend und so, weißt du.“

„Ich sagte, Schweig! Das kannst du unserem Anführer erzählen.“

„Und der wird mir zuhören?“

Der Geflügelte schwieg. Ich hoffte, das hieß so viel wie „Ja“.

Er zog mich mit sich, den Weg hinunter, der uns zuvor immer nur im Kreis herumgeführt hatte. Obwohl ich dasselbe erwartete wie zuvor, eröffnete sich uns ein neuer Anblick.

Staunend blieb ich stehen. Die Bäume ragten hinauf in den Himmel, viel höher als die im Rest des Waldes. Viele hundert Meter über dem Boden klebten Häuser am Stamm, Hängebrücken waren zwischen den Häusern gespannt, Kinder, deren Flügel noch nicht ausgewachsen waren, spielten darauf.

Der Geflügelte, der mich am Arm hielt, ließ mich gewähren. Er war wohl auch in gewissem Maße stolz auf das, was ich da sehen konnte. Doch schließlich zog er mich weiter mit sich, weitaus weniger brutal als zuvor.

Dawn sah sich neugierig um, ihr Blick zeigte das erste Mal so etwas wie Leben.

Entgegen meiner Erwartung, wurden wir nicht zu den Häusern nach oben gebracht. Stattdessen führten die beiden Geflügelten uns zu dem einzigen Gebäude, das auf dem Boden gebaut worden war.

Im Inneren saß ein alter Mann mit weißem Haar, einem langen Bart und geschlossenen Augen. Seine Flügel wirkten verkümmert.

Wenn ich das richtig sah, war die Zeitspanne, in der die Geflügelten ihre Flügel benutzen konnten sehr kurz. Als Kinder und alte Menschen konnten sie offensichtlich nicht fliegen.

„Archont, wir bringen Euch zwei Menschen aus dem Wald.“

Der Geflügelte öffnete seine stahlblauen Augen und musterte uns. Ich lächelte verzweifelt, hoffend, dass man Gnade mit uns walten lassen würde.

„Was sollen wir mit ihnen tun?“

Der Archont schloss seine Augen wieder. „Sie sollen für eine Weile hier bleiben.“

Die beiden Geflügelten sahen ihn überrascht an, genau wie ich selbst.

Normalerweise waren Menschen in diesem Dorf nicht gestattet, was brachte ihn also dazu, gerade uns hier behalten zu wollen?

Die beiden Geflügelten, die uns gefangen genommen hatten, warfen sich verwirrte Blicke zu.

„Habt ihr das verstanden?“, fragte der Archont.

„A-aber weswegen?“

„Das hat euch nicht zu interessieren. Bringt die beiden in ein leeres Haus.“

Die Geflügelten seufzten. „Wie Ihr wollt, Archont.“

Ich atmete erleichtert aus. Wieder wurde ich am Arm gepackt und rausgezerrt, weitaus grober als vorhin.

Ich seufzte innerlich. Wie lange würden wir wohl hierbleiben müssen?

Und was wollte der Archont von uns?

Es gab wohl nur einen Weg, das herauszufinden und das war, abzuwarten.
 

Die Zeit im Dorf der Geflügelten schien langsamer zu vergehen als irgendwo sonst.

Jedenfalls kam es mir so vor während Dawn und ich dort unsere Zeit verbrachten. Ich weiß nicht, wieviel Zeit es war, es muss mehr als ein Jahr gewesen sein, aber mir kam es nur wie ein Monat vor.

Der Himmel war durch das Blätterdach nicht zu sehen, nicht einmal Sonnenstrahlen drangen herunter.

Die einzigen Lichtquellen waren fluoriszierende Pflanzen an den Bäumen, die ein unheimliches grünes Glühen verbreiteten und die Atmosphäre damit einzigartig machten. Golden leuchtende Käfer umschwirrten das Grün immerzu. Ich habe Stunden damit verbracht, das zu beobachten. Noch nie zuvor hatte ich so etwas Wundervolles gesehen.

Der Geflügelte, der mich gefangengenommen hatte, trug den Namen Lloyd, wie ich schon bald erfuhr. Er beobachtete mich häufig und versuchte auch, mich über alles, was in dem Dorf vorging, aufzuklären.

Die Geflügelten interessierten sich nicht für den Wechsel zwischen Tag und Nacht. Sie brauchten ohnehin weniger Schlaf als Menschen und kümmerten sich deswegen nicht darum, wann sie denn nun zu schlafen hatten. Wer müde war schlief und wer es nicht war, blieb wach, bis er müde wurde.

Da es keine Arbeitseinteilungen wie bei uns gab, war das auch kein Problem.

Im Prinzip war einer der Wächter des Dorfes immer wach, so dass es nie einen Zeitpunkt gab, zu dem das Dorf unbewacht war.

Immer wieder stellte ich mir grinsend vor, wie der Großteil der angehenden Kavalleristen nachts trainierte, da sie tagsüber einfach nur schlafen wollten. So nahtlos und flüssig wie hier würde das aber bestimmt nicht ablaufen.

Als einer der wenigen Geflügelten, der sein Dorf auch verließ, wusste Lloyd, wie es um die Menschenwelt bestellt war und ich war mir ziemlich sicher, dass er sie und alle Menschen – einschließlich mir – abgrundtief hasste. Ich versuchte, mich nicht zu auffällig zu verhalten, um ihn keinen Grund für Misstrauen oder gar Maßnahmen gegen mich zu geben. Aber wie so oft, wirkte ich gerade in der Phase am auffälligsten, was er allerdings auch zu wissen schien und deswegen nichts unternahm, außer mich weiter im Auge zu behalten.

Aber was sein Oberhaupt von Dawn wollte, wusste er ebenfalls nicht.

Die Tatsache, dass auch seine Intelligenz Grenzen hatte, beruhigte mich ein wenig, wenngleich ich nicht sagen konnte, weswegen. Wahrscheinlich war ich nur neidisch auf ihn gewesen.

Ich verschwendete keinen Gedanken an Flucht, aus Furcht, Lloyd könnte meine Gedanken lesen und mich dafür schon bestrafen, obwohl ich sicher war, dass er das eben nicht konnte.

Aber ich beschloss, kein Risiko einzugehen.

Den Wechsel der Wachposten beobachtete ich lediglich aus Neugierde und stellte mir dabei gleichzeitig die Frage, wovor die Geflügelten sich hier zu schützen gedachten.

Doch die Antwort darauf sollte ich früher bekommen als mir lieb war.

Flucht

Etwa ein Jahr nach unserer Ankunft im Dorf (wieviel Zeit genau vergangen war, fand ich erst nach unserer Flucht aus dem Wald heraus), bemerkte ich eine Veränderung in den Geflügelten. Sie wurden deutlich nervöser und unterhielten sich flüsternd. Wann immer ich in ihre Nähe kam, brachen sie das Gespräch ab und verfolgten mich mit Blicken, bis ich wieder außer Hörweite war, so dass sie weiter flüstern konnten.

Fürchteten sie mich?

Oder vielleicht doch etwas anderes?

Irgend etwas musste sich jedenfalls verändert haben, wenn sie sich so auffallend verhielten.

Sogar Lloyd hörte auf, mich auf Schritt und Tritt zu verfolgen, stattdessen schien er wichtigeren Geschäften nachzugehen. Natürlich erzählte er mir nie davon, nur dass er bei einem der Außenposten gewesen war.

Was es dort wohl zu sehen gab?

Am Abend des Tages, der unser letzter bei den Geflügelten sein sollte, wurde ich überraschenderweise in das Haus des Archont gerufen. Im Laufe der Zeit, die ich dort verbracht hatte, hatte er immer nur mit Dawn gesprochen. Jeden Tag hatte er sie in seine Behausung gerufen und stundenlang mit ihr geredet. Ich wusste nicht, worüber, aber neugierig war ich ohne Zweifel. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass ich es nie erfahren würde.

Der Archont wirkte genauso wie zuvor. Nicht nervös, aufgeregt oder sonst irgendwie beunruhigt, ganz anders als die anderen Geflügelten. Kein Wunder, dass er der Anführer von allen war.

Er ließ mich vor sich hinknien.

„Ich bin froh, dass du kommen konntest, Landis.“

Ich musste unwillkürlich schmunzeln. Was hätte ich sonst machen sollen? Mich zu widersetzen hatte ich mich ohnehin nicht getraut.

„Was möchtet Ihr von mir?“

Dawn erschien hinter dem Archont und setzte sich zu mir.

Was hatte sie hinter ihm nur gemacht? Aber zumindest schien es ihr gutzugehen.

„Es geht um dieses Mädchen“, sprach der Mann.

„Dawn?“

Der Geflügelte verzog sein Gesicht zu einem Lächeln. „Du hast ihr einen Namen gegeben? Das freut mich. Das bedeutet, dass du eine emotionale Bindung zu ihr aufgebaut hast. Etwas, was sehr vorteilhaft sein wird.“

Ich verstand gar nichts mehr. Warum sollte es ein Vorteil sein, wenn ich eine emotionale Bindung zu Dawn hatte?

Sie reagierte nicht, als ich sie forschend musterte, dafür fuhr der Archont fort: „Dein Schicksal hat sich mit dem des Mädchens untrennbar miteinander verknüpft. Aber es war kein Zufall, dass ihr euch begegnet seid.“

Kein Zufall?

Ich dachte an meine Begegnung mit ihr zurück. Die Begegnung mit Dawn war nur möglich gewesen, weil ich auf diesem Wagen eingeschlafen war und das war nur passiert, da ich mich auf Orianas Hochzeit betrunken hatte und diese Hochzeit war nur das Ergebnis eines Streits zwischen Oriana und mir gewesen. Es waren wirklich sehr viele Zufälle, die dazu geführt hatten. Zu viele für meinen Geschmack. Womöglich war er also im Recht.

Ich nickte. Der Archont, der mir offensichtlich Zeit zum Nachdenken eingeräumt hatte, fuhr fort: „Die Zeit, dieses Dorf zu verlassen wird für euch beide bald kommen. Ich möchte, dass ihr dann nach Osten reist.“

„Osten? Aber da ist doch nichts?“

Wenn ich die Karte richtig im Kopf hatte, war im Osten nur ein unüberwindbarer Bergkamm. Was sollte es dort zu sehen geben?

„Das wirst du sehen, wenn du dort bist“, sagte der Archont ruhig.

Ich fand den Mann sehr mysteriös – und er ging mir ein wenig auf die Nerven. Seine betont ruhige Art stand im krassen Gegensatz zu meinem sonst so lebhaften Wesen und so etwas hatte mich schon immer sehr genervt.

„Und wann wird diese Zeit endlich kommen?“

„Nur Geduld, junger Mensch Landis. Es wird nicht mehr lange dauern und du wirst den richtigen Augenblick erkennen. So wahr mein Name Ephrahim ist.“

„Ich dachte, er wäre Archont...“

Der Mann lachte. „Archont ist ein Titel, kein Name, mein Junge.“

Tatsächlich hatte ich also wieder etwas gelernt. Aber davon gehört hatte ich wirklich noch nie zuvor. Wir hatten immerhin nur den Bürgermeister und unsere Königin gehabt.

„Nun gut, geht endlich, es wird Zeit für meinen Mittagsschlaf.“

Mittagsschlaf? Wir haben bereits Abend...

Ich nickte und ging gemeinsam mit Dawn wieder hinaus, froh, dass es endlich vorbei war und ich nun wusste, dass mein Aufenthalt in absehbarer Zeit vorbei sein würde.

Erneut verstummten die Gespräche der Geflügelten und sie sahen uns wieder an.

Ich konnte mir nicht helfen, aber ich würde mich wahrscheinlich nie daran gewöhnen. Noch ein Grund, glücklich zu sein, dass ich bald wieder wegkommen würde.

Dawn und ich gingen in Richtung der Hütte, die mir zugeteilt worden war. Doch wir kamen nicht weit, bevor ich Lloyds Stimme vernahm: „Landis, warte einen Moment.“

Ich drehte mich zu ihm, Dawn blieb ebenfalls stehen. „Was ist los?“

„Du warst bei Archont Ephrahim, nicht?“

„Ja, das stimmt. Warum?“

Lloyd antwortete nur mit einer Gegenfrage: „Was hat er dir erzählt?“

„Nicht viel. Nur, dass meine Zeit hier bald vorbei wäre.“

Der Geflügelte nickte interessiert. „Verstehe. Danke.“

Ohne mir zu sagen, weswegen er das wissen wollte, ging er wieder weiter. Ratlos sah ich ihm hinterher. Was sollte das?

Was wussten diese Leute, was ich nicht wusste?

Eine Berührung an meiner Hand lenkte meine Aufmerksamkeit neben mich. Dawn sah mich mit großen Augen an, anscheinend wartete sie darauf, dass wir endlich weitergingen. Lächelnd nickte ich ihr zu und setzte schließlich meinen Weg fort.
 

Trotz der herrschenden Nervosität schlief ich rasch ein und wachte erst wieder auf, als mir jemand schmerzhaft in die Rippen trat. „Au! Verdammt! Was soll-!?“

„Schweig!“, unterbrach Lloyd mich.

Ich hob den Kopf, um ihn anzusehen. Ernst und ausdruckslos sah er auf mich herunter, ich hörte ein lautes Knistern und das Aufeinanderklirren von Metall. „Was ist los? Wo ist Dawn?“

Auf meine Frage hin, spürte ich eine Berührung an meinem Arm. Sie saß neben mir, genau wie zu zuvor, bevor ich eingeschlafen war.

„Erinnerst du dich an das, was der Archont zu dir gesagt hat? Wo du hingehen sollst?“

Sein hektischer Unterton bereitete mir Sorgen, deswegen beantwortete ich die Frage direkt: „Er sagte, ich soll mit Dawn nach Osten gehen.“

Warum kamen mir die Worte so schnell wieder ins Gedächtnis? Als ob er sie direkt hineingebrannt hätte, damit ich diese Information auch ja nicht vergaß.

Lloyd nickte sichtlich zufrieden. „Gut, dann nimm das Mädchen und geh. Aber sei vorsichtig, dass du nicht in die Kämpfe verwickelt wirst.“

Ich wollte nachhaken, aber ohne weitere Erklärungen fuhr er herum und ging hinaus.

Ich überlegte nicht mehr lange. Während meiner Ausbildung hatte ich gelernt, auch in Extremsituationen einen kühlen Kopf zu bewahren – zumindest in Situationen, in denen es einen Kampf gab.

Für alles andere hatten wir keine Fallbeispiele gehabt.

Um nicht zu viel Zeit verstreichen zu lassen, stand ich direkt auf und hob Dawn auf meinen Arm. „Bist du bereit?“

Sie nickte, eine der ersten Reaktionen auf meine Worte.

„Gut, dann halt dich fest, damit du nicht runterfällst.“

Auf meine Worte schlang sie ihre Arme um mich. Vorsichtig warf ich einen Blick hinaus.

Mir blieb fast mein Herz stehen.

Das Dorf stand in Flammen – wie konnte ich das nicht bemerkt haben? - die Geflügelten waren in Kämpfe mit Soldaten verstrickt, waren aber eindeutig unterlegen. Die meisten lagen bereits auf dem Boden, unter jedem von ihnen eine glänzende Lache.

Was war nur los?

Was war passiert?

Nein, das musste ich ein andermal in Erfahrung bringen. Erst einmal musste ich weg von diesem Ort. Weg von den Soldaten und dem Feuer, um Dawn und mich in Sicherheit zu bringen.

Ich holte noch einmal tief Luft – atmete dabei brennenden Rauch ein – und rannte hinaus.

Kaum tat ich den ersten Schritt aus der Hütte, stürmten auch die Geflügelten mit verstärkter Kraft auf die Soldaten zu. Offensichtlich wollten sie unseren Rückzug decken.

Ich achtete nicht darauf und rannte weiter, allein mit dem Gedanken, den Flammen zu entkommen.

Hinter mir hörte ich Kampfgeräusche, Schreie und dumpfe Schläge, wenn ein Körper zu Boden fiel.

Noch nie zuvor war ich auf einem reellen Schlachtfeld gewesen, aber dennoch war mein Verstand erstaunlicherweise klar und auch meine Sinne arbeiteten auf Hochtouren, ließen mich jeden Zweig unter meinen Füßen knacken hören und die Bewegungen panischer Tiere aus dem Augenwinkel sehen.

Ich ließ den Außenposten des Dorfes hinter mir und damit auch das Feuer. Erst in der kühlen Nachtluft spürte ich, dass meine Kleidung an meinem Körper klebte. Sofort hörte ich auf zu rennen und lief langsamer. Ich war mir sicher, dass auch im restlichen Wald Soldaten waren und diesen wollte ich nicht in die Arme rennen.

Als ich einen Blick zurückwarf, erkannte ich, wie hell das Feuer brannte. Ob man es in Cherrygrove sehen konnte? Zumindest als fernes Leuchten?

Knackende Äste holten mich in den Wald zurück. Irgend jemand kam durch die Dunkelheit in meine Richtung. So schnell und lautlos wie möglich, verbarg ich mich im nächsten Gebüsch. Tatsächlich kamen kurz darauf Soldaten vorbei, die mich aber anscheinend nicht gesehen hatten. Einer der Männer trug ein Schild mit sich, auf dem deutlich ein Wappen zu sehen war. Ich runzelte meine Stirn.

Es war das Wappen des direkten Landesnachbarn von Király. Aber weswegen würde das Nachbarland, mit dem wir einen Waffenstillstand pflegten, hier eindringen und mitten im Wald ein ganzes Dorf auslöschen?

Vor allem ein Dorf von dem wohl niemand wusste, dass es überhaupt existierte.

Allerdings hatte ich auch keine Ambitionen, mich zu zeigen und die Vorbeiziehenden zu fragen.

Stattdessen wartete ich geduldig, bis die Soldaten weg waren und die Geräusche wieder leiser wurden. Vorsichtig verließ ich mein Versteck und ging in die entgegengesetzte Richtung davon.

Es entstanden immer mehr Fragen in meinem Kopf.

Was ging hier nur vor?

So lange Zeit war nichts geschehen und nun alles innerhalb einiger Stunden. Sehr seltsam.

Schon damals ahnte ich, dass einiges mehr hinter dieser ganzen Sache steckte. Aber der volle Umfang sollte sich mir erst später eröffnen.
 

Oriana runzelte ihre Stirn. „Das Licht, das ich in jener Nacht gesehen habe... es war das brennende Dorf?“

Landis nickte. „Wahrscheinlich. Es war also wirklich so weit zu sehen, hm?“

Nolan nickte ebenfalls. „Oh ja. An diese Nacht erinnere ich mich auch. Mann, wenn ich gewusst hätte, dass du da mittendrin warst...“

„Tja, wer wusste das schon“, sagte Kenton. „Nach diesem Angriff zogen sich unsere Nachbarn jedenfalls zurück und ließen den Waffenstillstand verlängern. Außerdem wurde uns aus freien Stücken mitgeteilt, dass Sir Dorugon den Auftrag für diesen Angriff gegeben hatte, da er das Königreich unterwandern und die Königin stürzen wollte. Deswegen haben wir ihn festnehmen lassen.“

Landis lachte leise. „Oh, Sir Dorugon hatte gar nichts damit zu tun. Dazu komme ich aber später.“

Frediano verschränkte die Arme vor der Brust, die Lippen zusammengepresst. Etwas beschäftigte ihn, das merkten alle Anwesenden, aber keiner von ihnen wusste was es war. Seit Landis mit seiner Geschichte begonnen hatte, hatte er geschwiegen und schien dieses Schweigen auch nicht so bald brechen zu wollen.

„Warum wurde Sir Dorugon eigentlich noch nicht hingerichtet, wenn er schon so lange hier drin sitzt?“, fragte Landis neugierig. „Aurora wolltet ihr direkt in den nächsten Wochen hinrichten.“

Kenton schien die Frage erwartet zu haben, denn seine Antwort kam direkt darauf: „Die Gründe dafür sind einfach. Sir Dorugon hat sich durch seine treuen Dienste zuvor verdient gemacht und außerdem hegt unsere Königin Sympathien für ihn. Sie wollte ihn zumindest in unserem Kerker behalten.“

Der Gefangene nickte, zufrieden mit der Antwort. „Mhm, verstehe.“

„Wie ging es weiter?“, drängte Richard. „Was geschah als Nächstes?“

Landis hob den Kopf, sein Blick ging andächtig an die Decke. „Dawn und ich konnten den Wald unbehelligt verlassen und nachdem wir eine ziemliche Strecke hinter uns gebracht hatten, legten wir uns unter einen Baum, um erst einmal zu schlafen und die Anstrengung der Nacht abzuschütteln.“

Aurora

Ich weiß noch, dass ich nach unserer Flucht einen sehr eigenartigen Traum hatte.

Darin befand ich mich wieder in Cherrygrove, aber ich war völlig allein. Einsam stand ich auf dem Dorfplatz und beobachtete, wie die Blüten zu Boden fielen.

In einem unserer Nachbarländer galt das als böses Omen. Kirschblüten symbolisierten dort einen frühen Tod. Ich hatte nie ganz verstanden warum. Aber vermutlich hatte es etwas damit zu tun, dass Kirschbäume ihre Blüten viel früher als andere Pflanzen verloren.

Während ich in meinem Traum die Blüten beobachtete, wuchs die Traurigkeit in meinem Inneren. Ich vermisste meine Freunde und vor allem Oriana und ich machte mir Sorgen um meine Eltern.

Ob man mich auch vermisste? Suchte man mich vielleicht sogar?

Ich...
 

„He, Lan!“, unterbrach Nolan die Erzählung erneut. „Natürlich haben wir dich gesucht. Aber wir wussten ja nicht wirklich, wo wir dich suchen sollten. Auch die fahrenden Händler konnten uns nichts erzählen, keiner hatte dich gesehen.“

Landis schmunzelte. „Ist das so? Nun, ich war immerhin nur in einer Stadt und dann bei den Geflügelten, bevor... oder habt ihr irgendwann aufgegeben?“

Die Anwesenden sahen sich betroffen an.

„Schon... irgendwie...“, gab Nolan zerknirscht zu. „Du warst über ein Jahr vom Erdboden verschwunden gewesen. Wir dachten, du hättest das Land verlassen oder... wärst sogar gestorben.“

„Ich habe das nie gedacht“, protestierte Oriana. „Ich wusste, dass Landis noch lebt.“

Er lächelte. „Danke, Oriana.“

Frediano seufzte abwertend. „Hört endlich auf mit diesem Schwachsinn. Erzähl weiter, Landis. Wir haben nicht ewig Zeit bis zu deiner Hinrichtung.“

Die anderen bedachten den Kommandanten mit tadelnden Blicken, bevor sie wieder zu Landis sahen, der seine Erzählung fortsetzte: „Ich fühlte mich einsam und eigentlich wollte ich nur nach Hause – aber ich hatte dem Archont versprochen, in die Berge zu gehen. Und ich war immer noch gespannt, was es dort geben würde.“
 

Eine sanfte Berührung auf meinem Gesicht schaffte es, meinen Schlaf zu stören. Nur widerwillig öffnete ich meine Augen und sah direkt in das Gesicht einer rothaarigen Frau. Ihre goldenen Augen glitzerten im Schein des Feuers, das ich entfacht hatte, bevor ich eingeschlafen war.

Eigentlich hätte ich erschrocken zusammenzucken müssen, doch stattdessen starrte ich die Frau nur ungläubig an. Sie war wirklich hübsch, ich konnte mich nicht erinnern, sie schon einmal gesehen zu haben. Wo war sie nur hergekommen?

Und was machte sie hier?

Hastig setzte ich mich auf. Sie entfernte sich ein wenig von mir und lächelte. „Wieder wach?“

Sprachlos sah ich sie an. Eigentlich wollte ich ihr schon eine Frage stellen, aber meine Zunge spielte da nicht so ganz mit. Das schien sie wiederum zu amüsieren, weswegen sie leise lachte. „Manchmal kannst du so süß sein, Landis.“

„Wer bist du?“, fragte ich schließlich.

Seufzend blickte sie umher. „Sieh dich um und dann rate.“

Wie sie gesagt hatte, blickte ich mich um, wenn ich auch nicht wusste, was es da zu sehen geben sollte. Allerdings fiel mir schnell etwas auf: „Wo ist Dawn?“

Die Unbekannte lächelte grimmig. Als ich sie wieder ansah, wurden ihre Züge aber um einiges weicher. „Rate doch mal.“

Ihre Stimme hatte einen verspielten und immerzu leicht amüsierten Unterton, der mich ein wenig irritierte. Es war als ob sie sich dauernd nur über einen lustig machen würde. Und veralbert kam ich mir in diesem Moment wirklich vor.

„Ich bin schlecht im Raten“, erwiderte ich genervt und übermüdet.

Sie seufzte genervt. „Wie unlustig. Ich bin Aurora. Auch wenn du mich immer Dawn nennst.“

Das wiederum konnte ich nicht fassen. „Du machst dich über mich lustig, oder?“

In dem Moment war ich sicher, dass diese Frau Dawn versteckt hatte. Womöglich war sie eine Räuberin oder eine Mörderin. Aber warum sollte sie mir dann diese ganzen Sachen vorspielen?

Vorsichtshalber wich ich etwas zurück. Sie grinste und glich die entstandene Distanz wieder aus. „Na na na, willst du mir etwa ausweichen?“

„Was willst du von mir?“

In dem Moment verfluchte ich mich selbst dafür, dass meine Stimme zu zittern begonnen hatte. Sie lächelte mich unschuldig an. „Nur dir danken, mein Lieber.“

Ihre Lippen näherten sich meinen. Ich legte den Kopf zurück, um ihr auszuweichen. Lachend zog sie sich wieder zurück. „Ja, du bist wirklich süß.“

Ich verstand zwar nicht warum, aber wenn sie meinte...
 

„Moment mal.“

Diesmal war es Richard, der die Erzählung unterbrach. Frediano seufzte, aber das hielt den Mann nicht davon ab, weiterzureden: „Sagtest du, ihr Name ist Aurora?“

Landis stellte sich vor wie die junge Frau in der Zelle gegenüber vor sich hingrinste und nickte. „Ja. So stellte sie sich vor. Und auch die anderen nannten sie so.“

Richard runzelte seine Stirn, musste aber erst von Oriana aufgefordert werden, bevor er sagte, was ihn beschäftigte: „Asterea sagte einmal, dass eine Freundin von ihr Aurora hieß. Der Name ist nicht unbedingt häufig und auch die Beschreibung stimmt mit der von dir überein. Ist sie etwa dieselbe?“

Landis schmunzelte. „Erraten.“

„Aber das kann doch nicht sein...“

Richard verschränkte die Arme vor der Brust. Man konnte sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete.

Landis wusste genau, was ihn beschäftigte. Er zählte eins und eins zusammen, um endlich zu erkennen, dass Dawn und Aurora ein- und dieselbe Person waren.

„Wenn ich weitererzählen darf, dann werdet ihr es vielleicht verstehen.“

Kenton nickte. „Fahr bitte fort.“

„Also... Aurora schien das ganze ziemlich lustig zu finden...“
 

Ich hatte das Gefühl, dass sie immerzu lachte, wenn man sie ließ. Jedenfalls hörte sie nicht so schnell wieder auf und langsam machte ich mir bereits Sorgen, dass es ihr nicht gutgehen könnte. Möglicherweise hatte sie etwas Schlechtes gegessen.

„Alles in Ordnung?“, fragte ich besorgt.

„Ja“, gluckste sie. „Alles klar.“

Nur langsam beruhigte sie sich wieder. „Also, hast du endlich mitbekommen, wer ich bin?“

„Du bist wirklich Dawn? Aber wie kann das sein?“

Nachdenklich legte sie ihre Stirn in Falten. „Mhm, gute Frage. Ich bin so schlecht darin, diese Dinge zu erklären, weißt du? Jedenfalls bin ich tagsüber ein kleines Mädchen und nachts eben eine Frau.“

„Klingt abgefahren.“

Es war das erste, was mir eingefallen war. Wieder lachte sie vergnügt. „Du bist nicht nur süß, sondern auch lustig. So etwas mag ich.“

Verlegen kratzte ich meine Wange. Ich war es nicht gewohnt, so viele Komplimente zu bekommen – und als süß betrachtete ich mich ohnehin nicht. Aber na ja... ich konnte ihr auch nicht widersprechen. Da war etwas an ihr, das dafür sorgte, dass man ihr immer recht geben wollte.

Schließlich beruhigte sie sich erneut und seufzte leise.

„Wie kommt es, dass du erst jetzt zu einer Frau wurdest?“

„Oh, wie zweideutig, mein Lieber“, sagte sie kichernd. „Ich wurde bislang jede Nacht zu einer Erwachsenen, aber du hast ja nen sehr gesunden Schlaf.“

Das hatte Oriana auch immer beklagt – sie meinte immer, dass man eine Bombe neben meinem Bett hochgehen lassen könnte, ohne dass ich davon etwas mitbekommen würde.

„Aber mach dir keinen Kopf darum“, sagte sie weiter, „Männer haben alle diesen gesunden Tiefschlaf, habe ich manchmal das Gefühl.“

Zumindest bei Kenton und meinem Vater war es nicht so... aber ich wusste auch nicht, woher Aurora diese Erfahrungen hatte.

Da sie nichts mehr sagen wollte, stellte ich ihr noch eine Frage: „Weißt du, was wir in den Bergen wollen?“

Sie nickte, legte aber einen Finger an ihre Lippen und zwinkerte mir zu. „Ich verrate es dir aber nicht.“

Mit einer solchen Antwort hatte ich gerechnet, deswegen ging ich mich nicht weiter daran ein. Zu wissen, dass sie wusste, was wir suchten, beruhigte mich ungemein. Also waren wir doch nicht ganz so planlos wie ich befürchtete hatte. Am liebsten hätte ich sie auch gefragt, was sie mit dem Archont alles besprochen hatte, aber das würde sie mir bestimmt auch nicht sagen, also ließ ich es.

„Du solltest jetzt schlafen“, sagte sie sanft. „Du wirst morgen all deine Kräfte brauchen.“

„Wer hat mich denn erst geweckt?“, grummelte ich, was sie wieder kichern ließ.

Wir wünschten uns gegenseitig eine gute Nacht und zumindest ich schlief bald darauf wieder ein.

Als ich am nächsten Morgen wieder aufwachte, war Aurora nicht mehr da. Dafür sah Dawn mich wieder neugierig an. Ich fühlte mich erleichtert. Auch wenn ich diese Frau nur für kurze Zeit gesehen hatte, so war mir das stumme Mädchen doch um einiges lieber.

„Guten Morgen, Dawn.“

Sie sagte nichts, aber ich stellte mir einfach vor, dass sie mich ebenfalls grüßte.

„Heute legen wir den Rest der Strecke zurück, nicht?“

Im ersten Moment glaubte ich, dass sie mir gar nicht zugehört hatte, aber plötzlich nickte sie. Ich lächelte ihr zu und stand auf.

Nach einer kurzen Katzenwäsche am nahe gelegenen Fluss liefen wir weiter. Die Bergkette zeigte keinerlei Anzeichen davon, dass es irgendetwas Interessantes zu sehen gab. Schroffe Felsen und Geröll war alles, was ich erblicken konnte. Aber Dawn folgte zielsicher einem Weg, den ich nicht einmal als besseren Trampelpfad eingeordnet hätte. Äste peitschten mir ins Gesicht und zerkratzten meine Haut. Die Wunden waren nicht schlimm, aber sie brannten leicht. Ich rutschte immer wieder aus, da die Steine unter meinen Füßen wegrollten. Dawn dagegen lief vergnügt voraus, blieb aber immer wieder stehen, um sicherzugehen, dass ich ihr auch folgte. Aber einfach verschwinden konnte ich ohnehin nicht mehr. Einmal machte ich mir Gedanken um Dawn und Aurora und außerdem war ich gespannt, was uns für diese Tortur erwartete.

Vor einer Wand blieb Dawn wieder stehen. Erleichtert stellte ich mich neben sie. Es führte kein Weg weiter, also hatten wir den Aufstieg endlich hinter uns. Ich war entschlossen gewesen, mich wieder den Berg hinunter zu stürzen, wenn wir noch einmal weiter nach oben gelaufen wären.

„Und jetzt?“, fragte ich.

Dawn sah vielsagend auf die Wand. Auf den ersten Blick hatte ich dort nur wahllos angeordnete Striche gesehen, hatte sie als natürliche Konturen abgetan, aber als ich noch einmal genauer hinsah, fiel mir ein Muster auf. Es sah aus wie eine Sonne.

Außerdem fiel mir auf, dass dieses Wandstück von der Struktur her anders war als der Rest des Berges. Mir kam eine verrückte Idee. Ich stieg auf einen Felsen und zog eine Wurfnadel heraus. Sie glänzte blank poliert, vielleicht reichte sie, um das Licht zu reflektieren.

Bei meiner Mutter hatte es funktioniert. Sie hatte damit bevorzugt Katzen geärgert – wenn ich das hatte machen wollen, wurde ich immer ausgeschimpft, dass ich nicht so gemein zu den Katzen sein sollte.

Ich hob die Nadel und drehte sie so lange in alle mögliche Winkel, bis tatsächlich Sonnenlicht auf die Zeichen schien. Nach wenigen Sekunden hörte ich ein lautes Geräusch, ein tiefes Grollen und im nächsten Moment schob sich die Tür mit viel Staub beiseite. Zufrieden steckte ich die Nadel wieder ein und stieg vom Felsen herunter.

Dawn lächelte zufrieden und nahm meine Hand. Sie nickte mir zu. Gemeinsam gingen wir weiter, kaum dass sich der Staub gelegt hatte.

Im Inneren herrschte undurchdringbare Dunkelheit. Das Sonnenlicht reichte nur wenige Schritte weit, dahinter war nichts mehr zu sehen. Eigentlich wollte ich gar nicht hineingehen, aber es blieb mir wohl keine andere Wahl.

Langsam, einen Schritt vor den anderen setzend, immer wieder inne haltend, um nach verdächtigen Geräuschen zu horchen, bahnten wir unseren Weg durch die Höhle. Na ja, eigentlich schien nur ich Angst zu haben, Dawn war unbesorgt und offensichtlich ungeduldig. Ich stellte mir vor wie die Frau der letzten Nacht wieder lachen würde, wenn sie das mitbekommen würde. Nun, zumindest diese Vorstellung gab mir ein wenig neuen Mut. Ich konnte mich doch nicht von einer Frau auslachen lassen.

Seltsam fand ich nur, dass es in dieser Höhle anscheinend keine Steine oder Felsen auf dem Boden gab. Jedenfalls stolperte ich nie gegen etwas. Konnte mir aber nur recht sein. Mein Gesicht brannte schon, da musste ich nicht noch schmerzende Zehen dazu haben. Unvermittelt blieb Dawn wieder stehen – und ich bemerkte auch gleich den Grund dafür. Scherzhaft prallte ich gegen eine Mauer.

„Autsch...“

Wir hatten das Tunnelende erreicht. Aber was nun?

Dawn ließ meine Hand los und stellte sich auf einen Felsen – der erste, den ich in dieser Höhle sah oder eben nicht sah. Das Wissen, dass sie auf einem Fels stand, kam auch erst als das Licht anging. Und das geschah ganz unvermittelt, als Dawn in eine Vertiefung in der Wand griff.

„Willst du mich blind machen?“, fragte ich.

Sie schien zu lachen, aber ich war mir nicht sicher, ob das stimmte. Außerdem interessierte es mich auch nicht. Ich wollte lieber wissen, woher das Licht kam, doch ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Es gab keine eindeutige Lichtquelle.

Schließlich nahm Dawn meine Hand und zog mich in einen Seitengang, den ich in der Dunkelheit nicht hatte sehen können. Nach wenigen Schritten sah ich bereits erneut Licht am Ende des Tunnels. Was das wohl war?

Doch als ich endlich sehen konnte, was zu sehen war, traute ich meinen Augen nicht.

Naturgeister

Ein Feld von Blumen, deren geschlossene violette Blüten ein sanftes Leuchten abgaben, erstreckte sich mitten in dem Raum, den wir betraten. Staunend ließ ich meinen Blick schweifen. Die Wände schienen nicht vorhanden zu sein, stattdessen war Wasser zu sehen, das von einer nicht sichtbaren Macht zurückgehalten wurde, so dass es nicht in den Raum strömte. Es war auch kein Glas davor und überhaupt konnten wir uns gar nicht unter Wasser befinden, gerade eben waren wir immerhin noch in den Bergen gewesen. Es war mir zwar nicht möglich gewesen, zu sehen, wo wir innerhalb der Höhle entlang gegangen waren, aber der Weg hatte auf keinen Fall nach unten geführt.

Mein Blick ging nach oben, diesmal erstarrte ich in Ehrfurcht. Myriaden funkelnder Sterne waren an der Decke zu sehen, der tiefblaue Grund schien sich bis in die Unendlichkeit auszudehnen. Eine kaum sichtbare Bewegung ging von den Sternen aus, während sie ihre Positionen immer wieder leicht anpassten, um am für die Uhrzeit passenden Platz zu sein. Es war kein natürlicher Himmel, kein schnöder Nachthimmel, wie ihn jeder sehen konnte, wenn es zu später Stunde wolkenlos war.

Nein, diese Schönheit war übernatürlich und unbeschreiblich.

Ich war mir sicher, noch nie etwas so Wundervolles gesehen zu haben und auch, dass ich so etwas nie wieder sehen würde. Als mir das bewusst wurde, fühlte ich, wie mein Herz geradezu überquoll, Tränen traten in meine Augen und mit einem leisen Schluchzen sank ich in die Knie.

Nie hätte ich geglaubt, dass so etwas Schönes auf dieser Welt existieren würde, noch dass ich es je sehen würde. Umso überwältigender war dieser Anblick. Und dann war da noch etwas. Zum ersten Mal in meinem Leben war mein Herz ruhig und ausgeglichen. Es war als ob ich gerade nach Hause, mein wahres Zuhause, gekommen wäre.

Dawn trat neben mich. In einer tröstenden Geste legte sie ihre Hand auf meine Schulter. Ich war unendlich dankbar, in diesem Moment jemanden bei mir zu haben und wenn es nur dieses kleine, mir eigentlich unbekannte, Mädchen war.

Aber warum hatte sie mich hierher geführt? Wie hatte sie von diesem Ort wissen können?

Ich berührte eine der Blumen. Die Blüte war samtig, fühlte sich aber weder unecht noch künstlich an. Was immer sie waren, noch nie zuvor hatte ich solch eine Art gesehen.

Ein Lachen echote über das Feld. Ich wischte die Tränen weg und sah mich wieder um. Dabei fiel mir auf, dass die Öffnung, durch die wir gekommen waren, spurlos verschwunden war. Stattdessen hatte sich auch das Stück Wand nahtlos in das blaue Leuchten des Wassers eingefügt. Das blaue Licht des Wassers und das goldene Glühen der Blumen vermischten sich in diesem Raum mit dem hellen Glanz der Sterne und sorgte so für genügend Licht in einer undefinierbaren Farbe.

Aber war es überhaupt nötig, Farben zu definieren? Zumindest hier? Nein, das war es nicht. Pure Schönheit in ihrer unverbrauchtesten Form bedarf keiner Definition.

Als ich mich wieder umsah, sah ich, dass Dawn in eine bestimmte Richtung deutete. Ich folgte ihrem Fingerzeig, neugierig, was uns erwarten würde. Es gab keinen Pfad, also liefen wir quer über das Feld. Unsere Schritte schienen die Blumen, so wie ich es zuerst befürchtet hatte, nicht zu belasten, keine einzige knickte um. Was waren das nur für Pflanzen?

Wir folgten dem Lachen, das in unregelmäßigen Abständen erklang und gelangten so schließlich an die Quelle davon. Es war ein junges silberhaariges Mädchen, etwa in dem Alter von Dawn. Sie saß zwischen den Blumen, völlig in ihre eigene Welt vertieft. Ihrem Lachen nach zu urteilen spielte sie ein lustiges Spiel – ganz mit sich allein. Oder sah sie noch andere Wesen?

„Wer bist du?“

Seit wir diesen Ort betreten hatten, waren das die ersten Worte, die ich hörte. Ich realisierte erst gar nicht, dass sie aus meinem Mund gekommen waren.

Das Mädchen blickte lächelnd auf. Ihr Lächeln erinnerte mich an meine Mutter. Doch der Gedanke war absurd. Sie konnte absolut nichts mit meiner Mutter gemein haben.

„Willkommen, Landis“, sagte das Mädchen. „Es freut mich, dass du deinen Weg hierher gefunden hast. So lange habe ich auf deine Ankunft gewartet.“

Ich runzelte meine Stirn. Von Schicksal hatte ich noch nie viel gehalten, dementsprechend fragte ich mich schon, wohin das Gesagte mich führen sollte. Würde sie mir wirklich mit einer Bestimmung kommen?

Sie schien meine Gedanken zu erraten, denn im nächsten Moment lachte sie noch einmal. „Ich weiß, dass du dieses Wort nicht magst. Ich werde es auch nicht benutzen, keine Sorge. Mit Schicksal hat das alles hier nichts zu tun. Setz dich doch.“

Ihre Hand vollführte eine einladende Bewegung. Ich setzte mich hin, Dawn tat es mir nach.

„Ich danke dir, dass du meine Schwester zurückgebracht hast.“

Dawn war also ihre Schwester? Warum war sie dann aber draußen unterwegs gewesen? Und warum konnte sie sich in eine junge Frau verwandeln? Träumte ich das alles am Ende nur?

„Ich sehe, dass du viele Fragen hast. Lass mich dir aber erst einmal vorstellen. Mein Name ist Lilium. Ich bin die Schwester von Aurora, Lunaria und Asterea.“

Bei letzterem Namen horchte ich auf. Asterea, der Name meiner Mutter. War das ein Zufall?

„Ich bin inzwischen als einzige von uns Nymphen zurückgeblieben.“

Nymphen... Naturgeister. Es gibt sie also wirklich? Aber was hat meine Mutter – oder ihr Name - damit zu tun?

Lilium nickte bestätigend. „All diese Blumen und Sterne, die du hier siehst, beheimaten Nymphen, welche die Natur im Gleichgewicht halten. Meine Schwestern und ich sind die Ältesten hier, deswegen haben wir eine andere Form.“

Man hatte uns oft von Nymphen erzählt, aber nie, dass sie auch andere Formen annehmen können, wenn sie älter wurden. Wahrscheinlich hatte auch niemand je daran gedacht, dass sie überhaupt alterten. So wie die pure Schönheit keiner Definition bedarf, brauchten Nymphen auch kein Alter, so hatte man gedacht. Aber zumindest das mit den Nymphen war wohl doch etwas anderes.

Ich deutete auf Dawn. „Das hier ist also Aurora, ja? Wo sind die anderen beiden?“

„Meine Schwestern beschlossen eines Tages, die Menschenwelt zu erkunden. Doch wenn eine Nymphe diese heilige Halle verlässt, treten ungeahnte Nebenwirkungen ein. Bei Aurora führte es dazu, dass sie tagsüber zu einem stummen Mädchen wird und nur nachts ihre wahre Gestalt annehmen kann.“

So war das also. Interessant.

„Lunaria hat Arbeit und Berufung in der Menschenwelt gefunden“, fuhr Lilium fort.

Ob ich diese Nymphe auch noch treffen würde? Interessant wäre es sicherlich. Aber vielleicht würde ich sie auch gar nicht als solche erkennen, das war immerhin auch möglich.

„Und Asterea fand die Liebe, heiratete und bekam einen Sohn.“

Ja, das klang wirklich nach meiner Mutter. Aber noch immer weigerte sich mein Verstand, das zu glauben. Allein die Vorstellung, dass meine Mutter ein überirdisches Wesen war, kam mir so absurd vor, dass ich es nicht wahrhaben wollte.

Liliums Lächeln kam mir plötzlich verschlagen vor. „Und dieser Sohn sitzt nun vor mir.“

Das war die letzte Bestätigung. Meine Mutter, in der ich bislang nur eine ehemalige Söldnerin gesehen hatte, war in Wahrheit ein Naturgeist, der die Menschenwelt erkundet hatte. Ich hatte Geschichten von derartigen Fällen gehört, nicht zuletzt von meiner Mutter zum Einschlafen, aber nie hätte ich geglaubt, dass so etwas wirklich der Realität entsprechen könnte. Noch immer kam es mir wie ein Traum oder ein schlechter Witz vor.

Jemand kniff mir schmerzhaft in den Arm. Empört wandte ich den Blick und entdeckte Dawn, die immer noch meinen Arm hielt. Woher wussten die beiden immer nur, was ich dachte?

Also war es kein Traum oder ähnliches.

„Ich verstehe das nicht“, fuhr ich dazwischen. „Ich habe nie gemerkt, dass meine Mutter, eine Nymphe ist. Wie kann das sein?“

„Eine gute Frage“, stimmte Lilium zu. „Aber die Antwort ist einfach: Verbringt eine Nymphe viel Zeit in der Welt der Menschen und gibt sich einem solchen hin, wird sie zu einem vollständigen Menschen.“

Darum hatte sie nie viel über ihre Vergangenheit geredet, eigentlich nur, wenn wir nachgehakt hatten. Auf so etwas wäre ich aber nie gekommen.

Ob meine Mutter diese Entscheidung je bereut hatte?

Und wie hatte sie eine kriminelle Söldnerin werden können?

Aber da war noch eine Frage, die mich beschäftigte: „Zu was macht mich das dann?“

Lilium nickte zufrieden. Offensichtlich hatte sie mit dieser Frage gerechnet. „Du trägst Nymphenblut in dir, aber du bist ein Mensch und kein Naturgeist, mach dir also keine Gedanken darum.“

Kaum hatte sie das erwähnt, fühlte ich mich als ob ein Stein von meinem Herzen gefallen wäre. Dabei hatte ich zuvor noch nicht einmal realisiert, dass mir das Sorgen bereitet hatte.

Dennoch schwirrten meine Gedanken umher. Meine Mutter war ursprünglich eine Nymphe gewesen, ein Teil dieser perfekten Welt. Das machte mich ebenfalls zu einem Teil davon. Darum hatte ich mich vorhin gefühlt als wäre ich gerade heimgekehrt, obwohl ich noch nie zuvor dort gewesen war. Und es ließen die Worte „Du bist etwas Besonderes“, die man mir hin und wieder gesagt und dabei so hohl geklungen hatten in einem ganz neuen Licht erscheinen.

„Alle anderen Fragen müsstest du Asterea selbst stellen. Ich kann dir darauf nicht antworten.“

Ich nickte abwesend. Würde ich überhaupt je wieder nach Hause kommen?
 

Landis hielt inne. Sein Blick ging ziellos ins Leere und verriet, dass er sich gedanklich in einer vollkommenen Welt befand, weswegen seine Erzählung stockte. Ob er sich wieder einmal die Gegend vorstellte oder an seine Mutter dachte?

Für einen Moment herrschte Schweigen im Kerker. Die Blicke hatten sich auf Richard konzentriert. Immerhin hatten sie eben festgestellt, dass seine Frau einst ein Naturgeist gewesen war und bislang hatte er noch gar nicht darauf reagiert.

