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Nebel über Hogwarts

von

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Schmerz

Nebel über Hogwarts – Kapitel 53: Schmerz
 

Sobald es Zeit für das Mittagessen war, wusste die ganze Schule, dass James Potters Eltern in der vergangenen Nacht gestorben waren. Während beim Frühstück nur ein paar Schüler bemerkten, dass er von Professor McGonagall abgeholt wurde, brodelte die Gerüchteküche, sobald die ersten von ihnen den Tagespropheten gelesen und die Meldung über seine Eltern gesehen hatten, und schließlich breiteten sich die Nachrichten aus.

Lily und Emily hatten den Vormittag in der Bibliothek verbracht, in Sichtweite der Rumtreiber, die zusehends unruhiger und nervöser geworden waren, je mehr Zeit verging, ohne dass sie James zu Gesicht bekamen. Beim Mittagessen erfuhren sie die Gerüchte von einer blassen, nervösen Fünftklässlerin, und die Sorge, die Lily irgendwann ebenfalls erfasst hatte, verwandelte sich in Mitgefühl. Sie hatte gesehen, welche Angst James um seine Eltern gehabt hatte, damals, auf dem Astronomieturm, und jetzt waren sie tot... Lily konnte nur raten, wie schrecklich er sich jetzt fühlte.

Aber was sollte sie schon tun? Ihn trösten? Dazu hatte er Freunde, nicht sie, auch wenn sie ein wenig Zweifel daran hatte, was für ein Freund Sirius Black war. Aber wenn er sich nicht um James kümmern würde... dann hätte er ein Problem. Ein großes Problem.

Als sie nach einem Nachmittag der Prüfungsvorbereitung in der Bibliothek in den Gryffindor-Gemeinschaftsraum zurückkehrten, schienen sich ihre Befürchtungen – oder Wünsche? Immerhin hätte sie sicherlich großen Spaß daran, Sirius Black außerhalb ihrer Verteidigung gegen die Dunklen Künste-Stunden zu verhexen – zu bewahrheiten. Die drei Rumtreiber ohne Potter saßen mit dumpfem Gesichtsausdruck in den Stühlen vor dem Feuer, vom Schulsprecher war nichts zu sehen, und starrten in die Flammen. Kein Versuch, ihn zu trösten, und niemand war bei ihm. Wie konnte man seinen besten Freund in so einer Situation alleine lassen?

Bevor sie wusste, was sie tat, stand sie neben Black, der zu ihr aufsah, und funkelte ihn an – sie hatte noch immer nicht vergessen, was er Severus angetan hatte, und ihre Abneigung wurde durch sein Verhalten gegenüber Potter noch verstärkt. Immerhin war Potter kein Feind, sondern Blacks Freund... und mit Freunden wie Sirius Black brauchte man offensichtlich keine Feinde mehr.

Zu ihrer Überraschung sprach Remus, bevor die wütende Tirade, die sich hinter ihren Lippen verbarg, hervorbrechen konnte. „Hättest du... hättest du einen Moment Zeit?“

Sein Zögern weichte ihren Zorn genug auf, dass sie abgehackt nicken konnte. „Worum geht es?“

„Um James.“

Ihre Augen leuchteten auf. „Wäre das nicht eigentlich euer Job? Immerhin seid ihr doch seine Freunde.“

Sirius seufzte und fuhr sich mit der Hand in einer erschöpften, niedergeschlagenen Geste durch die Haare. „Ja, und wir würden ja auch für ihn da sein... aber er hat sich im Badezimmer der Schulsprecher eingeschlossen, und der Raum lässt uns nicht ein, wahrscheinlich, weil er es nicht möchte... könntest du vielleicht zu ihm gehen? Immerhin hast du genauso ein Recht, dort zu sein, wie er.“

Lily hob die Augenbrauen. Ihre erste Reaktion war Ablehnung – sie mochte James Potter nicht, obwohl ihre Meinung von ihm sich in den letzten Wochen gebessert hatte, sie kannte ihn kaum, und nach einem langen Tag des Lernens für ihren UTZ war sie unglaublich müde. Aber dann schlug ihr Gewissen an – er war alleine dort, vielleicht sogar schon seit heute Morgen, und sie war wahrscheinlich die einzige Person, die ihm helfen konnte. Sie musste einfach gehen.

„Okay.“ Sie wollte sich schon abwenden und wieder durch das Portraitloch verschwinden, als sie aus dem Augenwinkel sah, wie die Drei sich erhoben.

