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Nebel über Hogwarts

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Das Ende der Kindheit

Nebel über Hogwarts – Kapitel 52: Das Ende der Kindheit
 

Die Osterferien rasten heran, und eine Woche, bevor sie begannen, kam Professor McGonagall in den Gryffindor-Gemeinschaftsraum und trug die Namen derjenigen, die über die Ferien im Schloss bleiben wollten, in ihre Liste ein. James glaubte, dass das Pergament noch nie so leer gewesen war wie in diesem Jahr, so gut wie alle Schülerinnen und Schüler wollten zu ihren Familien nach Hause. Genug Schreckensmeldungen erreichten das Schloss, dass sie sich nicht sicher sein konnten, ob sie ihre Eltern, Großeltern, Brüder, Schwestern, Onkel, Tanten, Cousins, Cousinen und andere, entferntere Verwandte jemals wiedersehen würden, und so gut wie jeder von ihnen wollte diese Gelegenheit nutzen... immerhin konnte es die letzte sein.

Eine Ausnahme bildeten Teile der Fünft- und Siebtklässler, denn immerhin fielen ihre Prüfungen auch trotz des Krieges nicht aus, und ungefähr die Hälfte von ihnen blieb im Schloss, um die Ruhe zu genießen, in der Bibliothek zu sitzen, und für ihre Abschlüsse zu lernen. Auch James und die Rumtreiber gehörten zu ihnen, denn sie alle wollten gute Noten, sogar James und Sirius, die das Thema bis jetzt eher locker gesehen hatten... und wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass Mr und Mrs Potter etwas passieren würde? Wirklich gering. Sie waren nicht im Orden, sie kämpften nicht gegen Du-weißt-schon-wen... sie saßen einfach nur zu Hause und gingen zur Arbeit. Sie waren sicherlich sicher – oder zumindest versuchte er verzweifelt, sich das einzureden.

Wenn James die Sache genauer betrachtete, hatte er eigentlich auch keine Zeit, sich Sorgen zu machen. Die Arbeitsbelastung für die Siebtklässler stieg jeden Tag weiter, hatte mittlerweile auch die Zeit in der fünften Klasse, in der er seine ZAGs erlangt hatte, in den Schatten gestellt, und mittlerweile fühlte sogar er sich gestresst. Es gab einfach nicht genug Zeit, um all die Hausaufgaben zu erledigen, und gleichzeitig genug zu essen und zu schlafen. Remus war mittlerweile dazu übergegangen, Passagen in ihrer Pflichtlektüre zu überfliegen, während er sich abwesend Cottage Pie in den Mund stopfte, und mehr als einmal hatte einer von James' Lehrer sich über die Tomatenflecken auf seinen Essays beschwert, weil er sie geschrieben hatte, während er gleichzeitig Baked Beans löffelte.

Als Professor McGonagall am ersten Tag der Osterferien während genau so einer Aktion mit ernstem Gesicht auf ihn zukam, erwartete er, dass er gleich einen Rüffel für sein Benehmen bekommen würde, doch zu seiner Überraschung bat sie ihn nur, ihm zu folgen. Irritiert drückte er seine Schulsachen Sirius in die Hand. „Nimm sie schonmal mit, ich komme gleich in die Bibliothek nach, ja?“

Der Blick, den Professor McGonagall ihm daraufhin zuwarf, verwirrte ihn noch mehr, und ein kleiner Knoten, der von einer düsteren Vorahnung auf schlechte Neuigkeiten sprach, bildete sich in seinem Magen und wuchs noch, als sie den Wasserspeier vor Professor Dumbledores Büro erreichten. Er war schon oft hier gewesen, meist, weil er wieder einmal einen Streich gespielt hatte, der durch Strafarbeiten und den Verlust von Hauspunkten nicht ausgeglichen werden konnte, sondern einen Rüffel des Direktors erforderte, aber heute... heute konnte das nicht der Grund sein. In den letzten Wochen – nein, sogar in den letzten Monaten, eigentlich seit Weihnachten – war er ein vorbildlicher Schüler gewesen, hatte niemanden verflucht, niemanden getriezt, nicht einmal seine Hausaufgaben vergessen... das heißt, abgesehen von seinen monatlichen Ausflügen...