Als ihm das bewusst wurde, sah er sich verwirrt um. „Was ist los?“

„Onkel Richard, hast du nichts zu sagen?“, fragte Nolan. „He, du warst mit einem Naturgeist verheiratet, da musst du doch etwas dazu sagen.“

Der Mann hob die Schultern. „Es ändert nichts für mich. Asterea war meine Frau, diejenige, die ich geliebt habe. Ob Naturgeist oder nicht, es kümmert mich nicht.“

Landis schmunzelte. Das ist es sicherlich, was Mama an ihm so toll fand. Er sah nicht den Naturgeist in ihr, sondern die Person, mit der er sein Leben geteilt hat.

Oriana seufzte leise. Nie hätte sie geglaubt, dass die Person, die sie einst geliebt hatte, nicht vollständig menschlich war. Aber das war vielleicht eine Erklärung dafür, weswegen Landis nie Probleme gehabt hatte, sich mit neuen Leuten anzufreunden.

Frediano schnaubte wieder. „Könnt ihr endlich weitermachen? Mich interessieren eure Liebesgeschichten nicht.“

Die anderen rollten mit den Augen und sahen wieder Landis an, der erneut vollständig in seine eigene Welt abtauchte, aber diesmal um weiter zu erzählen.
 

„Warum bin ich hier?“, fragte ich schließlich. „Der Älteste sagte, ich soll hierher kommen. Bestimmt tat er das nicht nur, damit ich Aurora hierher bringe.“

„Nein, tatsächlich nicht.“

Lilium verfiel ins Schweigen. Was war es nur, das sie erst nachdenken musste, bevor sie mir sagte, was sie wollte? War es etwas Schlimmes?

„Du hast diese Soldaten gesehen, die das Dorf der Geflügelten niedergebrannt haben.“

Wieder kam mir das Wappen in den Sinn. Ich nickte. Lilium lächelte grimmig. „Im Untergrund dieses Landes brodelt es. Jemand will mit Hilfe der Nachbarn seine Machtposition ausbauen und dem Land schaden.“

„Wer?“

Ihr amüsiertes Lächeln sagte mir, dass sie das nicht verraten würde. „Das musst du schon alleine herausfinden. Das macht doch den meisten Spaß aus. Aber ich bin sicher, dass du das schaffen wirst.“

„Warum ich? Warum fragt ihr nicht jemand anderen? Ihr seid doch Naturgeister, das sollte kein Problem für euch sein.“

Ich sträubte mich dagegen, auch noch Detektiv zu spielen. Alles, was ich wollte, war, nach Cherrygrove zurückzukehren, um mein altes Leben wieder aufzunehmen – wenn nötig ohne Oriana. Bei dem Gedanken an sie, breitete sich wieder ein ungutes Gefühl in mir aus. Sie war inzwischen mit Frediano verheiratet... Frediano... bei dem Gedanken an ihn wurde ich wieder wütend. Mein Innerstes brodelte geradezu.

Erst eine Berührung von Dawn holte mich wieder in die Wirklichkeit zurück, wo Lilium mir meine Frage beantwortete: „Leider ist es ein Problem, wie du gesehen hast. Aurora wurde für geistesgestört gehalten und sollte verbrannt werden und Asterea und Lunaria wurden menschlich, bevor das alles geschah. Wir sind Naturgeister, aber wir können nicht die Grenzen der Zeit überwinden.“

Im Klartext: Sie konnten nicht in die Zukunft sehen. Warum sagte sie das nicht einfach?

„Und wie du selbst gemerkt hast, ist es nicht so einfach, einen Menschen hierher zu bringen. Und außerhalb dieser Umgebung hättest du uns bestimmt auch nicht geglaubt.“

„Ich weiß nicht mal, was genau du eigentlich willst“, erwiderte ich müde. „Was kümmert dich Király?“

Lilium seufzte. „Wir leben durch den Glauben an uns, wenn dieser Glaube verschwindet, verschwinden auch wir. Und es besteht die Gefahr, dass durch diesen Putsch der Glaube an uns schwindet.“

Ich verstand den Zusammenhang nicht wirklich, aber ich war mir sicher, dass sie es nicht verständlicher erklären würde, also fragte ich nicht weiter. „Und ich soll also herausfinden, wer dafür verantwortlich ist und ihn zur Strecke bringen?“

Sie nickte, zufrieden mit der Antwort. Ich dagegen seufzte innerlich. Ich hatte mich nie für irgendwas Politisches oder irgendwelche Verschwörungstheorien interessiert und jetzt sollte ich die Urheber und Beteiligten einer solchen Verschwörung aufspüren und dingfest machen. Klasse. Ob ich mich da irgendwie wieder rauswinden konnte? Vielleicht konnte ich das auch auf jemand anderen abwälzen. Wer sagte denn, dass ich das machen musste?

Lilium lächelte wieder hinterhältig. „Du brauchst Motivation, hm? Ich sage dir etwas, was dafür sorgen wird, dass du diesen Auftrag bestimmt nicht ablehnst.“

Neugierig legte ich den Kopf schräg.

„Einer der Männer, die du suchen musst, ist dein Rivale.“
 

Alle Augen richteten sich sofort auf Frediano. Er verzog keine Miene. „Lächerlich.“

Landis schmunzelte. „Meinst du? Lilium fand es gar nicht so lächerlich.“

„Ich nehme dir diese Geschichte nicht ab“, erklärte Frediano. „Du denkst dir das nur aus. Naturgeister, Magie... so etwas gibt es nicht.“

„Was sagst du zu den Marionetten, die dich hereingelegt haben?“, fragte Landis grimmig.

Der Kommandant schwieg getroffen. Tatsächlich hatte er noch keine rationale Erklärung für diese lebensechten Marionetten gefunden. „Gut, dann erzähl weiter.“

„Danke sehr.“
 

Mit dieser Ankündigung hatte sie den richtigen Nerv getroffen. Solange ich Frediano damit treffen konnte, würde ich alles tun. Also nickte ich heftig. „In Ordnung, ich machs.“

„Das freut mich.“

Lilium griff in eine Tasche. Sie zog eine Kette heraus, die sie mir in die Hand drückte. Es war ein verschlungener Anhänger, dessen Bedeutung sich mir nicht erschloss, befestigt an einer silbernen Kette. „Was soll ich damit?“

„Es ist ein Geschenk, damit du mich nicht vergisst.“

„Warum sollte ich?“

Sie lächelte nur vielsagend.

Ich weiß nicht, was genau geschah, aber als meine Erinnerung wieder einsetzte, war alles um mich herum dunkel. Es mag dumm erscheinen, aber ich brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass ich meine Augen geschlossen hatte. Ich öffnete sie und erwartete, den sternenübersäten Himmel über mir zu sehen. Doch stattdessen erblickte ich nur hölzerne Balken eines Dachs.

Mein Herz wurde mit einemmal schwer. Hatte ich das alles etwa nur geträumt gehabt?

Ich wollte mir an die Stirn greifen – und bemerkte dabei, dass ich immer noch etwas in der Hand hielt. Vorsichtig öffnete ich diese. Ich erblickte die Kette, die Lilium mir geschenkt hatte, wieder wurde mir leicht ums Herz. Also war es doch kein Traum gewesen, auch wenn dieser Ort zu schön gewesen war, um wahr zu sein. Schade, dass ich mich nicht hatte verabschieden können.

Dann blieb aber nur noch eine neue Frage: „Wo bin ich?“

Ein neues Ziel

Der Raum, in dem ich aufgewacht war, war verlassen und wirkte durch die zentimeterdicke Staubschicht und die Spinnweben alt. Eine Vase stand auf dem Tisch, darin die verwelkten Überreste von etwas, das einstmals eine Pflanze gewesen sein musste. Ein blind gewordener Spiegel hing an der Wand. Das Fenster war schmutzig und ließ damit kaum Licht herein, dennoch war deutlich zu sehen, dass es Tag war.

Dawn war dagegen nirgends zu erblicken.

Nachdenklich blieb ich auf dem Bett sitzen. Ich hatte gerade erfahren, dass meine Mutter einmal eine Nymphe gewesen war. Und im Auftrag ihrer Schwester – meiner Tante – sollte ich denjenigen finden, der dem Königshaus schaden wollte.

Wo sollte ich nur anfangen?

Ich befestigte die Kette um meinen Hals, dann schwang ich die Beine vom Bett und stand auf. Dawn war nirgends zu sehen, also beschloss ich, sie suchen zu gehen und mich dabei an diesem Ort umzusehen. Als ich durch die Tür trat, stand ich auf einer Art Balkon, von dem aus ich in den Raum darunter sehen konnte. Neben einem Tresen gab es mehrere Tische zu sehen, die seit längerer Zeit nicht benutzt worden waren. Ein Wasserschaden lenkte meinen Blick auf das Dach, in dem ein riesiges Stück fehlte und den blauen Himmel freigab. Nur der Boden war völlig sauber als ob jemand ihn mehrmals in der Woche säubern würde.

Lebte also doch noch jemand hier? Und wenn ja, warum machte er dann nicht überall sauber?

Verfaultes Holz auf dem bereits Pilze sprossen lag auf dem Boden. Es schien vom Dach zu stammen. Was war wohl passiert, dass es eingestürzt war? War das vielleicht sogar der Grund gewesen, weswegen die Besitzer nicht mehr hier waren?

Bislang hatte ich den fauligen Geruch, der in der Luft lag, noch nicht bemerkt gehabt. Aber plötzlich überwältigte mich der Gestank. Was immer das war, es musste schon sehr lange vor sich hinwachsen oder -faulen.

Ich taumelte hinaus, um frische Luft zu schnappen – und das tat ich auch ausgiebig. Die Erinnerung an den Geruch würde mich aber mit Sicherheit noch eine Weile verfolgen.

Vor der Tür erkannte ich, dass ich mich nicht in einer Stadt befand, sondern irgendwo im Nirgendwo. Es war ein Gasthaus, aufgestellt für Wanderer. Aber anscheinend war lange niemand mehr hier gewesen – auch die Besitzer nicht. Wenn ich gewusst hätte, wo ich war, hätte ich auch gewusst, warum. Obwohl... ich war auch nicht sonderlich gut in Geografie, also hätte ich das wahrscheinlich doch nicht gewusst.

Jedenfalls konnte man viele, viele Meter weit nur Gras sehen, bevor vereinzelte Bäume am Horizont auftauchten. Aber kein Zeichen von Zivilisation oder menschlichem Leben. Dieses Gasthaus betrachtete ich nicht unbedingt als ein solches Zeichen.

Nur wenige Schritte entfernt war ein Steg zu sehen, der in einen Fluss hineinragte. Möglicherweise war dies ein Seitenarm des Hauptflusses von Király, der nicht mehr befahren wurde. Entweder war das Geschäft früher durch mehr Verkehr besser gewesen oder dieses Gasthaus war von Anfang an eine Fehlinvestition gewesen. Warum beschäftigte ich mich eigentlich so sehr damit?

Ich betrachtete weiterhin den Fluss. Das Wasser glitzerte im Sonnenlicht, die Oberfläche lag völlig ruhig da. Das Ambiente lud dazu ein, sich hinzusetzen und es den ganzen Tag zu bewundern. Vielleicht würde ich das später machen.

Ein auffälliges Klappern, das sich in mein Bewusstsein drängte, ließ meinen Blick weiterwandern. Ein Mühlrad klapperte an einem Bach, der wenige Meter weiter in den Fluss mündete. Für Mehl war man hier viel zu weit weg von der Landwirtschaft, was wurde damit wohl betrieben?

Meine Neugier drängte mich, dem nachzugehen und das angrenzende Gebäude genauer in Augenschein zu nehmen, aber meine Vernunft hielt mich davon ab. Das steinerne Gebilde wirkte alles andere als vertrauenserweckend, eher so als würde es jeden Moment einfach zusammenbrechen und alles unter sich begraben, was unglücklich genug war, sich zu dem Zeitpunkt im Inneren aufgehalten zu haben.

Vor dem Gebäude war sonst nichts zu sehen. An und für sich gefiel es mir hier sehr gut. Ich fühlte mich als wäre ich die einzige Person auf der Welt, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob ich das gut oder schlecht finden sollte. Es war auf jeden Fall sehr ungewohnt.

Ich lenkte meine Schritte um das Gasthaus herum, machte mich aber auf eine kleine Enttäuschung gefasst. Was es auch immer hinter dem Gebäude gab, bestimmt würde es mich nicht so sehr einnehmen wie das, was ich vorne gesehen hatte.

Tatsächlich tat es das nicht, aber beeindruckt war ich dennoch. Jemand hatte einen Garten mit allerlei Gemüse angelegt. Gurken, Tomaten, Kartoffeln und Möhren, wenn ich das richtig sah, wenngleich ich bei letzterem nicht sicher war. Ich hasste Möhren, deswegen hatte ich die nie aus dem Garten unserer Nachbarn geklaut – alles andere dagegen schon. Das hatte unseren Nachbarn natürlich gar nicht gefallen, Nolan und mir dagegen umso mehr. Aber wir hatten nie wirklich Ärger dafür bekommen. Lediglich einmal im Jahr eine neue Standpauke, um die alte wieder aufzufrischen.

Die gute alte Zeit...

Meine Gedanken wurden unterbrochen, als mein Blick auf eine Bank fiel, die jemand dort aufgestellt hatte. Dawn saß darauf und ließ ihre Beine baumeln. Als sie mich sah, lächelte sie mir zu. Ich setzte mich neben sie. „Na, was machst du hier so allein?“

Natürlich antwortete sie nicht, aber sie deutete auf die Pflanzen im Beet. Da sie ein Naturgeist war, fühlte sie sich wohl mit diesem Gemüse verbunden. Wer hatte das wohl gepflanzt und wer kümmerte sich darum?

Würde die Person bald wieder auftauchen?

Ich weiß nicht wie lange wir so dasaßen, aber irgendwann hörte ich tatsächlich Schritte, die sich in unsere Richtung bewegten. Dawn zeigte keine Regung, also war es wohl nichts Bösartiges. Ich stand auf, stellte mich schützend vor Dawn und sah der Person erwartungsvoll entgegen. Kurz darauf trat ein Mann in mein Blickfeld. Das lange schwarze Haar und der zurechtgestutzte Bart waren von grauen Strähnen durchzogen. Sein Aussehen und seine Kleidung wirkten alles in allem sehr gepflegt. Es fiel mir schwer zu glauben, dass dieser Mann hier wohnen sollte. Als er mich entdeckte, lächelte er, was eine Reihe von gut gepflegten Zähnen sichtbar werden ließ. „Du bist also wieder wach, das ist sehr gut. Ich hatte schon befürchtet, die hätten mir einen Bewusstlosen geschickt.“

Ich antwortete nicht, sah den Mann einfach nur an. Irgend etwas an ihm behagte mir ganz und gar nicht, aber ich konnte auch spüren, dass er kein Feind war.

„Wer bist du?“, fragte ich schließlich.

„Du kommst ziemlich schnell zur Sache, hä? Eigentlich sollte ich dir diese Frage stellen, denn immerhin wohne ich hier. Nur weil diese Nymphe dich hier abgeladen hat, heißt das nicht, dass du mir nichts schuldest.“

Ich presste die Lippen aufeinander. Warum hatte Lilium mich hierher gebracht? Sein Blick blieb aufmerksam auf mir, weswegen ich schließlich antwortete: „Mein Name ist Landis.“

„Baram“, erwiderte der Mann. „Nett, dich kennenzulernen.“

Ich sagte nichts darauf. Er schien auch nichts zu erwarten, denn er lief bereits weiter zum ersten Beet, um dieses in Augenschein zu nehmen. Ohne dass ich etwas fragen musste, begann er bereits zu erzählen: „Ich wohne hier seit zwei Jahren, kam aber noch nicht dazu, alles zu reparieren oder sauberzumachen. Du hast ja gesehen, wie es hier aussieht.“

Ich nickte leicht. Wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre, hätte ich nicht mal gewusst, wo ich anfangen sollte. Nicht einmal auf die Idee mit dem Gemüsegarten wäre ich gekommen.

„Als ich hierher kam, wusste ich gar nichts. Nicht einmal wie man Pflanzen zieht. Aber ich habe in der Zwischenzeit einiges gelernt.“

Er kniete sich hin und begann, Käfer von den Blättern der Kartoffelpflanzen zu ziehen. „Nicht zuletzt durch die Nymphe, die ich vor einiger Zeit getroffen habe.“

Ich horchte auf. „Du hast eine Nymphe getroffen?“

Eigentlich hätte ich ihn nicht duzen sollen, aber ich konnte einfach nicht anders. Etwas an ihm ließ mir das „Du“ leichter über die Lippen kommen. Jedenfalls überraschte mich die Sache mit der Nymphe. Hatte er wirklich eine getroffen oder war er nur verwirrt?

Er nickte. „Es war eine blonde Nymphe, die mit einer Puppe unterwegs war. Sie ist weitergezogen, nachdem sie meine Felder gesegnet hat. Kennst du sie vielleicht?“

Ich schüttelte den Kopf. Ich kannte keine blonden Frauen, außer Prinzessin Selene, also musste ich nicht lange überlegen. Baram seufzte. „Schade. Aber wenn du sie triffst, richte ihr bitte Grüße von mir aus.“

Diesmal nickte ich. Hatte Lilium mich deswegen hierher gebracht? Um der Spur dieser anderen Nymphe zu folgen? Eine hatte ich ja schon, vielleicht sollte ich noch die andere...

Mein Blick fiel erneut auf Dawn. Warum war sie eigentlich hier?

Lilium hatte sich doch bedankt, dass ich sie zurückgebracht hatte. Warum also war sie nicht dort geblieben? Ich musste unbedingt diese Aurora danach fragen, sobald ich sie wiedersah.

„Baram, woher wusstest du, dass ich von einer Nymphe hierher gebracht wurde?“

Der Mann sah auf und blickte mich erstaunt an, als hätte ich soeben etwas Selbstverständliches in Frage gestellt. Er deutete auf Dawn. „Das Mädchen ist doch auch eine. Ich ziehe sie an, weißt du? Vor vielen Jahren traf ich auch schon eine – sie hatte schwarzes Haar und Sternen in den Augen.“

Überrascht hob ich eine Augenbraue. Die Beschreibung klang nach meiner Mutter, wenngleich die Bezeichnung Sterne in den Augen weit hergeholt war. Aber je nach Lichteinfall hatte es tatsächlich so gewirkt. Ob das auch etwas damit zu tun hatte, dass sie eine Nymphe gewesen war?

„Dann hast du in deinem Leben drei Nymphen gewesen?“, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf, was mich wieder überraschte. „Ich habe vier gesehen.“

Vier? Wie konnte das sein?

Hatte Lilium etwa doch einmal ihr Reich verlassen?

„Wie sahen die aus?“

„Die hübsche Frau mit den Sternen in den Augen war die Zweite, dann kam die blonde Puppenspielerin und jetzt dieses Mädchen. Die erste war wirklich wunderschön...“

Er verlor sich offensichtlich in seiner Erinnerung, was mich aber nicht störte, denn er redete weiter: „Sie hatte eine Haut wie aus Porzellan, grünes Haar und nussbraune Augen. Sie war aber ganz anders als die anderen Nymphen.“

Die Beschreibung kam mir bekannt vor. Ich kam nur nicht darauf.

„Wobei, wenn ich es recht bedenke... die erste war keine Nymphe, sie war eine Sylphe.“

War das nun endgültig? Ja, diesmal schien er sich sicher zu sein.

Wenn ich mich recht erinnerte waren Sylphen Windgeister, während Nymphen eher für die Erde verantwortlich waren. Dann gab es also noch mehr Naturgeister. Aber inzwischen wunderte mich nichts mehr. Dann hatte dieser Baram also drei Nymphen und eine Sylphe gesehen. Er musste die Naturgeister wirklich geradezu anziehen.

„Wohin ist die Puppenspielerin gegangen?“, fragte ich.

Es war mein einziger Hinweis, wie es weitergehen könnte, diesem musste ich nachgehen. Baram runzelte seine Stirn, dann deutete er in eine unbestimmte Richtung. „Den Fluss hinunter, nach Westen. Sie wollte nach Port Milfort.“

Port Milfort war als unabhängige Handelsstadt auf einer Insel wenige Meilen vor der Küste Királys bekannt. Ich war noch nie dort gewesen, aber interessant wäre ein Besuch mit Sicherheit.

Also war das mein nächstes Ziel.

Baram erhob sich plötzlich. „Gut, dann lasst uns zum Mittagessen reingehen. Es dürfte schon fertig sein.“
 

„Bäh, du bist da wirklich wieder reingegangen und hast da gegessen?“, fragte Nolan während er sein Gesicht verzog. „Bei dem Geruch wäre ich nicht mehr rein.“

Landis lachte. „In der Küche war der Geruch nicht ganz so schlimm. Es roch hauptsächlich nach verkochtem Gemüse und Marmelade. Und das Essen war auch ganz lecker.“

Kenton hatte die Stirn gerunzelt. „Grünes Haar und braune Augen...“

„Ja. Kennst du sie etwa?“

„Möglich.“

Der Berater sah zu Frediano hinüber, welcher allerdings nicht reagierte. Landis sah ebenfalls den Kommandanten an, mit einem Schmunzeln im Gesicht, das einen hinterhältigen Gedanken verriet. Doch Frediano blieb unbeeindruckt. „Du bist verrückt, weißt du das?“

Da sie einmal Freunde gewesen waren, konnte der Kommandant sich mit Sicherheit denken, was Landis durch den Kopf ging.

„Glaubst du, hm?“

„Wie ging es weiter?“, fragte Frediano, ohne darauf einzugehen. „Irgendwann wirst du diesen Spinner ja mal verlassen haben, oder?“

Landis nickte zustimmend. „Natürlich. Nach dem Mittagessen machten wir uns auf dem Weg, dem Fluss zu folgen. Immerhin war die Spur noch warm und ich wollte nicht riskieren, sie aus den Augen zu verlieren.“

Räuber und Gendarm

Bereits am nächsten Tag war ich bereit, alles hinzuschmeißen und mich wieder nach New Kinging zu begeben. Ich war müde, erschöpft und ich wollte nicht noch öfter draußen schlafen. Aber als die Sonne erneut unterging, merkte ich, dass wir noch eine Nacht draußen verbringen würden. Weit und breit war keine Stadt und auch kein Gasthaus zu sehen.

Dawn tappste neben mir her, wie ein kleiner Hund, der seinem Besitzer überallhin folgte. Wenn sie wenigstens reden würde, dann wäre die Reise nicht so langweilig gewesen. Aber sie blieb nach wie vor stumm. Lediglich in der Nacht legte sie los wie ein Wasserfall zu reden und nicht mehr aufzuhören, bis ich eingeschlafen war.

Bestimmt war Lilium froh gewesen, als Aurora ihr Reich verlassen hatte und deswegen sollte sie mich wieder begleiten. So schön ich diese Nymphe auch fand, so nervig war sie auch. Dawn dagegen war ganz anders und richtig lieb. Viel besser. Warum konnte sie nicht immer so sein?

Als ob sie meine Gedanken erraten hätte, kniff Dawn mir plötzlich in den Oberschenkel.

„Autsch! Tut mir Leid, ich denk das nie mehr!“

Zufrieden setzte sie ihren Weg fort. Ich dagegen nahm mir vor, mehr auf meine Gedanken zu achten, solange sie in meiner Gegenwart war.

Es wurde Abend und immer noch keine Stadt in Sicht. Diese Nacht wollte ich aber keinesfalls erneut unter dem Sternenhimmel verbringen. Man stellte sich das immer romantisch und abenteuerlich vor – aber wenn man mich fragte war es kalt und man wachte viel zu früh auf, weil die Sonne aufging. Ich hasste es.

Als Dawn an meinem Ärmel zupfte, sah ich zu ihr. Sie deutete auf etwas, was weiter entfernt war. Bislang waren wir an einem Wald entlanggelaufen (hineinzugehen hatte ich mich nicht getraut, aus Angst, dass wir uns verlaufen könnten), dem ich keine große Beachtung geschenkt hatte. Aber als die Kleine mich darauf hinwies, entdeckte ich etwas inmitten der Bäume. Es schien eine kleine Hütte zu sein. Vielleicht konnten wir dort ja für die Nacht unterkommen.

Das heruntergekommene Gebäude schien schon lange verlassen zu sein. Keine Lebensmittel befanden sich in den Regalen, keine Kleidung in den Schränken. Aber etwas war nicht ganz stimmig – und es war ausgerechnet Aurora, die mich darauf brachte: „Dafür, dass hier keiner mehr wohnen soll, ist es aber ganz schön gepflegt. Nicht einmal Spinnweben.“

Ich zuckte zusammen, als ich sie ansah. „Auch wieder da?“

„Na klar. Schon mal nach draußen gesehen? Es ist dunkel. Langsam solltest du doch wissen, was nachts passiert. Du bist Astereas Sohn, du solltest nicht so schwer von Begriff sein. Es sei denn, die Gene deines Vaters kommen durch...“

„Ich weiß nicht mal, was Gene sein sollen“, erwiderte ich schroff.

Aurora klatschte freudig in die Hände. „Diese Hütte verspricht ein Abenteuer. Wollen wir uns nicht genauer umsehen? Bitte, bitte, bitte!“

Ich schüttelte heftig den Kopf. „Nein. Ich will einfach nur schlafen.“

Schmollend sah sie mich an. „Du bist so ein Langweiler~“

Statt zu antworten legte ich mich auf die alte Matratze im Bettrahmen. „Gute Nacht.“

„Gute Nacht.“

Beleidigt legte sie sich auf das andere Bett.

Trotz der ungewohnten Atmosphäre und der Frage, was hier vor sich ging, forderte die Erschöpfung schon bald ihren Tribut und ich schlief ein.

Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe, aber ich erwachte, als ich Stimmen, begleitet von einem schabenden Geräusch hörte. Verschlafen setzte ich mich auf. Ich traute meinen Augen nicht, als sich plötzlich eine Bodenluke öffnete und zwei Männer emporstiegen – aber diesen schien es ähnlich zu gehen wie mir. Eine Lampe in der Hand des Großen spendete trübes Licht, beide Männer trugen abgewetzte Kleidung, Haare und Bart waren verfilzt, die Haut verdreckt. Wann hatten die beiden zuletzt Wasser gesehen?

So starrten wir uns einige Sekunden lang nur an, ohne dass einer von uns etwas tat. Aurora schlief unterdessen seelenruhig weiter.

„Was tut ihr hier!?“, fauchte einer der beiden Männer mich schließlich an.

Angst spürte ich keine. Ich fühlte mich ruhig und in Sicherheit. Deswegen zuckte ich mit den Schultern. „Wir versuchen zu schlafen. Was macht ihr hier?“

Der Kleinere setzte zu einer Antwort an, aber der Große schlug ihm auf den Hinterkopf. „Halt bloß den Mund! Wir müssen denen nichts erzählen!“

Ich konnte nicht anders als zu schmunzeln. „Ich bin aber neugierig.“

„Halt den Mund, Idiot!“, wurde ich angefaucht.

Theatralisch zuckte ich zusammen. „Oh, jetzt bin ich aber tief getroffen.“

Die beiden Männer sprangen aus der Bodenluke heraus und ließen diese krachend wieder zufallen. „Machst du dich über uns lustig?“

„Habt ihr denn das Gefühl, dass ich das tue?“

Auch als die beiden ihre Messer zogen, fühlte ich kein Gefühl der Bedrohung. Es war fast so als ob ich diese Ereignisse nur durch die Augen eines anderen beobachten würde, während ich selbst mich in Sicherheit befand. Vielleicht lag es aber nur an meiner Kavalleristen-Ausbildung, die auch Kämpfe abgedeckt hatten. Sofern diese beiden keine ehemaligen Ritter waren, hatte ich also auch ohne Waffe schon gewonnen.

Der Kleinere stellte sich direkt neben mich. „Hör endlich auf mit diesem dummen Geschwätz oder ich schlitz dich auf!“

Wieder schmunzelte ich, aber ich schwieg.

Der Große beugte sich über Aurora. Sein Grinsen enthüllte eine Zahnlücke. „Kommt ja selten vor, dass sich so ein hübsches Mädel hierher verirrt. Das sollten wir ausnutzen.“

„Sie könnte für uns kochen~“, schlug der Kleine vor.

Sein Kumpan knurrte leise. „Das meinte ich nicht, du Idiot!“

„Kennst du auch ein anderes Schimpfwort?“, fragte ich.

„Halts Maul!“

Ich rollte mit den Augen, sagte aber nichts mehr dazu. Musste ich aber auch gar nicht, denn plötzlich drehte Aurora sich im Schlaf – und schlug dem Großen dabei mit dem Handrücken ins Gesicht. Er fluchte laut, was sie anscheinend aufweckte. Verschlafen rieb sie sich die Augen. „Mhm, ist schon Morgen? Nein, anscheinend nicht. Was ist denn los?“

„Ich glaube, die wohnen hier“, antwortete ich.

Der Große funkelte mich an. „Ich hab gesagt, du sollst still sein!“

„Nein, nein“, erwiderte ich bestimmt. „Du sagtest, ich soll mein Maul halten. Das ist ein Unterschied, meinst du nicht auch?“

Bevor er richtig wütend werden konnte, fuhr Aurora ihm mit ihrer Hand durch den Bart. „Mhm~ Warum wohnt ihr beiden denn so weit weg von einer Stadt?“

Grinsend wandte er sich wieder ihr zu. „Mein Kumpel und ich sind gefürchtete Räuber, weißt du?“

Ich musste mir ein Lachen verkneifen.

„Dann müsst ihr sicherlich viel Geld haben.“

Auroras Augen waren groß und wirkten dadurch naiv und neugierig. „Oooh~ Dann habt ihr sicherlich viel Geld in eurem Versteck. Warum wohnt ihr dann hier?“

„Irgendwo müssen wir uns ja verstecken“, antwortete er. „Immerhin werden wir ja gesucht.“

Sie schmunzelte. „So so so. Verstehe.“

Ohne Vorwarnung holte sie aus und verpasste ihm einen so heftigen Faustschlag, dass er nach hinten taumelte, seine Lampe fiel zu Boden und zerbrach. Er fluchte lautstark, während er sich den Kiefer hielt. Das Feuer suchte unterdessen nach Nahrung.

Der Kleine und ich blinzelten überrascht.

Aurora sprang vom Bett auf und rammte dem Großen ihr Knie in den Magen.

„Ich mag es nicht, wenn man mich weckt!“, schrie sie dabei. „Ich habe mir meinen Schlaf VERDIENT! Also lasst mich SCHLAFEN!“

Ihr plötzlicher Wutausbruch jagte mir zum ersten Mal in dieser Nacht Angst ein.

Es dauerte nicht lange und der Große lag um Gnade flehend am Boden. Der Kleine starrte verdutzt auf seinen Kumpan.

Aurora hob den Blick und fixierte den noch Stehenden. „He! Wenn du nicht auch so enden willst, dann bring mir ein Seil!“

Da er keine Anstalten tat, irgend etwas zu machen, stieß ich ihn an. „Mach lieber, was sie sagt, sie ist unberechenbar.“

Ich kannte sie zwar nicht so gut, um das zu beurteilen, aber das wusste er ja nicht. Gehorsam rannte er los und kam nach wenigen Sekunden mit einem Seil zurück. Aurora brachte die beiden dazu, sich Rücken an Rücken zu setzen. Kaum war das geschehen, fesselte sie die beiden. Als sie fertig war, klopfte sie sich die Hände an ihrer Kleidung ab. „Okay, Lan, lass uns gehen.“

„Und was ist mit schlafen?“, fragte ich weinerlich.

„Das können wir, wenn wir tot sind!“

Ihre Stimme klang so enthusiastisch und voller Elan, dass ich mich wunderte, wo ihre schlechte Laune von gerade eben abgeblieben war. Anscheinend hatte ich recht und sie WAR unberechenbar.

Damit sie mich nicht auch noch schlug, stand ich auf. „Okay, gehen wir weiter.“

„Hey, hey!“, rief der Große. „Ihr könnt uns nicht im Feuer sterben lassen!“

„Tue ich auch nicht“, erwiderte sie sanft.

Sie hielt ihre Hand auf. Das Feuer schien von dem Holz wegzufliegen, direkt auf ihre Handfläche, wo es ohne jede Nahrung zu einer kleinen Flamme verkam, aber immer noch brannte.

„Damit sollte dieses Problem auch erledigt sein.“

„Du bist eine Hexe!“, kreischte der Kleine.

Sie wedelte mit dem Zeigefinger. „Na na na, wollen wir mal nicht beleidigend werden. Lan, gehen wir lieber, bevor die beiden sich noch verplappern.“

Ich nickte und folgte ihr eilig hinaus. Wir verließen den Wald wieder, blieben aber nochmal stehen. Das Feuer brannte immer noch in ihrer Hand. „So, dann wollen wir mal den Wachen helfen, die beiden Banditen zu finden, nicht?“

Die Flamme verließ ihre Handfläche und setzte in Windeseile den Wald in Brand.

„Willst du sie verbrennen?“, fragte ich erschrocken. „Das kannst du nicht machen! Sie sind nur zwei kleine Banditen! Die kannst du nicht umbringen!“

„Will ich auch gar nicht, Dummerchen.“

Sie seufzte. „Die Intelligenz hast du sicher nicht von deiner Mutter geerbt, so wie du dich anstellst. Ich will nur den Wald um sie herum abbrennen, damit man sie leichter findet.“

Mein skeptischer Blick ging zwischen ihr und dem brennenden Wald hin und her. Das Feuer brannte um einiges stärker als ein normales und binne kürzester Zeit waren alle Bäume um die Hütte herum abgebrannt, worauf die Flammen erlöschten und wir wieder in der Dunkelheit standen.

Aurora lachte. „Siehst du? Schon vorbei.“

„K-kannst du etwa das Feuer kontrollieren?“

Seufzend schüttelte sie mit dem Kopf. „Oh Junge, dein Vater kann nicht gerade eine große Leuchte gewesen sein. Was solls... Gehen wir weiter, ich will bald da sein.“

Ich nickte langsam und folgte ihr, als sie summend vorauslief. In mir wuchs die Erkenntnis, dass das Ganze noch eine anstrengende Reise werden würde.
 

Interessiert legte Kenton den Kopf schräg. „Dann wart ihr das also wirklich. In einem Bericht teilten die zuständigen Wachen uns in der Hauptstadt mit, dass die Banditen von einer rothaarigen verrückten Hexe und einem Mann namens Lan gesprochen hatten, die für das Feuer verantwortlich gewesen wären. Natürlich hat ihnen niemand geglaubt. Die Geschichte klang zu verrückt, um wahr zu sein.“

Landis nickte schmunzelte. „Doch, doch, das waren wir. Danach haben wir übrigens immer einen großen Bogen um unbewohnt aussehende Hütten gemacht – zumindest wenn wir nicht eine entsprechend große Anzahl an Spinnen darin fanden.“

„Klingt nach einer Furie“, urteilte Oriana über Auroras Verhalten.

„Na ja, sie ist sehr lebhaft...“, sagte Landis schulterzuckend.

„Das habe ich gehört!“, erklang es aus der gegenüberliegenden Zelle.

Frediano rollte mit den Augen. „Oh bitte! Wenn sie wirklich das Feuer kontrollieren kann, warum holt sie sich mit diesem dann nicht hier heraus?“

Landis schmunzelte. „Alles hier hat seinen Grund. Auch, dass ihr mich festgenommen habt.“

„Natürlich hat das einen Grund“, stieg Frediano ein. „Du warst einfach nicht schlau genug, da hat Aurora recht. Aber in einem irrt sie sich: Die Dummheit hast du von beiden Elternteilen.“

Richard, der bislang gar nicht darauf reagiert hatte, sah den Kommandanten genervt an. Oriana verpasste Frediano eine Ohrfeige – und hielt überrascht inne, kaum dass sie vorbei war.

Er sagte dazu nichts und wandte sich wieder Landis zu. „Erzähl uns, wie ist es weitergegangen?“

„Aber gern.“

Nachdenklich sah er nach oben. „Zwei Tage danach erreichten wir den Hafen, der uns nach Port Milfort bringen sollte.“

Vita

Eine breit angelegte Hauptstraße führte geradewegs zum Kai, wo ein Schiff vor Anker lag. Händlerstand reihte sich auf dem Weg an Händlerstand, die meisten verkauften frischen Fisch, andere auch Geflügel (ich war mir ziemlich sicher, dass es Möwen waren, aber die Händler preisten das gerupfte Federvieh als Tauben an) und wieder andere verschiedene Stoffe, die aus Port Milfort und damit dem Ausland zu stammen schienen.

Waffen und Rüstungen suchte man vergebens, aber wie ich auf meinem Weg mitbekam, waren derartige Läden nur in den Nebenstraßen zu finden. Allerdings fragte ich mich, wer außer ein paar Verrückten in diesen friedlichen Zeiten eine Waffe brauchen könnte. Es gab keine Monster, wilde Tiere rannten eher vor Menschen davon... aber wenn jemand unbedingt eine kaufen wollte, würde ich ihm dabei nicht im Weg stehen. Ich empfand es nur als eigenartig.

Dawn hielt meine Hand fest, während sie neben mir herstolperte und sich mit großen Augen umsah. Selbst Aurora war zum ersten Mal hier, also war es wohl nicht weiter verwunderlich. Ich dagegen konnte sagen, dass ich bereits schon einmal an diesem Ort gewesen war. Als ich zehn Jahre alt gewesen war, war ich mit meiner Mutter in Port Milfort gewesen. Dementsprechend wirkte alles nicht mehr so groß und außergewöhnlich wie zuvor. Damals war ich tatsächlich in dem Glauben gewesen, dass es Tauben waren, die verkauft wurden. Es war bedrückend, wenn man darüber nachdachte, wie sehr sich die Welt selbst entzauberte, je älter man wurde.

Erst als wir in dem Gebäude wieder stehenblieben, in dem die Tickets verkauft wurden, fiel mir etwas auf: Wir besaßen keinerlei Geld, wie sollten wir uns die Überfahrt leisten?

Auch unser Essen hatten wir uns bislang gejagt oder gestohlen – oder verdient.

Ich stellte Dawn die Frage, worauf sie die Stirn runzelte und angestrengt nachzudenken schien. Wenn nicht einmal sie eine Antwort darauf wusste, was sollten wir dann tun? Vielleicht konnten wir ja als Matrosen anheuern?

Ein Lachen erklang hinter mir. Ich drehte mich um, nur um eine junge Frau zu entdecken. Ihr grünes, leicht gewelltes Haar fiel ihr über die Schultern, ihre braunen Augen leuchteten warm. Ich hatte das Gefühl, sie zu kennen, Dawn wiederum versteckte sich hinter meinen Beinen.

„Was haben wir da für einen süßen Jungen?“

Fragend sah ich mich um, aber der Satz galt anscheinend wirklich mir, denn ansonsten war niemand in dieser Ecke zu sehen. Ich lachte verlegen. „Oh, danke... Ich bin Landis.“

Warum ich mich direkt vorstellte, wusste ich auch nicht, aber sie schien es zu freuen, denn sie lachte noch einmal. „Ich bin... Vita. Du willst also auch nach Port Milfort?“

Ich nickte. „Genau. Dummerweise habe ich kein Geld bei mir. Kaufen einem die Händler hier auch etwas ab?“

Zwar trug ich nichts bei mir, was ich wirklich gewinnbringend verkaufen könnte, aber vielleicht würde es ja reichen.

„Oh, ich glaube schon“, antwortete sie. „Aber das musst du doch nicht. Ich lade dich und das kleine Mädchen gern ein.“

Misstrauisch runzelte ich meine Stirn. „Weswegen?“

Sie lachte wieder. „Weil ich ein netter Mensch bin.“

Meine Eltern hatten mir beigebracht, fremden Menschen gegenüber immer misstrauisch zu sein – aber etwas an Vita ließ mich dieses Gefühl schnell vergessen, also stimmte ich zu. „Gut.“

Dawn zupfte empört an meiner Kleidung, aber ich ignorierte sie.

Vita dagegen lächelte. „Fein, dann wollen wir uns doch mal Tickets besorgen.“

Wenige Minuten später befanden wir uns bereits an Bord des Schiffes. Die dunklen Wolken, die sich am Horizont zusammenbrauten und das unruhige Wasser, welches den Bug schaukeln ließ, ließen mich nichts Gutes ahnen. Aber wir mussten nach Port Milfort, um die Puppenspielerin zu finden, da führte kein Weg daran vorbei.

Kaum an Bord war Vita bereits von unzähligen Leuten umgeben, die auf sie einredeten. Offensichtlich fuhr sie öfter auf dieser Strecke, weswegen man sie hier kannte und mochte. Sie stand inmitten der Menschen und antwortete lächelnd, wenn sie dazu kam.

Ich kümmerte mich nicht darum und ging lieber mit Dawn unter Deck. Sie wirkte immer noch wütend und wenn sie sprechen könnte, hätte sie mir bestimmt einiges erzählt. Ich war in dem Moment froh darum, dass sie es eben nicht tat.

Unter Deck roch es intensiv nach Öl, laute Geräusche erklangen aus dem Maschinenraum. Dawn rümpfte empört ihre Nase, ich ignorierte das. Sobald ein Sturm kam, war es unter Deck sicherer als draußen. Es sei denn, das Schiff würde mit Wasser volllaufen, aber das war wirklich nur der schlimmste anzunehmende Fall.

Die Fahrt an sich begann ruhig, wurde aber turbulenter je näher das Unwetter kam. Donner erklang im Zusammenspiel mit dem lauten Wellengang.

Dawn und ich saßen aneinandergelehnt auf einer Bank und warteten darauf, dass der Sturm nachließ oder wir in einen Hafen einliefen – je nachdem, was zuerst passieren würde.

Doch keins von beiden trat ein. Irgendwann muss ich eingeschlafen sein, denn plötzlich fand ich mich selbst auf der Hochzeit von Frediano und Oriana wieder. Inmitten der Gäste entdeckte ich eine grünhaarige Frau mit einem sanften, aber kalten Lächeln. War sie wirklich da gewesen? Oder spielte mir mein Unterbewusstsein einen Streich. Gleichzeitig hörte ich Barams Stimme: „Sie hatte eine Haut wie aus Porzellan, grünes Haar und nussbraune Augen. Sie war aber ganz anders als die anderen Nymphen. Wobei, wenn ich es recht bedenke... die erste war keine Nymphe, sie war eine Sylphe.“

Dann war Vita diese Sylphe und sie hatte etwas mit Frediano zu tun?

Aber warum war sie nun hier? Was hatte das alles zu bedeuten?

Ein besonders lauter Donnerschlag weckte mich aus dem Schlaf. Der Raum, in dem ich eingeschlafen war, war in Dunkelheit gehüllt. Außer Dawn, die immer noch ruhig schlief, war sonst niemand zu sehen. Wo waren nur die anderen Passagiere?

Dann gab es noch etwas, was nicht stimmte, aber mir fiel einfach nicht ein, was das sein könnte. Es war wie bei einem Bild, bei dem man davorsaß und krampfhaft nach dem Fehler suchte. Egal wie offensichtlich er war, man fand ihn einfach nicht.

Um das Mädchen nicht zu wecken, stand ich vorsichtig auf und verließ den Raum. Die Stille lastete auf meinen Ohren – und da fiel mir endlich ein, was nicht stimmte: Der Motor war verstummt, das Schiff hatte also gehalten. Aber warum?

Neugierig begab ich mich an Deck. Überall herrschte Dunkelheit, erneut fragte ich mich, was wohl passiert war, während ich geschlafen hatte. Das alles kam mir vor wie aus einer der unzähligen Horrorgeschichten, die Nolan und ich uns immer erzählt hatten, als wir jünger gewesen waren. Aber das war doch lächerlich, so etwas konnte nicht sein. Doch mein Innerstes sagte mir, dass es noch schlimmer war.

Der Boden war glitschig von dem Regen, doch dieser hatte inzwischen zumindest aufgehört.

Wenige Schritte entfernt stand Vita, umgeben von einem hellen Licht, das unheimlich aus der Dunkelheit herausstach. Da sie außer Dawn und mir das einzig verbliebene Lebewesen an Bord zu sein schien, verstärkte sich in mir das schlechte Gefühl. Der Drang zu flüchten wuchs in meinem Inneren, aber es gab keinen sicheren Ort auf diesem Schiff.

Während ich mich an die Reling klammerte, ging ich langsam auf sie zu. Immer wieder rutschten meine Füße unter mir weg, als ob ich direkt auf Eis stehen würde – und auf diesem war ich nie sonderlich elegant gewesen.

Wenige Schritte von Vita entfernt blieb ich stehen. „He... was ist hier los?“

Sie wandte sich mir zu. Erst da fiel mir auf, dass das Lächeln auf ihrem Gesicht nie ihre Augen erreichte, auch wenn es mir vorher so vorgekommen war. Ihre Augen waren kalt und leblos, wie die einer Puppe. Dummerweise erinnerte mich diese Erkenntnis an die Geschichte der lebendig gewordenen Mörderpuppe, die von Nolan ausgedacht worden war. Was für ein schlechter Zeitpunkt...

„Du bist wieder wach, Landis, das ist schön.“

„Was ist hier passiert, Vita?“

Sie lachte, wobei sich ihr Gesichtsausdruck kein Stück veränderte. „Ich habe sie alle verschwinden lassen. Immerhin wollte ich mit dir allein sein.“

Ich wich zurück, was aber nur dazu führte, dass ich schmerzhaft auf meinen Hintern fiel. Sie kniete sich vor mich und hob mein Kinn an. Die Berührung ihrer Hand war eiskalt, ich schauderte. „Na na na, mein Kleiner. Willst du etwa wegrennen? Das ist aber nicht nett. Lass uns reden.“

„W-worüber?“

Am liebsten wäre ich aufgesprungen und weggelaufen, doch meine Beine versagten mir den Dienst.

„Ah~ Du weißt, wer ich bin, oder?“

„Na ja, nicht direkt“, wehrte ich ab.

Sie tätschelte meinen Kopf. „Du musst mir doch nichts vormachen, ich weiß genau, was du geträumt hast, immerhin war ich es, die dir diesen Traum schickte.“

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. War sie also wirklich eine Sylphe? Aber was wollte sie dann von mir? Und was hatte sie mit Frediano zu tun?

„Da sind so viele Fragen in dir...“

Ihre Finger strichen über meine Wange, ein taubes Gefühl überkam diese Stelle. Was tat sie da mit mir?

„Und ich werde sie dir alle beantworten. Ich bin eine Sylphe, das stimmt. Nebenbei habe ich einen kleinen Vertrag mit Frediano und um ihm zu helfen, werde ich dich leider töten müssen. Wie schade, denn ich mochte deine Mutter, mein Kleiner~“

Ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Warum musst du mich töten?“

Sie hob die Schultern. „Weiß ich nicht. Ich mische mich nicht in die Ziele meiner Klienten ein und bekomme dafür das, was ich von ihnen will. Egal wie schwer das Opfer ist.“

„Opfer?“

„Da hast du mich richtig verstanden. Ich arbeite nicht umsonst und nicht für Geld. Meine Unterstützung sichert man sich auf ganz andere Art und Weise. Aber nun genug geredet.“

Sie zog mein Gesicht zu sich, ihre Lippen näherten sich meinen. Wieder versuchte ich, mich zu wehren, aber sogar meine Arme enttäuschten mich in diesem Moment.