„Wir kommen mit“, erklärte Peter. „Vielleicht will er ja doch mit uns reden und lässt uns hinein...“

Lily nickte, und nach einem kleinen Abstecher zu Emily, die ihr viel Glück wünschte, machte sie sich mit den Rumtreibern auf den Weg zum Badezimmer der Schulsprecher. Sie bildeten eine traurige kleine Prozession, niedergeschlagen und bedrückt, wie sie sich alle fühlten, und als sie schließlich ankamen, fühlte Lily sich, wie wenn sie sich auf eine aussichtslose Mission begab, die sie vielleicht sogar das Leben kosten konnte.

Sirius drückte ihr kurz die Schulter, bevor sie das Passwort sagte und der Wandteppich zur Seite glitt, um sie hindurchzulassen, doch als Remus ihr probeweise folgen wollte, schlug der Teppich nach ihm, und der Werwolf machte einen schnellen Schritt zurück. Dann stand sie in der hallenden Stille des Raumes, und blickte sich kurz um, bevor sie James entdeckte, an einer Stelle, an der sie ihn nicht erwartet hätte. Er saß auf dem Grund des Schwimmbeckens, die Arme in einer defensiven Geste um seine Knie geschlungen, und starrte blicklos vor sich auf den marmornen Boden. Lily schluckte.

Ja, sie hatte schon andere Schüler getröstet, sowohl als Vertrauensschülerin als auch als Schulsprecherin, doch das waren meist jüngere Kinder gewesen, und niemand, den sie so lange und so gut kannte wie James... niemand, bei dem es sie so erschreckte, ihn apathisch und schmerzerfüllt zu sehen. Bei all seinen Fehlern war er doch jemand, der normalerweise gute Laune, Fröhlichkeit und Energie ausstrahlte, aber jetzt war davon nichts zu merken, er sah aus wie ein Häufchen Elend, schien ihre Ankunft nicht einmal bemerkt zu haben.

Leise, um die Stille des Raumes nicht zu stören, ging sie um das Becken herum, den Blick immer auf ihn gerichtet, doch er gab ihr mit keinem Zeichen zu verstehen, dass er sie überhaupt wahrnahm, sondern wippte nur weiter leicht auf und ab, wie ein kleines Kind, das verzweifelt nach Schutz und Wärme suchte. Langsam schritt sie die Stufen auf den Grund des Beckens hinunter, und nahm, nach einem Moment des Zögerns, neben ihm Platz, sah nach vorne, auf der Suche nach dem, was er so fasziniert beobachtete. Als sie saß, brach die Stille wieder über sie herein, drohte sie zu erdrücken, und sie räusperte sich leise. „James?“

Er zuckte zusammen, als ob sie ihn geschlagen hätte, und riss seinen Kopf herum, seine braunen Augen wanderten erschreckt über ihr Gesicht, bis er zu begreifen schien. „Lily.“

Sie nickte langsam, schenkte ihm ein schüchternes Lächeln, das er mit einem Nicken erwiderte, bevor er sich wieder umwandte und nach vorne sah. Trotzdem hatte sich die Qualität seines Schweigens geändert, er wirkte nicht mehr so abwesend und geschockt, sondern eher nachdenklich, und rieb sich mit den Händen über seine Arme, als ob ihm kalt wäre. Für einen Moment zögerte sie, rang mit sich selbst, dann überbrückte sie die paar Zentimeter zwischen ihnen, und schlang ihren Arm um seine Schulter. Er wirkte nicht so überrascht wie in dem Moment, als er sie bemerkt hatte, aber er half ihr auch nicht bei ihren Berührungen, sondern saß da, ein wenig zur Seite gekippt, weil sie ihn an sich gezogen hatte, und steif wie ein Brett.

Sie spürte seine harten, angespannten Muskeln unter ihren Fingern, und vorsichtig begann sie, über den Stoff seines Umhanges zu streicheln, nicht sicher, ob er überhaupt wirklich spürte, was sie tat. Die Antwort auf diese Frage bekam sie, als er langsam begann, sich zu entspannen, und er seinen Kopf nicht mehr steif hochhielt, sondern langsam auf ihre Schulter hinuntersinken ließ. Sein Atem ging nicht mehr schnell und abgehackt, sondern langsamer und tiefer, und die steinerne Härte verschwand unter ihren Fingern, machte Platz für eine fast knochenlose Weichheit, durch die er immer weiter zu ihr sank.