Panik durchflutete ihn, als er sich vorstellte, wie Dumbledore ihn von der Schule verwies, weil er es einem gefährlichen Werwolf ermöglicht hatte, die Heulende Hütte zu verlassen, doch einen Moment später ebbte sie wieder ab. Sirius und Peter waren daran genauso beteiligt wie er, und Professor McGonagall hatte sie nicht hierherbestellt... und der letzte Vollmond war mittlerweile fast einen Monat her... nein, das konnte es nicht sein. Aber was dann?

Die Tür mit dem schweren Klopfer öffnete sich, noch bevor Professor McGonagall die Hand danach ausstrecken konnte, und James erwartete, ihr gleich nach drinnen zu folgen, doch zu seiner Überraschung winkte sie ihn an sich vorbei und blieb draußen an der sich windenden Treppe stehen. Der Knoten in seinem Magen wuchs erneut, und er schluckte trocken, bevor er schließlich über die Schwelle trat und sich einen Feigling schalt. Normalerweise war das doch Snapes Job – James war ein Gryffindor, und Gryffindors waren mutig. Und was konnte schon passiert sein?

„Mr Potter.“ Dumbledore musterte ihn über seine Halbmondbrille hinweg mit demselben Blick, den auch Professor McGonagall zuvor auf ihn gerichtet hatte, und was ihm bei ihr nur merkwürdig vorgekommen war, erkannte er jetzt als das, was es war – Mitleid. Aber wieso Mitleid?

„Bitte setzen Sie sich.“

James wollte gerade alles andere, als sich setzen, er war zu aufgeregt, zu nervös, wollte auf und ab rennen, bis das Chaos in seinem Kopf Sinn ergab und sich geordnet hatte, aber Dumbledore wartete... wartete, und schließlich, nach mehreren unruhigen Streifzügen über den dicken, roten Teppich, nahm er schließlich auf einem der Stühle Platz.

Dumbledore nickte langsam, so als ob er das, was er sagen wollte, hinausschob, bis er schließlich tief Luft holte. „Mr Potter, haben Sie heute den Tagespropheten gelesen?“

James schüttelte den Kopf; Remus hatte die Zeitung zwar abonniert, aber im Moment waren sie alle viel zu sehr mit ihren Hausaufgaben und ihren Studien beschäftigt, um selbst dem Krieg große Beachtung zu schenken.

„Hm.“ Seine Reaktion schien nicht die zu sein, die Dumbledore sich erhofft hatte, und schließlich seufzte er auf. „Mr Potter, in der letzten Nacht wurden Ihre Eltern von Todessern angegriffen und getötet.“

Sein erster Eindruck war der vollkommener Surrealität – was Dumbledore behauptete, konnte und durfte einfach nicht wahr sein, und gleich würde der Schulleiter sagen, dass das alles ein Scherz war, um seine Nerven zu testen, ihm ein Zitronenbrausebonbon anbieten und ihn dann in die Bibliothek schicken, um weiter für seinen UTZ zu lernen. Erst als sich die Sekunden in die Länge zogen und der besorgte und mitleidige Blick auf Dumbledores Gesicht nicht schwand, begriff er, was er gesagt hatte, und die Realität des Todes holte ihn ein und traf ihn wie ein Klatscher in den Magen.

„Tot?“, wiederholte er schwach und tonlos, und als Dumbledore nickte, bestätigte er nur etwas, das er ohnehin schon gewusst hatte. Für einen Moment stieg bodenlose, alles verschlingende Panik in ihm auf, die eine Flut von Fragen gebar, die nicht alle sinnvoll waren. Wie konnten sie tot sein? Was war passiert? Was war mit ihrer Katze? Stand ihr Haus noch? Wer würde die Beerdigung organisieren? Wo waren seine Großeltern? Warum hatten die Todesser ausgerechnet sie angegriffen? War er schuld? War es wegen ihm? Hatte Snape sich gerächt?