Was immer sie vorhatte, mir gefiel das nicht, aber mein gesamter Körper reagierte nicht.

Ein lautes Krachen, das nicht von einem Donner zu stammen schien, ließ Vita innehalten. Genervt blickte sie zur Seite. „Nicht du auch noch!“

„Lass ihn los!“

Ich erkannte Auroras Stimme sofort. Seufzend richtete Vita sich wieder auf. „Du nervst, meine Liebe. Zu schade, dass ich dich damals nicht erledigen konnte, als ich die Gelegenheit dazu hatte, ich-“

Bevor sie den Satz beenden konnte, wurde sie von einem Feuerball umgeworfen. Das Leben kehrte in meinen Körper zurück. Hastig richtete ich mich auf und wich wieder zurück. Aurora griff nach meiner Hand. „Komm schon, wir müssen hier weg!“

„Aber wohin denn?“, fragte ich, während ich ihr hinterherstolperte.

Immerhin befanden wir uns auf einem Schiff, wo sollten wir also hin?

Aurora schien das auch nicht zu wissen, denn sie führte mich nicht unter Deck, sondern nur zum Heck, wo sie wieder stehenblieb.

„Und nun?“, fragte ich.

Mit angespanntem Gesichtsausdruck sah sie sich um. Wonach immer sie Ausschau hielt, sie schien es nicht zu finden, denn ihr Ausdruck änderte sich kein bisschen. Ich dagegen hörte Schritte hinter uns, was mich nicht gerade aufmunterte. „Aurora, beeil dich.“

Kurzentschlossen packte sie mich fester. „Egal, was passiert, lass ja nicht los.“

„Was? Was hast du vor!?“

Statt zu antworten kletterte sie auf die Reling und zog mich mit sich.

„Aurora, nein, bitte nicht! Das ist doch wahnsinnig!“

„Tja, hier stirbst du garantiert, im Wasser nur vielleicht!“

Sie hatte ja recht, aber mir gefiel das trotzdem nicht. Doch bevor ich noch einmal Widerspruch einlegen konnte, sprang Aurora bereits hinunter, ich ihr hinterher.

Nur Bruchteile von Sekunden später, traf ich auf der Wasseroberfläche auf und verlor mein Bewusstsein.

Die Puppenspielerin

Das Geräusch von tropfendem Wasser weckte mich wieder. Im festen Glauben, dass ich in einem Bett liegen würde, drehte ich mich auf die Seite – nur um einen stechenden Schmerz in meinen Rippen zu spüren. Stöhnend öffnete ich meine Augen. Direkt neben meinem Gesicht entdeckte ich eine Pfütze, in regelmäßigen Abständen fiel ein Tropfen Wasser darauf. Ansonsten sah ich in der herrschenden Dunkelheit nur Felsen und Steine, ich musste mich in einer Höhle befinden.

Ich setzte mich auf und griff mir an die Stirn. Oh ja, Vita hat mich angegriffen und Aurora und ich sind dann von Bord gesprungen. Aber wie bin ich hier gelandet?

Mein Blick fiel auf ein Wasserbecken, gar nicht weit weg von mir. Ein Blatt schwamm auf der Wasseroberfläche, offensichtlich war dieses Becken mit der „Außenwelt“ verbunden. Vermutlich waren wir so hier hereingekommen.

Alarmiert sah ich mich um. „Aurora!?“

Wenige Meter weiter entdeckte ich schließlich Dawn. Sie saß gegen die Wand gelehnt, mit geschlossenen Augen und schien zu schlafen. Es musste also Tag sein.

Erleichtert atmete ich auf und ging zu ihr hinüber. Als ich mich vor sie hinkniete, öffnete sie ihre Augen. Sie lächelte warm, stand dann auf und umarmte mich.

Sie konnte so süß sein, wenn sie klein war. Warum konnte sie das als Aurora nicht?

Wieder einmal schien sie meine Gedanken zu erraten, denn erneut erntete ich einen Schlag auf den Kopf von ihr. Ich lachte verlegen. „Okay, lass uns einen Weg hier raus suchen. Wird Zeit, oder?“

Sie nickte und nahm meine Hand, als ich loslief.

Meine Gedanken drehten sich dabei wieder um Vita. Sie arbeitete also mit Frediano oder für ihn, da war ich mir nicht sicher. Aber warum?

Was besaß er, was eine Sylphe interessieren könnte?

Was genau musste sie für ihn tun?

Und was brachte ihm mein Tod?

Mir war immer klar gewesen, dass er mich nicht mochte, auch wenn er früher zumindest so getan hatte. Aber es war mir unvorstellbar, dass er mich so sehr hasste, dass er mich umbringen wollte.

Ich konnte mich nicht erinnern, ihm etwas getan zu haben, außer eben, dass ich mit Oriana zusammen gewesen war. Aber das konnte doch nicht der einzige Grund sein... oder?

Meine Gedanken drehten sich im Kreis, auch noch als wir aus der Höhle traten. Strahlender Sonnenschein, der durch ein Blätterdach fiel, empfing uns.

Dawn und ich atmeten tief ein. Im Inneren war es mir nicht aufgefallen, aber die Luft außerhalb war um einiges frischer. Dennoch kein Vergleich zu dem Gasthaus, in dem ich Baram getroffen hatte, so schnell würde mich wohl nichts mehr umhauen.

Gemütlich liefen wir durch den Wald, auf der Suche nach den Spuren menschlichen Lebens. Die fanden wir tatsächlich bald: Wir erblickten eine Stadt – und ich erkannte sofort, welche es war: „Das ist Port Milfort.“

Wir waren also wirklich auf der Insel gelandet, das musste Glück sein – oder Schicksal.

Die Insel gehörte rechtsmäßig zwar zu Király, aber dennoch war sie unabhängig vom Königreich. Besonders was den Handel anging, gab es andere Gesetze. So konnte man in Port Milfort wirklich alles finden, was man suchte, die ganze Stadt war quasi ein einziger Markt, auf dem sogar illegale Waren gehandelt wurden. Menschenmassen schoben sich durch die Straßen und blieben besonders vor den Ständen stehen, die Waffen feilboten.

Auf den Plätzen, wo ein wenig mehr Raum war, waren Gaukler zu sehen. Jongleure, Messerwerfer und Feuerspucker begeisterten die Menschen besonders.

In den Seitenstraßen entdeckte ich auch noch Wahrsagerinnen, alte und junge, die mit Kugeln oder Karten den Interessierten für ein kleines Entgelt die Zukunft vorhersagten. Meine Mutter war immer sehr daran interessiert gewesen, ich dagegen hatte es immer für Humbug gehalten.

Dawn sah sich neugierig um, besonders bei den Ständen, die lebende Tiere anboten, wurden ihre Augen groß – die Feuerspucker dagegen interessierten sie gar nicht. Mit Sicherheit war sie überzeugt, dass sie jeden von ihnen in die Tasche stecken könnte, wenn sie wollte.

Meine Gedanken dagegen galten wieder Vita. War sie auch in der Stadt? War das Schiff überhaupt angekommen? Jedenfalls sollte ich vorsichtig sein, solange ich mir nicht sicher war.

Nebenbei musste ich mich auch nach der Puppenspielerin umsehen, von der Baram mir erzählt hatte und wegen der ich ja überhaupt hier war. Inzwischen bereute ich es, ihn nicht nach einer genaueren Beschreibung gebeten zu haben. Blonde Frauen gab es in Port Milfort im Überfluss und auch Puppenspielerinnen waren darunter.

Doch Dawn schien mehr zu wissen als ich, denn ohne sich die einzelnen Spieler genauer anzusehen, zog sie mich immer weiter, bis wir in einem abgelegenen Teil der Stadt wieder stehenblieben.

Auf dem Platz saßen versammelt Kinder, die gemeinsam auf eine kleine Bühne sahen und in unregelmäßigen Abständen lachten.

Dawn blieb stehen, was mich ebenfalls zum Anhalten brachte. Interessiert beobachtete ich das Schauspiel. An Fäden geführte Puppen tanzten gemeinsam mit einer blonden Frau auf der Bühne, sie alle trugen festliche Kleidung, Anzüge und weite Ballkleider. Es war eine Ballszene aus einem klassischen Theaterstück, wenn ich das richtig sah. Eine Aufführung davon hatte es auch in Cherrygrove gegeben, aber das war schon einige Jahre her, wenn ich mich richtig erinnerte.

Einige der Puppen stolperten immer wieder über ihre Füße, was meiner Erinnerung nach zum Stück gehörte und das war es, was die Kinder so lustig fanden. Mir dagegen entlockte es nur noch ein Schmunzeln, wahrscheinlich war ich einfach zu alt dafür.

Eine Viertelstunde später war das Stück vorbei, die Kinder liefen davon, auf der Suche nach etwas neuem Sehenswerten. Dawn und ich dagegen gingen auf die blonde Frau zu, die mit dem Aufräumen angefangen hatte.

Die Frau summte leise, während sie den Großteil der Marionetten in einem Koffer verstaute. Lediglich zwei von ihnen blieben aneinandergelehnt auf der Bühne sitzen.

Als sie uns bemerkte, wandte sie sich uns zu. Ihre grünen Augen glitzerten schelmisch in ihrem fein geschnittenen Gesicht. „Tut mir Leid, keine Autogramme.“

Ihre Stimme klang verspielt und strafte ihrem erwachsenen Aussehen Lügen. Offensichtlich war sie geistig jung geblieben.

Ich verstand nicht, was sie meinte, schüttelte aber dennoch den Kopf. „Nein, wir suchen nach jemandem.“

„Oh, das tut mir Leid, da kann ich vermutlich nicht helfen. Ich kenne mich hier selbst nicht so aus.“

Ich schüttelte noch einmal den Kopf. „Ich glaube, wir haben sie bereits gefunden. Wir haben nach Ihnen gesucht.“

Dafür erntete ich ein überraschtes Blinzeln. „Ein so hübscher junger Mann sucht nach mir? Womit habe ich denn das verdient?“

„Mein Name ist Landis, ich bin der Sohn von Richard und Asterea.“

Gespannt wartete ich auf ihre Reaktion, die tatsächlich zu meiner Zufriedenheit kam: „Du bist der kleine Sohn von Asterea? Awwww, wie süß!“

Bevor ich reagieren konnte, wuschelte sie mir bereits mit der Hand durch das Haar. „Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du noch ein ganz kleines Baby~“

„Dann bist du wirklich eine Nymphe?“

Ich ging einfach dazu über, sie zu duzen, warum auch nicht?

Lächelnd nickte sie. „Ja, ganz genau! Mein Name ist Yarah.“

Bei dem Namen stutzte ich. „Der passt irgendwie gar nicht zu den anderen.“

Allerdings erinnerte ich mich wieder an Liliums Worte. Diese Yarah musste Lunaria sein.

„Oh, sei doch nicht so kleinlich“, seufzte sie. „Was hast du gegen den Namen?“

„Gar nichts“, erwiderte ich sofort.

Wenn Yarahs Temperament nur halb so wild war wie das von Aurora, wollte ich lieber nichts riskieren.

Meine Reaktion brachte sie zum Grinsen. Sie sah auf Dawn hinunter. „Rora hat dich wohl zurechtgestutzt, hm?“

Dawn verzog ihr Gesicht, als sie den Spitznamen hörte, wofür Yarah ihr den Kopf tätschelte. „Als Kind ist sie so süß, nicht? Wenn sie erwachsen ist, ist sie furchteinflößend.“

„Wem sagst du das?“, erwiderte ich gedankenlos.

Schmerz zuckte durch mein Bein, als Dawn mir mit voller Wucht dagegentrat.

„Au! Schon gut, schon gut, tut mir Leid! Ich habe das nicht so gemeint.“

Yarah lachte amüsiert. „Schön, dass ihr euch so gut versteht.“

Sie fuhr sich durch das blonde gewellte Haar, das ihr bis zu den Knien reichte, schnappte sich dann eine einzelne Strähne und begann damit zu spielen. „Wollt ihr mir nun verraten, warum ihr mich gesucht habt?“

In wenigen Worten erklärte ich ihr, was Lilium mir aufgetragen hatte.

Yarah nickte, schien das aber trotzdem nicht zu verstehen. „Aber was hat das mit mir zu tun?“

Darauf wusste ich keine richtige Antwort, aber ich folgte meiner Intuition und zeigte auf Dawn. „Aurora wurde mit mir zu Baram geschickt, der mich auf deine Spur brachte. Darum denke ich, dass Lilium wollte, dass ihr beide mir bei dieser Verschwörungssache helft.“

„Nah, ich weiß nicht...“

Schmollend warf Yarah einen Blick umher. „Das klingt nicht sonderlich lustig. Ich will aber nur lustige Sachen machen.“

Ja, sie war definitiv jung geblieben. Aber das half mir im Moment nicht weiter. Was sollte ich nun machen?

Ratlos sah ich Dawn an, aber sie zuckte nur mit den Schultern.

Seufzend wandte Yarah sich wieder ihren Puppen zu. „Solche Sachen sind nichts für mich, ich würde mehr im Weg stehen als sonst was. Also kümmer dich lieber selbst darum. Ich habe auch keine Ahnung, warum du dafür zwei Nymphen brauchst. Eine sollte reichen.“

„Ähm... du willst mich also allein mit Vita hadern lassen?“

Plötzlich hielt sie inne. Hatte ich unbeabsichtigt den richtigen Nerv erwischt?

Mit Wucht schlug sie den Deckel ihrer Truhe zu, langsam fuhr sie zu mir herum, ihr Gesicht zu einer hasserfüllten Fratze verzogen.

„Hast du gerade Vita gesagt?“, zischte sie.

Ich nickte, genau wie Dawn. Ein leises Knurren entwich aus der Kehle der Puppenspielerin. „Diese verdammte kleine Verräterin! Du bist also hinter ihr her!?“

„Das ist richtig. Zumindest sieht es so aus – sie hat nämlich versucht, mich umzubringen.“

Ein grimmiges Lächeln breitete sich auf Yarahs Gesicht aus. „Wenn das so ist, dann helfe ich dir gerne. Vitas Feinde sind meine Freunde!“

„Hast du was gegen sie?“, fragte ich überflüssigerweise.

„Ich erkläre es euch im Hotel, das ist nichts, was man im Freien besprechen sollte.“

Sie gab uns Adresse und Zimmernummer eines Hotels, dann hob sie den Koffer an und lief los, das Gepäckstück hinter sich herziehend. Es sah surreal aus, wenn man ihr hinterhersah, wie sie da in einem Ballkleid, mit langem Haar und einem Koffer in die Menschenmasse eintauchte. Immer wieder drehten sich Leute zu ihr um und sahen ihr irritiert hinterher.

Mein Blick dagegen ging zu der Bühne und den beiden Puppen – oder besser: wollte dahingehen. Sowohl die Marionetten als auch die Bühne waren verschwunden.

Wie konnte das sein? Ich hatte absolut nichts mitbekommen.

Dawn sah mich nur unschuldig an, bestimmt würde sie mir dazu nichts sagen, auch nicht, wenn sie wieder Aurora war.

Wir legten ebenfalls den Weg ins Hotel zurück. Als wir dort ankamen, war Yarah bereits umgezogen und ihr Haar gemacht. Ihre Mähne wurde nun von zwei Zöpfen gebändigt, die ihr jugendliches Aussehen unterstrichen.

Auf ihrer Truhe saßen die beiden Marionetten von vorhin. Wie waren sie nur hierher gekommen?

Und wo waren die Utensilien für die Bühne?

Freundlich bat sie uns, Platz zu nehmen. Wir setzten uns auf das Sofa, während Yarah es sich auf dem Sessel bequem machte. „Also, es ging um Vita, ja? Sie hat dir also nichts über sich erzählt?“

„Das ist richtig. Sie wollte mich nur umbringen.“

Erneut begann sie, mit einer Strähne zu spielen. „Sieht ihr gar nicht ähnlich, sie redet doch sonst so gerne über sich. Du gehst davon aus, dass sie eine Sylphe ist, nicht?“

Ich nickte. Was sollte sie sonst sein?

„Nun, das ist nur teilweise richtig. Sie war eine Sylphe, aber vor einiger Zeit tat sie etwas, was sie zu einem Menschen werden ließ. Menschen altern im Gegensatz zu Naturgeistern, sie aber nicht.“

„Warum?“, fragte ich neugierig. „Das muss doch einen Grund geben.“

„Gibt es auch.“

Yarah wickelte die Strähne um ihren Finger. „Vita nimmt etwas ganz Besonderes von ihren Kunden als Bezahlung, etwas von dem sie sich ernährt und das ihre Jugend erhält.“

Gespannt sah ich sie an, während ihr Blick wieder abwesend wurde, als ob sie sich an etwas erinnern würde.

Schließlich seufzte sie. „Sie ernährt sich von Seelen.“
 

„Von Seelen?“, hakte Nolan nach. „Wie das?“

Landis runzelte seine Stirn. „Anscheinend kann Vita anhand eines Kusses einem Menschen die Seele aussaugen. Dabei tötet sie die Person allerdings nicht zwingend, sondern lässt eine Hülle dieses Menschen zurück, die sich nach wie vor bewegt und das Leben weiterlebt.“

Kentons Blick ging wieder zu Frediano, der allerdings nur genervt schnaubte.

„Klingt grausam“, bemerkte Oriana bedrückt.

Landis nickte zustimmend. „Das stimmt. Ah... na ja, auf Vita geh ich gleich noch einmal ein. Zuerst geht die Geschichte weiter. Yarah erzählte mir nicht, was zwischen ihr und dieser Frau vorgefallen war, aber sie schloss sich uns an, um dieser eines überzuziehen. Der Grund, warum ich Yarah finden musste, erschloss sich mir auch bald. Sie schien Vitas Spur nämlich aufnehmen zu können und führte uns den ganzen Weg direkt nach Jenkan zurück...“

Sicarius Vita

In Jenkan schien sich seit unserer Abwesenheit nichts verändert zu haben. Noch immer stand der Scheiterhaufen auf dem Dorfplatz, umstellt von Bewohnern, die den neuesten Klatsch und Tratsch austauschten. Als ich die Leute sah, kam mir in den Sinn, dass die von meinem letzten Besuch möglicherweise nie nach Hause gegangen waren.

Ich schmunzelte bei dem Gedanken.

Im Vorfeld war ich über Dawn besorgt gewesen und was geschehen würde, wenn jemand sie als das Mädchen von damals wiedererkennen würde, aber Yarah schien wirklich mit allen Wassern gewaschen zu sein. Mit Kleidung, die einer ihrer Puppen gehörte und einer blonden Perücke war Dawn nicht wiederzuerkennen.

Yarah war alles in allem anders als Aurora – aber nicht unbedingt in einer guten Art und Weise.

Während die rothaarige Nymphe mit einem wilden Temperament gesegnet war, war Yarah innerlich jung geblieben und liebte es, andere zu ärgern, sobald sie eine Schwachstelle fand. Lediglich wenn das Gespräch auf Vita kam, zeigte sie so etwas wie Hass wie schon in Port Milfort. Doch sie weigerte sich unaufhörlich, die Gründe dafür zu nennen. Also blieb mir nichts anderes als abzuwarten bis sie es von allein verriet.

Die Bezeichnung Puppenspielerin kam nicht von ungefähr. Neben all den Puppen, die Yarah in ihrer Truhe mit sich herumtrug, besaß sie zwei Marionetten, die sich ohne ihr Zutun bewegten. Jedenfalls kamen sie immer vor uns an und erwarteten uns bereits dort, wo wir die Nächte verbrachten.

Entgegen meiner Befürchtung war es gar nicht so schlimm oder seltsam mit den beiden zu reisen. Stattdessen war es äußerst angenehm. Wir waren wie Freunde...

Zurück nach Jenkan.

Yarah dirigierte uns direkt ins Gasthaus, wo sie uns nähere Instruktionen geben wollte.

Der Gastwirt nahm ganz offensichtlich an, dass Yarah und ich ein junges Ehepaar und Dawn unsere Tochter wäre, denn er stellte keine weiteren Fragen, nachdem die Puppenspielerin sich bei mir eingehakt und mich verliebt lächelnd angesehen hatte.

Ja, sie war eine hervorragende Schauspielerin.

Dawn und ich saßen auf dem Bett, während die Dritte im Bunde vor uns auf und ab lief.

„Also meine Lieben!“, begann sie mit lauter Stimme. „Wie ihr wisst ist unsere Feindin die Verräterin Vita! Wegen ihr sind wir hier!“

In der entstehenden Pause sah sie uns auffordernd an. Ich nickte. „Ja.“

Zufrieden fuhr sie fort: „Vita ist diese Nacht wieder in Jenkan, ich kann sie spüren und -“

„Weswegen kannst du das?“

Abrupt hielt sie in ihrem Lauf. Ihr wütender Blick fuhr mir durch Mark und Bein. „Warum unterbrichst du mich?“

„Weil mich das interessiert.“

„Dafür haben wir heute aber keine Zeit“, erwiderte sie genervt seufzend.

Genau genommen hatten wir dafür nie Zeit, denn egal wie oft ich diese Frage stellte, ich bekam nie eine Antwort darauf.

Da ich nichts mehr sagte, lief sie weiter. „Vita plant etwas Böses und wir werden sie davon abhalten.“

„Was plant sie denn?“, fragte ich.

Diesmal bekam ich das Gefühl, dass mich ihr Blick nahezu aufspießte. „Hast du deinen Kommandanten auch immer so unterbrochen?“

„Wann bist du mein Kommandant geworden?“

Ein Blick zu Dawn genügte, damit diese mir in den Arm kniff. Ich seufzte. „Okay, ich bin schon still. Aber hör bitte mit diesem Gehabe auf.“

„Aber das macht so Spaß“, schmollte sie.

Genervt ließ ich sie weitermachen. Sofort nahm sie ihren Lauf wieder auf. „Vitas Plan sieht die Vernichtung von Fredianos Verbündeten vor.“

Mir lag die Frage nach dem Grund auf der Zunge, aber ich wollte sie nicht noch einmal unterbrechen. Allerdings schien sie das genau zu wissen, denn sie schmunzelte. „Ehrlich gesagt weiß ich es nicht so genau. Wahrscheinlich hat sie den Befehl dafür bekommen, im Austausch gegen deine Seele.“

„Aber ich hab ihr den Auftrag nicht gegeben, kann man denn einfach andere Seelen verschachern?“

Yarah lachte amüsiert. „Bei Vita ist alles möglich. Normalerweise dürften Nymphen und Sylphen diese Art von Geschäften gar nicht eingehen, aber sie tut es trotzdem.“

„Ist sie deswegen eine Verräterin?“, fragte ich weiter.

„Nein. Sie war schon vor dieser Seelensache eine Verräterin.“

Weiter ging sie nicht darauf ein. Stattdessen erklärte sie uns den Plan weiter. Auch wenn dieser nur daraus bestand, Vita und Fredianos Verbündeten nachts auf dem Marktplatz zu treffen.

Dawn und ich warfen uns einen Blick zu, der besagte, dass wir so ziemlich dasselbe dachten.

Doch statt zu widersprechen beschlossen wir, es einfach durchzuziehen.

So standen wir mitten in der Nacht also in der Nähe des menschenleeren Marktplatzes und warteten auf Vita und die ominöse andere Person.

Entgegen meiner Befürchtung dauerte es auch tatsächlich nicht lange, bis jemand auftauchte.

Aurora keuchte leise. „Das ist der Direktor der Anstalt!“

Ich kniff die Augen zusammen, aber im Gegensatz zu ihr konnten meine Augen nicht die Dunkelheit durchdringen. Für mich stand da lediglich eine Gestalt.

Yarah sah uns an. „Ihr kennt den?“

Aurora nickte. „Der Kerl wollte mich verbrennen – aber Landis hat mich gerettet.“

Sie lächelte mir zu, ich erwiderte das Lächeln. So gefiel sie mir um einiges besser.

Ich sah wieder auf den Platz und wartete auf Vita. In dem Moment war ich mir nicht so sicher, ob sie wirklich auftauchen würde. Wenn Yarah sie spüren konnte, ging das vielleicht auch umgekehrt.

Aber sie erschien dennoch.

Kurz nach dem Direktor trat auch Vita auf den Marktplatz. Sie lachte leise. „Wie schön, dass du kommen konntest.“

Der Mann sah sie an. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber ich konnte sehen, dass er leicht zitterte.

„Was willst du von mir? Ich dachte, das Geschäft wäre beendet.“

„Nun, nicht ganz.“

Ihre verspielte Stimme verriet mir, dass sie lächelte. Allein bei dem Gedanken daran schauderte es mir.

„Mein Auftraggeber möchte, dass ich Beweise verschwinden lassen. Oh und Zeugen.“

Der letzte Satz klang so nebensächlich, dass ich ihm keine weitere Bedeutung beigemessen hätte, wenn die Reaktion ihres Gegenübers nicht gewesen wäre.

Der Direktor warf einen nervösen Blick umher, als erwartete er, dass jemand hinter einer Häuserecke hervorspringen und ihm sagen würde, dass das nur ein Scherz war.

Er blickte wieder zu Vita und fuhr sich über die Stirn. „A-aber ich bin doch kein Zeuge, ich bin ein Geschäftspartner von ihm, nicht?“

Sie lachte noch einmal. „In den Augen meines Auftraggebers nicht. Für sein Verständnis seid ihr alle nur Ballast, den man loswerden muss.“

Ohne noch einmal zu zögern, fuhr der Mann herum und rannte davon. Doch im nächsten Augenblick stand Vita schon wieder vor ihm. Sie lachte. „Willst du etwa schon gehen? Das ist aber nicht nett. Ich habe doch ein Geschenk für dich.“

Ihre Stimme klang so nett, so einschmeichelnd, wenn der Teufel persönlich diese Stimme hätte, wären mit Sicherheit mehr Leute zum Sünden bereit. Ich konnte es dem Mann nicht verübeln, dass er, statt weiter zu rennen, Vita fragend ansah. „Ein Geschenk? Was für eines?“

Keine Ahnung, wie es geschah, aber plötzlich befand sich der Direktor festgebunden an einem Balken, der inmitten des Scheiterhaufens stand. Er sah sich genauso verwirrt wie ich um.

„W-was soll das? Was hast du vor?“

Sie schien ihre Geduld mit ihm zu verlieren, denn plötzlich erlosch ihr Lächeln. „Kannst du dir das nicht denken? Du wirst genauso leiden wie all jene, die durch deine Hand gestorben sind.“

„Das kann nicht dein Ernst sein!“, rief er aufgebracht.

Vita seufzte. „Ich beliebe nicht zu scherzen, mein Bester. Du machst mich echt krank.“

Ein Wink ihrer Hand genügte und im nächsten Moment stand der Scheiterhaufen in Flammen. Nicht nur ich, auch Yarah und Aurora schienen davon überrascht zu sein.

Die Überraschung des Direktors wandelte sich bald in Schmerzen, die er in lauten Schreien äußerte. Noch nie zuvor hatte ich jemanden so laut schreien gehört, aber genaugenommen war dies auch das erste Mal, dass ich jemanden beim Sterben zusah.

„Wir müssen ihm helfen!“, entfuhr es mir.

Yarah griff nach meinem Arm und zog mich grob zurück, als ich das Versteck verlassen wollte. Sie schüttelte entschieden den Kopf. „Es ist ohnehin zu spät. Wenn sie dich jetzt sieht, wird sie dich auch umbringen.“

Ich wollte widersprechen und versuchte, mich loszureißen, aber ihr Griff verstärkte sich nur noch mehr, wie bei einem Schraubstock, bis ich schließlich aufgab.

Ein lautes Lachen lenkte unsere Aufmerksamkeit wieder auf den Platz. Vita sah genau in unsere Richtung, also wusste sie, dass wir da waren. Der Geruch von verbranntem Fleisch erfüllte die Luft, das Schreien war verstummt.

„Und? Wie war es? Tatenlos zuzusehen, wie ein Menschenleben ausgelöscht wird, Landis?“

Wütend sprang ich auf den Platz hinaus, bevor Yarah mich wieder festhalten konnte.

„Warum hast du das getan!?“, schrie ich. „Ich dachte, du wärst hinter mir her!?“

Sie lächelte mich an. „Das bin ich auch, aber auch hinter allen anderen. Dich hebe ich mir bis zum Schluss auf, mein Lieber. Ich mag dich und außerdem bin ich Asterea etwas schuldig, darum gebe ich dir die Gelegenheit, mich aufzuhalten.“

Ihr Lächeln nahm einen hintertückischen Ausdruck an. „Und du wirst höchstpersönlich für jeden weiteren Tod verantwortlich sein, der durch meine Hand geschieht, mein Lieber.“

Sie wollte mir Schuldgefühle für den Tod wildfremder Menschen einreden. Ich konnte es kaum glauben, als sie mir das sagte.

Aurora stellte sich schützend vor mich. „Habe ich dir nicht schon einmal gesagt, dass du Landis in Ruhe lassen sollst?“

„Nicht ganz“, verbesserte Vita sie sanft lächelnd. „Du sagtest nur, ich solle ihn loslassen.“

Aurora gab einen genervten Laut von sich, dem ich mich nur zu gern angeschlossen hätte. Doch in diesem Moment überwog für mich die Frage, warum Vita das alles tat. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was für eine Belohnung sie wohl bekommen würde – oder wer mich so sehr hasste, dass ich so wertvoll war. Ich zweifelte daran, dass es nur Frediano war, immerhin konnte ich mich an nichts erinnern, was mich in seinen Augen so hassenswert machen würde.

Aber wahrscheinlich fehlte mir nur das Verständnis für Psychopathen.

Yarah trat neben mich und riss mich damit aus meinen Gedanken. „Fein, Landis akzeptiert deine Herausforderung.“

Genervt sah ich sie an. Davon war keine Rede gewesen – aber was blieb mir auch anderes übrig?

Ich sah wieder zu Vita und nickte. „Das ist richtig.“

Zufriedenheit übernahm von ihr Besitz. „Sehr schön. Das wird sicherlich interessant werden. Enttäuscht mich nicht, meine Lieben. Das alles endet erst, wenn ich tot bin, verstanden?“

Wir nickten einstimmig, auch wenn mir die Vorstellung gar nicht gefiel. Immerhin war mir beigebracht worden, dass es eine Sünde war, einen Naturgeist zu töten, aber mir blieb keine andere Wahl. Bestimmt würden die Götter mir vergeben – falls ich es denn überhaupt schaffen würde.

„Fein, fein“, sagte Vita. „Dann werde ich mich meinem nächsten Ziel zuwenden. Yarah, Liebes, du wirst mich sicherlich wiederfinden. Wir sehen uns.“

Damit verschwand sie und ließ uns zurück.

Aurora warf einen Blick auf den immer noch brennenden Scheiterhaufen. Ich wunderte mich ein wenig, dass keine Bewohner aus den umliegenden Häusern kamen, folgte dann aber Auroras Blick.

Sie seufzte leise. „Er war ein Idiot und ich konnte ihn echt nicht leiden, aber das hat er nicht verdient.“

„Mich interessiert eher, wie jemand wie er für Frediano nützlich gewesen sein könnte.“

Yarah runzelte ihre Stirn. „Vielleicht hat Vita auch mehr als nur einen Auftraggeber und das sind verschiedene Aufträge, die sie gerade bearbeitet.“

Schweigend starrten wir auf das Feuer, bis sich in den umliegenden Häusern tatsächlich etwas zu rühren schien.

„Wir sollten gehen“, bemerkte Yarah. „Besser wir sind hier weg, bevor uns jemand sieht.“

Aurora und ich nickten, gemeinsam gingen wir ins Gasthaus zurück, wo wir uns sofort auf unser Zimmer begaben. Nachdenklich und von den Ereignissen von eben noch bedrückt, saßen wir schweigend zusammen.

Worüber die beiden Nymphen nachdachten war mir nicht bewusst, aber meine Gedanken drehten sich immer noch um Vita und ihren Auftraggeber – oder mehrere, je nachdem.

Die ganze Sache verwirrte mich immer mehr. Doch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, erhob Yarah ihre Stimme. „Meine Lieben, ich glaube, wir sollten etwas unternehmen.“

Aurora und ich sahen sie an, keiner von uns beiden sagte etwas.

„Schaut mich nicht so an. Ihr wisst, was ich meine. Wir müssen Vita stoppen, schon allein wegen dir, Landis.“

„Machst du dir Sorgen um mein Gewissen?“, fragte ich bemüht belustigt.

Sie schnitt mir nicht einmal eine Grimasse, also war die Situation ernst. „Nein, ich mache mir Sorgen um dein Leben und das solltest du auch. Dass sie dir überhaupt diese Möglichkeit einräumt, ist schon fast ein Wunder, das darfst du nicht einfach verstreichen lassen.“

Ich seufzte resignierend. „Gut und was schlägst du vor?“

„Wir müssen Vita töten – nein, nicht einfach töten, wir müssen sie zerstören, sie vernichten.“

Diesmal erklang ein Seufzen von Aurora. „Ein Traum.“

Ich wünschte, ich hätte mich dem anschließen können, aber in meinem Inneren blieb das ungute Gefühl.

Yarah stand auf. Majestätisch anmutend stellte sie sich in Pose. „Wir, meine Lieben, werden eine neue Gruppe gründen, eine Gruppe, die sich die Zerstörung Vitas zum Ziel setzt.“

„Ich bin dabei!“, rief Aurora.

Meine Zustimmung kam um einiges leiser.

Die Puppenspielerin nickte, sie hob ihre zur Faust geballten Hand. „Ab heute sind wir Sicarius Vita!“
 

„So kam das also“, bemerkte Oriana leise.

„Dann wart ihr das also nicht in Jenkan?“, hakte Kenton noch einmal nach. „Warum habt ihr nie widersprochen und euch stattdessen all diese Anschuldigungen gefallen lassen?“

„Weil sie schuldig sind“, antwortete Frediano an Landis' Stelle. „Er erfindet das alles nur. Nymphen, Sylphen, so ein Unsinn. Wenn diese Aurora so toll ist, warum befreit sie sich nicht selbst?“

„Erwarte keine Antwort darauf“, erwiderte Landis abweisend. „Zumindest jetzt noch nicht. Und ein Widerspruch hätte nichts gebracht. Warum hätte uns jemand glauben sollen?“

„Warum sollten wir dir jetzt glauben?“, setzte Frediano nach, was von Landis ignoriert wurde.

Stattdessen schloss der Braunhaarige seine Augen. „Am nächsten Tag setzten wir unsere Reise fort. Ich will euch nicht mit allerlei unwichtigen Details langweilen, jedenfalls reisten wir umher und begannen auch Nachrichten zu schicken. Nicht nur, um gegenüber Vita unsere Absichten zu verdeutlichen, sondern auch um die entsprechenden Personen zu warnen und ihnen zu helfen. Leider wurden unsere Nachrichten nicht nur falsch interpretiert, sondern unsere ganze Gruppe missverstanden, wie ihr ja wisst. Dennoch schafften wir es, uns aus dem größten Ärger rauszuhalten. Während unsere Freundschaft wuchs, wurde meine ohnehin äußerst geringe Zuversicht mit jedem Opfer weniger, ich fürchtete nach jedem Opfer, dass ich der nächste sein würde. Meine Gedanken besserten sich erst wieder, als wir in Clarkmill ankamen, einem Ort, an dem es laut Yarah kein Opfer geben sollte. Dafür begegneten wir dort jemand anderem, mit dem ich nie gerechnet hätte...“

Begegnung mit den Beinahe-Schwiegereltern

„Clarkmill ist bekannt für die alte Mühle und das Haus daneben, das dem Müller Clark gehörte“, erklärte Yarah, während wir in einem Restaurant saßen und auf unser Essen warteten. „Ursprünglich gab es nur diese beiden Gebäude, aber Clark begann mit seinem Mehl zu handeln, bald schon war es im ganzen Land heißbegehrt, so dass er mit der Arbeit nicht mehr nachkam. Er stellte Gehilfen ein, die sich Häuser bauten, Familien gründeten... und bevor man sich versah, wurde eine ganze Stadt daraus.“

Sie lächelte mir zu. „Heute ist die alte Mühle eine Touristenattraktion – und immer noch voll betriebsfähig. Echte Handwerkskunst sag ich dir.“

Ich erinnerte mich, dass mir so etwas schon einmal erzählt worden war. Allerdings war ich zu müde, um mir Gedanken darüber zu machen, wer das gewesen war.

Vitas Strategie, mir ein schlechtes Gewissen zu machen, war bislang nicht aufgegangen. Dafür nahmen aber meine Albträume und meine Angstgefühle zu. Ich wollte schreien und wegrennen, aber ich wusste, dass das nichts bringen würde, egal wie weit ich laufen würde.

Yarah schob mir ein Glas zu. „Hier, trink das, das wird dich aufmuntern.“

„Nein, ich will nicht.“

Dawn, die ihr eigenes Glas Wasser mit beiden Händen hielt, während sie daran nippte, sah ebenfalls zu mir. Mir war klar, dass die beiden sich nur Sorgen um mich machten, aber ich konnte diese Gefühle und Sorgen auch nicht einfach abstellen.

Müde ließ ich meinen Blick über die anderen Gäste schweifen. Die Eingangstür öffnete sich, was meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ich konnte regelrecht spüren, wie ich blass wurde. In einer Panikreaktion rutschte ich unter den Tisch.

Yarah und Dawn warfen mir fragende Blicke zu, die ich sehen konnte, als ich vorsichtig hinauslugte, um herauszufinden, wohin die beiden Neuankömmlinge gingen. Es waren ein Mann und eine Frau im mittleren Alter, zuletzt gesehen hatte ich sie vor zwei Jahren – und eigentlich war ich mir sicher gewesen, dass ich sie nie wieder sehen würde. Sie gerade hier in einem Touristenort zu treffen, wo ich eigentlich eine Pause machen wollte, kam mir wie Ironie des Schicksals vor.

Aber wenigstens war ich nicht von ihnen entdeckt worden.

Der Kellner blieb neben dem Tisch stehen und kniete sich neben mich. „Verzeihung? Soll ich Ihr Essen auf dem Boden servieren?“

Verlegen lächelnd schüttelte ich mit dem Kopf. Ich setzte mich wieder auf den Stuhl, hielt allerdings den Kopf unten, um nicht entdeckt zu werden.

Dawn stocherte in ihrem Essen herum. Da sie nicht sprechen konnte, war ihre Bestellung von Yarah aufgegeben worden und das offensichtlich zur Unzufriedenheit des Mädchens. Die Puppenspielerin kümmerte sich allerdings nicht darum, sondern sah mich neugierig an. „Sag schon, was ist los?“

„Ich erzähls euch später“, flüsterte ich. „Das ist nicht der richtige Ort dafür.“

„Oho~ Hast du eine Ex-Freundin entdeckt, Landis?“, fragte sie belustigt.

Ich warf ihr nur einen wütenden Blick zu und begann zu essen, um so schnell wie möglich aus dem Restaurant rauszukommen.

Nicht lange danach waren wir schließlich mit dem Essen fertig (wohl hauptsächlich, weil ich die beiden so sehr antrieb). Yarah zahlte und trat gemeinsam mit Dawn den Weg zum Ausgang an.

Ich dagegen begab mich wieder auf alle Viere, während ich ihnen folgte, um nicht entdeckt zu werden. Dass gerade dieses Verhalten die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog, entging mir dabei allerdings.

Nur noch wenige Schritte vom Ausgang entfernt, wuchs meine Sicherheit. Vorsichtig richtete ich mich auf, lief aber immer noch gebückt weiter – als ich plötzlich eine Stimme hörte: „Willst du etwa gehen, ohne uns zu grüßen, Landis?“

Ertappt hielt ich inne und wandte den Kopf. Die beiden Personen von vorhin sahen mich von ihren Plätzen aus leicht lächelnd an. Ich erwiderte das Lächeln nur zögernd.

Yarah und Dawn traten neben mich. „Und? Willst du uns jetzt vorstellen, Landis?“

„Onkel Josh, Tante Bell, das sind Yarah und Dawn. Yarah, Dawn, das sind Joshua und Bellinda Helton.“

Der strenge Blick des Mannes mit dem graumelierten Haar wurde weich. Die schwarzhaarige Frau dagegen schien misstrauisch zu bleiben, während sie meine Begleiterinnen beobachtete.

Yarah legte den Kopf schräg. „Helton? Du meinst wie Oriana Helton?“

Ich nickte bedrückt. „Das sind ihre Eltern.“

„Nein wie nett“, bemerkte die Puppenspielerin lächelnd. „Endlich lernen wir also die Eltern der berühmten Oriana kennen.“

„Yarah!“

„Setzt euch doch zu uns“, bat Joshua.

Allerdings klang es mehr wie ein Befehl. Etwas, was ich schon lange von ihm gewohnt war.

Wir setzten uns zu dem Ehepaar an den Tisch und noch bevor jemand etwas sagen konnte, stellte Yarah eine Frage: „Woher kommt der Nachname? In Király haben doch nur hochrangige Personen einen solchen.“

Joshua nickte. „Korrekt, junge Dame. Bis vor kurzem war ich Kommandant der Cherrygrove-Wachen.“

„Warum seid Ihr es nicht mehr?“, fragte sie neugierig weiter.

Ich gab ihr unter dem Tisch einen Tritt, aber das schien sie gar nicht zu beeindrucken, denn sie sah Joshua weiterhin neugierig an. Allerdings war es diesmal Bellinda, die antwortete: „Der plötzliche Tod einer Freundin erinnerte uns an die kurze Dauer des Lebens. Mein Mann ging in Pension und nun reisen wir durch Király.“

„Wer ist gestorben?“, fragte ich besorgt.

Die beiden sahen mich nachdenklich an als ob sie erst überlegen mussten, ob sie es mir erzählen sollten. Eine aufkeimende Panik verschaffte mir einen Kloß im Hals.

Schließlich seufzte Bellinda. „Deine Mutter, mein Lieber.“
 

Richard seufzte leise. „Du hast es schon damals erfahren und so getan als ob du nichts wüsstest?“

Landis nickte mit gesenktem Kopf, ohne zu antworten. Oriana seufzte. „Armer Lan...“

„Wundert es dich nicht, dass er deine Eltern getroffen hat und sie dir nichts davon erzählt haben?“, fragte Frediano, als er zu ihr hinübersah.

Sie erwiderte seinen Blick kühl. „Wer sagt denn, dass sie das nicht haben?“

Sämtliche Blicke richteten sich auf sie. Selbst Landis sah überrascht auf. „Sie haben dir von unserem Treffen erzählt?“

Oriana nickte. „Sie haben mir einen Brief geschrieben, in dem sie mir von dir erzählt haben. Allerdings meinten sie, dass...“

„Dass?“

Sie schluckte ein wenig, als sie weitersprach: „Na ja, sie meinten, du würdest nicht mehr lange leben...“

„Wie kamen sie darauf?“, fragte Nolan.

Landis lachte. „Oh, ich weiß schon. Dazu komme ich jetzt.“
 

„Du bist ziemlich schnell während der Hochzeit verschwunden, mein Lieber“, bemerkte Bellinda nach dem Essen, während sie auf ihren Nachtisch wartete. „Allerdings dachten wir alle, du wärst nur in dein Bett gefallen.“

„Manchmal wünschte ich, so wäre es auch gewesen“, seufzte ich. „Na ja... oder vielleicht auch nicht. Wie sieht es in New Kinging aus?“

Unsere bisherigen Themen hatten bislang eher aus alten Erinnerungen bestanden. Aus Furcht vor der Antwort war ich die Gegenwart umgangen, aber früher oder später musste ich das fragen.

Joshua nahm einen Schluck von seinem Kaffee. „Frediano ist inzwischen Kommandant der Kavallerie und Oriana hat uns vor kurzem zu Großeltern gemacht.“

Die Worte ließen mich erstarren. Sie hatten also ein Kind bekommen. Damit war der Kampf wohl endgültig verloren.

„S-sind sie auch glücklich zusammen?“

Diesmal überließ Joshua es seiner Frau zu antworten. Sie schüttelte mit dem Kopf, zögerte aber sofort. „Ähm... vielleicht schon. Seit ihrer Heirat hat sich Ria ziemlich verändert. Es fällt sogar mir schwer, zu erraten wie es ihr geht. Aber dass sie ihre Tochter liebt, das ist offensichtlich.“

„Eine Tochter...“

„Frediano dagegen scheint ganz und gar nicht glücklich über sie zu sein“, bemerkte Joshua. „Aber möglicherweise ist er auch nur sehr von seiner Arbeit eingenommen.“

Nachdenklich runzelte ich meine Stirn. Was könnte Frediano nur gegen eine Tochter haben?

Ob er sich einen Sohn als Erstgeborenen gewünscht hatte?

Bellinda tätschelte meinen Kopf, eine Angewohnheit von ihr, die noch aus meiner Kindheit stammte. „Sei nicht traurig, mein Lieber. Du findest bestimmt auch noch eine Frau.“

Genau das, was ich nicht wollte. Zumindest nicht im Moment.

„Ja, sicher...“

Dawn warf mir einen besorgten Blick zu. Bellinda sah das Mädchen an. „Du hast uns noch gar nicht erzählt, wo du auf deine beiden Begleiterinnen trafst.“

Yarah nahm mir die Antwort ab: „Dawn und ich begegneten Landis in Port Milfort, wo wir eine Vorführung unseres Marionetten-Theaters hatten. Ich bin eine alte Bekannte von Asterea, weswegen ich beschloss, ihn auf seiner Reise zu begleiten.“

Meine Mutter war gegenüber den beiden immer sehr schweigsam gewesen, was ihre Vergangenheit anging, so dass keiner der beiden sich darüber wunderte, dass sie noch nie zuvor von Yarah gehört hatten.

„Welches Ziel soll diese Reise haben?“, fragte Joshua weiter.

Bislang war das nichts gewesen, worüber ich mir Gedanke machte, also antwortete ich das erste, was mir darauf einfiel: „Kein Festes. Ich will nur Király sehen, bevor ich sterbe.“

Sogar Joshuas Blick wandelte sich nun in Besorgnis. Yarah und Dawn sahen mich ebenfalls irritiert an. Ich lachte verlegen. „Na ja... ich mein ja nur.“

„Bist du etwa krank, mein Lieber?“, fragte Bellinda fürsorglich.

Da ich schon damit angefangen hatte, beschloss ich, die Schiene weiterzufahren. Ich nickte.

Bedrückt tätschelte sie meinen Kopf. „Mein armer Landis. Wie lange weißt du das schon?“

Ich brauchte nicht lange nachzudenken, um zu einer logischen Antwort zu kommen: „Seit drei Jahren.“

Bellinda warf ihrem Mann einen vielsagenden Blick zu. Er seufzte. „Ist dies der Grund, weswegen du unsere Tochter verlassen hast?“

Ich verzichtete auf die Korrektur, dass die Trennung im gegenseitigen Einverständnis erfolgt war und nickte noch einmal, während ich einen leidenden Gesichtsausdruck aufsetzte.

Mütterlich nahm Bellinda mich in den Arm, da ich direkt neben ihr saß. „Warum hast du denn nichts gesagt, Landis? Wenn wir das gewusst hätten...“

Sie verstummte, ich wollte gar nicht wissen, wie der Satz enden sollte und schwieg deshalb.