In jeder anderen Situation hätte sie ihn geohrfeigt und ihm gesagt, dass er sich verpissen sollte, aber heute... heute konnte sie ihm das nicht sagen, und wenn sie ehrlich war, glaubte sie nicht, dass er wirklich realisierte, wie nah er bei ihr war. Lily runzelte die Stirn. Wenn sie es sich recht überlegte, konnte es auch sein, dass es ihm vielleicht auch egal war. In den letzten Monaten hatte sie kein einziges Anzeichen seiner Schwärmerei für sie mehr gesehen, und wo sie früher auf diesen Augenblick nur gewartet hätte, stellte sie nun, wo er da war, fest, dass die Befriedigung darüber nur eine Illusion war. Sie mochte James vielleicht nicht, aber dass er sie anziehend und attraktiv fand, hatte ihrem Ego geschmeichelt, und irgendwie war es zu einem Fixpunkt in ihrem Leben geworden. Auch wenn andere Jungen, vielleicht sogar die, die sie mochte, dieses Gefühl nicht erwiderten, James war sozusagen die lebende, atmende Bestätigung, dass sie toll war, und jetzt, wo das fehlte... es hinterließ eine Leere in ihr, die sie sich zwar nicht gerne eingestand, aber die nichtsdestotrotz da war.

Nicht einmal die leisen Laute des Schlosses drangen durch den Teppich in das Badezimmer der Schulsprecher, und bis auf James' leisen, nun zum Glück regelmäßigen Atem hörte Lily nichts, bis er schließlich seufzte und sie spürte, wie sein Brustkorb sich hob. Vorsichtig, um ihn nicht zu stören, drehte sie den Kopf, sah in seine Masse schwarzen Haares, bis er sich ein kleines bisschen von ihm löste und zu ihr hochblickte. Braune Augen starrten kurz in ihre grünen, bevor er ihr schließlich ein vorsichtiges, zerbrechliches Lächeln schenkte, das sie erwiderte. Für einen Moment sahen sie sich an, dann blickte er wieder nach vorne und schien sich noch näher an sie zu lehnen, dann holte er tief und ganz offensichtlich angestrengt Luft.

„Sie sind tot.“

Lily wusste nicht, was sie darauf sagen sollte, und nickte nur, eine Bewegung, die er an seinem Körper spüren konnte und die ihn dazu bewog, seine Hand auszustrecken und sie an ihre Schulter zu legen.

„Ich hätte nach Hause fahren sollen.“

Lily schnappte nach Luft, überrascht von ihrem eigenen Schock. „Dann wärst du wahrscheinlich auch tot!“

Abwesend spürte sie, wie James unter ihren Händen mit den Schultern zuckte. „Vielleicht auch nicht. Und vielleicht wären sie auch noch am Leben – wer kann es wissen?“

So tröstend, wie sie vermochte, tätschelte sie ihn – sie hatte nur eingeschränkte Erfahrung damit, Jungen zu beruhigen, vor allem, weil ihr einziger männlicher Freund, Severus, seine Emotionen allzu oft verbarg und seine Probleme immer mit sich selbst ausmachte. Allerdings konnte man die beiden wirklich nicht vergleichen. „Niemand“, entgegnete sie, obwohl sie wusste, dass es eigentlich eine rhetorische Frage gewesen war, und er nickte schließlich langsam.

„Ja.“ Die eine Silbe verklang nachdenklich im Raum. „Ich glaube, ich hätte sie einfach gerne noch einmal gesehen, bevor sie...“

Sie drückte seine Hand. „Natürlich.“

„Wenn ich wenigstens in den Weihnachtsferien nach Hause gefahren wäre“, fuhr er langsam, fast zögerlich fort, „aber ich wollte mit meinen Freunden in Hogwarts bleiben und Spaß haben, das letzte Mal in meinem Leben. Jetzt zahle ich den Preis dafür.“

Lily schüttelte den Kopf. „Nein. Sie sind nicht tot, weil du sie vernachlässigt hast. Sie sind tot, weil Du-weißt-schon-wer ein größenwahnsinniger Irrer ist, der alles zerstören möchte, was schön und gut ist. Auch Familien.“

James schnaubte bitter. „Du hast leicht reden. Du hast ja noch Familie. Glaub mir, es gibt einen Unterschied zwischen einer abstrakten Feststellung und realem Verlust.“

Mit seiner Feindseligkeit hatte sie nicht gerechnet, und sie wusste sich nicht anders zu helfen, als ihn näher an seine Schulter zu ziehen und beruhigend über die seine zu streicheln, zuerst in kleinen Kreisen, und dann, als sie mutiger wurde, in langsamen, beruhigenden Zügen.