„Mr Potter.“ Die Stimme des Schulleiters, die nun älter und schwächer klang, als James sie je gehört hatte, drang zu ihm durch, und eine alte, faltige Hand rüttelte seine Schulter. „Hier. Nehmen Sie eine Tasse Tee.“

James wollte keinen Tee, er wollte alles außer Tee, er wollte seine Eltern zurück und keine verfickte Tasse, aber er nahm sie trotzdem und rührte mechanisch die große Portion Zucker ein, die Dumbledore ihm aufdrängte, während sein Blick den kleinen Wirbel in der Flüssigkeit fixierte, die sich auch dann noch drehte, als er den Löffel herausgezogen hatte.

„Was ist passiert?“, fragte er schließlich abrupt, und Dumbledore zog sich auf seine Seite des Schreibtisches zurück, schob nur einen Teller Kekse zu ihm hinüber, über diese unsichtbare Grenze, die Schüler und Schulleiter trennte.

„Wir wissen es nicht genau. Sie wissen doch, dass Ihre Nachbarn Muggel sind, oder?“

James nickte langsam und erinnerte sich abwesend an das kleine Mädchen, mit dem er früher immer gespielt hatte, fragte sich, ob es ihr gut ging, auch wenn er wahrscheinlich nur an sie dachte, weil durch die geistigen Operationen von Sorge um andere zu gehen ihm dabei half, sich von seinen Eltern und von der klaffenden, gezackten Wunde, die ihr Tod hinterlassen hatte, abzulenken.

„Wir glauben, dass Todesser versucht haben, ihren Spaß mit ihnen zu haben, und dass Ihre Eltern ihnen zu Hilfe gekommen sind.“

Mit einem Mal wünschte James sich, dass das kleine Mädchen und ihre Mutter und ihr Vater und ihr fast neugeborener Bruder tot wären, wenn das nur bedeutend würde, dass Clementine und Joseph Potter wieder am Leben wären. Dass sie heute Morgen sicher in ihrem Bett aufgewacht wären, geschockt von den Gräueltaten, die nur ein Haus weiter passiert waren, aber lebendig. Eine Sekunde später schämte er sich für den Gedanken... aber der Wunsch blieb, und er biss die Zähne zusammen, um ihre Nachbarsfamilie nicht vor Dumbledore zu verfluchen.

„Ihre Mutter und Ihr Vater waren mutig, Mr Potter, und durch ihr Opfer ist Ihren Muggelnachbarn nichts passiert.“

„Das ist mir scheißegal! Ich wünschte, sie wären taub, blind und feige, wenn sie nur noch LEBEN würden!“ Er war aufgesprungen und stellte distanziert fest, dass er den Schulleiter fast anbrüllte, aber nur fast – anerzogener Respekt hielt ihn zurück. Das, und diese große Leere, die sich in seinem Inneren ausbreitete und langsam begann, seinen Schmerz und seinen Zorn und seine Wut und seine Angst zu verschlucken...

Dass Dumbledore nicht auf seine Worte reagierte, seine Vorwürfe, ließ noch einmal eine Welle von Rage durch ihn pulsieren, doch auch sie verschwand bald, hatte keine Chance gegen die Gleichgültigkeit, die ihn nun füllte. „Möchten Sie mir noch etwas sagen, Professor?“

Dumbledore hob die Augenbrauen und sein stechender Blick bohrte sich in James, doch schließlich, nachdem seine scharfe Musterung nichts gefunden hatte, das er ansprechen oder bemängeln konnte, schüttelte der Direktor den Kopf. „Nein, Mr Potter.“

James nickte und erhob sich mit abrupten, abgehackten Bewegungen, stellte die noch immer unberührte Teetasse mechanisch auf Dumbledores Schreibtisch ab, bevor er schließlich langsam nickte – eine Bewegung, die fast zu anstrengend für ihn war.