Ob ich ein schlechtes Gewissen wegen dieser Lüge hatte? Ganz und gar nicht. Ich war immer noch der Überzeugung, dass all diese Ereignisse Teil des Schicksals waren und ganz am Ende mein eigener Tod stand. Auch wenn es keine Krankheit war, so war es doch bereits bestimmt. Also war es keine sonderliche große Lüge.

„Ich finde es ehrenhaft, dass Ihr ihn begleitet, Lady Yarah“, sprach Joshua.

Sie winkte ab. „Oh, ich bitte Euch, das ist doch selbstverständlich für mich. Astereas Kinder sind meine besten Freunde.“

„Immerhin müssen wir uns keine Sorgen darum machen, dass er einmal allein sein wird.“

Bellinda lächelte Joshua zu, als sie mich wieder losließ.

Yarah räusperte sich. „Es war uns ein Vergnügen, Euch zu treffen, aber leider müssen wir nun weiter. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.“

„Schon?“, fragten beide enttäuscht.

Ich ging darauf ein und nickte. „Ja, wir haben es eilig.“

„Sei vorsichtig, mein Lieber“, bat Bellinda inständig. „Und geh doch wieder mal bei Ria vorbei, wenn du noch Zeit hast.“

„Natürlich.“

Früher oder später würde mich mein Weg zu Frediano führen und dann würde ich auch sie treffen. Hoffentlich würde ich bis dahin dafür bereit sein.
 

Zigarettenqualm erfüllte den Schankraum der kleinen Kneipe in einer Seitenstraße von New Kinging. Neben all den zwielichtigen Gestalten, zerbrochene Existenzen eines Lebens, stachen der ehemalige Kommandant der Cherrygrove-Wachen und seine Frau unangenehm heraus.

Eine blonde Frau lief zielsicher an den Tischen vorbei und ignorierte das Pfeifen, das ihr folgte. Ihre Zöpfe schaukelten bei jedem ihrer Schritte hin und her.

Lächelnd setzte Yarah sich schließlich an den Tisch. „Schön, dass ihr so schnell kommen konntet.“

„Es war sehr kurzfristig“, stimmte Bellinda zu.

„Wir waren über Eure Nachricht überrascht, Lady Yarah“, gab Joshua zu. „Was können wir für Euch tun?“

Die Blicke des Ehepaars zeigten unverhohlene Neugier, was die Puppenspielerin mit einem zuversichtlichen Gefühl erfüllte. Mit der Unterstützung der beiden würde sicher alles gut werden.

„Sir Joshua, wie Ihr vielleicht gehört habt, wurde Landis als Anführer von Sicarius Vita verhaftet, im Moment wird er gerade verhört.“

Bellinda keuchte erschrocken. „Landis?“

Yarah nickte zustimmend. „Richtig. Ich werde euch die Geschichte von Sicarius Vita und die Wahrheit über Landis erzählen – ich tue das, weil Ihr ein gutes Wort für Landis bei der Königin einlegen müsst. Ich bin sicher, dass er noch mehr Fürsprecher haben wird, aber ein paar verlässliche Sprecher mehr schaden nicht.“

Wie so oft warfen sich Joshua und Bellinda einen Blick zu, dann sahen sie wieder Yarah an. „Fein, erzählt uns, was es zu erzählen gibt. Wenn wir von Landis' Unschuld überzeugt sind, werden wir ein Wort bei der Königin für ihn einlegen.“

Yarah atmete erleichtert auf. Die Furcht, dass beide bei dem Namen Sicarius Vita ihre Unterstützung hätten verweigern können, fiel endlich von ihr ab. Lächelnd begann sie den beiden die gekürzte Fassung der Geschichte zu erzählen, ohne dass sonst jemand im Raum davon Notiz nahm.

Seika

Die Stadt Seika in den Bergen von Király verbarg sich hinter einem Bambus-Wald. Dicht genug, um die Stadt nicht komplett einsichtbar zu machen, aber wiederum auch licht genug, um sie nicht vollständig zu übersehen, wenn man an dem Hain vorbeilief. Netterweise wies zusätzlich ein Schild auf dem Weg darauf hin, dass dieser Ort existierte und Besucher freudig empfing.

Interessiert betrachte ich die kunstvollen Gebäude und die Türen, die aus Papier zu bestehen schienen. Die Bewohner mussten wirklich viel Vertrauen in ihre Mitmenschen haben – oder möglicherweise war es doch kein Papier, sondern nur etwas, das genau so aussah.

Menschen mit braunem oder schwarzem Haar liefen in kunstvoll aussehenden Kimonos durch die Gegend, manche ziellos, andere mit sicherem, festen Schritt. Alles wies auf eine friedliche Stadt hin, wenngleich es laut Yarah hier ein Opfer geben sollte. Es war schwer vorstellbar, aber möglicherweise war genau das der Grund, weswegen die Person sich hier versteckt hielt.

Yarah atmete tief ein. „Ah, es ist schon so lange her, dass ich hier war. Wie angenehm. Wir sollten auf jeden Fall die heißen Quellen besuchen!“

„Gibt es so etwas hier?“, fragte ich leicht desinteressiert, während ich mich immer noch umsah.

Auch wenn es mir anders lieber gewesen wäre, aber ich war nicht hier, um mich zu entspannen. Für Yarah allerdings schien die ganze Reise eine einzige Urlaubsfahrt zu sein, solange wir nicht auf Vita trafen - oder sie erwähnten.

Sie nickte heftig zur Antwort, während wir das Dorf betraten..

Kaum waren wir durch das Eingangstor geschritten, spürte ich einen Stoß in meinem Rücken, gefolgt von einer spöttischen Stimme: „Tut mir Leid.“

Als ich den Kopf wandte, entdeckte ich gerade noch einen braunhaarigen Jugendlichen, der davonlief. Ein rotes Bandanna, das um seine Stirn geschlungen war, wehte dabei im Gegenwind.

„Idiot“, murrte ich.

Ich weiß nicht mehr, was mich dazu bewegte, aber unwillkürlich griff ich in meine Tasche, um nach meiner Geldbörse zu sehen – und stellte erschrocken fest, dass sie weg war.

„Bist du sicher, dass du sie gerade noch hattest?“, fragte Yarah.

„Ganz sicher! Dieser Kerl muss sie mir geklaut haben!“

Ohne auf die beiden zu warten, rannte ich ihm hinterher. Es dauerte nicht lange, bis ich ihn tatsächlich eingeholt hatte. Er stand direkt neben einem Mädchen, das in seinem Alter zu sein schien. Ihr braunes Haar war zu einem Zopf gebunden und gab ihr so ein kindliches Äußeres. Sein Blick sagte mir, dass er zerknirscht war, offenbar wurde er gerade von ihr gescholten.

Vorsichtig ging ich näher, um mir anzuhören, was die beiden redeten.

„Ich habe dir gesagt, dass du das nicht mehr machen sollst“, wies das Mädchen ihn zurecht. „Warum hörst du eigentlich nie auf mich!? Was bist du nur für ein Bruder?“

Er senkte den Blick. „Es tut mir Leid, Nadia.“

Seufzend schüttelte sie den Kopf und sah zu mir herüber. Sie zuckte zusammen, als ich zu den beiden hinüberging. Hastig verbeugte sie sich vor mir. „Es tut mir sehr Leid, Herr. Mein Bruder hat leider kein Benehmen.“

Bevor ich etwas sagen konnte, reichte sie mir meine Geldbörse. Sie schien noch genauso schwer zu sein wie zuvor.

„Schon gut“, wehrte ich seufzend ab. „Es ist ja nichts weiter passiert.“

Plötzlich weiteten sich ihre Augen ein wenig und mit einem Blick, den ich sonst nur von kleinen Mädchen und Hunden kannte, sah sie mich an. „Wisst Ihr, mein Bruder Aidan und ich sind Waisenkinder. Wir haben schon früh unsere Eltern verloren und müssen uns seitdem allein durchschlagen. Ich gebe mein Bestes, aber leider macht er so etwas immer wieder. Verzeiht die Umstände.“

Sie verbeugte sich noch einmal vor mir, was mir langsam unangenehm wurde.

„B-bitte, lass gut sein. Es ist ja nichts passiert. Warte...“

Ich öffnete die Börse und zog mehrere Münzen heraus, die ich ihr in die Hand drückte. „Hier, nimm das. Und hört mit dem Stehlen auf, verstanden?“

Ich erinnerte mich selbst an meinen Vater und seine halbherzigen Standpauken, die immer in der Art geendet hatten. Ich war einfach zu nett und gutgläubig.

Nadia lächelte glücklich. „Vielen, vielen Dank, Herr. Das werden mein Bruder und ich Euch nie vergessen. Bedanke dich auch, Aidan!“

Der Junge verbeugte sich sofort ebenfalls. „Vielen Dank, Herr!“

„Keine Ursache, bis dann.“

Ich wandte mich von den beiden ab, tief in meinem Inneren herrschte eine Mischung aus Genugtuung und Unzufriedenheit. irgend etwas war mir an der ganzen Sache entgangen, ganz sicher.

Ich kehrte wieder zu Yarah und Dawn zurück, die sich offensichtlich kein Stück bewegt hatten. Wenn mir etwas passiert wäre, hätte ich also keine Hilfe erwarten müssen. Tolles Gefühl, wirklich.

„Alles klar, Lan?“, fragte die Puppenspielerin, eher amüsiert als besorgt.

„Alles super", antwortete ich. "Lasst uns ins Gasthaus gehen, ich bin müde.“

Mir war nicht danach, das eben Passierte vor den beiden auszubreiten. Nicht, solange ich nicht meinen Fehler erkannt hatte.

Yarah brachte uns zu einem großen Haus, auf dem ein auffälliges Schild Namen und Zweck des Gebäudes verkündete. Angenehme, frische Luft erfüllte das Innere des Gasthauses. Die unzähligen Pflanzen erinnerten mehr an eine Gärtnerei, der Empfang war von exotischen Blumen umgeben und ließ die mittelmäßige Empfangsdame noch unscheinbarer erscheinen. Sie lächelte mich an. „Herzlich Willkommen im Gasthaus zur Quelle. Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Wir brauchen ein Zimmer“, antwortete ich ohne Umschweife.

Die Frau begann zu lachen, mein Mut sank sichtlich. „Der war gut. Aufgrund unserer eigenen heißen Quellen sind wir auf Monaten ausgebucht.“

„Ups!“

Genervt fuhr ich zu Yarah herum. „Was soll das Ups bedeuten?“

„Na ja, diesen Fakt habe ich ganz vergessen. Aber wir können auch in einem anderen Hotel unterkommen.“

Unschuldig sah sie mich an, als könnte sie gar nichts dafür, dass sie so etwas Fundamentales einfach vergaß.

„Und das ist dir echt nicht früher eingefallen?“, fragte ich.

Sie lachte verlegen. „Komm, lass uns gehen.“

Hinter mir konnte ich das Kichern der Empfangsdame vernehmen, als wir wieder hinausgingen.

Wie konnte man einen so wichtigen Fakt nur vergessen? Sie war bereits öfter hier gewesen und hätte das doch wissen müssen.

Dawn schien genauso genervt zu sein, aber wohl eher, weil sie müde war. Als kleines Kind war das Wandern für sie noch schwerer als für uns. Zwar war ich dazu verdonnert worden, sie die meiste Zeit zu tragen, aber auch ein kleines Mädchen wurde einmal zu schwer.

Yarah führte uns direkt zu einem kleineren Gebäude, das sich an eine Bergwand schmiegte. Im Vergleich zum ersten Gasthaus war dieses geradezu lächerlich. Allerdings gefiel mir dieses bescheidene Haus um einiges mehr – und meiner Geldbörse sicherlich auch, besonders nach meiner großzügigen Spende an diese Geschwister.

Ein älterer Mann mit einer um die Hüfte gebundenen Schürze lehnte am Tresen im Empfangsraum und unterhielt sich mit der Frau dahinter. „Scheint als hätte Nadia mal wieder einen Touristen über den Tisch gezogen. Sie war gerade bei mir und hat nicht nur ihre Schulden bezahlt, sondern auch noch mehr zu essen gekauft.“

Die Frau lachte leise. „Bestimmt hat sie wieder die Armes-Waisenkind-Masche abgezogen.“

„Es wäre lustiger, wenn zumindest das nicht stimmen würde“, erwiderte der Mann seufzend.

Als ich den Namen hörte, wurde ich hellhörig. Der junge Dieb hatte seine Schwester so genannt. Der über den Tisch gezogene Tourist... das klang ganz nach mir.

Interessiert ging ich näher. „Entschuldigung? Nadia, etwa die Schwester von diesem Taschendieb?“

Beide wandten sich mir sofort zu. Der Mann nickte schmunzelnd. „Genau. Die Masche ziehen sie immer ab. Manchmal haut der Taschendiebstahl hin, aber eigentlich geht es darum, dass der Bestohlene sie verfolgt. Nadia macht ihrem Bruder dann eine Szene und erzählt dem Bestohlenen dass sie und Aidan ganz allein sind. Natürlich haben die meisten bei ihrem Blick dann Mitleid und geben ihr etwas Geld.“

„Dann war das nur ein Trick?“, hakte ich noch einmal nach.

Ich fühlte mich plötzlich wirklich erbärmlich. Ich war auf solch einen hinterlistigen Plan, auf eine Trickdiebin, hereingefallen!

Der Mann und die Frau warfen sich einen Blick zu, dann begannen beide loszulachen. „Dann seid Ihr also der, den sie diesmal ausgenommen hat?“

„So viel habe ich ihr nicht gegeben“, verteidigte ich mich murrend.

Die beiden lachten weiter und ignorierten mich dabei. Yarah stimmte in das Lachen mit ein, was meiner Laune auch nicht gerade weiterhalf. Schließlich räusperte ich mich, um das zu beenden. „Wir hätten gern ein Zimmer!“

Die Empfangsdame verstummte sofort wieder und verneigte sich. „Herzlich Willkommen im Gasthaus zur Nixe. Ich hoffe, Ihr werdet Euch hier wohlfühlen. Wir werden Euch sofort ein Zimmer fertigmachen lassen.“

Von Tratschtante zu Geschäftsfrau in weniger als zehn Sekunden, beeindruckend.

„Warum heißt es Gasthaus zur Nixe?“, fragte ich neugierig.

„Nun, wir haben leider keine heißen Quellen, aber dafür einen Wasserlauf in unserer Höhle, in der hin und wieder eine Nixe erscheint. Vielleicht erscheint sie ja auch, während Ihr hier Euren Urlaub verbringt, Herr.“

Da war ich ja mal gespannt, auch wenn ich es mir nicht vorstellen konnte. Immerhin waren Nixen Märchengestalten. Aber andererseits...

Das Zimmer, das wir gleich aufsuchten, bestand nicht aus mehr als drei einfachen Betten, einem Tisch und mehreren Stühlen, aber Luxus erwartete auf dieser Reise keiner von uns, daher war das also nicht schlimm. Außer für Yarah, die leise seufzte. „Ich sehne mich nach meinem Wasserbett.“

Überrascht sah ich sie an. „Du hast ein Wasserbett?“

„Klar – zu Hause.“

Bislang war mir nicht einmal bewusst gewesen, dass sie überhaupt ein Zuhause besaß. Ich hatte sie für eine Nomadin gehalten, so wie sie uns durch die Gegend zerrte.

„Und wo wohnst du?“

Sie legte einen Finger an ihre Lippen. „Verrate ich dir nicht.“

Ich wandte mich von ihrem Grinsen ab und sah aus dem Fenster. Von diesem Zimmer konnte ich auf das andere Gasthaus sehen, in dem wir abgewiesen worden waren. Yarah, wieder völlig ernst geworden, trat neben mich und deutete hinüber. „Unsere Zielperson wohnt dort.“

„Ist es der Besitzer des Gasthauses?“

Sie schüttelte mit dem Kopf und klärte mich darüber auf, dass er ebenfalls nur ein Gast war. Bestimmt hatte er ebenfalls von diesen Morden gehört und gedacht, hier wäre er sicher. Schade, dass er sich da geirrt hatte – für ihn.

„Vielleicht solltest du dich ein wenig umsehen, Landis. Bis heute Nacht ist noch etwas Zeit. Ich schicke solange eine Warnung, damit das Opfer nicht unvorbereitet ist. Vielleicht können wir ihn ja diesmal retten.“

Es war mir eigentlich egal, ob wir ihn retten könnten, aber ich nickte dennoch und verließ das Zimmer wieder. Stille erfüllte den Gang, aber ich war mir nicht sicher, ob es nicht vielleicht daran lag, dass es einfach keine Gäste gab – oder eben diese sehr ruhig waren.

Neugierig wie ich war betrat ich die angeschlossene Höhle. Eigentlich glaubte ich ja nicht an Nixen, aber genauso wie ich von der Existenz von Nymphen und Sylphen überzeugt worden war, wollte ich auch den Meereslebewesen ihre Chance geben.

Nach nur wenigen Schritten in die feuchte Höhle hinein zuckte ich erschrocken zusammen. Die blaue Gestalt vor mir sah mich genauso überrascht an. Allerdings war es keine Nixe.

Hastig fuhr sie herum und sprang in den Wasserlauf, wo sie aus meiner Sicht verschwand. Ich war nicht einmal dazu gekommen irgendwie zu reagieren.

Konnte es wirklich sie gewesen sein? Aber warum war sie dann so blau?

Hastig fuhr ich herum und ging wieder in den Empfangsraum. Zu meinem Glück stand der Ladenbesitzer tatsächlich noch da, viel zu arbeiten gab es wohl nicht.

„Entschuldigung“, sprach ich ihn an. „Dürfte ich fragen, was Nadia bei Euch gekauft hat?“

„Oh, dasselbe wie immer", antwortete er freimütig. "Hauptsächlich Blaubeeren. Ich glaube, die isst sie sehr gerne. Und dazu noch unzählige Kerzen. Sie wohnt etwas außerhalb in den Bergen, wisst Ihr? Da kann es schon mal sehr dunkel und kalt werden.“

Ich bedankte mich und ging davon. Die blaue Farbe könnte also von den Blaubeeren kommen und mit dem Wachs konnte sie diese wasserfest machen. Aber weswegen tat sie das Ganze?

Es gab wohl nur einen Weg, das herauszufinden.

Entschlossen verließ ich das Gasthaus und begab mich auf kürzestem Weg in die Berge – wo ich wieder einmal feststellte, dass ich zu unüberlegt gehandelt hatte. Die Pfade waren verzweigt, teilweise überwuchert und manche führten sogar in einem spitzen Winkel nach oben.

Allerdings wollte ich auch nicht einfach wieder umkehren und mir erst Unterstützung holen. Bis zur Nacht musste ich wegen Vita wieder in der Stadt sein und es war bereits Nachmittag.

Nach kurzem Nachdenken – und einem Abzählreim – entschied ich mich für einen ausgetretenen Weg. Wenn die Geschwister jeden Tag in die Stadt kamen, musste der am meistbenutzten Weg zu ihnen führen – so dachte ich.

Wie falsch ich lag stellte ich fest, als ich zum dritten Mal in einer Sackgasse landete. Diesmal endete mein Pfad an einer mit Efeu überwucherten Felswand. „Noch einmal drehe ich nicht um...“

Ich kletterte an den Ranken empor. Blätter fielen dabei herab, Spinnen krabbelten über meine Hand. Mit angewidertem Gesichtsausdruck schüttelte ich sie ab, während ich weiterkletterte. Glücklicherweise hatte ich keine Angst vor ihnen, aber begeistert war ich von diesen Wesen auch nicht.

Am oberen Rand der Klippe angekommen, blieb ich erst einmal liegen, um wieder Gefühl in meine Oberarme zu bekommen. Ich hatte vergessen, wie anstrengend so etwas sein konnte.

Als Kavallerist wäre es nie meine Aufgabe gewesen, an Felswänden hochzuklettern, deswegen war das während der Ausbildung nicht häufig vorgekommen. Und selbst wenn, hatten Kenton und ich unsere Scherze darüber gemacht. Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass ich das einmal brauchen würde.

Wie sehr wünschte ich mir diese Zeit zurück, statt auf einem Berg herumzuklettern.

Als meine Arme nicht mehr abzubrechen drohten, stand ich wieder auf – und glaubte zu hören, wie das Schicksal lauthals über mich lachte. Nicht nur stand ich genau vor einer Hütte, sondern entdeckte von hier aus auch einen zugewucherten Pfad, der direkt zum Fuß des Berges führte. Doch aufgrund der Vegetation hatte ich genau diesen Weg von Anfang an ausgeschlossen. Die Geschwister mussten wirklich raffiniert sein.

Ohne zu klopfen ging ich hinein. Erschrocken wandte Nadia sich mir zu, nur um im nächsten Moment ihr Gesicht zu einer verärgerten Fratze zu verziehen. „Was soll das!? Du kannst hier nicht einfach ungefragt reinkommen! Wo sind deine guten Manieren?“

„Was interessieren dich meine Manieren?", erwiderte ich verärgert. "Wo sind deine?“

Die Hütte war nur spärlich eingerichtet. Zwei Betten, ein Tisch, zwei Stühle und ein Kamin, das wars. Eine Falltür führte wohl in den Vorratskeller hinunter.

Verärgert verschränkte sie die Arme vor ihrer Brust. „Ich bin ein Waisenkind, ich brauche keine Manieren, klar? Mir gegenüber werden immerhin auch nie Manieren gezeigt.“

Ich verzichtete darauf, ihr eine Standpauke a la Onkel Josh zu halten, in der ich ihr erklärte, dass man anderen nur so viel Respekt zollte, wie sie selbst bereit waren an den Tag zu legen. Sie hätte wohl ohnehin genauso reagiert, wie Nolan und ich früher: Mit einem genervten Nicken.

„Warum stehlen du und dein Bruder und betrügen Leute?“, fragte ich. „Ihr könntet inzwischen auch bestimmt richtigen Berufen nachgehen, ihr scheint ja alt genug zu sein.“

Oh je, ich klang wirklich schon wie meine Mutter.

„Was geht dich das an?", fauchte sie zurück. "Du kommst einfach ungefragt in mein Haus und stellst mir solche Fragen, Idiot! Kein Wunder, dass deine Freundin nen anderen geheiratet hat.“

Wie unter einem Peitschenhieb zuckte ich zusammen. „Woher weißt du das?“

Sie grinste. „Was? Dass du ein Idiot bist oder das mit deiner Freundin?“

„Du weißt genau, was ich meine!“

Ob sie zu Frediano oder Vita gehörte? Vielleicht war das alles hier nur eine geschickte Ablenkung für mich. Panisch steigerte ich mich wieder in bösartige Pläne hinein, doch sie lachte nur laut. „Ich bin eine Spionin, Idiot! Aber nicht für deine Feinde. Ich mache das aus Spaß an der Freude, jeder braucht ein Hobby, weißt du?“

„Ein seltsames Hobby“, erwiderte ich misstrauisch.

Offensichtlich genervt von mir und meiner Paranoia rollte sie mit den Augen. „Warum sollte ich mich mit solchen Schnöseln wie Frediano abgeben? Für jemanden wie ihn wäre ich doch nur ein Streuner.“

Das war ein Argument. Frediano war nicht unbedingt für sein großes Herz bekannt und selbst seine Verbündeten trugen alle einen gewissen Namen. Davon abgesehen bräuchten weder er noch Vita einen Spion in meiner Sache. Sie wussten mit Sicherheit genug.

Ich seufzte geschlagen. „Ich frage mich trotzdem, woher du das weißt.“

„Ich habe meine Quellen“, erwiderte sie nur. „Und jetzt verschwinde endlich, dein Anblick macht mich krank!“

Demonstrativ wandte sie sich von mir ab. Das Verhalten kannte ich, ich würde nichts mehr bei ihr erreichen und es wurde spät. Ich sollte in die Stadt zurückgehen.

Ich verließ die Hütte wieder, wobei mein Blick automatisch nach Seika ging. Eine dünne Rauchsäule schlängelte sich in den Himmel und erweckte ein ungutes Gefühl in meinem Inneren.

Ich musste zurück nach Seika – und das so schnell wie möglich.

Zwillinge

Als ich in Seika ankam, waren die Löschtätigkeiten bereits im vollen Gange. Nur ein einziges Gebäude brannte: Das Gasthaus, das uns zuvor abgelehnt hatte.

Mein Blick ging suchend umher, aber nirgends fand ich die Personen nach denen ich Ausschau hielt.

Waren also Yarah und Dawn gar nicht dafür verantwortlich?

Mehrere Personen neben mir unterhielten sich leise. Die Worte „Attentat“ und „Sicarius Vita“ fielen dabei immer wieder.

Meine Gedanken waren jedoch wieder bei Vita. So gut wie jedes Mal nutzte sie Feuer, um das Opfer zu töten oder zumindest dessen Überreste zu verbrennen. Ich verstand nicht weswegen - immerhin war sie ja kein Feuergeist -, aber es kümmerte mich auch nicht weiter.

Mit hastigen Schritten lief ich durch die Stadt, auf der Suche nach meinen beiden Begleiterinnen.

Doch stattdessen fand ich Vita.

Mit einem ungewohnt ernstem Gesichtsausdruck beobachtete sie die Flammen, die sich gierig durch das Haus aus Holz und Papier fraßen.

Ich stand nur da und sah sie an, unfähig irgend etwas zu tun. Eiskalte Angst, deren Ursprung mir nicht bewusst war, lähmte mich, statt mir die Kraft zu geben, eine Waffe gegen sie zu erheben.

Als sie mich bemerkte, wandte sie sich mir zu. Das kalte Lächeln erschien wieder auf ihrem Gesicht. „Lange nicht gesehen, Lan. Wie geht es dir?“

„Warum bist du noch hier?“, erwiderte ich mit einer Gegenfrage. „Sonst haust du nach kurzer Zeit immer ab.“

Sie seufzte verträumt und sah wieder ins Feuer. „Es ist lange her, dass ich so etwas Großes brennen gesehen habe. Diesen Moment wollte ich auskosten.“

Selbst als die Furcht mich wieder aus ihren Klauen entließ, wagte ich nicht einmal einen Muskel zu rühren, während wir so nah beieinander standen. Doch plötzlich sah sie mich wieder an und lachte. „Nur keine Sorge. Ich habe dir doch gesagt, dass du mein letztes Opfer sein wirst. Es fehlen noch... drei.“

„Nur noch drei?“

Mein Mut erreichte seinen Tiefpunkt, als ich daran dachte, wie wenig mich noch vom Tod trennte. Zu glauben, dass sie mich nicht töten könnte, fühlte ich mich augenblick nicht in der Lage.

Sie nickte. „Nur noch drei, mein lieber Landis. Ich kann es kaum erwarten, deine Seele aufzusaugen. Nun... wir sehen uns.“

Als sie sich umdrehte, um wegzugehen, fegte ein heftiger Windstoß durch die Stadt. Die Flammen wurden davon noch einmal extra angefacht und griffen auf ein anderes Gebäude über. Entsetzte Schreie hallten durch die Gegend.

Ich erwachte aus meiner Starre und rannte weiter, um nach Yarah und Dawn zu suchen. Es war noch nicht Nacht, also war Aurora noch nicht da – und das kleine Mädchen konnte das Feuer nicht kontrollieren.

Beide standen vor dem Gasthaus, in dem unser Zimmer war, gemeinsam mit der Empfangsdame und dem Ladenbesitzer. Kollektiv starrten sie zu dem Feuer hinüber. Keiner von ihnen schien sich in Gefahr zu wähnen, es war als ob sie etwas betrachten würden, was ganz weit weg war.

Meine Stimme riss Yarah und Dawn aus ihrer Starre. Die Puppenspielerin sah mich tadelnd an. „Lan, wo warst du so lange? Ich dachte schon, du wärst das gewesen!“

„Du solltest mich langsam kennen“, erwiderte ich nur. „Wir müssen hier weg, bevor die ganze Stadt in Flammen steht!“

Ohne weitere Fragen zu stellen, nickten meine Begleiterinnen. Gemeinsam liefen wir wieder davon.

Die Empfangsdame und der Ladenbesitzer starrten immer noch wie hypnotisiert auf das hastig um sich greifende Feuer.

Wir kamen nicht weit, überall waren wir von der sengenden Hitze umringt. Lediglich „unser“ Gasthaus blieb noch verschont. Noch nie hatte ich von Flammen gehört, die sich so schnell ausbreiteten.

„Und jetzt?“, fragte Yarah.

In unserem Rücken war nur noch der Berg und von dieser Seite aus kein Weg ihn zu besteigen. Es schien keinen Ausweg zu geben. Dawn hustete leise.

Plötzlich erklang eine Stimme hinter uns. „Folgt mir!“

Als wir uns umdrehten, konnten wir Aidan sehen. Der Junge stand mit ernstem Gesichtsausdruck hinter uns. „Kommt schon, Beeilung!“

Dies war nicht die Zeit für weitere Fragen, also hob ich die immer noch hustende Dawn auf meine Arme und folgte Aidan. Yarah lief direkt hinter mir.

Der Junge führte uns in wieder in das Gasthaus zurück und dann zu der Wasserstelle, bei der ich vorhin Nadia gesehen hatte.

„Was sollen wir hier?“, fragte Yarah.

„Es gibt unter Wasser einen Weg nach draußen, nicht?“, kam ich Aidan zuvor.

Wie sonst hätte Nadia ungesehen als Nixe ins Gasthaus und wieder hinaus kommen können.

Der Junge nickte zustimmend. „Wir haben den Weg schon oft benutzt. Er funktioniert wirklich.“

„Uns bleibt auch keine andere Wahl“, meinte die Puppenspielerin. „Wir versuchen es.“

Nacheinander sprangen erst Aidan, dann Yarah und schließlich Dawn und ich ins Wasser. Wir tauchten tief in die Dunkelheit und schwammen durch einen Tunnel hindurch. Ich war nie ein guter Taucher gewesen. Je tiefer ich kam, je mehr Wasser sich über mir befand, desto größer wurde meine Furcht - und in diesem Fall waren sogar Felsen um mich herum, es gab keinerlei Fluchtmöglichkeit für mich.

Panik breitete sich bei dem Gedanken in mir aus. Der Tunnel schien immer enger zu werden, obwohl ich sicher war, dass ich mir das nur einbildete. Ich versuchte, das Gefühl niederzukämpfen, denn das würde nur dazu führen, dass mir schneller die Luft ausgehen würde als mir lieb war.

Ich schloss die Augen und versuchte an etwas anderes zu denken, während ich weiterschwamm. Meine Gedanken wanderten wie so oft zu Oriana, Nolan und Kenton. Ich fragte mich, wie es ihnen wohl ging, was sie gerade machten und ich hoffte, sie wiederzusehen, bevor ich sterben würde. Dabei fiel mir auch ein, dass Nolan immer ein guter Taucher gewesen war. Für ihn wäre das sicherlich eine leichte Übung gewesen.

Sehnsucht löste die Panik ab, so dass ich mir wieder erlaubte, die Augen zu öffnen und dabei Licht vor uns erblickte.

Der Tunnel endete, hastig schwammen wir nach oben. Dawn presste sich eine Hand auf ihren Mund, Luftblasen stiegen zwischen ihren Fingern empor.

Nur einen Moment später durchbrachen wir die Wasseroberfläche. Dawn schnappte heftig nach Luft und sog diese gierig ein. Erst in diesem Augenblick spürte ich, wie sehr meine Lungen ebenfalls brannten, während ich erschöpft nach Atem rang.

Aidan schwamm ans Ufer und hievte sich aus dem Wasser. Danach half er Yarah und Dawn heraus. Ich wiederum musste mir selbst hinaushelfen.

Während Yarah dem inzwischen wieder hustenden Mädchen auf den Rücken klopfte, sah ich mich neugierig um. Wir befanden uns nicht mehr im Dorf, dafür in den Bergen. Und ich war mir ziemlich sicher, dass wir gar nicht so weit von der Hütte der Geschwister entfernt waren.

„Warum hast du uns geholfen?“, fragte ich den Jungen.

Seufzend schloss er die Augen. „Hätte ich euch verbrennen lassen sollen? Wir wissen, was ihr tut.“

Yarah hob nun auch interessiert den Blick. „Ihr wisst es? Woher?“

„Wir sind Spione mit guten Quellen. Wir wissen so einiges.“

Die Puppenspielerin grinste wissend, auch Dawn schmunzelte. Nur mich überkam wieder einmal das Gefühl, etwas verpasst zu haben.

Aidan stand auf. „Also kommt. Ich bringe euch zu meiner Schwester.“

„Nicht schon wieder“, murmelte ich, stand aber genau wie meine Begleiterinnen auf.

Tatsächlich waren wir nach wenigen Schritten bereits an der Hütte der Geschwister angekommen.

Das Feuer im Kamin verbreitete im Innern eine angenehme Wärme, die nach dem unfreiwilligen Bad richtig gut tat. Lächelnd stellte Dawn sich direkt vor das Feuer.

Nadia sah uns nicht begeistert an. „Warum hast du die mitgebracht, Aidan?“

„Du weißt warum“, erwiderte er.

Mit einer unbestimmten Handbewegung bat sie uns, Platz zu nehmen. Wir setzten uns auf die Holzbank an der Wand, auf die wir gerade noch passten. Auf Besuch waren sie wirklich nicht eingestellt, wie es schien.

Die Geschwister setzten sich auf die Stühle uns gegenüber.

Aidan sah wieder seine Schwester an, die immer noch mit verschränkten Armen dasaß. „Ich habe jetzt übrigens seine Feindin gesehen.“

„Warum sollte mich das kümmern?“, fragte sie abweisend.

„Es ist Vita.“

Ihre Reaktion rief einiges an Verwunderung in mir hervor. Nadias Augen weiteten sich überrascht, forschend sah sie ihren Bruder an als würde sie erwarten, dass er ihr gleich sagen würde, dass es es nur eine Lüge war.

Doch sein Blick blieb ernst und sagte ihr, dass er es genau so meinte wie er gesagt hatte.

„Woher kennt ihr Vita?“, hakte Yarah interessiert nach.

Aidan sah wieder zu uns. „Wir lernten sie kennen als wir noch Kinder waren. Damals hat sie versucht, uns dazu zu bringen, sich ihr anzuschließen.“

„Warum?", fragte ich. "Was sollte das bringen? Was will sie mit Menschen?“

Immerhin wirkten sie wie welche, also nahm ich an, dass sie auch welche waren. Doch das Folgende bewies mir das Gegenteil.

„Ignorant!“, fauchte Nadia. „Wir sind nicht nur Menschen. Wir sind wie du. Na ja, nicht direkt. Du bist der Sohn einer Nymphe, wir sind Kinder einer Undine.“

Fragend sah ich Yarah an. Lächelnd erwiderte sie meinen Blick. „Undine sind Wassergeister. Genau wie Nymphen und Sylphen sind sie also Naturgeister.“

Wieder sah ich zu den Geschwistern. „Und was ist mit eurer Mutter? Wo ist die?“

„Sie starb, als wir vier Jahre alt waren“, antwortete Aidan.

Sie waren also nicht nur Geschwister, sondern Zwillinge und noch dazu genau wie ich Nachfahren eines Naturgeistes. „Was ist mit eurem Vater?“

„Den haben wir nie kennen gelernt“, erklärte Nadia. „Der Idiot hat unsere Mutter verlassen, bevor wir geboren wurden. Wahrscheinlich hat sie ihm da erzählt, was sie war.“

Ich kam nicht umhin, mich zu fragen, ob mein Vater auch gegangen wäre, wenn meine Mutter ihm davon erzählt hätte. Ich wollte es mir nicht vorstellen, aber natürlich war es möglich.

„Und deswegen wollte Vita, dass ihr sie unterstützt?“

Aidan hob die Schultern, Nadia schwieg. Darauf wussten die beiden keine Antwort. Vita war ihnen diese wohl schuldig geblieben.

Ich stand wieder auf. „Jedenfalls danke, dass ihr uns gerettet habt. Ich glaube aber, wir sollten weiter.“

Seufzend zog Yarah mich wieder auf meinen Platz. „Na komm... es wird schon dunkel. Bis morgen haben wir noch Zeit.“

Genervt sah ich sie an. Reichte es nicht, dass wir den beiden schon etwas schuldig waren? Zumindest eine von beiden wollte uns ohnehin nicht hier haben.

Nadia schnaubte. „Aidan, zeig ihnen, wo sie schlafen können. Wenn sie unbedingt bleiben wollen, sollen sie doch. Aber sie schlafen garantiert nicht hier oben.“

Ihr Bruder nickte gehorsam. Er öffnete die Bodenluke und führte uns über eine Leiter in den Keller hinunter. Zum dritten Mal an diesem Abend war ich überrascht. Nicht nur Lebensmittel, sondern auch drei Betten standen hier.

„Wart ihr auf Besuch eingestellt?“, fragte Yarah neugierig.

„Nicht wirklich... Wir haben schon immer drei Betten hier rumstehen. Früher haben wir mit unserer Mutter nämlich hier unten geschlafen.“

Aus einem mir unerfindlichen Grund fühlte ich Mitleid mit den beiden. Sie wohnten schon so lange allein hier und hatten nur sich selbst und das Wissen, dass sie nicht vollkommen menschlich waren und ihr Vater vermutlich deswegen gegangen war. Darum wohnten sie abseits von anderen Menschen. Ich konnte sie verstehen, mir wäre es in so einer Situation wohl ähnlich ergangen.

Aidan lächelte uns zu. „Schlaft gut, wir sehen uns morgen.“

Er ging wieder hinauf. Als er die Bodenluke schloss, wurde der Raum in Dunkelheit getaucht. Yarah seufzte. „Die beiden sind schon was.“

„Sie sind ganz interessant“, bemerkte ich. „Außerdem habe ich nicht gedacht, dass es außer mir noch mehr Nachfahren von Naturgeistern gibt.“

„Das kam auch für mich überraschend“, stimmte sie zu. „Na ja, wir sollten schlafen gehen.“

Sie gähnte herzhaft, um ihre Worte zu unterstreichen und legte sich in eines der Betten. Dawn legte sich ebenfalls in eines, ich nahm mir das letzte freie Bett und war vor Erschöpfung schon bald eingeschlafen.
 

Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen hatte, aber als ich aufwachte, schien noch Nacht zu sein. Zumindest sagte mir das die Frau, die in Dawns Bett lag und Aurora zu sein schien. Obwohl ich das seltsam fand. In manchen Nächten blieb sie Dawn, in anderen nicht... bei Gelegenheit würde ich sie oder Yarah danach fragen müssen.

Die stickige Luft im Keller brachte mich auf die Idee, oben frische Luft zu schnappen.

So leise wie möglich kletterte ich nach oben und verließ die Hütte, nicht ohne vorher zu merken, dass Nadia nicht in ihrem Bett lag.

Doch ich fand sie schon bald. Sie saß vor dem Gebäude auf einem Baumstamm und starrte in die Dunkelheit. Als ich die Tür schloss, zuckte sie zusammen und wandte den Kopf. „Ah, du bist es.“

Ohne auf eine Aufforderung zu warten, setzte ich mich neben sie. „Kannst du nicht schlafen?“

„Es fällt mir schwer“, gab sie unumwunden zu. „Ich dachte nicht, dass Vita eines Tages die Stadt niederbrennen würde. In dieser Stadt wurden wir geboren, weißt du.“

Warum war sie plötzlich so offen zu mir?

Vorhin hatte sie mich noch aus der Hütte geworfen.

„Du hingst an dieser Stadt?“

Sie nickte. „Ein wenig. Die Besitzer des Gasthauses zur Nixe waren immer sehr nett zu uns.“

„Oh ja, warum hast du dich eigentlich als Nixe ausgegeben?“

Die Frage beschäftigte mich schon seit einiger Zeit. Schelmisch grinsend warf sie mir einen Blick zu. „Das war ein Deal. Der Auftritt sollte Touristen anlocken und dafür haben Aidan und ich dort regelmäßig etwas zu essen bekommen, wenn uns Geld und Vorräte ausgingen.“

„Und die Touristen haben dich nicht erkannt?“

„Kein einziger“, antwortete sie stolz. „Du warst der erste. Und das bedeutet...“

Ich wagte es nicht, sie zu fragen, was das bedeutete. Stattdessen wartete ich darauf, dass sie fortfuhr. Sie seufzte laut. „Weißt du... ich wollte eigentlich nicht, dass du erfährst, wer wir sind. Meine Befürchtung war, dass es genau wie bei Vita läuft und du uns mitnehmen willst.“

Das war es also. Langsam schüttelte ich mit dem Kopf. „Das würde ich nie gegen euren Willen tun. Natürlich fände ich es nicht schlecht, noch mehr Leute dabei zu haben und besonders zwei so gute Spione wie euch. Aber ich kann es natürlich verstehen, wenn ihr das nicht wollt.“

Ja, ich war so ein guter Mensch. Eigentlich überwog tatsächlich der Wunsch, sie mitzunehmen, wenngleich aber auch nur, weil sie wie ich waren, aber das konnte ich ihr schlecht sagen. Am Ende hätte sie mich noch eine Klippe hinabgeschubst.

Nachdenklich legte sie den Kopf schräg. „Weißt du... nach der Zerstörung Seikas bin ich mir da nicht mehr so sicher. Es war eine schöne Zeit hier, aber vielleicht ist es Zeit weiterzuziehen?“

Noch ein Seufzen. „Aber darüber werde ich noch mit Aidan reden müssen. Ich kann dir also keine Versprechungen machen.“

„Keine Sorge. Egal, wofür ihr euch entscheidet, es ist okay.“

Verständnis heucheln, eines der Dinge, die ich von Nolan gelernt hatte, um mein Leben zu vereinfachen. Es war so vielseitig einsetzbar.

Mich streckend stand ich wieder auf. „Ich bin dann mal wieder im Bett. Du solltest auch bald schlafen. Schlaf gut.“

Nadia nickte nur, ohne mich anzusehen.
 

Am nächsten Morgen, nach einem recht kargen Frühstück, räusperte Nadia sich laut. „Ihr werdet heute weitergehen, nicht?“

„Wir müssen“, bestätigte Yarah. „Unser nächstes Opfer befindet sich in Brunsriver, das ist selbst per Boot mehrere Tagesreisen entfernt.“

Zufrieden nickend wandte Nadia sich an ihren Bruder. „Aidan, hast du unsere Sachen gepackt?“

Yarah und ich horchten auf. Der Junge nickte lächelnd. „Ja, hab ich.“

„Dann geht ihr wirklich mit?“, fragte ich überflüssigerweise.

Nadia schmunzelte. „Natürlich. Solange Vita lebt werden wir immer Probleme haben – und sie hat unsere Stadt niedergebrannt. Dafür kriegt sie von mir auch noch etwas zu hören.“

„Und von mir auch“, stimmte ihr Bruder zu.

Ich nickte zufrieden. „Gut. Unter diesen Umständen: Willkommen bei Sicarius Vita.“

Ein böser Geist

Dafür, dass Brunsriver eine im ganzen Land bekannte Stadt war, schien der Ort heruntergekommen und dreckig. Der zweifelhafte Ruhm rührte ganz sicher von der gut besuchten Taverne direkt am Fluss, die von jedem vorbeifahrenden Boot gesehen werden konnte, das darauf die Möglichkeit bekam am nahegelegenen Steg festzumachen.

Seufzend warf Yarah einen Blick umher. „Früher sah es hier ganz anders aus.“

Es fiel mir schwer, mir das vorzustellen. Vor allem kam dann die Frage, was wohl passiert war, dass es hier nun aussah als würde sich keiner mehr um die Stadt kümmern.

„Und wo befindet sich das nächste Opfer?“, fragte Nadia. „Vielleicht können wir dem ja diesmal helfen?“

Ich zweifelte daran, sagte aber nichts. Die letzten Tage unserer Reise hatte ich damit verbracht, die Moral der anderen nach unten zu ziehen, wofür ich öfter als einmal von Yarah gescholten worden war. Auf noch mehr Ärger konnte ich gut verzichten.

Die Puppenspielerin zog einen Zettel aus ihrer Tasche. Unzählige Namen waren darauf zu sehen, einige waren schon durchgestrichen. Soweit ich es sehen konnte, war es eine Liste sämtlicher Leute, auf die Vita es abgesehen hatte. Woher kannte Yarah all diese Namen?

Ich stellte ihr die Frage nicht, sie neigte ohnehin dazu, nicht zu antworten, wenn es um Vita ging.

Schließlich verzog sie ihr Gesicht. „Mh-hm~ Sieht nicht gut aus.“

„Warum denn?“, fragte Aidan neugierig.

Sie lachte verlegen. „Nun, ich kenne das nächste Opfer persönlich.“

Das interessierte sogar mich. Neugierig sahen wir alle sie an, worauf sie noch einmal lachte. „Oh, das ist eine alte Sache, wisst ihr? Er war so ne Art... guter Bekannter.“

Die Art wie sie es sagte, ließ mich schmunzeln. War Yarah wirklich mal in so etwas wie einer Beziehung gewesen? Das Opfer würde sicherlich interessant werden.

„Besuchen wir ihn?“, fragte Aidan weiter.

„Müssen wir wohl“, antwortete Yarah. „Das Gasthaus in dieser Stadt ist derzeit nicht bewohnbar. Aber bei ihm kommen wir bestimmt unter.“

Bevor wir weitere Fragen stellen konnten, lief sie bereits voraus. Wir folgten ihr sofort.

Während wir durch die Stadt liefen, betrachtete ich diese eingehender. An vielen Häusern konnte ich Schäden feststellen, die entweder von Feuer oder von Wasser zu stammen schienen. Bei einigen waren die Fenster mit Brettern vernagelt, andere Gebäude standen augenscheinlich leer.

Lediglich durch einen Zufall senkte ich den Blick und entdeckte dabei roten Staub oder möglicherweise Asche auf den Türschwellen.

Welchem Zweck sollte das dienen?

Als ich Nadia, die direkt neben mir lief, die Frage stellte, nickte sie wissend. „Das ist roter Kreidestaub. Wenn du ihn auf deine Türschwelle streust, sorgt es angeblich dafür, dass kein Dämon oder böse Geist dein Haus betreten kann.“

„Glaubst du nicht daran?“

Sie schüttelte mit dem Kopf. „Absolut nicht, das ist ein dummer Aberglaube.“

„Ich glaube daran“, schaltete Aidan sich ein. „Aber nicht deswegen, weil es roter Kreidestaub ist. Ich bin ziemlich sicher, dass die menschliche Vorstellungskraft einem Gegenstand so viel Macht geben kann, dass es böse Geister fernhält.“

Seufzend rollte Nadia mit den Augen. „Du bist so naiv.“

Er lächelte nur. Wenigstens stritten sie sich nicht, auch wenn ich immer dachte, dass Geschwister das dauernd machen würden. Allerdings kannte ich nicht allzuviele Geschwister, spontan fielen mir nur Kenton und seine kleine Schwester ein. Sie sprach allerdings eher seinen Beschützerinstinkt als den streitsüchtigen Teil an. Andererseits war Kenton nie wirklich versessen auf Streit gewesen.

Unser Rundgang endete an einem Haus, das als einziges im Viertel noch bewohnt zu sein schien. In den Fenstern standen lebende Pflanzen, Bewegungen waren hinter den Vorhängen zu erkennen. Allerdings lag eine düstere Aura auf dem Bau – nicht zuletzt durch das X, das jemand mit roter Farbe auf die Tür geschmiert hatte.

Als einziges Gebäude in diesem Viertel war außerdem auch kein Kreidestaub auf der Türschwelle zu sehen.