„Es tut mir leid“, entgegnete er schließlich, als sie schon gedacht hatte, er wäre wieder in seinen apathischen Ausgangszustand zurückgefallen, und er schüttelte langsam den Kopf. „Es tut nur so weh... und ein Teil von mir möchte die ganze Welt so sehr verletzen, dass sie mich versteht.“

„Schon okay“, antwortete sie murmelnd, unsicher, was sie mit dieser Erklärung anfangen sollte. „Hast du deswegen deine Freunde nicht hereingelassen?“

Er nickte langsam. „Ja... und weil ich Angst hatte, dass sie mich aus meiner Gleichgültigkeit reißen würden... als ich hier hereinkam, war mir alles egal. Alles.“

„Und jetzt nicht mehr?“, fragte sie leise, und war erleichtert, als sie spürte, wie sich sein Kopf bewegte.

„Nein... jetzt nicht mehr. Aber manchmal wünsche ich mir, es wäre anders.“

Was sollte man darauf sagen? Sie konnte ihm nichts abnehmen... sie konnte nur da sein, und hoffen, dass ihre unbeholfenen Versuche ihm halfen. „Wie waren sie?“, fragte sie schließlich, als die Stille wieder zu drückend wurde und sie das Gefühl hatte, dass ihre Wörter in ihrem Mund stecken bleiben würden, wenn sie noch länger schwieg.

„Meine Eltern?“

„Ja.“

Sie konnte hören und fühlen, wie er langgezogen ausatmete, bevor er schließlich sprach. „Meine Mutter war eine wundervolle Frau mit einem guten Herz, und sie... sie wusste einfach, was man brauchte. Nicht was man wollte, oder sich wünschte, oder dachte, dass man brauchte – sondern wirklich brauchte. Ich weiß nicht, ob du davon gehört hast, aber Sirius... naja, seine Familie hasst ihn, und als ich ihn nach meinem dritten Schuljahr mit nach Hause genommen habe... sie hat ihn aufgenommen, hat ein Zimmer für ihn eingerichtet, hat seine neuen Schulbücher bezahlt... Dinge, die seine eigene Mutter nicht für ihn getan hat. Nicht jede Frau hätte das gemacht, aber meine Mutter... sie wusste einfach, dass in Sirius ein guter Mensch steckt, wenn man ihm die Chance gibt, herauszukommen...“

Lily spürte, wie sich hier Widerspruch in ihr regte, aber dann erinnerte sie sich an das Gespräch zu Beginn des Schuljahres, das sie mit einem leicht alkoholisierten Sirius geführt hatte... wie bitter er war, noch immer, weil seine Familie – die ja von sich selbst behauptete, dass Blut alles war – ihn vernachlässigte und verachtete, und sie nickte dann doch.

„Mein Vater... er war nicht annähernd so herzlich oder so zugänglich, aber er war der beste Vater, den sich ein kleiner Junge wünschen konnte. Er hat mit mir gespielt, er hat mir beigebracht, zu fliegen, er ist mit mir zu Quidditch-Matches gegangen... er hat kleine Holzfiguren für mich lebendig gezaubert und mir beigebracht, wie man einen Staudamm in einem Bach baut... er hat mich Schwimmen gelehrt... und an dem Tag, als ich zum ersten Mal nach Hogwarts gefahren bin, war er stolz... so stolz auf seinen kleinen... kleinen...“

Das war der Moment, in dem James' Tränen anfingen zu fließen und die Staudämme seiner Selbstbeherrschung wegwuschen, und Lily zog ihn näher an ihre Brust, schlang ihre Arme um ihn, und ließ ihn weinen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  rikku1987
2014-06-10T11:19:02+00:00 10.06.2014 13:19
Oh Mann genau wie in den originalbänden lässt du hier eine Tragödie mit einfließen. Nun wird es wohl bald Zeit für den letzten großen Kampf. Wenn hast du dir wohl als bosewicht ausgesucht. Wie wird das ende sein. Ich bin total gespannt. Freue mich auf die nächsten Kapitel

Antwort von:  Glasschmetterling
11.06.2014 16:40
Ja, hier ist eine Tragödie im Anmarsch... und nicht nur eine, sondern mehrere. Der Tod von James' Eltern war in dieser Hinsicht nur der erste Schlag. Und mitten im Krieg gegen Voldemort - wer wird da wohl der Gegner im letzten, großen Kampf sein? ;)


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