Der Schulleiter beobachtete ihn, während er sich umwandte, er spürte seinen Blick im Rücken, sogar noch, als er bereits auf der Wendeltreppe stand, sich von der Bewegung nach unten tragen ließ, der Wunsch, aus dem Büro zu fliehen, nicht größer als die Trägheit und Leere in seinem Inneren. Wohin sollte er gehen? Der Gedanke floss langsam an ihm vorbei, berührte ihn nicht wirklich, nur insofern, als dass er wusste, dass er seinen Freunden nicht unter die Augen treten wollte. Sie waren in der Bibliothek, und dorthin würde er nicht gehen... zu viele Fragen, zu viele Erklärungen, zu viele Mitleidsbekundungen. Und Mitleid... wozu Mitleid? Im Moment fühlte er sich eigentlich gut.

Ja, seine Eltern waren tot, und ja, das war schrecklich, aber diese Gewissheit berührte nur seinen Verstand, nicht sein Herz. Es tat nicht weh, obwohl er wusste, dass es das sollte, und er einen kleinen Funken schlechten Gewissens verspürte, weil der Tod seiner Eltern ihn einfach nicht... berührte, nicht von seinem Verstand in die Tiefe seiner Seele vordringen konnte. Er dachte – an all die Veränderungen in seinem Leben, die nun auf ihn warteten, an all die Formalitäten, die ihm nun bevorstanden, an Sirius, der nun niemanden mehr hatte, der ihn unterstützen würde... aber er fühlte nicht. Er fühlte gar nichts, die alles umfassende Leere in seinem Inneren reichte bereits bis in seine Fingerspitzen und hinunter in seine Zehen, er fühlte kaum die Wand vor dem Büro des Schulleiters, an der er sich abstützte.

Er wollte alleine sein... alleine, irgendwo da, wo niemand ihn mit diesem mitleidigen, leidenden Blick ansehen würde, der all seine Emotionen wieder zum Leben erwecken würde. Die Eingebung kam zu ihm, als er sich schon in Bewegung gesetzt hatte, auf den hoffentlich leeren Gryffindor-Gemeinschaftsraum zu. Das Badezimmer der Schulsprecher! Niemand würde ihn dort stören... nur Lily hatte das Passwort, und Lily würde sich sicherlich nicht um ihn kümmern. Obwohl sie sich in den letzten Wochen zunehmend neutraler verhalten hatte und sie ein netter Mensch war... in so einer Situation jemandem zu helfen, den sie einfach nicht mochte? Nein... nicht einmal Lily würde das machen.

Erleichterung durchflutete ihn, als er den Wandteppich erreichte, hinter dem sich das Zimmer befand, ohne dass er einen anderen Schüler getroffen hatte, der ihn – oder sich – vielleicht fragte, wieso er sich alleine in einem abgelegenen Teil des Schlosses herumtrieb. Er sagte das Passwort und schlüpfte unter den Fransen hindurch, bevor er die Tür hinter sich schloss und einen kurzen Blick durch den leeren Raum warf. In seiner momentanen Stimmung wirkte das Badezimmer trostlos und leer, und schließlich entschloss er sich, sich auf den einzigen Platz zu setzen, der ihm für einen Moment das Gefühl gab, geschützt zu sein vor seinen Emotionen, von denen er spürte, dass sie hinter seiner Fassade brodelten.

Er nahm in der Mitte des großen Schwimmbeckens Platz, sah hinauf zu den vielen verschiedenen Hähnen, die golden über ihm glitzerten, und lehnte sich schließlich zurück, betrachtete die vielen verschiedenen Steinblöcke der Decke, und sonnte sich in der Distanziertheit seiner Gedanken. Keine Angst, kein Schmerz, kein Tod... nur er, ganz alleine. Und er wartete.



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