Yarah blieb verdutzt stehen, als ob ihr erst jetzt auffiele, dass mit der Stadt was nicht stimmte. „Nanu? Was ist denn hier passiert?“

„Vielleicht haben die hier auch was gegen Vita?“, mutmaßte ich.

Entschieden schüttelte sie mit dem Kopf. „Nein, nein. Vita hält sich stets aus der menschlichen Gesellschaft heraus. Du siehst ja, wie verkannt wir sind.“

Das war auch wieder wahr. Aber andererseits... war Vita nicht gerade damit beschäftigt, Leute aus der Gesellschaft umzubringen? Wie vertrug sich das mit dem Raushalten?

Energisch schritt Yarah auf das Gebäude zu und klopfte gegen die Tür. Für lange Zeit schien nichts zu passieren, auch keine Schritte erklangen im Inneren.

Ungeduldig klopfte sie noch einmal, diesmal um einiges fordernder. Kaum war das geschehen, konnte ich diesmal Schritte hören. Energische, fast schon wütende, als ob die Person wütend wäre, dass man sie herumscheuchte - oder ungewollten Besuch bekam. So wie die Stadt aussah, wurde wohl eine Delegation von Fackelträgern, die mit Mistgabeln bewaffnet waren, erwartet und ganz ehrlich: Denen würde ich auch nur ungern aufmachen.

Im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet. Ein nobel gekleideter Man, den ich mit Sicherheit nicht in diesem Haus, in dieser Gegend, erwartet hätte, stand da und sah uns alle kühl an. Keinerlei Erleichterung über das Ausbleiben der Fackeln und der Mistgabeln war in seinem Blick zu erkennen.

Ich widerstand der Versuchung, die Hand zu heben und ihm zuzuwinken.

„Gawain!“, kam es von Yarah. „Warum machst du nicht gleich auf? Wolltest du mich hier draußen stehen lassen oder was!?“

Begeistert über diesen Besuch wirkte er nicht, besonders nicht, als er Yarah erkannte. „Ich frage mich eher, was du hier willst.“

Sein Stimme klang frostig, ganz und gar nicht wie die eines alten Bekannten. Außer die Bekanntschaft war nicht sonderlich gut gelaufen.

„Du könntest uns reinbitten, dann würde ich es dir erklären.“

Sein Blick fiel wieder auf mich, worauf sein Widerstand fiel. Gawain nickte. „Kommt rein.“

Ich fragte mich, warum er die Entscheidung nach meinem Anblick traf, beschloss aber, es nicht zu hinterfragen, sondern mich eher über die Einladung zu freuen.

Das Innere des Hauses war nicht so heruntergekommen wie das Äußere. Allerdings strotzte alles nur so vor Protz. Sogar die Kerzenhalter waren aus purem Gold. Sicherlich hatte er das alles nur durch Vitas Hilfe irgendwie hinbekommen. Ein Kerl wie er konnte sich das nicht alles erarbeitet haben, dafür wirkte er nicht nur zu jung, sondern auch zu fein. Und aus irgendeinem Grund musste er ja auf der Liste ihrer Opfer stehen.

Er ließ uns in seinem Wohnzimmer Platz nehmen.

„Darf ich euch etwas anbieten?“

Wir schüttelten einvernehmlich die Köpfe. Der Kerl war mir bereits unsympathisch und von mir aus könnte Vita ihn mehrmals umbringen. Das einzig Gute an ihm war bislang gewesen, dass er uns hereingelassen hatte. Und offensichtlich ging es nicht nur mir so.

„Gut, dann sagt mir endlich, was euch hierher führt“, forderte er.

Yarah erklärte ihm in kurzen Worten die Sache mit Vita und den Opfern. Das schien ihn nicht zu beeindrucken, jedenfalls änderte sich sein Gesichtsausdruck kein einziges Mal. Möglicherweise war er bereits so miesepetrig auf die Welt gekommen.

„Ich fürchte mich nicht“, meinte Gawain, nachdem Yarah mit ihrer Erklärung fertig war. „Warum sollte ich Angst vor einer Sylphe haben, wenn ich mich nicht einmal vor einem bösen Geist fürchte?“

„Ein böser Geist?“, entfuhr es Aidan neugierig.

Er nickte. „Darum ist diese Stadt so verlassen. Es heißt, dass ein Dämon umherstreift und jedem Unglück bringt. Die Menschen in dieser Stadt sind so abergläubisch.“

Missbilligend schüttelte er seinen Kopf.

Ich war mir nicht sicher, was schlimmer war. Eine Sylphe wie Vita oder ein Geist. War nicht beides irgendwie dasselbe?

„Wir werden trotzdem ein Auge auf dich werfen“, sagte Yarah entschieden. „Nur zur Sicherheit.“

Gleichgültiges Schulterzucken von seiner Seite. „Wenn ihr nichts Besseres zu tun habt. Ihr könnt solange hier bleiben, wie ihr wollt.“

Ich hoffte, dass wir nicht so lange bleiben würden, auch wenn es zumindest nett war, dass er uns nicht gleich wieder hinauswarf.

Anscheinend wohnte Gawain völlig allein in diesem Haus. Einst musste er Angestellte beschäftigt haben, aber vermutlich waren diese gegangen, als das mit dem Dämon in Umlauf gekommen war.

Allerdings fehlte auch die Frau, deren Porträt im Esszimmer hing.

Nach dem Abendessen stand ich in Gedanken versunken vor dem Bild und betrachtete die Abgebildete im Kerzenlicht. Ihr schwarzes Haar umrahmte ihr dünnes, blasses Gesicht mit den lebhaften Augen. Sie passte nicht zu Gawain, dem rothaarigen, unterkühlten Adligen, der sich für nichts zu interessieren schien.

Aber wenn ein Gemälde dieser Frau hier hing, war das entweder seine Mutter oder eine andere Frau, die er liebte. Ich zweifelte allerdings daran, dass ein normales menschliches Wesen das erwidern könnte.

Jemand trat neben mich. Erst nach wenigen Sekunden bemerkte ich, dass es Yarah war. Sie lächelte mir zu. „Na? Alles klar bei dir?“

„Meinst du, wir müssen lange hier bleiben?“, stellte ich die Gegenfrage.

„Ich hoffe nicht. Ehrlich gesagt hatte ich Gawain gar nicht so... unterkühlt in Erinnerung.“

Ich stellte keine weiteren Fragen dazu. Yarah war eine Geheimniskrämerin und das würde sie auch immer bleiben. Ich kam mir immer blöd vor, wenn ich so viele Fragen stellte, die unbeantwortet blieben, als ob ich ein Kind wäre, das man mit den Worten "Du wirst es sehen, wenn du älter bist" abspeisen könnte.

„Wo sind die anderen?“, fragte ich stattdessen.

„Sie schlafen schon. Nicht alle sind solche Nachtschwärmer wie du.“

Sie lachte leise. Als sie das erwähnte, fiel mir etwas ein: „Sag mal, Yarah, Dawn kann sich ja in Aurora verwandeln. Das passiert aber nicht automatisch, oder? In vielen Nächten hat sie sich nicht verwandelt.“

„Uh, gut beobachtet“, erwiderte sie spöttisch. „Es wundert mich, dass du erst jetzt danach fragst. Aber es stimmt, es kommt nicht automatisch. Wenn Dawn will, kann sie auch die ganze Nacht hindurch Dawn bleiben. Manchmal verwandelt sie sich aber auch im Traum.“

Sie lachte laut, als sie sich an eine solche Gelegenheit erinnerte. „Lediglich die Rückverwandlung in das kleine Mädchen erfolgt immer automatisch, wenn die Sonne aufgeht.“

Das klang nicht sonderlich angenehm. Ich würde das nicht durchmachen wollen.

„Kann man diesen komischen Zauber auch irgendwie wieder brechen?“

Dass Aurora nicht sonderlich glücklich über ihren derzeitigen Zustand war, wusste ich bereits. Ich war entschlossen, ihr zu helfen, sofern es in meiner Macht lag.

Diesmal grinste Yarah. „Oh, sie kann den Zauber nur brechen, wenn sie etwas tut, was den erwachsenen Körper an sie bindet.“

„Wie kann man einen Körper an sich binden?“

Yarah tätschelte meinen Kopf. „Bist du sicher, dass du schon erwachsen bist? Jedenfalls bedeutet das, dass Aurora schwanger werden muss, damit sie erwachsen bleiben kann.“

Okay, DAS lag außerhalb meiner Macht. Aber dafür würde sie sicherlich auch noch jemanden finden. Im Finden war sie immerhin nicht schlecht.

Ich deutete auf das Porträt, um das Thema zu wechseln. „Weißt du, wer das ist?“

Nachdenklich legte sie den Kopf schräg. „Oh, ich nehme an, dass sie seine Frau war. Aber ihren Namen weiß ich auch nicht. Sie ist vor einer Weile gestorben, da begann die ganze Sache mit dem Dämon.“

„Hast du denn schon mehr darüber herausgefunden?“

Eigentlich ging mich diese Sache gar nichts an, ich glaubte nicht einmal an Dämonen oder Geister. Aber das Gefühl, dass mehr dahinter steckte, ließ mich einfach nicht mehr los.

„Nicht wirklich“ - Yarah unterbrach sich seufzend - „Gawain sagt, er weiß gar nichts und findet das alles Quatsch. Aber ich glaube, er verbirgt etwas. Mit Sicherheit weiß er mehr als er zugibt.“

Also trug mich mein Gefühl nicht. Fragte sich nur, was das Geheimnis hinter dem Dämon war.

Ein leises Geräusch erklang aus der Küche. Yarah bedeutete mir, still zu sein und schlich zur Tür hinüber. Ich folgte ihr leise und warf genau wie sie einen Blick in die Küche hinein.

Der Raum lag zwar im Dunkeln, aber ein dreiarmiger Kerzenhalter spendete ein wenig Licht, so dass wir alles Sehenswerte im Blick hatten.

Neben dem Kerzenhalter stand ein reich belegter Teller mit Resten des Abendessens. Zuerst glaubte ich, dass Gawain nachträglich noch hungrig gewesen war, aber ich entdeckte einen Durchgang in einer Wand, den ich vorhin bei meinem Besuch in der Küche nicht gesehen hatte. Es musste ein Geheimgang sein, so blind war ich immerhin noch nicht, dass ich einen so offensichtlichen Durchgang übersehen würde.

Ohne sich genauer umzusehen, nahm Gawain den Kerzenhalter und den Teller und ging durch die neue Tür hindurch.

Wir warteten nicht darauf, dass er wieder auftauchte, sondern zogen uns direkt in den ersten Stock zurück, um darüber zu reden.

„Was glaubst du, wo der Gang hinführt?“, fragte ich neugierig.

Zum ersten Mal seit langem fühlte ich mich wieder lebendig. Das sah immerhin nach etwas aus, das ich gern erkunden würde.

Yarah tippte sich nachdenklich ans Kinn. „Das ist eine gute Frage. Aber er bringt irgend jemandem etwas zu essen. Vielleicht bewahrt er ja ein Tier da unten auf.“

Das klang logisch, befriedigte meine Neugier jedoch nicht und beantwortete auch nicht alle Fragen.

„Aber wenn es nur ein Tier wäre, warum lebt es dann in einem geheimen Keller und warum erwähnte er davon nichts, als er uns durch das Haus geführt hat?“

„Gute Einwände, mein Bester. Aber weißt du, wie wir dieses Rätsel lösen können?“

Ich hoffte, dass sie das sagen würde, was ich dachte und meine Hoffnung wurde auch direkt erfüllt: „Wir werden diesen Keller besuchen!“

Gesagt, getan. Wir versteckten uns also vor Gawain, als er schließlich in den ersten Stock kam, um selbst ins Bett zu gehen. Erst als wir sicher waren, dass er absolut nicht mehr plötzlich auftauchen würde, schlichen wir uns wieder in die Küche zurück.

Zum ersten Mal fielen mir an Yarah ihre Nymphenkräfte auf – wenn man mal von ihren wandelnden Marionetten, die wie echte Menschen aussehen und handeln konnten, absah. Der Körper der Puppenspielerin war in ein sanft glühendes Licht eingehüllt, das eine beruhigende Wirkung ausstrahlte.

Ich fragte mich, ob meine Mutter so etwas auch gekonnt hatte.

In der Küche angekommen, sahen wir uns aufmerksam um, um herauszufinden, wie man den Geheimgang öffnen konnte. Mein Blick fiel dabei auf einen an der Wand befestigten Kerzenleuchter. Im Gegensatz zu den anderen Leuchtern in der Küche gab es an diesem keinerlei Kerzen. Zwar fand ich es selbst lächerlich und klischeehaft, doch ich streckte die Hand aus und zog daran. Ein schabendes Geräusch bestätigte mich schließlich in meiner Annahme.

Yarah schnalzte mit der Zunge. „Gut gemacht, Landis. Komm, wir gehen runter.“

Ich spürte keine Angst vor dem, was uns da unten erwartete, möglicherweise aber nur wegen dem Schimmer um Yarah herum.

Am Fuß der Treppe angekommen, weitete sich der Raum wieder. An der gegenüberliegenden Wand waren Ketten befestigt und diese wiederum waren an jemand anderem fest gemacht. Erschrocken atmete ich ein, als ich das Mädchen sah, besonders als sie den Kopf hob und den Mund öffnete: „Pa... pa?“

Das Totenmädchen

Ich konnte nicht anders, als sie ungläubig anzustarren. Das lange schwarze Haar fiel fettig und strähnig über ihre Schultern. Ihre langgezogenen schwarzen Pupillen erinnerten an ein Katzenauge, ihre goldenen Iriden machten den Eindruck komplett.

Der zierliche Körper war nur mit einem schwarzen, verdreckten Tuch bedeckt, wenngleich ich bezweifelte, dass es gegen die klamme Luft dort unten half.

Noch nie in meinem ganzen Leben war ich solch einem Menschen begegnet. War sie überhaupt einer?

Ihr Blick zeigte Verwirrung. „Wo ist Papa?“

Yarah kniete sich neben sie. „Ganz ruhig, Liebes. Wer ist denn dein Vater?“

Als sie Gawains Namen aussprach, musste ich mir ein Seufzen verkneifen.

Der Kerl sperrte seine eigene Tochter in einen geheimen Keller? Weswegen tat er das?

Ich sah noch einmal in ihre Augen und schauderte unwillkürlich. Okay, vielleicht war es doch nicht so unverständlich. Mit Sicherheit wollte er diesen Blick nicht dauernd in seiner Umgebung haben.

Es war zwar traurig, aber ich verstand ihn voll und ganz.

Yarah machte sich an den Ketten zu schaffen.

„Was tust du da!?“, zischte ich.

„Sie befreien, natürlich. Wir können sie nicht einfach hier unten lassen.“

„Aber sie ist nicht unser Problem!“

Sie wandte mir den Blick zu, ich konnte den Ärger darin richtig sehen. „Idiot! Das Kind ist in Schwierigkeiten! Wir können sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.“

Ich wollte mit einem „Warum nicht?“ erwidern, aber ich ließ es lieber. Frauen sollte man lieber nicht absichtlich erzürnen. Außerdem hieß diese Befreiungsaktion ja nicht, dass wir sie danach mit uns mitnehmen mussten. Vielleicht würden wir sie auch irgendwo absetzen. Mit diesem Gedanken ließ ich Yarah gewähren. Ich glaubte ohnehin nicht daran, dass sie das mit der Befreiung schaffen würde.

„Aber ich kann nicht gehen“, warf das Mädchen ein. „Ich muss hier bei meinem Papa bleiben.“

„Unsinn“, erwiderte Yarah. „Der Kerl behandelt dich mies, du kannst hier nicht bleiben.“

Die Puppenspielerin stand wieder auf, als sie die Ketten zu meinem Erstaunen endlich gelöst hatte. Sie zog das Mädchen auf ihre Beine. Noch bevor ich wieder zu Wort kommen konnte, zog Yarah sie mit sich.

Seufzend zuckte ich mit den Schultern und folgte ihnen ergeben. Mir blieb immer noch die Hoffnung, dass wir sie irgendwo anders bleiben lassen würden.

Ich schloss den Geheimgang wieder, als wir in der Küche ankamen.

„Landis, hast du vorhin das Licht im Esszimmer ausgemacht?“

Ihre Frage lenkte meine Aufmerksamkeit, die bis dahin nur dem Mädchen gegolten hatte, auf sie. „Nein, habe ich nicht. Gawain hat es ausgemacht, schon vergessen? Warum fragst du?“

Wortlos deutete sie auf den Türspalt, durch den fahles Licht fiel. Ich versuchte eine Erklärung dafür zu finden. Möglicherweise war einer der anderen noch einmal wach geworden oder... ja, mehr fiel mir auch nicht ein. Einbrecher würden wohl kaum Licht anmachen.

Vorsichtig öffnete Yarah die Tür in das angrenzende Esszimmer. Zuerst fiel mein Blick auf Gawain, der mit unbewegten Gesicht dastand und uns entgegensah. Die Gestalt, die neben ihm am Tisch saß, fiel mir erst auf den zweiten Blick auf. Dafür saß der Schock um einiges tiefer. „Vita!?“

War das Yarahs Aufmerksamkeit etwa entgangen?

Sie lächelte. „Schön, euch zu treffen, meine Lieben.“

Ich ging automatisch in Angriffsstellung, was Vita noch mehr zu amüsieren schien. „Mein lieber Landis, du bist schon wieder so feindselig mir gegenüber. Es sind immer noch drei vor dir, vergiss das nicht.“

Ich antwortete nicht darauf, zog stattdessen lieber noch eine Wurfnadel meiner Mutter.

Das Mädchen sah mit großen Augen zwischen uns allen hin und her. Schließlich blieb ihr Blick an Gawain hängen. „Papa? Was ist los?“

Sein Gesicht blieb nach wie vor emotionslos, auch seine Stimme verriet nichts über sein Innenleben. „Kureha, habe ich dir nicht gesagt, dass du im Keller bleiben sollst?“

Sie warf einen anklagenden Blick zu Yarah. Die Puppenspielerin stemmte ihre Arme in die Hüften. „Warum hast du sie dort eingesperrt?“

„Weil sie der böse Geist ist, vor dem die anderen Angst haben.“

Gut, sie sah nicht aus wie andere Menschen, aber sie als bösen Geist zu bezeichnen, fand ich doch ein wenig hart. Fand Yarah offensichtlich auch, denn sie hakte noch einmal nach.

Gawain seufzte aufgrund dieser Frage. „Kureha kann, seit sie ein Kind ist, mit Geistern kommunizieren. Eine schreckliche Fähigkeit, nicht wahr?“

Ich zuckte zusammen. Geister gehörten zu den Wesen, die mir wirklich Angst machten, selbst wenn ich nicht wirklich an sie glaubte. Schuld daran war Nolan, der mir immer mit Vorliebe Geistergeschichten erzählt hatte. Er fand meine Furcht damals offensichtlich sehr lustig.

Yarah hob die Schultern. „Finde ich gar nicht. Was ist so schlimm daran?“

Gawain warf ihr einen stechenden Blick zu. Kureha dagegen hob den Blick und sah sie verwundert an. Die Puppenspielerin neigte den Kopf. „Im Ernst, was ist daran so schlimm? Meine Güte, deine Frau konnte Tote sogar wiederauferstehen lassen.“

Schaudernd dachte ich an die Geschichten von Wiedergängern, die das Fleisch der Lebenden fraßen, die mir Oriana mit Vorliebe erzählt hatte. Langsam bekam ich das Gefühl, dass all meine Freunde sich früher oft einen Spaß daraus gemacht hatten, mich fürchten zu sehen.

Vita lachte. „Oh ja, außer eine. Bei ihr selbst hat es nicht funktioniert.“

Diesmal galt sein stechender Blick ihr, allerdings ließ sie das kalt.

Noch nie hatte ich außerhalb von Geschichten von jemandem gehört, der Tote wiedererwecken konnte. Es klang nicht wie etwas, das von der Natur so vorgesehen war oder gar oft vorkam. Jedenfalls schien es nicht normal.

Gawain kam um den Tisch herum. „Kureha, ich bringe dich wieder in den Keller. Komm mit.“

Yarah stellte sich vor das Mädchen. „Das werde ich nicht zulassen. Sie wird mit uns kommen!“

Nein! Wurde ich denn gar nicht mehr gefragt?

„Warum sollte sie?“, fragte Gawain, wofür er insgeheim meine vollste Unterstützung bekam.

Vita stand auf. Ihr Stuhl erzeugte dabei ein schabendes Geräusch. „Oh, Gawain, lass das Mädchen doch mit ihnen gehen. Hier wird sie nur verhungern.“

Erschrocken zuckte er zusammen. „Soll das bedeuten...? Ich dachte, wir hätten eine Abmachung!“

Gespielt nachdenklich legte sie eine Hand an ihre Wange. Doch schon nach wenigen Sekunden seufzte sie. „Oh, das tut mir Leid, aber ich fürchte, dass mein Vertrag mit Frediano ein wenig mehr Bestand hat als meine Abmachungen mit dir.“

„Verräterin!“, zischte er.

In einer fließenden Bewegung zog er sein Schwert und sprang auf den Tisch, der sie beide immer noch trennte. Vita tat einen einfachen Schritt zur Seite, so dass der Angriff ins Leere ging.

Es war mir alles andere als recht, Gawain in einem Kampf zu unterstützen, aber wenn es schon gegen meine Todfeindin ging...

Er wagte noch einen Angriff gegen sie, vernachlässigte dabei jedoch seine Deckung. Alles anderes als amüsiert verpasste Vita ihm einen Schlag in die Magengrube. Ein Keuchen entfuhr ihm, als er zurückwich. Aufgeben schien ihm allerdings nicht in den Sinn zu kommen. Mit hastigen Bewegungen stieß er immer wieder zu. Beinahe schon gelangweilt wich sie jedem weiteren Stich aus. Sie gähnte demonstrativ.

Während die beiden miteinander beschäftigt waren, lief ich auf die Seite. Ich holte aus und warf die Nadel, die ich immer noch hielt, auf Vita. Getroffen hielt sie inne. Abrupt blieb auch Gawain stehen.

Für einen Moment starrte sie ungläubig auf die Nadel in ihrem linken Oberarm. Ich war mir sicher, dass sie keine richtigen Schmerzen spürte, dafür steckte das Metall nicht tief genug in ihrer Haut. Es war wohl eher wie ein Mückenstich.

Doch mit dem, was danach geschah, hätte ich nie gerechnet.

Plötzlich begann die Nadel in einem goldenen Licht zu glühen, Funken sprühten und verblassten nach kurzer Zeit wieder. Ich glaubte zu sehen, wie auch Vitas Haut im Einklang zu leuchten begann.

Als sie realisierte, was da vor sich ging, stieß sie einen gellenden Schrei aus. Das Kreischen schmerzte in den Ohren, für einen Moment befürchtete ich, dass ich taub werden könnte.

Vita ergriff die Nadel mit der anderen Hand. Rauch bildete sich, die Haut straffte sich um die Knochen, die durchzuscheinen begannen.

Ich wollte den Blick abwenden, starrte stattdessen aber weiter wie hypnotisiert auf ihre Hand.

Was zur Hölle war das nur für eine Waffe?

Sie schrie noch einmal auf. Mit einem heftigen Ruck zog sie die Nadel aus ihrem Arm. Ein goldener Faden verband das Metall mit der Wunde. Doch das Garn riss ab, als Vita die Nadel mit einem wütenden Kreischen auf den Boden schleuderte.

Auf ihrer Handfläche hatten sich Brandblasen gebildet, graue Strähnen zogen sich plötzlich durch ihr Haar. Sie atmete heftig, während sie sich von dem Einfluss der Nadel zu erholen versuchte.

Was war das nur gewesen?

Hasserfüllt starrte sie mich an. „Du verdammter Bastard!“

Ihre Stimme klang gefährlich verzerrt, ihr Stimmungsumschwung ließ mich erschauern. Es war das erste Mal, dass ich wirklich Angst vor ihr bekam.

„Wie konntest du es wagen, mich mit dieser verfluchten Nadel anzugreifen!?“

In ihren Augen konnte ich den unbändigen Hass ablesen, den sie in diesem Moment entwickelte.

Meine Hand ging an meinen Schwertgriff, obwohl in mir das Gefühl wuchs, dass ich es zumindest heute nicht brauchen würde.

Tatsächlich wandte Vita sich von mir ab. Ihr Blick galt nun Gawain, der genauso fassungslos war wie Yarah und ich.

Ohne ein Wort, aber mit gefletschten Zähnen raste sie auf ihn zu. Bevor er reagieren konnte, steckte ihre Hand bereits in seiner Brust. Ein grünes Licht hüllte beide ein – und im nächsten Moment stand Vita wieder fit wie eh und je da, sogar die Brandblasen waren verheilt und ihr Haar hatte seine grüne Farbe wieder.

Während Gawain lautlos zu Boden stürzte, wandte sich Vita erneut mir zu. Von dem Hass und ihrer Wut war nichts mehr zu sehen, sie lächelte sogar wieder. „Mein lieber, lieber Landis, das war gar nicht nett von dir. Aber heute ist immer noch nicht dein Tag. Jetzt sind es noch zwei Opfer.“

Ihre Stimme troff geradezu über bei ihrem süßlichen Tonfall. Sie hob Zeige- und Mittelfinger ihrer linken Hand, um ihre Worte zu unterstreichen.

Ich sagte dazu nichts mehr und hoffte nur noch, dass sie endlich wieder verschwinden würde. Diese Wandlung hatte mir deutlich vor Augen geführt, dass ich absolut gar nichts von ihr wusste und ich ihr deutlich unterlegen wäre.

Zum Abschied hob sie ihre Hand und ging schließlich tatsächlich davon. Weder Yarah noch ich hielten sie auf. Die Puppenspielerin starrte immer noch auf die Nadel, die auf dem Boden lag.

Kureha kniete sich neben ihren Vater, der sich nicht mehr rührte.

Während sie so dasaß, ging ich neben der Nadel in die Hocke. Vorsichtig wollte ich den Gegenstand wieder aufheben – doch sie wurde zu Asche und zerfiel zwischen meinen Fingern.

Ich wandte Yarah den Blick zu. „W-was war das?“

Sie schüttelte ihren Kopf. „Ich habe keine Ahnung. So etwas ist noch nie vorher passiert.“

Nachdenklich legte sie eine Hand an ihr Kinn und versank in Gedanken.

Ich sah zu Kureha, die seltsam unbewegt neben ihrem toten Vater kniete. Die Frage, ob sie wohl mit ihm redete, beschäftigte mich, bis plötzlich eine blaue Kugel über seinem Körper zu leuchten begann. Verschiedene Stimmen erklangen daraus, sie sprachen alle durcheinander. Ich konnte kein Wort verstehen – doch plötzlich erklang im ganzen Chaos die Stimme meiner Mutter.

Erschrocken zuckte ich zusammen und fiel zurück. Also konnte sie wirklich mit den Toten sprechen. Nicht, dass mich diese Nachricht sonderlich freuen würde...

Die Kugel verblasste wieder, mit ihr verstummten die Stimmen. Kureha wandte mir den Blick zu. „Landis... deine Mutter...“

„W-was?“, stieß ich hervor.

„Sie will dir etwas zeigen.“

Einladend streckte Kureha mir ihre Hand hin, aber ich wich abwehrend zurück. Hastig schüttelte ich den Kopf. „Nein, lass mich in Ruhe!“

Yarah wachte aus ihren Überlegungen auf. Sie sah zu mir rüber. „Landis, benimm dich nicht so. Wenn Asterea dir etwas zeigen will, könnte es wichtig sein. Sie wird dich schon nicht fressen.“

„Woher willst du das wissen?“, erwiderte ich schnippisch.

Sie rollte mit den Augen. „Ich werde auch auf dich aufpassen, stell dich nicht so an.“

Sie hatte ja leicht reden, immerhin war ich es, dem sie etwas zeigen wollte, sie war fein raus.

Wieder sah ich zu Kureha, die mir unverändert ihre Hand hinhielt. Seufzend überwand ich mich und ergriff diese.

Asterea

Zu meiner eigenen Überraschung fand ich mich in einem hellen Zimmer wieder, das offensichtlich zu einem Gasthaus gehörte. Die neutrale Atmosphäre des Raums und die Abwesenheit jeglicher kleiner Dinge, die ein Zuhause heimisch machten, verriet mir das.

Neben einem sorgsam gemachten Doppelbett gab es noch einen Tisch mit zwei Stühlen und einer lediglich angelehnten Tür, die auf einen Gang führte, der gerade gewischt wurde. Ein Zettel mit Anweisungen für das Zimmerpersonal lag auf dem Tisch.

Als ich aus dem Fenster sah bemerkte ich, dass ich mich in einem Gasthaus in New Kinging befand.

Noch bevor ich mich fragen konnte, wie ich dort hingekommen war, wurde die Tür schwungvoll aufgeworfen. Schritte betraten den Raum, gefolgt von einer genervten Frauenstimme: „Jetzt haben die auch noch ein Kind bekommen.“

Ich musste nicht erst das blonde Haar und die tiefblauen Augen sehen, um zu wissen, dass es meine Mutter Asterea war, die gerade hereingekommen war.

„Reg dich doch nicht so auf“, versuchte mein Vater sie zu beschwichtigen.

Behutsam schloss er die Tür, bevor er sich ihr wieder zuwandte. „Man sollte meinen, du bist langsam über die Sache hinweg. Und Ria gegenüber hast du immer wieder bekundet, wie süß ihre Tochter wäre.“

Das hier spielte also kurz nach der Geburt von Orianas Tochter. Interessant.

„Sie ist ja auch süß", stimmte meine Mutter zu, bevor sie wütend fortfuhr: "Welch Überraschung bei einem Kerl wie Frediano.“

Papa seufzte. „Früher hast du diesen Kerl mal gemocht.“

„Unsinn!“, erwiderte sie schnaubend. „Ich konnte ihn nie leiden. Er ist seit Jahren mit dieser Frau zugange-“

„Geht er etwa fremd?“, unterbrach er sie.

Er wusste natürlich nicht, dass sie damit Vita meinte und diese mit Frediano gemeinsame Sache machten. Aber Mama war offensichtlich so in Rage, dass sie das vollkommen ausgeblendet hatte.

Fragend sah sie ihn an. „Huh? Was? Äh, nein, das meine ich nicht. Ach, vergiss es, du weißt eh nicht, wovon ich rede.“

Sein verständnisloser Blick sorgte dafür, dass sie sich abwandte und nachdenklich aus dem Fenster sah. Ich stand direkt neben ihr und versuchte, sie zu berühren. Doch meine Hand ging durch sie hindurch, wobei sie leuchtende Partikel nach sich zog. So nah und doch so fern.

Ich wollte verzweifelt seufzen, aber die hübsche Partikelspur lenkte mich ab und brachte mich auf andere Gedanken.

Etwas auf der Straße erregte ihre Aufmerksamkeit und damit auch meine. Ich folgte ihrem Blick und entdeckte Frediano. Er wirkte gehetzt und sah immer wieder über seine Schulter.

„Wo geht er hin?“, murmelte sie, genau die Frage, die ich mir in dem Moment auch stellte - es stimmte wahrscheinlich und wir waren uns äußerst ähnlich.

Ohne weitere Umschweife öffnete sie das Fenster, kletterte auf das Fensterbrett und sprang hinunter.

„Asterea!“

Mein Vater sah ihr hilflos hinterher, während sie Frediano folgte. Er seufzte leise. „Diese Frau...“

Ein Wirbel von Farben entstand vor meinen Augen und im nächsten Moment befand ich mich gemeinsam mit meiner Mutter auf der Straße, von der aus wir Frediano beobachteten. Er stand in einer Seitengasse vor mehreren Kisten eines nahegelegenen Händlers, die dort fein säuberlich zu einer Art Pyramide gestapelt waren, so dass es spielend leicht war, zu einem der Fenster hochzuklettern.

Ich atmete erschrocken ein, als ich Vita sah, die vor Frediano stand. Gespielt enttäuscht blickte sie ihn an. „Es ist also ein Mädchen, ja?“

Dass es nur gespielt war, hörte man deutlich aus ihrer Stimme heraus. Sie musste bereits damit gerechnet haben, dass es ein Mädchen werden würde. Immerhin war sie ja ein Naturgeist.

Er nickte. „Korrekt.“

„Wie deprimierend, ich hatte mich schon auf diesen Leckerbissen gefreut. Aber die Seelen von Mädchen schmecken nicht.“

Sie verzog ihr Gesicht, als hätte sie gerade in eine Zitrone gebissen.

Frediano schwieg, was ihr gar nicht zu gefallen schien. „Mhm, sag bloß, dir ist es recht, dass es ein Mädchen ist. Wolltest du nicht einen Jungen als Stammhalter?“

Die fehlende Logik fiel sogar mir auf, aber für sie schien es nur ein äußerst amüsantes Spiel zu sein.

Er sah zur Seite, so dass ich einen Teil seines Gesichts sehen könnte. Ich hätte natürlich näher rangehen können, aber ich traute mich nicht, so dass ich ihn nur aus der Ferne beobachten konnte.

Ein solcher Blick war mir noch nie zuvor an ihm aufgefallen, so voller Zweifel. Sonst war er immer so stolz, unnahbar und fast schon kühl gewesen, mit einer Spur Abscheu, wenn er mich erblickt hatte. Aber in diesem Moment konnte ich Liebe, Trauer und Zweifel in seinem Gesicht erkennen, alles so deutlich, dass sogar ich ihn am Liebsten in den Arm genommen hätte. War es das, was Oriana immer schon in seinem Blick gesehen hatte?

„Wäre es ein Junge geworden, hätte ich auch keinen Stammhalter", sprach er meine Gedanken aus. "Deswegen bin ich froh, dass es ein Mädchen ist. Immerhin ist es ein Teil von Oriana, sie hätte unter dem Tod des Kindes gelitten.“

Er erwähnte sich selbst und sein mögliches Leid mit keinem Ton, obwohl ich in diesem Moment überzeugt war, dass er bei einem solchen Szenario genau dieselben Schmerzen erleiden würde.

„Und wessen Schuld ist das?“, fragte Vita kichernd. „Deine. Immerhin hast du die Seele deines Erstgeborenen verkauft, um sie zu bekommen.“

Ich wusste es!, fuhr es mir in dem Moment durch den Kopf. Nein, ich war immer noch nicht in der Lage, zu akzeptieren, dass Oriana ihn mir ohne jeglichen Trick vorgezogen hatte.

Meine Mutter knurrte leise. „Ich habe es gewusst.“

Vitas Blick richtete sich für einen Moment direkt auf uns. Im Gegensatz zu Frediano war es ihrer Aufmerksamkeit also nicht entgangen, dass jemand sie beobachtete. Fragte sich nur, weswegen sie noch nichts dazu sagte und er immer noch nichts bemerkte.

Frediano sah sie wieder direkt an. „Ich denke, es war ein Fehler. Es ist falsch, sich die Liebe anderer zu erkaufen.“

Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. Das erste Mal in seinem Leben gab Frediano einen eigens verursachten Fehler zu. Ich musste unbedingt den genauen Tag herausfinden, um ihn rot im Kalender anstreichen zu können.

Vita wirkte alles andere als begeistert. „Und du denkst, du kannst dich so aus unserem Vertrag schmuggeln? Da täuschst du dich aber!“

„Was willst du schon tun?“, fragte er spöttisch. „Auf noch einen Erstgeborenen warten?“

Ich kam nicht umhin, ihn in diesem Moment für seinen Mut zu bewundern. Doch kaum erinnerte ich mich daran, wer er war, grinste ich über seine Dummheit.

Ungewohnt brutal packte Vita ihn am Kragen. „Du wagst es, dich mit mir anzulegen? Hast du schon vergessen, wer oder was ich bin?!“

Instinktiv wich er einen Schritt zurück, doch sie zog ihn sofort wieder zu sich. Woher nahm sie diese Kraft?

„Du hast dir dein eigenes Grab geschaufelt, mein Bester. Aber nein, der Tod ist noch ein wenig zu gut für dich. Wer meinen Zorn erregt, wird die Konsequenzen dafür zu tragen haben!“

Bevor er oder meine Mutter reagieren konnten, hatte Vita ihre Lippen auf seine gelegt. Schmerzen schienen durch seinen Körper zu zucken, panisch versuchte er, sich von ihr zu lösen.

Astereas Augen waren auf die Szene gerichtet, sie war nicht einmal überrascht.

Ich dagegen schon, allerdings nur, weil ich nun sah, was genau sie mit ihren Küssen bezweckte. Schauer fuhren mir über den Rücken, als ich daran dachte, dass sie mir dasselbe hatte auf dem Schiff antun wollen.

Während dieses Kusses rekapitulierte ich das eben Gesehene noch einmal:

Frediano musste die Seele seines Erstgeborenen gegen Orianas Liebe getauscht haben. Da sie als seine Frau allerdings keinen Jungen, sondern ein Mädchen bekommen hatte...

Schließlich ließ Vita wieder von ihm ab. Frediano sank zu Boden und blieb dort regungslos liegen. Ich wollte nähergehen, um zu sehen, ob er wirklich tot war, wie ich vermutete, doch ich traute mich immer noch nicht.

„Du kannst jetzt rauskommen“, sagte Vita mit einem süffisanten Lächeln in unsere Richtung.

Für eine Schrecksekunde lang glaubte ich, sie würde mit mir sprechen, doch es war meine Mutter, die zögernd hervorkam und auf die Sylphe zuging. Ich folgte ihr hastig.

„Was führt dich hierher, Asti?“

„Nenn mich nicht so!", erwiderte meine Mutter gereizt. „Was hat das alles zu bedeuten? Was hast du mit Frediano getan?“

Unverwandt sah Vita auf den Körper hinab. „Oh, ich habe nur das getan, was ich immer mache. Seelen absorbieren, Geschäfte beenden...“

Sie sprach das alles so beiläufig aus als würde sie vom Frühstück reden. Es war erschreckend und absurd, aber leider kein Traum.

„Also bist du für die ganze Sache verantwortlich. Wie hast du es geschafft, dass Oriana sich von Landis trennt?“

„Oh, das war nicht schwer.“

Vita lächelte. Es sah aus wie ein glückliches Lächeln, aber wie so oft überkam mich auch diesmal das Gefühl, dass es nur gespielt war. Inzwischen war ich überzeugt, dass sie über keinerlei Emotionen verfügte.

„Die beiden waren so einfach zu trennen“, fuhr sie fort. „Man musste ihnen nur ein kleines Thema zum Streiten vorlegen. Dein Sohn ist einfach ein kleiner Dickkopf, genau wie du.“

Mama schnaubte. „Du warst schon immer niederträchtig, aber das ist echt der Gipfel! Du kannst nicht einfach mit den Gefühlen von Menschen spielen!“

Vita wurde augenblicklich ernst. „Tue ich das denn? Ich habe nur dafür gesorgt, dass die beiden sich trennen, aber nicht, dass Oriana sich in Frediano verliebt. Das hat er selbst hinbekommen. Sollte dir das nicht zu denken geben?“

Meine Mutter und ich schluckten schwer. Bislang war ich tatsächlich davon ausgegangen, dass Vitas Einfluss zu dieser Ehe geführt hatte. Zu erfahren, dass dem nicht so war, war... deprimierend. Und das war anscheinend alles ganz allein meine Schuld.

Wäre ich bei diesem einen Streit nicht so dickköpfig gewesen... ach, was rede ich? Ein Streit? Es waren Dutzende von Meinungsverschiedenheiten zu den einfachsten Dingen gewesen, die uns auseinandergebracht hatten. Vitas Köder war vermutlich nur das Sahnehäubchen gewesen, das zum engültigen Bruch führte.

"Wie kamst du überhaupt in Kontakt mit dem Kerl?", fragte Mama, während sie zu Frediano gestikulierte.

"Ich habe ihm das Leben gerettet, als dein Sohn ihn seinem Schicksal überließ", antwortete Vita mit übermäßig viel Genugtuung in der Stimme.

Es dauerte einen Moment, bis mir einfiel, was sie meinen könnte. Erneut hörte ich mein Schicksal lachen. Das war gut vierzehn Jahre her, damals waren Nolan und ich eine Höhle erkunden gegangen. Da wir uns damals noch recht gut mit Frediano verstanden, begleitete er uns - und fiel in eine Felsspalte. Wir konnten ihm nicht helfen, also ließen wir ihn zurück. Um Hilfe zu holen natürlich. Dennoch war Frediano danach der festen Überzeugung gewesen, dass ich ihn hatte sterben lassen wollen und seitdem hasste er mich. Mein Hass auf ihn entstand dagegen erst später.

Ich hatte mich immer gefragt, wie er wieder aus der Höhle herausgekommen war. Offenbar war Vita also seine Lebensretterin.

Sie glich die Distanz zwischen uns aus. Behutsam strich sie meiner Mutter über die Wange. „Und nun, meine liebe Asti? Bist du immer noch wütend auf mich?“

Heftig schlug Mama ihre Hand weg. „Fass mich nicht an! Denkst du, das ist der einzige Grund, warum ich wütend auf dich sein könnte? Ich habe dich schon gehasst, bevor du das mit meinem Sohn abgezogen hast!“

Sie trat einen Schritt zurück und griff in ihre Tasche. Sofort wich sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht. Offensichtlich war ihr gerade klar geworden, dass sie ihre Wurfnadeln nicht bei sich trug. Wie auch, die waren immerhin in meiner Tasche.

Vita lachte herzhaft. „Scheint als wäre deine Geheimwaffe auch verschwunden, gemeinsam mit deinem Sohn. Ja ja, das kommt davon, wenn man sich bei einer Feier zu sehr gehen lässt und nicht mehr aufpasst.“

So war ich also an die Nadeln gekommen. Fragte sich nur, warum sie gerade in meiner Tasche gelandet waren. Sie musste doch gewusst haben, dass wir aufeinander treffen würden. Aber möglicherweise war da die Hoffnung gewesen, dass ich zu dumm wäre, die Nadeln gegen sie zu benutzen.

„Ach, Asti, ich habe dich immer gemocht.“

Vita seufzte schwer, dabei lächelte sie nach wie vor. „Aber ich fürchte, so kann ich dich nicht gehen lassen.“

Mama ging in eine abwehrende Position. Kampflos wollte sie eindeutig nicht untergehen. Ihr Gegenüber lächelte nachsichtig, wie eine Mutter, die ihrem ungehorsamen Kind zulächelte.

Da ich direkt neben ihr stand, konnte ich sehen, wie sehr der Körper meiner Mutter zitterte. Ein aussichtsloser Kampf stand ihr bevor und das wusste sie genauso wie ich und auch Vita.

Auf ein unsichtbares Signal hin, griff sie die Sylphe an. Ohne ihr Lächeln zu verlieren, wich diese zur Seite aus. Ein Zug, mit dem meine Mutter offensichtlich gerechnet hatte. In einer fließenden Bewegung beförderte sie einen Dolch zutage und rammte diesen ihrem Gegenüber in die Brust.

Atemlos bewunderte ich diese Tat. Sie wusste, dass sie chancenlos war und dennoch kämpfte sie. Ja, das war meine Mutter~ Ich war so stolz auf sie und blendete dabei völlig aus, dass sie verlieren würde.

Erschrocken wich Vita einen Schritt zurück. Mit steifen Armbewegungen, die entfernt an eine Marionette erinnerten, griff sie an den Dolch. Mit einem kraftvollen Ruck zog sie die Klinge aus ihrem Körper. Keinerlei Blut floss, auch die Wunde schloss sich innerhalb Bruchteilen von Sekunden wieder.

Mit angsterfüllten Augen wirbelte meine Mutter herum. Doch ihre Flucht wurde von Vita, die plötzlich direkt vor ihr stand, vereitelt. Während Mama langsam rückwärts ging, glich die Sylphe jeden einzelnen Schritt wieder aus.

„Wenigstens hast du noch einmal versucht, mich wütend zu machen, Asti. Aber genug gespielt, ich werde dir jetzt zeigen, wie es ist, ohne Seele zu leben.“

„L-lass mich in Ruhe!“

Als Mama einen weiteren Schritt tat, traf sie gegen den Körper von Frediano und verlor das Gleichgewicht. Wie in Zeitlupe fiel sie nach hinten. Ich wollte nach ihr greifen und sie auffangen, aber wieder glitt meine Hand durch sie hindurch. Stattdessen konnte ich ein lautes Knacken hören, als sie mit dem Nacken direkt auf die Ecke einer Kiste traf. Regungslos blieb sie liegen, jegliches Leben verschwand aus ihren weit geöffneten Augen, die dumpf in den Himmel starrten.

Vita und ich betrachteten sie beidermaßen mit derselben Neugier, wenngleich wir beide unterschiedliche Gründe hatten.

Laut Joshua und Bellinda war meine Mutter plötzlich gestorben und meine Fragen zu dem Thema waren nicht sonderlich tief gegangen, weil mich der eigentliche Grund nicht interessiert hatte. Aber dennoch war es mir damals aufgrund der Erzählungen eher wie ein krankheitsbedingter Tod vorgekommen. Zu sehen, dass es ein durch Vita verursachter Unfall war, erzeugte ein ungutes Gefühl in meinem Inneren, das zumindest im Moment noch die Trauer überdeckte.

Wie für viele Kinder waren meine Eltern in meinen Augen immer starke Helden gewesen. Dem Tod der eigenen Mutter beizuwohnen und ihr nicht helfen zu können, das war ungeheuer schmerzhaft, aber gleichzeitig noch so unwirklich. Ich wusste, dass sie tot war, ich konnte es sogar vor mir sehen und ich hatte bereits um sie getrauert, aber dennoch erschien es mir im Moment nur wie ein schlechter Traum. Sobald ich aufwachen würde, wäre ich wieder zurück in Cherrygrove und alles wäre gut...

Schließlich seufzte Vita, womit sie mich aus meinem Wunschdenken riss. „Oh Asti, Liebes, so sollte es aber nicht enden.“

Missbilligend schüttelte sie den Kopf, doch dann wischte sie ihren eigenen Einwand beiseite. „Nun, wie auch immer. Wir sollten dich hier wegschaffen. Ich habe eine wundervolle Idee, wie dein Tod mit nichts und niemandem in Zusammenhang gebracht werden kann – außer deinem Sohn.“

Sie lachte leise, dann kniete sie sich neben Frediano. Eine Berührung von ihr und plötzlich begann er wieder, sich zu bewegen. Er richtete sich auf, aber er sah... anders aus als zuvor. Seine komplette Ausstrahlung war von ihm abgefallen, sein Blick war leer, sein Gesichtsausdruck neutral. Er wirkte wie ein unbeschriebenes Stück Papier, genau wie die Puppen von Yarah.

Vita stand ebenfalls wieder auf, sie deutete auf den Körper meiner Mutter. „Trage sie ins Gasthaus.“

Noch einmal folgte ein Farbenwirbel, nach dem ich mich im wieder im gemeinsamen Zimmer meiner Eltern befand. Mein Vater war nicht mehr da, vermutlich war er auf der Suche nach meiner Mutter. Die hing jedoch mit einer Schlinge um den Hals von einem Deckenbalken, der Stuhl unter ihr war zur Seite weggekippt. Zufrieden betrachtete Vita Fredianos Werk, während ich nur ungläubig auf den leicht schwingenden Körper starren konnte.

Es war wie eine Vision aus einem Albtraum, es hätte nur noch gefehlt, dass sie plötzlich die Augen öffnen und mich ansehen würde. Doch sie blieben geschlossen, nichts an ihr regte sich.

„Mama...“

Vita wandte lächelnd den Kopf in meine Richtung, als ob sie mich gehört hätte. Doch schon einen Augenblick später ging sie zum Tisch hinüber. Behutsam legte sie einen Brief dort ab, so dass auch jeder ihn sehen könnte, bevor sie sich wieder an Frediano wandte. „Damit wären wir nun fertig. Gut gemacht, mein Bester. So kann ich dich aber nicht rumlaufen lassen. Benimm dich wieder ein bisschen so wie früher, irgendwo in deinem Gedächtnis muss das noch verankert sein. Ein paar Jährchen musst du noch durchhalten, du kannst solange ja tun, was du schon immer wolltest. Nutz deine Kontakte, um Kommandant zu werden oder so.“

Sie ratterte diesen Text herunter, als hätte sie ihn schon Dutzende Male gesagt, als wäre eben nichts geschehen, als wäre Frediano wirklich nur eine leblose Marionette, der man einen Befehl eintrichtern musste.

Ich konnte nicht fassen, wie kalt jemand sein konnte, der doch eigentlich dafür verantwortlich war, diese Welt zu behüten.

Frediano neigte den Kopf, um sein Verständnis zu signalisieren. Vita lächelte. „Fein, fein. Oh ja, da war ja noch ein Auftrag, nicht? Ich sollte Landis töten.“

Es dauerte einen Moment, bis die Information durch Fredianos Gehirn sickerte und er die notwendige Erinnerung abrufen konnte. Aber schließlich nickte er zustimmend.

Immer noch lächelnd, wandte sie sich wieder in meine Richtung. „Das reicht jetzt an Informationen, mein Bester.“

Also hatte sie mich gesehen.

Sie streckte mir ihre Handfläche entgegen. Als ein weißes Licht mich blendete, schloss ich meine Augen.
 

„Aber dann müsste das bedeuten, dass Frediano auch tot ist!“, schloss Nolan aufgeregt daraus.

Landis nickte nur und sah den Kommandanten an. Dieser fuhr herum. „So etwas muss ich mir nicht anhören. Das ist doch lächerlich.“

Er, der darauf bestanden hatte, die Geschichte zu hören, verließ den Kerker, keiner der anderen hielt ihn auf. Lediglich Nolan schien mit dem Gedanken zu spielen, ihm zu folgen, um sich wirklich noch einmal selbst davon zu überzeugen, dass der Kommandant tot war.

Landis war sich sicher, dass Frediano nicht zurückkommen würde, aber das war auch unwichtig. Die Zeit lief ihm langsam davon und alle wichtigen Personen, die den Rest der Geschichte erfahren mussten, waren glücklicherweise noch anwesend.

Richard sah fassungslos zu Boden. All die Jahre war er in dem Glauben gewesen, dass Asterea Selbstmord begangen hatte. Dabei war es ein durch diese Unbekannte verursachter Unfall gewesen.

Aber war das wirklich die Wahrheit? Er wusste nicht, was er noch glauben sollte.

Oriana seufzte leise. Doch mit einem triumphierenden Blick sah sie zu Nolan. „Siehst du? Frediano hat mich doch geliebt.“

„Ja ja, dann hab ich die Wette eben verloren.“

Schmunzelnd schüttelte Landis seinen Kopf. Eine solche Wette sah seinen Freunden ähnlich.

Kenton schien völlig unberührt von den bisherigen Erzählungen. „Nun, ich will mir auch ein Bild von dem Rest machen. Was ist dann passiert, Landis? Jetzt dürfte nicht mehr viel fehlen, nicht?“

„Stimmt, die Geschichte ist tatsächlich bald vorbei.“

Er seufzte noch einmal und begann weiterzuerzählen.

Runen

Ich schlug die Augen auf und sah direkt in den Himmel. Da ich in Gawains Anwesen diese Vision betreten hatte, wäre es für mich eigentlich logisch gewesen, zumindest dessen Decke zu erblicken. Dass ich stattdessen unter freiem Himmel lag, war für mich gänzlich unbegreiflich.

Die glitzernden Sterne am nachtblauen Himmel schienen mich auszulachen und zu verhöhnen. Um das nicht mehr sehen zu müssen, setzte ich mich auf, was die Aufmerksamkeit einer anderen Person auf mich lenkte. Im nächsten Moment spürte ich, wie sich Arme um mich schlossen.

„Oh Landis, ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht!“

„Und deswegen legt ihr mich auf dem freien Feld ab?“, maulte ich.

Aurora löste sich wieder von mir, um mir einen tadelnden Blick zu schenken. „Wir können nichts dafür. Yarah wollte, dass wir das kleine Mädchen mitnehmen und die anderen Stadtbewohner haben uns quasi rausgeworfen.“

Sie seufzte. „Die ließen absolut nicht mit sich reden.“

„Das kleine Mädchen ist auch dabei?“, fragte ich alarmiert.

Allein bei dem Gedanken an Kureha fuhr mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. Wir sollten sie also wirklich weiter mit uns herumtragen?

Aurora nickte verwundert. „Ja. Hast du denn was dagegen? Sie ist so süß und zart. Natürlich konnten wir sie nicht dort lassen.“

„Sammeln wir jetzt alle süßen und zarten Mädchen ein?“, brummte ich.

Spielerisch verpasste sie mir eine Kopfnuss. „Benimm dich nicht so! Sie wird dich schon nicht aufessen. Du wärst auch viel zu zäh.“

Sie lachte über ihren eigenen Witz, mir war leider gar nicht danach.

„Wo sind wir?“, fragte ich stattdessen.

Aurora vollführte eine ausladende Bewegung mit der Hand. Um uns herum waren meilenweit nur Wiesen und vereinzelt dastehende Bäume zu sehen. In wenigen Metern Entfernung konnte ich einen Weg erkennen, der ausgehend von den Spuren öfter von Pferdekarren befahren wurde. Wir schienen also gar nicht weit weg von einer Handelsstrecke zu sein. Fragte sich nur noch, wo genau wir waren.

„Irgendwo im Nirgendwo nehme ich an“, sagte sie.

Eine typische Antwort für sie. Ich fragte lieber nicht weiter nach.

Mein Blick ging zum Rest der Gruppe, der tief und fest zu schlafen schien. Jeder einzelne lag ruhig auf seiner Decke, atmete tief und gleichmäßig. Aidan schien noch dazu leise im Schlaf zu murmeln.

Ich sah wieder Aurora an. „Warum schläfst du nicht?“

So etwas wie eine Wache hatten wir auf unserer Reise nie gehabt, also fiel diese Erklärung weg. Ich bin ziemlich sicher, dass Yarahs Marionetten uns nicht nur in den Städten, in denen wir gewesen waren, sondern auch im Schlaf beschützt hatten. Auch wenn sie das nie zugeben würde. Wann immer wir auf dieses Thema zu sprechen kamen, war sie schnell dabei, es zu wechseln.

„Undankbarer Junge“, tadelte sie mich. „Ich wollte warten, bis du aufwachst. Immerhin habe ich mir Sorgen um dich gemacht – das sage ich jetzt zum zweiten Mal.“

Bevor sie noch weiter schimpfen konnte, entschuldigte ich mich leise. Ihr Blick wurde sofort wieder sanft. „Schon gut. Willst du noch weiter schlafen? Jetzt hättest du noch Zeit dafür.“

„Das wäre wohl das Beste.“

Ich fühlte mich tatsächlich noch immer müde und ausgelaugt und war dankbar für diesen Vorschlag.

In meinem Inneren breitete sich trotz des brennenden Lagerfeuers ein eiskaltes Gefühl aus. Wie eine Hand, die nach meinem Herzen griff, bereit zuzudrücken, sobald ich einen Anlass dafür gab. Ich versuchte das Gefühl zu ignorieren und schloss die Augen, um zu schlafen.
 

Als ich zum zweiten Mal erwachte, war es bereits Morgen. Das kalte Gefühl war noch immer da, aber alles in allem fühlte ich mich zumindest erholt. Die anderen sahen mich an als wenn sie mich noch nie zuvor gesehen hätten. Ich erwiderte die Blicke.

Erst nach einigen Sekunden, die mir wie eine Ewigkeit vorgekommen waren, begannen sie zu lächeln.

„Schön, dass du wieder wach bist, Landis“, ließ Yarah sich vernehmen.

„Wir haben uns alle Sorgen um dich gemacht“, fügte Aidan hinzu.

Nadia verschränkte die Arme vor der Brust und sah betont desinteressiert zur Seite. „Also ich nicht. Mir war klar, dass du bald wieder aufwachen würdest.“

„Aus dem bald wurde eine Woche“, bemerkte Yarah trocken.

Die scharfe Reaktion darauf bekam ich gar nicht mehr mit. Ich sah bereits zu Kureha, die den Blick gesenkt hielt. Sie trug eine Uniform, die an die eines Matrosen erinnert, es war lediglich keine Hose, sondern ein Rock. Die Verkleidung stammte offensichtlich aus Yarahs Kostümfundus. Um den Hals des Mädchens war ein Verband geschlungen, der die Striemen verdeckte, die dort zuvor zu sehen gewesen waren.

Dawn stupste Kureha an, die sofort aufschreckte. Nur zögernd wandte das Mädchen sich mir zu. Wieder spürte ich dieses eiskalte Schaudern. Als ich in ihre Augen sah, dachte ich an das Gesehene zurück. Meine Mutter hatte mir zeigen wollen, wie sie gestorben war, vermutlich wusste sie, dass niemand die Wahrheit kannte oder mir diese überhaupt erzählen würde.

Die Ereignisse verdrängten meine eigene Furcht vor dem Sterben. Ich wollte Vita nun nicht mehr töten, weil sie mich töten wollte, sondern weil sie in meinen Augen für den Tod meiner Mutter verantwortlich war – und das würde sie zu spüren bekommen.

Kureha sagte kein Wort, genausowenig wie ich. Nach einem stummen Blickduell, senkte sie den Kopf wieder und aß weiter.

Zwischen uns gab es nichts zu besprechen, ich wollte sie nicht dabeihaben und sie wusste das genau. Im Nachhinein betrachtet tut es mir Leid, aber damals waren meine Furcht und die Abscheu größer.

Nach einem schweigsamen Frühstück drängte Yarah uns, hastig zusammenzupacken und weiterzuziehen. Wir fragten nicht, was diese Eile bedeuten sollte. Mit Sicherheit gab es dafür einen bestimmten Grund, den sie uns ohnehin nicht sagen wollte. Inzwischen wussten wir, dass sie immer von selbst sprach, wenn sie etwas sagen wollte, auf Fragen aber nur antwortete, wenn es nicht um sie ging. Und offensichtlich war keiner von uns geduldig genug, ihre eigene Geduld auf die Probe zu stellen und so lange zu fragen, bis sie nachgab.

Egal wie weit wir an dem Tag liefen, am Abend waren wir dennoch immer noch nicht bei einer Stadt angekommen, so dass wir wieder im Freien übernachten mussten.

Mich überkam das Gefühl, dass Yarah uns absichtlich von jeder Stadt fernhielt und da keiner der anderen Einspruch dagegen erhob, ging ich davon aus, dass während meiner Bewusstlosigkeit irgend etwas vorgefallen war, was sie zu dieser Übereinkunft geführt hatte.

Während die anderen nach dem Abendessen schnell einschliefen, fand ich keinerlei Schlaf. Immer wieder sah ich die toten, starrenden Augen meiner Mutter. Dieses Ereignis musste bereits mindestens ein Jahr her sein, wenn ich Bellindas Erzählung richtig im Kopf hatte. Dann war Frediano ebenfalls seit einem Jahr tot. Ich fragte mich, ob es bereits bemerkt worden war oder ob er dem Befehl von Vita so gut folgte, dass keiner Verdacht schöpfte. Unterkühlt war er schon immer gewesen, möglicherweise hielten alle sein neues Verhalten für normal oder er war bereits perfekt angepasst.

Mit einem Seufzen setzte ich mich wieder auf. Die flackernden Flammen unseres Lagerfeuers lagen bereits in den letzten Zügen, beleuchteten die anderen aber noch gut genug, dass ich erkennen konnte, dass sie schliefen. Außer Aurora, die gedankenverloren an den Himmel starrte. Sie schien mich nicht zu bemerken und ich wollte sie auch nicht stören.

Wortlos griff ich in meine Tasche und zog die verbliebenen Nadellanzetten hervor. Noch immer fragte ich mich, was meine Mutter mit diesen Nadeln getan hatte, dass sie einen solchen Einfluss auf Vita besaßen.

Ich drehte das dünne Stück Metall in meinen Händen – bis das letzte Licht des Feuers darauf fiel. Ich runzelte meine Stirn.

Auf der sonst so makellosen Oberfläche waren plötzlich haarfeine, eingravierte Runen zu erkennen. Die oberen Enden der Nadeln waren schon immer spürbar leicht schraffiert gewesen, aber bislang war ich davon ausgegangen, dass diese nur dem besseren Halt dienen sollten. Zu sehen, dass es Runen waren, überraschte mich dann doch.

Die Bedeutung konnte ich allerdings nicht entschlüsseln. Runen waren keine gängige Schriftart in Király, eigentlich waren sie nur bei Elfen, Hexen und Zauberern gebräuchlich. Ich gehörte zu keiner dieser Rassen, daher hatte ich dieses System nie gelernt.

Aber selbst wenn ich die Buchstaben hätte lesen können, wäre mir die Bedeutung mit Sicherheit verschlossen geblieben, wie eine vollkommen andere Sprache eben.

„Steht was Interessantes drauf?“

Erschrocken zuckte ich zusammen. Aurora saß lächelnd neben mir. Sie deutete auf die Nadellanzetten. „Was sagen die Runen?“

„Ich weiß es nicht“, gab ich unumwunden zu. „Ma-..., meine Mutter muss sie eingraviert haben.“

„Das hat sie auch“, bestätigte sie. „Weißt du, welchen Zweck sie dienen sollen?“

Ratlos hob ich die Schultern. Die Runen nahmen Einfluss auf Vita, das wusste ich inzwischen, aber dienten sie wirklich dafür?

Nachdenklich ließ Aurora ihren Blick in die Entfernung schweifen. Sie schien über ein vergangenes Ereignis nachzudenken, das mir fremd war.

„Diese Runen“, fuhr sie monoton fort, „entziehen einem mystischen Wesen wie einer Nymphe oder einer Sylphe die Kraft, sobald sie mit dessen Blut in Kontakt kommen.“

Das erklärte Vitas Reaktion auf die Lanzette. Aber wieso hatte meine Mutter solche Gegenstände besessen?

Ich stellte Aurora die Frage. Sie schloss die Augen. „Wir verließen unser Reich nicht, um die Menschenwelt zu erkunden. Wir verließen es, um Vita aufzuhalten.“

Ich horchte auf. „Aufhalten? Bei was aufhalten? Und warum habt ihr nicht weitergemacht?“

„Wir trennten uns, als wir feststellten, dass die Kraft von uns dreien nicht ausreichte. Wir beschlossen, jeder auf unsere Art, einen Weg zu finden, unsere Macht zu erhöhen, um sie dann bei unserem erneutem Zusammentreffen endlich töten zu können.“

Sie schwieg einen Moment, tief in ihre Gedanken versunken, bevor sie fortfuhr: „Warum wir nicht wieder zusammentrafen? Bei uns allem kamen Dinge dazwischen. Asterea heiratete und wurde menschlich, ich erlag dem Fluch, mich bei Tag in ein stummes Mädchen zu verwandeln und Yarah machte eine Karriere als Puppenspielerin. So konnten wir uns nicht mehr treffen... außerdem fanden weder Yarah noch ich jemals ein wirksames Mittel.“

Ich runzelte meine Stirn. Wie war meine Mutter an die Runen gekommen? Und wer hatte sie in dieses feine Metall graviert? Und warum war sie dann nicht zu den anderen gegangen, um sich zumindest Yarahs Unterstützung zu sichern?

Aurora zuckte auf jede einzelne dieser Fragen mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Aber du hast erzählt, dass Asterea eine Art Söldnerin war. Möglicherweise hat sie bei ihren Aufträgen die notwendigen Informationen dafür bekommen.“

Das klang logisch. Erklärte aber nicht, weswegen...

„Und warum sie nicht zumindest Yarah bat, die Wurfnadeln zu übernehmen? Nun, ich kann nur vermuten, aber vielleicht war sich Asterea nicht sicher, ob es wirklich funktionieren würde und sie wollte Yarah nicht umsonst Hoffnungen machen.“

Das brachte mich gleich auf ein anderes Thema: „Warum ist Yarah so wütend auf Vita?“

Aurora warf einen prüfenden Blick zu der Puppenspielerin hinüber. Erst als sie sicher war, dass diese tief und fest schlief, antwortete sie mit gesenkter Stimme: „Vita und Yarah waren einst beste Freundinnen. Bevor Vita alle Naturgeister verraten hat.“

Ich war so kurz davor, die Wahrheit zu erfahren.

„Was ist mit diesem Verrat gemeint?“

Mein Körper zitterte regelrecht vor Aufregung, als ich auf die Antwort wartete. Seitdem Yarah dies das erste Mal erwähnt hatte, wollte ich wissen, was dahintersteckte. Und wenn Aurora endlich mal so redselig war, wollte ich das ausnutzen.

Sie setzte gerade zur Antwort an, als sich bei den anderen plötzlich etwas regte. Sofort schloss sie den Mund wieder und sah hinüber. Gedanklich verfluchte ich denjenigen, der dafür verantwortlich war.

Aidan setzte sich verschlafen auf. „Könnt ihr vielleicht leiser sprechen? Man kann ja kaum schlafen.“

Ich war wohl der einzige in der Gruppe, den die Wahrheit wirklich interessierte, aber immerhin ging es hier auch um die Frau, die meinen Mord plante.

„Nur keine Sorge.“

Aurora lächelte ihm zu. „Wir werden jetzt auch schlafen. Stimmts, Lan?“

Für mich gab es natürlich nur wieder einen bedrohlichen Blick, so dass ich hastig nickte, um ihr zuzustimmen.

Zufrieden legte Aidan sich wieder hin. Aurora zog ihre Decke von mir weg, bevor sie sich ebenfalls wieder ans Schlafen machte.

Mit einem lautlosen Seufzen sank ich auf meinen Rücken zurück. Auroras Redseligkeit hatte einige meiner Fragen beantwortet, aber die für mich Wichtigste immer noch nicht: Warum galt Vita als Verräterin?

Verräterin

Erst in Maycroft, drei Tage später, machten wir wieder eine Pause in einem richtigen Gasthaus mit Betten. Ich war froh darüber. Noch eine Nacht auf dem Boden hätte mein Rücken nicht überlebt.

Weswegen wir ausgerechnet in diesem Ort Halt machten, war mir schleierhaft.

Maycroft lag nicht nur weit weg vom Schuss und jeder Handelsstrecke, das Dorf war auch nicht sonderlich für seine Gastfreundschaft gekannt. Aber was erwartete man auch von derart vielen Kriegern auf einem Fleck?

Wenigstens gab es hier keines von Vitas Opfern. Ich wollte einfach nur noch schlafen.

Da wir keine sonderlich reiche Gruppe waren, konnten wir nur zwei der drei Räume mieten, was bedeutete, dass die Mädchen zu viert in einem Raum schlafen mussten. Aidan und ich hatten es um einiges leichter, wir mussten nur zu zweit in ein Zimmer.

Gut, den Mädchen schien es allerdings nichts auszumachen, dann sollte es mir auch recht sein.

Ich unterhielt mich eine Weile mit Aidan über unwichtige Dinge, die wir in den letzten Tagen gesehen hatten. Bis die Rede auf die Flucht aus Brunsriver kam.

„Sag mal, weswegen meidet Yarah die Städte eigentlich so sehr?“, fragte ich neugierig.

Während die Puppenspielerin dabei gewesen war, hatte ich nicht fragen können, jedes Mal war ein mörderischer Blick von ihr gekommen. Aber wenn sie schon mal nicht dabei war...

Aidan legte den Kopf schräg. „Nun, Yarah fürchtet, dass die Einwohner von Brunsriver in den anderen Städten Bescheid gesagt haben. Wir würden sicher überall erkannt und wieder rausgeworfen werden. Die anderen könnten Angst vor Kureha haben.“

Genau wie ich. Aidan dagegen schien sie ziemlich zu mögen, wie eine kleine Schwester. Es konnte ja nicht jeder ängstlich sein, dennoch machte es mir Sorgen, dass gerade ich der Ängstliche war.

Dass dies der Grund für Yarahs Verhalten war, hatte ich mir aber fast schon gedacht. Wenngleich ich nicht glaubte, dass sie sich vor einem Rauswurf fürchtete. Sie nahm wohl eher an, dass wir in anderen Städten direkt hingerichtet werden würden. Das behielt ich allerdings für mich.

Er mochte Kureha und schien offenbar nicht einmal zu verstehen, warum Brunsriver sie so fürchtete. Eine Hinrichtung würde er noch weniger begreifen.

Im Anschluss plauderten wir weiter über Belangloses, bis Aidan schließlich einschlief. Ich lag in der Dunkelheit und starrte an die Decke. Der ersehnte Schlaf kam nicht, aber die Hoffnung darauf auch schon lange verflogen.

Meine Gedanken kreisten um Vita, Yarah, meine Mutter und auch Oriana. Besonders um letztere. Würde ich sie irgendwann einmal wiedersehen? Und was würde ich dann tun? Was würde sie tun?

Der Gedanke, irgendwann wieder mit ihr oder einem der anderen zu reden, war inzwischen so unwirklich, dass ich sicher war, dass es nie wieder passieren würde.

Das kalte Metall auf meiner Brust erinnerte mich daran, dass ich die Kette von Lilium immer noch trug. Aber sonst fühlte es sich nicht derartig kalt an. Irgend etwas musste passiert sein.

Hastig setzte ich mich auf und lauschte. Holz knackste, als jemand langsam den Flur entlanglief.

So leise und vorsichtig wie möglich, stand ich aus dem Bett auf. Ich schlich zur Tür und öffnete diese vorsichtig, um hinauszusehen. Das einfallende Licht blendete mich kurzzeitig. Als ich wieder etwas sehen konnte, wäre ich beinahe nach hinten gefallen. Vita stand vor dem Zimmer, in dem die Frauen schliefen. Sie hielt den Blick gesenkt, ihre Lippen bewegten sich unablässig, aber es war kein Ton zu hören. Was tat sie da?

Es sah fast so aus als würde sie Reue empfinden – etwas, was ich mir bei ihr schwer vorstellen konnte.

Sie hob die Hand, scheinbar, um zu klopfen. Doch mit einem leisen Seufzen ließ sie die Hand wieder sinken. Als sie herumfuhr, sah sie mir direkt ins Gesicht. Von ihrem sonstigen kalten Lächeln war diesmal nichts zu sehen, ihr Blick war traurig, ihre Augen dunkel.

„Landis...“, sagte sie leise.

Ohne ein weiteres Wort fuhr sie herum und ging wieder davon. Von einem inneren Impuls getrieben, folgte ich ihr sofort. Kaum verließ ich das Gasthaus, sah ich sie auf einer Bank sitzen, von der aus sie in den Himmel starrte.

Im Gegensatz zu sonstigen Begegnungen wirkte sie völlig ruhig und unbedrohlich, also näherte ich mich ihr und setzte mich neben sie.

Sie registrierte es, sagte aber nichts dazu. Schweigend saßen wir nebeneinander, viele Minuten lang, bis Vita schließlich seufzte. „Die Sterne strahlen immer noch. Es reicht also nicht, eine Nymphe zu töten, um etwas zu zerstören.“

Ich sah zu ihr hinüber. Für einen Moment überlegte ich, ob ich ihr die noch offenen Fragen stellen sollte. Obwohl ich sie nicht mochte, siegte schließlich die Neugier: „Vita, was war da zwischen dir und Yarah? Ich habe gehört, ihr wart einmal Freunde.“

„Das ist richtig.“

Sie sah nach wie vor in den Himmel. „Wir waren sogar sehr gute Freunde, sie, Aurora, Asterea und ich. Wir waren praktisch unzertrennlich.“

Ihr Blick sagte mir, dass sie in Gedanken schwelgte. Ich wagte es nicht, sie dabei zu unterbrechen, sondern ließ sie gewähren, auch wenn die Neugier mich fast umbrachte.

Schließlich senkte sie den Kopf wieder, ihr Blick wandte sich mir zu. „Du willst bestimmt wissen, was passiert ist, dass wir uns jetzt gegenseitig umbringen, nicht?“

Bestimmt hätte jeder es wissen wollen. Ich nickte interessiert. Sie lächelte leicht, diesmal war es tatsächlich ein ehrliches Lächeln. „Ich weiß nicht, ob du es verstehst, aber Menschen sind anders als wir. Ja, auch anders als du. Menschen sind schmutzige, unreine Wesen. Wir jedoch stehen weit über ihnen, deswegen haben wir auch das Recht, über sie zu bestimmen.“

Oh, wie ich so etwas hasste. Was sollte dieses überhebliche Getue?

Nur weil sie über uns standen, gab ihnen nicht das Recht, uns so zu behandeln. Nicht einmal die Königsfamilie war so arrogant.

Ich sagte ihr das, was sie zu einem zurückhaltenden Lächeln bewegte. „Genau dasselbe haben deine Mutter und ihre Schwestern auch gesagt.“

Sie seufzte leise. Ein schweres Seufzen, aus dem Trauer und Erschöpfung sprachen. „Eines Tages beschloss ich, die Menschen selbst in den Ruin zu führen. Und von dem Tag an war ich die Verräterin.“

Sie sah mir an, dass ich diese Verräter-Sache nicht ganz verstand, weswegen sie wieder ausholte: „Mein Plan sah vor, den Glauben an die Naturgeister zu zerstören. Schwindet der Glaube, schwinden auch die Geister und dann verschwindet auch ihr entsprechendes Gegenstück in der Natur – zumindest funktioniert es so in der Theorie.“

Diesmal sah ich nach oben. Die Sterne funkelten genauso wie vor dem Tod meiner Mutter. Zumindest das Töten einer Nymphe brachte also gar nichts. Ob sie nach dem Ende ihres Lebens wieder in das Reich der Naturgeister zurückkehrten?

„Vita... hast du Frediano angewiesen, diesen Putsch zu leiten?“

Lilium hatte mir damals von der Verschwörung im Untergrund erzählt, die dazu dienen sollte, den Glauben an die Geister verschwinden zu lassen. Auch wenn ich anfangs sicher gewesen war, dass Frediano alleine dafür verantwortlich war, so waren mir nicht nur durch Kurehas Vision Zweifel gekommen.

Es sah ihm einfach nicht ähnlich. Er war immer ehrgeizig und leicht egoistisch gewesen, aber genauso war er der Königsfamilie und dem Land Király an sich treu ergeben gewesen.

Natürlich, heute weiß ich, dass Fredianos Vater für den Tod von seiner Majestät Owain verantwortlich war, aber das hat ja nichts mit ihm selbst zu tun.

Vita nickte. „Ich hoffte, dass ich so schneller vorankommen würde. Immerhin waren schon so viele Jahre vergangen ohne dass sich ein Erfolg einstellte. Aber es dauert immer noch.“

Noch ein Seufzen.

Also war es wirklich nicht Fredianos Schuld. Auch wenn ich ihn nicht mehr mochte, so erleichterte mich das ein wenig, immerhin waren wir einmal so etwas wie Freunde gewesen und er war mit Oriana verheiratet. Ich wollte ihm nichts Böses – auch nicht nachdem er tot war und er anscheinend im Vorfeld den Auftrag, mich zu töten, gegeben hatte.

„Bereust du deinen Verrat manchmal?“, fragte ich sie.

„Sehr oft sogar“, gab sie zu. „Aber ich werde nicht zurückgehen. Es ist ohnehin viel zu spät dafür. Ich werde diese Sache durchziehen – bis ich erfolgreich bin oder vorher sterbe.“

Und ganz plötzlich wurde mir klar, weswegen die Nadellanzetten in meiner Tasche und nicht in der eines anderen gewesen waren.

Sie wollte mich nicht töten, sie wollte, dass ich sie umbrachte und damit aufhielt. In mir sah sie offensichtlich einen würdigen Gegner, der einzige, der ihr das Wasser reichen konnte. Aber ob ich das wirklich schaffen würde? Manchmal zweifelte ich daran.

Vita sah zu Boden. „Außerdem würde Yarah es mir nie verzeihen und auch die anderen Naturgeister nicht. Deswegen bleiben mir nicht viele Optionen.“

Ich empfand Mitleid mit ihr, aber eigentlich war das alles ihre eigene Schuld. Wenn sie sich nicht für diesen Weg entschieden hätte...

Wenngleich ich es immer noch nicht verstehen konnte. War es wirklich möglich, dass der Hass auf die Menschheit so sehr anwachsen konnte, dass man sie umbringen, statt beschützen wollte, wie es die Naturgeister eigentlich tun sollten?

Mit einem letzten Seufzen stand Vita wieder auf. „Es wird langsam Zeit. Ach ja...“

Sie wandte sich mir zu. „Wenn wir uns das nächste Mal sehen, werden wir wieder Feinde sein. Denk daran, dass nicht mehr viel fehlt, bis du an der Reihe bist.“

„Ich weiß.“

Wie könnte ich das vergessen?

„Aber du kannst dir Zeit lassen, mein Lieber. Ich werde erst in gut drei Jahren wieder zuschlagen – zuerst will ich ein wenig Urlaub haben. Diese Nadel hat mich ganz schön ausgelaugt.“

Ich nickte nur. Mit einem Lächeln fuhr sie herum und ging davon.

Tief in Gedanken versunken sah ich ihr hinterher, bis sie aus meinem Blickfeld verschwunden war. Nun wusste ich also warum Vita eine Verräterin war, auch wenn ich etwas viel Aufregenderes und Tiefsinnigeres erwartet hätte und etwas in mir sagte, dass ich immer noch nicht die ganze Wahrheit wusste. Tief in mir war dieses Gefühl, das mir sagte, dass noch etwas viel Größeres dahintersteckte, etwas, was ich im Moment noch nicht erfassen konnte.

Aber sei es, wie es sei.

Ich stand wieder auf, um ins Bett zurück zu gehen und hoffentlich endlich zu schlafen.
 

Am nächsten Morgen saßen wir bei einem kargen Frühstück zusammen. Kaum einer von uns sagte etwas, doch schließlich durchbrach Yarah die Stille: „Wohin sollen wir als nächstes gehen?“

Wir anderen zuckten mit den Schultern, lediglich Nadia schmunzelte. „So, ich dachte, du kannst sie spüren?“

„Im Augenblick aber nicht“, erwiderte Yarah, ohne sich auch nur im Geringsten provozieren zu lassen. „Vermutlich braucht sie ne Pause.“

„Das kann ich mir irgendwie nicht vorstellen“, ließ Aidan verlauten. „Sie wirkt nicht wie jemand, der eine Pause braucht, vor allem so kurz vor dem Ziel.“

Ich sagte dazu nichts, auch wenn ich genau wusste, dass es stimmte.

Yarah warf dem Jungen einen funkelnden Blick zu. „Woher willst du wissen, dass sie kurz vor dem Ziel ist? Selbst wenn ihr nur noch wenige Opfer fehlen, heißt das nicht, dass das Ziel nah ist.“

Kureha nickte zustimmend. „Die meisten Leute verlieren kurz vor dem Ziel.“

Ich vermied es, sie direkt anzusehen und starrte stattdessen auf das Brötchen auf meinem Teller. Mein Magen verkrampfte sich allein beim Gedanken daran, das zu essen. Nach so wenig Schlaf war mir absolut nicht nach Essen zumute. Allerdings hatte ich auch keine Lust, mich vor den anderen erklären zu müssen, also aß ich das Brötchen langsam.

„Aber mal ernsthaft, wie geht es jetzt weiter?“, fragte Yarah. „Ich glaube kaum, dass wir für die Zeit, in der wir auf Vitas Aktionen warten, immer von Stadt zu Stadt ziehen oder gar nur in einer bleiben können.“

Stimmt, immerhin würde sie erst in drei Jahren wieder aktiv werden.

Wir anderen versanken in Gedanken. Aus irgendeinem Grund fiel mir plötzlich Old Kinging ein. Zwar wurde behauptet, dass es dort spuken würde, aber mit Kureha würden wir da schon irgendwie durchkommen.

Ich sprach den Vorschlag laut aus, die anderen sahen zu Yarah, die nachdenklich nach oben sah. Schließlich nickte sie. „Das ist eine gute Idee, Lan, das werden wir machen.“

So war es also beschlossene Sache.
 

Landis seufzte. „Na ja, die nächsten drei Jahren waren wirklich nicht sonderlich aufregend. Wir machten es uns in Old Kinging gemütlich und erholten uns ausgiebig – und nebenbei gingen wir uns gegenseitig auf die Nerven.“

Er schmunzelte.

„Drei Jahre Nichtstun, du bist echt zu beneiden“, ließ Nolan sich vernehmen.

Landis lachte leise. „Na ja, es war okay. Wie gesagt, die Frauen gingen mir auf die Nerven und ich offensichtlich auch ihnen. Lediglich Aidan und Kureha ließen sich von all den Problemen nichts anmerken. Außerdem schickte Yarah mich hin und wieder durch die Gegend.“

Auch wenn er nie verstanden hatte, weswegen. Aber zumindest war es recht spannend gewesen, fremde Orte zu erkunden.

„Und wir fanden mit der Zeit immer mehr Beweise für Fredianos Verrat an der Königsfamilie“, fügte er hinzu.

So manches Opfer von Vita hatte für einen eventuellen überraschenden Todesfall vorgesorgt, um Frediano mit in den Abgrund zu ziehen. Warum Yarah allerdings darauf bestanden hatte, diese Beweise erst einmal sicher zu verwahren, entzog sich Landis' Verständnis noch immer.

„Oh, mich würden die ganzen kleinen Geschichten interessieren“, sagte Nolan.

Die anderen zuckten mit den Schultern, auch wenn zumindest in Orianas Gesicht ebenfalls Neugierde zu sehen war. Landis wollte sich an die Stirn greifen, allerdings verhinderte die Kette an seinem Handgelenk das. Also seufzte er nur. „Ich erzähl's euch, wenn das alles vorbei ist, okay?“

Nolan nickte zustimmend. „In Ordnung, aber vergiss es nicht.“

„Als ob. Mhm, mal sehen... drei Jahre später, also vor wenigen Wochen, zogen wir dann endlich nach Cherrygrove, wo Yarah das nächste Ziel ausgemacht hatte.“

Wieder zu Hause

Ich atmete tief ein. Der typische Geruch der Kirschblüten drang in meine Lungen, es fühlte sich gut an, genau wie sich ein Zuhause anfühlen musste.

So lange war ich in dem Glauben gewesen, diesen Ort nie wieder zu betreten. Schwer zu beschreiben, was ich in diesem Moment empfand, als ich am Stadttor stand und mich umsah.

Kurehas Blick ging zu den Kirschbäumen, die im Moment in voller Blüte standen. Die Faszination war direkt in ihr Gesicht geschrieben. Etwas, was ich nur zu gut verstehen konnte, immerhin war das in Király kein weit verbreiteter Anblick. Die ersten Jahre waren auch wir Kinder davon begeistert gewesen. Mit der Zeit gewöhnte man sich allerdings daran.

Dennoch ging mein Herz bei diesem Anblick wieder auf. Viel zu lange hatte ich darauf verzichten müssen. Allerdings erinnerte es mich auch an meine Kindheit mit Oriana und den Schwur, den wir unter einem dieser Bäume geschlossen hatten. Der Schwur, der durch mein Verhalten gebrochen war. Aber die guten Erinnerungen verdrängten das Schlechte sofort.

Auch die beiden Geschwister wirkten fasziniert, wenngleich weniger als Kureha. Besonders Nadia versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und trug ihre übliche Kälte zur Schau. Lediglich das Glitzern ihrer Augen sagte, was sie empfand. Allerdings musste ich sagen, dass sie sich in den letzten drei Jahren verändert hatte und deutlich freundlicher geworden war.

Mein Blick ging umher, ohne dass ich nach etwas Bestimmten suchte. Es war einfach so wundervoll, wieder hier zu sein.

Meine Füße führten mich automatisch die Straße entlang, bis ich vor meinem alten Haus stehenblieb. Allerdings schien mein Vater nicht mehr dort zu leben, jedenfalls kam mir die Familie nicht sonderlich bekannt vor.

Zum ersten Mal seit ich diese Stadt betreten hatte, spürte ich wieder so etwas wie Traurigkeit. Es war also nicht alles so wie früher, aber eigentlich war mir das vorher klar gewesen - oder hätte es zumindest sein sollen.

Es dauerte nicht lange, bis ich eine bekannte Stimme hörte, die meinen Namen rief. Als ich herumfuhr, erkannte ich jemanden, den ich schon fast vergessen hatte. „Onkel Faren!“

Die violetten Haare und das markante Grinsen waren unverkennbar. Der in die Jahre gekommene Mann kam lächelnd auf mich zu. „Du bist es also wirklich, Landis.“

Ich nickte heftig. „Ja, ich bin wieder zurück.“

„Das ist ja wunderbar! Aber leider wohnt dein Vater nicht mehr hier.“

Faren machte eine ausholende Handbewegung, wie immer, wenn er sich selbst dabei ertappte, etwas Dummes gesagt oder etwas Offensichtliches ausgesprochen zu haben.

„Das habe ich inzwischen auch gemerkt...“

Yarah und der Rest der Gruppe kamen inzwischen bei mir an. Die Puppenspielerin schmunzelte. „Landis, wer ist das?“

Ich trat einen Schritt zur Seite, so dass die Gruppe ihm gegenüber stehen konnte. „Onkel Faren, das sind Freunde von mir.“

Ich stellte sie alle der Reihe nach vor, bevor ich fortfuhr: „Leute, das ist Sir Faren, ein Kavallerist aus Cherrygrove. Er war mitunter für unsere Ausbildung verantwortlich.“

„Warum nennst du ihn Onkel?“, fragte Aidan neugierig.

Faren nahm mir die Antwort ab: „Das ist leicht zu erklären. Ich bin nebenbei ein Freund seines Vaters.“

„Und der Vater von Kenton und Ren“, fügte ich hinzu.

Auch wenn die Verwandtschaft mit Kenton nicht sonderlich offensichtlich war. Er kam offensichtlich nach seiner Mutter, seine Schwester dagegen hatte mehr Charakterzüge von ihrem Vater geerbt – jedenfalls erinnerte ich mich so an sie.

Yarah sah mich überrascht an. „Kenton sagt mir ja was, aber wer ist Ren?“

„Kentons kleine Schwester“, antwortete ich. „Also, ihr eigentlicher Name ist Renea.“

Faren schmunzelte. „Hast du sie noch nicht vergessen, hm?“

„Wie könnte ich? Sie war wie eine Cousine.“

Es war wohl das erste Mal, dass jemand einen solchen Vergleich anbrachte, was die amüsierten Gesichter der anderen erklärte. Normalerweise hörte ich auch nur von „wie Geschwister“, aber so nah war Renea mir nie gestanden, also hatte ich etwas anderes verwenden wollen.

„Da fällt mir ein,“, durchbrach Faren das eingetretene Schweigen wieder, „dass Renea erst vor wenigen Tagen Mutter geworden ist. Möchtest du das Kind vielleicht sehen? Kenton hatte leider noch keine Zeit.“

„Klar doch!“

Wenn das Kind nur halb so süß wie Renea früher war, würde sich der Ausflug lohnen. Ich wandte mich den anderen zu. „Was ist mit euch?“

Sie schüttelten einstimmig die Köpfe. „Wir werden ins Gasthaus gehen. Bei so einer Familienvereinigung stören wir doch nur.“

Yarah kicherte leise, bevor sie mit den anderen davonging. Dabei hätte ich persönlich nichts gegen Begleitung gehabt, aber Renea vielleicht, also war es so doch besser.

„Eine seltsame Gruppe, die du da hast“, bemerkte Faren.

Ich konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. „Das stimmt schon irgendwie.“

Doch er kümmerte sich nicht weiter darum, wofür ich ihm sehr dankbar war und führte mich zu einem anderen Haus. Ich erkannte es sofort als das von Onkel Joshs rechter Hand wieder – der jetzt anscheinend der neue Kommandant war. Wie hieß er nochmal? Ah ja, genau, sein Name war Troy. So wie er mir in Erinnerung geblieben war, war er sicherlich ein strenger Kommandant. Es wunderte mich allerdings, dass er gerade Renea geheiratet haben soll – sie war immerhin um einiges jünger als er.

Ohne zu klopfen führte Faren mich in das Haus hinein und schon bald standen wir im Wohnzimmer. Auf einem Schaukelstuhl konnte ich eine wunderschöne junge Frau mit schwarzem Haar sehen. Ein helles Licht schien um sie herum zu strahlen. Junge Mütter hatten einfach etwas an sich, das mich faszinierte.

Sie hob den Blick von dem Bündel auf ihrem Arm und lächelte mir zu. „Besuch?“

Renea hatte sich kaum verändert, auch wenn sie nun deutlich größer und auch ihr Gesicht um einiges schmaler, ihr ganzer Körperbau graziler geworden war. Ihre braunen Augen wirkten nicht mehr so verspielt wie früher, dafür leuchteten sie nun warm von innen heraus.

Faren nickte schmunzelnd. „Ren, erinnerst du dich noch an Landis?“

Plötzlich begannen ihre Augen wieder mit dem alten Schalk zu glänzen. „Landis, du bist das?“

Ich nickte lachend. „Ja, ich bin das.“

Vorsichtig trat ich einen Schritt näher, um das Baby zu betrachten. Es schlief gerade, das rote Gesicht wirkte noch ein wenig zerknautscht, die Geburt konnte wirklich noch nicht lange her sein.

„Wie süß“, bemerkte ich leise.

„Ihr Name ist Rina.“

Ich kramte in meinem Gedächtnis, fand aber die entsprechende Bedeutung des Wortes nicht, so dass Faren mir nachhalf: „Das bedeutet so viel wie Liebe – jedenfalls in der Sprache der Orakel.“

Die Orakel hatte ich schon fast wieder verdrängt. Aber sie waren auch uninteressant für mich, immerhin wurden sie nur auf den anderen Kontinenten verehrt. In Király interessierte man sich weder für ihr Wohlergehen noch für ihre Vorhersagen. Abgesehen von Renea, die von klein auf davon fasziniert gewesen war. Ich erinnerte mich noch gut an ihre Enttäuschung, als sie erfahren hatte, dass sie kein Orakel werden könnte.

„Ein hübscher Name.“

Renea strahlte über das ganze Gesicht. Ja, so sah sie schon eher aus wie das junge Mädchen, an das ich mich erinnerte.

„Wie lange bist du schon wieder hier?“, fragte sie mich plötzlich.

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich bin erst seit ein paar Minuten wieder in der Stadt.“

„Du warst ziemlich lange weg“, bemerkte sie gedankenverloren.

Es waren sieben Jahre gewesen, eine wirklich lange Zeit, in der so viele Veränderungen eingetreten waren. Und dennoch fühlte es sich immer noch wie mein Zuhause an.

„Und du hast inzwischen also geheiratet und eine eigene Familie bekommen, hm?“

Statt einer Antwort sah sie nur wieder lächelnd auf ihre Tochter hinab. Renea war eindeutig glücklich. Beneidenswert.

Auf einmal hatte ich das Gefühl, in diesem Raum ersticken zu müssen. Ich verabschiedete mich hastig und verließ das Haus wieder. Faren folgte mir direkt. Erst vor der Tür blieb ich wieder stehen, ich atmete tief ein.

„Weißt du das von Oriana schon?“

Ich drehte mich nicht um, als ich nickte.

„Sehr zu freuen scheint es dich aber nicht.“

Diesmal fuhr ich doch herum. „Dich würde es sicherlich auch nicht freuen, wenn dir so etwas passieren würde.“

Für eine Weile blickte er mich schweigend an. Ich stellte mich auf eine „Solange-deine-Frau-glücklich-ist-solltest-du-auch-glücklich-sein“-Rede ein, aber was ich stattdessen bekam, verwunderte mich. Er begann zu lachen und klopfte mir auf die Schulter. „Du hast recht. Mich würde es nicht freuen, wenn die Frau, die ich liebe, plötzlich nen anderen heiratet und eine Familie gründet – selbst wenn sie damit glücklich ist.“

Ich atmete erleichtert aus. In den letzten Jahren war ich mir mehr als nur egoistisch vorgekommen, aber dass es noch andere Leute gab, die so dachten wie ich, beruhigte mich.

„Danke, Onkel Faren.“

Lächelnd winkte er ab.

Er begleitete mich zum Gasthaus. Auf den Weg dorthin stellte ich einige Fragen über die vergangenen Jahre, die er mir lächelnd beantwortete. Wie ich mir gedacht hatte, war Troy nach Onkel Joshs Rücktritt Kommandant geworden und mein Vater nach New Kinging gezogen. Dass man den Tod meiner Mutter für Selbstmord hielt, überraschte mich nicht. Ich war gespannt, welche Geschichte man mir in der Hauptstadt erzählen würde.

Natürlich erzählte ich nicht, dass ich davon bereits wusste, sondern zeigte mich betroffen. Vielleicht sollte ich Schauspieler werden, wenn das mit Vita vorbei war und ich wider Erwarten überleben würde.

Vor dem Gasthaus verabschiedete ich mich von Faren und ging hinein. Nach einer langen Wiedersehensrede der Besitzerin (gespickt mit allerlei Anekdoten über Streiche, die ich und Nolan ihr früher gespielt hatten), ging ich schließlich in das Zimmer, das Yarah gemeinsam mit den beiden Mädchen bewohnte. Aidan und Nadia hatten dieses Mal ein eigenes Zimmer, genau wie ich.

Die Puppenspielerin sah mich lächelnd an. „Na, alles erledigt?“

Ich nickte. „Habe ich hier etwas verpasst?“

„Uh-uh. Aber möglicherweise kennst du das letzte Opfer.“

Bei dem Gedanken, wer es alles sein könnte, zog sich mein Magen zusammen. Ich mochte so gut wie jeden in dieser kleinen Stadt, allein der Gedanke, dass einer von ihnen Vitas nächstes Opfer sein könnte...

„Es ist der Bürgermeister“, sagte Yarah, gespannt auf meine Reaktion.

Ein erleichtertes Aufatmen konnte ich mir nicht verkneifen. Die einzige Person, die ich auf jeden Fall nicht mochte. Dank Faren wusste ich immerhin, dass der Bürgermeister derselbe wie schon immer war – und den hatten wir Kinder noch nie leiden können, er uns aber genauso wenig.

„Dann willst du ihn auch sterben lassen?“, fragte Kureha monoton.

Mein Blick ging zu ihr hinüber. In den letzten drei Jahren war meine Furcht ihr gegenüber geschwunden. Sie besaß einen exzentrischen Zug – aber sie war ein liebenswertes Mädchen. Hinter der unheimlichen Fassade war sie auch nur ein normales Kind, wie viele andere auch.

Allerdings war sie beizeiten gefühlskalt, so wie im Moment.

Ich zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Um den wäre es kein großer Verlust. Dass der überhaupt noch Bürgermeister ist...“

Na ja, das lag wohl an der „Immerhin wissen wir bei dem schon, woran wir sind“-Mentalität der Leute. Man ging wohl ungern Risiken ein, wenn es um die eigene Stadt ging.

Yarah schmunzelte. „Fein, aber denk daran, dass du danach dran bist.“

„Ich weiß, ich weiß. Aber inzwischen bin ich zuversichtlich, dass ich es schaffen kann.“

Mit der Zeit war meine Zuversicht gewachsen. Ich würde Vita töten – aber dennoch war da immer noch dieses Gefühl, dass ich ebenfalls nicht überleben würde.

Ich verdrängte das Gefühl. „Wir sollten langsam die anderen zu uns rufen. Bis heute Nacht müssen wir noch eine Menge besprechen, oder?“

„Woher weißt du, dass sie heute zuschlagen wird?“, fragte Yarah neugierig.

Ich lächelte. „Das ist nur so ein Gefühl.“
 

Oriana schmunzelte. „Ja, du bist wirklich ein guter Schauspieler. Du hast uns die ganze Zeit vorgespielt, von nichts eine Ahnung zu haben. Dabei wusstest du alles.“

Seufzend lehnte Landis sich gegen die kalte Steinwand hinter sich. „Es tut mir Leid, aber es war notwendig.“

„Warum?“, fragte nun auch Richard. „Du hättest uns sagen können, dass die anderen dir schon so viel erzählt haben, statt uns auszufragen.“

„Ich denke, jeder von uns hatte seine Geheimnisse und seine Eigenarten, nicht?“

Nolan kratzte sich verlegen am Kopf. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass Landis im Recht war. Doch plötzlich begann er zu lächeln und wandte sich an Kenton. „He, Lan ist doch unschuldig! Können wir ihn dann nicht endlich freilassen?“

Der Angesprochene sah ihn mit gerunzelter Stirn an. „Nun, sobald er den Bericht beendet hat, werde ich das der Königin vortragen. Sie muss dann entscheiden, ob das der Wahrheit entspricht oder eine Lüge ist. Es liegt auch in ihrer Hand, ein Strafmaß zu bemessen.“

Nolans vergnügtes Lächeln riss nicht ab. Er war der felsenfesten Überzeugung, dass die Königin Landis wieder gehen lassen würde, sobald sie von der Geschichte erfahren hatte.

Die anderen wandten sich wieder dem Gefangenen zu.

„Erzähl weiter“, bat Kenton. „Was ist dann passiert?“

Kirschblüten

Es gibt Kulturen, in denen stehen Kirschblüten für einen frühen Tod. Ich war nie wirklich mit diesen Kulturen in Kontakt gekommen, aber die Geschichten darüber waren nie aus meinem Gedächtnis verschwunden. Deswegen empfand ich es auch als böses Omen, als plötzlich ein starker Wind aufkam und unzählige dieser Blüten um uns herumwirbelten.

Aurora und ich lehnten gegen einen der Bäume und sahen uns um. Yarah saß auf dem Boden und zog mit einem Stock Striche in die weiche Erde. Aidan stand mit gezücktem Bogen da, seine Schwester hielt ihr Naginata im Anschlag. Keiner von beiden würde einen Angriff aus dem Hinterhalt dulden.

Kureha war im Gasthaus geblieben. Da sie nicht kämpfen konnte, war es besser, sie in Sicherheit zu lassen.

Wir befanden uns schon seit über zwanzig Minuten unter den Bäumen, so dass ich mich langsam fragte, ob er überhaupt noch kommen würde. Normalerweise war er nicht für Verspätungen bekannt.

Yarah pustete Luft durch ihre geschlossenen Lippen. „Aidan, hast du den Brief auch überbracht?“

Der Junge nickte. „Ja, ganz sicher. Ich habe sogar gesehen, wie er ihn gelesen hat.“

Ungeduldig brummend lief Yarah nun auf und ab.

Mein Blick fiel auf das Haus von Troy, in dem noch Licht brannte. Bestimmt arbeitete er noch immer, während Renea und das Kind bereits schliefen. Ich beneidete die beiden richtig darum, dass sie ein so normales und friedliches Leben führen konnten. Kaum zu glauben, dass mir genau das früher als ganz und gar nicht erstrebenswert vorgekommen war.

Als der Wind plötzlich wieder abflaute, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Knirschende Schritte erklangen auf dem Kiesweg und im nächsten Moment stand der Bürgermeister vor uns. Seine kleine, gedrungene Gestalt war einfach unverwechselbar. Inzwischen führte er einen Gehstock mit sich, die Zeit hatte eben auch an ihm genagt.

Er musterte uns genau aus seinen dunklen Augen. Sein Blick blieb an mir hängen. „Oha! Bist du nicht der Sohn von Richard?“

Er erkannte mich also auf Anhieb, na ja, ich war damals auch für einige Probleme im Ort verantwortlich gewesen, also war es wohl nicht verwunderlich.

Ich nickte ihm zu. „Das ist richtig.“

„Und was willst du jetzt hier?“

Misstrauisch ging er in Abwehrhaltung. Ich dagegen stellte mich wieder aufrecht hin. „Ich bin hier, um die Sylphe Vita zur Strecke zu bringen, bevor diese Sie tötet.“

„Warum sollte sie das?“

Keine Frage danach, wer sie sein sollte, also kannte er sie wirklich. Ich antwortete nicht auf seine Frage, er fuhr augenblicklich fort: „Vita arbeitet für Sir Caulfield. Warum sollte er mich töten wollen?“

Klasse, was sollte ich darauf antworten? Die Wahrheit? Als ob er mir die glauben würde.

Da ich nicht antwortete, übernahm Yarah das: „Frediano ist mit Sicherheit nicht derjenige, der Vita die Anweisungen gibt. Vita handelt auf eigene Faust. Sie hat Ihren Sir Caulfield bereits getötet, Sie sollten also lieber auf uns hören.“

Er runzelte seine Stirn, was die Falten in seinem Gesicht noch verstärkte. Ich nahm an, dass er überlegte, ob sie wirklich die Wahrheit sagte und wenn ja, wann das wohl geschehen sein sollte und wer ihm dann in Fredianos Namen die Briefe schrieb. Aber vielleicht dachte er auch nur an sein Bett, so wie ich gerade an meines - ich war zwar nicht müde, aber ich sehnte mich nach Ruhe.

Ein leises Lachen erklang. Ich musste nicht lange überlegen, um zu wissen, von wem es kam. Diese Stimme hätte ich auch nach über fünfzig Jahren wiedererkannt. Vita trat aus dem Schatten einiger Bäume. Genau wie die Nymphen hatte sie sich in den letzten drei Jahren kein bisschen verändert, im Gegensatz zu mir oder den anderen drei.

Wie üblich trug sie ihr kaltes Lächeln zur Schau. „Landis, es ist lange her. Hoffentlich hast du dich in deiner freien Zeit genauso gut erholt, wie ich. Ist es nicht schön, wieder zu Hause zu sein?“

Ich antwortete nicht darauf, sagte nicht einmal etwas. Stattdessen sah ich wieder zum Bürgermeister und sah diesen eindringlich an. Allerdings wirkte er immer noch nicht sonderlich überzeugt.

Vita legte sich einen Finger an ihre Lippen. „Oh, mein lieber Bürgermeister, Yarah hat nicht ganz Unrecht. Und dummerweise bin ich deiner nun überdrüssig.“

Interessanterweise wirkte er nicht einmal sehr überrascht. Ich war es allerdings schon, als er plötzlich seinen Gehstock fallenließ – zumindest die untere Hälfte. Den Griff, aus dem ein Messer ragte, hielt er immer noch in der Hand. Im einfallenden Mondlicht schimmerte die Klinge, ich konnte glühende Runen wahrnehmen.

Er hatte also dieselbe Idee wie meine Mutter gehabt. Welch ein Zufall.

Besorgnis zeigte sich nun auf Vitas Gesicht. Ihr waren die Runen also auch nicht entgangen.

Sie ließ einen Stab vor sich erscheinen, den sie sofort ergriff, um sich zu verteidigen. Das erste Mal, dass sie ihn benutzte, offensichtlich fürchtete sie sich vor einem direkten Kontakt mit den Runen, nachdem sie bereits gespürt hatte, was sie bewirken konnten.

Für einen Moment standen wir uns schweigend gegenüber.

Ein Surren erklang. Im nächsten Moment folgte ein Windstoß – und dann steckte ein Pfeil neben meinem Kopf im Stamm des Baumes. Aidan war bleich geworden - mindestens genausosehr wie ich -, aber dafür war Vitas selbstsicheres Lächeln zurückgekehrt. „Derlei Waffen können mir nicht schaden, mein Junge.“

Nur den Bruchteil einer Sekunde später prallte Nadias Naginata auf Vitas Stab. Obwohl er wie aus Holz aussah, schien es tatsächlich ein Metallstab zu sein.

Vita stieß das Mädchen von sich. Sie taumelte rückwärts und riss ihren Bruder mit sich zu Boden.

Aurora warf einen ihrer Feuerbälle auf die Sylphe. Um den Angriff abzuwehren, löste Vita eine Hand von ihrem Stab. Sie erstellte eine Art Schild vor sich, an dem das Feuer wirkungslos verpuffte.

Der Bürgermeister nutzte ihre fallen gelassene Verteidigung. Mit einer heftigen Bewegung stieß er das Messer in ihren Arm. Ausgehend von der Verletzung begann ihr Körper wieder zu glühen.

Schmerzerfüllt schrie sie auf. Sie richtete ihr vor Wut verzerrtes Gesicht auf den Bürgermeister, der ein wenig zurückwich.

Dieses Mal zögerte sie nicht so lange. Mit deutlich sichtbarer Anstrengung zog sie sich das Messer aus dem Arm. Da dieses Messer einen ungravierten Griff hatte, bekam sie keine Brandblasen an der Hand.

„Verdammter Mensch!“, spuckte sie aus. „Wie kannst du es wagen!?“

Sie hob die Hand mit dem Messer, ich konnte mir bereits denken, was sie vorhatte. Hastig zog ich die verbliebenen Nadellanzetten heraus – oder besser: Ich versuchte es. Aus irgendeinem Grund gehorchte mein Körper mir plötzlich nicht mehr. Ich konnte nur zusehen, wie Vita ausholte.

Der Bürgermeister fuhr herum und begann ängstlich wegzulaufen. Doch das Messer, das ihn in den Rücken traf, stoppte seine Flucht. Verletzt stürzte er zu Boden.

Vita lief langsam auf ihn zu. Verzweifelt versuchte er, wegzukriechen, doch nach wenigen Sekunden war die Sylphe bereits bei ihm. Heftig trat sie ihm auf die rechte Hand. Ein lautes Knacken erklang. Der Bürgermeister schrie auf.

„Hör auf damit, Vita!“, verlangte Yarah laut.

Die Sylphe warf ihr einen betont kühlen Blick zu. „Du hast recht. Es wird Zeit, das hier zu beenden.“

Damit hob sie wieder ihren Stab. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte ich, dass das Metall am oberen Ende spitz zulief. Es schien scharf genug zu sein, durch menschliche Haut zu dringen.

„N-nein, bitte nicht...“

Die erstickte Stimme des Bürgermeisters war kaum noch zu hören. Emotionslos stieß Vita die Spitze durch den Körper des Mannes, der augenblicklich verstummte.

Der Stab leuchtete für einen Moment auf.

Mit einem Ruck zog Vita den Stab wieder heraus. Ein ekelhaftes Geräusch begleitete das spritzende Blut, doch die Spitze war völlig sauber und kein bisschen besudelt.

Sie wandte sich mir zu, mein Körper reagierte immer noch nicht, was mich in leichte Panik versetzte. Ich war noch nicht bereit zu sterben, auch wenn die Kirschblüten, die unablässig auf mich niederfielen, mir etwas anderes zu sagen versuchten.

Ich musste weiterleben, ich musste...!

Meine Gedanken waren noch nicht beendet, da spürte ich, wie mein Körper wieder reagierte – allerdings tat er das völlig von allein.

Als ich wieder klar denken konnte, sah ich eine Wurfnadel, die in Vitas Stab steckengeblieben war.

Genau wie sie starrte ich verblüfft auf die Nadel, die sich durch das Metall gebohrt hatte. Eine normale Wurfnadel wäre dazu nie in der Lage gewesen.

Von der Einschlagstelle breiteten sich rasend schnell Risse aus – und mit einem Mal zerfiel der Stab in unzählige glitzernde Teile, die sich gemeinsam mit der Nadel auflösten.

Damit besaß ich nur noch drei.

Vita starrte ungläubig auf ihre leeren Hände. „Wie kann das...? Diese Nadeln...“

Dieses Ereignis musste sie durcheinandergeworfen haben. Sie warf mir einen fassungslosen Blick zu, dann fuhr sie hastig herum und verschwand in einem Sturm von Kirschblüten.

Aurora stellte sich vor mich. „Alles in Ordnung, Lan?“

Ich nickte langsam. „Was war mit dem Stab? Warum verschwindet sie einfach?“

„Der Stab ist ihre Waffe und ein Teil ihres Körpers“, erklärte Yarah, die alles nur beobachtet hatte. „Ohne ihn kann sie einen Teil ihrer Kraft nicht mehr anwenden.“

Sie deutete auf die Stelle, an der ich meine Nadellanzetten aufbewahrte. „Genau dasselbe wie mit den Nadeln deiner Mutter.“

„Habt ihr dann auch...?“

Aurora und Yarah nickten, antworteten aber nicht weiter.

Die Geschwister hatten sich inzwischen ebenfalls aufgerichtet. „Wir sollten langsam gehen, bevor uns jemand sieht – oder uns noch mehr sehen.“

Nadia sah zum Haus des Kommandanten hinüber. Es brannte immer noch Licht, aber inzwischen war ich mir sicher, dass Troy nur während der Arbeit eingeschlafen war. Ansonsten wäre er bestimmt längst bei uns gewesen.

Ich nickte den anderen zu. Hastig begaben wir uns zurück zum Gasthaus. Doch das ungute Gefühl in meinem Magen war stärker als je zuvor. Als nächstes wäre ich dran und wenn ich Vita dann immer noch nicht töten könnte...
 

Landis verstummte und sah zu Boden.

„Und dann bist du nach New Kinging gekommen“, schloss Kenton.

Der Gefangene nickte zustimmend, schwieg aber weiterhin.

Oriana runzelte ihre Stirn. „Woher wusste der Bürgermeister, dass Vita ihn töten wollte?“

„Vielleicht hat Tante Asterea ihn gewarnt?“, mutmaßte Nolan. „Wahrscheinlich hat er ihr anfangs nicht geglaubt, aber irgendwie schon und deswegen hat er die Runen in das Messer gravieren lassen.“

„Oder Frediano hat ihn gewarnt“, sagte Kenton leise.

Die anderen sahen ihn fragend an, er räusperte sich. „Nun, Frediano mag keine Seele mehr haben, aber die Erinnerungen sind noch da, wie Vita anscheinend gesagt haben soll. Vielleicht wollte Frediano gar nicht, dass bestimmte Leute sterben und hat versucht, sie zu warnen.“

„Das kann schon sein“, bemerkte Landis, immer noch mit gesenktem Kopf.

„Aber dein Tod scheint ihm egal zu sein“, meinte Kenton zum Schluss.

Lachend hob der Gefangene den Kopf wieder. „Nicht ganz. Er will mich nicht tot sehen, er will mich vernichten, genau wie ich ihn. Und deswegen...“

Er machte eine Pause, bis plötzlich ein lautes Geräusch, ähnlich dem eines Nebelhorns erklang.

„Und deswegen muss ich euch nun verlassen.“

Bevor einer der anderen noch etwas fragen konnte, zerfiel Landis' Körper plötzlich in mehrere Einzelteile, genau wie die Puppen in Old Kinging. Die anderen sogen erschrocken die Luft ein – lediglich Kenton schien gar nicht überrascht zu sein. Er fuhr herum und verließ die Zelle, nur um an die gegenüberliegende zu gehen. Ohne lange darüber nachzudenken, öffnete er die Tür, worauf Aurora heraustrat. „Wurde langsam auch Zeit. Danke, Ken.“

„Was bedeutet das?“, fragte Nolan verwirrt. „War das alles hier etwa geplant?“

„Sicher“, antwortete der Berater, als er sich ihm wieder zuwandte. „Was denkst du, wer die Ankündigung des Angriffs geschrieben und wer mir dabei geholfen hat?“

Aurora warf sich in die Brust, während Nolan schmollend die Unterlippe vorschob. „Du hättest mir etwas erzählen können. Ich dachte immer, wir sind Freunde.“

Kenton schüttelte leicht den Kopf. „Wir beide wissen, dass du kein Geheimnis für dich behalten kannst - und ich konnte es mir nicht erlauben, Frediano von meinem Plan wissen zu lassen.“

Bevor Nolan wieder protestieren oder gar eine längere Diskussion starten konnte, hob der Berater die Hand. „Aber wir haben jetzt keine Zeit dafür. Sir Richard, Nolan, bitte geht und redet mit Ihrer Majestät über das, was Landis erzählt hat.“

Die beiden nickten und liefen sofort los.

Schließlich wandte Kenton sich an Oriana. „Und du solltest dich auf den Weg zum Dach machen.“

„Was hast du vor?“, fragte sie besorgt.

„Beeil dich lieber“, erwiderte er statt einer Antwort.

Sie fuhr herum und lief hastig davon. Aurora trat neben Kenton. „Gehen wir dann auch?“

Er nickte zustimmend und verließ gemeinsam mit ihr den Kerker.
 

Während Landis im Kerker das Ende der Geschichte erzählte, versammelten sich sechs Personen in der Dunkelheit vor dem Palast. Sie alle trugen Umhänge, um sich vor dem eingesetzten Regen zu schützen.

„Es ist schon fast Mitternacht“, bemerkte die größte Gestalt plötzlich.

„Genau um Mitternacht tritt der Plan in Kraft“, verkündete Yarah zum erneuten Mal.

Als einzige trug die Puppenspielerin keine Kapuze mehr, der Regen schien ihr nichts auszumachen. Sie atmete tief durch. „Sir Joshua, Lady Bellinda, wir werden gemeinsam in den Thronsaal gehen. Aidan, du suchst gemeinsam mit Kureha den Prinz und die Prinzessin auf. Und du, Nadia, wirst Landis aufs Dach helfen.“

Die Angesprochenen nickten zustimmend.

Pünktlich auf den ersten Glockenschlag der Turmuhr, trat eine weitere Gestalt hinzu. „Es wird Zeit.“

Diesmal war es Yarah, die nickte. Sie hob eine Pfeife an ihre Lippen. Als sie hineinblies, erklang ein Ton, ähnlich eines Nebelhorns, auch wenn das Instrument gar nicht danach aussah.

Landis wusste genau, dass auf diesen Ton die genaue Nachbildung von ihm, die den anderen seine Geschichte hatte erzählen sollen, auseinanderfiel. Besonders in den drei Jahren, in denen sie in Old Kinging gewesen waren, hatte er dies oft beobachtet.

Jemand öffnete die Türen des Palastes. Yarah lächelte Landis zu. „Bereit?“

Er nickte. „Bereit.“

Gemeinsam betraten sie die Eingangshalle, wo sie sofort auseinanderspritzten, damit jeder einzelne seine Aufgabe erfüllen konnte.

Landis und Nadia begaben sich in Richtung des Daches. Im Inneren des jungen Mannes brodelte es voll Ungeduld, seinem alten Rivalen gegenüberzutreten.

Vor der letzten Treppe blieb Nadia wieder stehen. „Ich werde hier warten. Geh du allein hoch.“

Dankbar nickte er ihr zu, dann lief er hinauf. Er ging durch eine Tür hindurch und stand plötzlich wieder im Regen. Die Dachterrasse war leer – abgesehen von der Gestalt, die ihr Schwert hob und es Landis entgegen streckte. „Ich habe auf dich gewartet.“

Er zog sein eigenes Schwert. „Hast du ja lange genug. Bringen wir es hinter uns?“

„Nur zu gern.“

Am Ende angekommen

Trotz der Ankündigung standen die beiden Männer sich immer noch gegenüber.

Der Regen fiel unaufhörlich auf sie nieder, ließ ihre Kleidung an ihren Körpern kleben und die vor Aufregung schwitzenden Leiber dampfen.

Beiden kribbelte es in den Fingern, diesen Kampf zu beginnen und die Rivalität ein für allemal zu beenden, aber keiner von beiden wollte den ersten Zug machen.

„Wie lange willst du mich noch warten lassen, Landis?“, fragte der Silberhaarige. „Du weißt doch, Frediano Caulfield wartet nicht gerne.“

Landis wischte sich das nasse Haar aus der Stirn. Ein verhaltenes Lächeln, das nicht seine Augen erreichte, zierte sein Gesicht. „Daran erinnere ich mich noch.“

In keinem einzigen Jahr seiner Abwesenheit hatte er etwas, was Frediano anging, vergessen.

Frediano lächelte ebenfalls, allerdings war es bei ihm ein selbstsicheres Lächeln. „Wann haben wir das letzte Mal gegeneinander gekämpft?“

„Vor acht Jahren, fast auf den Tag genau.“

Verachtung und Hass lag in Landis' Stimme, während er diese Worte sprach. Er erinnerte sich als wäre es gestern gewesen. Es war ihr letzter Kampf gewesen, der hatte entscheiden sollen, wer von ihnen Oriana bekommt. Doch es war nie zu zu einem Gewinner gekommen – Oriana war dazwischen gegangen und hatte den Kampfplatz gemeinsam mit Frediano verlassen.

Erneut kochte Wut in Landis hoch.

„Dann ist das hier sowas wie eine Wiedervereinigung, hm?“

Er antwortete nicht auf Fredianos Frage.

„Ich habe unsere Kämpfe vermisst, Landis“, sagte der Kommandant mit einem leicht sarkastischen Unterton in der Stimme.

„Ich nicht“, erwiderte der andere. „Ich habe mir nur gewünscht... dich endlich für alles bezahlen zu lassen. Die ganzen sieben Jahre, in denen ich nicht hier war, habe ich nur davon geträumt, dich sterben zu sehen.“

„Oh, denkt der kleine Versager wirklich, dass er mich besiegen könnte?“

Trotz all ihrer Kämpfe war es Landis nie gelungen, über Frediano zu triumphieren. Ein Gleichstand war das einzige, was je herausgekommen war.

„Ich will dich nicht nur besiegen. Ich will dich vernichten. Langsam und schmerzhaft.“

Landis hob seine Schwert und bewegte sich langsam seitwärts.

Frediano glich jeden Schritt mit einer eigenen Bewegung in die jeweils andere Richtung aus.

Der Kommandant war nicht zu unterschätzen, dessen war sich sein Gegner bewusst. Besonders nun, da er über keine Seele und damit über kein Gewissen mehr verfügte.

„Na, ob dir das gelingen wird?“, spottete Frediano. „Wenn deine Technik dieselbe wie damals ist, sehe ich schwarz für dich, mein Freund.“

„Wir sind schon lange keine Freunde mehr.“

Landis' Gesicht war düster, kein Hauch von Freude oder Zufriedenheit. Selbst damals, als sie sich noch als Freunde bezeichnet hatten, waren sie das nicht gewesen. Aber für Oriana hatten sie beide ihr etwas vorgespielt.
 

Als Oriana die Treppe zum Dach erreichte, erblickte sie ein braunhaariges Mädchen, das dort mit einem Naginata stand.

Das muss Nadia sein, durchfuhr es Oriana.

Vorsichtig ging sie näher. Nadia wandte sich ihr zu. „Da bist du ja endlich.“

Es fiel der Frau schwer, ihre Überraschung zu verbergen. Sie wurde bereits erwartet? Aber warum?

Das Mädchen zeigte nach oben, die Treppe hinauf. „Beeil dich, die anderen warten wohl nicht mehr lange.“

Oriana nickte nur noch und erklomm die Stufen. Fragen konnte sie auch später noch stellen.

Oben angekommen blieb sie schwer atmend in der Tür stehen. Ungläubig sah sie auf die beiden Männer, die sich auf dem Platz, mitten im Regen, mit erhobenen Schwertern umkreisten.

„Landis... Frediano...“

Sie wusste nicht, welchen von beiden sie aufhalten, welchen sie retten wollte.

Natürlich liebte sie Landis, aber dasselbe empfand sie in gewissem Maße auch für Frediano. Ungeachtet der letzten fünf Jahre, in denen er aufgrund seiner verlorenen Seele eiskalt zu ihr gewesen war, war er immer gut zu ihr gewesen. Vor und kurz nach der Hochzeit hatte er sie auf Händen getragen und ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Seine Liebe war sogar so groß gewesen, dass er glücklich gewesen war, dass ihr erstes Kind kein Junge, sondern ein Mädchen gewesen war, obwohl das seinen eigenen Tod bedeutet hatte.

Ihr Blick wanderte zwischen beiden hin und her.

Keiner der Männer beachtete sie. Ihre Blicke waren auf den jeweils anderen fixiert.

Oriana hatte immer geahnt, dass es eines Tages zu diesem Kampf kommen würde. Warum konnte sie nicht gerade diesmal im Unrecht sein?
 

„Sag mir, wie schmerzhaft war es, als Oriana es dir sagte?“, fragte Frediano. „Als sie dir sagte, dass sie mich heiraten wird und nicht dich?“

Landis antwortete nicht, aber allein die Erinnerung schnürte ihm wieder die Kehle zu. Die erste Zeit danach war da noch die Hoffnung gewesen, dass sie sich noch anders entscheiden würde. Doch egal wie sehr er gebettelt und vor ihr auf Knien gekrochen war, sie war nicht zu ihm zurückgekehrt. Dafür war er gebrochen auf dem Boden zurückgeblieben. Aber das war Vergangenheit. Wie der Phönix aus der Asche war er wieder auferstanden, um sich zu nehmen, was ihm zustand.

Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Silberhaarigen aus, der nichts von dem ahnte, was im Kopf seines Gegenübers vorging.

„Jemand wie du hat Oriana nicht verdient“, fauchte Landis.

„Oh, darum geht es dir also? Eifersüchtig, mein Bester? Ich kann dir dazu nur sagen, dass ich besser bin für sie als du, du Mörder. Irgendwie ironisch oder? Hast du nicht jahrelang dagegen angekämpft, ein Mörder zu werden? Nun, irgendwann gibt wohl jeder nach.“

„Du hast keine Ahnung.“

Natürlich glaubte Frediano ihm immer noch nicht und sah immer noch den Mörder in ihm. Vita kontrollierte immerhin seine Gedanken, wenn auch nur bis zu einem gewissen Grad.

Landis verschätzte sich in seinem Schritt und stolperte über seine eigene Füße. Frediano grinste. „Immer noch so tollpatschig wie früher?“

Der Gestrauchelte fing sich wieder und setzte seinen Weg fort.

„Ich habe gehört, deine Mutter hat sich aus Kummer das Leben genommen, nachdem du weggegangen warst“, versuchte Frediano ihn zu provozieren.

„Das war nicht der wirkliche Grund.“

Sie hatte sich gar nicht umgebracht, aber offensichtlich war das bereits wieder aus seiner Erinnerung verschwunden. Oder er stellte sich absichtlich dumm. Landis war sich nicht wirklich sicher – und im Grunde genommen war es ihm sogar egal.

„Was war es dann?“, fragte Frediano weiter.

„Das werde ich dir nicht auf die Nase binden.“

Immerhin hatte er es ihm bereits erzählt, noch einmal würde er diese Erinnerung nicht durchgehen.

„Vermisst du deine Mama nicht, Versager?“

Schon immer war Landis mehr als alle anderen an seiner Mutter gehangen, was ihm mehr als nur einmal den Spott aller anderen eingehandelt hatte.

Er lächelte spöttisch. „Das hat früher funktioniert. Heute kannst du mich damit nicht mehr reizen. Nicht nur du bist älter und reifer geworden.“
 

Oriana hielt den Atem an, während die beiden sich unterhielten. Jedenfalls kam es ihr so vor, als ihr plötzlich schwindelig wurde und sie reflexartig wieder nach Luft schnappte.

Sie konnte nicht hören, worüber die beiden redeten, sie wollte sich nicht einmischen, aus Angst zwischen die Fronten zu geraten – und außerdem wusste sie immer noch nicht, für wen sie Partei ergreifen sollte. Für ihren Ehemann Frediano oder ihre Jugendliebe Landis?

Es fiel ihr so unsagbar schwer, eine Entscheidung für einen von beiden zu treffen. Wie schäbig sie sich im Moment vorkam, es war kaum in Worte zu fassen.

Plötzlich schien der Startpfiff gefallen zu sein. Frediano griff Landis an.

Oriana schloss die Augen und hörte nur noch wie Metall auf Metall traf.

Nur zögernd öffnete sie ihre Augen wieder. Landis war inzwischen zurückgesprungen, um einen eigenen Angriff zu starten.

Frediano fing die Klinge mit der seinen ab und riss das Knie hoch. Keuchend krümmte Landis sich zusammen und taumelte zurück. Der Kommandant setzte sofort nach, doch sein Gegner wich den Stößen hastig aus.

„Willst du für immer hier herumspringen?“, fragte Frediano kühl. „Das hilft dir auch nicht.“

Das ist mir klar, dachte Landis.

Er duckte sich, so dass der Kommandant nach unten stieß. Aus der Hocke heraus sprang Landis hoch, so dass das Schwert auf den Boden traf. Noch in der Sprungbewegung trat er gegen Fredianos Schwerthand.

Der Kommandant knurrte, doch er ließ seine Waffe nicht fallen. Stattdessen nutzte er seinen Ellenbogen, um Landis diesen in die Rippen zu stoßen. Die Wucht stieß den Mann zurück, bis er mit dem Rücken an eine Wand prallte. Ein stechender Schmerz zog durch seinen Rücken und raubte ihm jegliche Luft zum Atmen.

Frediano nutzte seinen Moment der geistigen Abwesenheit und stürmte auf ihn zu.

Den erschrockenen Aufschrei konnte Oriana nicht unterdrücken – und das rettete Landis das Leben. Ihr Ausruf holte ihn wieder zurück in die Realität, gerade noch rechtzeitig, um sein Schwert zu heben und den Angriff abzuwehren.

Auf faire Art und Weise würde er nicht gewinnen. Frediano würde mit Sicherheit nicht so schnell müde werden. Mit der freien Hand griff er an seinen Gürtel und zog ein Messer hervor. Als Frediano dieses sah, war es bereits zu spät. Die Klinge steckte in seiner Seite, zähes Blut floss daraus hervor.

Überrascht wich er einige Schritte zurück, bevor er nach dem Dolch griff, um ihn wieder rauszuziehen. Doch Landis ließ ihn nicht und setzte ihm direkt nach. Statt auszuweichen wehrte der Kommandant diesen Angriff mit seinem Schwert ab – genau wie Landis es erwartet hatte.

Er zog einen weiteren Dolch aus seiner Jacke und stieß es in die andere Seite.

Frediano keuchte, diesmal wirklich überrascht. Früher hatte Landis nur einen Dolch mit sich geführt.

„Sieh es ein, Frediano, es ist vorbei. Du kannst jetzt auch einfach zugeben, dass du die Königsfamilie stürzen wolltest.“

Der Kommandant lachte. „Wie hast du das denn erraten?“

„Oh, das war nicht weiter schwer. Aber warum? Welchen Grund gibt es dafür? Deine Familie war Király doch immer treu ergeben.“

Frediano verzog sein Gesicht. „Und genau das ist das Problem. Owain war ein unwürdiger König und seine Kinder werden auch nicht viel besser sein. Bevor ich also unter einem von ihnen diene, schaffe ich die Monarchie lieber ab.“

Seine Stimme und sein Gesicht verrieten, wie ernst es ihm war.

Konnte Landis sich wirklich so sehr in dem Kommandanten getäuscht haben?

Oder war er nur durch Vita so geworden?

Aber was auch immer der Grund für den Wandel dieser einst so treuen Familie gewesen war, man musste sie nun aufhalten, bevor noch jemand aus der Königsfamilie ihnen zum Opfer fiel. Allerdings lag es nicht an Landis, das zu tun. Er wandte sich in Richtung der Tür. „Hast du das mitbekommen, Kenton?“

Oriana drehte überrascht den Kopf und erblickte den Berater. „Was tust du hier?“

„Ich bin hier, um Fredianos Geständnis zu hören“, antwortete er neutral. „Zwar hilft das noch nicht, um Sicarius Vita freizusprechen, aber darum kümmert sich schon jemand anderes.“

Frediano knurrte. „Dann war dieses Duell nur ein Trick?“

Landis hob lächelnd die Schultern. „Sieht so aus.“

Aufgeben lag dem Kommandanten aber offensichtlich fern. Seine Angriffe erfolgten nun um einiges heftiger. Ein brennender Schmerz zog sich über Landis' Wange, als er dort getroffen wurde.

Knurrend verpasste er Frediano einen heftigen Tritt gegen das Schienbein. Ihre Klingen schrammten aneinander entlang, Funken sprühten dabei, kamen aber wegen dem Regen nicht weit.

Landis konnte das Klappern der Ritterrüstungen hören, die sich den Weg auf das Dach bahnten. Er musste nicht mehr lange durchhalten, dann würde Frediano festgenommen werden.

Der Kommandant schien denselben Gedanken zu haben, seine Angriffe wurden heftiger und kamen in immer schnellerer Abfolge. Landis' Probleme, ihn abzuwehren, nahmen um einiges zu.

Fein, wenn du willst...

Er duckte sich unter einem Angriff hinweg. Seine Hand schoss vor und traf gegen einen der Dolche in Fredianos Seite. Der Kommandant schrie auf, als die Klinge sich aus seinem Körper löste und mit einem lauten Klappern zu Boden fiel. Blut tränkte rasch seine Kleidung.

Mit einem Stöhnen sank Frediano in die Knie. Die Ritter kamen nun ebenfalls dazu und ergriffen auf Kentons Anweisung die Arme des Kommandanten.

„Kommandant Frediano Caulfield, Ihr seid hiermit im Namen der Königin von Király verhaftet“, sprach der Berater mit monotoner Stimme. „Bringt ihn weg!“

Die Ritter nickten zustimmend und zogen den vor sich hinschimpfenden Frediano mit sich.

Landis sah ihm mit einem irritierenden Gefühl der Befriedigung hinterher. Endlich würde Frediano für all seine Verbrechen bezahlen, zumindest vertraute er auf das Urteilsvermögen der Königin. Er hatte ihn zwar nicht selbst töten können, aber das würde ihn vernichten, endgültig.

Kenton nickte ihm zu und folgte den Rittern.

Es war eine gute Idee von Aurora, ihn einzuweihen, um Frediano damit auffliegen zu lassen...

Landis legte den Kopf in den Nacken. Der Regen hatte inzwischen nachgelassen, die Luft war frisch, aber immer noch mit Spannung geladen.

Vorsichtig ging Oriana näher. „Lan...“

Überrascht sah er zu ihr. Bislang hatte er gar nicht gemerkt, dass sie ebenfalls da war. „Ah, Ria...“

Er wusste nicht, was er sagen sollte, also verfiel er wieder in Schweigen. Sie kam noch ein wenig näher, so dass sie direkt vor ihm stand. „Du hast also gewonnen...“

„Mehr oder weniger.“

„Ist es... endlich vorbei?“, fragte sie zögernd.

Landis antwortete nicht, aber sie verstand genau, was er sagen wollte. „Oh Landis...“

Vorsichtig küsste er sie. „Du solltest dich jetzt verstecken. Ein Kampf steht noch an.“

Er musste nichts mehr sagen, dass sie wusste, worauf er hinauswollte: „Vita?“

Sein Nicken sorgte dafür, dass sie herumfuhr und sich im Türgang versteckte. Er dagegen drehte sich wieder um und sah dem Schicksal abwartend entgegen.

Im Auge des Sturms

Landis stand da und starrte in die Dunkelheit. Das aufgeregte Prickeln auf seiner Haut und in seinem Inneren ließ es ihm schwerfallen, zu warten, statt einfach kopfüber ins Ungewisse zu stürmen.

Die Spannung in der Luft war immer noch nicht gewichen, auf jeden Fall würde noch etwas geschehen und es würde mit Vita zu tun haben.

Gedankenverloren griff er nach den verbliebenen drei Nadellanzetten. Unwillkürlich erinnerte er sich wieder daran, dass er sich einmal an den Nadeln gestochen hatte. Asterea war angesichts dieser Tatsache beinahe ausgerastet, dabei war die Verletzung alles andere als lebensgefährlich gewesen.

„Ist das etwa...?“

Plötzlich wurde ihm etwas klar. Das, was der Grund für all diese Ereignisse war, warum gerade er im Besitz dieser Nadeln war und warum Vita glaubte, dass er der einzige wäre, der sie aufhalten könnte.

Er verwarf den Gedanken sofort wieder. Dafür war nun absolut keine Zeit, damit könnte er sich noch ein andermal beschäftigen – wenn er diesen Tag überleben würde.

Die Gestalt, die plötzlich vor ihm auftauchte, erkannte er im ersten Moment erst gar nicht als Vita wieder. Sie war keineswegs mehr so gelassen wie zuvor.

Die Anspannung war deutlich in ihrem Gesicht zu sehen, eine graue Strähne zog sich durch ihr Haar. Der Verlust ihres Stabes musste sie wirklich hart getroffen haben.

Sie lief auf Landis zu und blieb direkt vor ihm stehen. „So endet also alles, mein Lieber.“

„Endlich“, seufzte dieser erleichtert.

Die letzten Jahre waren ihm manchmal wie die Hölle auf Erden vorgekommen. Oft war er nächtelang wach gelegen, tagsüber antriebslos gewesen, allein bei dem Gedanken an die letzte Konfrontation mit Vita.

Sie versuchte, ihr altes Lächeln wieder aufzusetzen, doch es reichte nur für eine Grimasse. „Dabei hatten wir doch so viel Spaß zusammen, nicht? Hast du unsere gemeinsame Zeit nicht genossen?“

Entschieden schüttelte er seinen Kopf. „Ganz bestimmt nicht. Egal, wie das Ergebnis aussehen wird, ich bin froh, wenn es vorbei ist.“

Inzwischen war er sogar bereit, seinen eigenen Tod zu akzeptieren, nur um endlich frei zu sein.

Er hob die Nadellanzetten bereits, um sie zu werfen. Ein heftiger, von Vita ausgehender, Windstoß riss sie ihm allerdings aus der Hand. Landis fluchte leise. Sein Blick folgte den Nadeln, die in unterschiedliche Richtungen davonflogen.

Doch viel Zeit, um in Gedanken zu versinken, blieb ihm nicht. Eine Bewegung von Vita lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf sie - gerade rechtzeitig, um geistesgegenwärtig ausweichen zu können.

Ein grüner Gegenstand, einer Speerspitze ähnlich, flog direkt an seinem Gesicht vorbei. Ein leichtes Brennen auf seiner Wange verriet ihm, dass er zumindest gestreift worden war. Doch er blendete dieses Gefühl aus und konzentrierte sich wieder auf Vita.

Vier weitere dieser Spitzen waren inzwischen in ihrer erhobenen Hand erschienen.

Für einen Herzschlag lang, der Landis wie eine ganze Stunde erschien, blickten sich beide über die Entfernung einfach nur an - bis Vita zum Werfen ausholte.

Ihm blieb nur der Bruchteil einer Sekunde, um über seine nächste Aktion zu entscheiden.

Statt die Spitzen abzuwehren wich er ihnen zur Seite aus - nur um festzustellen, dass Vita noch mehr davon besaß und weiter damit auf ihn warf.

Er wich den Spitzen, die sich auflösten, sobald sie an ihm vorbeigezogen waren, weiter aus, bis ihm aus den Augenwinkeln ein Glitzern auf dem Boden auffiel. Den Gegenstand, der diese Lichtreflexe auslöste, erkannte er sofort.

Eine erneute Ausweichaktion nutzend, stürzte er sich zu Boden. In einer fließenden Bewegung griff er nach der Nadel und schleuderte diese auf Vita. Das Metall blieb in ihrem Hals stecken. Muskeln schienen durch die leuchtende dünne Haut, während die Runen sich in ihren Körper fraßen.

Ungelenk griff Vita nach der Nadel. Kaum hielt sie diese in der Hand, zerfiel das Metall wie zuvor zur Asche, ein kurzer Schmerzimpuls schoss durch seinen Körper, verklang aber sofort wieder.

Blieben nur noch zwei Nadeln.

„Mein Traum...“, krächzte sie. „Ich werde nicht zulassen, dass du ihn zerstörst.“

Vitas Atem ging nur noch rasselnd, während sie sich weiter bewegte. Noch mehr graue Strähnen durchzogen ihr Haar, ihre Haut war blass geworden.

Es fehlte nicht mehr viel, nicht mehr viel und er würde sie besiegt haben. Vorfreude kribbelte in seinem Inneren, gepaart mit dem unguten Gefühl, dass er bereits wusste, wie das Ende aussehen würde.

Mit langsamen Schritten kam sie auf ihn zu. Die Speerspitzen waren ihr entweder zu ungenau geworden oder sie konnte sie nun nicht mehr einsetzen, aber das kümmerte ihn auch nicht weiter.

Ohne sie zu beachten, lief Landis in die Richtung, in die er die zweite Nadel hatte fliegen sehen.

Auf einmal spürte er, wie ihm die Luft wegblieb. Es war als ob etwas oder jemand ihm die Kehle zudrücken würde. Verwirrt griff er an seinen Hals, aber da war nichts.

Sein Blick ging zu Vita. Sie stand zwar in einiger Entfernung, aber ihre linke Hand war ausgestreckt als ob sie versuchen würde, jemanden zu würgen.

Ihre Macht reichte also doch noch für kleinere Tricks.

Panisch schnappte Landis nach Luft, doch nichts davon kam in seine Lungen.

N-nein, nicht so, nicht so!

Sterne begannen vor seinen Augen zu tanzen, seine Lungen lechzten nach Sauerstoff, das warme Gefühl einer drohenden Ohnmacht versuchte, ihn einzulullen, obwohl er gegen aller Macht dagegen ankämpfte.

Gerade als er glaubte, nicht mehr widerstehen zu können, schrie Vita auf. Der Zauber wurde aufgelöst, hektisch sog er so viel Luft wie möglich ein.

Noch bevor er sich fragen konnte, was geschehen war, ging die Sylphe mit einem furchterregenden Kreischen in die Knie. In ihrem Rücken steckte eine weitere Nadel.

Landis' Blick ging zu Oriana weiter, die einige Meter entfernt stand und offensichtlich dafür verantwortlich war. Er lächelte ihr zu. Sie nickte und huschte wieder davon.

Danke, Ria.

Vitas Körper schien regelrecht zu schrumpfen, die Haut spannte sich über die Knochen, die deutlich hervorstanden. Ihr Haar wurde vollkommen grau und lichtete sich deutlich.

Die Nadel zerfiel plötzlich, diesmal ohne berührt worden zu sein, noch einmal schossen Schmerzen, dieses Mal intensiver, durch Landis' Körper, der allerdings standhielt.

Blieb nur noch eine einzige.

Suchend blickte Landis sich nach der Nadel um. Sie war in diese Richtung geflogen, also musste sie sich auch irgendwo dort, wo er augenblicklich stand, befinden. Je länger er suchte desto nervöser und unruhiger wurde sein Blick. Hinter sich hörte er bereits wieder Vitas rasselndes Atmen und das Rascheln ihrer Kleidung. Als er über die Schulter sah, entdeckte er, dass sie auf allen vieren auf ihn zukroch. Anscheinend fehlte ihr inzwischen die Kraft, sich wieder aufzurichten. Ihre Haut war genauso grau geworden wie ihr Haar, ihre Augen blickten ihn kalt und leblos an.

Normalerweise würde ein solcher Anblick eher belustigend wirken, aber in Landis zog sich alles zusammen. Er musste die Nadel finden und das sofort!

„Warum gibst du nicht endlich auf?“, hörte er Vitas Stimme, plötzlich wieder so sanft und schmeichlerisch wie immer. „Es hat keinen Zweck. Denkst du wirklich, du kannst mich besiegen?“

„Anfangs nicht“, gab er zu, ohne sie anzusehen. „Aber inzwischen weiß ich, dass ich gewinnen kann. Nein, ich muss gewinnen! Es gibt keine zweite Chance.“

Wenn er die Verräterin nicht vernichten würde, könnte dies das Ende der Naturgeister sein und damit möglicherweise der gesamten Welt. Es gab keine Alternative.

Die Wolkendecke bekam Risse, Mondlicht fiel auf die Dachterrasse – und ließ etwas in Landis' Blickfeld glitzern.

Triumphierend stürzte er sich auf die Nadel und hob diese auf. Schließlich wirbelte er herum und sah auf Vita hinab. Nichts erinnerte mehr an die majestätische Würde, die bislang an ihr gehaftet hatte. Stattdessen wirkte sie wie eine alte Hexe, deren Magie abhanden gekommen war und die sich mit aller ihr verbliebenen Macht an das Leben klammerte.

Nur noch ein Wurf und sie würde aus dieser Welt verschwinden, worauf diese sich erholen könnte, bis wieder jemand versuchen würde, sie zu vernichten.

Nein, daran durfte er nicht denken. Bestimmt würde alles gut werden, wenn er das hier und jetzt beenden würde. Er musste nur noch werfen, dann war alles vorbei. Alles...

Vita hob den Kopf und fauchte. Scharfe, blitzende Reißzähne füllten plötzlich ihren Mund, ihre Zunge schien auf die doppelte Größe anzuschwellen. Was immer in ihrem Körper vorging, sie war nun nicht mehr eine einfache Sylphe.

Ohne weiter nachzudenken, warf Landis die Nadel, die ihr Ziel fand.

Ein gellender Schrei tönte über das Dach des Palastes, die nahegelegenen Fenster zerbarsten bei diesem Geräusch.

Fassungslos starrte Landis auf den zuckenden Leib hinunter, von dem dunkler Rauch aufstieg. Der Schrei verklang langsam, zeitgleich damit, dass der Körper zu schmelzen begann.

Zurück blieb nur das Kleid, das sie immer getragen hatte und die Asche der letzten Nadel.

Doch die erwartete Erleichterung blieb aus. Stattdessen spürte er einen plötzlichen Schmerz in seiner Brust, intensiver und zielgerichteter als die Impulse zuvor.

Mit einem leisen Stöhnen ging Landis in die Knie. Noch bevor er zurückfallen konnte, spürte er wie jemand seinen Rücken stützte. „Lan, alles in Ordnung?“

Er lächelte Oriana zu, auch wenn ihm nicht nach Lächeln war. „Ria...“

„Was ist denn los, Lan?“

Die Besorgnis in ihrer Stimme war geradezu greifbar, so dass sein Lächeln wieder erlosch. „Es tut mir Leid, Ria.“

„Was denn?“

Panik mischte sich in ihre Besorgnis. Für einen Moment schloss er seine Augen. „Einfach alles. Dass ich dich so oft verletzt habe... und jetzt wohl auch.“

Ihre Stimme zitterte, als sie nachhakte, was er damit meinte. Wieder sah er sie an. „Es scheint als müsste ich dich schon wieder allein lassen.“

„Bitte nicht“, sagte sie leise.

Tränen tropften auf sein Gesicht. Behutsam hob er die Hand, um ihr die nachkommenden Tränen wegzuwischen. „Es tut mir so Leid...“

„Warum muss das geschehen?“, schluchzte sie.

Inzwischen war ihm bewusst, was der Wutausbruch seiner Mutter für eine Bedeutung hatte, was geschehen war, als sein Blut mit den Runen ihrer Lanzetten in Berührung gekommen war, welch unglücksseeliges Band er dabei zwischen sich und Vita gesponnen hatte. Aber ihm bleib keine Zeit, ihr all das zu erklären. Dafür gab es viel zu viele andere Dinge, die er ihr noch sagen woltle, während das Leben aus seinem Körper wich.

„Ich... kann es dir leider nicht erklären. Aber es ist Teil eines... höheren Plans, das weiß ich.“

Verzweifelt schluchzend drückte sie ihn an sich. „Bitte, geh nicht. Verlass mich nicht schon wieder.“

Er strich ihr durch das Haar und schloss seine schwer gewordenen Lider. „Keine Sorge. Auch wenn du mich nicht sehen kannst... ich werde immer bei dir sein... Ria...“

Seine Hand fiel leblos hinunter. Noch einmal drückte sie ihn an sich, aber von ihm kam keine Reaktion mehr. Schließlich richtete sie sich wieder auf, legte den Kopf in den Nacken und stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus, der in einem Schluchzen unterging.
 

Ungläubig sahen Aurora, Aidan und Nadia zu den beiden hinüber.

„Das... das kann nicht sein...“, murmelte Aidan. „Er hat doch so hart gekämpft und endlich war er am Ziel. Warum musste er sterben?“

Die anderen antworteten nicht. Keiner von ihnen wusste, was man darauf antworten sollte, weil jeder von ihnen genauso überfragt war wie er.

Aurora drehte sich um, als sie Schritte hörte. Yarah blieb stehen und verschränkte die Arme vor dem Körper. Ihr Gesicht war völlig unbewegt, obwohl Aurora sich sicher war, dass die Puppenspielerin genau wusste, was geschehen war.

Wütend trat die Rothaarige auf sie zu. „Warum hast du das zugelassen!? Du hast gewusst, was passieren würde, das stimmt doch, oder?!“

Ein bitterer Zug huschte über Yarahs Gesicht. „Der Ausgang war immer derselbe. Ob Landis diesen Kampf gewonnen oder verloren hätte, er wäre auf jeden Fall gestorben. Du solltest froh sein, dass es so ausgegangen ist und nicht anders.“

„Froh!?“, platzte es aus ihr heraus. „Landis ist tot! Das war so nicht abgesprochen!“

Yarah hob die Schultern. „Asterea und ich wussten, dass es so enden würde, seit Landis sich an den Nadellanzetten gestochen hat. Sein Blut verband seine Seele mit den Runen, dafür ging mit jeder zerstörten Nadel ein Teil seiner selbst verloren, bis es zu diesem Ergebnis kam. Wir haben versucht, diese Verbindung rückgängig zu machen oder eine solche neu mit Astereas oder meinem Blut zu schließen, aber die Runen akzeptierten nur sein Blut - warum auch immer.“

Ihr war anzusehen, dass sie selbst nicht verstand, welcher Fehler begangen worden war, dass die Runen auf sonst niemanden mehr reagierten. Doch die anderen waren zu aufgebracht, um überhaupt darüber nachzudenken.

„Warum hast du das nicht früher gesagt?“, fragte Nadia.

Die Puppenspielerin erwiderte ihren Blick kühl. „Weil es nichts genutzt hätte. Hätte er nicht alle Nadeln verwendet, wäre Vita nicht gestorben und dann hätte sie ihn getötet.“

„Hätte, hätte, hätte!“, blaffte Aurora. „Das ist alles, was du sagen kannst! Wir haben ihn einfach sterben lassen...“

„Ich kann verstehen, dass ihr mich nun hasst, aber ich bin sicher, dass ihr irgendwann einsehen werdet, dass ich im Recht bin.“

Yarah drehte sich um und ging ohne weitere Worte davon.

Aurora wollte ihr im ersten Moment hinterher, doch als sie in ihrem Augenwinkel eine Träne entdeckte, ließ sie es. Auch wenn Yarah so tat als ob sie dieser Tod nicht berühren würde, traf er sie doch um einiges härter als gedacht.

Statt die Puppenspielerin zu verfolgen, wandte Aurora sich wieder in Orianas Richtung. Die junge Frau weinte immer noch, den Körper ihrer Jugendliebe eng an sich gedrückt.

Aidan legte den Kopf in den Nacken. „Kein einziger Stern ist zu sehen.“

Die anderen beiden sahen ebenfalls hinauf. Die Wolkendecke war wieder geschlossen, ein heftiger Donnerschlag war zu hören, kurz bevor der Regen erneut einsetzte.

Aurora seufzte leise. „Ich könnte jetzt was Klischeehaftes sagen, aber ich lasse es lieber.“

„Was wird jetzt aus uns?“, fragte Nadia leise.

Die beiden sahen sie an, doch Aurora lächelte zuversichtlich. „Nur keine Sorge. Auch wenn das alles hier traurig geendet hat, uns steht bestimmt eine glückliche Zukunft bevor, da bin ich mir sicher.“

Nadia schluckte ihre scharfe Erwiderung hinunter und nickte. „Ja, bestimmt.“

Auf einen hellen Blitz folgte ein weiterer Donnerschlag, der die drei schließlich dazu brachte, auf Oriana zuzugehen, um ihr beizustehen.

Träume leben ewig

Vorsichtig schlich das Mädchen sich an den Kirschbaum heran. Ihr Ziel saß direkt davor und schien wie so üblich vor sich hinzudösen. Eine silberne Kette mit einem verschlungenen Anhänger hing um seinem Hals und wartete nur darauf, gestohlen zu werden.

Das wird zu einfach.

Direkt vor dem Baum hielt sie wieder inne und holte tief Luft.

„LANDIS!“

Der Schrei hallte bis zu den nahestehenden Häusern, war den Bewohnern inzwischen aber derartig bekannt, dass keiner von ihnen auch nur den Blick hob.

Der Junge unter dem Baum dagegen schreckte aus dem Schlaf hoch. „Wer? Wie? Was?“

Seine braunen Augen fixierten das Mädchen, das sich inzwischen lachend auf dem Boden rollte. Sie schnappte nach Luft, während sie Worte hervorstieß: „Oh Mann... dein Gesicht...!“

Schmollend verstaute er seinen Anhänger wieder unter seiner Kleidung. „Das war nicht lustig, Rina.“

Schlagartig hörte sie auf zu lachen und setzte sich wieder hin. „Fand ich schon. Weil du jedes Mal so reagierst.“

Ihr leises Kichern stimmte ihn wieder gnädig. Er konnte ihr einfach nicht böse sein, egal wie sehr er es versuchte. Plötzlich tippte sie auf seine Nase. „Außerdem sollst du nicht dauernd tagsüber schlafen. Du solltest lernen und trainieren, damit du einmal ganz stark und schlau wirst.“

„Und dann kann ich dich heiraten?“, fragte er aufgeregt.

Sie nickte lächelnd. „Sobald du stärker bist als ich, damit du mich beschützen kannst, werden wir heiraten.“

Seine Augen begannen zu leuchten. „Dann werde ich ganz stark werden! Und dann werde ich dich heiraten!“

Die Umarmung der beiden wurden von zwei lächelnden schwarzhaarigen Frauen aus einiger Entfernung beobachtet. Renea kicherte. „Sind sie nicht niedlich?“

Oriana lächelte matt. „Das ist wahr.“

„Aber dass du ihn wirklich Landis genannt hast...“

Renea beendete den Satz nicht, aber das Thema war in den letzten Jahren ohnehin immer wieder zwischen ihnen besprochen worden.

Der kleine Junge war der Sohn von Landis, der inzwischen als Held in Király galt. Für Oriana war es selbstverständlich gewesen, ihm den Namen seines verstorbenen Vaters zu geben. Nicht unbedingt, weil er ebenfalls ein Held werden sollte, aber er sollte den Namen mit Stolz und hoch erhobenem Kopf tragen und für die Nachwelt aufbewahren. Außerdem war das neben dem Anhänger um den Hals das einzige Andenken an seinen Vater, das er besaß.

Fast sechs Jahre waren seit der schicksalhaften Nacht vergangen.

Frediano war von Königin Juno zum Tode verurteilt, Sir Dorugon dafür von allen Anschuldigungen freigesprochen worden.

Der Posten des Kommandanten war an Nolan übergeben worden, der zwei Jahre darauf Nadia, die immer noch als Kellnerin arbeitete, geheiratet hatte. Beide waren im Jahr nach den Ereignissen um Sicarius Vita auf der Suche nach einem Etwas, über das keiner von beiden sprechen wollte, losgezogen und zur Überraschung aller als Paar zurückgekommen.

Aidan dagegen war inzwischen Page von Prinz Svarog geworden, ein Posten, der ihm außerordentlich gut gefiel und dessen er nie müde wurde.

Kenton war immer noch Berater der Königsfamilie und verheiratet mit der menschlich gewordenen Aurora. Das gemeinsame Kind der beiden war nur wenige Monate jünger als der kleine Landis.

Kureha war zur ersten Nekromantin von Király erklärt worden und setzte sich verstärkt für die Rechte solcher Leute wie sie ein, auf dass Menschen keine Angst mehr vor ihresgleichen haben würden.

Oriana und Milly waren nach Cherrygrove zurückgezogen, wo das Mädchen eine Ausbildung zur Kavalleristin angefangen hatte.

Auch für Prinzessin Selene war inzwischen ein Heiratskandidat gefunden worden und es handelte sich nur noch um Tage, bis sie ins Ausland abreisen und ihre Familie verlassen würde.

Königin Juno hatte Sicarius Vita aufgrund all seiner Fürsprecher und Fredianos Geständnis von allen Verdächtigungen freigesprochen und damit den Namen jedes einzelnen Mitglieds wieder reingewaschen. Gerüchte besagten, dass sie ihrem Sohn bald den Thron überlassen würde.

Die Puppenspielerin Yarah war noch in derselben Nacht spurlos verschwunden, aber Händler berichteten, dass sie erfolgreich Vorstellungen im Ausland gab.

Oriana hob ihre Tasse, um von ihrem Tee zu trinken. Kurz nach Landis' Tod hatte sie sich so leer und einsam gefühlt, trotz ihrer kleinen Tochter. Doch seit der Geburt des kleinen Landis war ihr Lächeln zurückgekehrt und sie war der sicheren Überzeugung, dass es nicht wieder einfach so verschwinden würde.

Besonders wenn sie sah, wie Rina und Landis miteinander spielten oder bereits Heiratspläne schmiedeten, ging ihr Herz auf. Und so verbrachte sie viele Stunden gemeinsam mit Renea, der sie nun näher stand als früher, um die beiden Kinder zu beobachten.

Jedesmal fielen ihr dabei wieder die letzten Worte des Mannes ein, den sie geliebt hatte. „Auch wenn du mich nicht sehen kannst... ich werde immer bei dir sein... Ria...

Wieder einmal lächelte Oriana, als sie mit den Augen der Flugbahn einer Kirschblüte folgte.

Ja, du bist immer bei mir. Und jetzt weiß sogar ich, dass Träume ewig leben können. Vielen Dank – für alles.
 

***********************************
 

A/N:

Das war auch schon das Ende.

Ich danke allen Kommentarschreibern und auch jenen, die diese Geschichte ohne jegliche Rückmeldung verfolgten.

Ein etwas längeres Nachwort könnt ihr unter einem der beiden Links finden (ist beide Male derselbe Text, nur hat nicht jeder Zugriff auf meinen Animexx-Blog):

http://animexx.onlinewelten.com/weblog/71322/364639/

http://alonad.livejournal.com/2955.html



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Von:  Lianait
2012-08-30T16:31:18+00:00 30.08.2012 18:31
Ich glaube so viele weinende Smiley, wie im Kommentar des letzten Kapitels hab ich noch nie auf einmal benutzt. Ich war auch so unglaublich mitgerissen von den letzten beiden Kapiteln. Der Kampf gegen Blöd-Fredi und der gegen Vita, bei der ich immer noch ein an weiteres Motiv denken muss, genau wie bei Yarah.
Und jetzt bin ich schon beim Epilog. Ich kann noch gar nicht glauben, dass es jetzt vorbei ist... Gut, dass es noch den zweiten Teil gibt. Q___Q
Dann erd ich mal endlich lesen. Q__Q
Ich habe ga die Vermutung, nein, die Hoffnung, dass Ria von dieser einen Nacht mit Landis schwanger geworden ist, und nun wenigstens noch etwas von ihm hat. Q__Q

> „Das war nicht lustig, Rina.
RiNa und Landis? ich dachte, dass es vielleicht doch ein Rückblick in die Kindheit/Jugend von Landis und Oriana ist, aber ich scheine falsch zu liegen. ^^;

> „Und dann kann ich dich heiraten?“, fragte er aufgeregt.
Awww~ wie niedlich. :3

> „Sobald du stärker bist als ich, damit du mich beschützen kannst, werden wir heiraten.“
Awwwwwwww~~~ Noch viel niedlicher. :3

> „Sind sie nicht niedlich?“
Unglaublich niedlich. x3

> „Aber dass du ihn wirklich Landis genannt hast...“
Ich hatte Recht. :,D *sehr glücklich darüber*

> Außerdem war das neben dem Anhänger um den Hals das einzige Andenken an seinen Vater, das er besaß.
Q______Q
Hat es mit dem Anhänger eigentlich noch eine andere Bewandnis außer, dass sich Landis an die Sache mit den Nymphen erinnern und nicht denken sollte, alles sei ein Traum gewesen? Das hab ich mich jetzt schon eine Weile gefragt.

> Der Posten des Kommandanten war an Nolan übergeben worden, der zwei Jahre darauf Nadia, die immer noch als Kellnerin arbeitete, geheiratet hatte.
Ich hatte gehofft, dass die beiden zusammenkommen würden. xD (Bei der Sache mit dem Kommandanten hab ich mich wieder selber gespoilt, weil ich Steckbriefe gelesen habe. :,D)

> Beide waren im Jahr nach den Ereignissen um Sicarius Vita auf der Suche nach einem Etwas, über das keiner von beiden sprechen wollte, losgezogen und zur Überraschung aller als Paar zurückgekommen
Ich glaube, ich muss Seelenjäger lesen. xDDDD (Naja, NACH Traum vom Tod. xD)

> Kenton war immer noch Berater der Königsfamilie und verheiratet mit der menschlich gewordenen Aurora.
Oho, gibt er ihren Flirtversuchen im Reboot auch nach? xDDDD

> Kureha war zur ersten Nekromantin von Király erklärt worden und setzte sich verstärkt für die Rechte solcher Leute wie sie ein, auf dass Menschen keine Angst mehr vor ihresgleichen haben würden.
Sie ist toll. Q__Q
Ich würde auch gerne mehr über sie lesen, wenn ich ehrlich bin. :)

> wo das Mädchen eine Ausbildung zur Kavalleristin angefangen hatte.
Oder über Milly. xDDDD Ich liebe sie irgendwie sehr. :3
Am besten über BEIDE! *___* (Also über Milly und Kureha.)
> Die Puppenspielerin Yarah war noch in derselben Nacht spurlos verschwunden
*hegt wieder seltsame Vermutungen*

> „Auch wenn du mich nicht sehen kannst... ich werde immer bei dir sein... Ria...“
Toll, jetzt hab ich doch, wieder Pipi in den Augen. Q____Q

Das Ende hate wieder einen Hauch von traurig. Q__Q Traurig aber immer noch toll. Ich mochte die ganze Geschichte sehr, auch wenn ich es unglaublich schade finde, dass Landis gestorben ist. Q_____Q
Trotzdem habe ich immer noch meine gewissen Vermutungen, dass mehr hinter allem Steckt und bin sehr froh, dass es mit Lilienjäger weitergeht, worauf ich auch schon sehr gespannt bin. Bei dir weiß ich irgendwie nie, mit was ich zuerst anfangen soll, zu lesen. xDDD Ich hoffe ja auf ein Wiedersehen mit ein paar bekannten Charakteren. :3
Auch wenn du eine Hassliebe zu Projekt hegst, mag ich es unglaublich gerne, ich mag auch hier diene Beschreibungen und freue mich auf deine noch tollere Schreibweise im Reboot. Du schaffst es immer wieder, dass man irgendwie alle Charaktere liebgewinnt, was ich unglaublich toll finde. Außerdem finde ich die Charakterentwicklung von landis sehr schon und auch seine ganze Geschichte zu hören, wenn sie bereits kurz vorm Ende ist.
Ach, ich fands einfach toll, sonst hötte ich ja auch nicht die Creepiness in mir befreit und alles so schnell auf einmal gelesen. :3
Von:  Lianait
2012-08-30T15:59:38+00:00 30.08.2012 17:59
Das letzte Kapitel. Q_________________________________________Q
Eben hab ich schon wieder vergesse, es zu sagen, aber der Kampf hat mich so mitgerissen, dass ich irgendwie nichts zitiert habe, obwohl ich eigentlich wollte. Ich fand den Kampf sehr dynamisch. :3

> Das, was der Grund für all diese Ereignisse war, warum gerade er im Besitz dieser Nadeln war und warum Vita glaubte, dass er der einzige wäre, der sie aufhalten könnte.
*a wild theory appears again*
Auch in Landis ist ein Teil von Astis Kraft, nicht nur in den Lanzetten? Ô__o

> wenn er diesen Tag überleben würde.
Q________________Q
Dorchadas und so? Q________________Q

> Inzwischen war er sogar bereit, seinen eigenen Tod zu akzeptieren, nur um endlich frei zu sein.
*das gar nicht will, auch wenn sie weiß, dass es trotzdem eintreten wird* Q___Q

> den Nadeln, die in unterschiedliche Richtungen davonfloge
Da fällt mir ein: Hätte Landis nicht auch die Runen auf andere Waffen gravieren können? So wie der Bürgermeister? Wenn sie alle die Runen gehabt hätten, hätten sie Vita ja gemeinsam angreifen können. Ehre hin oder her. Oder waren die Runen einfach nicht zu übertragen?

> Kaum hielt sie diese in der Hand, zerfiel das Metall wie zuvor zur Asche, ein kurzer Schmerzimpuls schoss durch seinen Körper, verklang aber sofort wieder.
*second wild theory appears*
Asti hat entwerder ihre Kräfte auf Landis übertragen oder die Nadeln sind nun seine persönliche Waffe gewordern. Wenn sie alle vernichtet sind, erhällt er dann auch schaden.

> „Mein Traum...“, krächzte sie.
Aber ist ihr Traum nur die Vernichtung der Menschheit oder doch etwas ganz anderes?

> Vorfreude kribbelte in seinem Inneren, gepaart mit dem unguten Gefühl, dass er bereits wusste, wie das Ende aussehen würde.
Todesorakel-Schmodesorakel. Q_____Q

> Danke, Ria.
Ja, danke Ria. Q_________Q

> Normalerweise würde ein solcher Anblick eher belustigend wirken
*findet solche anblicke eher creepy* *mag aber creepy* :,D

> Stattdessen spürte er einen plötzlichen Schmerz in seiner Brust, intensiver und zielgerichteter als die Impulse zuvor.
Ich habe das ungute Gefühl, dass meine zweite Theorie richtig sein könnte und er stirbt, weil die nadeln zerstört worden sind. Q______Q

> Seine Hand fiel leblos hinunter.
Ich sitze mit Pipi in den Augen hier vorm PC. Immer diese Dramatik. Q_____________Q

> warum auch immer.
Aber warum denn? Ich vermute verräterische Motive, aber es könnte genausogut an den Runen selber gelegen haben. Hm~

> Auch wenn Yarah so tat als ob sie dieser Tod nicht berühren würde, traf er sie doch um einiges härter als gedacht.
Verräterische Vermutungen wurden wieder eingedämmt. D;

Immer noch Pipi in den Augen. Q_______________Q
Ich wusste es ja, aber ich wollte es immer noch bis zum Schluss verleugnen. Mir war Landis so ans Herz gewachsen und es tut mir so unglaublich für Ria Leid. Q____Q Und für Landis. Besonders für Landis. Q_________Q
Ich glaube, ich gehe jetzt schniefend zum Epilog. Q_____Q
Von:  Lianait
2012-08-30T15:24:35+00:00 30.08.2012 17:24
Eigentlich bin ich voll K.O. und müde, aber das Ende des letzten Kapitels war so episch und toll, dass ich einfach weiterlesen MUSS. O__________O


> Oriana war dazwischen gegangen und hatte den Kampfplatz gemeinsam mit Frediano verlassen.
Ich dachte gerade, dass hier der Prolog erneut erzählt wird, weil es so ähnlich ist, aber scheinbar hat der Prolog dann vor 8 Jahren gespielt. :)
[...] Aber es klingt so gleich im Wortlaut. D:

> Seine Liebe war sogar so groß gewesen, dass er glücklich gewesen war, dass ihr erstes Kind kein Junge, sondern ein Mädchen gewesen war, obwohl das seinen eigenen Tod bedeutet hatte.
*schnief* Q______________________________________Q *heul*
Verliert er im Reboot auch seine Seele? D:
Ich weiß grade nicht, wen ich lieber mit Ria sehen will, Landis oder Toll-Fredi. D;

> Wie der Phönix aus der Asche war er wieder auferstanden, um sich zu nehmen, was ihm zustand.
Wow, was für ein Bild. O:
Ich bemerke immer wieder Ähnlichkeiten zwischen Landis und einer meiner Hauptfiguren. Zumindest ein bisschen. Vielleicht mag ich ihn deshalb so gerne. Q____Q

> Oriana hielt den Atem an, während die beiden sich unterhielten.
*macht mit*

> Konnte Landis sich wirklich so sehr in dem Kommandanten getäuscht haben?
Oder war er nur durch Vita so geworden?

*glaubt an keins von beidem, sondern an eine dritte Möglichkeit*

> Er dagegen drehte sich wieder um und sah dem Schicksal abwartend entgegen.
Q______________________________________Q
Eigentlich will ich ja wissen, wie es weitergeht, aber ich hab die Steckbriefe von traum vom Tod gelesen und habe Angst vor dem, was mich erwartet. Q____Q
Aber Lan und Ria und so. D:
Von:  Lianait
2012-08-30T14:56:11+00:00 30.08.2012 16:56
Bals ist es zu Ende. D:
(Ich musste grade daran denken, dass Ciela zurückkomt und ich dann einfach SV in der Zeit gelesen habe. xDDDDDD)


> Aurora und ich lehnten gegen einen der Bäume und sahen uns um.
Das Bild ist in meinem Kopf irgendwie sehr toll. :3

> Interessanterweise wirkte er nicht einmal sehr überrascht.
Vielleicht ist er ja auch schon ein seelenloser Zombie. °____°

[...]
Von dem gesamten Kampf habe ich jetzt nichts kommentiert, weil ich es zu spannend fan, um es zu unterbrechen.

> dann fuhr sie hastig herum und verschwand in einem Sturm von Kirschblüten.
Stylisch, Vita, einfach nur stylisch. *___*

> Bevor einer der anderen noch etwas fragen konnte, zerfiel Landis' Körper plötzlich in mehrere Einzelteile, genau wie die Puppen in Old Kinging.
O______________________________________________________O
Damit hab ich jetzt voll nicht gerechnet, irgendwie.
Aber auch Landis ist sehr stylisch. Erzählt lang und breit seine Lebensgeschichte und dann ist er gar nicht wirklich da. Ö__Ö

> „Sicher“, antwortete der Berater, als er sich ihm wieder zuwandte.
Wuss?! Kenton hängt da doch mit drin? O___________________O
OMG, ich muss weiterlesen. Ö_______________Ö

> Wir beide wissen, dass du kein Geheimnis für dich behalten kannst - und ich konnte es mir nicht erlauben, Frediano von meinem Plan wissen zu lassen.“
Verzeih mir, dass ich je an dir gezweifelt habe, Kenton. Q___Q

> Sir Richard, Nolan, bitte geht und redet mit Ihrer Majestät über das, was Landis erzählt hat.
Würde die Königin nicht ihrem eigenen Berater eher Glauben schenken? Obwohl...

[...]
Es scheint sich jetzt ein epischer Endkampf anzubahnen. Ö____Ö
Eigentlich ist es ja unwichtig, aber wer ist die größte Gestalt gewesen und wer ist neu dazu gekommen?

> wo sie sofort auseinanderspritzten
Was machen sie? Ö___Ö

> Die Dachterrasse war leer – abgesehen von der Gestalt, die ihr Schwert hob und es Landis entgegen streckte.
Epischer Endkampf auf dem Schulhofdach Schlossdach. O__O

So langsam nähren wir uns wirklich dem Ende und der Prolog wird sich jetzt wohl bewahrheiten. Q_____Q
Von:  Lianait
2012-08-30T14:16:53+00:00 30.08.2012 16:16
Nur noch vier Kapitel und der Epilog. Q____Q Bald isses also vorbei. Q____Q

> So lange war ich in dem Glauben gewesen, diesen Ort nie wieder zu betreten.
Ich will auch nach Cherrygrove. :3

> Besonders Nadia versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und trug ihre übliche Kälte zur Schau.
Ich finde das immer wieder niedlich. :3

> Onkel Faren!
Faren!!!! *________*
Ich mag Faren und hab schon gehofft, zumindest einen aus Kierans Jahrgang wiederzutreffen. Aber es ist Faren. *____*

> Die violetten Haare
Ich dachte seine Haare wären braun gewesen. .__.

> Der in die Jahre gekommene Mann kam lächelnd auf mich zu
Faren ist doch niemals in die Jahre gekommen! *___*

> Er war mitunter für unsere Ausbildung verantwortlich
Konnte sich wahrscheinlich nicht drücken. xDDD

> der Vater von Kenton
Was immer wieder verwunderlich ist. xDDDD
[...] Landis sprich es ja auch selber gleich danach an. xDDD

> Sie war wie eine Cousine
Was für ein Vergleich, Landis. xDDDDDDDD

> Ohne zu klopfen führte Faren mich in das Haus hinein und schon bald standen wir im Wohnzimmer.
xDDDDDDDD
Faren war auch damals schon so. xDDDD

> Ich erinnerte mich noch gut an ihre Enttäuschung, als sie erfahren hatte, dass sie kein Orakel werden könnte.
Ich muss grade an diese Todesorakel-Sache denken... Kommt das erst am Ende?

> Du hast recht. Mich würde es nicht freuen, wenn die Frau, die ich liebe, plötzlich nen anderen heiratet und eine Familie gründet – selbst wenn sie damit glücklich ist.
Faren, du bist toll. Q__Q

> aber dennoch war da immer noch dieses Gefühl, dass ich ebenfalls nicht überleben würde.
Oder sind das die Todesorakel-Züge?

> „Was ist dann passiert?
Genau, was ist dann passiert? xD
Ich sehe schon kommen, dass ich das hier heute zu Ende lesen... Danach werde ich mich wohl tatsächlich den LC widmen. xDDD
Von:  Lianait
2012-08-30T13:50:06+00:00 30.08.2012 15:50
Die Creepiness muss ja voranschreiten, nicht wahr? :,D
(Außerdem will ich nicht schlafen gehen. >_>)

> Aber wenn sie schon mal nicht dabei war...
Ich sollte nicht immer so viele wilde Theorien durch die Gegend werfen, oder? D; Blindes Huhn und so.

> Aidan dagegen schien sie ziemlich zu mögen, wie eine kleine Schwester
Wäre der letzte Teil des Satzes nicht gewesen, hätte ich mir wieder Dinge erhofft und so. xD

> Es konnte ja nicht jeder ängstlich sein, dennoch machte es mir Sorgen, dass gerade ich der Ängstliche war.
Naja, Landis, du bist aber auch der Normalo der Gruppe, da darf man das manchmal.

> Er mochte Kureha und schien offenbar nicht einmal zu verstehen, warum Brunsriver sie so fürchtete.
Wie gesagt, wenn der Schwester-Halbsatz nicht gewesen wäre. :,D

> Der Gedanke, irgendwann wieder mit ihr oder einem der anderen zu reden, war inzwischen so unwirklich, dass ich sicher war, dass es nie wieder passieren würde.
Armer Landis. Q___Q

> Sie hielt den Blick gesenkt, ihre Lippen bewegten sich unablässig, aber es war kein Ton zu hören. Was tat sie da?
Blinde Hühner!!! Also doch ein Verräter unter den Frauen? O__O

> Es sah fast so aus als würde sie Reue empfinden
Oha, was do wohl passiert? O___O *gespannt*

> Von ihrem sonstigen kalten Lächeln war diesmal nichts zu sehen, ihr Blick war traurig, ihre Augen dunkel.
Was geht hier vor? D: *hat die ganze Zeit WTF?!-Momente wegen Vitas ungewöhnlichem Verhalten*

> Kaum verließ ich das Gasthaus, sah ich sie auf einer Bank sitzen, von der aus sie in den Himmel starrte.
O____O
Jetzt echt? D:
Vielleicht eine Doppelgängerin?
Oder könnte es jetzt tatsächlich um ihre wahren Motive gehen?

> Sie lächelte leicht, diesmal war es tatsächlich ein ehrliches Lächeln.
Ich weiß, ich wiederhole mich aber: O_______________O

> Mein Plan sah vor, den Glauben an die Naturgeister zu zerstören. Schwindet der Glaube, schwinden auch die Geister und dann verschwindet auch ihr entsprechendes Gegenstück in der Natu
Aber warum will sie das? Eben wollte sie doch noch über die Menschen herrschen, aber wenn die Menschen nicht mehr an sie glauben, dann existiert sie ja nicht mehr und kann nix von dem machen, was sie wollte. O__o

> Ich werde diese Sache durchziehen – bis ich erfolgreich bin oder vorher sterbe.
Für ihr Durchhaltevermögen trotz ihrer Zweifel muss man ihr ja schon widerwilling Anerkennung zollen. Aber wenn es ihr so wichtig ist, dann muss ja noch mehr hinter der Sache stecken, oder?

> Sie wollte mich nicht töten, sie wollte, dass ich sie umbrachte und damit aufhielt.
Verdammt, jetzt habe ich Mitgefühl mit Vita! Q_____Q

> Tief in mir war dieses Gefühl, das mir sagte, dass noch etwas viel Größeres dahintersteckte, etwas, was ich im Moment noch nicht erfassen konnte.
Das Gefühl steckt nicht nur in dir Landis. °A°

> Warum Yarah allerdings darauf bestanden hatte, diese Beweise erst einmal sicher zu verwahren, entzog sich Landis' Verständnis noch immer.
Ich will eigentlich gar nicht mit meiner Vermutung richtig liegen. °__°
Aber welchen grund hätte Yarah, um Landis zu verraten? Hängt das doch alles mit Kreios zusammen?

Immer noch sind sehr viele Fragen offen, auch wenn sich der Kreis zu schließen scheint. ich mag es, wie du Fragen beantwortest, aber immer noch zweifel an der Antwort lässt oder gar neue Fragen aufwirst. :3
(Übrigens weiß ich immer noch nicht, was ich denn genau erraten habe. xD)
Von:  Lianait
2012-08-29T11:18:22+00:00 29.08.2012 13:18
Wie es wohl weitergeht? *gespannt weiterles*

> „Oh Landis, ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht!“
„Und deswegen legt ihr mich auf dem freien Feld ab?“, maulte ich.

Wieder wunderbar, Landis. xDDDDDDD

> Aurora löste sich wieder von mir, um mir einen tadelnden Blick zu schenken.
Awwww~ Es war Aurora, wie niedlich. :3

> Sammeln wir jetzt alle süßen und zarten Mädchen ein?
Was sich daraus wohl für eine Truppe ergeben würde? :,D

> Aidan schien noch dazu leise im Schlaf zu murmeln
Awwww~~~ Wie niedlich. :3

> Ich wollte warten, bis du aufwachst. Immerhin habe ich mir Sorgen um dich gemacht – das sage ich jetzt zum zweiten Mal
Und es ist auch beim zweiten Mal immer noch niedlich. :3

> Die anderen sahen mich an als wenn sie mich noch nie zuvor gesehen hätten.
Was sich wohl verändert hat? Nicht nur sein ungutes Gefühl, sondern auch seine Freunde. Was wohl der Grund dafür ist?

> Nadia verschränkte die Arme vor der Brust und sah betont desinteressiert zur Seite. „Also ich nicht. Mir war klar, dass du bald wieder aufwachen würdest.“
Wie nieldich kratzbürstig sie ist. :3

> Zwischen uns gab es nichts zu besprechen, ich wollte sie nicht dabeihaben und sie wusste das genau.
Q_______Q
Ich finde es wirklich interessant, wie sich die Beziehungen der Charaktere noch ändern werden. Z.B. dass Nadia nicht mehr so (wenn auch sehr niedlich) kratzbürstig ist und dass Landis besser mit Kureha umzugehen lernt, wie sich ja an der Szene in diesem einen verfallenen Palastgarten zeigt. Sehr, sehr schön~~

> Inzwischen wussten wir, dass sie immer von selbst sprach, wenn sie etwas sagen wollte, auf Fragen aber nur antwortete, wenn es nicht um sie ging.
Mein unguter Verdacht ujm sie erhärtet sich irgendwie. Aber ich mag sie doch. >__< Aber dann wäre sie aber auch fünf Jahre später nicht immer noch bei der Truppe und würde Landis aus dem Kerker holen wollen, oder?

> dass während meiner Bewusstlosigkeit irgend etwas vorgefallen war, was sie zu dieser Übereinkunft geführt hatte.
Ich frage mich was? Ich vermute, dass es etwas mit Landis zu tun haben muss.

> „entziehen einem mystischen Wesen wie einer Nymphe oder einer Sylphe die Kraft, sobald sie mit dessen Blut in Kontakt kommen.“
Ah~~ Das ist also passiert. Asti muss es ja dann schon eine Weile auf Vita abgesehen haben.

> Ich war so kurz davor, die Wahrheit zu erfahren.
Und mit dir also auch ich. *_____*

> Gedanklich verfluchte ich denjenigen, der dafür verantwortlich war.
*flucht mit* Ò____ó

> Aidan setzte sich verschlafen auf.
Auch wenn er damit sehr niedlich ist - verschlafene Leute sind immer niedlich in meinen Augen - wollte ich doch wissen, was Aurora zu sagen hatte. >_<

> Warum galt Vita als Verräterin?
Ja, warum? >_<

Jetzt nach diesem Kapitel bin ich regelrecht erleichtet, weil ich nicht mehr vermute, dass Yarah sie verraten könnte, sondern, dass im nächsten Kapitel Vitas Verrat geklärt werden könnte.
Übrigens will ich auch mal bemerkten, auch wenn du immer deine Hassliebe zum Projekt erwähnst, dass ich es irgendwie alles so schlüssig finde. Die Handlung an sich, und wie jetzt alles aufgeklärt wird. (Wenn wir mal von der Sache mit dem Prinzen absehen) Ich beneide dich regelrecht darum, dass alles so in sich logisch und dennoch verworren ist.
Von:  Lianait
2012-08-29T10:29:16+00:00 29.08.2012 12:29
Ich bin wirklich schon unheimlich gespannt, was denn jetzt passieren wird! *o*

> Ich musste nicht erst das blonde Haar und die tiefblauen Augen sehen, um zu wissen, dass es meine Mutter Asterea war, die gerade hereingekommen war.
Da ist sie! *_____*
Ich weiß gar nicht warum, aber ich mag sie irgendwie sehr gerne.

> Er ist seit Jahren mit dieser Frau zugange-
Also wusste Asti schon lange davon. Ich frage mich, wie sie agiert hat. :3

> Ach, vergiss es, du weißt eh nicht, wovon ich rede.
Der arme Richard. :,D

> So nah und doch so fern.
Sowas ist immer wieder traurig. Q____Q

> Mein Vater sah ihr hilflos hinterher, während sie Frediano folgte. Er seufzte leise. „Diese Frau...“
Der arme Richard. xDDDDD Ich musste grade sooooo lachen, als sie das gemacht hat. xDDD
Ich will dich grade wieder unauffällig auffällig anflauschen, du verstehst? xDDDD

> „Es ist also ein Mädchen, ja?“
Ich hab das ungute Gefühl, das Viat für ihre eigenen Zwecke einen Jungen gebraucht hätte. Das könnte erklären, warum Blöd-Fredi Milly gegenüber so abgeneigt ist... aber, dass er sein eigenes Kind für seine Zwecke benutzen will ist schon... hart, würde ich sagen.
Aber gut, vielelicht hab ich auch einfach nur mal wieder wilde Theorien. xD

> Wie deprimierend, ich hatte mich schon auf diesen Leckerbissen gefreut. Aber die Seelen von Mädchen schmecken nicht.
Er hat ihr die Seele seines KINDES verkauft?! O____________O

> Mhm, sag bloß, dir ist es recht, dass es ein Mädchen ist. Wolltest du nicht einen Jungen als Stammhalter?
Ohje, ich habe die schlimme Befürchtung, dass Blöd-Fredi doch zu einem Toll-Fredi mutieren könnte, wenn er sich all die Jahre Milly und Ria gegenüber absichtlich so verhalten und sie eigentlich geliebt hat. D;

> Aber in diesem Moment konnte ich Liebe, Trauer und Zweifel in seinem Gesicht erkennen, alles so deutlich, dass sogar ich ihn am Liebsten in den Arm genommen hätte.
Ohje, es passiert tatsächlich. Q_____Q
Aber warum macht der dann Deals mit Vita? Nur um Kommandant zu werden? Das hat sicher noch ganz andere Hintergründe.

> „Wäre es ein Junge geworden, hätte ich auch keinen Stammhalter", sprach er meine Gedanken aus. "Deswegen bin ich froh, dass es ein Mädchen ist. Immerhin ist es ein Teil von Oriana, sie hätte unter dem Tod des Kindes gelitten.“
Er ist wirklich grade zu einem Toll-Fredi mutiert. >_<

> Deine. Immerhin hast du die Seele deines Erstgeborenen verkauft, um sie zu bekommen.
Ah, das war also sein Handlungshintergrund.
So.... traurig. Q_____Q

> Es ist falsch, sich die Liebe anderer zu erkaufen.
Verdammt, jetzt mag ich ihn. >_<

> Ich musste unbedingt den genauen Tag herausfinden, um ihn rot im Kalender anstreichen zu können.
Das ist ja auch das Wesentliche hier, Lan. xDDDD

> Ich wollte nähergehen, um zu sehen, ob er wirklich tot war, wie ich vermutete, doch ich traute mich immer noch nicht.
Er hat also tatsächlich keine Seele mehr. Q____Q
Jetzt frage ich mich tatsächlich, wie das denn dann im Reboot sein wird. *____*

> Vitas Köder war vermutlich nur das Sahnehäubchen gewesen, das zum engültigen Bruch führte.
Q__________Q

> Dennoch war Frediano danach der festen Überzeugung gewesen, dass ich ihn hatte sterben lassen wollen und seitdem hasste er mich.
So viele Missverständnisse. Q_________Q

> Regungslos blieb sie liegen, jegliches Leben verschwand aus ihren weit geöffneten Augen, die dumpf in den Himmel starrten.
Neeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiin!!!! >____<
Besser als sich die Seele von Vita klauen zu lassen, damit diese womöglich noch stärker wird, aber trotzdem ist sie ja tot. >_<

> Er wirkte wie ein unbeschriebenes Stück Papier, genau wie die Puppen von Yarah.
Also hat er seine Seele verloren, lebt sein Leben nun weiter und wird von Vita als Marionette misbraucht? Aber warum tötet sie denn dann seine ehemaligen Verbündeten? Ihr eigentlicher Vertrag beinhaltete ja nur Oriana und nicht den Kommandantenposten, also muss ja noch etwas anderes dahinter stecken.

> „Mama...“
Irgendwie macht es dieses eine Wort noch trauriger. Q_____Q

> Oh ja, da war ja noch ein Auftrag, nicht? Ich sollte Landis töten.
Alles für die Seele EINES Kindes? Wenn man bedenkt, dass sie ja auch einfach so durh die Gegend ziehen und Leute aussaugen kann, dann ist die Bezahlung doch ein bisschen... wenig, oder? Es sei denn, dass an dem Kind was ganz besonderes dran sein sollte...

> „Siehst du? Frediano hat mich doch geliebt.“
„Ja ja, dann hab ich die Wette eben verloren.

*LOL* In so einer ernsten Situation an sowas zu denken. xDDDD
Nicht, dass sie grade erfahren hat, dass ihr Mann ein seelenloser Zombie ist und das ganze von dem Mann, mit dem sie dem Zombie fremdgegangen ist. xDDDDDDDDDD

Sehr schönes Kapitel~
Ich frage mich schon, wie du das dann im Reboot mit Fredi ändern willst. Ob er immer noch recht seelenlos ist und so.
Aber eine sehr wichtige Frage bleibt immer noch: Woher weiß Kenton von Vita? Nur durch seine Spione oder steckt auch da mehr dahinter?
Von:  Lianait
2012-08-29T09:40:38+00:00 29.08.2012 11:40
Endlich komme ich dazu weiter zu lesen. *____*
Ich bin nicht nur schon auf dieses Kapitel gespannt, sondern auch auf das folgende. Bei den Kapiteltiteln, die noch kommen, male ich mir irgendwie alles Mögliche aus. xD

> Der Kerl behandelt dich mies, du kannst hier nicht bleiben.
Stimmt wohl. Q___Q
Das erinnert mich auch stark an misshandelte Frauen, die dennoch bei ihren Männern bleiben. .____.

> War das Yarahs Aufmerksamkeit etwa entgangen?
Gedanken dieser Art kommen in letzter Zeit häufiger, wes wegen ich schon fast befürchte, dass Yarah eine Verräterin sein könnte. D;

> Schuld daran war Nolan, der mir immer mit Vorliebe Geistergeschichten erzählt hatte.
Irgendwie finde ich das... niedlich. :,D

> Meine Güte, deine Frau konnte Tote sogar wiederauferstehen lassen.
:O :O :O
Wirst du irgendwann auch mal etwas über diese Frau schreiben? :,D

> Langsam bekam ich das Gefühl, dass all meine Freunde sich früher oft einen Spaß daraus gemacht hatten, mich fürchten zu sehen.
Genau dasselbe habe ich mir auch grade gedacht. xDDDDD
Armer, putziger Landis. :,D

> Nein! Wurde ich denn gar nicht mehr gefragt?
Ich glaube, das liegt primär dara<n, dass du scheinbar nur nominell der Kommandant der Gruppe bist, Landis. Eigentlich hat Yarah die Zügeln in der Hand. :,D

> In einer fließenden Bewegung zog er sein Schwert und sprang auf den Tisch, der sie beide immer noch trennte.
Wer hätte das gedacht? Dass er gleich auf den Tisch hüpft. xDDD

> Getroffen hielt sie inne. Abrupt blieb auch Gawain stehen.
Ah, gut~. Ich hatte mich schon gefragt, warum er denn nicht eingreift und nur zusieht. xD

> Vita ergriff die Nadel mit der anderen Hand. Rauch bildete sich, die Haut straffte sich um die Knochen, die durchzuscheinen begannen.
Stirbt sie etwa jetzt schon? O____O
Nee, oder? Wäre ja doch noch irgendwie zu früh.

> Du verdammter Bastard!
Scheinbar wortwörtlich. :,D

> Von dem Hass und ihrer Wut war nichts mehr zu sehen, sie lächelte sogar wieder.
Sie ist so scary. °______°

> Jetzt sind es noch zwei Opfer.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es irgendeinen ritualistischen Sinn hat, dass sie die Seelen der anderen vorher einsammelt.

> Kureha kniete sich neben ihren Vater, der sich nicht mehr rührte.
Auch wenn er gemeine Dinge mit ihr gemacht hat, tut es mir für sie leid, da er ja scheinbar alles war, was sie hatte.

> So etwas ist noch nie vorher passiert.
Ob Asti die Nadeln irgendwie vorher manipuliert hat? Es muss ja einen Grund haben, dass das nächste Kapitel heißt, wie es heißt. xDDD

> doch plötzlich erklang im ganzen Chaos die Stimme meiner Mutter.
So unerwartet und spannend! Was sie wohl zu sagen hat? *äußerst gespannt*

> „Nein, lass mich in Ruhe!“
Oh, Landis... .__.

> Landis, benimm dich nicht so.
Schön, dass sie das gesagt hat. :)

Oh, ich bin schon sehr gespannt, was Asti ihm wohl sagen wird. *_____*
*gespannt weiterlesen geh*
Von:  Lianait
2012-08-28T19:33:39+00:00 28.08.2012 21:33
(Sorry, für den Doppelpost eben, aber irgendwie stand mein Kommentar dann doppelt da. Ô__o)
Ich hoffe, ich treffe jetzt auch Kureha~
:3

> Er war so ne Art... guter Bekannter.
Ach, ja? Guter Bekannter, soso. >:3

> Du bist so naiv.
Ich fand das eher klug. xD

> Ein nobel gekleideter Man, den ich mit Sicherheit nicht in diesem Haus, in dieser Gegend, erwartet hätte, stand da und sah uns alle kühl an.
Ein Vampir? :,D

> Sein Stimme klang frostig, ganz und gar nicht wie die eines alten Bekannten.
Schade. :,D

> Der Kerl war mir bereits unsympathisch und von mir aus könnte Vita ihn mehrmals umbringen.
*laut auflach*

> Wenn ihr nichts Besseres zu tun habt. Ihr könnt solange hier bleiben, wie ihr wollt.
Abweisend und einladend zugleich, Gawain, du alter Charmebolzen. :,D

> Ich war entschlossen, ihr zu helfen, sofern es in meiner Macht lag.
Awww~~, Landis, du bist so ein guter Kerl! :3 *wäre auch gerne mit ihm befreundet*

> Okay, DAS lag außerhalb meiner Macht.
Oh, Gott, ich musste grade so unglaublich laut lachen. xDDDDD Ich habs ja schon kommen sehen, als Yarah meinte, dass sie sich an den erwachsenen Körper binden muss. xDDDDD
Aber so ganz außerhalb seiner "Macht" liegt es ja auch nicht, wie er meint. xDDD Aber gut, ich mag die beiden als Freunde glaube ich eh lieber.

> Wir werden diesen Keller besuchen!
Ich liebe sie in Momenten, wie diesen. xD Genau wie Landis' Unternehmungslust. xD

> Zwar fand ich es selbst lächerlich und klischeehaft, doch ich streckte die Hand aus und zog daran
Es ist so toll, dass er das denkt. xD

> Erschrocken atmete ich ein, als ich das Mädchen sah, besonders als sie den Kopf hob und den Mund öffnete: „Pa... pa?“
Die arme Kureha! Q______Q *sie in den Arm nehmen will*

Ein wunderbarer Cliffhanger und eigentlich würde ich gerne weiterlesen, aber meine Mitbewohnerin ist heimgekommen, weswegen wir wohl weitergucken. Vielleicht les ich aber die Nacht noch weiter. *____* (Kurehas Geschichte ist so... dramatisch. Armes Kind. Q____Q)


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